ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: X, Stück: 1 (1793) >  

VI.

Ueber die Anmerkungen des Herrn Maimon zu der Fortsetzung des Aufsatzes über Täuschung und besonders vom Traume im 9ten Bande 2ten Stück S. 2.

Veit, Joseph

Mein Freund Herr Salomon Maimon hat zur Fortsetzung meines Aufsatzes über Täuschung und besonders vom Traume Anmerkungen hinzugefügt, darinn er einige meiner Behauptungen zu widerlegen sucht.

Ich habe Ursache mit seiner Beurtheilung nicht zufrieden zu seyn, und werde hier weiter nichts thun, als daß ich mich bemühen werde, meine von ihm bestrittene Behauptungen, seine Gegengründe, und den Punkt, worauf es eigentlich ankommt, dem Leser vor Augen zu legen.

Zur Aufschrift meines Aufsatzes macht H. M. folgende Anmerkung. »Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharf-[99]sinnige Bemerkungen enthält, verdient hier allerdings eine Stelle.

Ich habe durch einige beigefügte Anmerkungen die Idee des Verfassers zu berichtigen, und mit den meinigen gegen einander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen eher im Stande seyn wird.« Einheit des Prinzips — was will H. M. hiemit sagen? will er zu verstehen geben, daß es dem Leser schwer fallen wird, den Ideengang meines ganzes Aufsatzes mit Einem Blicke zu übersehn?*) 1 dieses kann ich unmöglich glauben.

Meint H. M. aber, daß Widersprüche in meinen Behauptungen liegen, so hätte er sie in seinen Anmerkungen darstellen müssen. Allein der wahre Punkt scheint dieser zu seyn. H. M. klagt: »Der Verfasser hat nicht, wie ich es zu thun geneigt bin, die psychologische Erscheinung aus einem einzigen Prinzipium hergeleitet,**)« 2 und ich bekenne mich zu dieser Sünde. Sie ist indeß schon von mehrern be-[100]gangen worden, und mir ist kein Philosoph bekannt, der die Erfahrungsphilosophie in der That auf einen einzigen Grundsatz gegründet hätte; ja selbst der Philosoph Salomon Maimon macht hierin keine Ausnahme. Bey aller Mühe, welche er sich giebt, alle psychologische Erscheinungen blos aus der Ideenassociation herzuleiten, so nimmt er dennoch ganz stillschweigend auch andere Grundsätze an, und was noch schlimmer ist, er beruft sich sogar, wie man in der Folge sehn wird, auf die Harmonie der Seele mit dem Körper;*) 3 da man doch, wenn man erklären will, sich hierauf gar nicht berufen sollte; [101]denn man sagt mit einer solchen Erklärung weiter nichts als: Dieses ist so, weil es die Harmonie zwischen Seele und Körper so mit sich bringt, und da ihr von dieser nichts wisset, so könnt ihr auch weiter keine Erklärung verlangen. Es ist auch nicht einzusehn, warum gerade der Erfahrungspsychologie der Vorzug zukommen sollte, nur auf einen einzigen Grundsatz zu sehn, da alle andere Wissenschaften mehrerer bedürfen. Euklides hat sich nicht gescheuet, seiner Wissenschaft 12 Grundsätze voranzuschicken, und in der angewandten Mathematik werden die Lehren des Euklides und noch andere vorausgesetzt, und noch Erfahrungssätze hin-[102]zugefügt. Um z.B. eine Linie zu finden, welche entstehen muß, wenn ein Apfel von einem Baume geworfen wird, muß man 4 Grundsätze annehmen: der Trägheit, vermöge welcher die Kraft des Seitenwurfs fortwirkt, der Schwere, des Widerstandes der Luft, und der Zusammensetzung der Kräfte, wovon wenigstens 3 Prinzipien aus der Erfahrung genommen sind. Eine Wissenschaft scheint eine Ausnahme zu machen; allein ist denn die Affinität ein Prinzip? läßt sich denn aus dem gegebenen Grade der Affinität zweier Körper auf den Grad der Affinität schließen, den einer derselben mit allen übrigen Körpern hat? Ein Prinzip muß eine Regel enthalten, darnach man subsumiren kann; enthält es keine, so verdient es diesen Nahmen nicht. Wenn mir der Theist oder Fatalist eine Naturbegebenheit blos dadurch erklären will, daß der Wille Gottes oder die Ordnung der Natur es erfoderte, so sehe ich wohl, daß eine dieser Behauptungen gegründet seyn muß, aber ich sehe auch ein, daß mir keiner von beiden die vorgekommene Erscheinung aus einem Prinzip erklärt hat, weil weder der Wille Gottes noch die Ordnung der Natur eine Regel enthalten, darnach ich irgend eine besondere Naturveränderung subsumiren kann. 2) Giebt es noch so manche Lücke, welche offenbar mit der Affinität nicht auszufüllen ist.

Es ist allerdings vernunftmäßig keine entbehrliche Prinzipien anzunehmen; allein man muß [103]auch keine Erklärung erkünstlen, sie mit Hypothesen beladen, und hineinweben was wider die Wahrscheinlichkeit ist. Eine Erklärung welche nur ein einziges Prinzipium zur Grundlage hat, ist wahrscheinlicher als eine andere darinn mehrere angenommen werden; allein die Erklärung muß nicht wiederum in einer andern Rücksicht wider die Wahrscheinlichkeit sündigen.

Und daß ich es im Vorbeygehn bemerke: mir scheint H. M. zu der Ideenassociation zu viel Vorliebe zu haben. Wie würde er sonst die Entstehung der Erfahrungsprinzipien aus der Association erklären wollen? ist denn die Ideenassociation kein Erfahrungsprinzip? muß nicht auch dieses Gesetz geläugnet werden, wenn die Erfahrung überhaupt geleugnet wird?*) 4 Mit einem Worte: ist es möglich, irgend etwas, was in der Erfahrung vorkommt zu erklären, wenn gar nichts vorhanden ist, das auch ohne alle Erfahrung angenommen werden muß? doch ich schreite zur Hauptsache.

In dem 8ten Bande 3ten Stück S. 2. habe ich zwei Arten von Vorstellungen unterschieden 1) eine [104]solche, von der uns bekannt ist, daß sie in uns nach dem Gesetze der Ideenassociation entstanden ist, wir mögen die Mittelideen und die ganze Verbindung genau kennen, oder auch nur überhaupt wissen, daß die Vorstellung die Folge der ihr vorhergegangenen in uns gewesen ist, als wenn wir z.B. uns auf etwas zu erinnern bemühen, so sind wir uns nicht aller Vorstellungen bewußt, welche wir durchwandert haben; aber wir wissen überhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und daß die Erinnerung, wenn sie wirklich geschiehet, eine Folge aller vorhergegangenen gewesen, und nach dem Gesetze der Ideenassociation in uns entstanden ist. Von einer Vorstellung dieser Art können wir erst glauben, daß sie außer uns eine Wirklichkeit habe, sobald wir von einer Einbildung wissen, daß sie sich in uns entsponnen hat, so wissen wir auch, daß sie nur in und nicht außer uns eine Wirklichkeit hat. Hingegen giebt es 2tens Vorstellungen, welche sich mit einemmahle uns aufdringen, ohne daß wir eine Spur eines vorhergegangenen Ideengangs bemerken, welcher uns darauf [105]geleitet haben könnte: als wenn z.B., indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen vorbeistreicht, so glaube ich überzeugt zu seyn, daß in allen meinen vorhergehabten Ideen kein Faden anzutreffen sey, daran sich die Vorstellung des Vogels geknüpft hätte, und daß also durch sie der Gang meiner Ideen unterbrochen worden ist. Von einer Vorstellung dieser Art muß ich glauben, daß sie nicht blos in mir, sondern auch außer mir eine Wirklichkeit habe; denn, da alle Vorstellungen, welche sich blos in mir entspinnen, an das Gesetz der Ideenassociation gebunden sind, so kann eine ohne Association in mir erfolgte Vorstellung ihr Daseyn nicht blos in mir, sondern muß auch außer mir eine Basis haben.*) 5 Also ist die Unterbrechung der Ideenreihen ein Kennzeichen einer äußern Wirklichkeit, und die Nichtunterbrechung derselben ein Kennzeichen, daß die Vorstellung ihr Daseyn blos in mir hat.**) 6

[106]

Hieraus folgt, daß wir auch getäuscht werden können: wenn wir auf unsre Ideen nicht ganz Acht haben, oder wenn wir uns gar in einem Zustande befinden, darinn das Bewußtseyn unsrer Ideenfolge nicht vollkommen ist, wie z.B. im Traum und in widernatürlichen Zuständen; so können wir glauben, daß eine Vorstellung nicht nach der Association entstanden sey, ohnerachtet sie sich in der That aus den Vorhergegangenen entwickelt hat; wir würden ihr also eine äußere Wirklichkeit zuschreiben, welche sie nicht hat; das ist, wir würden getäuscht werden.*) 7

Ob wir aber gleich selbst im Wachen und bey vollkommener Gesundheit nicht immer auf unsren Ideengang genau Acht haben, so sind wir dennoch in diesem Zustande nicht leicht einer Täuschung ausgesetzt, weil wir darinn Merkmale haben, daran wir sie erkennen können, und zwar 1) an dem Mangel an Lebhaftigkeit, welchen die Vorstellung hat: Die Einbildungskraft vermag z.B. in dem vorausgesetzten Zustande, dem Bilde der Sonne nicht die Lebhaftigkeit zu verleihen, welche es in der Natur hat; es versteht sich aber, daß in Zuständen, darinn die Einbildungskraft außerordentlich wirksam ist, als in vielen widernatürlichen und im Traume [107]dieses Merkmal der Täuschung auch wegfallen muß. 2) erkennen wir die Täuschung an der Nichtübereinstimmung mit dem Gesetze und der Ordnung der Natur;*) 8 gesetzt auch, es fiele mir plötzlich, ohne daß ich eine Ideenassociation mit meinen vorigen Ideen wahrnähme, der Marienthurm ein, und meine Einbildungskraft mahlte sein Bild in mir so lebhaft als es der wirkliche Thurm in mir gewirkt hat; so würde ich selbst in diesem angenommenen Falle — denn in der That findet er im Wachen und bei völliger Gesundheit nicht statt — wohl wissen, daß in mir eine Täuschung vorgehe, weil der Thurm in der Straße darinn ich wohne, gar nicht gesehn werden kann. In eben der Art erkennen wir bey dem Erwachen, daß alles, was uns im Traume vorgekommen ist, eine Täuschung war, weil die Erscheinungen, welche wir darinn gehabt haben, mit der Ordnung der Natur nicht bestehen.

[108]

Ich habe in einer Parenthesis bemerkt, daß der vorhin angenommene Fall in der That im Wachen und bei völliger Gesundheit nicht statt hat, und dieses aus keinem geringern Grunde als weil Widerspruch darin liegt; denn wenn die Einbildungskraft so herrschend ist, als ich sie vorhin beschrieben habe, dann unterdrückt sie die höheren Seelenkräfte, und wir sind entweder nicht bei vollkommener Geistesgesundheit, oder wir träumen; auch würden wir die Nichtübereinstimmung nicht bemerken, weil zu einer solchen Bemerkung die höhern Seelenkräfte ihre Funktionen ungestört verrichten müssen.

Aus allen diesem ziehe ich folgendes Resultat: in einem Zustande darinn unser Bewußtseyn unvollkommen, und unsre Einbildungskraft so außerordentlich herrschend ist, daß die Bilder, welche sie mahlt, und die Begebenheiten, welche sie schildert, von den Naturbildern und Naturbegebenheiten an dem Grade von Lebhaftigkeit und an Nachdruck nicht merklich unterschieden werden können, müssen auch nothwendig Täuschungen statt haben; denn da unser Bewußtseyn unvollkommen ist, so müssen uns unsre Ideenreihen oft unterbrochen scheinen, mithin müssen wir auch äußere Wirklichkeiten zu erblicken glauben; wovon wir, wegen der herrschenden Einbildungskraft, die Täuschung nicht erkennen können.

Die Wolfianer setzen blos in die Uebereinstimmung mit Naturgesetz und Ordnung das Kennzeichen der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit; allein [109]meiner Meinung nach, kann dieses Kennzeichen weder das einzige noch das primitive seyn. Wenn wir im Traume Mond und Sterne ganz in der Ordnung wahrzunehmen glauben, wie sie in der Natur geordnet sind, und wir bemerken dann, daß sich alle diese Darstellungen in uns entsponnen haben, so wissen wir auch im Traume, daß wir träumen, ob wir gleich gar keine Unübereinstimmungen wahrgenommen haben; und dieser Fall muß sich sogar in der Natur ereignen; denn es kommen in dieser Seelenkunde oft Fälle vor, daß man im Traume die Gewißheit daß man träumt: durch die Erinnerung herauszubringen gesucht hat. Man hat nehmlich sich auf die Ideen erinnern wollen, welche auf die Vorstellungen, die man für eine äußere Wirklichkeit hält, geleitet haben.

Es kann aber auch die Uebereinstimmung mit der Naturordnung nicht das primitive Kennzeichen der Wirklichkeit seyn, denn woher sollten wir Einheit und Beständigkeit der Natur abstrahiren? da die Einbildungskraft mit der Wirklichkeit im Streite ist, vereint was sie trennt, und trennt was diese vereint. Allein in der That geht es so zu: alle unsre Vorstellungen stellen sich zuförderst in zwei Klassen in uns dar, in stetig fortlaufende und unterbrochene Ideenreihe, und dann bemerken wir in der Klasse der unterbrochnen Einheit, Ordnung und Gesetz. Wir haben also schon, ehe wir Naturgesetze erkannten, die wahre Natur von der eingebildeten unterschieden, mithin [110]kann die Uebereinstimmung mit derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu bestätigen: Kinder, welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr frühe zu erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegenständen, welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend einem einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung, welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der unterbrochenen Ideenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden unterscheidet, so wird durch die beständige Abänderung der empfangnen Eindrücke die Kenntniß der unterbrochenen Ideenreihe, mithin die erste Bildung, befördert.

Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stück Seite 10 folgendermaßen ausgedrückt habe: »Aus den Gründen, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden: wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und also die höheren Seelenkräfte unterdrückt, dann ist sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch täuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Ideenreihen, mithin das Kennzeichen der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten [111]wegen der Schwäche der Vernunft und des Verstandes nicht auffallen können.«

Ich spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklärung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklärt sich aus meinem genommenen Resultat die Täuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Ideen der Einbildungskraft für äußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Ich werde sie theilweise hersetzen, und über jeden Theil meine Meinung sagen: »Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit täuschend?« Ich habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn täuschend ist, und hiezu waren die Gründe schon angegeben. wo sich täuschen heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, für wirklich halten. Nun aber ist der Erklärung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Ideenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Ideen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele gänzlich außer sich geräth, und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschäftigt, urtheilt man [112]so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folge in Ansehung des Subjekts ist immer eben dieselbe.«

Herr Maimon sowohl als ich haben die Thatsache zu erklären gesucht: warum man im Traume einen Gegenstand mit Augen zu sehn glaubt, der nicht vorhanden ist? Ich kann also nicht einsehn, wie Herr M. diese Thatsache hier bezweiflen kann; wenn wir im Traume glauben einen Gegenstand zu sehn, so urtheilen wir über dessen Wirklichkeit.*) 9 Es ist wahr, daß das Selbstbewußtseyn im Traume nur geringe ist; wir betrachten uns selbst nur selten als einen Gegenstand, und daher habe ich im 8ten Bande 3ten Stück Seite 31 gesagt: »Das Ich ist in diesem Zustande nur schwebend«; allein das hindert nicht, daß wir im Traume über die Wirklichkeit eines äußern Gegenstandes urtheilen könnten; wenn wir im Wachen ein solches Urtheil fällen, so betrachten wir uns in diesem Augenblicke nicht selbst in der Art als einen Gegenstand, daß wir ein Selbstbewußtseyn haben sollten, sondern der Rückblick auf das Ich unterbleibt in diesem Augenblick ganz. Ueberhaupt setzt H. M. in seinem Aufsatze über Täuschung jederzeit die Einbildungs-[113]kraft im Traume als blos überspringend voraus, und es ist wahr, daß sie es manchmahl darinn ist, und daß wir alsdann über die Wirklichkeit der Gegenstände gar nicht urtheilen; die Seele geräth, wie H. M. unter dieser Bedingung richtig sagt, gänzlich außer sich, und erkennt, wie ich noch hinzusetze nicht einmal einen Gegenstand; allein die Einbildungskraft ist zuweilen auch überspringend und weilend, wie im Zorne, und zuweilen blos weilend, wie in der Traurigkeit. Im Traume finden auch diese Zustände der Einbildungskraft oft statt; und nur alsdann erkennen wir im Traume einen Gegenstand; ja nur alsdann ist darin eine Täuschung möglich.

»Nach dem Aufwachen urtheilt man dieser Erklärung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung der Ideenreihe, daß sie blos subjektiv, nicht wirklich ist.« Wo habe ich dieses gesagt?

»Aber wo ist hier Täuschung? Hat man sie denn im Traume für objektiv gehalten? Das kann nicht seyn, da man in ihr (soll vermuthlich heißen in ihm) keine Unterbrechung, die nach dem Verfasser Merkmal der Objektivität ist, wahrgenommen hatte.«

Warum? Da das Bewußtseyn im Traum von unsrem Ideengange sehr unvollkommen ist, so hat man diesen Ideengang für unterbrochen gehalten, und daher geglaubt eine äußre Wirklichkeit wahrzunehmen.

»Meiner Erklärung zufolge (im 9ten Bandes 1ten Stück S. 2.) beruht das Urtheil von der Ob-[114]jektivität der Ideen auf dem Bewußtseyn der Selbstmacht, die Association der Ideen zweckmäßig zu bestimmen.« Die Frage, welche ich (8n Bds. 3s Stück S. 18.) aufgeworfen habe, ist diese: »da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsres denkenden Wesens sind, so frägt es sich: woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding ansehn, welches außer uns wirklich, und so wenig von unsrer Vorstellung abhängt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch wir und unser denkendes Wesen und mit ihm alle unsre Vorstellungen zernichtet werden sollten?« und ich setze jetzt noch hinzu: mit einem Worte, warum sind wir nicht alle erklärte Egoisten? es muß also irgend ein Prinzip vorhanden seyn, welches wenigstens Zweifel gegen den Egoismus erregt. Hat nun H. M. diese Frage beantwortet? Kann die Selbstmacht eine Wirklichkeit beweisen, die außer uns und von unsrer Selbstmacht ganz unabhängig ist?

Den übrigen Theil seiner Anmerkung übergehe ich; denn es ist meine Absicht nicht das zu widerlegen, was gar keinen Einfluß auf meine Behauptungen hat; ich werde daher zur Widerlegung der Einwürfe schreiten, welche in den übrigen Anmerkungen des Herrn M. vorkommen.

Es ist vorhin schon ausgeführt worden, daß ein unvollkommenes Bewußtseyn und eine herrschende Einbildungskraft Täuschungen hervorbringen. Die Erfahrung lehrt, daß beide im Traume vorhanden sind; aber ich frage zuförderst nach der Ursache der herrschenden Einbildungskraft in diesem Zustande. Meh-[115]rentheils setzt man sie in den beinahe gänzlichen Mangel der sinnlichen Empfindung. Die Einbildungskraft wirkt, dieser Erklärung zufolge stärker, weil wir von den Vorstellungen, welche uns zuströhmen, nicht gestört werden. Herr M. tritt dieser Meinung auch bei; denn er sagt (im 9n Bandes 1n Stück S. 71.) »Die Ursache des Traumes ist eine durch die Wirksamkeit der Sinne ununterbrochene Einbildungskraft,« ich mache aber in meiner Fortsetzung (im 9ten Bande 2ten Stück S. 13.) folgenden Einwurf: »Allein es frägt sich: warum erhalten nicht durch den Mangel an sinnlicher Empfindung auch die höhern Seelenkräfte einen höhern Schwung? warum sinken sie vielmehr so tief herab, daß wir im Traume alle die Ungereimtheiten im Ernste glauben, welche uns darin vorkommen? Warum verhält es sich nicht grade so, als wenn wir im Finstern säßen; denn nicht blos die Einbildungskraft, sondern auch die höhern Seelenkräfte, leisten alsdann ihre Funktionen weit besser, so daß viele denkende Köpfe, und besonders viele Engländer, sich ins Finstere setzen, oder den Eingang des Lichts bei hellem Tage verhindern, um eine Spekulation durchzudenken.«

Und nun werde ich Anfang und Ende von der Anmerkung anzeigen, welche Herr M. zu dieser Stelle gemacht hat: »Diese Frage habe ich schon im gedachten Aufsatze (das ist im 9ten Bande 1ten Stück S. 2. darinn seine vorangeführte Erklärung vorkommt) auf folgende Art beantwortet,« und zu Ende dieser Anmerkung sagt H. M. dem Leser im [116]voraus: »Der Verfasser scheint, ob zwar mit Umschweif eben dasselbe zu sagen,« und ich antworte vorläufig: diese Frage steht ganz zuverlässig in dem bemerkten Aufsatze des H. M. ganz und gar nicht; ja er kann, aus dem von mir angeführten Grunde, nicht einmahl an sie gedacht haben; und nun werde ich den ganzen übrigen Theil seiner Anmerkung nach und nach anführen, und wo es nöthig seyn wird, meine Meinung darüber sagen. H. M. glaubt also geantwortet zu haben: »Im Schlafe verliert der Körper seine zur Wirksamkeit der Seele, nach der bekannten Harmonie zwischen Seele und Körper erforderliche Spannung. Im Traume bekommt er zum Theil diese Spannung wieder. Die Einbildungskraft zeigt sich alsdann thätig in Ansehung derjenigen Associationsart, die keine Selbstmacht der Seele erfordert, als der Aehnlichkeit, Konsistenz, (soll wohl Koexistenz heißen) und Sukzession, d.h. solcher, worinn die associirten Ideen schon durch die äußern Objekte bestimmt werden, nicht aber in Ansehung der Associationsart der nothwendigen Dependenz, von Grund und Folge, die eine Selbstmacht der Urtheilskraft erfordert.« Hiergegen finde ich Folgendes zu erinnern: 1) Ist es nicht wahr, daß beim Träumen keine Art von Einbildungskraft vorkommt, welche eine Selbstmacht der Seele erfordert; es werden im Traume ganze zusammenhängende Begebenheiten geschildert, und dies sollte keiner Selbstmacht nöthig haben? Mir ist das unbegreiflich. Die Fantasie — denn die [117]Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehört eigentlich zur Fantasie — kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos überspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine höhere Seelenkräfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die Fantasie herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeübt wird, wenn sie nicht der Vorsatz — in dem eigentlichen Sinne des Wortes — veranlaßt; und daß ich es hier vorläufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Rückfälle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen möglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die höhern Seelenkräfte unterdrückt? oder mit andren Worten: warum werden die Kräfte unterdrückt, welche eine Willkühr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspüren? Ich finde in der angeführten Anmerkung keine andre Antwort als: »Weil es die Harmonie zwischen Seele und Körper so mit sich bringt;« und das hätte ich gesagt? ich hätte mich statt einer Erklärung auf diese Harmonie berufen? H. M. fährt fort: »Trift es sich aber zufälligerweise, daß diese [118]beiderley Associationsarten in ihren Wirkungen übereinstimmen, alsdann wird nicht nur die Einbildungskraft sondern auch die höhern Seelenkräfte in Wirksamkeit gesetzt,« aber warum? wenn die Einbildungskraft die Wirkung hervorbringt, welche sonst die höhern Seelenkräfte hervorzubringen pflegen, so werden sie dadurch noch nicht in Wirksamkeit gesetzt; und ist nicht diese eben angenommene Harmonie eine Hypothese und noch dazu eine höchst unwahrscheinliche Hypothese, die sich durch weiter nichts erklären läßt, als daß sie ein Werk des Zufalles ist. »Man geräth alsdann wirklich auf neue Erfindungen in Wissenschaften, auf Auflösung schwerer Probleme und dergleichen.« Dieser Fall ist, wie H. M. bald darauf selbst erinnert, sehr selten; allein warum nimmt Herr Maimon einen Fall an, der sich auch im Wachen nur bei wenigen Menschen, und auch bei diesen äußerst selten ereignet? hingegen kommen die Fälle sehr häufig vor, daß man im Traume über gewisse Gegenstände raisonnirt; das Raisonnement mag unrichtig seyn oder nicht, so beweist es entweder, daß die höheren Seelenkräfte im Traume nur unterdrückt, aber nicht ganz außer Wirksamkeit gesetzt werden; oder man muß auch für diese äußerst häufig vorkommenden Fälle die höchst unwahrscheinliche Hypothese des H. M. annehmen. »Da aber der Fall sich sehr selten ereignet, daß z.B. die Associationsart der Konsistenz (Koexistenz) mit der Dependenz in den Objekten übereinstimmt, so darf freilich niemand darauf Rechnung machen, [119]und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung hübsch wachend anstellt.« Wenn der Scherz hievon abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes übrig: Die Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den höhern Seelenkräften ist so unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten läßt; und hierin hat H. M. allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so entgegengesetzte Kräfte harmonische Wirkungen hervorbringen würden?

Ich werde nunmehr zu meiner Erklärung schreiten; es ist nehmlich darzuthun, warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft herrschend ist. Zuförderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft herzuleiten.

Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel über ihre Möglichkeit und Anwendbarkeit; die nehmlichen Bewegungsgründe, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt der Begriffe selbst zu prüfen, und sie wird alle Augenblicke in ihren Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine Anschauung; die weilende Einbildungskraft verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder sehr [120]viele Anziehung für uns hat, und die Vernunft wird hierdurch ebenfalls in ihren Fortschritten gestört. Durch diese Hindernisse wird die Seele von ihren angestellten Untersuchungen ganz abgebracht; die weilende Einbildungskraft und die Selbstmacht, welche durch die vorigen Operationen rege wurden, verbinden sich mit einander und erzeugen die Fantasie; denn diese ist nichts anders als eine Einbildungskraft, welche weilend genug ist, um Bilder vollkommen auszumahlen, mit Selbstmacht vereint, um Fortschritte zu machen, und von einer Vernunft begleitet, welche keine Zweifel erregt, als solche, die dem Entwurfe der Einbildungskraft zu statten kommen. Diese vorerwähnten Schwierigkeiten stehn der Erlernung einer neuen Wissenschaft, und der Fortsetzung einer Untersuchung entgegen, auch enthalten sie die Ursache, daß Schulknaben, nachdem sie lange studirt, eine Anwandlung von Fantasie — in dem eben erklärten Sinn — bekommen, welche eine Zerstreuung nöthig macht.

Bey Erlernung der reinen Mathematik sind jedoch diese Schwierigkeiten nicht vorhanden; denn in der Geometrie fallen Anschauungen und Begriffe ineinander; die Anschauungen unterstützen also noch die Vernunft, und die weilende Einbildungskraft hat gar keine Gelegenheit sie in Naturbilder zu verwandeln; noch hat die Geometrie Begriffe, welche Zweifel erregen. In der Arithmetik und gemeinen Algebra haben die Begriffe gar keine Anschauungen; die weilende Einbildungskraft kommt also auch in [121]diesen Wissenschaften mit der Vernunft in gar keine Kollision, und die Begriffe derselben sind ebenfalls nicht dem mindesten Zweifel unterworfen. Man sagt daher mit Recht, daß nicht derjenige dumm sey, der die Metaphisik oder auch eine praktische Wissenschaft nicht zu fassen vermag, sondern derjenige, welcher die Fähigkeit nicht hat, die reine Mathematik zu erlernen; denn um diese zu erlernen braucht man keinen Hindernissen entgegen zu arbeiten, welche von den Seelenkräften selbst herkommen, und man muß also den Grad der Vernunft nicht haben, der zu ihrer Erlernung erfordert wird; das ist, man ist in Absicht dieser Wissenschaft dumm.

Ich habe gesagt in Absicht dieser Wissenschaft; denn ich will gar nicht behaupten, daß derjenige, dem es zu schwer wird, die Lehren der reinen Mathematik zu fassen, in keiner andern Wissenschaft fortkommen kann; denn die Mathematik erfordert einen Grad der Vernunft, welchen wenige andere Wissenschaften erfordern; ich sage nur, daß der Fehler in dem Grad der Vernunft selbst liegen muß, wenn jemand die reine Mathematik nicht zu begreifen vermag.

Man siehet, daß der Beendigung einer Untersuchung, der Erlernung aller Wissenschaften große Schwierigkeiten entgegen stehen, und daß davon nur eine einzige ausgenommen ist, zu deren Erlernung aber ein großer Grad der Vernunft erfordert wird, und hiemit hat sich die vorhin angezeigte Frage: warum im Traume die Einbildungskraft walltet, und die höhern unterdrückt sind, in eine ganz an-[122]dere verwandelt, nehmlich: warum ist nicht auch im Wachen die Einbildungskraft herrschend und die höheren Seelenkräfte unterdrückt, da selbst die Wirksamkeit der Vernunft die Einbildungskraft in Wirksamkeit setzt, und die angezeigten Operationen der höhern Seelenkräfte hindert? Woher kommt es also, daß Untersuchungen durchgeführt, Wissenschaften erlernt, ja sogar erfunden werden können?

Ich antworte: der Vorsatz vermag alles dieses; die Anspornung, das einmal Vorgenommene auszuführen, und die Schwierigkeiten zu besiegen, welche sich der Ausführung entgegenstellen, belebt die Macht welche wir haben, Ideen zu schwächen, zu stärken und zu leiten; der Vorsatz ist es also, welcher im Wachen der Vernunft aufhilft, die Einbildungskraft zu Gunsten der letztern unterdrückt, und die Zweifel, welche ihren Fortgang hindern, zurückweist.

Ich kann mich nicht enthalten, hier wiederum im Vorbeygehn eine Anmerkung zu machen: man wundert sich über die Entstehung der Selbsttäuschung, und scheint zu vergessen, daß sie von der Kraft herrührt, welche wir haben, Zweifel zurück zu weisen. Wenn wir also etwas erwägen, dabei wir sehr interressirt sind, so sind wir in Gefahr die Gründe abzuweisen, von denen wir merken, daß sie nicht zum Vortheil unsrer Selbstbefriedigung ausfallen werden, und die Gründe zu erheben, welche sich mit ihr vertragen. Wer sich zu täuschen sucht, wiederhohlt die Gründe, welche für seine Lieblingsmeinung sind unzähligemahl, und hört nicht gerne die Gegen-[123]gründe vortragen. Daß man aber wirklich die Kraft hat, Zweifel zurück zu weisen, beweisen unsre Erfahrungskenntnisse. Würden wir deren haben, wenn wir bei Anstellung der Erfahrung die Zweifel erwogen hätten, welche gegen die Erfahrungsschlüsse statt finden? und müssen sie nicht einem jeden eingefallen, und bey Anstellung der Erfahrung und Gründung aller Erfahrungslehren zurückgewiesen worden seyn? Also das im Vorbeigehn und nun wiederum zur Sache.

Die Selbstmacht muß jederzeit einen Bestimmungsgrund in dem Begehrungsvermögen haben, die Bestimmungsgründe der Selbstmacht zur Fantasie sind aus dem bereits Vorgetragenen leicht abzunehmen, aber zur Selbstmacht welche zur Vernunft gehört? dazu kann nun kein andrer Bestimmungsgrund vorhanden seyn, als der Reitz, den es für uns hat, das Vorgenommene auszuführen, und die Schwierigkeiten zu überwinden; allein wir trotzen den Schwierigkeiten nicht, wenn wir nicht wenigstens vermuthen, daß wir sie überwinden können; hiezu wird aber wiederum erfordert, daß wir eine Kenntniß von unsrer Fähigkeit besitzen; dann machen wir uns selbst zum Gegenstand unsrer Betrachtungen und fragen: vermag ich das? Also setzt die Ausübung des Vorsatzes auch ein Selbstbewußtseyn voraus; da nun ohne Ausübung des Vorsatzes die Einbildungskraft herrschen muß, auch alsdann die reinere Vernunft — im Gegensatz einer solchen, welche sich mit der Fantasie verbindet — nicht wallten kann, so muß auch im Traume die Einbil-[124]dungskraft herrschend und die reine Vernunft unterdrückt seyn, weil unser Bewußtseyn darin unvollkommen ist.

Es wird nun noch zu zeigen seyn, warum das Bewußtseyn im Traume unvollkommen ist. Das ist, warum wir im Traume nur selten uns als einen Gegenstand betrachten, und uns auch die Spuren unsres Ideenganges oft verloren gehn; denn beyde Bestimmungen sind vom Traume angenommen worden.

Wenn wir uns als einen besondern Gegenstand betrachten, das ist, wenn wir ein Selbstbewußtseyn haben sollen, dann müssen wir Rückblicke von unsren Vorstellungen auf die Quelle derselben werfen. Nun wird, wie Homer bemerkt hat, der Rückblik von Folge auf Grund der Seele sehr schwer, es müssen daher dem Selbstbewußtseyn im Traume zwei Schwierigkeiten entgegen stehen, 1) die eben angegebene, 2) werden die mehresten Traumideen in einem Traume, darinn Täuschungen vorgehn — in einem Traume, darinn die Einbildungskraft blos überspringend ist, geht, wie mehreremale erinnert worden, gar keine Täuschung vor, weil darin kein Urtheil vorhanden ist — es werden also die mehresten Traumideen durch eine Selbstmacht der Seele hervorgebracht, und die Seele ist demnach mit Hervorbringung derselben zu sehr beschäftigt, als daß sie einen Rückblick auf sich selbst werfen könnte, daher muß auch unser Selbstbewußtseyn im Traume nur geringe seyn. Hieraus folgt aber, daß uns auch die Spur unsrer Gedankenreihen oft verloren gehn müs-[125]se; denn um sie zu kennen müssen wir von Zeit zu Zeit eine Revision über unsre Gedankenreihe anstellen, wie das im Wachen wirklich geschiehet; dazu ist aber die Erinnerung erforderlich, welche wiederum ohne Selbstbewußtseyn nicht möglich ist. In dem Augenblick, in welchem wir uns auf etwas zu erinnern bemüht sind, müssen wir einen hohen Grad von Selbstbewußtseyn haben, wir betrachten uns als einen Gegenstand, und rechnen die Begriffe her, welche diesem Gegenstande zugekommen sind. Da nun das Selbstbewußtseyn im Traume nur selten da ist, so kann auch die Revision nur selten geschehen, und es müssen daher die Spuren des Ideenganges oft verloren gehn.

Wenn aber ein Traum lange fortgesetzt wird, ohne daß Rückfälle in den tiefern Schlaf geschehen, so verbessert sich das Selbstbewußtseyn, und mit ihm alle Funktionen der Seele; denn die Seele beschäftigt sich alsdann mit den Bildern, welche sie schon vorher hervorgebracht hat, bringt weniger neue Bilder hervor, und verhält sich also in Absicht der ihr vorschwebenden Bilder mehr leidend als wirkend, und kann demnach weit eher ihre Thätigkeit anwenden, um Rückblicke auf sich selbst zu werfen, und ihr Selbstbewußtseyn zu verbessern.

Wenn uns aber Vorstellungen von aussen zuströhmen, dann verhalten wir uns nicht nur mehr leidend als wirkend, sondern auch der Rückblick auf eine Ursache wird dadurch sehr erleichtert, welches ich in meinem Aufsatze aus der Erfahrung darzu thun suche.

[126]

Die Streitpunkte zwischen Herrn Maimon und mir sind also folgende.

Nach mir ist die Unterbrechung und Nichtunterbrechung der Ideenreihen ein Kennzeichen der äussern Wirklichkeit, oder Nichtwirklichkeit, welches H. M. leugnet. Nach Herrn M. ist die Selbstmacht, welche wir anwenden, eine Ideenreihe fortzusetzen oder zu unterbrechen ein Kennzeichen der äussern Wirklichkeit, welches ich leugne. Nach Herrn M. giebt es keine Selbstmacht im Traume; nach mir hingegen ist dieses nur von Träumen wahr, darinn die Einbildungskraft blos überspringend ist, nicht aber in solchen, darinn die Einbildungskraft weilend ist, und darinn allein eine Täuschung vorgeht, denn in solchen Träumen ist auch Selbstmacht nach meiner Behauptung vorhanden.

Nach H. M. urtheilen wir im Traume nicht über die Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit der uns vorschwebenden Bilder, welches ich leugne, weil im Traume, darinn die Einbildungskraft weilend ist, allerdings ein solches Urtheil gefällt wird.

Nach H. M. kann man in der Psychologie alles aus einem einzigen Prinzip erklären, welches ich leugne.

Die beiden letzten Anmerkungen des H. M. betreffen die Transcendentalphilosophie und haben keinen Einfluß in diese Materie, daher ich sie nur berühren werde.

S. 22. habe ich gesagt: »ob wir gleich eine Art von Erkenntniß unsres Ichs haben müssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben können,« es [127]war meine Absicht gar nicht mich in die ernsten Spekulationen der Transcendentalphilosophie einzulassen, und ich sagte dieses nur im Vorbeygehn. Herr M. fängt seine Anmerkung folgendermaßen an: »Ich glaube schwerlich: Die Wahrnehmung des Ichs u.s.w.« Ich bemerke blos, daß ich von keiner Wahrnehmung, sondern von einer gewissen Art der Erkenntniß gesprochen. Es ist aber hier der Ort nicht ausführlich hierüber zu seyn.

S. 24. fängt sich die Anmerkung des H. M. folgendermaßen an: »So wenig die Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen (welche bloße Formen der Erkenntniß sind u.s.w.)« Ich kann mich zu dem Kommentar, den H. M. in Klammern eingeschlossen hat, nicht verstehn. Ich habe an Kantische Formen gar nicht gedacht, sondern unter dem Ausdrucke Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen, vorzüglich die Bilder der Einbildungskraft verstanden; da ich in dem ganzen Aufsatze diesen Ausdruck in diesem Sinne genommen habe, kann ich nicht einsehn, worin H. M. mit mir streitet.*) 10

Joseph Veit.

Fußnoten:

1: *) Dieses ist zwar wahr, wie das Gewissen des V. ihm selbst zu sagen scheint; da aber ein jeder Leser es so gut einsehen kann als ich, so wäre es von mir überflüssig, ausdrücklich davon zu sprechen.
S. M.

2: **) Unter Einheit des Prinzips verstehe ich nicht eben, daß die Erscheinungen auf ein einziges Prinzip zurückgebracht werden sollen, sondern bloß die zu einer jeden Wissenschaft erforderliche Sparsamkeit der Prinzipien, so daß man kein unbekanntes Prinzip annehmen darf, so lange die Erscheinungen aus den schon bekannten Prinzipien sich erklären lassen. So lange daher die psychologischen Erscheinungen sich aus dem Gesetz der Ideenassociation (dem einzigen bekannten psychologischen Prinzip) erklären lassen, haben wir kein Recht zur Erklärung gewisser Erscheinungen andere Prinzipien außer demselben anzunehmen.
S. M.

3: *) Dieses ist dem sonstigen Scharfsinne des V. zuwider, indem er gegen mich dasjenige anführt, was in der That für mich beweißt, wie sehr ich nehmlich die Regel der Sparsamkeit der Prinzipien überall zu beobachten mich bemühe. Die wolfisch-leibnitzische Philosophie nimmt (um gewisse psychologische Erscheinungen, die sich nach dem bekannten Gesetz der Association klarer Vorstellungen nicht erklären lassen, dennoch erklären zu können) das Daseyn der dunklen Vorstellungen an. Ich hingegen leugne das Daseyn der dunklen Vorstellungen, indem Vorstellungen, wenn sie von bloßen körperlichen Eindrücken unterschieden werden sollen, nichts anders als Modifikazionen des Bewustseyns, folglich Vorstellungen ohne Bewustseyn undenkbar sind. Da man also darauf nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern bloß durch einen Schluß gerathen ist, so suche ich diese Erscheinungen, die sonst darauf führen, aus dem bekannten Erfahrungssatze von der Verbindung der Seele und des Körpers (einer jeden Vorstellung mit einer ihr korrespondirenden körperlichen Veränderung) so zu erklären, daß man ihrer entbehren kann. (Siehe 9ten Bandes 3tes Stück Seite 5-6.)
S. M.

4: *) Ich weiß nicht was der V. vom Erklären einer Erscheinung für einen Begriff haben mag. Eine Erscheinung erklären, heist dieselbe einem bekannten Gesetze subsumiren. Dieses Gesetz mag a priori oder a posteriori seyn. So wird das Aufsteigen des Wassers in den Haarröhrchen; die Bildung der Tropfen; Ebbe und Fluth und dergl. nach dem durch Indukzion allgemein gemachten Erfahrungsgesetz der Attrakzion erklärt. Ja die ganze Naturlehre enthält lauter Erklärungen nach Gesetzen a posteriori, indem die Gesetze a priori allgemeine Bedingungen aller Erscheinungen überhaupt, aber keine Erklärungsgründe besonderer Erscheinungen abgeben können. Der Vorwurf des V. ist also ungegründet.
S. M.

5: *) Auch die Vorstellungen, die nach dem Gesetz der Ideenassociation der Koexistenz und Succession auf einander folgen, haben nothwendig einen Grund außer mir. Denn dieses Gesetz bestimmt nicht, welche Ideen mit einander in Verbindung gebracht werden sollen, sondern diejenigen werden mit einander associirt, die in der Erfahrung wirklich mit einander verbunden sind.
S. M.

6: **) Es ist dieses falsch, wie ich schon in meinen Anmerkungen zu diesem Aufsatze gezeigt habe.
S. M.

7: *) Ich habe schon grade das Gegentheil davon gezeigt; daß wir nehmlich eben durch die Unterbrechung der Associationsreihe die Täuschung und den Traum als solche erkennen.
S. M.

8: *) Aber was ist diese Nichtübereinstimmung mit den Gesetzen der Natur anders als die Unterbrechung der in der besondern Erfahrung gegründeten Associationsreihe? Daß der Marienthurm, der dem V. einfällt, nicht in der Straße ist, wo er wohnt, ist wahrhaftig kein eigentlich so genanntes Naturgesetz. Der V. widerspricht sich hier selbst, und sieht sich gezwungen meiner Anmerkung beizupflichten, daß nehmlich Unterbrechung der in der Erfahrung gegründeten Ideenreihe weit entfernt ein Merkmal des Wachens abzugeben, vielmehr ein Merkmal des Träumens ist.
S. M.

9: *) Man urtheilt nur alsdann über die Wirklichkeit wenn man sich eines Merkmals der Wirklichkeit bewust ist, welches im Traume nicht statt finden kann, weil das Träumen sonst unmöglich wäre.
S. M.

10: *) Ich habe hier nur diejenigen Stellen dieses Aufsatzes berührt, die hauptsächlich mich betreffen. Was noch über diesen Aufsatz anzumerken ist, soll in der Fortsetzung der Revision vorkommen.
S. M.