ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: IX, Stück: 2 (1791)

[<I>]

ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ

oder

Magazin
zur
Erfahrungsseelenkunde

als ein

Lesebuch
für
Gelehrte und Ungelehrte.

Mit
Unterstützung mehrerer Wahrheitsfreunde
herausgegeben
von

Karl Philipp Moritz,
und
Salomon Maimon.

Neunten Bandes zweites Stück.

Berlin,
bei August Mylius 1792.

[<II>]

Nachricht.

Von diesem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde sollen allemal drei Stücke, jedes sieben bis neun Bogen stark, einen mäßigen Band ausmachen. Einzeln gilt das Stück 10 Groschen, und der ganze Band 1 Rthlr. 6 Gr. Eine gewisse Zeit der Herausgabe kann nicht bestimmt werden, sondern es kömmt darauf an, wie sehr die Materialien und Beiträge sich anhäufen werden.

[1]

Magazin zur Erfahrungsseelenkunde.
Neunten Bandes zweites Stück.

Zur Seelennaturkunde.

1.

Selbstmord aus Rechtschaffenheit und Lebensüberdruß.

Bendavid, Lazarus

Der Fälle, wo ein Selbstmord nicht aus Leidenschaft und Uebereilung verübt wird, giebt es so wenige, daß derjenige Fall vorzüglich die Aufmerksamkeit des Beobachters zu verdienen scheint, wo Vernichtung sein selbst in dem Plane eines Mannes lag; wo die Seele sich mehrere Jahre an der Hinsicht nach jenem Zeitpunkte labte, in welchem ein rascher Schritt sie von der Quaal befreien würde, die sie zernagte, wo der Gedanke: die Thüre steht offen, ich kann gehen, wenn ich will, das einzige war, was den Mann, der ihn hegte, in Thätigkeit erhielt; [2]und wo die That mit einer Seelenruhe ausgeführt wurde, die nur die Folge einer langen und reifen Ueberlegung seyn kann.

Den Mann, von dem ich spreche, lernte ich vor mehreren Jahren*) 1 kennen. Seine Einsichten in Geschichte und Geographie zogen mich an ihn, so sehr mich auch sein Aeußeres und die Verschiedenheit unsers Alters von ihm abschreckte. Er war damals zwischen seinem zwei und drei und vierzigsten Jahre, und sein Aeußeres war, wie gesagt, nichts weniger als empfehlend. Sein langer hagerer Körper wurde von zwei dünnen Beinen getragen, deren Füße sich in ein Paar Ballen endigten, die mehr als gewöhnlich, nach innen zu, hervorragten. Sein rundes, braungelbes Gesicht hatte durch den starken schwarzen Bart, die kurze Stirne, die schwarzen kleinen aber äußerst feuerigen Augen, und durch ein Paar, an der linken untern Kinnlade befindliche Warzen, ein ungemein finsteres Ansehn. Auch hatte sein Gespräch für einen jungen Menschen gewöhnlich nichts Anziehendes. Es war kalt und abgemessen.

Je näher ich ihn aber kennen lernte, je mehr schätzte ich ihn, wegen seiner Rechtschaffenheit, sei-[3]ner Offenheit, und der gelassenen Duldung mancherlei Leiden. Freilich schien das letztre ihm nicht ganz zum Verdienst angerechnet werden zu können, indem Schmerz und Freude, vermöge seines melankolischen Temperaments, nur geringen Einfluß auf ihn hatten, und er, vermöge seines Standes, an den Lustbarkeiten der großen Welt und ihren Begriffen nicht den mindesten Antheil nahm. Aber wenn er an dem Vermählungstage seiner ältesten Tochter die Nachricht davon mit einem Interesse las, das genugsam die geringe Theilnahme an der Feierlichkeit des Tages verrieth; wenn er am Sterbebette eben dieser Tochter mit eigner Hand ein Paket zeichnet, das nach der Post sollte und 6 Pf. gekostet haben würde, wenn es dort gezeichnet worden wäre, so thut man ihm Unrecht, diese Gleichgültigkeit für Kälte, und diese Kälte ganz für Temperamentsfehler auszugeben. Sie war größtentheils Prinzip, Vorsatz. Aus den Lehren der Stoiker, die ihm bekannt waren, nahm er den Satz heraus: der Mensch müsse alles anwenden, um vom Einflusse der äußern Dinge unabhängig zu seyn, und sein ganzes Leben war ein stetes Bestreben der Natur, die ihm zu dieser Unabhängigkeit die Hand bot. Er hatte es auch hierin wirklich auf einen hohen Grad gebracht. Er, für sich, hatte nur wenige, nur leicht zu befriedigende Bedürfnisse.

Aber da er verheirathet war, und sechs Kinder hatte, die eben so wenig als seine Frau von ihm [4] nach seinen Grundsätzen behandelt werden konnten, noch sich behandeln lassen wollten; so mußte er Dinge unternehmen, die mit seiner Rechtschaffenheit stritten, ihn in seinen Augen verächtlich machten, und ihm das Ende seines Lebens als wünschenswerth vorstellten.

Er war nämlich Kaufmann; aber da ein reeller Handel, bey der Mittelmäßigkeit seiner Glücksumstände, lange nicht hinreichend war, seine zahlreiche Familie zu ernähren, und die immer erneuerten Wünsche seiner Frau zu befriedigen; so ward er Schleichhändler. Mit der Zunahme seines Vermögens, mit der sichtlichen Vergrößerung seines Wohlstandes, nahm seine Gemüthsruhe merklich ab; und der Mann, der vormals nur gegen das Keifen einer Frau zu kämpfen hatte, hatte jetzt, durch die Befriedigung dieser, einen weit härtern Kampf zu bestehen — sein Gewissen klagte ihn an und verdammte ihn.

»Ich bin ein schädliches Mitglied des Staats, sagte er mir oft mit innigster Erschütterung. Die Gesetze desselben sind mir heilig, und ich verletze sie, bin gezwungen sie zu verletzen. Ich weiß, daß es nicht gut gehn kann, und über kurz oder lang meine Schande an den Tag kommen muß.«

»Doch, setzte er einst hinzu, nicht die Furcht vor Entdeckung beunruhigt mich, sondern die That [5] selbst. Der Strafe, die der Entdeckung folgt, kann ich leicht entgehn, aber nicht dem Bewußtsein sie zu verdienen. Und als ich fragte, wodurch er glaubte der Strafe entgehn zu können, sagte er: es giebt einen Zustand, wo alle Verträge aufhören, und dieser Zustand ist — der Tod. Ich werde ihn ergreifen, sobald ich vor Gericht erscheinen muß, und wünsche ihn sobald als möglich ergreifen zu müssen.«

»Wenn ich meine Familie ernähren soll, muß ich stets die jetzige Lebensart führen; aber ich kann sie nicht führen, ohne unglücklich zu seyn. Es kämpfen Pflichten gegen Pflichten in mir. Meine Frau, meine Kinder fordern meinen Beistand, aber der Staat meine Treue. Ich kann nicht beiden zugleich Genüge leisten, und werde dem unterliegen.«

»Uebrigens weiß ich auch nicht wozu ich lebe. Ich kenne meine Bestimmung hienieden nicht; und so viel ich aus der Analogie schließen kann, ist die Bestimmung des Menschen die der Thiere und Pflanzen. Sie werden geboren, wachsen und sterben. Sterben, ohne Bewußtsein von ihren Thaten hienieden zu behalten. Wozu die Quaal, wozu der Harm in diesem Leben?«

»Hätt' ich nicht Frau, nicht Kinder, wäre das Schicksal dieser nicht mir anvertraut, läge mir nicht ob, die Pflichten des Gatten und des Vaters zu erfüllen; ich für mich würde die beiden Enden meines Lebens schon längst näher an einander gebracht [6]haben. Nur der Gedanke, daß ich meine arme, hülflose Familie durch meinen Tod unglücklich machen werde, hält mich noch im Leben zurück. Aber sobald ich entdeckt werde, sobald durch die Festungsstrafe, die auf der Entdeckung steht, meiner Frau der Mann, meinen Kindern der Vater doch geraubt wird, warum sollte ich einen Augenblick anstehen, mich mir selber zu rauben?«

»Und wohl mir, daß ich das kann; daß die Thüre offen steht und ich gehen kann, wenn ich will. Dadurch bin ich im Stande, meine Pflichten einigermaßen gegen meine Familie und den Staat zu erfüllen. Ich arbeite für jene aus allen Kräften, und befreie diesen am Ende von einem ungesunden Gliede durch meinen Tod.«

Er hielt Wort. Im Jahre — wurden die Befehle wegen des Schleichhandels erneuert und geschärft. H. hatte einen großen Transport Waaren von der — Messe zu erwarten, die alle für fremd erkannt werden mußten, sobald eine genaue Nachsuchung angestellt würde. Werden sie dafür erkannt werden, so ist der Verlust der Waaren und die Erlegung einer schweren Geldsumme oder Festungsstrafe das Schicksal, das ihm bevorsteht.

Er erwartete es mit der Geduld eines Mannes, der nichts zu verlieren, und auf alle Fälle einen Ausweg hat, der nicht fehlen kann.

Die Zeit, die zwischen der Nachricht von der Absendung der Waaren und ihrer Ankunft verfloß, [7]ging er oft im T.. G.. spatzieren; immer nach einem Orte, wo ein Arm der S.. eine Art von Zunge bildet. Er ging dahin, gleichsam, um sich mit dem Orte vertraut zu machen, an dem er sein Leben beschließen wollte.

Er sprach diese Tage größtentheils von Unsterblichkeit der Seele, und von der Unzuläßigkeit aller Beweise für dieselbe. Des Selbstmordes, den er sonst mit vieler Wärme zu vertheidigen pflegte, erwähnte er dieser Tage mit keinem Worte, so gern er auch sonst davon sprach, und so sehr auch Personen, die mit ihm umgingen, auf dieses Gespräch leiteten. Führten seine Betrachtungen über Unsterblichkeit auf Selbstmord, so lenkte er ein.

Die Waaren kamen an, wurden angehalten und er vor Gericht gefordert. Er schickte seinen Schwiegersohn voraus, und versprach, ihm mit seinem ältesten Sohne bald zu folgen.

Um drei Uhr Nachmittags traf ich ihn mit diesem Sohne auf der Straße. Er redete mich an, und unterhielt sich mit mir ebenfalls wieder von dem Gegenstande, der ihn, wie gesagt, die letzten Tage seines Lebens am meisten beschäftigte: von Unsterblichkeit der Seele.

Am Schloßplatze sagte er seinem Sohne, er solle nur allein gehn; er habe noch ein Geschäft abzumachen, das seine Gegenwart erfordere, und da er nicht wisse, wie bald er von dem bevorstehenden Verhöre werde befreit werden, wolle er es noch vor [8]demselben abmachen. Ich wollte ihn ein Ende begleiten, aber er verbat es, indem er mir durch eine Gebärde zu verstehen gab, wohin er gehen wollte.

Als er sich schon von uns entfernt hatte, sahe ich ihn zu seinem Sohne zurückkommen, und ich erfuhr nachher, daß er ihm seine Taschenuhr gab, weil sie ihm bei dem vorhabenden Geschäft aus der Tasche fallen könnte.

Gegen zehn Uhr Abends brachte ein Unbekannter einen Zettel an seinen Schwager, des Inhalts: Er hätte sich entfernt, um das Ende des Prozesses abzuwarten; man sollte sich keine Mühe geben ihn zu finden, weil diese Mühe vergeblich sein würde. Sollte der Ausgang des Prozesses schlimm ausfallen, so empfehle er ihm (seinem Schwager) seine Frau als Schwester und seine Kinder als Neffen.

Der Schwager, mit dem er nie über seine Absicht, sich zu entleiben, gesprochen hatte, legte den Sinn des Zettels buchstäblich aus, vertröstete seine Schwester, schwieg, und bat sie zu schweigen.

Er wäre bei schnellen Anstalten vielleicht zu retten gewesen, denn Leute wollten ihn noch um neun Uhr Abends gesehn haben. Sein Schicksal wollte das nicht. Man fand ihn den andern Morgen tod in eben dem Arm der S.., bei dem er gewöhnlich spatzieren ging, völlig angekleidet liegen. Um den Leib hatte er einen neuen Strick geschlungen, und das Ende desselben an einen Baum befe-[9]stigt — wahrscheinlich, um nicht vom Strome fortgetrieben zu werden.

Den Hut fand man in einiger Entfernung schwimmen. Der Bauch war vom Wasser aufgetrieben und die Augen gebrochen; angewandte Hülfe war vergeblich.

In einem Zettel, den man in seiner Tasche fand, bat er, man solle ihn unentkleidet beerdigen. Man gab seiner Bitte Gehör. Frau und Kinder waren untröstlich, und die Kaufmannschaft beweinte in ihm den Verlust eines Mannes, der nur in einem gefehlt hatte, aber übrigens ein rechtschaffner ehrlicher Biedermann gewesen war.

Personen, die seinen Vater gekannt haben, versichern, daß dieser ebenfalls einen Versuch gemacht habe, sich den Hals abzuschneiden, aber durch das Hinzukommen einer Frau verhindert worden sei, den Schnitt so stark zu machen, um unheilbar zu sein. Auch soll er die Frau hart mit den Worten angelassen haben: ich kann nicht begreiffen, wodurch das Weib das Recht, mir verbieten zu wollen, daß ich mir in meinen Hals schneide?

L. Bendavid.

Fußnoten:

1: *) Zur Schonung der noch lebenden Familie erlaube man mir, Namen, Ort und Jahrzahl zu verschweigen; ob ich mich gleich erbiete, jedem, dem darum zu thun ist, die Geschichte umständlicher zu erzählen.


[10]

2.

Fortsetzung des Aufsatzes über Täuschung und besonders vom Traume.*) 1

Veit, Joseph

(S. 8ten Bandes 3tes St. S. 17.)

Aus den Gründen, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden. Wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft malt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und die höheren Seelenkräfte unterdrückt, dann ist sie, wenn das Bewußtsein zugleich unvollkommen ist, auch täuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Ideenreihe, mithin das Kennzeichen von der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verlohren geht, der auch die Ungereimtheiten, wegen der Schwäche Vernunft und des Verstandes, nicht auffallen können.*) 2

[11]

Daß aber die bloße Anlage zur Ideenherrschaft, und ein unvollkommnes Bewußtsein an und für sich [12]hinreichend sei, der Einbildungskraft die Stärke zu verleihen, welche sie besitzen muß, wenn sie Bilder sehr lebhaft malen, Begebenheiten mit Nachdruck schildern, und die höhern Seelenkräfte unterdrücken soll. Dieses ist es, welches noch eine deutliche Auseinandersetzung erfodert, und zwar um so mehr, da uns auch bei vollkommner Besonnenheit, und während dem Wachen zuweilen Bilder vor den Augen schweben, deren Erzeugung in uns, uns auf keine Art bekannt ist, von denen wir gleichwohl wissen, daß sie bloße Gedankendinge sind; wie dieses am häufigsten geschieht, wenn wir im Finstern sitzen; denn da die Bilder die Lebhaftigkeit nicht haben, welche ihnen die wahre Natur verleiht, so erkennen wir aus dem Mangel an Lebhaftigkeit, und [13]aus Vernunftgründen den Mangel einer wahren Wirklichkeit. Es muß demnach die Ursache angegeben werden, warum bei einem unvollkommenen Bewußtsein, also auch im Traume, von dem wir hier vorzüglich handeln, die Einbildungskraft einen weit höhern Grad von Stärke hat, die höhern Seelenkräfte aber einen weit geringern haben, wenn unsre Behauptung erwiesen sein, und die Entstehung einer Täuschung sich erklären soll.

Mehrentheils setzt man die Ursache, warum im Traume die Einbildungskraft so außerordentlich herrschend ist, in den beinahe gänzlichen Mangel der sinnlichen Empfindung, der in diesem Zustande vorhanden ist. Allein es frägt sich: warum erhalten nicht durch den Mangel an sinnlichen Empfindungen auch die höhern Seelenkräfte einen höhern Schwung?*) 3 warum sinken sie vielmehr so tief [14]herab, daß wir im Traume alle die Ungereimtheiten im Ernste glauben, welche uns darin vorkommen. Warum verhält es sich nicht vielmehr gerade so, als wenn wir im Finstern säßen; denn nicht blos die Einbildungskraft, sondern auch die höhern Seelenkräfte leisten alsdann ihre Funktionen besser, so daß viele denkenden Köpfe, und besonders viele Engländer, sich des Nachts ins Finstere setzen, oder den Eingang des Lichts bei hellen Tagen verhindern, um eine Spekulation besser durchzudenken. Folgende Bemerkungen werden, wie ich glaube, auf den rechten Weg leiten, und die wahre Ursache anzeigen.

[15]

Jeder sinnliche Begrif wird jederzeit von der Vorstellung eines Bildes oder einer Anschauung begleitet. Man wird z.B. den Namen eines Menschen nicht aussprechen können, oder auch, man wird nicht an ihn denken, ohne daß uns in demselben Augenblicke sein Bild, und im Falle er uns unbekannt ist, ein Ideal, das wir uns von ihm entworfen haben, vorschweben sollte. Eben so verhält es sich, wenn wir die Ausdrücke: Wasser, Feuer, Regen, Bewegung, Auf- und Niedergang, Hölle oder Paradies u.s.w. nennen hören, oder auch an diese Begriffe denken. Wir haben immer ihre Bilder oder die Ideale, welche wir uns von ihnen machen, eine auffallende Würkung oder eine sinnliche Veränderung derselben, im Sinne.

Die Fortschritte der Vernunft, und die Aufhellungen, welche der Verstand verschaft, werden hierdurch theils befördert theils gehindert; befördert, weil die bloße Vorstellung des Bildes und der Anschauung, wenn sie nicht Ideale sind, die Beweise von der Möglichkeit und Anwendbarkeit der Begriffe mit sich führt, und man also, wie dieses bei dem vollkommen unsinnlichen der Fall ist, zu erforschen nöthig hat, ob der Begrif auch vom Widerspruche frei sei, ob er auf irgend einen Stoff bezogen werden kann, und ob sich eine praktische Anwendung von demselben denken läßt.

Es werden hingegen die Operationen der Vernunft und des Verstandes dadurch gehindert, weil [16]die Bilder und Anschauungen unsre Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehn, und wir sowohl wegen der Stärke des Eindrucks, als auch wegen des Vergnügens, welches ihre Betrachtung oft gewährt, so lange bei ihnen verweilen, bis uns die Verbindung der vorhergegangenen Ideen, der Zweck, weswegen wir jede Idee herbeigerufen haben, und die Absicht der ganzen Untersuchung nicht mehr deutlich beiwohnt. Auch bringen die Anschauungen und Bilder alles das wieder in die natürliche Ordnung; sie verbinden, was der Verstand um Deutlichkeit zu bewürken getrennt, oder trennen, was er verbunden hat.

Bei Erlernung einer Wissenschaft, oder wenn wir eine eigne Untersuchung zu Ende bringen wollen, erregen die sinnlichen Vorstellungen die oben gerügten Schwierigkeiten, dahingegen die unsinnlichen und abstrakten, Zweifel über ihre Möglichkeit und Anwendbarkeit erwecken, und noch überdies von sinnlichen Vorstellungen leicht verdrängt werden.

Die einzige Wissenschaft, welche hierin eine Ausnahme macht, ist die Geometrie, ihre allgemeinen sowohl, als ihre besondern Begriffe, sind selbst Anschauungen; Begriffe und Anschauungen fallen also in derselben in einander, so daß die Vernunft und der Verstand, durch die Betrachtung der letzteren gar nicht gestört, wohl aber sehr begünstigt wird.

Es erklärt sich hieraus eine Wahrnehmung, welche in den vortreflichen Briefen, die neueste Litte- [17]ratur betreffend, vorkommt; daß man nicht denjenigen, der die Metaphysik oder auch irgend eine praktische Wissenschaft nicht versteht, sondern denjenigen für dumm hält, der die Anfangsgründe der Geometrie nicht zu fassen vermag. Um nun eine andre Wissenschaft als die Geometrie zu erlernen, ist es nicht genug, daß man den Grad von hohen Seelenkräften besitzt, der dazu erfordert wird, sondern man muß auch den Hindernissen entgegenarbeiten, welche die Einbildungskraft auf Veranlassung der sinnlichen Begriffe verursacht, und die Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, welche durch die Zweifel der Vernunft bei Gelegenheit der unsinnlichen, als: Zweck, Ursache, Wesen u.s.w. entstehn. Hingegen muß derjenige, welcher die Anfangsgründe der Geometrie nicht zu begreifen vermag, schlechterdings den Grad der höhern Seelenkräfte nicht besitzen, der zur Erlernung derselben gehört; weil er keine Schwierigkeiten, die von den Seelenkräften selbst herrühren, zu überwinden hat, und ist daher in Absicht des Grades von Verstand und Vernunft, der zu Erlernung der Geometrie erfordert wird, dumm.

Also bestätigt die besondre Bemerkung, welche aus den Litteraturbriefen angeführt worden, die Richtigkeit der vorhin angezeigten Bemerkung: daß den Fortschritten der Vernunft ihre eignen Zweifel und die Operationen der Einbildungskraft im Wege liegen; dahingegen die Einbildungskraft unaufhalt-[18]sam ihren Lauf vollführt, ohne daß sie die höhern Seelenkräfte stören könnten. Sie ist demnach in Absicht derselben die herrschende.

Es werden aber die vorher gerügten Schwierigkeiten dennoch überwunden, Betrachtungen durchgesetzt, Wissenschaften erlernt und erfunden; es muß also in dem Menschen etwas vorhanden sein, womit er den höhern Seelenkräften aufhelfen, und die Einbildungskraft im Zaume halten kann; und dieses ist: die Macht des Vorsatzes. Wir haben eine Macht, unsre Vorstellungen nach eignem Belieben zu leiten, zu verstärken, und den stärkern wiederum einen Theil ihrer Kraft zu benehmen. Ohne diese Kraft würden wir in der That nichts als Bilder und Anschauungen und niemals Begriffe im Sinne haben, noch weniger würden wir zusammenhängend denken; blos mittelst dieser Macht ist es uns möglich dem Zwecke treu zu bleiben, und den Ausschweifungen der Einbildungskraft Einhalt zu thun; demnach ist die Einbildungskraft in Absicht der höhern Seelenkräfte zwar die herrschende, kann aber durch die Macht des Vorsatzes im Zaum gehalten werden.

Aber der Gebrauch, welchen wir von unserem Vermögen machen, unsre Vorstellungen nach eigenem Belieben zu leiten, zu stärken oder zu schwächen, hängt von der Kenntniß ab, die wir von diesem Vermögen haben; je mehr wir unser Ich fühlen, je mehr wir dieses Ich als eine Quelle unsrer Vor-[19]stellungen ansehn, je mehr wir überzeugt sind, daß wir kein bloßes leidendes Wesen sind, welches seine Vorstellungen blos empfängt, sondern zum Theil selbst hervorbringt; und endlich, je mehr wir den Werth kennen, welchen unsre Vorstellungen durch die Leitung, die wir ihnen geben, erhalten, desto lebhafter werden wir angefeuert, unsre Vorstellungen zu regieren, und so auch umgekehrt, je weniger das eine statt hat, je weniger hat es auch das andre.

Nach sinnlichen Empfindungen, unter die sich nur wenige Geistesthätigkeit mischt, entsteht eine Geistesstockung, wir gerathen in eine Art von Fahrlosigkeit, wir verlieren den Muth auf unsre Vorstellung zu wirken, weil wir uns als ein leidendes Ding betrachten; auch ist in diesem Zustande die Einbildungskraft außerordentlich herrschend. Junge, guthmüthige und scharfsinnige Leute verlieren nicht nur durch wiederholte Demüthigungen, welche ihnen von vermeintlichen Freunden zugefügt worden, alle Geisteskräfte, werden unselbstständig, so daß man sie leiten kann, wie man will, sondern man merkt auch an ihren Gebehrden und an ihrem Betragen, daß sie der Einbildungskraft unterjocht worden; sie steigen aber wiederum zu ihrer ehemaligen Geisteshöhe hinauf, wenn sie einsehn, daß die Demüthigungen nur arglistige Kunstgriffe waren, um sie in ihren eigenen Augen zu verkleinern, und bekommen alsdann einen festen unerschütterlichen [20]Sinn. Wenn ich nicht irre, so hat der Hr. Prof. Garve diese Bemerkung irgendwo mit eingewebt, aber die Sache ist gewiß, ich bin aus unstreitigen Erfahrungen davon überzeugt.

Aus allen dem erhellet, daß in dem Zustande eines unvollkommnen Bewußtsein, worin wir unser Ich nicht gehörig fühlen, die Gedankenreihe, welche sich in uns erzeugt, die Gewalt, welche wir über unsre Ideen auszuüben vermögen, nur wenig kennen, worin ferner eine Stimmung zu herrschenden Ideen gegeben ist, und also Bilder und Anschauungen statt haben können; auch Bilder und Anschauungen, welche die Begriffe begleiten, in der That herrschend werden, und eine außerordentliche Kraft bekommen; so daß die Einbildungskraft allein walten, und die Funktionen der höhern Seelenkräfte unterdrücken muß, weil der Vorsatz, der allein die Gewalt hat, den Bildern und Ausschweifungen ihre Kraft zu benehmen, und dem leichten Gewebe der Vernunft und des Verstandes Dauer zu verschaffen nicht regiert.

Da nun schon vorhin bewiesen worden, daß in dem Zustande eines unvollkommenen Bewußtseins, oder wie wir das genannt haben, in dem Zustande eines schwebenden Ichs, die Bilder und Anschauungen einer herrschenden Einbildungskraft täuschend werden, so ist auch nunmehr unsre Behauptung erwiesen, daß der Zustand, darin herrschende Ideen und ein schwebendes Ich statt haben, die Elemente [21]zu einer täuschenden und unterdrückenden Einbildungskraft enthält.

Es sind also hiermit die Bedingungen angegeben, unter denen jederzeit, mithin auch im wachenden Zustande, und zwar ohne alle Zerrüttungen des Nervensystems, Täuschungen entstehen, ohne welche sie aber nur alsdann möglich ist, wenn in dem Nervensystem eine Zerrüttung obwaltet. Denn ein unvollkommenes Bewußtsein muß vorhanden, die Spur von der Erzeugung eines Gedankendinges in uns muß für uns verlohren sein, wenn wir dieses Gedankending für ein außer uns bestehendes halten sollen; auch setzen Bilder und Anschauungen einen Zustand voraus, darin Ideen herrschen können. Diese Bedingungen sind aber auch hinreichend, weil bei einem unvollkommenen Bewußtsein die Erhöhung der Einbildungskraft, Heruntersetzung der höhern Kräfte, und Verschwindung der Gedankenspur entstehn muß. Da nun in dem Traume das Vorhandensein eines unvollkommenen Bewußtseins dadurch gezeigt worden, weil er ein Mittelzustand ist, so ist die Entstehung einer Täuschung in demselben erklärt.

Es ist jedoch die Erzeugung eines Mittelbewußtseins in einem Zustande, der zwischen dem Wachen und dem Schlafe fällt, noch deutlich zu machen, ohngeachtet sein Vorhandensein außer Zweifel ist. Um dieses besser zu thun, werde ich [22]zuförderst etwas über das Bewußtsein überhaupt sagen müssen.

Obgleich alle Vorstellungen, welche in uns erzeugt werden, oder welche wir von außen erhalten, das Wesen, welches sie hervorbringt oder aufnimmt, schon voraussetzen; ob wir gleich eine Art von Erkenntniß von unserm Ich haben müssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben können;*) 4 so haben wir dennoch erst alsdann ein Bewußtsein von unsrer Ichheit, wenn wir die Vorstellungen, welche in uns entstehn, wahrnehmen, und von ihnen einen Rückblick auf die Quelle derselben, auf das Wesen, welches sie erzeugt, werfen. Die äußern sinnlichen Vorstellungen sind es gar nicht, welche uns unmittelbar auf das Wesen, welches sie aufnimmt, leiten.

Die Erfahrung bestätigt diese Behauptung. Der gemeine Mann ist mehrentheils ein grober Realist; er kann sich davon keinen Begrif machen, [23]daß er bloße Vorstellungen von äußern Dingen haben sollte; die äußern Dinge sind ihm Sachen, die sich ihm aufdringen. Er kann sich gar nicht darin finden, wenn er die Ausdrücke Erscheinung oder Vorstellung auf äußere Gegenstände anwenden hört. Das sind keine Erscheinungen oder Vorstellungen, sagt er, das ist, und indem er dieses sagt, pflegt er mit der Hand darnach zu greifen.

Man glaube nicht, daß der Grund hiervon in bloßen Mißverständnissen liegen möchte; man mache sich so verständlich als möglich, und man wird am Ende einsehn; der gemeine Mann sowohl, als viele unphilosophische Köpfe, finden in den Vorstellungen der äußern Gegenstände nichts, darin sie den Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen, ähnlich wären; und dieses würde der Fall nicht sein können, wenn die äußern Vorstellungen auf das Wesen, welches sie aufnimmt, unmittelbar führen sollten; denn allerdings würde es sich bald zeigen, daß das Aufnehmen selbst eine Vorstellung ist, mithin auch der Ausdruck Vorstellung auf äußere Gegenstände bezogen werden kann.

So gewiß dieses aber auch ist, so gewiß wir durch den Anblick äußerer Gegenstände nicht unmittelbar auf unser Ich geführt werden, weil dieses Ich gar nicht als etwas, das mit in Verbindung steht, betrachtet wird, so gewiß demnach äußere Vorstellungen kein unmittelbares Bewußtsein hervorbringen, so zuverläßig ist es dennoch, daß der [24]Rückblick auf eine Urquelle, mithin in unserm Falle der Rückblick auf die Quelle unsrer Vorstellungen, auf unser Ich vorzüglich durch die äußern Empfindungen gewirkt wird.

Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen, Ideenverbindungen, davon die Verbindung jederzeit unser Werk ist, enthalten den Keim, der zum Bewußtsein gehört,*) 5 weil wir von allen diesen Dingen die Quelle sind; aber entwickeln kann sich dieser Keim nicht, es entsteht kein vollkommnes Bewußtsein, wenn sich nicht äußere sinnliche Empfindungen damit verbinden. Die innern Empfindungen und Gedankenreihen ziehn unsre Aufmerksamkeit auf sich, und lassen den Rückblick auf die Urquelle nur [25]schwach zu; dahingegen die äußern Empfindungen, wenn sie sich mit den ersten vereinigen, einen Rückblick von diesen erstern auf die Urquelle derselben verursachen.

Es ist überhaupt ein Naturgesetz, dessen Erklärung zur Transcendentalphilosophie gehört: daß die äußeren sinnlichen Empfindungen den Rückblick auf irgend eine Ursache, auf eine so mächtige als wunderbare Art befördern. Der Anblick eines gestirnten Himmels zaubert, so zu sagen, die Idee eines Urhebers in uns hinein. Die Vernunftidee der Gränzlosigkeit nimmt durch diesen Anblick eine sinnliche Gestalt an, spinnt daher ein unbegreifliches Ganze auf eine unbegreifliche Urquelle alles Seins.

(Die Fortsetzung folgt im nächsten Stück.)

Fußnoten:

1: *) Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharfsinnige Bemerkungen enthält, verdient hier allerdings eine Stelle. Ich habe durch einige beygefügte Anmerkungen die Ideen des Verfassers zu berichtigen, und mit den Meinigen gegeneinander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen ehr im Stande seyn wird.
S. M.

2: *) Aber warum wird die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit täuschend? Sich täuschen, heißt, dasjenige, was nicht wirklich ist, für würklich zu halten. Nun ist aber, der Erklärung des Verfassers zur Folge, die Unterbrechung einer Ideenreihe, das Merkmal der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewußtsein der Erzeugung der Ideen aus einander, nach dem Gesetze der Assoziation, das Merkmal der Nichtwirklichkeit. Im Traume aber, da die Seele gänzlich außer sich geräth, und sich bloß mit den ihr vorschwebenden Bildern beschäftigt, urtheilt man so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folgen in Ansehung des Subjekts sind immer eben dieselben. Nach dem Aufwachen urtheilt man zwar, dieser Erklärung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung dieser Reihe, daß sie blos subjektiv (nicht wirklich) war. Aber wo ist hier die Täuschung? Hat man sie denn im Traume für Objektiv gehalten? das kann nicht sein, da man in ihr keine Unterbrechung (das nach dem Verfasser Merkmal der Objektivität oder Wirklichkeit ist) wahrgenommen hatte. Man hat also nicht im Traume dasjenige für wirklich gehalten, was man im Wachen für Nichtwirklich erkennt, d.h. man hat sich nicht getäuscht.
Meiner Erklärung (9ten Bandes 1tes St. S. 2.) zu Folge hingegen, beruht das Urtheil von der Objektivität der Ideen auf dem Bewußtsein der Selbstmacht der Seele, die Association der Ideen zweckmäßig zu bestimmen. Die Richtigkeit dieses Bewußtseins aber kann nicht an sich, sondern bloß durch äußere Merkmale erkannt werden, nehmlich durch die Uebereinstimmung mit der Ordnung der Natur, ohne welche keine Zweckmäßigkeit gedacht werden kann. Folglich kann man allerdings im Traume, da die Urtheilskraft unthätig, und nur die Einbildungskraft allein thätig ist, glauben, daß man diese Selbstmacht besitze (so wie der Stein, der vom Dache herunter fällt, der mit Bewußtsein begabt, von den Gesetzen der Schwere aber nichts wissen würde, dem Spinoza zu Folge, diese Handlung für freiwillig halten müßte), nach dem Aufwachen aber, kann man durch Erinnerung der Unzweckmäßigkeit der Ideenfolge, oder ihre Unübereinstimmung mit der Ordnung der Natur, diese Täuschung leicht entdecken.
S. M.

3: *) Diese Frage habe ich schon im gedachten Aufsatze auf folgende Art beantwortet. Im Schlafe verliert der Körper seine zur Wirksamkeit der Seele (nach der bekannten Harmonie zwischen Seele und Körper) erforderliche Spannung. Im Traume bekommt er zum Theil diese Spannung wieder. Die Einbildungskraft zeigt sich alsdann thätig in Ansehung derjenigen Associationsarten, die keine Selbstmacht der Seele erfordern (der Aehnlichkeit, Konsistenz und Sukzession), d.h. solcher, worin die associirten Ideen schon durch die äußern Objekte bestimmt werden, nicht aber in Ansehung der Associationsart der nothwendigen Dependenz (von Grund und Folge), die eine Selbstmacht der Urtheilskraft erfordert, welche der Grund der Zweckmäßigkeit der Ideenreihe ist. Trift es sich aber zufälligerweise zu, daß diese beiderlei Associationsarten in ihrer Würkung übereinstimmen, alsdann wird nicht nur die Einbildungskraft, sondern auch die höhern Seelenkräfte in Wirksamkeit gesetzt. Man geräth alsdann wirklich auf neue Erfindungen in Wissenschaften, auf Auflösungen schwererer Probleme u. dergl. Da aber der Fall sich sehr selten ereignet, daß z.B. die Associationsart der Konsistenz mit der der Dependenz in den Objekten übereinstimmen sollen, so darf freilich niemand darauf Rechnung machen, und jeder thut daher am besten, wenn er seine Untersuchungen hübsch wachend anstellt. — Der Verfasser scheint (ob zwar mit Umschweif) eben dasselbe zu sagen.
S. M.

4: *) Ich glaube schwerlich; die Wahrnehmung des Ichs kann nur durch eine Vorstellung, d.h. eine Beziehung eines Merkmals auf sein Objekt erhalten werden, indem man dadurch zum Bewußtsein der Persönlichkeit, oder Einheit des Subjekts zu verschiedenen Zeiten (zur Zeit der Bildung der zusammengesetzten Vorstellung des Objekts, und der einfachen Vorstellung als ihres Merkmals) gelangt.
S. M.

5: *) So wenig die Vorstellungen, die sich in uns erzeugen (welche bloße Formen der Erkenntniß sind), als die wir blos empfangen, sind zum Bewußtsein hinreichend. Jene, da sie allgemeine Formen sind, liefern zwar ein Bewußtsein überhaupt, keinesweges aber ein Bewußtsein der Individualität (siehe meines Wörterbuchs, Art. Ich), diese liefern an sich gar kein Bewußtsein; sondern die Beziehung beider aufeinander liefert uns, sowohl ein Bewußtsein der Objekte, als unsrer selbst. Denn ob schon die Formen allen Menschen gemein angenommen werden, so können doch die Objekte, worauf sie bezogen werden, in verschiedenen Subjekten verschieden sein.
S. M.


[26]

3.

Uebergang des Aberglaubens in Wahnwitz.

Mathy, Joseph Hyazinth Adalbert


(Siehe 9ten Bandes 1stes Stück S. 109.)

Anna Maria Sirkin, kleiner Statur und magerer Komplexion, auf dem Lande geboren, in der katholischen Religion und allem Aberglauben des rohesten Landvolkes erzogen, war seit ihrem 14ten Jahre, immer im ehelosen Stande, in der Stadt gewesen, und hatte dreizehn Jahre lang in meiner Eltern Hause als Köchin gedient. Ihrem Charakter nach war sie mißtrauisch, eigensinnig, zänkisch, hatte ihre ganz eignen Launen, war wenig dienstfertig und floh die Menschen. Thätigkeit war ihre Sache nicht, sie sprach wenig, und konnte Stundenlang sitzen ohne ein Glied zu rühren, pflegte doch aber zwischenein vor sich etwas zu singen. Sie sparte mit äußerster Sorgfalt, und vielleicht war das die Ursache ihrer wenigen Geselligkeit. Andächtig war sie nicht übertrieben. Sie ging wöchentlich einmal in die Kirche, und betete zu Hause ihren Rosenkranz und ihren Morgen- und Abendseegen richtig. Das war alles. Doch hatte sie eine so große Anhänglichkeit an Pfaffen, besonders an Franziskanermönche (die bekanntlich aller Orten die allerabergläubigsten und vernunftlosesten sind), daß sie, trotz ihrem Geitze, alles hingab, sobald es Pfaffen [27]galt. Was ihres Amtes war, that sie gehörig und gut, und war übrigens treu und ehrlich, und zeigte in Allem einen richtigen Verstand. Ihr Blut war schwarz und dick, so wie sie es jährlich zweimal aus der Ader ließ. Krank habe ich sie die ganze dreizehn Jahre nur einmal, an einem rheumatischen Zufalle, gesehen.

Was vorzüglich sie auszeichnete, war ein undenkbarer Aberglaube. Keine Geschichte von Gespenstern und Hexen konnte so abgeschmackt seyn, daß sie sie nicht glaubte. Poltergeister, Blutsauger, Besessene, Erdgnomen (unter dem Namen der kleinen Leutchen bekannt, die unter den Heerden wohnen, Kinder austauschen, und hundert andre schöne Sächelchen machen), Engel, die den Menschen zur Seite ständen, und sie vor Gefahren schützten, böse Geister, die den Menschen unsichtbare Netze umwerfen, Wunderkräfte geweihter Lichter und Palmzweige, gegen Donner, Hagel, Pestilenz, und Gott weiß was, Lügen beim Glockenkaufen zur Vermehrung des Klanges, Räthseldeuten beim Lichtgießen, Teufel, die sich in Gestalt von Jägern oder Aerzten mit einem Pferdefuße bei Hochzeiten einschlichen, und während des Tanzes gottlose Bräute stehlen, diese waren der Stoff ihrer Gedanken, ihrer Betrachtungen, und machten einen wesentlichen Theil ihres Glaubens aus. Vor allen Dingen aber beschäftigte sie der Glaube an Hexen, Wahrsagerinnen, Teufelsbanner, Schatzgräber, Konstella-[28]tionen, Talismanne, Wünschelruthen, Chiromantia und Geomantia. Daher denn auch keine Walpurgis, keine Johannisnacht, da sie nicht sollte emsig gebetet, und vorher alle Kreuzwege sorgfältig vermieden haben. Daher abenteuerliche Märchen von Sabbatsorthen, vom Feste mit Bechern aus Eierschaalen u.s.w.*) 1 Segensprechungen, Beschwörungen und Wahrsagungen waren ihr Hauptgegenstand. Wer mit dieser Kunst nicht anzukommen wußte, der durfte sich nur an sie wenden, und er fand Bezahlung. Dafür, und für abergläubige Pfaffen, die sie in ihrem Wahne bestärkten, und ihres Vortheils wegen sich dazu der Religion, als eines Hülfsmittels bedienten, für die sparte sie und entzog sich das Nothwendige. War Etwas im Hause verlohren; so war die Kunst der Koffee- oder Handbeschauerin, unterstützt auch wohl durch eine Messe zum heil. Antonius, der Nessusmantel, in den sie sich barg. Nichts war ihr lieber, als wann sie von solchen Leuten vor Nachstellungen gewarnt wurde, wann ihr gesagt wurde, ihr sei Etwas angethan, und Diese oder Jene sei eine Hexe und ihre Feindin. So wurde sie zuletzt mißtrauisch gegen Jedermann, und glaubte Jeder ginge damit um, sie zu bezaubern. Ich besinne mich, daß ich als Kind ein Vergnügen darin setzte, sie von ihren al-[29]bernen Irrthümern zu überzeugen (mehrentheils wohl um mir durch thätige Beweise den kützelnden Beifall geben zu können, daß ich über diese Thorheiten wäre), allein ich richtete nie Etwas aus. Wer ihr beistimmte, der war ihr angenehm, und nie wurde sie gesprächiger, als wenn von dergleichen Dingen die Rede war, und man sich glaubend stellte. — So lebte sie bis in ihr vierzigstes Jahr, da eine entscheidende Katastrophe sie ihrem 13jährigen Aufenthalte in meinem Hause, und meinen fernern Beobachtungen entzog. Ihr dank ich vorzüglich die Erfahrungen, die ich über die Denkart und die Begriffe des Pöbels gesammelt habe.

Im Sommer des Jahres 85 war es, da ich eines Sonnabends Nachmittage diese abgebrochene Worte vor der Hausthür zischeln hörte: behext ... Keiner mehr was anthun .. dieses Kraut in der rechten Fikke .. Pulver . gut wider böse Menschen ...... auf ihrer Hut . über acht Tage .. großes Unglück in diesem Hause geschehen ..... Länger konnte ich es nicht aushalten, ich merkte was vorginge, und wollte wissen, was da gesprochen würde, aber da wollte keines mit der Sprache heraus. Ich erblickte ein altes schmutziges Weib, das eben beschäftigt war eine Handvoll Geld in die Tasche zu schieben, und die Wundergläubige, die sich mit einem Bündel dürres Kraut und einem Pulver in der Hand, in sichtbarer Verwirrung eiligst entfernte. [30]Die Kanidia ward bald zum Hause hinausgewiesen, und so schien Alles ruhig zu sein. —

Der erste Abend vergieng, Alles war wie gewöhnlich. Den zweiten und dritten Tag aber war sie stiller und mehr in sich gekehrt als gewöhnlich. Die folgenden Tage war ihr Blick schon wild und schielend, und man konnte es ihr ansehen, daß etwas Außerordentliches in ihr vorgehen müßte, doch aber suchte sie durch erkünsteltes Lächeln allen Argwohn zu entfernen, und da man nicht etwas so Schreckliches vermuthete als die Folge zeigte, drang man auch nicht sehr in sie.

Donnerstag zeigten sich schon deutliche Spuren von Verwirrung; alle ihre Geschäfte gingen langwierig und verkehrt von Statten. Mit einer Rechnung, die sie ablegen sollte, konnte sie wider Gewohnheit nicht zu Stande kommen: sie wuste nicht wie viel oder wofür sie Auslagen gemacht, und kurz, je näher der prophetische Tag heranrückte, desto kenntlichere Abdrücke von verwirrtem Verstande zeigten sich. Endlich erschien der Sonnabend, und nun war kein Zweifel mehr übrig, daß es wirklich mit dem richtigen Gebrauch ihrer Vernunft zu Ende sei. — In so weit hatte die Wahrsagerin sich also als Wahrsagerin bewiesen, und wenn es sich wirklich so mit allen Prophezeiungen verhält, daß Begebenheiten nicht voraus gesagt wurden, weil sie geschehen sollten, sondern daß sie geschehen, weil sie voraus gesagt worden; so beuge ich mein Haupt [31]vor dem Munde, der sie erzählte, und bekenne mich nur zu gerne als Glaubensjünger.

Gleich am Morgen zeigte sich ihre Narrheit, und erreichte gegen die Nacht den höchsten Grad. — Die erste Handlung, wodurch sie ihren Vernunftmangel verrieth, war, daß sie einen Korb, der weggeholt werden sollte, vor die Hausthür setzte. Als man sie fragte, was das bedeute, und sie erinnerte, der Korb könnte gestolen werden, antwortete sie: er möchte nur immer stehen bleiben; der ihn holen sollte, würde sicher kommen, und Niemand würde ihn stehlen; und bei dieser Behauptung blieb sie schlechterdings, sagte doch aber nichts dazu, da man ihn hineinnahm. — Sie ging hierauf aus, und kam mit drei Paar Hünern nach Hause. Sie hätte, sagte sie, vier Paar gekauft, aber nur für drei bezahlt. Als man sie fragte, wo denn das vierte Paar wäre? gab sie trocken zur Antwort, sie wären weggeflogen. — Man überhob sie jetzt ihrer fernern Geschäften und wartete den Abend ab. Es war alles bis dahin ruhig. Gegen 8 Uhr aber fing sie von neuem, und zwar mit verdoppelter Heftigkeit, an, ihre Narrheit zu zeigen. Auf die Bereitung des Abendessens verwandte sie, unter ängstlicher verworrener Geschäftigkeit, wenigstens dreimal so viel Zeit als nöthig war, brachte es aber doch noch so ziemlich zu Stande, außer einer Speise, wo sie zu acht malen Eier hineinthat. — So wurde es von den andern Dienstboten erzählt. — [32]Als es nachher darauf ankam, daß einige Hüner sollten geschlachtet werden, konnte sie sich durchaus nicht zu dieser Unternehmung entschließen, sie versuchte es zwar aus Gehorsam, wetzte auch schon das Messer; allein der Abscheu dagegen war doch so stark bei ihr, daß sie sich zuletzt genöthigt sah, zu ihrer Gebieterin zu gehen, und gerade heraus zu erklären, sie würde dieses Geschäft nicht verrichten. — Nun schwieg man nicht länger, und deutete ihr geradezu an, sie wäre krank. Das wollte sie nicht zugeben, ihr schade nichts, sagte sie, sie sei ganz gesund. Dabei sah sie erhitzt und aufgetrieben aus, die Augen funkelten, sie war unruhig, seufzte, und fing an zu wimmern.

Man wollte ihr ein antiphlogistisches Pulver geben, allein dazu war sie nicht zu bewegen, und gab zu verstehen, es möchte wohl Gift seyn. Man rieth ihr eine Aderläße, allein sie erwiederte, es wäre ihr heute unmöglich Blut zu sehen. — Da man nichts mit ihr ausrichten konnte, entließ man sie endlich. Nun fing sie an im Hause herumzuwandern, ächzte und wimmerte ohne Aufhören, und ließ zwischenein abgebrochene Worte hören: Ach Gott! welches Gesause? wie's dort pfeift! hört Ihr nicht? — Dabei wollte sie keinen Menschen zum Hause hinauslassen; dort geradeüber, sagte sie, stände er, und wer sich hinauswagte, dem würde er auf alle Fälle den Hals umdrehen, und zeigte dabei auf einen ehrlichen Krämerburschen, der vor seiner [33]Bude stand. Da es doch aber eines Fensterladens wegen nöthig war, daß jemand hinausgieng, entschloß sie sich am Ende lieber selbst dazu, als daß sie einen andern der Gefahr aussetzen wollte, wapnete sich mit einigen Kreutzzeichen, sprengte geweihtes Wasser, seegnete den Fußboden, und gieng nun entschlossen hinaus. Als sie wieder hereinkam, begann sie von Neuem zu ächzen und zu wimmern. — So trieb sie es die ganze Nacht hindurch, und kam da es tagte, zu fragen, ob die Hüner getödtet werden sollten. Man antwortete nicht, und sie war still. — Als es Morgen war, hatte man ein sonderbares Schauspiel. Ueberall, wo man hinsah, fand man Kreutze. Alle Werkzeuge in der Küche, alle Besen, alle Stöcke im ganzen Hause waren kreutzweise gestellt, der ganze Weg, wo sie die Nacht gegangen war, von der Hausthür an, bis hinten in die Küche, war mit Kreidekreutzen besäet, der Schornstein, der ganze Feuerheerd, die Wände, alle Stuffen der Treppen, alles, ja sie selbst sogar, von Kopf bis Fuß, an Kleidungsstücken und Gesicht und Armen war mit Kreutzen dicht beschrieben. — Wahrhaftig ein auffallender Anblick!

Nachdem die Nacht vorbei war, schien sie ruhiger. Man konnte mit ihr sprechen und ihr Rath ertheilen, auch sie glauben machen, daß sie krank sey. Sie äußerte »es wäre ihr unmöglich, länger in diesem Hause zu bleiben,« und folgte also dem [´34]Rathe, noch denselben Morgen zu einer alten Verwandtin zu ziehen. Hier, hofte man, sollte sie Ruhe erlangen, allein da führte der Teufel, wie er denn immer sein Spiel hat, einen schwärmerischen Mönch her, der über die Besessene den Exorcismum zu halten anfieng, Reliquien auflegte, Weihwasser sprützte und Amulete umhieng. War sie ruhig geworden, was konnte anders kommen, als daß sie von Neuem in Angst gesetzt wurde? und auch gleich liefen alle Nachbarinnen zusammen, und bethörten sie mit ihrem Geschrei: ja sie wäre besessen, sie wäre besessen! Doch mag dieses eben keine große Wirkung gehabt haben; eine Aderlässe that das Beste. — Ehe drei Tage vorbei waren, kam sie heiter und fröhlichen Muthes wieder in ihre alte Heimath, sagte: sie wäre nun ganz gesund, und wünsche nichts, als nur bei ihrer Herrschaft wieder zu seyn. Allein, kaum waren ein Paar Tage hingegangen; so sprach sie doch schon wieder von Toben und Pfeiffen und Teufeln. Man hielt also für das Beste sie auf immerdar aus dem Hause zu entfernen, darin sie den Grund zu ihrem Unglücke gelegt hatte. Sie gieng also wieder zu ihrer alten Base, wo sie auch noch gesund, aber immer still und in sich gekehrt lebt. Zuweilen beklagt sie sich noch über ihr Schicksal, und giebt dann immer dem Hause Schuld, darin es sie betroffen. Frägt man sie aber, was sie eigentlich unter dem Hause verstehe; so kommt nie eine deutliche Antwort heraus. Menschen, [35]sagt sie, wären's nicht, die ihr dieses Unglück zugezogen hätten, sondern das Haus; und das ist alles so weit sie sich erklärt.


Alles dieses, so wie ich es erzählt habe, steht mir noch so neu vor den Augen, als ob es heute erst geschehen wäre. Mein Gedächtniß ist mir treu, und ich kann mich also darauf verlassen. Noch hundert andre kleine Umstände hätt' ich anführen können, wenn ich ihrem geringern Werthe Gedult des Lesers und Zeit hätte nachsetzen wollen. —

Wenn ich den ganzen Zusammenhang dieser Geschichte betrachte, ist mir nichts wahrscheinlicher, als daß diese Unglückliche sich unter dem prophezeiten Unglücke kein andres vorgestellt habe, als »das Haus würde von Teufeln besessen werden;« denn man bedenke, daß diese der vornehmste Gegenstand ihrer Gedanken waren, daß daher bei einem prophezeiten Unglücke, und zwar großen Unglücke — der schrecklichste Gedanke, den ein Mensch haben kann — diese Idee sicher die erste gewesen seyn muß, die sich ihr darbot, und am festesten sich bei ihr muß eingewurzelt haben; man bedenke den Umstand, da sie den Krämerburschen für den Teufel ansah — denn für den hat sie ihn sicher gehalten; wie hätte sie sonst blos gesagt: dort steht er, ohne ihm einen Nahmen zu geben? wie hätte sie von Hals-[36]umdrehen gesprochen? wie hätte sie endlich gerade die Mittel gebraucht, die zur Bannung des Teufels, wie ich von meinem Katecheten weiß, die wirksamsten sind: geweihtes Wasser und das Zeichen des Kreutzes? — Man bedenke ferner die unzähligen Kreutze, die sie aller Orten und an sich selbst geschrieben hatte. Man bedenke, daß sie von Sausen und Pfeiffen sprach, man bedenke endlich, daß sie nicht Menschen, sondern dem Hause die Schuld ihres Unglücks beimaß; so wird wohl kein Zweifel übrig bleiben, daß sie sich unter dem gefürchteten Unglücke eine Besitzung von Teufeln vorgestellt habe. — Und nun, welche Angst, welche unbeschreibliche nagende Angst muß bei solchen Gedanken in ihrem Innern gewühlt haben? Man stelle sich's vor, wie sie zuerst über die Art des kommenden Unglücks Muthmaßungen angestellt, wie die Ideen von Teufeln, von ewiger Verdammung, von Hölle, in aller der Grobheit der reinsten Orthodoxie, mit allen Schrecken, die ihnen eine entflammte Phantasie geben kann, sich in immer stärkern und stärkern Zügen ihrer Seele dargestellt, welche scheußliche Bilder, welche gräßliche Phantome! — — ich mag ihnen nicht folgen. — Man wird sich nicht länger über die Wirkung dieser Prophezeiung wundern, und die Unglückliche bedauern, die den Wahn alter Schwärmerei so herbe büßen mußte, aber auch zugleich aufmerksam gemacht werden, einem Unwesen Mauern zu setzen, das solche Verwüstungen in den [37]Seelen der Mitbürger anzurichten vermag. Glücklich will ich mich schätzen, wenn ich durch diese Erzählung die Aufmerksamkeit guter Männer erregen sollte, in deren Händen die Verwaltung bürgerlicher Geschäfte ruht. Und, o Gott! danken wollte ich's dir mit heißen Thränen, wenn ich das Bewußtseyn haben könnte, schon durch die erste Frucht meiner Bemühungen meinen Nebenmenschen, wenn auch nur wenigen, nützlich geworden zu seyn! —

Man erlaube mir, nun noch ein Paar Bemerkungen über einige Scenen in der erzählten Begebenheit herzusetzen. Man kann es deutlich sehen, wie die Narrheit hier von Tage zu Tage gewachsen, und wie wenig Zeit dazu gehörte, einen Verstand zu verwirren. Diese Kürze der Zeit, und die Schrecklichkeit der Ideen, die diesen Zustand veranlaßten, geben zu vermuthen, daß die arme Unglückliche keinen Augenblick Rast gehabt habe.

Eigen war es, daß, da ich den Donnerstag, um sie näher zu beleuchten, mit der Frage das Gespräch anspinnen wollte: was doch letzthin die alte Frau mit ihr gesprochen? sie mir mit einer Art von Wuth zur Antwort gab, ich möchte ihr von dem verfluchten Weibe schweigen; die wär' es nur eben, die an Allem Schuld wäre. Es scheint dieses ein ordentliches fluidum intervallum gewesen zu seyn. Sie muß hier doch gefühlt haben, daß sie [38]thöricht dächte, und daß sie sich in einem ungewöhnlichen und unglücklichen Zustande befände. Allein wer weiß durch was für heftige äußere Veranlassungen diese Einsicht bei ihr hervorgebracht worden. Sie stand beim Feuer; vielleicht daß, durch die Reitze von Licht und Hitze, ihre Organe thätig wurden, sie auf andre Gegenstände aufmerksam, und so in ihrem Nachdenken zerstreut ward, u.s.w.

Den Eigensinn, den sie bei dem Auftritte mit dem Korbe bewies, glaube ich blos davon herleiten zu können, daß sie, um allen Argwohn von Verrückung zu verhindern, zeigen wollte, sie habe es mit guter Ueberlegung gethan. Sie schwieg auch still, da man weiter nichts darüber erwähnte.

Man wird finden, daß sie besonders sehr die Hüner beschäftigten. Sie glaubte Basiliske; sollte das etwa die Ursache gewesen seyn? oder sollte es sich von dem Gedanken hergeschrieben haben: sieh, die sollst du heute tödten!

Betrachten wir diese Geschichte als Beispiel für meine obigen Sätze; so werden wir darin, wie ich glaube, Bestätigungen genug für dieselben finden. — Wann fieng diese Person an, eine Närrin zu werden? den letzten Tag? nein! den Tag, da die Wahrsagerin zu ihr kam; aber welcher Mensch, der solche Ideen nicht schon vorher immer zu seinem Hauptgegenstande gemacht hätte, wäre wohl [39]dadurch zum Narren geworden? Mußte man sie in Absicht auf diesen Punkt also nicht schon ihr ganzes Leben hindurch eine Närrin heißen? und doch, wer hätte es gewagt, sie so lange von der Zahl vernünftiger Menschen auszuschließen? — also —

Weiter will ich der eignen Beurtheilung des Lesers nicht vorgreifen. Aber Folgerungen herzuleiten, giebt diese Erzählung Stoff genug. Die alten Zeiten sind vorbei, da Sterndeutung und Zauberei noch galten, da an Schwarzkünstler und Pfaffen noch der menschliche Verstand zu gleichen Rechten verpachtet war. Jetzt ist ihre Macht gedämpft, ihre Schattenbilder hat die Zeit verlöscht. Jene Meister sind nicht mehr, die Menschenseelen gefesselt hielten, und über ihren Verstand das Scepter schwungen. Ihre Gebeine drückt das Grab und die lange Vergessenheit. Wir sind besser als unsre Väter, uns lohnt das Schicksal mit Licht und mit Freiheit. Wir, entfesselt von dem Joche unsrer Ahnen, schlürfen mit vollen Zügen Aufklärung ein, und, begeistert von ihrer Kraft, fühlen wir uns selbst stark genug, eigne Systeme zu weben, eigne Gänge uns zu hauen zu dem Verborgenen, zu dem das unsre schaffende Seele uns weissagt, das in ihr ruht, und das sie noch nie außer sich wahrnahm. — O kehrt nur wieder aus Euern Grä-[40]bern, kehrt nur wieder Ihr Weisen der Vorzeit und des romantischen Mittelalters! Ihr findet eine treffliche Werkstätte, darin Ihr arbeiten könnt! Helfet Euern Enkeln mit euerm Geiste; so werden Zoroaster und Fludd und Apollonius und Faust, und Parazelsus und Hermes und Böhm und Agrippa, den Lohn ihrer verkannten Verdienste wiederfinden, Höllenzwang und Clavicula Salomonis, und Nathael und Tetragrammaton und Ach, werden wiederum leben, und den Menschen den verfehlten Weg zur Glückseeligkeit zurückführen, und Nigromantie und Astrologie die Tyrannen seyn, vor denen sich unsre Zeitgenossen in den Staub beugen. —

Fußnoten:

1: *) Vielleicht der Vallholl der Barden, wo aus Muschelschaalen getrunken ward.

[41]

4.

Fortsetzung des Fragments aus Ben Josua's Lebensgeschichte.

Maimon, Salomon

Herausgegeben von K. P. Moritz:

(Siehe 9ten B. 1tes St. S. 24.)

Ben Josua war in seiner Jugend ziemlich religiös, und da er an den mehrsten Rabbinern viel Stolz, Zanksucht und andere schlimme Eigenschaften bemerkt hatte, so wurden diese ihm dadurch verhaßt. Er suchte daher blos diejenigen darunter, die gemeiniglich unter dem Nahmen Chasidim, d.h. die Frommen, bekannt sind, sich zum Muster aus; das sind solche, die ihr ganzes Leben der strengsten Beobachtung der Gesetze und moralischen Tugenden widmen. Er hatte aber in der Folge Gelegenheit, zu bemerken, daß diese von ihrer Seite zwar weniger Andern, aber destomehr sich selbst schaden, indem sie, nach dem bekannten Sprüchworte, das Kind mit dem Bade ausschütten, und, indem sie ihre Begierden und Leidenschaften zu unterdrücken suchen, auch ihre Kräfte unterdrücken und ihre Thätigkeit hemmen, ja sogar sich mehrentheils durch dergleichen Uebungen einen frühzeitigen Tod zuziehn.

Ein Paar Beispiele hiervon, wovon B. J. selbst Augenzeuge war, werden hinreichend seyn, [42]die Sache genugsam zu bestätigen. Ein wegen seiner Frömmigkeit damals bekannter jüdischer Gelehrter, Simon aus Lubtsch, der schon die Tschubath hakana (die Buße des Kana) ausgeübt hatte, welche darin besteht, daß er sechs Jahre täglich fastet, und alle Abend nichts von allem, was von einem lebendigen Wesen herkömmt (Fleisch, Milchspeisen, Honig und dergl.), genießt, Golath, d.h. eine beständige Wanderung, wo man nicht zwei Tage an einem Orte bleiben darf, gehalten, und einen haarnen Sack aufm bloßen Leibe getragen hatte, glaubte, noch nicht genug zur Befriedigung seines Gewissens gethan zu haben, wenn er nicht noch die Tschubath hmischkal (die Buße des Abwägens) d.h. eine partikuläre, jeder Sünde proportionirte Buße, ausüben werde. Da er aber nach Berechnung gefunden hatte, daß die Anzahl seiner Sünden zu groß sey, als daß er sie auf diese Art abbüßen könnte, so ließ er sich einfallen, sich zu Tode zu hungern. Nachdem er schon einige Zeit auf diese Art zugebracht hatte, kam er auf seiner Wanderung an den Ort, wo B. J. Vater wohnte, und gieng, ohne daß jemand im Hause etwas davon wußte, in die Scheune, wo er ganz ohnmächtig auf den Boden fiel. B. J. Vater kam zufälligerweise in die Scheune, und fand diesen Mann, der ihm schon längst bekannt war, mit einem Sahar in der Hand (das Hauptbuch der Kabalisten), halb todt auf dem Boden liegen.

[43]

Jener, der schon seinen Mann kannte, ließ ihm gleich allerhand Erfrischungen darreichen, aber dieser wollte davon auf keinerlei Weise einen Gebrauch machen. Jener kam zu verschiedenenmalen und wiederholte sein Anliegen, daß S. was zu sich nehmen solle, aber es half nichts, und da J. im Hause was zu verrichten hatte, und S. sich von seiner Zudringlichkeit los machen wollte, strengte er alle seine Kräfte an, machte sich auf, gieng aus der Scheune, und endlich aus dem Dorfe. J., der abermals in die Scheune gekommen, und den Mann nicht mehr gefunden hatte, lief ihm nach, und fand ihn nicht weit hinter dem Dorfe todt liegen. Die Sache wurde überall unter der Judenschaft bekannt, und S. ward ein Heiliger.

Jossei aus Klezk nahm sich nichts Geringeres vor, als die Ankunft des Messias zu beschleunigen. Zu diesem Ende that er strenge Buße, fastete, wälzte sich im Schnee, unternahm Nachtwachen u. dergl. Mit jeder Art dieser Operationen glaubte er die Niederlage einer Legion böser Geister, die den Messias bewachten, und seine Ankunft verhinderten, bewerkstelligen zu können.*) 1 Dazu ka-[44]men noch zuletzt viele kabalistische Alfanzereien, Räucherungen, Beschwörungen u. dergl., bis er zuletzt darüber wahnwitzig wurde, wirklich Geister mit offnen Augen zu sehn glaubte, jeden mit Nahmen nannte, um sich schlug, Fenster und Oefen zerschlug, in der Meinung, daß dies seine Feinde die bösen Geister wären (ohngefähr wie sein Vorgänger Donquixot), bis er zuletzt ganz abgemattet liegen blieb, und nachher mit vieler Mühe durch des Fürsten Radziwils Leibarzt wieder hergestellt wurde.

B. J. selbst konnte es in dergleichen Frömmigkeitsübungen nie weiter bringen, als daß er eine geraume Zeit nichts, was von einem lebendigen Wesen herkömmt, gegessen, und in den Zeiten der Bußtage zuweilen drei Tage in einem fort gefastet hat. Er entschloß sich zwar, die Tschubath hakana*) 2 zu unternehmen; dieses Projekt ist aber, so wie andere von der Art, unausgeführt geblieben, nachdem er sich die Meinungen des Maimonides, der kein Freund von Schwärmerei und Frömmeln war, eigen gemacht hatte. Es ist merkwürdig, daß er noch zu der Zeit, da er die rabbinischen Vorschriften aufs strengste beobachtete, gewisse Zeremonien, die etwas Komisches an sich haben, nicht beobachten wollte. Von dieser Art war z.B. das [45] Malketh-Schlagen vor dem großen Versöhnungstage, wo jeder Jude sich in der Synagoge auf den Bauch legt, und ein anderer ihm mit einem schmalen Streif Leder 39 Schläge giebt. So auch Hajorath andorim, oder das Loßsagen von den Gelübden am Tage vor dem Neujahrstage, wo sich drei Männer niedersetzen, und ein anderer vor sie hintritt, und eine gewisse Formel sagt, deren Inhalt ungefähr dieser ist: Meine Herrn! ich weiß, welch eine schwere Sünde es sey, Gelübde nicht zu vollziehn, und da ich ohne Zweifel in diesem Jahre einige Gelübde gethan, die ich noch nicht vollzogen habe, und auf die ich mich nicht mehr besinnen kann, so bitte ich von Euch, daß Ihr mich von denselben lossagen wollet. Ich bereue nicht die guten Entschließungen, wozu ich mich durch dergleichen Gelübde verpflichtet habe, sondern bloß, daß ich nicht bei dergleichen Entschließungen hinzugefügt habe, daß sie nicht die Kraft eines Gelübdes haben sollten u.s.w. Darauf entfernt er sich von dem Sitze dieser Richter, zieht die Schuhe aus und setzt sich auf die bloße Erde (wodurch er sich selbst verbannt, bis seine Gelübde aufgelößt worden). Nachdem er einige Zeit gesessen, und für sich ein Gebet verrichtet hat, fangen die Richter an laut zu rufen: Du bist unser Bruder! du bist unser Bruder! du bist unser Bruder! Es giebt keine Gelübde, keinen Schwur, keine Verbannung mehr, nachdem du dich dem Gerichte unterworfen hast! Steh auf [46]von der Erde und komm zu uns! Dieses wiederholen sie dreimal, und damit wird der Mensch auf einmal von allen seinen Gelübden loß. Bei dergleichen tragikomischen Scenen hat es immer schwer gehalten, daß sich B. J. des Lachens enthielt. Es überfiel ihn eine Schamröthe, wenn er dergleichen Operationen mit sich vornehmen sollte. Er suchte daher, wenn er darum angehalten wurde, sich dadurch von denselben loß zu machen, daß er vorgab, es in einer andern Synagoge schon verrichtet zu haben, oder noch verrichten zu wollen. Eine sehr merkwürdige psychologische Erscheinung! Man sollte denken, daß es unmöglich sey, daß sich jemand solcher Handlungen schämen sollte, die er alle andern ohne die mindeste Schamröthe ausüben sieht, und doch war es hier der Fall; welches Phänomen sich nur dadurch erklären läßt, daß er bei allen seinen Handlungen erst auf die Natur der Handlung an sich (ob sie an sich recht oder unrecht, schicklich oder unschicklich sey), und dann auf ihre Natur, in Beziehung auf irgend einen Zweck, Rücksicht nahm, und sie nur dann als Mittel billigte, wenn sie an sich nicht zu mißbilligen war; welches Prinzip sich nachher in seinem ganzen Religions- und Moralsystem völlig entwickelt hat; dahingegen die mehrsten Menschen zum Prinzip haben: der Zweck entschuldigt die Mittel. Dieses aber weiter zu untersuchen ist hier der Ort nicht. —

[47]

B. J. hatte in seinem Wohnorte einen Busenfreund, mit Nahmen Moses Lapidoth. Sie waren beide von gleichem Alter, gleichen Studien, und beinahe in gleichen äußern Umständen, außer daß B. J. schon frühzeitig eine Neigung zu Wissenschaften äußerte, Lapidoth hingegen zwar Neigung zum Spekuliren, auch viel Scharfsinn und Beurtheilungskraft hatte, aber hierin nicht weiter gehn wollte, als er mit dem bloßen gesunden Verstande reichen könne. Diese Freunde pflegten sich oft über ihre Herzensangelegenheiten, besonders über die Gegenstände der Religion und Moral zu unterhalten. Sie waren die einzigen in dem Orte, die es wagten, nichts blos nachzuahmen, sondern über alles selbst zu denken. Es war also natürlich, daß, indem sie sich in ihren Meinungen und Handlungen von allen übrigen aus ihrer Gemeinde unterschieden, sie sich nach und nach von ihnen trennten, wodurch ihr Zustand (da sie doch von ihrer Gemeinde leben mußten) sich immer verschlimmerte. Sie merkten dieses zwar, wollten aber dennoch ihre Lieblingsneigungen keinem Interesse in der Welt aufopfern. Sie trösteten sich daher über diesen Verlust so gut sie konnten, sprachen beständig von der Eitelkeit aller Dinge, von den religiösen und moralischen Irrthümern des gemeinen Haufens, auf den sie mit einer Art von edlem Stolze und Verachtung herabsahn. Besonders pflegten sie sich oft über die Falschheit der mensch-[48]lichen Tugend à la mandeville auszulassen. Z.B. Es hatten die Blattern a in diesem Orte grassirt, wodurch viele Kinder hingeraft worden waren. Die Aeltesten der Gemeinde versammelten sich, um die geheimen Sünden ausfindig zu machen, um derentwillen sie diese Strafe (wofür sie es ansahn) litten. Nach angestellter Untersuchung fand es sich, daß eine junge Wittwe aus der jüdischen Nation mit einigen Hofbedienten einen zu freien Umgang pflege. Man schickte nach ihr, konnte aber durch alles Inquiriren von ihr nichts mehr herausbringen, als daß sie zwar diese Leute, die bei ihr Meth tränken, wie billig, mit einem gefälligen zuvorkommenden Wesen aufnähme, übrigens aber sich dabei keiner Sünde bewußt sey. Man wollte, da man keine andere Indizien hatte, sie schon loßlassen, als eine ältliche Matrone, Madam F., wie eine Furie geflogen kam und schrie: peitscht siel peitscht sie so lange bis sie ihr Verbrechen gestanden haben wird! thut Ihr es nicht, so treffe Euch die Schuld des Todes von so viel unschuldigen Seelen. L., der mit seinem Freunde B. J. dieser Scene beiwohnte, sagte darauf zu diesem: Freund! meinst du, daß Madam F., blos von einem heiligen Eifer und Gefühle fürs allgemeine Beste ergriffen, diese Frau so scharf anklagt? o nein! Sie ist blos auf sie böse, daß sie noch gefällt, indem sie selbst darauf keinen Anspruch mehr machen darf. Darauf antwortete B. J.: Freund! du sprichst nach meinem Sinn.

[49]

Lapidoth hatte arme Schwiegereltern. Sein Schwiegervater war jüdischer Küster, und konnte mit seinem geringen Gehalte nur sehr kümmerlich eine Familie ernähren. Alle Freitage mußte daher dieser arme Mann von seiner Frau allerhand Schelt- und Schimpfwörter hören, weil er ihr nicht einmal das zum heiligen Schabath Unentbehrliche verschaffen konnte. Lapidoth erzählte dieses seinem Freunde B. J., mit dem Zusatze: Meine Schwiegermutter will mich glauben machen, als eifere sie blos für die Ehre des heiligen Schabath. Nein wahrhaftig, sie eifert blos für die Ehre ihres heiligen Wanstes, den sie nicht nach Belieben füllen kann: der heilige Schabath dient ihr blos zum Vorwande dazu.

Da diese Freunde einst auf dem Walle um die Stadt spazieren giengen, und sich über die, aus dergleichen Aeußerungen offenbare, Neigung des Menschen, sich selbst und andere zu täuschen, unterhielten, sagte B. J. zu L.: Freund! laß uns billig seyn, und uns selbst, so wie die andern, unsre Censur passiren. Sollte nicht die, unsern Umständen nicht angemessene kontemplative Lebensart, die wir führen, eine Folge unsrer Trägheit und Neigung zum Müßiggange seyn, die wir durch Reflexionen über die Eitelkeit aller Dinge zu unterstützen suchen? Wir sind mit unsern jetzigen Umständen zufrieden, warum? weil wir sie nicht ändern können, ohne vorher unsre Neigung zum Müßiggange [50]zu bekämpfen; wir können, bei aller vorgegebenen Verachtung gegen alle Dinge außer uns, uns dennoch des heimlichen Wunsches nicht erwehren besser zu essen, und uns besser als jetzt kleiden zu können. Wir schelten unsre Freunde J. N. H. u.s.w. als eitle den sinnlichen Begierden ergebene Menschen, weil sie unsre Lebensart verlassen, und sich den, ihren Kräften angemessenen Geschäften unterzogen haben, worin besteht aber unser Vorzug vor ihnen, da wir unserer Neigung zum Müßiggange, so wie sie der ihrigen folgen? Laß uns diesen Vorzug blos darin zu erlangen suchen, daß wir uns zum wenigsten diese Wahrheit gestehn, indem jene nicht die Befriedigung ihrer besondern Begierden, sondern den Trieb zur Gemeinnützigkeit zum Grunde ihrer Handlungen angeben. L., bei dem die Rede seines Freundes einen starken Eindruck machte, antwortete hierauf mit einiger Wärme: Freund, du hast vollkommen Recht! Wenn wir schon jetzt unsre Fehler nicht verbessern können, so wollen wir doch hierin uns selbst nicht täuschen, und zum wenigsten den Weg zur Besserung offen halten.

In dergleichen Unterhaltungen brachten diese Zyniker ihre angenehmsten Stunden zu, indem sie sich zuweilen über die Welt, zuweilen über sich selbst lustig machten. L. z.B., dessen altes schmutziges Kleid ganz in Lumpen zerfallen, und wovon ein Aermel vom übrigen Kleide ganz abgetrennt war (indem er nicht einmal im Stande war es ausbessern zu lassen), [51]pflegte diesen abgefallenen Aermel mit einer Stecknadel auf den Rücken zu heften, und darauf seinen Freund zu fragen: sehe ich nicht aus wie ein Schlachzig (polnischer Edelmann)? B. J. konnte seine zerrissenen Schuhe, die vorne ganz aufgegangen waren, nicht genug rühmen, indem er sagte: sie drücken gar nicht.

Die Uebereinstimmung dieser Freunde in ihrer Neigung und Lebensart, mit einiger Verschiedenheit in Ansehung ihrer Talente, machte ihre Unterhaltung desto angenehmer. B. J. hatte mehr Talente zu Wissenschaften, bewarb sich mehr um Gründlichkeit und Richtigkeit seiner Kenntnisse als L. Dieser hingegen hatte den Vorzug einer lebhaften Einbildungskraft, und folglich mehr Talente zur Beredsamkeit und Dichtkunst als jener. Wenn B. J. einen neuen Gedanken vorgebracht hatte, so wußte L. denselben durch eine Menge Beispiele zu erläutern und gleichsam zu versinnlichen.

Ihre Neigung zueinander gieng so weit, daß sie, wenn es nur angieng, Tag und Nacht miteinander zubrachten; ja zuletzt fiengen sie sogar an, die gewöhnlichen Betstunden darüber zu vernachlässigen. Erst übernahm es L. zu beweisen, daß selbst die Talmudisten nicht immer ihre Gebete in der Synagoge, sondern zuweilen in ihrer Studierstube verrichteten. Hernach bewies er auch, daß nicht alle für nothwendig gehaltenen Gebete gleich nothwendig wären, sondern daß man einiger derselben ganz entbeh-[52]ren könne; selbst die für nothwendig erkannten wurden nach und nach immer mehr beschnitten, bis sie zuletzt gänzlich vernachlässigt wurden. Einst, da sie während der Gebetszeit auf dem Walle spazieren giengen, sagte L.: Freund! was wird aus uns werden? wir beten ja nicht mehr. B. J. Nun was meinst du dazu? L. Ich verlasse mich auf die Barmherzigkeit Gottes, der gewiß nicht seine Kinder einer kleinen Nachlässigkeit wegen strenge bestrafen wird. B. J. Gott ist nicht blos barmherzig, er ist auch gerecht, folglich kann uns dieser Grund nicht viel helfen. L. Was meinst du denn dazu? B. J. (der schon aus dem Maymonides richtigere Begriffe von Gott, und den Pflichten gegen ihn, erlangt hatte) Unsre Bestimmung ist blos, Erlangung der Vollkommenheit durch die Erkenntniß Gottes und Nachahmung seiner Handlungen. Das Beten ist blos der Ausdruck von der Erkenntniß der göttlichen Vollkommenheiten, und als Resultat dieser Erkenntniß blos für den gemeinen Mann, der zu dieser Erkenntniß von selbst nicht gelangen kann, bestimmt, und daher auch nur seiner Fassungsart angemessen. Da wir aber den Zweck des Betens einsehn, und zu demselben unmittelbar gelangen können, so können wir das Beten als etwas Ueberflüssiges gänzlich entbehren. Dieses Argument schien beiden sehr gegründet zu seyn. Sie beschlossen daher, um kein Aergerniß zu geben, alle Morgen mit ihren Taleth und Tefilim [53](jüdische Gebetsinstrumente) aus dem Hause zu gehn; aber nicht nach der Synagoge, sondern nach ihrem Lieblingsretrait (dem Walle); dadurch entgiengen sie glücklich dem jüdischen Inquisitionsgerichte.

Dieser schwärmerische Umgang mußte aber doch, so wie Alles in der Welt, sein Ende nehmen. Diese beiden Freunde wurden verheirathet, und ihre Ehen waren ziemlich fruchtbar. Sie wurden also gezwungen eine Familie zu ernähren. Das einzige Mittel für sie aber war eine Hofmeisterstelle, dadurch wurden sie nicht selten getrennt, und konnten nachher nur einige wenige Wochen im Jahre beisammen seyn. B. J. erste Hofmeisterstelle war eine Stunde weit von seinem Wohnorte bei einem armen Pächter J., eines elenden Dorfs P.; B. J. Gehalt war fünf Thaler polnisch. Die Armuth, Unwissenheit, und Rohheit der Lebensart, welche hier hauseten, waren unbeschreiblich. Der Pächter selbst war ein Mann von ungefähr funfzig Jahren, dessen ganzes Gesicht mit Haaren bewachsen war, und sich mit einem schmutzigen, dicken, pechschwarzen Barte endigte, und dessen Sprache eine Art Gemurmel, und nur den Bauern, mit denen er täglich umgieng, verständlich war. Er konnte nicht nur kein Hebräisch, sondern auch nicht einmal ein Wort Jüdisch, blos Russisch (die gewöhnliche Bauernsprache) konnte er sprechen. Man denke sich dazu Frau und Kinder von eben dem Schlage. Ferner die Wohnstube: eine Rauchhütte, kohlschwarz von [54]innen und von außen, ohne Kamin, wo blos im Dache eine kleine Oefnung zum Ausgange des Rauches angebracht ist, die, so bald man das Feuer ausgehen läßt, sorgfältig zugemacht wird, damit die Hitze nicht herausgehe.

Die Fenster waren kreuzweise übereinander gelegte schmale Streifen von Kienholz, mit Papier überzogen. Dieses Gemach war Wohn- Schenk- Speise- Studier- und Schlafstube zugleich. Nun denke man sich, daß diese Stube sehr stark geheizt und der Rauch, von Wind und Nässe (wie es im Winter mehrentheils der Fall ist) in die Stube zurückgetrieben, und dieselbe bis zum Ersticken damit angefüllt wird. Hier hängt schwarze Wäsche und andere schmutzige Kleidungsstücke, auf den in der Stube der Länge nach angebrachten Stangen, damit das .... im Rauche ersticke. Da hängen Würste zum trocknen, deren Fett den Menschen beständig auf die Köpfe herunter tröpfelt. Dort stehen Zöber mit saurem Kohl und rothen Rüben (die Hauptspeise der Litthauer). In einem Winkel das Wasser zum täglichen Gebrauche, und daneben das unreine Wasser. Hier wird Brod geknetet, gekocht, gebacken, die Kuh gemolken u.s.w. In dieser herrlichen Wohnung sitzen die Bauern auf der bloßen Erde (höher darf man nicht sitzen, wenn man nicht vom Rauche ersticken will), saufen Branntwein und lärmen; in einer Ecke sitzen die Hausleute; hinter dem Ofen aber saß B. J. [55]mit seinen schmutzigen halbnackenden Schülern, und explizirte ihnen aus einer alten zerrissenen Bibel aus dem Hebräischen ins Russisch-Jüdische. Dieses alles machte im Ganzen die herrlichste Gruppe von der Welt, die nur von einem Hogarth gezeichnet und von einem Buttler besungen zu werden verdiente. Man kann sich leicht vorstellen, wie jämmerlich B. J. Zustand hier seyn mußte. Brantwein mußte hier sein einziges Labsal seyn, das ihm alle seinen Kummer vergessen machte. Hierzu kam noch, daß ein Regiment Russen (die damals auf den Gütern des Fürsten Radziwil mit aller erdenklichen Grausamkeit wütheten) in dieses Dorf und seine Nachbarschaft gelegt wurde. Das Haus war beständig voll besoffener Russen, die alle möglichen Excesse begiengen, auf die Tische und Bänke hauten, die Gläser und Bouteillen den Hausleuten ins Gesicht schmissen u. dergl. Um nur ein einziges Beispiel anzuführen, so kam einst der Russe, der in diesem Hause als Saloge (Schutzmann) lag, dem es aufgetragen war, das Haus vor aller Gewaltthätigkeit zu sichern, ganz besoffen nach Hause und forderte zu essen; man stellte ihm eine Schüssel Hirse mit Butter zubereitet vor. Er stieß die Schüssel von sich, und schrie: man solle mehr Butter hinzuthun. Man brachte ihm ein ganzes Fäßchen mit Butter. Er schrie: man solle ihm noch eine Schüssel geben. Man brachte sie gleich; er schmiß alle Butter hinein und forderte Branntwein. Man brachte [56]ihm eine ganze Bouteille, welche er gleichfalls hineingoß; darauf mußte man ihm Milch, Pfeffer, Salz und Toback in großer Menge bringen, welches er hineinthat und fraß. Nachdem er davon einige Löffel voll gegessen hatte, fieng er an um sich zu hauen, raufte dem Wirth den Bart, gab ihm Faustschläge ins Gesicht, so daß ihm das Blut aus dem Munde heraus kam, goß ihm von seinem herrlichen Breie in die Kehle, und wüthete so lange, bis er aus Betrunkenheit sich nicht mehr halten konnte und zu Boden fiel. Solche Scenen waren sehr gewöhnlich. Wenn eine Russische Armee einen Ort paßierte, so nahmen sie von da bis zu dem nächsten Orte einen Prowodnik (Wegweiser). Anstatt aber denselben vom Bürgermeister oder Dorfschulzen sich geben zu lassen, pflegten sie lieber den ersten den besten, den sie zufälliger Weise auf der Straße trafen, zu ergreifen, er mochte übrigens jung oder alt, männlich oder weiblich, gesund oder krank seyn, daran lag ihnen nichts, weil sie den Weg (nach speziellen Karten) wohl wußten, und nur eine Gelegenheit zu Grausamkeit suchten. Ereignete es sich, daß die aufgefangene Person den Weg nicht wußte, und ihnen nicht den rechten Weg zeigte, so pflegten sie sich doch dadurch nicht irre machen zu lassen, und den rechten Weg zu wählen, aber sie prügelten alsdann den armen Prowodnik halb todt, weil er den rechten Weg nicht gewußt hatte!

[57]

Hier wurde auch B. J. einst als Prowodnik aufgefangen. Er wußte zwar den rechten Weg nicht, aber zum Glücke traf er denselben zufälliger Weise. Er kam also mit der bloßen Drohung, daß wenn er sie irre führen würde, er alsdann lebendig geschunden werden sollte (welches den Russen gern zuzutrauen war), und mit häufigen Faustschlägen und Rippenstößen glücklich am gehörigen Orte an.

B. J. übrigen Hofmeisterstellen waren mehr oder weniger dieser ähnlich.

In einer dieser Stellen ereignete sich eine merkwürdige psychologische Begebenheit, worin er die Hauptperson war, und die in der Folge beschrieben werden soll. In einer andern ereignete sich eine Begebenheit von eben derselben Art, wovon er aber bloß Augenzeuge war.

Der Hofmeister des nächsten Dorfs nehmlich, der ein Nachtwandler war, stand einst des Nachts von seinem Lager auf, und gieng nach dem Kirchhofe dieses Dorfs, mit einem Kodex der jüdischen Ritualgesetze in der Hand. Nachdem er da einige Zeit verweilt hatte, kam er wieder nach dem Lager zurück. Des Morgens stand er auf, ohne sich das Mindeste von dem, was in der Nacht vorgefallen war, zu erinnern, und gieng bey seinen Koffer, wo dieser Kodex eingeschlossen zu seyn pflegte, um sich den ersten Theil davon, Orach chaiim*) 3 genannt, worinnen [58]er alle Morgen zu lesen pflegte, heraus zu holen. Er stutzte aber, da er von vier Theilen, die der Kodex enthält, und wovon jeder apart gebunden war, nur drei derselben liegen fand, da sie doch alle im Koffer eingeschlossen gewesen waren, und daß besonders der Theil Jore deah*) 4 fehlte. Da er aber von seiner Krankheit wußte, so gieng er überall und suchte darnach, bis er endlich auf den Kirchhof kam und den Jore deah bei dem Kapitel Hilchoth Eweloth*) 5 aufgeschlagen fand. Er hielt dieses für ein böses Omen, und kam voller Unruhe nach Hause. Man fragte ihn nach der Ursache dieser Unruhe, und er erzählte die vorgefallene Begebenheit, mit dem Zusatze: Ach! Gott weiß, wie sich meine arme Mutter befindet (sein Vater war schon lange todt), bat sich von seinem Herrn ein Pferd aus, und um Erlaubniß, nach der nächsten Stadt (dem Wohnorte seiner Mutter) reiten zu dürfen, und sich nach ihrem Wohlseyn zu erkundigen. Er mußte den Ort passieren, wo B. J. Hofmeister war. Dieser, der ihn voller Bestürzung reiten sahe, ohne auf eine kurze Zeit absteigen zu wollen, fragte ihn um die Ursache dieser Bestürzung; worauf ihm jener die vorerwähnte Begebenheit erzählte. B. J. wurde nicht so sehr über die besondern Umstände derselben, als wie über das Nachtwandeln über-[59]haupt, wovon er bis jetzt nichts gewußt hatte, in Verwunderung gesetzt. Jener hingegen versicherte ihn, das Nachtwandeln sey sein gewöhnlicher Zufall, der übrigens nichts zu bedeuten hätte, nur der Umstand mit dem Jore deah, Hilchoth Eweloth, mache ihm ein Unglück ahnden. Darauf ritt er fort, kam in seiner Mutter Haus, und fand sie beim Nährahmen sitzen. Sie fragte ihn nach der Ursache seines Kommens; er gab ihr zur Antwort, er käme blos sie zu besuchen, weil er sie schon lange nicht gesehen habe. Nachdem er da wohl ausgeruht hatte ritt er wieder zurück, seine Unruhe wurde aber dennoch nicht gänzlich gehoben. Der Gedanke an den Jore deah, Hilchoth Eweloth, gieng ihm nicht aus dem Kopfe. Den dritten Tag darauf entstand in der Stadt, wo seine Mutter wohnte, eine Feuersbrunst, und seine Mutter, indem sie ihre Habseeligkeit retten wollte, mußte im Brande umkommen. Man sahe hier in diesem Dorfe das Feuer (weil das Dorf nur eine Stunde davon entfernt war). Der arme Hofmeister fieng an zu jammern und zu wehklagen, als wüßte er ganz gewiß, daß seine Mutter im Brande umgekommen sey, ritt schleunig nach der Stadt, und fand was ihm geahndet hatte.

Ungefähr um diese Zeit wurde B. J. mit einer damals emporkommenden Sekte seiner Nation, die neue Chasidim genannt, bekannt. Chasidim überhaupt heißen bei den Hebräern die Frommen, d.h. diejenigen, die sich durch Ausübung der strengsten[60]Frömmigkeit vor andern hervorthun. Diese waren seit urundenklichen Zeiten Männer, die sich von den weltlichen Geschäften und Vergnügungen losgemacht, ihr Leben der strengsten Ausübung der Religionsgesetze und Buße wegen ihrer begangenen Sünden widmeten. Sie suchten dieses durch Gebete und andere Andachtsübungen, Kasteiung ihres Körpers u. dergl. zu bewerkstelligen.

Aber um diese Zeit warfen sich einige darunter zu Stiftern einer neuen Sekte auf. Diese behaupteten: die wahre Frömmigkeit bestehe keinesweges in Kasteiung des Körpers, wodurch zugleich die Seelenkräfte geschwächt, und die zur Erkenntniß und Liebe Gottes nöthige Seelenruhe und Heiterkeit zerstört werde; sondern umgekehrt, man müsse alle körperlichen Bedürfnisse befriedigen, und von allen sinnlichen Vergnügungen, so viel als zur Entwickelung unsrer Gefühle nöthig sey, Gebrauch zu machen suchen, indem Gott alles zu seiner Verherrlichung geschaffen habe. Der wahre Gottesdienst bestand, ihnen zu Folge, in Andachtsübungen mit Anstrengung aller Kräfte und Selbstzernichtung vor Gott, indem sie behaupteten, daß der Mensch, seiner Bestimmung nach, seine höchste Vollkommenheit nicht anders erreichen könne, als wenn er sich nicht als ein für sich bestehendes und würkendes Wesen, sondern blos als ein Organ der Gottheit betrachte. Anstatt also, daß jene ihr ganzes Leben in Absonderung von der Welt, [61] Unterdrückung ihrer natürlichen Gefühle, und Tödtung ihrer Kräfte zubrachten, glaubten diese weit zweckmäßiger zu handeln, wenn sie ihre natürlichen Gefühle so viel als möglich zu entwickeln, ihre Kräfte in Ausübung zu bringen, und ihren Würkungskreis beständig zu erweitern suchten.

Man muß gestehen, daß diese Methoden beide etwas Reelles zum Grunde haben. Jener liegt offenbar der Stoizismus zum Grunde, nehmlich ein Streben die Handlungen nach einem höheren Prinzip, als die Neigungen sind, dem freien Willen gemäß, zu bestimmen; diese gründet sich auf das Vollkommenheitssystem. Nur daß beide, so wie alles in der Welt, gemißbraucht werden können, und wirklich gemißbraucht werden. Die von der ersten Sekte treiben ihre Bußfertigkeit bis zur Ausschweifung; anstatt ihre Begierden und Leidenschaften blos regelmäßig einzurichten, suchen sie dieselben zu zernichten, und anstatt daß sie mit den Stoikern das Prinzip ihrer Handlungen in der reinen Vernunft suchen sollten, suchen sie es vielmehr in der Religion, einer, ihrer Meinung nach, zwar reinen Quelle, daraus sie aber in der That, da sie von der Religion selbst falsche Begriffe haben, und ihre Tugend blos die zukünftigen Belohnungen und Bestrafungen eines nach bloßer Willkür regie-[62]renden eigenmächtigen tyrannischen Wesens zum Grunde hat, nicht anders als aus einer unreinen Quelle fließen, nehmlich aus dem Prinzip des Interesse; und da dieses Interesse selbst blos auf Einbildungen beruht, so sind sie hierin noch weit unter den gröbsten Epikuräern, die zwar ein niedriges, aber doch ein reelles Interesse zum Zwecke ihrer Handlungen haben. Nur alsdann kann die Religion ein Prinzip der Tugend abgeben, wenn sie selbst in der Idee der Tugend gegründet ist.

Die Anhänger der zweiten Sekte haben zwar richtigere Begriffe von der Religion und Moral, da sie aber hierin mehrentheils nach dunklen Gefühlen, und nicht nach einer deutlichen Erkenntniß sich richten, so müssen sie gleichfalls auf allerhand Ausschweifungen gerathen. Die Selbstzernichtung hemmet nothwendig ihre Thätigkeit, oder giebt ihr eine falsche Richtung, und da sie keine Naturwissenschaft und psychologische Kenntnisse besitzen, und eitel genug sind sich als Organ der Gottheit zu betrachten (welches sie auch mit Einschränkung nach dem Grade der erlangten Vollkommenheit sind), so begehn sie auf Rechnung der Gottheit die größten Ausschweifungen; jeder seltsame Einfall ist ihnen eine göttliche Eingebung, und jeder rege Trieb ein göttlicher Beruf.

Diese Sekten waren zwar keine verschiedene Religionssekten, ihre Verschiedenheit bestand blos in [63]der Art ihrer Ausübung der Religion, aber doch gieng die Animosität beider Partheien so weit, daß sie sich einander für Ketzer verschrieen, und wechselseitig verfolgten. Anfangs behielt die neue Sekte die Oberhand, und breitete sich beinahe in ganz Polen und auch außerhalb aus. Ihre Häupter schickten ordentlich Emissarien überall herum, die die neue Lehre predigen und ihr Anhänger verschaffen sollten, und da der größte Theil der Polnischen Juden aus ihren Gelehrten, d.h. aus Menschen, die dem Müßiggange und der kontemplativen Lebensart ergeben sind, besteht (jeder Polnische Jude wird von Geburt an zum Rabbiner bestimmt, und nur die größte Unfähigkeit dazu kann ihn von diesem Stande ausschließen), und diese neue Lehre außerdem den Weg zur Seeligkeit erleichtern sollte, indem sie das Fasten, das Nachtwachen, und beständiges Studium des Talmuds nicht nur für unnütz, sondern sogar für die zur ächten Frömmigkeit nöthige Heiterkeit des Gemüths als schädlich ausgab, so war es natürlich, daß ihre Anhänger sich in einer kurzen Zeit weit ausbreiteten.

Man wallfahrtete nach K. M. und andern heiligen Oertern, wo sich die erleuchteten Obern dieser Sekte aufhielten. Junge Leute verließen ihre Aeltern, Frauen und Kinder, und giengen schaarenweise, diese hohen Obern aufzusuchen, und die neue Lehre aus ihrem Munde zu hören.

[64]

Die Veranlassung zur Entstehung dieser Sekte war die folgende.*) 6

Es ist bekannt, daß seit der Zeit, da die Juden ihren Staat verloren, und unter andere Nationen, wo sie mehr oder weniger tolerirt werden, zerstreuet wurden, sie keine andere innere Verfassung haben, wodurch sie zusammengehalten werden, und bei ihrer politischen Zerstreuung dennoch ein organisirtes Ganzes ausmachen, als ihre Religionsverfassung. Ihre Vorsteher ließen sich daher stets nichts so sehr angelegen seyn, als, nach dem Verfalle ihres Staats, dieses Band, als das einzige, wodurch sie noch eine Nation ausmachen, desto mehr zu befestigen. Weil aber ihre Glaubenslehren und Religionsgesetze aus der heiligen Schrift ihren Ursprung nehmen, diese aber in Ansehung ihrer Auslegung und Anwendung auf besondere Fälle viel Unbestimmtes enthält, so mußte die Tradition zu Hülfe genommen werden, wodurch die Art der Auslegung der heiligen Schrift sowohl, als der Ableitung der, durch diese unbestimmt gelassenen Fälle, [65]aus den bestimmten Gesetzen angegeben werden sollte. Diese Tradition konnte freilich nicht der ganzen Nation, sondern blos einem Korps derselben, gleichsam wie einer gesetzgebenden Kommission anvertrauet werden.

Damit wurde aber dem Uebel nicht abgeholfen. Die Tradition selbst ließ noch viel Unbestimmtes zurück. Die Ableitung der besondern Fälle aus den allgemeinen, und die nach den Zeitumständen erforderlichen neuen Gesetze, gaben zu vielen Streitigkeiten Gelegenheit; aber selbst durch diese Streitigkeiten, und die Art ihrer Entscheidung, wurde dieses Korps immer zahlreicher, und sein Einfluß auf die Nation desto stärker. Die jüdische Verfassung ist also ihrer Form nach aristokratisch, und daher allen Mißbräuchen einer solchen Verfassung ausgesetzt. Der ungelehrte Theil der Nation konnte, wegen der ihm aufliegenden Sorge für seine sowohl, als des ihm unentbehrlichen gelehrten Theils Unterhaltung, auf dergleichen Mißbräuche nicht aufmerksam gemacht werden. Hingegen entstanden von Zeit zu Zeit Männer aus diesem gesetzgebenden Korps selbst, die nicht nur diese Mißbräuche rügten, sondern sogar die Autorität desselben in Zweifel zogen. Von dieser Art war der Stifter der christlichen Religion, der sich gleich anfangs der Tyrannei dieser Aristokratie mit gutem Erfolge widersetzte, und das ganze Zeremonialgesetz auf seinen Ursprung, nehmlich auf ein reines Moralsy [66] system (zu dem sich dieses Zeremonialsystem als Mittel zum Zwecke verhielt) zurückführte, wodurch zum wenigsten die Reformation Eines Theils der Nation bewerkstelligt wurde.

Von dieser Art war ferner der berüchtigte Schabati nZebi, am Ende des vorigen Jahrhunderts, der sich zum Messias aufwarf, und das ganze Zeremonialgesetz, besonders die Rabbinischen Satzungen, abschaffen wollte. Ein auf die Vernunft gegründetes Moralsystem wäre, nach den tief eingewurzelten Vorurtheilen der Nation zu damaliger Zeit, unvermögend gewesen, eine heilsame Reformation zu bewerkstelligen. Man mußte daher Vorurtheile und Schwärmereien Vorurtheilen und Schwärmereien entgegen setzen. Dieses geschahe aber, nach der Entwickelung des B. J., auf folgende Weise. Eine geheime Gesellschaft, deren Stifter aus den Mißvergnügten der Nation bestanden, hatte schon längst in derselben Wurzel gefaßt. Ein gewisser Französischer Rabbiner, mit Nahmen Rabbi Moses de Lion, soll, nach dem Rabbi Joseph Candia, den Sohar verfertigt, und als ein altes Buch, das den berühmten Talmudisten Rabbi Simon Ben Jechoi zum Verfasser hätte, der Nation untergeschoben haben. Dieses Buch ist in der Syrischen Sprache, in einem sehr erhabenen Stile, abgefaßt, und enthält die Auslegung der heiligen Schrift nach den Grundsätzen der Kabala, oder [67]vielmehr diese Grundsätze selbst, in Form einer Auslegung der heiligen Schrift vorgetragen, und gleichsam aus derselben geschöpft. Dieses Buch hat gleich dem Janus ein doppeltes Gesicht, und erträgt daher zweierlei Art Explikation. Die eine ist diejenige, die in den kabalistischen Schriften weitläuftig vorgetragen, und in ein System gebracht worden ist. Hier ist ein weites Feld für die Einbildungskraft, wo sie nach Belieben herumschwärmen kann, ohne doch am Ende über die Sache besser belehrt zu seyn als vorher. Es werden hier manche moralische und physische Wahrheiten bildlich vorgetragen, die sich zuletzt in das Labyrinth des hyperphysischen verlieren. Diese Art die Kabala zu behandeln ist den kabalistischen Litteratoren eigen.

Die zweite Art hingegen betrift den geheimen politischen Inhalt derselben, und ist nur den Obern dieser geheimen Gesellschaft bekannt. Diese Obern selbst sowohl, als ihre Operationen, bleiben immer unbekannt, die Andern aber können immerhin bekannt seyn. Diese können die politischen Geheimnisse, die ihnen selbst unbekannt sind, nicht verrathen. Jene werden es nicht, weil es ihrem Interesse zuwider ist. Nur die kleineren (blos litterarischen) Geheimnisse werden dem Volke debitirt, und als Sachen von großer Wichtigkeit anempfohlen. Die größeren (politischen) Geheimnisse werden nicht gelehrt, sondern, wenn [68]sie von selbst verstanden worden sind, in Ausübung gebracht.

Ein gewisser Kabalist, mit Nahmen Rabbi Joel Baalschem,*) 7 wurde durch einige glückliche Kuren, die er durch seine medizinischen Kenntnisse und Taschenspielerkünste bewerkstelligte, zu dieser Zeit sehr berühmt, indem er vorgab, dieses alles nicht durch natürliche Mittel, sondern blos durch Hülfe der Kabala Maschiith (die praktische Kabala) und den Gebrauch der heiligen Nahmen bewerkstelligt zu haben. Auf diese Art spielte er in P. eine sehr glückliche Rolle.

Er war auch auf Nachfolger in seiner Kunst bedacht. Unter seinen Schülern waren einige, die seine Profession ergriffen, und sich durch glückliche Kuren und Entdeckung der Diebstähle berühmt machten. Andre, von größerm Genie und edlerer Denkungsart, machten sich weit wichtigere Pläne: sie sahen ein, daß sie durch das Zutrauen des Volks sowohl ihr eigenes als das allgemeine Interesse würden aufs Beste befördern können, und wollten es durch Aufklärung beherrschen; ihr Plan war also moralisch und politisch zugleich.*) 8 Anfangs [69]schien es als wollten sie blos die in dem jüdischen Religions- und Moralsystem eingeschlichenen Mißbräuche abschaffen. Dieses mußte aber nothwendig eine völlige Abschaffung des ganzen Systems nach sich ziehn.

Die Hauptsachen, die sie angriffen, waren 1) der Mißbrauch der Rabbinischen Gelehrsamkeit, die, anstatt die Gesetze so viel als möglich zu simplifiziren, und jedem kenntlich zu machen, dieselben immer noch mehr verwirrt und unbestimmt seyn läßt; die ferner sich blos mit dem Studium der Gesetze beschäftigt (daher ihr das Studium derjenigen Gesetze, die jetzt von keinem Gebrauche sind (der Opfer, der Reinigung u. dergl.), eben so wichtig, als derjenigen ist, wovon noch Gebrauch gemacht wird), statt daß sie hauptsächlich sich mit der Ausübung derselben beschäftigen sollte, indem das Studium selbst nicht Zweck, sondern blos Mittel zur Ausübung ist; und die endlich bei der Ausübung selbst blos auf das äußere Zeremoniel, und nicht auf den moralischen Zweck Rücksicht nimmt.

2) Der Mißbrauch der Frömmigkeit der sogenannten Bußfertigen. Diese befleißigen sich zwar der Ausübung der Tugend, da aber [70]ihr Motiv zur Tugend nicht die in der Vernunft gegründete Erkenntniß Gottes und seiner Vollkommenheit ist, sondern vielmehr in falschen Vorstellungen von Gott und seinen Eigenschaften besteht, so konnte es nicht anders seyn, als daß sie auch die wahre Tugend verfehlten, und auf eine eingebildete Art von Tugend geriethen, und daß, anstatt daß sie aus Liebe zu Gott, und Neigung ihm ähnlich zu werden, sich der Sklaverei ihrer sinnlichen Begierden und Leidenschaften hätten entziehn, und nach Gesetzen des in der Vernunft gegründeten freien Willens zu handeln sich bestreben sollen, sie vielmehr durch Vernichtung ihrer wirkenden Kräfte selbst, ihre Begierden und Leidenschaften zu vernichten suchten, wie wir dieses schon oben durch einige traurige Beispiele dargethan haben.

Die Aufklärer hingegen forderten als Bedingung der wahren Tugend ein heiteres, zu allen Arten von Thätigkeit aufgelegtes, Gemüth; sie erlaubten nicht nur, sondern empfahlen sogar einen mäßigen, zu Erlangung der Heiterkeit des Gemüths erforderlichen Genuß aller Arten der Vergnügungen. Ihr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkörperung, d.h. Abstrahirung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen Ich, und Vereinigung mit Gott; woraus eine Art von Selbstverläugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande [71]unternommnen Handlungen nicht sich selbst, sondern Gott zuschrieben.

Ihr Gottesdienst bestand also in einer Art spekulativer Andacht, wozu sie keine besondere Zeit oder Formel für nothwendig hielten, sondern einem jeden überließen, ihn nach dem Grade seiner Erkenntniß zu bestimmen; doch wählten sie dazu hauptsächlich die zum öffentlichen Gottesdienste bestimmten Stunden. In ihrem öffentlichen Gottesdienste beflissen sie sich hauptsächlich der vorerwähnten Entkörperung, d.h. sie vertieften sich so sehr in die Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit, daß sie dadurch die Vorstellung aller andern Dinge, und sogar ihres eignen Körpers verlohren, so daß der Körper ihrem Vorgeben nach zu dieser Zeit ganz gefühllos seyn mußte.

Da es aber mit einer solchen Abstraktion sehr schwer hielt, so bemühten sie sich durch allerhand mechanische Operationen (Bewegungen und Schreien) sich in diesen Zustand, wenn sie durch andre Vorstellungen aus demselben herausgekommen waren, wieder zu versetzen, und sich darin, während der ganzen Andachtszeit, ununterbrochen zu erhalten. Es war lustig anzusehn, wie sie oft ihr Beten durch allerhand seltsame Töne und possierliche Bewegungen (die als Drohungen und Scheltworte gegen ihren Gegner, den Satan, der ihre Andacht zu stören sich bemühe, anzusehn waren) unterbrachen, und wie sie sich dadurch so abar-[72]beiteten, daß sie gemeiniglich bei Endigung des Betens ganz ohnmächtig niederfielen.

Es ist auch nicht zu leugnen, daß, so gegründet auch ein solcher Gottesdienst an sich seyn mag, er auch eben so sehr dem Mißbrauche unterworfen sey. Die auf die Heiterkeit des Gemüths erfolgende innere Thätigkeit, kann nur nach dem Grade der erlangten Erkenntniß Statt finden. Die Selbstzernichtung vor Gott ist nur alsdann gegründet, wenn das Erkenntnißvermögen so sehr mit seinem Gegenstande (der Größe des Gegenstandes wegen) beschäftigt ist, daß der Mensch dadurch gleichsam außer sich blos im Gegenstande existirt. Ist hingegen das Erkenntnißvermögen in Ansehung seines Gegenstandes eingeschränkt, so daß es keines beständigen Fortschrittes fähig ist, so muß die erwähnte Thätigkeit, durch Konzentrirung auf diesen einzigen Gegenstand, vielmehr gehemmt als befördert werden.

Einige einfältige Männer aus dieser Sekte antworteten zwar, wenn man sie, da sie den ganzen Tag über mit der Pfeife im Munde müßig herumgiengen, frug, was sie doch zur Zeit dächten? »wir denken Gott!« Diese Antwort würde befriedigend gewesen seyn, wenn sie beständig, durch eine hinlängliche Naturerkenntniß, ihre Erkenntniß von den göttlichen Vollkommenheiten zu erweitern gesucht hätten. Da dies aber mit ihnen der Fall nicht war, sondern ihre Naturerkenntniß sehr einge-[73]schränkt war; so mußte der Zustand, worin sie ihre Thätigkeit auf einen (in Ansehung ihrer Fähigkeit) unfruchtbaren Gegenstand konzentrirten, unnatürlich seyn. Ferner konnten sie nur alsdann ihre Handlungen Gott zurechnen, wenn sie Folgen einer richtigen Erkenntniß Gottes waren; waren sie aber Folgen der Eingeschränktheit dieser Erkenntniß, so musten sie nothwendig auf Gottes Rechnung allerhand Excesse begehn, wie zum Unglück der Erfolg gelehret hat.

Daß aber diese Sekte sich so geschwind ausbreitete, und ihre neue Lehre bei dem größten Theile der Nation so vielen Beifall fand, läßt sich sehr leicht erklären. Die natürliche Neigung zum Müßiggang und zur spekulativen Lebensart, des größten Theils der Nation (der von der Geburt an zum Studiren bestimmt wird), die Trockenheit und Unfruchtbarkeit des rabbinischen Studiums, und die große Last des Zeremonialgesetzes, die diese Lehre zu erleichtern verspricht, endlich die Neigung zur Schwärmerei und zum Wunderbaren, die durch diese Lehre genährt wird, sind hinreichend, dieses Phänomen begreiflich zu machen.

Anfangs widersetzten sich zwar die Rabbiner und die Frommen nach dem alten Stil, der Verbreitung dieser Sekte, diese behielt aber dennoch, aus vorerwähnten Gründen, die Oberhand. Es wurden Feindseeligkeiten von beiden Seiten ausge-[74]übt. Jede Parthei suchte sich Anhänger zu verschaffen. Es entstand eine Gährung in der Nation, und die Meinungen wurden getheilt.

B. J. konnte sich damals von dieser Sekte noch keinen richtigen Begrif machen, und wußte nicht, was er davon denken sollte, bis es sich einmal ereignete, daß ein junger Mensch, der schon in diese Gesellschaft initiirt war, der schon das Glück gehabt hatte, die hohen Obern selbst von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, B. J. Aufenthaltsort durchreiste. B. J. suchte sich diese Gelegenheit zu Nutze zu machen, und bat den Fremden um einige Aufklärung über die innere Einrichtung dieser Gesellschaft, über die Art darin aufgenommen zu werden u.s.w.

Dieser, der selbst noch im ersten Grade war, und folglich von der innern Einrichtung dieser Gesellschaft noch nichts wußte, konnte auch dem B. J. darüber keine Auskunft geben, was aber die Art, darin aufgenommen zu werden, anbetrift, so versicherte er demselben, daß sie die simpelste von der Welt sey. Jeder Mensch, der einen Trieb nach Vollkommenheit in sich spüre, und die Art nicht wisse, wie er denselben befriedigen, oder die Hindernisse, die seiner Befriedigung entgegen ständen, aus dem Wege räumen solle, hätte nichts mehr nöthig, als sich an die hohen Obern zu wenden, und eo ipso gehöre er schon als Mitglied zu dieser Gesellschaft. Er habe nicht einmal nöthig (wie es sonst mit den Medicinern der Fall ist) diesen hohen [75]Obern von seinen moralischen Schwächen, seiner bisher geführten Lebensart u. dergl. etwas zu melden, indem diesen hohen Obern nichts unbekannt sey; sie durchschauten das menschliche Herz, und entdeckten alles, was in seinen geheimen Falten verborgen sey; sie könnten das Zukünftige vorher sagen, und das Entfernte gegenwärtig machen.

Ihre Predigten und moralischen Lehren würden nicht (wie es gemeiniglich zu geschehen pflege) von ihnen erst überdacht und zweckmäßig geordnet, indem diese Art nur demjenigen zukäme, der sich als etwas für sich Bestehendes und Wirkendes, von Gott Getrenntes, betrachte. Diese hohen Obern aber hielten nur alsdann ihre Lehren für göttlich und folglich untrüglich, wenn sie die Folge der Selbstvernichtung vor Gott wären, d.h. wenn sie ihnen ex tempore, nach Erfordern der Umstände, ohne daß sie etwas dazu beitrügen, einfielen.

B. J., den diese Beschreibung ganz entzückte, bat darauf den Fremden, daß er ihm doch einige dieser göttlichen Lehren mittheilen möchte. Dieser schlug die Hand vor die Stirne (als wartete er auf Eingebung des heiligen Geistes), wandte sich darauf mit einer feierlichen Miene und halbentblößten Armen, die er (ungefähr wie Korporal Trim bei Vorlesung der Predigt) in Bewegung brachte, zu B. J., und fieng folgendermaßen an:

[76]

»Singt Gott ein neues Lied, sein Lob ist in der Gemeinde der Frommen (Psalm 1491,1.). Unsre hohen Obern erklären diesen Vers auf folgende Art: die Eigenschaften Gottes, als des allervollkommensten Wesens, müssen die Eigenschaften eines jeden eingeschränkten Wesens weit übertreffen, folglich auch sein Lob (als Ausdruck seiner Eigenschaften) das Lob dieser. Bis jetzt bestand Gottes Lob darin, daß man ihm übernatürliche Würkungen (das Verborgne zu entdecken, das Zukünftige vorher zu sehn, mit seinem bloßen Willen unmittelbar zu wirken u. dergl.) beilegte. Nun aber sind die Frommen (die hohen Obern) im Stande, solche übernatürliche Handlungen selbst zu verrichten, und da Gott also hierin vor ihnen keinen Vorzug hat, muß man bedacht seyn, ein neues Lob ausfindig zu machen, das nur Gott allein zukommen kann.«

B. J., entzückt über die sinnreiche Art, die heilige Schrift auszulegen, bat den Fremden um noch mehrere Explikationen dieser Art. Dieser fuhr also in seiner Begeisterung fort: »Als der Spieler (Musikus) spielte, kam auf ihn der Geist Gottes (II. Buch der Könige 3, 15.). Dies legen sie so aus: So lange sich der Mensch selbstthätig zeigt, ist er unfähig, die Würkung des heiligen Geistes zu empfangen; zu diesem Behuf muß er sich als ein Instrument, blos leidend verhalten. Die Bedeutung dieser Stelle ist also:[77]Wenn der Spieler (קנםת) (der Diener Gottes) dem Instrumente gleich wird (קנב), alsdann kömmt auf ihn der Geist Gottes.*) 9

Nun hören Sie noch, sagte der Fremde ferner, die Erklärung einer Stelle aus der Mischea, wo es heißt: die Ehre deines Nächsten muß dir so lieb seyn als die deinige.

Unsre Lehrer erklären dieses auf folgende Art: Es ist gewiß, daß kein Mensch daran Vergnügen finden wird, sich selbst Ehre anzuthun, dieses wäre ganz lächerlich. Aber eben so lächerlich ist es, auf Ehrenbezeugungen eines andern zu viel zu halten, da wir doch durch diese Ehrenbezeugungen keinen größern innern Werth erhalten, als wir schon haben. Diese Stelle will daher so viel sagen: Die Ehre deines Nächsten (die dein Nächster dir erzeigt) muß dir so wenig lieb seyn, als die deinige (die du dir selbst erzeigst).« B. J. konnte nicht [78]anders als, sowohl über die Vortreflichkeit der Gedanken, wie auch über die sinnreiche Exegetik, womit sie gestützt wurden, vor Bewunderung außer sich gerathen.*) 10

[79]

B. J., dessen Einbildung durch diese Beschreibungen aufs Höchste gespannt wurde, und der folglich nichts so sehnlich wünschte, als das Glück zu haben, Mitglied dieser ehrwürdigen Gesellschaft zu werden, beschloß eine Reise nach M. zu unternehmen, wo sich der hohe Obere B. befand. Er erwartete also die Endigung seiner Dienstzeit (welche nur noch einige Wochen dauerte) mit der größten Ungedult. So bald diese zu Ende war, und er seinen Lohn erhalten hatte, trat er, anstatt nach Hause (das nur zwei Meilen von da entfernt war) zu reisen, seine Pilgerschaft an. Diese Reise dauerte einige Wochen.

Endlich kam er glücklich in M. an. Nachdem er von seiner Reise ausgeruht hatte, gieng er nach dem Hause des hohen Obern, in der Meinung, ihm gleich vorgestellt werden zu können. Aber man sagte ihm, daß er denselben noch nicht sprechen könne, daß er aber auf den Schabath mit den andern Fremden, die ihn zu besuchen hieher gekommen wären, bei ihm zu Tische invitirt sey; bei welcher Gelegenheit er das Glück haben würde, diesen heiligen Mann von Angesicht zu Angesicht zu sehn, und die erhabensten Lehren aus seinem Munde zu hören, so daß er (B. J.) dieses öffentliche Entrevue, dennoch, wegen des Individuellen sich blos auf ihn Beziehenden, das er darin bemerken würde, als eine partikuläre Audienz betrachten könnte.

[80]

B. J. kam also am Schabath zu diesem feierlichen Mahle. Er fand da eine große Anzahl ehrwürdiger Männer, die hier von verschiedenen Gegenden zusammen gekommen waren. Endlich erschien auch der große Mann in einer ehrfurchteinflößenden Gestalt, in weißen Atlas gekleidet. Sogar seine Schuhe und Tobaksdose waren weiß (die weiße Farbe ist bei den Kabalisten die Farbe der Gnade). Er gab einem jeden der Neuangekommenen sein Schalam, d.h. er begrüßte ihn. Man setzte sich zu Tische. Am Tische herrschte eine feierliche Stille. Nachdem man abgespeiset hatte, stimmte der hohe Obere eine feierliche den Geist erhebende Melodie an, hielt einige Zeit die Hand vor die Stirne, und fieng darauf an zu rufen: Z. aus H! M. aus R.! B. J. aus N. u.s.w. alle die Neuangekommenen bei ihren Nahmen, und den Nahmen ihrer Wohnörter, worüber diese nicht wenig erstaunten. Jeder von ihnen sollte irgend einen Vers aus der heiligen Schrift hersagen. Es sagte jeder seinen Vers. Darauf fieng der hohe Obere an eine Predigt zu halten, der die besagten Verse zum Text dienen mußten, so daß, obschon es aus ganz verschiedenen Büchern der heiligen Schrift hergenommene unzusammenhängende Verse waren, er sie dennoch mit einer solchen Kunst verband, als wenn sie ein einziges Ganzes gewesen wären; und was noch sonderbarer war, jeder dieser Männer glaubte in dem Theile der Predigt, der auf seinem Verse [81]beruhte, etwas zu finden, das sich besonders auf seine individuellen Herzensangelegenheiten beziehe. Sie geriethen also darüber, wie natürlich, in die größte Verwunderung. Es dauerte aber nicht lange, so fieng B. J. schon an von der hohen Meinung gegen diesen Obern und die ganze Gesellschaft überhaupt nachzulassen. Er bemerkte, daß ihre sinnreiche Exegetik im Grunde falsch, und noch dazu blos auf ihre ausschweifenden Grundsätze (Selbstvernichtung u.s.w.) eingeschränkt war; hatte man diese einmal gehört, so bekam man nichts Neues mehr zu hören. Ihre sogenannten Wunderwerke ließen sich ziemlich natürlich erklären. Durch Korrespondenzen, Spione, und einen gewissen Grad von Menschenkenntniß, wodurch sie, vermittelst einer Physiognomik und geschickt angebrachter Fragen, indirekte die Geheimnisse des Herzens herauszulocken wußten, brachten sie sich bei diesen einfältigen Menschen den Ruf zuwege, daß sie prophetische Eingebungen, hätten.

So mißfiel ihm auch die ganze Gesellschaft nicht wenig, wegen ihres Zynischen Wesens und ihrer Ausschweifung in der Frölichkeit. Um nur ein einziges Beispiel dieser Art anzuführen, so kamen sie einst zur Betstunde im Hause des Obern zusammen. Einer unter ihnen kam etwas spät; die andern fragten ihn nach der Ursache davon. Jener antwortete, das geschähe darum, weil seine [82]Frau diese Nacht mit einer Tochter niedergekommen sey. So bald sie dieses hörten, fiengen sie an ihm auf eine tumultuarische Art zu gratuliren. Der hohe Obere kam aus seinem Kabinet dazu, und fragte nach der Ursache ihres Lärmens. Sie sagten, wir gratuliren dem P., dessen Frau ein Mädchen zur Welt gebracht hat; darauf antwortete jener mit großem Unwillen: Ein Mädchen! er soll ausgepeitscht werden.*) 11

Der arme P. protestirte dagegen. Er konnte nicht begreifen, warum er dafür büßen solle, daß seine Frau ein Mädchen zur Welt gebracht habe. Aber es half nichts, man bemächtigte sich seiner, legte ihn auf die Schwelle, und peitschte ihn derb aus. Diese Herren (außer dem einzigen, der das Opfer dafür war) geriethen dadurch in eine lustige Laune, worauf der Obere sie mit folgenden Worten zum Gebete ermahnte: Nun Brüder, dient Gott mit Freuden!

B. J. wollte in dem Orte nicht länger bleiben. Er ließ sich also von dem hohen Obern den Segen geben, nahm Abschied von der Gesellschaft, mit dem Vorsatze, sie auf ewig zu verlassen, und reiste wieder nach Hause.

Nun noch etwas von der innern Einrichtung dieser Gesellschaft.

[83]

Die hoben Obern dieser Sekte können, nach der Darstellung des B. J ., in vier Klassen gebracht werden: 1) in die der Klugen; 2) der Listigen; 3) der Starken;*) 12 4) der Guten.

Die oberste, alle anderen regierende Klasse, machen, wie natürlich, die Klugen aus. Diese sind erleuchtete Männer, die eine tiefe Kenntniß der Schwächen der Menschen, und der Triebfedern ihrer Handlungen erlangt, und [84]frühzeitig genug diese Wahrheit eingesehn haben: Klugheit ist besser denn Stärke, indem Stärke zum Theil von Klugheit abhängig, Klugheit von Stärke aber unabhängig ist. Ein Mensch mag so viele Kräfte, und sie in einem solchen hohen Grade besitzen, als er will, so ist doch seine Wirkung immer begränzt. Durch Klugheit aber und eine Art psychologischer Mechanik, oder die Einsicht in den bestmöglichen Gebrauch dieser Kräfte und ihre Dirigirung können sie ins Unendliche verstärkt werden. Sie haben sich daher auf die Kunst gelegt, freie Menschen zu beherrschen, d.h. den Willen und die Kräfte anderer Menschen so zu gebrauchen, daß, indem diese blos ihren eignen Zweck zu befördern glauben, sie in der That den Zweck ihrer Obern mit befördern. Dieses kann durch eine zweckmäßige Verbindung und Ordnung dieser Kräfte erhalten werden, so daß man durch den geringsten Stoß auf dieses Organ, die größte Wirkung hervor zu bringen im Stande ist. Es ist hier kein Betrug, weil, wie vorausgesetzt worden, diese andern selbst dadurch ihren Zweck am besten erreichen.

Die Listigen gebrauchen auch den Willen und die Kräfte anderer zur Erreichung eines Zwecks, da sie aber in Ansehung ihres Zweckes kurzsichtiger oder ungestümer als die vorigen sind, so geschieht es oft, daß sie ihre Zwecke auf dieser Andern Unkosten zu erreichen suchen; ihre Kunst also besteht nicht bloß [85]darin, daß sie die Erreichung ihrer Zwecke (wie die Erstern), sondern daß sie die Nichterreichung der Zwecke der Andern vor denselben sorgfältig verbergen.

Die Starken sind Männer, die durch ihre angeborne oder erworbene moralische Stärke über die Schwäche Anderer herrschen, besonders wenn es eine solche Stärke ist, die man bei andern selten findet, z.B. die Beherrschung der Leidenschaften außer einer einzigen, die sie zum Zweck ihrer Handlungen machen.

Die Guten sind schwache Menschen, deren Erkenntnisse als Willenskräfte sich blos leidend verhalten, und deren Zwecke nicht durchs Beherrschen, sondern durchs Beherrschenlassen erreicht werden.

Die oberste Klasse, nehmlich der Klugen, weil sie alle die Andern übersieht, von ihnen aber nicht übersehn wird, regiert natürlicher Weise alle die Andern. Sie bedient sich der guten Seite der Listigen, und sucht sie von der andern Seite unschädlich zu machen, indem sie diese überlistet, so daß, indem diese zu betriegen glaubt, selbst betrogen wird.

Sie bedient sich ferner der Starken zur Erreichung wichtiger Zwecke, sucht aber, wenn es nöthig ist, durch Entgegensetzung mehrerer, ob schon geringerer, Kräfte, ihnen Einhalt zu thun.

Endlich bedient sie sich der Guten, nicht blos zur unmittelbaren Erreichung ihres Zwecks bei die-[86]sen, sondern auch zur Erreichung ihres Zweckes bei andern, indem sie diese Schwachen den andern, als ein nachahmungswürdiges Muster der Submission empfiehlt, und dadurch die aus der Selbstthätigkeit dieser andern entspringenden Hindernisse aus dem Wege räumt.

Diese höchste Klasse fängt gemeiniglich mit dem Stoizismus an, und endigt mit dem feinen Epikuräismus. Ihre Mitglieder bestehen aus den Frommen von der ersten Art, d.h. aus solchen, die sich eine geraume Zeit der strengsten Ausübung der Religions- und Moralgesetze, und Beherrschung ihrer Begierden und Leidenschaften gewidmet haben; da sie aber nicht, wie jene, den Stoizismus selbst als Zweck, sondern blos als Mittel zum höchsten Zweck des Menschen, nehmlich der Glückseeligkeit, betrachten, so bleiben sie nicht dabei stehn, sondern, nachdem sie davon so viel, als zu diesem Zwecke nöthig ist, in ihre Gewalt bekommen haben, eilen sie zum Zwecke selbst, d.h. zum Genusse der Glückseeligkeit.

Durch ihre Uebung im strengsten Stoizismus ist ihr Gefühl für alle Arten des Vergnügens erhöhet und veredelt worden, anstatt daß es bei den groben Epikuräern immer stumpfer wird. Durch diese Uebung sind sie auch in den Stand gesetzt worden, ein jedes vorkommende Vergnügen so lange zu verschieben, bis sie seinen wahren Werth bestimmt haben, welches bei den groben Epikuräern der Fall nicht ist.

[87]

Die Veranlassung zum Stoizismus kann aber Anfangs blos im Temperamente gelegen haben, und nur durch eine Art von Selbsttäuschung auf Rechnung der Selbstthätigkeit geschoben worden seyn. Diese Eitelkeit hat dann Muth zu wirklichen Unternehmungen dieser Art gemacht, welcher Muth durch den glücklichen Erfolg immer mehr angefeuert worden.

Noch viel weniger ist es von diesen Obern (die keine Männer von Wissenschaften sind) zu vermuthen, daß sie nach bloßer Anleitung der Vernunft auf dies System gerathen wären, vielmehr war wohl bei ihnen die Veranlassung dazu erstlich das Temperament, zweitens Religionsbegriffe, und erst hinterher mochten sie zu einer deutlichen Erkenntniß und Befolgung dieses Systems in seiner Reinheit gelangen.

Diese Sekte war also (in Ansehung des Zwecks und der Mittel) eine Art geheime Gesellschaft, die sich beinahe der Herrschaft der ganzen Nation bemächtigt hätte, wodurch eine der größten Revolutionen in derselben zu erwarten war, hätten nicht die Ausschweifungen einiger ihrer Mitglieder so viele Blößen gezeigt, und ihren Gegnern die Waffen gegen sie in die Hand gegeben.

Einige darunter, die sich als ächte Zyniker zeigen wollten, verletzten alle Gesetze des Wohlstandes, liefen auf öffentlicher Straße nackend herum, verrichteten in Gegenwart anderer ihre natürlichen [88]Bedürfnisse u. dergl. Durch ihr Extemporiren (dem Prinzip der Selbstvernichtung zu Folge) brachten sie in ihren Predigten allerhand närrisches, unverständliches und verworrenes Zeug hervor. Einige wurden dadurch wahnwitzig, so daß sie glaubten in der That nicht mehr zu existiren. Endlich kam noch ihr Stolz und Verachtung gegen andre, die nicht von ihrer Sekte waren, besonders gegen die Rabbiner, dazu, die, obschon sie ihre Mängel hatten, dennoch weit thätiger und brauchbarer waren, als diese unwissenden Müßiggänger.

Man fieng an ihre Schwächen aufzudecken, ihre Zusammenkünfte zu stören, und sie überall zu verfolgen. Dieses wurde vorzüglich durch die Autorität eines berühmten, bei der Judenschaft in großen Ansehn stehenden Rabbiners, Elias aus Wilna, bewerkstelligt; so daß man jetzt kaum einige hin und wieder zerstreute Spuren von dieser Gesellschaft findet.

Nachricht

In diesem Fragmente aus B. J. Lebensgeschichte ist (9. B. 1. St. S. 33.) bei der Erzählung, wie B. J. die lateinische und deutsche Schrift gelernt hat, ein Umstand, der zur Erläuterung dieser Stelle unentbehrlich ist, weggelassen worden, nehmlich dieser, daß B. J. die Nahmen und Ordnung der Buchstaben schon vorher zufälliger Weise erlernt hatte.

Fußnoten:

1: *) So hat ein gewisser Narr, mit Nahmen Chosek, die Stadt Lemberg (auf die er böse war) aushungern wollen; zu welchem Behuf er sich hinter die Mauer legte, um mit seinem Körper die Stadt zu blokiren. Der Ausgang dieser Blokade aber war dieser, daß er beinahe Hungers gestorben wäre, die Stadt aber vom Hunger nichts zu sagen wußte.

2: *) Siehe oben.

3: *) Orach chaiim, der Weg zum Leben.

4: *) Jore deah, Lehrer der Weisheit.

5: *) Hilchoth Eweloth, Gesetze des Trauerns.

6: *) Der Biograph des B. J. glaubt, daß in unsern Zeiten, da über geheime Gesellschaften so viel pro und kontra gesprochen wird, die Geschichte einer besondern geheimen Gesellschaft, worin B. J., obzwar nur eine kurze Zeit, verwickelt war, in seiner Lebensgeschichte nicht übergangen werden dürfe; und in diesem Magazine verdient diese Geschichte in psychologischer Rücksicht vorzüglich eine Stelle.

7: *) Baalschem heißt derjenige, der sich mit der praktischen Kabala, d.h. mit Geisterbeschwörung und Amuletenschreiben abgiebt, wozu die Nahmen Gottes und mancherlei Geister gebraucht werden.

8: *) Da B. J. nie zum Range eines Obern in dieser Gesellschaft gelangt ist, so kann die Darstellung ihres Plans nicht als ein in Erfahrung gebrachtes Faktum, sondern blos als ein durch Reflexion herausgebrachtes Raisonnement betrachtet werden. In wiefern dieses Raisonnement gegründet sey, läßt sich blos aus Analogie nach Regeln der Wahrscheinlichkeit bestimmen.

9: *) Das Sinnreiche dieser Erklärungsart besteht darin, daß im Hebräischen קנ sowohl das Infinitivum von Spielen, als ein musikalisches Instrument bedeuten, und das ב, das demselben vorgesetzt wird, sowohl mit als, als auch mit gleich ausgelegt werden kann. Die hohen Obern, die die Stellen der heiligen Schrift aus dem Zusammenhange herausrissen, indem sie dieselben blos als Vehikel zu ihren Lehren betrachteten, wählten daher diejenige Bedeutung, die ihrem Prinzip von der Selbstvernichtung vor Gott am angemessensten war.

10: *) In Ansehung des letzten Umstandes glaubt er sich noch jetzt nicht schämen zu dürfen, indem er, da er doch gewiß kein Anhänger des christlichen Glaubens ist, dennoch folgende Explikation eines katholischen Theologen von einer Stelle in dem Ezechiel (44, 1 u. 2.) nicht genug bewundern kann, wo es heißt: Und er (der Geist Gottes) führte mich wiederum zu dem Thore des äußern Heiligthums, das nach vornezu gerichtet ist; und dieses war zugeschlossen. Und der Herr sprach zu mir: dies Thor soll zugeschlossen bleiben, und nicht aufgethan werden: und niemand soll darein kommen. Denn der Herr, der Gott Israels kommt hierdurch. Es soll zugeschlossen bleiben.
Diesem Exegesen zufolge soll dieses eine prophetische Allegorie von der M. M. seyn. Man muß gestehn, daß keine sinnreichere Auslegung erdacht werden kann. Man sieht auch hieraus, welchen Einfluß Leidenschaften auf die Erhöhung der Erkenntnißkräfte haben, und wie Schwärmerei witzig macht; jeder Ausdruck ist hier der Sache angemessen; das Thor des äußern Heiligthums, das nach vornezu gerichtet ist, und dieses: war zugeschlossen. Dies Thor soll zugeschlossen bleiben, und niemand soll darein kommen; denn der Herr, der Gott Israels, kömmt hierdurch etc. Vortreflich! Wer erkennt hier nicht die M. M. an ihren Attributen? —

11: *) Ein Zug dieser, wie aller unkultivirten Menschen Verachtung gegen das andere Geschlecht.

12: *) B. J. hat einen von dieser Art kennen gelernt. Dieser war ein junger Mensch von etwa 22 Jahren, von sehr schwacher Leibeskonstitution, hager und blaß von Gesicht. Er reiste in P. als Missionair herum. Dieser Mann hatte in seinem Ansehn so etwas Fürchterliches, Gehorsamgebietendes, daß er dadurch die Menschen ganz despotisch beherrschte. Wo er hinkam, fragte er gleich nach der Einrichtung der Gemeinde, verwarf das, was ihm mißfiel und machte neue Einrichtungen, die aufs pünktlichste befolgt wurden. Die Aeltesten der Gemeinde, mehrentheils alte ehrwürdige Männer, die ihn an Gelehrsamkeit weit übertrafen, zitterten vor seinem Angesicht. Ein großer Gelehrter, der an die Unfehlbarkeit dieser hohen Obern nicht hatte glauben wollen, wurde durch einen drohenden Blick, den jener auf ihn warf, so sehr von Schrecken ergriffen, daß er darauf in ein heftiges Fieber verfiel, woran er auch gestorben ist. Diesen außerordentlichen Muth und Entschlossenheit hat dieser Mann blos durch frühzeitige Uebung im Stoizismus erlangt.

Erläuterungen:

a: Die Pocken (DWb Bd. 2, Sp. 77).

5.

Theanthis und ihr Schweizerphilosoph.

Obereit, Jakob Hermann

Eine psychologische Geschichte.

Die größte Geschichte gebiert sich aus Nichts, sagt ein alter Dichter. So fängt eben meine kommende Geschichte von einem einfältigen Mädchen an, das der klugen Welt wie Nichts ist, das den Nahmen einer Einfältigen doppelt verdient, denn mit Einfalt der physischen Natur in ihrer simpeln Schönheit trieb es auch die Einfalt der moralischen Natur aufs höchste, nahm damit einen von Natur kaltsinnigen armen Philosophen ein, der beiderlei Einfalt im Wahrnehmen, Denken, Handeln zu beobachten gerade geneigt und beflissen, allmählich beide zusammen im Gleichgewicht, das die ganze Welt erhält, nach seiner guten Meinung zur wesentlichen Einfaltsmetaphysik zu befördern dachte, wie ihm diese endlich popularisirt, und allgemeinnützig ein durchgängig praktisch gültiges Einfaltsgesetz der allgemein nothwendigen Beziehung aller Philosophie und Vernunftkritik gab; Jedem seine Behörde: Friedrichs des Großen Symbolum, den Inbegrif aller Weisheit in allgemeiner harmonischer Billigkeit, da diese Billigkeit die lautere Vernunft selbst [89]in aller Höhe, Tiefe, Breite und Länge der anständigen Menschheit wohl seyn soll, die allbefriedigende Convenienz, was bringen sonst alle gute Beobachter, Denker, Vergleicher am Ende aller Menschlichkeit und Toleranz heraus? —

Toleranz bedürfen wir alle, wie der Philosoph meiner Geschichte und seine einfältige Schäferin, die einander nach achtzehnjähriger Herzensbekanntschaft endlich auf einem mit Wolken umgebenen Bergschlosse heiratheten, nach tausend durchdrungnen und überstiegnen Schwierigkeiten, Proben und Gefahren, nachdem er gut das 51ste, sie aber das 42ste Jahr zurückgelegt hatte.

Jacob und Rahel waren nicht so alt, als sie einander um den Preis von vierzehn Dienstjahren zum ganzen frohen Besitzrecht erhielten. Da siehest du schon, liebe Lesegesellschaft von Ost, West, Süd oder Nord! wenn je diese Seltenheit das Glück hat, dir unter Augen zu kommen, daß die Geschichte von Nichts zu einer der größten Merkwürdigkeiten steigt. Da giebts auf einmal einen schönen großen Standpunkt, weit hinter sich und vor sich miteinander zu sehen. Wen siehest du lieber zuerst? das Frauenzimmer geht voran, sagt das Sprüchwort der Mode, und die Schönheit der Natur sieht man auch eher als den Verstand darin, davon, darzu, nicht wahr?

[91]

Unsre einfältige Schäferin war, nach gewissen gemurmelten Nachrichten, ein Kind der Liebe, das erste ihrer Eltern, die ziemlich geschwind heirathen mußten, damit nicht etwan eine frühe Frucht voraus komme. Noch ziemlich glücklich und nicht gar zu frühe kam ein engelschönes Töchterchen ans Licht der Welt, in einer Schäferhütte auf dem Lande, wohin sich die Mutter im Herbst geflüchtet hatte, um nicht zu viel Beobachter umher zu haben. Sie war aus einem vornehmen Hause in der akronischen Insel und Seestadt Tiliane, und hatte eine aus dem dreißigjährigen Kriege gerettete Gräfin von Taxis zur Ahnfrau. Uebrigens war sie, nach Art mancher Vornehmen, sehr nachlässig erzogen, eher verwahrloset, allem Leichtsinn und Eigensinn Preis gegeben, daher sehr natürlich Fälle der Ausschweifung bei frühen Reizungen kommen. Der Gemahl, den sie heirathete, war ein stolz begüterter und wohlgereiseter Posamentirer, lustig für die Langeweile, gar bequem aus Trägheit, stolzem Eigensinn und Wollust zusammengesetzt; das Paar da, es mochte nun so viel zusammen bringen, als es wollte, verstand sich, dem Naturel und seinem Costume nach, ein Bischen zu wenig aufs Haushalten, machte so ein paarmal Bankerott, konnte bald sich kaum selbst mehr erhalten, und so mußte dann das erste Kind, die älteste Tochter, die nun vorsichtig strenger nach Ehre, als die Mutter, erzogen ward, nach ihrem zwölften Jahre schon in die Dienste andrer Vornehmen ge-[92]hen, inzwischen noch drei Kinder, zwei Töchter und ein Knabe, darzu gekommen, die nun kaum mit Noth zu erhalten waren.

Der kümmerliche Zustand währte eine Weile so fort, bis der Philosoph, als Arzt, wegen des kranken Knaben, zu denen Eltern kam, und diese bald in ein neues helles Haus, zu besserer Bequemlichkeit der Arbeit, und ihres kleinen Handels damit, zur Miethe ziehen konnten; da machte er ihnen dann größern Muth zum Fleiß mit dem herzhaften Rath, einen verständigen Gesellen, den sie lange vorher gehabt hatten, aus der nunmehrigen weiten Entfernung ausdrücklich wiederum zu sich zu rufen, einen Menschen, der Geschicke und Munterkeit genug hatte, die vortheilhafteste Aufsicht, Einrichtung und Betreibung der Arbeit und des Handels zu besorgen; das geschahe, und damit konnten auch mehr Arbeiten gefördert und mehr Gesellen dabei unterhalten werden, daß es wie eine kleine Fabrik wurde, da schon außer dem Hause geringern Meistern und andern Armen einige dienliche Arbeit gegeben werden konnte. Dadurch wuchs aber die Haushaltung und deren Verwaltung so sehr an, daß die Frau Hausmutter, die, aus Schuld eitler Erziehung oder Verwahrlosung, in der Küche und einer großen Hausordnung nicht sehr beschlagen war, und zu dem Anwachs des Hauswesens eine eigne Magd noch zu kostbar fand, in tausend Aengsten und Verlegen-[93]heiten gerieth, zumal da ihre jüngeren Töchter, noch zu klein, schwach, wild und flatterhaft, mehr verderben als gut machen konnten.

Die älteste Tochter aber, die Theanthis unsrer Geschichte, war nun in Diensten eines der vornehmsten Häuser in Archabone, einem der kleinsten See- und Handelsstädtchen, das doch in bequemer und schöner Lage auf der Schweizerseite des akronischen Seees verschiedne große Handelshäuser von patricischem Adel aus Schwaben enthielt, die nach Italien, Frankreich und so weiter handelten, auch in Lyon eigne Häuser und Gewerbe hatten.

Eins dieser patricischen Handelshäuser hatte nun Theanthis als Köchin und Kinderwärterin schon viele Jahre bedient, und darin dreien Damen von der edlen Familie aufzuwarten, die da ziemlich gut zusammen lebten, und miteinander das Haus voll Leute regierten.

Es läßt sich sonst kaum einer einzigen delikaten Dame was recht genug machen, geschweige denn dreien zusammen. Theanthis vergnügte durch einfältige Treue, Ordnung, Fertigkeit und Munterkeit alle dreie so sehr durch etliche Jahre, daß sie solche gerne beständig behalten hätten, und ihr alles vertrauen mochten. Wie nun auf dieser Erde nicht leicht ein Gut ist, das nicht ein benachbartes Uebel zum Kreuz darüber hat, so fand sichs auch hier.

[94]

Der junge Herr des Hauses, in voller Blüthe und Vergnügung bei einer schönen, guten, klugen und herzhaften Frau, war doch etwas zu munter und galant, um nicht endlich an der schönen Jugend und Treuherzigkeit der Theanthis, die er anfangs nicht zu achten schien, zu viel Reitze oder Gefallen zu finden, wiewohl sie, was sie ihm aufzuwarten hatte, immer so gerad, kurz und still ehrerbietig fertig machte, als möglich; im letzten Jahre ihres Aufenthalts in dem Hause wurde er oft zudringlicher mit reizenden Reden und versuchten kleinen Karessen; davor hatte sie aber mehr fliehende Furcht und Abscheu als vor Widrigkeiten und Strengigkeiten, die sie in ihrer Eltern Hause schon gut ertragen, und zum Besten still nutzen gelernt hatte, denn sie ließ sich die Widrigkeiten und Nöthe gerade zu Gott treiben und zum Halten des Herzens an Ihm, dem sie alles Gute dankte. Die schlechtesten irrdischen Umstände ließen sie auch fast nichts auf Erden erwarten, und verderbliche Ausschweifungen, wo sie etwan solche sehen mußte, erweckten ihr desto mehr Eckel und Abscheu zum Zurückbeben. Zu bittre klare Früchte davon erschrecken schon.

In letzterm gedachten Jahre fiel es dem jungen Hausherrn ein, oft frühe vor allen andern im Hause aufzustehen und sich Thee machen zu lassen bei seiner Schreiberei. Fand er nun die Köchin noch nicht in der Küche, so war er ganz sonderbar artig, nahm seine Violine, die er gut verstand, und spielte ein [95]Stückchen damit auf, vor der Kammer der Köchin, daß sie hören, aufstehen und ihm aufwarten mußte, welches sie denn auch that, mit aller Fertigkeit, aber sich von seinen vermeinten Reizen sobald zu andern Arbeiten entfernte als sie konnte. Sie bat Gott immer mehr im Herzen, sie doch aus dem Hause von der Gefahr zu erlösen, oder davor zu bewahren und sie in Stille zu stärken, daß sie alle Pflichten ehrlich erfülle, ohne den Hausfrieden zu stören.

Frühe von Kindheit an hatte sie gut Schweigen, Thun und Leiden gelernt, sich an der heiligen Schrift und so einfältig kernhaften Schriften, vom Leben mit Gott oder Christo in stillem Geist, sehr frühe erbaut und zu halten am besten gefunden, wie Thomas von Kempis und seines gleichen waren.

Drei Jahre vor ihrem Ausgang aus diesem Hause befand sie sich einst in einem erstaunlichen Gewitter, das allen schrecklich schien, als käme der jüngste Tag. Man schien sich vor Erdbeben, Donner und Blitzschlägen fast nirgends sicher. Da war Theanthis so entschlossen, nahm ihr Wartekind auf den Arm, lief damit in den Garten des Hauses, dachte dabei: Wenn ichs gleich nicht werth bin, so mag mich doch Gott um des unschuldigen Kindes Willen erhalten, verschonen! Aber unter freiem Himmel, in ganzer Angesicht schrecklichen Gewitters von allen Seiten, übergab sie sich dem Allmächtigen auf Gnade und Ungnade, opferte sich ihm unumschränkt zu allem Möglichen auf, allen sei-[96]nem Willen ewig zu ganzer Aufopferung ergeben zu seyn, wenn sie auch verzehrt würde wie ein Brandopfer, und nach der Aufopferung war und blieb sie ganz ruhig mit dem Kinde unter allen Schrecken der Natur umher.

Von da an war ihr der höchste Richter voll Größe, Heiligkeit und Güte klar gegenwärtig, wie ein Muster der Vollkommenheit über alles, und jemehr er ihr majestätisch rein über allen Begrif vorkam, desto liebenswürdiger und lieber ward er ihr, nicht mehr erschrecklich, im Gegentheil, wenn wieder ein Gewitter kam, so war sie nun voller Freuden, die Größe, Allmacht, Herrlichkeit und Güte Gottes darin zu bewundern, anzubeten, zu lieben, sogar, daß sie sich um der Freude Willen in die größte Einsamkeit von allen Menschen dann entfernen mußte, um sie nicht in Unschuld zu ärgern.

Auf ihren zuweilen erlaubten einsamen Spatziergängen sahe sie die Größe und Güte Gottes an aller Schöpfung bis zum Entzücken, und im Gewissen ersahe sie seine Heiligkeit als die verehrungs- und befolgungswürdigste Vollkommenheit, und so ward ihr die dreifache Vorstellung der Größe, Heiligkeit und Güte des einigen Höchsten die drei Jahre lang, und weiter, die kräftigste und durchdringendste zu allem Rechten, Ewigen, Wahren und Guten. Der junge Herr Hauspatron wußte und merkte nicht, daß ein Stärkerer über alles, auch in ewigen Reizen, [97]ihr Herz schon mächtig eingenommen hatte, sonst hätte er sich vergebliche Mühe und Scham erspart.

Inzwischen sie oft nach Erlösung von Gefahr in diesem Hause seufzte, so seufzte ihre Mutter zu Hause jenseit des Sees nach ihr, und hatte doch gar nicht das Herz, sie aus dem vornehmen, reichen und einträglichen Hause selbst zurück zu verlangen. Denn Nöthe aus langen Unbesonnenheiten machen ganz verlegen, wie sinnlos. Da machte ihr der Philosoph, der sowohl als Arzt als aus Vetterschaft Freund des Hauses war, wiederum ganz frischen Muth, ihr vorstellend, daß ohne eine solche Person, wie die älteste Tochter, die in den vornehmsten Häusern große und weitläuftige Haushaltung fertig und gut gelernt, all ihr jetziges Hauswesen wiederum den Krebsgang und bald zu Grunde gehen würde, zumal da sie, die Hausmutter, öfters unpäßlich und ohnedem schwächlich sey von vielerlei Empfindlichkeiten, wodurch vieles in Unordnung komme und in Ruin gerathe, es sey daher die Hülfe der ersten Tochter nicht nur jetzt absolut nothwendig, sondern auch durch vernünftige Vorstellung und Bitte von der vornehmen Herrschaft richtig und wohl zu erhalten. Er gab dann an, wie die nothwendige Vorstellung an die Herrschaft füglich in einem Schreiben zu verfassen sey, und an die Tochter könne sie schreiben, wie es ihr Herz verlange. Gesagt, gethan; es gieng.

[98]

Theanthis kam bald glücklich aus dem lang bedienten großen Hause in ihre Heimath zurücke, zu allseitiger Zufriedenheit. Da war sie nun ganz eifrig in ordentlicher Beobachtung der ganzen Haushaltung, und besonders in braver Besorgung der Küche, deren Mühe sie der Mutter abnahm, und diese konnte nun mehr den Erfordernissen der Posamentfabrik, einigen simpeln Vorarbeiten dazu, und dem Handel damit abwarten und helfen, wozu sie geschickter war als zum Haushalten, daher hatte sie denn nun mehreres Vergnügen in ihrer füglich verbesserten Lage, auch mehr muntre Gesundheit zu genießen. Theanthis setzte nun frisch und frei ihren Lauf fort in hurtiger, fertiger und ordentlicher Arbeit, in Besorgung des Hauses und der jüngern Geschwister zu ihrer bessern Ordnung. Vom frühen Morgen an versah sie alles bis tief in die Nacht, da sie oft bis um eilf und zwölf Uhr des Nachts zu schaffen hatte, doch richtete sie alles immer fertiger unter dem Posamentirgetümmel so gut ein, daß sie endlich manchmal um zehn Uhr Nachts nach allen andern ruhig zu Bette gehen konnte.

Neben ihrer Arbeit, und all dem rauschenden Getümmel der andern, fieng sie nun einen neuen Lauf im Geist an, von dem vorigen weit verschieden. Bisher hatte sie in der kleinen und kargen Zeit, die ihr zu einsamer Andacht übrig war, wiewohl ihr einfache stille Arbeit auch zur Herzensandacht diente, sich discursiver Beobachtungen bedient, frommer [99]Betrachtungen und damit affectiver Gebetsarten, sich zu allem Guten, zu ewigem Rechten und Wahren zu gewöhnen, zu ermuntern, zu stärken, auszubreiten, mit Denken an Gott und ihre Pflichten, sich so gut, so genau und so eifrig zu unterhalten, als sie konnte.

Allein die gleich anfänglich nach ihrer Heimkunft sehr überhäuften Arbeiten und Besorgnisse in ihrer Eltern Hause machten ihr das discursive Denken und Betrachten zur Zeit ihrer kleinen Andacht beschwerlich. Das Denken häufig neuer Geschäfte erforderte und brachte schon zu viel Anstrengung. Des Nachts wurde die Ermüdung zu groß, ihr lebhafter Eifer im Denken und Betrachten, im discursiven Anwenden und Affektioniren der Gründe, Mittel und Zwecke der Religion erschöpfte sich, obgleich ihr Herz immer mehr davon eingenommen, und Religion gleichsam ihr Leben wurde, mitten unter aller mühseligen Erfüllung ihrer Pflichten und Zerstreuung vom Getümmel des Hauses, das Ohren und Augen ermüdete.

Ihr Eifer in Uebernahme aller Mühseligkeiten war so groß, daß, wenn sie ihr gleich viel Leiden und Geduld nöthig machten, sie doch wünschte noch mehr aufnehmen und leiden zu können. Ja ihr Herz brannte im Aufopferungseifer für ihr ganzes Haus, gleichsam von Hunger und Durst nach Lasttragen und Leiden; daher sie auch allen andern manche Ar-[100]beit abnahm, wenn und wo sie nur mit der ihrigen fertig war.

Dagegen nahm die denkende Geschäftigkeit ihres Geistes in der stillen Andachtszeit ab, und ersank nach Erfüllung ihrer Pflichten und Angelegenheiten in Ruhe der Seele. Darin ward ihr nun Gott so unendlich erhaben, daß ihre ganze Seele im Stillschweigen vor ihm versank, und nur im Vertrauen auf den Unumschränkten ruhte. In der Ruhe verwandelte ihre Denkgeschäftigkeit sich nach und nach in blos allgemeine Aufmerksamkeit der Seele auf ihren allgenugsamen, allguten Gott und Herrn, mit allgemeiner Herzensneigung zu ihm und zum einfältigen Befolgen desselben, im eifrigen Dienst des Nächsten sein Opfer zu seyn. An dieser innern Betragensart fand sie allmählich, daß sie Genüge hatte, und bekam zugleich damit eine allgemeine und gar einfache Aufmerksamkeit auf ihre ganze Seele und ihren ganzen Wandel mit Gott von innen, als wenn nichts als der Einige, Allgenugsame und ihre einfache Seele in der Welt wäre, mit allgemeiner Beobachtung alles zu thun dienlichen und möglichen von außen um Gottes willen.

So gieng ihre einfältige Seele nach und nach geradezu in allgemeinste reine Gesinnung, gleichsam in eine metaphysisch praktische Allgemeinheit und Einfachheit über, wie eine reale praktische Monade in bloßer reiner Grundlage zum allgemeinen Besten, und wurde damit der allgemeinsten und simpelsten [101]praktischen Religionsphilosophie empfänglich. Die besteht ganz einfältig in geradem Rechtthun, und damit alles an Gott überlassen, ihm folgen im guten Thun und Leiden, und darin mit Ruhe der Seele, des Vertrauens auf Gott und sein Ebenbild, ins Unendliche fortgehen. Alles geht stufenweise zur Einfalt der ewigen Natur, und sprungweise kanns und solls nicht.

Bei diesem stillen und sanften Geistesübergang in allgemeine Einfachheit, wurde sie eine Herzensvertraute unsers anfangs gedachten Schweizer-Philosophen, den wir Arcas nennen, als ganzen Freund der Arkadischen Natureinfalt. Sie eröfnete ihm gelegentlich alle ihre Herzens- und Geistesbeschaffenheit, ihrer Angelegenheit gemäß, so viel sie davon wie stammelnd ausdrücken konnte, weil sie keine metaphysisch abstrakte Sprache gelernt hatte, und er verstand sie ganz und gab ihr simpeln Beifall, wo sie den rechten Weg traf, nach seiner Einsicht, zu allgemeiner Billigkeit der Achtung für Gott und den Nächsten, und schnitt nur im Rathen allmählich ab, was überflüssig von zu großem Eifer des Naturels schiene, um ihr Wesen in mehr Gleichgewicht und damit in guten Bestand und ebenmäßigen Fortgang zu bringen, zumal aller Bestand, der Beharrungsstand aller Dinge, geistig und physisch (nach des simpeln Naturäquators, des grundverständigen Schweizers Lamberts Philosophie, wie nach aller Welt Erfahrung, deren Grund auch Herders Gott [102]mit seiner herrlichen Nemesis lehrt), vom Gleichgewicht und Ebenmaaß der Kräfte, Erfordernissen und Füglichkeiten abhängt, vom richtig begränzenden Gleichgewichte des Grundes, Mittels und Zwecks, darin alles Wesen der Dinge und ihr grades Vollkommenheitsmaaß selbst besteht, so weit es in Anlagen und stets ebenmäßigem Wirken der Natur zu sehen, zu beobachten ist, wie Newtons Himmelssystem schon gezeigt hat.

Eine Anlage zu der Gleichgewichtsphilosophie hatte unser Schweizer-Philosoph von seinem guten Vater, der außer der Ordnung seiner Pflichten, worin er pünktlich lebte, für alles übrige der Welt die größte Gleichgültigkeit hatte. Er war aber Rentamtsverwalter in Tiliane, und hatte in jüngern Jahren, der Patricischen Kaufmannschaft in Lyon und Archabone zu getreuer Buchhalterei gedient; am letztern kleinen Orte zeugte er auch seinen erstgebohrnen Sohn, unsern Schweizer-Philosophen Arcas, in einer ausnehmend guten und glücklichen Ehe, mit einer in besten Kreuzproben bewährten redlichen Landsmännin, die zwar kolerisches Feuer, aber zugleich scharfen Verstand, große Bedenklichkeit und Religion in Geistesfreyheit mit äußerster Ordnungs- und Reinlichkeitsliebe sowohl als Geschicklichkeit hatte, zu allem Dienlichen; also für einen Mann von großer Gleichgültigkeit außer seiner Pflicht, die beste Frau war.

Der erste Sohn nun, unser Arcas, hatte die Gleichgültigkeit seines Vaters für alles Aeußere der [103]Welt geerbt, die ihn zum sehr neutralen Beobachter in freiem Geist machen konnte, und von der Mutter das Feuer zum Denken, das er ganz zum Studieren und Beobachten alles ihm möglichen anwandte; denn schon im neunten Jahre fieng er von selbst an, das Lernen und Studieren mit Auszugmachen aus Büchern, des Tages bis in die Nacht um zwölf oder ein Uhr fortzusetzen, und im Sommer des Morgens um drei oder vier Uhr wieder anzufangen, ohne Schaden davon zu erfahren; denn im Herbst, Winter und Frühling ließ er sich mehr Zeit zur Ruhe, und nach der ersten Hitze eines Sommers studierte er viele Jahre mit mehr Maaße und Beobachtung seiner selbst, ohne andre Anführung als ein Gefühl seiner Stirne, das ihn bemerken ließ, wenn er sich etwan zu sehr anstrengte, und die Stirne gespannt fand: da ließ er denn augenblicklich eine Minute oder mehr nach, um dann frisch wieder fortzufahren. Mit solchen kleinen Unterbrechungen geschah es, daß er gar wohl ganze Monate und Jahre seinen Studierfleiß fortsetzen mochte, munter gleichsam ganze Bibliotheken zu verschlingen, und besonders zusammenhängende historische, poetische oder philosophische Werke in einem fort bis zu Ende zu bringen, um ihren Geist ganz zu fassen, allgemeine Uebersichten zu erhalten zu Generalbegriffen, nachdem er die Bibliothek seines Vaters zuerst durchsehen, die meist theologisch, welthistorisch und medicinisch war; theologisch und historisch [104]von der Liebhaberei seines Vaters, der von frühester Jugend her gern Theologie für sich selber studierte, und medicinisch-physisch von einem seligen Bruder seines Vaters her, der Medicin und Chirurgie studiert hatte, und jung verschieden war.

Der Vater hatte einen stillen und unpartheiisch gründlichen Forschgeist, und da er bei seinem Latein, Französisch und Italiänisch, nur Kaufmännisch gelehrt war, in Debet und Credit, nach Art der Buchhalterei, so richtete er auch sein theologisches Studieren für sich selber so buchhalterisch ein, setzte in Auszügen aller Theologie, die er sich machte, Gründe und Gegengründe auf zwei Folioseiten gegen einander über, wie Debet und Credit, und da er auch die ganze polemische Theologie sich bekannt machte, so setzte er alle sogenannte Ketzereien auf die eine Seite, und die Gegengründe auf die andre. Damit erwarb er sich eine tabellarische Uebersicht, und oft auch nach seinem Grundforschungs-Geschmack für Abstammungen, gleichsam Genealogie von allem Pro und Contra, und dadurch die reichste ordentliche Bequemlichkeit zu unpartheiischen Grundbetrachtungen des Reichs von dem Ewigen, der da ist, dessen biblisch patriarchalischer Grundbegrif ihm allgenugsames reines Liebeswesen, Licht und Leben war.

Diese Ideen führten ihn endlich einmal über und wider sein Vermuthen in biblisch theologische [105]Einsicht der Wiederbringung aller Dinge zum ersten kindlichen Ebenbild Gottes. An dieser dem Vater neuen und alldurchdringenden Einsicht zur hellsten Erklärung der ganzen göttlich väterlichen Haushaltung des Ewigen, nahm nebst der Mutter auch ihrer beider, damals zwölfjähriger Sohn Arcas auf seine Art Theil. Dieser, der bis dahin alles historisch studiert hatte, auch die ganze Kirchen- und Ketzerhistorie, und Litterargeschichte der Kirchenväter, nebst den ersten apostolischen selbst, fieng bei dem neuen Licht an zu philosophiren, vom Ende aller Dinge zu ihrem Anfangsgrunde zurück zu gehen, da nehmlich am Ende aller Dinge Gott alles in allem seyn soll, so schloß er rückwärts, so muß es im Anfang gewesen seyn, da natürlich klar aus Gott selbst, dem reinen Allgrunde, zuerst alles vollkommen rein kam, alles voll lautrer göttlicher und im Grunde verborgner Ursprungs- Musters- und Zielsherrlichkeit. Und so gebahr die theologische Allzurechtbringungslehre des Vaters einen jungen philosophischen Pantheisten.

[106]

6.

Obereits Widerruf für Kant.

Obereit, Jakob Hermann

Ein psychologischer Kreislauf.*) 1

Suum Cuique. Deo a priori.

Me regat Aequa Fides! Recto Vobisque Quirites,

Res fortunatem, feliciter ac bene vortat!

Quintus Ennius.

Et redit ad Dominum, quod fuit ante suum.

Eleg.

Doktor Obereit, Philosoph beim Cabinet seiner Durchlaucht des Herzogs von Meiningen, erklärt hiemit allen und jeden, denen es zu wissen dienlich und ersprießlich seyn mag, aus bloß eigener Ueber-[107]zeugung und Bewegung, niemanden sonst zu lieb noch zu leid, als ein freier Schweizer, nur zu unpartheiisch gemeinnützigster Beförderung und Bestätigung des Besten einer gesunden Philosophie: Daß er bei der Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und Wichtigkeit des Alters, in Kürze der Zeit und des Raums, so viel füglich Gemeinnütziges als möglich auf den wichtigsten Denkpunkt zusammen zu bringen gedacht, da er eine völlige und die größte Revolution seiner Denkart für das Reich der Philosophie erfahren, die unzähligen merkwürdig und edlen Geistern frei redlicher Großmuth am nutzbarsten auf immer seyn könnte. Hievon meldet er nun gradaus, daß er, nach fünfjähriger Abwesenheit von Jena, sich wiederum dahin verfügend, um die philosophische Revolution da selber von Grund aus zu beobachten, zuerst die neue Theorie des Vorstellungsvermögens von Reinhold, dann seine Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, darin die Grundlegung der neuen Elementarphilosophie, mit allem Fleiß eingesehen, welche beide Werke ihm von dem edelmüthigen Herrn Adjunkt Schmid sogleich mitgetheilt worden, dessen Moralphilosophie, wegen ihres Werths über alle, sich Obereit schon in Meiningen angeschaft hatte: ferner, daß er endlich Reinholds Schrift über das Fundament des philosophischen Wissens, a von ihm selbst aus der Presse gütigst mitgetheilt, mit ganz freiem Gemüthe gelesen, den Gang des Autors in [108]allem Vortrag, Schritt vor Schritt, beobachtet, alle neuen Unterscheidungen und Entwickelungen genau bemerkt, den natürlichen Zusammenhang durchaus richtig gefunden,*) 2und wo er Bedenklichkeiten [109]fand, dieselben dem Autor selbst frei eröfnet, der sie auf der Stelle mündlich klar und gut gehoben, und damit allen Nebel zerstreuet hat.

Vornehmlich hat besagten Obereit, in den Reinholdischen Beiträgen, das erklärte Verhältniß der Theorie des Vorstellungsvermögens zur Kritik der reinen Vernunft vollkommen überzeugt, daß er, Obereit, die Kritik der reinen Vernunft c von Kant [110]lange vorher und bis dahin sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus natürlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter Sinneseröfnung gekommen. Genetisch auf seine eigene Art, wie sich an Kants Platz, hatt' er ihn verstanden.

Obereit hatte zwar schon im September vorigen Jahrs, nachdem er die neue Kritik der Urtheilskraft d von Kant mit größter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm eine Kapitalsache über die Spekulation gewonnen gegeben. Beim höchsten Gegenstande und Interesse nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden grundscharfen Entdeckung, der Unzulänglichkeit aller Beweisversuche für das Daseyn Gottes außer dem Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen Beweise dafür aus Ueberzeugung auf, so äußerst eingenommen er sonst für sie war, denn er erkannte nun die bestmöglichen Spekulativen selbst, als aus moralischer Sinnesart abstammend;*) 3 da er die Gewohnheit hat, nicht [111]halb, sondern ganz auszudenken, und zusammen zu nehmen, was zusammen gehört, so schlug er sich, der neuen Grundeinsicht zufolge, nun ganz auf die Seite der praktischen Vernunftkritik, die er immer vorher für das Beste von Kant gehalten, grad zuerst so; hiemit erst das Jahr 1788, für das volle Neulicht, 101 Jahr nach der ersten bekannten Erscheinung von Newtons Principien.

Eben in diesem Jahre erschien auch eine rein populäre und Nazarenisch weise Grundlegung zur Metaphisik der Sitten von Mutschelle: Ueber das sittlich Gute. Nun aber fand sich noch mehr bei genauerer Betrachtung des höchsten praktischen Vernunftprinzips, dasselbe fand sich nun auch für alle Spekulation, für alle Selbstthätigkeit im Denken als allgemein gerecht, gesetzgebend, hiemit gemeinnützig für sich zum höchsten Grundgesetz aller Philosophie, eben zur absoluten Convenienz aller, aller Vernunft durchaus zu erheben, worin er nun [112]alles in allem begrif, wie in der höchsten Rechtsregel: Suum cuique! die schon im Kantischen Satz des Widerspruchs: Keinem Ding kommt was Widersprechendes zu, am weitesten begriffen ist, realer im Sellischen: Das Daseyn, und was zum Daseyn gehört, kann unmöglich nicht da seyn.*) 4

So stimmte ihn Kants Kritik der Urtheilskraft zuerst ganz und gar zum pragmatischen Beobachter, auch alles Spekulativen, überall um. Denn auf Selbstdenken allein, oder blos Spekuliren, hält er außer dem Nothwendigen eben nicht viel, aber auf Selbstbeobachten, bis auf den Grund, unendlich viel.*) 5 Das war eine ganze Revolu-[113]tion. Da giengs recht nach des alten seeligen Johann Jacob Mosers Verschen:

Nachdem das Herz den Kopf gelehrt,

Hat dieser sich ganz umgekehrt,

Auch in den Grundideen.*) 6

Das ist auch wohl die allerälteste Gelehrsamkeit der Menschenkinder, bei schiefem Herzen die schlimmsten werdend, bei gradem reinem die besten [114]und himmlischen, welche Grundlage zum Bauen darauf das Licht der Welt von Nazareth auch am besten verstand, und zeigte bis auf diesen Tag. Dabei gedachte er auch zu bleiben, zu leben und zu sterben, und keine Spekulation noch spekulative Kritik mehr zu achten,*) 7 außer dem praktischen höchsten Vernunftgesetz, und ihm gemäß, je genauer je besser. So beurtheilte er nun alles rückwärts, alles Spekulative nach dem höchsten Praktischen.*) 8

Der Reinholdische Grundsatz des Bewußtseyns, nun, der ihm ganz unschuldig vorkam, als Fundament einer neuen universalen Elementarphilosophie, konnte ihn endlich durch den deutschen Merkur am dringendsten erwecken, von neuem einmal ein philosophisches Elementarstudium anzufangen. Sein Alter machte ihn nur etwa um ein Jahr jünger als den großen Kant, ließ ihn doch auf platonischem Popularitätsgeschmack, den er am Hof erhalten, am Herzen und Kopf frei, munter, heiter und aufgeräumt, so schwer beladen auch nur sein Styl seyn mag (nur nicht so kerngut als Hallers und Persii Satyren, Pindar und Epiktet, seine frühen Lieblinge), nachdem er über ein halb Jahrhundert die [115]Philosophie aller Zeiten und Nationen, soweit möglich, auch die sonst in der Welt ungeachtete, dunkelste, tiefsinnigste, paradoxeste, allgemein gleichgesinnt, neutral und frei durchgangen hatte, jede nur in Prinzipien und besten Quellen ihrer Art, nach ihrer Geistesmanier wie ein Schauspieler seine Rollen,

Nullius addictus jurare in verba magistri,

Multa tulit fecitque puer, sudavit & alsit.

Auch als später Autor, schon in der Geburt veraltet, wollte er weder herrschen noch kriechen, nur in Mitte Freiheit zum Unendlichen. Denn ehe ein Philosoph de Sanssouci seyn kann, muß erst der Philosoph de Grandsouci in aller Länge, Tiefe, Breite, Höhe da seyn. Nunmehr findet er am besten, Reinholds natürlich simpel genetische Theorie und Elemantarphilosophie mit Kants allgemein praktischem Vernunftgesetz zu vereinigen, und in Absicht der ersten spekulativen Vernunftkritik von Kant widerruft er hiemit förmlich laut überall alle Urtheile über sie, die er, seit 1787 von der verzweifelten Metaphisik e an, bis in dieses laufende Jahr seines Schattenfechtens, in öffentlichen kleinen Schriften, die zum Glücke keinen Anhang keinen Bruit zu machen taugten noch bestimmt waren, sich hat entfallen lassen als voreilig, vorschüssig, sagen die Schweizer, null und nichtig. — So lange und so weit einer in seiner eigenen [116]Sphäre seines eigenen guten Sinnes bleibt, den er am meisten im Leben beobachtet und angebaut hat, so mag er wenigstens sich selber verstehen und Grund für sich haben, auch alles Fügliche dazu, aus allem schon gemeinnützig Vorhandenen, in der ganzen weiten Welt darzu nehmen, brauchen und sich dienen lassen, so baut er seine Sache an, so gut er immer kann, mit aller Welt in Frieden; aber auf fremdem Gebiet jagend, was und wo seine Sache nicht ist, wird er vogelfrei. Was ist absolute Vernunft in allem Spekulativen und Praktischen, als absolute Billigkeit? Gebt und laßt Gotte was Gottes ist, und jedem Dinge gehörig das seine. Suum Cuique! Ad unum Absolute Aequum omnia.

Obereit bekennt hiemit öffentlich, daß Kants Kritik der reinen Vernunft in rechtem Verstande, nach Reinholdischer Entwickelung, genau richtig und ohne Irrthum sey, und läßt ihr hiemit alle übrigen bekannten und schätzbarsten Vorzüge, vor allen die große Zweckbemerkung, daß die Natur das ganze spekulative Vermögen zum Behuf und zur Gründung des moralischen hauptsächlich eingerichtet habe, welche erhabene Bemerkung zugleich die Bestimmung der Vernunftgrenzen in sich faßt. Nur das einige kann er nicht gestehen und finden, daß sie ohne allen Mangel a priori sey; hievon zeugt selbst die Mangelersetzung, der unerklärten Voraussetzungen, durch die Reinholdische Theorie des [117]Vorstellungsvermögens; Non omnia possumus omnes!*) 9

Obereit war ein schwacher, im Alter vor allem, der erst durch eine akkommodirende Vorstellungs- oder Entwickelungsart, wie die Reinholdische für ihn war, zu rechter Einsicht vom voraus kritischen Kant gelangen konnte. Daraus lernen wir alle, sammt und sonders, daß neuer Wein oder gar Weingeist eines starken reinen, hohen tiefen Geistes, in alte Schläuche nicht taugt, daß also die Schläuche, [118]wenn sie ja neu zu füllen wären, erst durch simpel Wasser oder Feuer, Luft und Sonne gereinigt, wie Tabula rasa werden müssen, daß nehmlich zu ganz reinem Fassen, reinem Kritisiren, reinem Theorisiren eben so viel absolut frei resolute, lautre, ganze, stätige Selbstverleugnung, ja Selbstvergessung gehört, als zu reinem Praktiziren eines reinen Willens. Augen, Ohren, Herzen, Edle, wo es noch giebt, merkt auf! Nicht umsonst zeigte Diotima, des Sokrates wahre Liebeslehrerin, daß diejenige Liebe, die zwischen Himmel und Erde Gemeinschaft stiftet, eigentlich Philosoph sey, Dolmetschergeist des Himmels für die Erde, der Erde für den Himmel, wie nach unserer weitern Aussicht, Vorsteller des Urquells aller Kräfte, Gesetze und Formen für die Natur, und so, der Grundharmonie aller ursprünglichen Spontaneität und Receptivität zu ihrer Wechselwirkung, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, alles aus Einem Prinzip und zu dem Einen zurück durch harmonische Temperatur in allen Wirkungssphären der ewigen reinen Liebe.

Was ist nun Philosophiren? In einzig würdigem Sinn ists lauterlich lieben, die reine, die wesentliche Harmonie, die da Wahrheit heißt, in lautrer Liebe ihr ganz sich selbst aufopfern. Höchste Wahrheit, sey sie theoretisch oder praktisch, ist an sich absolute Convenienz, ewig ganzes, lautres Gegentheil des absoluten Widerspruchs an sich. Die Ewige ists werth. Unendlich ist ihre Klarheit, ihre [119]Schönheit, ihre Fruchtbarkeit, unüberwindlich ihre Stärke. Sie selbst die pur lautre All-Einheit des ewigen Rechts und unveränderlichen Guts aller Zeiten und Völker, aller Wesen, aller Himmel im Geiste der Unsterblichkeit!

Obereit gab sich, unter und nach tausend Zerstreuungen seiner Lage, sein Schattenleben lang hienieden, mit Vergleichung aller Prinzipien aller Philosophen ab, zu sehen, wo Defekt, wo Exceß, wo Gleichgewicht zwischen beiden in Mitte zu treffen, wo eins dem andern aushelfen kann, was zusammen füglich, was trennbar, wo das Band von allen, wo der Scheidepunkt, wie alles gehörig unterschieden, doch in Einem zu begreifen, diakritisch-synthetisch zugleich ist. Er hatte insgemein, da er fast überall wechselseitige Gebrechen fand, den Sinn des großen Bacons von Verulam (dem der alte simple Schweizer mehr Maximen für Wahrheit zu danken findet, in seinem kleinsten Theile, als allen andern berühmten Weltgelehrten von jeher) vor Augen: Tum autem homines Vires suas noscent, cum non eadem infiniti, sed NB! omissa alii tractabunt. Wenn nicht alle einerlei, jeder was von andern Vorbeigelassenes beobachtet, dann wird wechselseitigen Bedürfnissen begegnet. Er sahe, daß durch bloßes gehöriges oder fügliches Suppliren, wo es möglich, all den größten nothwendigen Uebeln in der Welt, ohne andre Korrektur, ohne Streit, könnte abgeholfen werden, wenn [] die Menschen einmal beliebten, die Mode anzunehmen, auf den Grund zu sehen, wo es fehlt, wie von Grund aus zu begegnen. Und wenn dieses gradezu zu schwer, dann nur auf den Zweck zu sehen, den man eher findet, was der für einen Grund, für ein Hauptmittel, für ein Gewicht oder Maaß und Fügen von beiden erfordere, um dem Zwecke gleich zu kommen, so alles durch Gleichung zu finden, da in Grund, Mittel und Zweck, und ihrer Angemessenheit für einander alles besteht. Und ist nicht gründlich zweckmäßig Suppliren alles in allem, was der Welt fehlt und noth thut?

Was aber nun durch absoluten Realismus a priori, auf genetische, ganz andre Manier als Spinoza, Obereits Beobachtungsgeist vor Zeiten für erhebliche Grundmängel a priori an der Kritik der reinen Vernunft zu finden und sogleich a priori zu ersetzen Sinn hatte (nun freilich einem Klügern als Obereit, eher und anders am Ende als am Anfange denkbar), siehe das steht in dem Aufklärungsversuch der Optik des ewigen Naturlichts, Berlin, bey Decker 1788. f Es war schon drei Jahr vorher in einem Prospekt des Friedenstempels aufgesetzt. Da muß aber der Kontext so grobe Druckfehler verbessern, daß der umgekehrte Verstand wieder aufrecht zu stehen kommt, wiewohl dieses Jahrhundert den ganzen stufenartig freien Geistesprospekt da bis ins Innerste, eher für einen ganzen Druckfehler ansehen, etwa zu Methusalems oder Melchisedeks [121]Welt aufs wenigste verbannen möchte, nach Belieben.

Obereit war doch weder Supernaturalist, ob er gleich Lavaters Freund war, noch materialer, blos physisch-mechanischer oder cosmologischer Naturalist, noch dogmatischer Theist à la Mode, noch dogmatischer Skeptiker, für sich selbst war er ein versuchend kritischer an allen Systemen, auch an seinem eigenen, wenn und so weit er eins hatte, da er immer von neuem bis nun mit Vergleichung aller alten und neuen Principien zu lernen anfieng, aber am liebsten in größter Einfalt fieng er an vom simpelsten aller Wesen, dem Ewigen von selbst, dem wesentlich unendlich Freien, in sich selbst allein Allgenugsamen, damit fand er einen absolut universalen Moral-Naturalismus über allen physisch-cosmologischen, insgemein fatalistischen, und über allen scholastisch blinden Supernaturalismus, der außer dem buchstäblichen Anhangen an Ton und Schein keinen Grund hat, als selbst in der Blindheit am moralischen oder naturalischen Vollkommenheitsgesetz, das selbst natürlich, gradruales und höchstes Bedingungsgesetz der Theilnehmung an des lautern Vollkommenheitswesens, an des selbstständigen Allgutgesetzes Gemeinschaft ist; wie man denn den durchgängig so klar grundfesten Moral-Naturalismus über alles ganz fertig formirt sehen kann in Gamaliels Spatziergängen, über Berlinische Wunderbetrachtungen 1780, bei Perrenon. g Wie auch [122]schon im ursprünglichen Geister- und Körperzusammenhang nach Newtonischem Geist, Augsburg bei Lotter 1776, so nur in einem Paar Bogen besteht. h

In höchst moralischem Verstande leuchtete ihm am höchsten über alles systematisch ein: Des Apostels Pauli Dreiklang von Gott: von Ihm, durch Ihn, und zu Ihm sind alle Dinge. Also von Ihm, als höchstfreiwirksamem Urgrunde, durch Ihn, als höchstfreithätigen Urmittel, zu Ihm, als höchstfreierfüllendem Urzweck. Freikraft ist dem Ursprung gebender Urgrund, Freithätigkeit das bestimmende Urmittel, Freierfüllung der vollendende Urzweck, das ist natürlich in gutem Begrif. Von sich absolute Selbstkraft, absolute Selbstthätigkeit, absolute Selbsterfüllung ist sich selbst absolut genugsam, von, durch, für sich selbst schon Urgrund, Urmittel, Urzweck, und ins Unendliche fort für alles von ihm Mögliche, als unumschränktes Allgut mittheilbar, nach jeden Dinges Fähigkeit und ewig billigen Mittheilungsbedingungen, da ewige Wesensgesetze immer gleich gut für alle sind, Gesetze der Vollkommenheit ins Unendliche fort.

So ist alles Abhängliche Original-Receptiv des Grundbestandes vom allkräftigen Urgrunde, der Bestimmung oder Einrichtung vom Urmittel, der Erfüllung, Vollendung, Befriedigung vom Urzweck. So ist alles fundamental dreiharmonisch in Grund, Mittel, und Zweck verfaßt, die einander gleich füglich sind, und unzertrennlich in Grundkraft, Mittel-[123]kraft und Zielkraft, in Gleichgewicht und Ebenmaß, zum Bestand und zur Schönheit, und hiemit zur anständig und ebenmäßig wirksamen Fruchtbarkeit, alles von, durch, zu Einem Originaldreiklang der höchsten harmonievollen Freiheit, der allgleich beruhigenden Allgenugsamkeit, für alle Subjektivität, Objektivität und Finalität von beiden, für alle Spontanität, Receptivität und Reaktivität in beide zur Erfüllung aller dreien in einem Dreiklange. Sowohl in der ganzen moralischen als in der ganzen physischen Welt herrscht die dreifache Beziehung, und da die physische mit der moralischen verbunden und dieser untergeben ist, zur moralischen Regierung, so ist die physische Welt nicht blos abgesonderte Maschine, nicht für sich allein da, sondern für die moralische, hiemit der ganzen moralischen Welt Organon, alles Physische hat moralische Zeichenbeziehung, so ist die ganze Welt, als moral-physisch, ein moralisch, aktives, passives und reaktiv moralisch bezeichnendes Ganze. Denn auch stumme Bezeichnung redet zum Moralwesen, wie mit der ganzen Natur ein Jachim Boas durch dramatisches Hierogliphensystem.

Nach einer solchen universal-moralischen Geistesstimmung nun, die vom Urwesen der Freiheit von, durch, für sich selbsten a priori erschien, war ihm der allgemeine Grundsatz des Bewußtseyns von Reinhold, der sich selbst beweißt, natürlicher und willkommner, als die mit unendlichem Raum und [124]Zeitfluß ohne Genesis wie mit einem plötzlich sich in uns versetzenden Feenhimmel anfangende Kritik der reinen Vernunft, wiewohl diese ihre gute Ursachen zu so einem erhabenen Anfang hatte.*) 10

Allein es ist kein Wunder, daß der Satz des Bewußtseyns bisher in der jetzigen fast ganz populär und zerstreuungsvoll gewordenen Vernunftwelt noch keinen Eingang zu finden scheint, nicht so viel als des Cartesii mehr auffallendes Cogito, ergo sum, weil eben der Reinholdische Elementarsatz bei aller seiner Natürlichkeit und lautern Einfalt doch auch sogar dem sonst alle Spekulation trocken gewohnten Obereit anfänglich und bis ans Ende zu spekulativ, wie kernleer, ins Auge fiel, ob er gleich das Fundament alles praktischen sowohl als theoretischen Elementarwissens seyn sollte.

Man sieht ihm seine Grundfruchtbarkeit gar nicht an, wie hingegen der Satz des zureichenden Grundes aller Welt gleich fruchtbar und allen Vernunftgegnern furchtbar in die Augen fiel, der Satz des Bewußtseyns aber braucht und rührt blos einfältigen Verstand, und dieser ist in unsrer ganzen Kunstwelt gar zur Rarität worden, da die Welt [125]nicht begreifen kann, daß in der größten Einfalt alle Menschen mögliche Weisheit verborgen liegt.*) 11

Eben das Letzte war aber der alte Schweitzer Obereit sehr frühe gewohnt zu merken, in Schweizereinfalt, bei simpelsten Prinzipien, deren Generalitäten gros dem Grunde nach, ja fast den Prospekt einer Allwissenheit giebt, und der ganze Inbegriff allgemeiner ewiger Wahrheiten, was kann er ursprünglich seyn als ein Generalausdruck des allfassenden Verstandes, uns in der Grundform mitge-[126]theilt? Die Wahrheit kann ja nur durch den Verstand seyn, ohne den keine, und ist der endliche nicht Grund genug darzu, so muß es ja wohl der unendliche seyn?*) 12 Der durch sich selbst allgenug ist, da nichts ohne das seyn kann, wodurch es ist.

Der Unendliche kann wohl ohne uns endliche Kleinigkeiten seyn, das Unendliche per se gegeben, bedarf ja nichts Endliches, wir aber können schon in der bloßen Möglichkeit nicht ohne den Unendlichen seyn, der objektiv ins Unendliche mittheilbar ist, ohne dessen Verstand der unsrige durch sich selbst allein nichts ist. Er gab uns also, daß wir von allen Schranken abstrahiren können, wenn wir Ihn rein denken, das ist das Größte und Fruchtbarste, was wir im Denken vermögen, wodurch dessen größte und reine Fruchtbarkeit im Allgemeinen gegründet wird, wie auf andre Art durch den bloßen Begrif des absoluten Seyns für sich allein, ohne welches per se Gegebenes gar kein Relatives, hiemit keine Welt nur möglich ist. Und Seyn und Vermögen ist Eins, denn was Nichts vermag, ist Nichts. —

[127]

So hängt alles an einem Seyn, in Einfalt. Wie in der Empfänglichkeit zum Empfangen allgemeiner Anziehungs- und Ausbreitungsreitz allempfangenden klaren Raum darstellt oder anschaulich macht, und mit dem Gleichungsreitz von und für beide im kürzesten Ebenmaaß, der stetig fliegenden Zeit, so viel nur möglich zusammen zu nehmen, den sinnlichen Grund aller Schönheit in uns giebt, da die Natur in und außer uns durch lauter Realentgegensetzungen, wie Feuer und Wasser, fruchtbar ist, so macht hingegen die mechanische Kunst durch Gewicht und Gegengewicht nur unfruchtbaren Stillstand, hiemit Contrast gegen die simpel antithetisch fruchtbare Natur.

Consequent demnach, daß in den simpelsten Prinzipien, wie in dem simpelsten Wesen, von dem sie sind, die größte Fruchtbarkeit liegt, wenn mans ihnen gleich noch nicht ansieht, sahe sich Obereit um, nachdem er die Vorstellungstheorie, die Beiträge und die Fundamentschrift Reinholds i durchaus beobachtet hatte, da kehrte er endlich, um obiger Ursach willen, für sich allein den Satz des Bewußtseyns auf alle mögliche Seiten des angelegenen größten universalen Interesses, ohne welches, und zwar sichtbares bis zum Augenschein, endlich die größte und feinste Spekulation, Kritik und Systematik dem Allbeobachter eine taube Nuß ist. Und da das Gesetz des Gleichgewichts nach Newton, und dem ihm höchst simpel kosmologisch prosequirenden [128]Schweizer Lambert das ganze Universum regiert, nach letzterm auch in allen Kräften der Wesen und Sachen durchaus wie Ebenmaaß zum Bestand nothwendig, hiemit real metaphysische Einheit, Wahrheit und Güte ausmacht, da das Halten des Gleichgewichts der Seele, wie des Ebenmaaßes in der schönen Sinnlichkeit schon insgemein guten Ruf, zu allgemeinnütziger Anwendbarkeit im Geisterreich hat, da auch à la Newton schon der herrliche jüngere Hemsterhuy's das Maaß der allgemeinen geistigen Anziehung der Seelenwelt eröfnet, so beobachtete der gerade alte Schweizer in allgemein geistigem Sinn, ob nicht das Gesetz des Gleichgewichts auch im Satz des Bewußtseyns nach der Schnur angemessen sey? und er fands genau, da das Subjekt, das Objekt, und die Vorstellung im Bewußtseyn einander gleich nothwendig, gleich wichtig, allseitig gleich unzertrennlich in Beziehung auf einander sind, durch ebenmäßige Aktivität, Receptivität und Reaktivität. Und so im Gleichgewicht muß das Bewußtseyn stehen, wenn die größte Unpartheilichkeit unendlich wichtig statt haben soll. Da ist ein gleichseitig philosophischer Triangel zur Probe.

Wenn nun Obereit für sich Kants praktisches Prinzip und Reinholds Elementar-Fundament unendlich fruchtbarer findet, auch allem wie mathematisch angemessener, mehr darin als Kant und Reinhold selber genau oder ausdrücklich zur Zeit ihrer [129]Verfassung darein wollten gelegt haben, wie Obereit auch mehr in Lamberts Gleichungsgesetze und Pauls Dreiklang zu finden denkt, als diese selbst zu ihrer Zeit, nun wohl, so wissen die Gelehrten längst: inventis facile est addere, die Erfinder gehen doch immer voraus, so geht jeder ihnen nach, so weit er kann und mag, jedesmal für jetzt in seiner Ordnung, jeder in seinem Kreis und jetzt geziemenden Gesichtspunkt, einstimmig in Grund und Zweck und allgemeinen Weg, verschieden in besondern Mitteln und Wegen der Vorstellung, wie jedem die Vorsehung giebt oder finden läßt, so wird Mannigfaltigkeit und Einheit im Ordnungsreich der Geister erhalten, am Ende kommen alle zu einem Ziel der ewigen Natur und unendlichen Wahrheit oder Harmonie, also Verschiedenheit, auch von Ost, West, Nord, Süd zu Einem Mittelpunkt und All, kein Schade für alle Welt!

Möchte der Geist der freien Schweitz über alles nach ihrem größten Newtonisch-philosophischen Landsmann, dem nach Herders Gott noch zum Allebenmaaß nutzbaren verklärten Lambert, auch seinen noch auf Erden erhabensten Freund Kant durch Kants edlen Freund Reinhold frei klar sehen! Im besten Lichte freier Natur!

Du, schwinge selbst vielmehr des Geistes Kräfte los,

Nicht ewig für die Zeit, nicht für die Erde groß.

Und höherer Sorgen werth. Sieh jenem Himmel zu etc.

von Haller.

[130]

Sicanimus sylvas, sylvae sint Consule digne.

Virg.

Noch eine Capitalanmerkung eines Veteranen in der Philosophie, das ganze philosophische Reich betreffend, vergönne man allerseits frei geneigt bei dieser Gelegenheit, die sonst nicht wiederkommen dürfte. Krusius hat schon die Gebrechlichkeit der sogenannten mathematischen Methode des Spekulirens, so wie sie Cartesius und Wolf zur Philosophie anwandten und einführten, gezeigt, daß man auf diese Nachäffungsart ganz consequent, systematisch auf die falschesten Resultate komme, wie Spinoza. Der größte systematische Skeptiker Hume kann auch zum Exempel dienen mit Vernichtung aller Vernunft durch gemeine Vernunft und Logik, weiter nichts. Und Krusius gab eine weit strengere und tiefere Logik, die kein Wolf hält noch verdauet, so wenig als die streng vorhergegangene mathematisch förmliche von dem scharfsinnigen Adolph Friedrich Hofmann, einem Vorgänger in Principien des großen Plattners, der alle denkbare vereint.

Den ersten Grund dazu legte der erste unter allen Deutschen, der eine synthetisch kritisch erfindende Philosophie nur versuchte, und schon die ganze damalige philosophische Welt gegen sich hatte, wie Kant anfänglich die jetzige, Andreas Rüdiger. Lambert aber, als Newtonischer Physiker und Mathematiker von Profession und Gleichungsakkuratesse, [131]hat den Schaden mit einem Blick des Durchmessers im Grund eingesehen, und ganz simpel gezeigt, daß Wolf und auch die größten seiner Nachfolger die mathematische Methode nur halb, nicht vollständig gebraucht haben, und daher in alle Fehler der Halbdenker und Halbmesser, die überall in der That zu kurz kommen, gefallen sind, daß man hingegen, vom Capitalfehler weg, aufs äußerste bemerken und besorgen müsse, die mathematische Methode vollständig, ganz Euklidisch im Geist, nicht Buchstaben der äußern Form, zu beobachten, um durchgängig bestimmte Generalbegriffe, wie den des Zirkels, Triangels etc. zu bekommen, die denn auch durchgängig richtig anwendbar seyen, ja nach denen, wenn was darnach zu messen möglich, der Mathematiker sogleich seine Dimension recht anbringen könne, ohne vorher weitere Veränderung und Berichtigung des Begriffes oder Satzes zu richtiger Meßbarkeit zu bedürfen, wie bisher der Fall insgemein war. —

Ist diese absolut nothwendige Lambertische Forderung nicht von aller Philosophenwelt, außer Kant, bisher vergessen worden? Vertrakt! Ist je deren Erfüllung in Philosophie zu vollem Bewußtseyn gekommen? Ist wohl das Bewußtseyn an sich selber, der Tag der Seele, ihr Gewißheitsmaaß nach Lambert, noch nie zu ganzem Bewußtseyn seiner selbst bei der ganzen Welt gekommen? Wo je?

[132]

Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh!

Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie.

Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren?

Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu entbehren,

Du bleibest stets ein Kind, das täglich unrecht wählet,

Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlet:

Du urtheilst überall, und suchst nie recht, warum?

Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum.

Im Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen,

Kann auch der Klügste sich in fremde Bahn vertiefen,

Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt,

Am Ende sieht er doch, daß er im Anfang ist.

Wohl angebrachte Müh! gelehrte Sterbliche! —

Euch selbst mißkennet ihr, sonst alles wißt ihr eh.

Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit,

Der klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit.

v. Haller. j

Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit,

Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut,

Der Fesseln müd', in kühnem Geist entbrannt,

Zuerst für alle, sich allein verbannt:

Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdrückt,

Und über seinen Leib den Weg zur Freiheit brückt?

Bodmer. k

Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen Mathematik meist gehörte, verstattete ihm nicht, jene durchgängige Bestimmungsangabe für die Metaphisik selbst genau auszuführen, nur als Wegbahner durchaus kritischer Vernunft Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem Organon [133]und seiner Architektonik der Begriffe zu sehen, welche letztern, ihm selbst zu wenig genugthuend, er anfänglich nie Sinn hatte, selbst heraus zu geben, ohne zu sehr gedrungen zu seyn, weil die größte Theurung und doch Nichtachtung, freien und reinen Grundverstandes herrschte, da er selbst behauptete, die Logik sey noch lange nicht vollkommen genug, um zur Metaphysik recht anwendbar zu seyn, die eigens erforderliche logische Causalmethode darzu sey noch nicht erfunden, auch noch nicht der Schlüssel, das fruchtbarste richtige Eröfnungsprinzip darzu, das auch der universalgelehrte Sulzer mit der ganzen Berlinischen Akademie der Wissenschaften damals unter den Denkern desiderirte und suchte, wie dergleichen die Preisaufgabe über die metaphysische Evidenz voraussetzend zu verstehen gab.

Obereit gesteht, daß er das fruchtbarste und durchgängig bestimmende Prinzip auch in der spekulativen Spekulationskritik von Kant überall suchte, und nicht zu finden das Glück oder Geschick hatte, daher an ihr Grundmangel a priori natürlich bei allen Hauptsachen zu sehen dachte, und dieselben ad interim für sich und mögliche Grundesfreunde, so gut er konnte, in dem Aufklärungsversuch zu ersetzen suchte.

Obereit hatte zwar die erste Vernunftkritik jetzt besser verstehen gelernt, aber mit der neuen Theorie des Vorstellungsvermögens, die ihm hauptsächlich genetisch einleuchtete, konnte sein alter Kopf nun [134]besser fortkommen, ließ also nun die erste Kritik, als ein ihm ungenetisches doch ehrwürdiges Gerüste stehen, zumal sie ihm vorher, wenn er auch keinen Fehler oder Irrthum darin fand, doch als für vollständig ausgegebener Maaßstab in ihm mehr satyrischen als kritischen Geist erweckt hatte. Nun besser: Manum de Tabula!

Aber in Reinholds Satz des Bewußtseyns hat Obereit das durch sich selbst klar durchgängig bestimmte und zugleich fruchtbarste Prinzip aller Philosophie, außer allem durch uns Unvorstellbaren, gefunden, also das weiteste und gewisseste Mögliche, außer den Dingen an sich.

Nun ist, und zwar augenscheinlich in vollem gründlichen Bewußtseyn, durch Reinhold erfüllt, bis zu mathematischem Ebenmaaß durchgängig gleicher Bestimmtheit, wie ein Generaltriangel, und fortgeführt in eine Elementarphilosophie, als in eine original-philosophisch sphärische Trigonometrie, was Lamberts und Sulzers und der Berliner Akademie ihrer Zeit größtes Desideratum Quesitum, Problem, allen sonst unerfindlich war.

Komm und siehe! rufen aller geistfreien Welt nun Lamberts, Sulzers und Hallers Geist, drei Schweizer durch einen andern, der sich gern nur als ein Opferkalb dagegen sieht, das nur eine Stimme aus der Wüste der an sich selbst bis zum allgemeinen Nichts von sich verzweifelten Metaphysik haben kann.

[135]

Sulzer verband mit allgemein philosophischem Verstande aller Wissenschaften und Künste, moralische und schöne Sinnlichkeit in einsichtreichem Geschmack, Lambert mit allwerts logischem Gleichsinn eine physisch mathematisch anschauende Sinnlichkeit, wie die anschauende Seele des größten Realisten Jacobi, und der durchgängig versuchende sanfte graduale Aequationsgeist Lamberts, Sulzers, Garves, und noch etwa seltner Unpartheiischen war und ist gleichsam die Schiffbrücke für die Welt zum Kantisch kritischen und Reinholdisch elementarischen Geist. So wahr ist es, daß es auch in der Geisterwelt sowohl, als in der ganzen Material- oder Stofbilderwelt allmähliche Uebergangsstuffen oder Mittel und Mittelhalter von einem Aeußersten zum andern giebt, wie eben vom äußersten auch oft nur original trägen Dogmatismus bis zum äußersten absoluten Skeptizismus, wo dieser möglich, den der kritische temperirt.

Nunmehro aber sind dem lautersten Wißbegierigen keine Schiffbrücken nöthig, da Reinholds reinste klare Elementarlehre mehr helle Grundeinsicht in einem Tage eröfnet, als Lambert, Leibnitz, die größten Vorigen in ganzen Jahren und Lebensläufen, das macht der einzige Vortheil, daß bei Reinhold nun alles Wissens Quell, Mittelpunkt klar augenscheinlich ist.

[136]

Medium tenuere beati!*) 13 Was dem edlen Reinhold Kants ganze Kritik der reinen Vernunft war, nach Vollendung der ungeheuer schwierigen, allseitig kritischen Untersuchung, nehmlich unumschränkt befriedigende Auflösung alles Erklärbaren, das ist dem Obereit nun Reinholds einziges Elementarprinzip, mehr ihm als von zwei tausend Jahren alle laufende Philosophie der Welt, vielmehr Phil-Asophie, seine eigene bisherige mit zugeschossen für Lumpen zu neuem Papier. Wiewohl die Kürze der Zeit, die man auf eigentliches Philosophiren anwenden kann, wie Hume wohl anmerkt, aus zweitausend Jahren einen sehr kleinen Zeitraum macht, der gegen unzählige Schwierigkeiten des strengen Philosophirens beinahe wie Nichts ist.

Man stelle sich einen Durst nach allbestimmender Grundwahrheit vor, der einen Menschen wenigstens vierzig Jahr und darüber, wie die Kinder Israel in der Wüste Arabiens herumführte, sich selbst und alle Welt durchsuchen machte, nach jedem im Ganzen verfehlt ersehenen Versuch größer wurde, ob er gleich in einigen Theilen befriedigt wurde, als in der bloßen Wesens Theologie, und im wichtigsten [137]moralischen frühe am vornehmsten und besten, vom Spiegel der Vollkommenheit, wer ihn kennen mag; da der Durst aber, außer dem Moralinhalt, alle andre Spekulation voll Gebrechen fand, und nur mit steter oder öfter temperirender Revolution zusammen konzentrirter Ideentropfen, so gut sich thun ließ, sich begnügen mußte, an wenigem und einfachem Moralfüglichen, endlich am Einigen zur Ewigkeit Nothwendigen und Allgenugsamen dem Unbedingten Allbedingenden sich begnügen lernte, doch immer durstig nach einem absolut convenienten Prinzip für alles Idealische. Man stelle sich einen solchen fast lebenslänglichen Durst vor, und dann endlich auf einmal dessen Erfüllung, und man begreift Obereit, den Mikroskopen, die ganze Ideenwelt in einem Prinzip allgemein klar zu finden. Der edle jüngere Hemsterhuy's fand nur zwei Philosophien, die nicht durch Witz und Imagination verkünstelt worden, die moralische des Sokrates, und die physische Newtons, nun fehlte noch immer rein simple intellektuelle, die giebt nach Kanten Reinhold am klärsten. Mit dem realobservatorisch propädeutischen Bacon von Verulam giebts ein Quadrat, Bataillon quarré, Face à tout! Und Kants erste Kritik der reinen Vernunft nebst Hume ist ganz Einleitungssystem zur Sokratischen Unwissenheit vor allen Dingen.

Im negativen Bewußtseyn, dessen, was man sich bewußt ist oder wird, nicht zu seyn, nicht zu [138]haben, nicht zu können, nicht zu wissen, wie der darin sehr musterhafte Sokrates, da giebts unendlich mehr Selbsterkenntniß als in dem wenigen Positiven, das man in sich findet, und selbst das zu besitzen Erachtete, im Bewußtseyn gemustert, findet sich meist aus Fremdem her, das nähere Eigene wiederum in Probe genommen, findet sich wenigstens nicht ohne fremde Hülfe gepflanzet, gezogen, gewachsen, was endlich wesentlich eigenthümlich bleibt, bloßes Vermögen, das kann nicht einmal absolut von und durch sich selbst seyn, sonst wäre es unabhängig sich selbst und allein genugsam, das widerlegt sich von selbst, in Ohnmacht von, durch, für sich selbst allein. Was ist also das bloße Vermögen? Nichts von, durch, für sich selbst allein und absolut, am Ende pure Empfänglichkeit von einem Allgenugsamen, und da wir, männliche Bilder, mehr Aktivitäten sind, die weibliche, mehr Receptivitäten, so giebt es gegen den Allgenugsamen gehalten, im wesentlichen Grunde der Endlichen, nichts als Receptivitäten von Ihm, also die ganze Natur in ihrem abhängigen Vermögen, nichts als Receptivität vom höchst Freyen, dem Einigen absolut Gebenden, Receptivität, Dame, nicht Herr; hiemit die ganze originale Natur-Philosophie wesentliche Damen-Philosophie, und noch darzu die einzige grundwahre und am Ende unwidersprechliche.

Was stolzieren dann die großen Bärte der Philosophen, als wäre die tiefste Grundphilosophie ihr [139]vorzügliches Eigenthum, da ihr tiefster Grund in der Weiblichkeit liegt? Vanitas Vanitatum! — Vielleicht findet man noch unscheinbare Heldinnen im Geist der Vorzeit von weiterm und tieferm Grundauge als Männerfackeln. Und durch den Weg des negativen Bewußtseyns, hauptsächlich dessen darin, was nicht ohne einander seyn kann, durch das Prinzip der Unzertrennlichkeit, in welchem erst der Satz des Grundes seinen Grund hat, sowohl als der des Zweckes, wie das Mittel zum Zwecke und Bestimmungsgrunde, der aus sich nur durch etwas, das ein Mittel ist, zum Zweck bestimmt, wie alles in Termino à quo, per quem, ad quem begriffen ist, da findet Obereit die allergrößte und zugleich nothwendigste, strengste, mögliche und proportionirteste, schönste Fruchtbarkeit des Verstandes und der Vernunft über alles im Grundsatz des Bewußtseyns. Und durch das unmögliche Beisammenfinden im reinen Bewußtseyn, des nicht Zusammengehörigen, Unvereinbaren, durch das Prinzip der Unverknüpfbarkeit, fand er den Grund aller rechten Absonderung, das philosophische Scheidewasser und Fegfeuer.

Da diese negative Grundretirade gefunden war, nunmehro fand er sich den Weg geöfnet zu einer in ihrer Sprachform zwar gewaltig negativen, aber in Wahrheit unzertrennlich klaren Elementareröfnung des Unentbehrlichen, die hiemit an sich allgemein augenscheinlich, und so für jedes fähige Wesen durch-[140]aus pragmatisch nutzbar zum und im Nothwendigen seyn kann als wesentliches Teleskop der Zeit für die Ewigkeit, das zugleich ein Blitzableiter, für die sonst leicht gefährlichen Zeitgewitter, Zeitreitze, Zeit- und Raumwechsel ist. Ohne absolutes Recht, Licht und Gut als Wesens Norm, und Gesetzform können wir nicht seyn, absolutes Recht, Licht und Gut aber ist per se gegeben vom absoluten Seyn per se, à se, pro se, braucht also keines Beweises, ist über allen Beweis hinaus. Es ist, weil es ist, von dem: Ich bin, der ich bin, Absolut! Bestehend allein durch sich selbst. —

Ein unbeweglich allreizend umtreibender, stets gleicher Augenpunkt der Ewigkeit; per se, unendlich starker, heller, still belebender als Feuer, Licht, Aether. Wenn dein Auge einfältig ist, sagt das ewige Licht von Nazareth, so wird dein Ganzes Licht. Das Absolute per se allein bedarf bloße freie Observation, keinen Beweis. Altius hoc tibi non infiget Jupiter Ammon! Sum ne absolute Aequitas, ipsa mera Realitas, absolute objectiva, est certitudo ipsa per se, Fidei absolutae, Aequitate à se per se absolutae non nisi Fides absoluta respondet, convenit.

Ja da endlich Nichts ohne das Einige von selbst allgenugsame Wesen der unendlichen Freiheit nur möglich seyn kann, so findet Obereit damit den Weg zum Nichts aller Dinge an sich, ihrem Nichts nehmlich außer dem ewigen Wesen von selbst, das allein [141] von selbst nothwendig wirklich, keine nothwendige Folgen als nur bloße Möglichkeiten haben kann, hiemit absolute Freiheit zu handeln darüber, absolut selbst genugsam, für sich allein unbedürftig, in sich zu beruhen und vergnügt zu seyn, auch mit seiner eignen freimöglichen, anständigen und unerschöpflichen Fruchtbarkeit und Mittheilbarkeit, im ewigen Gleichgewicht aller Vollkommenheiten der nothwendigen Wesens- Beziehung von, durch und zu sich selbst als einiger absoluter Allgrund und Herr aller bloßen Abhänglichkeit. Mit dessen absolutem Daseyn von selbst, wenn es weg fiele, wird alle nur denkbare Möglichkeit auf einmal und für immer aufgehoben, schlechterdings gar nichts Denkbares bliebe übrig, so ist und bleibt allein das pure Daseyn des ewigen Unabhängigen von selbst, der erste Grund, wie das letzte Ziel alles Denkens, das absolute Positive an sich, von, durch, für sich selbst, der einige Grund aller Denkbarkeit, der einige Endpunkt aller Vorstellbarkeit, der einige Urgrund unumschränkten Bejahens, in und an dem keine Negation möglich ist, das einige Ziel absoluten Zustimmens, Beruhens, Genügens ohne Schranken, hiemit das einige absolute Grund- und Zielobjekt über alles, so daß Verständniß und Vernunft, theoretisch und praktisch, ohne das zuerst und zuletzt nicht seyn können, und in ewiger Ordnung a priori vom Anfangsgrunde zum Ende, vom Endzweck wieder zum Anfangsgrunde eben sowohl eine vollkommene [142]Zirkulation haben, als alle Welt um ihr Zentrum, alle Jahrszeit auf ihre Art, nach einem gleichförmigen Allgesetz alles zu seinem Prinzipio und Fine, wie sichs gehört und gebühret nach absolutem Vernunftgesetz ohne Ausnahme, zumal das Absolute an sich, das Unendliche selbst mit dem Wesengesetz und der Freiheit als a priori, per se gegeben, absolute primitive Fakta sind, wie das Bewußtseyn, worauf alles beruht, da man am Ende alles Denkens bis ins Nichts aller Dinge an sich, außer Einem, dem ewigen Ruhepunkt, dem unbedingten Allbedingenden, den ewigen Allanfang, den Urgrund wieder findet, und so den Ersten und Letzten aller Dinge zugleich, und hiemit kann auch Immanuel Kant der Erste, vor seiner ersten Vernunftkritik, in seinem einzig möglichen Beweisgrund des Daseyns Gottes, 1763, 1770, l im einzig und ewig absolutissime zweischneidigen Dilemma: Aut Ens a se, aut Nihil absolute, mit Kant dem andern und dritten, in seiner spekulativen und praktischen Vernunftkritik, wieder vereinigt werden, und ganz was und wie Kant durchaus a priori ist, ganz a priori voraus vor allen andern lautern Denkern da stehen und bleiben.

Da nun Obereit, zur Strafe seiner Voreiligkeit, ein negativer Philosoph wird, mit einem evidenten Salto mortale, bis ins Nichts seiner selbst und aller Dinge an sich außer Einem Ewigen von selbst, so nimmt er mit seinem neuen und alten Wirbel des Nihilismus à se, der von Ewigkeit zu Ewigkeit richtig ist (Sapienti sat, in sipienti nunquam!), kurzab Schweizerisch guten Abschied, von aller ihm gnädigen toleranten deutschen Lesewelt, und wünschte aller Welt allerseits wohl zu leben im All. Amen in A und O!

[143]

Jena, Ende Juni und Anfang Juli, 1791, 13 Jahr nach des äquatorischen Lamberts Verscheiden, 10 Jahr nach Kants erster Kritik der reinen Vernunft; m 103 & quod excurrit, nach Newtons Prinzipien dazu. Zum Grundeins von Generalphysik und Metaphysik! Sehen wirs bald?

1) Casta fave Lucina: Suus jam regnat Apollo!

Aspice convexo nutantem pondere mundum;

Aspice venturo laetentur ut omnia seclo.

4) Occidet et serpens et fallax herba veneni

Occidet, Assyrium vulgo nascetur amomum,

Talia secla suis, dixerunt, currite fusis.

7) Concordes stabili factorum numine Parece.

Virgil. n

Signirt Dr. Obereit,

aus dem Thurgau von Arbon am Bodensee.

Δος ροι πδςώ*) 14

Fußnoten:

1: *) Dieser Aufsatz, der uns vom Herrn Pr. Schmidt in Jena zugeschickt worden ist, verdient hier in diesem Magazin, nicht seines Inhalts, sondern seiner besondern Form wegen, einen Platz. Es ist Herrn Obereits philosophisches Glaubensbekenntniß in Curialstyl abgefaßt; was aber Herr Obereit damit haben wolle, da ihm niemand dieses Glaubensbekenntniß abgefordert hat, können wir dem Leser nicht sagen, außer (was auch der Leser so gut wissen kann, als wir), daß es der Welt bekannt werden möchte.
S. M.

2: *) Den natürlichen Zusammenhang im Reinholdischen Fundament des philosophischen Wissens, b wie auch in seiner Theorie des Vorstellungsvermögens und den gedachten Beiträgen, muß jeder unpartheiische Selbstdenker richtig finden; und, wie ich dafür halte, so hat diese Theorie, in Ansehung ihrer systematischen Form, die höchste Vollkommenheit, die irgend eine Theorie erreichen kann, und das ihr zum Grunde liegende System kann als Muster eines vollkommenen Systems aufgestellt werden. Von der andern Seite betrachtet aber, glaube ich erstlich, daß nur die Philosophie (nach H. Reinholds Erklärung) eines solchen Systems fähig sey, und eine jede andre Wissenschaft sich demselben nur immer nähern kann, ohne es völlig erreichen zu können. Zweitens fehlt es dieser Theorie in der Philosophie selbst an der materiellen Gewißheit. Herr Kant legt seinem kritischen System Erfahrung, als unbezweifeltes Faktum, zum Grunde, woraus er hypothetisch die Realität der Grundbegriffe und Sätze a priori beweist. Nun hat aber der kritische Skeptiker allerdings Recht, das Faktum selbst (daß wir Erfahrungssätze haben, die objektive Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit ausdrücken) in Zweifel zu ziehn, und folglich auch die darauf gegründete Realität gedachter Prinzipien selbst. Herr Reinhold legt seinem System den Satz des Bewußtseyns als Thatsache zum Grunde, nehmlich: Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen. Dieser Satz kann nicht vom Bewußtseyn überhaupt (auch einer Wahrnehmung), sondern blos vom Bewußtseyn einer Vorstellung (einer auf eine Synthesis, als Merkmal aufs Objekt sich beziehende Wahrnehmung) gelten. Eine bloße Wahrnehmung, ehe sie in irgend eine Synthesis gebracht wird, bezieht sich auf nichts außer sich selbst, und nur dadurch, daß sie als Bestandtheil einer Synthesis gedacht worden ist, bezieht sie sich auf dieselbe, als eine Vorstellung auf das dadurch Vorgestellte. Sie kann sich auch auf das Ding an sich, d.h. nicht blos auf die wirkliche (das Vorgestellte), sondern auf eine mögliche Synthesis überhaupt (das Kantische x) beziehen, weil in dem Begriffe einer bestimmten Synthesis der Begrif einer Synthesis überhaupt nothwendig enthalten seyn muß. Dieses alles kann aber nicht vom Bewußtseyn einer Wahrnehmung gelten, folglich ist gedachter Satz nicht allgemein.
S. M.

3: *) Also auch die bestmögliche Spekulation der Mathematik wird von H. Obereit als aus moralischer Sinnesart abstammend erkannt? Vermuthlich will H. Obereit hiemit so viel sagen: der moralischen Sinnesart liegt, nach dem Kantischen Moralprinzip, der Satz des Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß dieser Satz einer jeden Spekulation als Conditio sine qua non, zum Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H. Obereit nichts Neues gesagt; jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller Ewigkeit her überein. Sollte er aber damit sagen wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz des Widerspruchs nicht blos Conditio sine qua non, sondern reeller Bestimmungsgrund sey, für die bestmögliche Spekulation, so sagt er freilich hiemit was Neues!
S. M.

4: *) Dieser Satz, der einer Philosophie zum Grunde liegt, von der man bei ihrer höchsten Evidenz mit niemanden sprechen darf und kann — stammt keinesweges aus der Kantischen Philosophie. Dieser zu Folge ist das (wirkliche) Daseyn eine Modalität die das Verhältniß des reellen Objekts (der Anschauung) zum Subjekt ausdrückt. Denkt man also alle Anschauungen weg, so wird dadurch auch ihr Daseyn weggedacht. Versteht aber Herr Obereit das blos logische Daseyn (das Setzen eines Prädikats), so gehört dieser Satz nicht blos der Kantischen, sondern einer jeden Philosophie überhaupt.
S. M.

5: *) Hierin hat auch H. Obereit vollkommen Recht. Aber kann er das Kantische Moralprinzip durchs Selbstbeobachten bestätigen? Ich glaube schwerlich. Je mehr er (oder irgend ein andrer) sich selbst beobachten, und sich zu den Prinzipien seiner Handlungen auf dem Wege der Induktion nähern wird, desto mehr wird er sich von dem Kantischen Moralprinzip entfernen, indem er nach einer genauen psychologischen Entwickelung finden wird, daß, so entfernt von allem (materiellen) Interesse diese anfangs zu seyn scheinen, sie dennoch sich darin auflösen lassen; folglich kann er nicht durch das Selbstbeobachten, sondern nur durchs Selbsttäuschen und eine Art des Machtspruchs dazu gelangen.
S. M.

6: *) Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Herz den Kopf lehre, man nähme denn an, daß das Herz (Gefühlsvermögen) dem Kopfe (Erkenntnißvermögen) ihm bisher unbekannte Gefühle zum Vergleichen darbiete. Diese Gefühle müßten also an sich evident seyn. Das moralische Gefühl aber hat seinen Grund nicht im Herzen, sondern im Kopfe (in der Vernunft), und sein Daseyn als Gefühl kann noch immer in Zweifel gezogen werden. Hier ist also der Fall umgekehrt, der Kopf oder die Vernunft muß dem Herzen ein Gefühl (Achtung fürs Gesetz), als Folge ihrer Idee, durch einen Machtspruch aufdringen, d.h. es belehren.
S. M.

7: *) Also nicht einmal eine Spekulation noch spekulative Kritik zu achten!
S. M.

8: *) Ich wünschte von H. Obereit belehrt zu werden, wie er doch die mathematischen Wahrheiten nach dem Praktischen beurtheilen mag?
S. M.

9: *) Daß die Kantische Kritik a priori ist, kann H. Obereit nicht bezweifeln, aber versteht sich, hypothetisch, indem, meiner innigsten Ueberzeugung nach, Kant nie im Sinne gehabt hat, durch seyn System die Skeptiker zu überführen. Kants Art zu philosophiren ist diese: da die Dogmatiker den Erfahrungssätzen objektive Wahrheit und Allgemeingültigkeit beilegen, und als Faktum voraussetzen, so müssen sie alles zugeben, was mit diesem Fakto nothwendig verknüpft ist, und ohne welches dieses Faktum, das, nach ihrer Voraussetzung, wirklich ist, nicht möglich wäre. Da aber dieses nur als Bedingung der Möglichkeit des Faktums seine Realität hat, so kann es außer demselben keinen Gebrauch haben. Daß aber die Kantische Kritik mangelhaft seyn solle, kann ich nicht glauben. Herr Reinhold hat blos der systematischen Form mehr Vollständigkeit gegeben, keinesweges aber etwas der Theorie Unentbehrliches hinzugefügt, folglich trift hier nicht das non omnia possumus omnes! ein.
S. M.

10: *) Freilich hat die Kritik der reinen Vernunft ihre guten Ursachen dazu, und wenn Herr Obereit diese guten Ursachen so deutlich eingesehn hätte, als er sie nur dunkel ahndete, so wäre diese Vergleichung anders ausgefallen.
S. M.

11: *) Ein sehr wahrer Satz, der aber leicht gemißbraucht werden kann, und wirklich gemißbraucht wird (wie das Beispiel des Herrn Obereits selbst beweißt). Die Reinholdische Theorie des V. V. enthält freilich die einfachsten Prinzipien aller Wissenschaften überhaupt, und ist, in sofern sie in einer Kritik des Erkenntnißvermögens gegründet ist, die Conditio sine qua non zu allen Wissenschaften. Wollte man aber mit Herrn Obereit sagen, daß alle Wissenschaften schon darin verborgen lägen, so wäre es so viel als sagte man: die ganze Geometrie liegt schon in dem Begriffe des Raumes verborgen; weil alle Gegenstände der Geometrie und ihre Verhältnisse nur im Raume gedacht werden können. Herr Obereit probire einmal irgend ein Phänomen in der Natur durch die aus der Kritik der reinen Vernunft, oder der Theorie des V. V. geschöpften Prinzipien zu erklären und wissenschaftlich zu bestimmen. Herr Obereit erinnere sich an sein: suum cuique, aber auch nicht mehr als das Suum!
S. M.

12: *) Dieses scheint gar nicht der kritischen Philosophie, wozu sich Herr Obereit bekehrt hat, angemessen zu seyn. Diese weiß von keinem unendlichen Verstande was zu sagen. Sie ist in ihren Forderungen bescheiden, und sucht nur die Bedingungen der Möglichkeit eines endlichen Verstandes anzugeben, welches für uns hinreichend ist.
S. M.

13: *) Ich glaube schwerlich, daß sich dieser Vers zu der vorigen Aeußerung schickt! Reinholds reinste klare Elementarlehre hätte mehr helle Grundeinsicht in einem Tage eröffnet, als Lambert, Leibniz, die größten Vorigen in ganzen Jahren und Lebensläufen! Medium tenuere beati!

14: *) Der brave Schweizer Herr Obereit, der, wie man aus diesem Aufsatze sieht, das tiefe Denken mit einer ungemeinen Erhabenheit des Ausdrucks in sich vereinigt, wird es einem braven Polen verzeihen, wenn er eingesteht, daß ihn dieser hohe Schwung schwindlich macht, und daß er vor dem Nichts zurück schaudert. Er bekennet selbst in seiner ersten Schrift (Versuch über die Transzendentalphilosophie) o dieses Salto mortale gewagt, und die Vereinigung der Kantischen Philosophie mit dem Spinozismo versucht zu haben; ist aber jetzt von der Unausführlichkeit dieses (einem jeden Selbstdenker natürlichen) Unternehmens vollkommen überzeugt, und glaubt vielmehr die Vereinigung der Kantischen Philosophie mit dem Humischen Skeptizismo bewerkstelligen zu können.
S. M.

Erläuterungen:

a: Reinhold 1791.

b: Reinhold 1791.

c:

d: Kant 1790.

e: Obereit 1787a.

f: Obereit 1788.

g: Obereit 1780.

h: Obereit 1776. Die Publikation besteht aus nur 28 Seiten.

i: Reinhold 1791.

j: Albrecht von Haller, 'Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben' (1729).

k: Bodmer und Breitinger 1746, Bd. 2, 57. Blatt, S. 64f.

l: Kant 1763, Kant 1770.

m: Kant 1781.

n: Ekloge 4 aus Vergils Bucolica, 'Der göttliche Knabe'.

o: Maimon 1790.

[144]

Inhalt.

Seite
Zur Seelennaturkunde.
1. Selbstmord aus Rechtschaffenheit und Lebensüberdruß. 1
2. Fortsetzung des Aufsatzes über Täuschung, und besonders vom Traume. 10
3. Uebergang des Aberglaubens in Wahnwitz. 26
4. Fortsetzung des Fragments aus Ben Josua's Lebensgeschichte. Herausgegeben von K. P. Moritz. 41
5. Theanthis und ihr Schweizerphilosoph. Eine psychologische Geschichte. 89
6. Obereits Widerruf für Kant. Ein psychologischer Kreislauf. 106
[<145>]

<Verlagsankündigungen.>

Bei dem Verleger dieses Magazins sind zur Leipziger Michaelismesse 1791 fertig geworden.

Hermbstädts, S. F. Bibliothek der neuesten physikalisch-chemisch-metallurg. und pharmaceutischen Litteratur, 4ter Band. 1tes Stück. Gr. 8. 10 Gr.

Moritz, C. P. Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, al sein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte, 9ten Bandes 2tes Stück. Gr. 8. 10 Gr.

Schraders Norddeutsches Apothekerbuch, gr. 8.

Rechtliches Erkenntniβ der von Se. K. Majestät von Preuβen verordneten Commission in der zwischen denen von dem erloschenen Marggräflichen Mannsstamm zu Brandenburg Schwed abstammenden Prinzessinnen streitigen Rechtssache, wegen die Aemten Schwedt, Vierraden, Wildenbruch und die denselben incorporirten Güter, Fol. 12 Gr.

Zur Ostermesse 1792 werden fertig:

Bahtdts, C. F. Ausführung des Plans und Zwecks Jesu in Briefen, eine Fortsetzung der Briefe über die Bibel im Volkston, 12ter Theil, 8. 12 Gr.

Butmonns kurzgefaβte griechische Grammatik, 8.

Hermbstädts, S. F. Bibliothek der neuesten physikalisch-chemisch-metallurg. und pharmaceutischen Litteratur, 4ter Band, 2tes Stück, gr. 8. 10 Gr.

Moritz, C. P. Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte, 9ten Bandes 3tes, und 10ten Bandes 1stes Stück, gr. 8. 20 Gr.

[<146>]

Moritz, C. P. englisches Lesebuch, 8.

Sammlung der besten und neuesten Reisebeschreibungen in einem ausführlichen Auszuge, worinnen eine genaue Nachricht von der Religion, Regierungsverfassung, Handlung, Sitten, Naturgeschichte und andern merkwürdigen Dingen verschiedener Länder und Völker gegeben wird, 32ster Band mit Kupf. Gr. 8.

Vade-Mecum für lustige Leute, enthaltend eine Sammlung angenehmer Scherze, witziger Einfälle und spaβhafter kurzer Historien aus den besten Schriftstellern zusammengetragen. 12ter Theil. 8. 10 Gr.

Folgende Bücher sind bei den Verleger um beigesetzte billige Preise zu haben:

Sheridans, C. F. Geschichte der letztern Staatsveränderung in Schweden, nebst einem kurzen Abriβ der Schwedischen Geschichte, gr. 8. 20 Gr.

Staatsverfassung (die heutige) des Reichs Schweden, unter einer gesetzmäβigen Freyheit beschrieben, gr. 8. 2 Rthlr.

Schultze, J. C. neue und erweiterte Sammlung logarithmischer, trigonometrischer, mechanischer und anderer zum Gebrauch der Mathematik unentbehrlicher Tafeln, nebst Anweisung zu deren Gebrauch, 2 Bände gr. 8. 4 Rthlr.

Recueil de Tables logarithmiques, trogonometriques & autres necessaires dans les mathematiques pratiques, 2 Vol. 8. 4 Risd.

— Taschenbuch für diejenigen so einen gründlichen Gebrauch von der Meβkunst machen wollen, 2 Theile mit Kupf. 8. 3 Rthlr.

— Holland nebst dessen Ost- und Westindischen Besitzungen; ein franz. geograph. Lesebuch zum Behuf des Staatsprachunterrichts, 8. 16 Gr.