ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Fortsetzung der Revision der Erfahrungsseelenkunde.

von Salomon Maimon.

Maimon, Salomon

Der Verfasser bemüht sich zwar (99) zu zeigen, daß sich hier dieses es nicht auf den folgenden Satz, sondern auf eine unbekannte Ursache bezieht, indem er sagt: »dieser Gedanke (daß mein Freund wieder hergestellt wird) bringt die Empfindung der Freude nicht hervor, und ist nicht sowohl die Ursache, als vielmehr nur der Stoff zu derselben. Denn, fährt er fort, der Gedanke an irgend eine Sache, die mit unsern Wünschen übereinstimmt, und unsre Empfindung der Freude sind eins u.s.w.« a

Freilich müßte es so seyn, wenn der Gedanke an irgend eine Sache, die mit unsern Wünschen übereinstimmt (das Urtheil vom Verhältnisse der [2]Dinge zu einander) auch den Gedanken, daß diese Sache mit unsern Wünschen übereinstimmt (das Urtheil vom Verhältnisse dieses Gedankens zu unsrer Empfindung) einschlösse, alsdann wäre freilich der Gedanke, und die Freude darüber eins. Es verhält sich aber in der That nicht so; in dem Gedanken ist mein Freund das Subjekt, und seine Wiederherstellung das Prädikat. Zum Urtheile daß dieses mit meinen Wünschen übereinstimmt hingegen ist der vorige Gedanke Subjekt, und seine Uebereinstimmung mit meinen Wünschen das Prädikat, das in dem Gedanken nicht enthalten war. Die Harmonie, wovon der Verfasser spricht, ist selbst ein Gedanke, und kann blos als die Ursache der Empfindung der Freude, nicht aber als die Empfindung selbst angesehn werden.

Der Unterschied zwischen ich denke, und mich dünkt glaube ich besteht darin: im ersten Falle bin ich mir die Reihe der Vorstellungen die in mir den Gedanken hervorgebracht haben, bewußt, im letzten aber nicht, in jenem bin ich also völlig thätig, in diesem aber zum Theil leidend.

H. Spaldings sonderbaren Zufall erklärt H. Mendelssohn (Band 3. Stück 46.) sehr scharfsinnig. Was mich anbetrift, so glaube ich dieses ließe sich auf eine weit einfachre Art folgendermaßen erklären.

[3]

Der Mensch als ein vernünftiges Thier wird in seinen Handlungen durch zweierlei Arten der Naturgesetze bestimmt. Als bloßes Thier würkt er nach den Gesetzen der Ideenassociation der Einbildungskraft; als vernünftiges Thier aber, nach den Gesetzen der Zweckmäßigkeit.

Anfangs scheint es als wenn viererlei Associationsarten zu unterscheiden wären. 1) Die Associationsart der Identität. 2) Der Koexistenz und Succession in Zeit und Raum. 3) Der Dependenz von Ursache und Würkung. Man geräth gemeiniglich von einer Idee auf die ihr ähnliche, oder auf die auf ihr unmittelbar folgende (in Zeit und Raum) oder endlich auf die mit ihr in einer Kausalverbindung stehende, (von der Ursache auf die Würkung, oder umgekehrt) bei genauerer Ueberlegung aber ergiebt es sich, daß es in der That nur einerlei Associationsart giebt, nehmlich die der unmittelbaren Koexistenz und Succession in Zeit und Raum. Daß man von einer Idee auf eine ihr ähnliche geräth, ist nicht die Folge einer durch Wiederholung hervorgebrachten zufälligen Verknüpfung derselben die nur in Beziehung auf das Subjekt, bei dem diese Wiederholung vorgegangen ist, statt finden kann, sondern die Folge einer objektiven folglich allgemeingültigen Verknüpfung derselben. Die Würkung dieser objektiven Verknüpfung der Ideen aufs Subjekt wird an sich durch Wiederholung nicht ver-[4]stärkt. Nur alsdann ist die Wiederholung in der Folge ähnlicher Ideen auf einander nöthig, wenn die Folge weniger ähnlicher in Ansehung der mehr ähnlichen das Obergewicht behalten soll, d.h. die Wiederholung einer Folge von Ideen auf einander, ist nicht, insofern diese Ideen ähnlich sind nöthig, sondern insofern sie es nicht sind. Ferner, die Kausalverknüpfung der Ideen mag noch so sehr in der innern Verknüpfung der Dinge an sich gegründet seyn, so ist doch diese Verknüpfung in Ansehung unsrer Erkenntniß blos zufällig, und kann daher nur durch Wiederholung der Folge der Ideen auf einander ihre Würkung äussern. Mag z.B. die Folge der Idee des Rauches auf der des Feuers noch sehr in dem innern Verhältniß dieser Objekte zu einander gegründet seyn, so ist doch in Ansehung unsrer (da wir das innere Wesen des Feuers und des Rauches nicht kennen) diese Folge blos zufällig, und kann nur durch ihre Wiederholung auf uns eine Würkung haben (daß wir bei Wahrnehmung des Feuers die Wahrnehmung des Rauchs vorhersehn.) Also die Kausalverbindung worinn die Objekte an sich untereinander stehn, hat keinen Einfluß in der Bestimmung ihrer Ideenfolge, sondern diese bleibt, wie die der unmittelbaren Koexistenz und Succession zufällig, und kann nur durch Wiederholung in ihrer Würkung auf uns bestimmt werden.

[5]

Hieraus erhellet, daß wir in der That nur einerlei Associationsart haben, nehmlich die der unmittelbaren Koexistenz und Succession.

Der Mensch als ein vernünftiges Thier wird in seinen freiwilligen Handlungen durch die Vorstellung des Zweckes bestimmt.

Die Folge einer zweckmäßigen Reihe Vorstellungen wird mehrentheils nicht durch die objektive Verknüpfung (die Identität) auch nicht durch die subjektive Verknüpfung der Ideen (durch Wiederholung) bestimmt; ja sie ist sogar mehrentheils diesen entgegengesetzt.

Die Bestimmung einer zweckmäßigen Folge der Ideen erfordert daher in den mehresten Fällen, wo jene zwei Arten ihr entgegengesetzt sind, die größte Geistesanstrengung. Man muß alle mögliche Reihen von Vorstellungen durchgehn, aus denjenigen Reihen, die entweder wegen der objektiven, oder der aus Wiederholung entstandenen subjektiven Verknüpfung der Ideen, gleichsam sich von selbst darbieten, muß man die zum Zwecke untauglichen Glieder weglassen, wiederum andere die vorher nicht da waren, hinein schieben, und die Glieder in eine andre Ordnung als diejenige, worinn sie uns vorkommen, versetzen.

Zwar hat es mit der Verknüpfung der aus der Erfahrung schon bekannten Mittel und Zwecke [6]keine Schwierigkeit, weil in diesem Falle die Associationsart der Succession, der zweckmäßigen Verknüpfung zu Hülfe kömmt. Ist hingegen diese Verknüpfung erst neu herausgebracht, und noch in keiner Erfahrung vorgekommen, so erfordert es erstlich eine große Anstrengung um sie zu erfinden, und dann eine noch größere um sie in Ausübung zu bringen. Alle menschliche Handlungen sind mehr oder weniger vernunftmäßig, nachdem sie eine größere oder geringere Freiheit in den Ideenverknüpfungen voraussetzen, sogar fehlerhafte, dem vorgesetzten Zweck nicht angemessene freiwillige Handlungen sind vernunftmäßiger als dem Zweck angemessene mechanische (aus Gewohnheit entsprungene) Handlungen. Gesetzt jemand stellt sich etwas als ein Gut vor, welches in der That nicht gut ist. Nun bringt er durch eine Reihe von Schlüssen diejenigen Mittel heraus, die zur Erwegung dieses vorgestellten Guten erforderlich sind. Ein andrer ist frei von diesem Irrthum, und erlangt seinen aus der Erfahrung bekannten Zweck durch die mechanischen ihm aus Gewohnheit zur zweiten Natur gewordenen dazu als Mittel gehörigen Handlungen, da jener seinen Zweck nicht erreicht; und doch wird jeder eingestehn, daß die Handlungen des erstern in der Vernunft gegründet sind, des letztern aber nicht.

Eine noch größere Anstrengung des Geistes erfordert die Hervorbringung mehrerer Ideenreihen, [7]deren jede zwar durch die Vorstellung eines Zweckes bestimmt, dieser Zweck aber in jeder verschieden ist, ohne eine Zeit zwischen diesen Ideenreihen verfließen zu lassen. Jeder vernünftige Mensch ist im Stande eine durch einen Zweck bestimmte Ideenreihe zu verfolgen, und die während der Zeit sich ihm aufdringende mechanische Reihen (der Identität Koexistenz und Succession) von sich abzuwehren. Hingegen sind sehr wenige im Stande verschiedene Geschäfte zugleich zu verrichten.

Erläuterungen:

a: Vgl. MzE I,1,99.