ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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3.

Sonderbare Art des Trübsinnes. a

Bendavid, Lazarus

Im Jahre 1783 wurde mir ein junger Mann, Namens El—n, der seit einiger Zeit trübsinnig geworden, von meinem Freunde aus K. in P. b empfohlen. Er war 1775 Komptoirschreiber in einem Hause, in welchem ich Gesellschafter der Kinder war; und durch die Art von Bekanntschaft, die ich dadurch mit ihm gemacht hatte, glaubte mein Freund in K., daß ich mich des Unglücklichen nicht ungern annehmen würde. Als ein Kind von zwölf Jahren war ich, bei meiner ersten Bekanntschaft mit ihm, nicht im Stande, etwas Sonderbares an ihm zu bemerken; vielleicht hatte er damals auch noch gar nichts Auszeichnendes an sich. Doch erinnere ich mich noch ganz deutlich, daß er, nach geendigter Arbeit, mit meinem Lehrer Schach oder Piket zu spielen, und sich gewöhnlich an den Spieltisch mit den Worten zu setzen pflegte: nicht wahr, Freund! es ist mir erlaubt ein Stündchen zu spielen. Ich erfülle, Gott sei Dank, meine Pflichten treulich, und kann sie erfüllen, wie es nur immer einer kann! wer will mir nun die Erholungsstunde versagen?

[68]

Mein Lehrer hielt sich oft in seiner Abwesenheit über ihn auf; und als ich einst fragte: ob E. denn nicht recht hätte, antwortete er mir; es sei freilich nicht zu läugnen, daß E. ein geschickter Mensch sei; aber er bilde sich zu viel darauf ein. Selbst diese scherzhafte Aeußerung seiner Verdienste käme zu oft, um nicht für etwas mehr, als Scherz, um nicht für übertriebnen Stolz aufgenommen werden zu müssen.

Einige Zeit nachher hatte er einen Wortstreit über Religionssachen mit seinem Herrn, der ihn darüber für einen gefährlichen Menschen, einen Ketzer ansah, und ihm auf eine kränkende Art seinen Abschied gab. E. glaubte sich dem Hause unentbehrlich gemacht zu haben, und sah sich betrogen. Sein Stolz war dadurch zu sehr gebeugt, um länger an einem Orte zu verweilen, in welchem es, nach seinem erfolgten Abschiede, Leute geben mußte, die aus Schadenfreude seiner gespottet haben würden. Er verließ daher Berlin plötzlich, ohne seinen Freunden und Bekannten Lebewohl zu sagen, und reisete nach H., seinem Geburtsorte, zu seinen Brüdern.

Diese, die ihn in ihre Handlung nicht brauchen konnten, drangen in ihn, aufs neue in Kondition zu treten; und, da er wirklich die Wechselgeschäfte gründlich verstand, glückte es ihm auch bald, eine [69]einträgliche Stelle als Buchhalter in einem berühmten Handlungshause in K. zu bekommen.

E. war in den Jahren, wo der Gedanke, stets dienen, und von der Gunst eines Herrn abhängen zu müssen, anfängt lästig zu werden. Er wünschte einst selbst Herr werden und sein Häuschen anbauen zu können. Dazu gewährte ihm aber seine Stelle als Buchhalter eben nicht die frohesten Aussichten. Auch hatte er mittelerweile die Bekanntschaft mit der Tochter aus einem der ansehnlichsten Handlungshäuser daselbst gemacht, gegen die er nicht gleichgültig geblieben zu seyn schien. Die gefällige Aufnahme, die er bei den Eltern fand, das feine Betragen der Tochter gegen ihn, aber noch mehr sein Stolz, gab ihm den Gedanken ein, das Mädchen zu heurathen. Der jetzigen Verschiedenheit ihrer Glücksumstände ungeachtet, zweifelte er nicht, die Einwilligung der Eltern und des Mädchens zu erhalten, sobald er nur im Stande seyn würde, Frau und Kinder anständig zu ernähren. Scherzhafte Aeußerungen von Seiten der Eltern, zweideutige Ausdrücke von Seiten der Tochter, galten ihm für Einwilligung, für Liebeserklärung ; und nun war er auf nichts bedacht, als auf Verbesserung seiner Lage.

Bei den Fähigkeiten, die E. sich zutrauete, schien ihm das Studium der Medizin das Fach zu seyn, mit welchem er sich bald bekannt machen, in [70]welchem er sich bald auszeichnen, und wodurch er sich bald in den Stand setzen würde, seinen vorhabenden Plan auszuführen. Er verließ daher seine Stelle als Buchhalter, ließ sich auf der dasigen Universität als Student einschreiben, und legte sich mit ungemeinem Fleiße auf die Wissenschaften. Seinen Unterhalt hatte er der Freigebigkeit seines Herrn und der übrigen dortigen Judenschaft zu verdanken.

Damals war es, als ein dortiger Weltweise Vorlesungen über ein Werk hielt, das, ein Paar Jahre nachher, durch den Druck allgemein bekannt wurde, und den Namen seines Verfassers der Sterblichkeit entzog. c Alles strömte nach den Vorlesungen des großen Mannes hin, und E. war keiner der letzten. Sein unsterblicher Lehrer flößte ihm Hochachtung ein, und er wollte ihm in allem gleich werden. Er war sein Ideal, Er das letzte Ziel menschlicher Vollkommenheit, menschlicher Größe und Würde. Seinem großen Lehrer war abstraktes Denken Zeitvertreib, die tiefste metaphysische Untersuchung angenehme Unterhaltung geworden. Auf seinen einsamen Spatziergängen selbst, soll er sich damit beschäftigen. E. suchte ihm auch hierinn nachzuahmen. Mit Vernachläßigung seines Hauptfaches, der Heilkunde, legte er sich mit allem nur möglichen Eifer auf die Weltweisheit; las, dachte und sprach nichts als von Weltweis-[71]heit, und dachte, selbst auf den Spatziergängen, die er, seiner Gesundheit halber, machen mußte, über Gegenstände der Weltweisheit nach.

Seine Freunde machten ihm schonende Vorwürfe über seine Handlungsweise, warfen ihm die Vernachläßigung seines Brodstudiums vor, und zeigten ihm, wie verschieden seine Lage von der Lage des Mannes wäre, den er sich zum Muster gewählt hätte. Alles vergeblich, ihn von seiner Lieblingswissenschaft abzubringen, aber hinreichend auf seinen Geist widrig genug zu wirken. Wollte er über einen Gegenstand der Metaphysik nachdenken, so stellten sich ihm die Vorwürfe seiner Freunde und die Möglichkeit, daß sie ihre wohlthätige Hand von ihm abziehn konnten, mit allen ihren schrecklichen Folgen vor. Seine Aufmerksamkeit wurde dadurch getheilt, seine Ruhe gestört. Er zwang sich, sie wieder herzustellen; aber auch dieser Zwang mußte ihn angreifen.

Dazu kam noch, daß die Fortschritte, die er nun schon in den Wissenschaften gemacht hatte, ihn einigermaßen berechtigten, sich dem Ziele seiner Wünsche näher glauben, seiner Leidenschaft für sein geliebtes Mädchen ganz nachhängen, und den Eltern den Antrag förmlich machen zu dürfen. Man hielt es nicht der Mühe werth, ihn geradezu abzuweisen. Man glaubte, durch sein sonderbares Benehmen, Auftritte zu erleben, an denen das Auge [72]des ungebildeten Menschen sich leider so gern weidet, und machte ihm Hofnung. Dem unbefangenen Manne hätte die Art, wie sie ihm gemacht wurde, freilich leicht gezeigt, daß man nie dachte sie zu erfüllen. Ihn blendeten sie.

Liebe, Gewissensbisse, über die Vernachläßigung seines Hauptfaches, und spekulative Weltweisheit, als seine Lieblingswissenschaft, drängten sich stets seinem Geiste zu gleicher Zeit auf, konnten nur durch Kampf herausgehoben werden, und bekämpften endlich ihn selbst. Er ward krank.

Von seiner Krankheit genaß er; aber sein Verstand war zerrüttet. Er sprach irre; und an die Fortsetzung seiner Studien war nun nicht mehr zu denken. Seine Freunde in K. wollten ihn von einem Orte entfernen, wo die Gegenstände alle zu lebhaft auf ihn wirken, alle ihn an vorige Zeiten erinnern mußten. Sie glaubten, daß seine völlige Genesung vielleicht am besten in dem Schooße seiner Familie gelingen möchte; er sollte daher nach H. zu seinen Brüdern. Bei dieser Reise mußte er über Berlin, wo ihm, von seinen Gönnern, der Aufenthalt von einigen Monathen, zu seiner Zerstreuung verstattet wurde, und wo ihm während dieses Aufenthalts 15 Rthl. monathlich durch mich ausgezahlt werden sollten.

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An einem Dienstage trat E. mit dem Manne, den seine Freunde in K. zu seiner Begleitung ihm mitgegeben hatten, in meine Stube. Es war der Mensch nicht mehr, den ich vormals gekannt hatte. Sein feiner, aber fester Körperbau war nun in eine dünne, weiche Gestalt verwandelt. Das lebhafte, sonst wilde, große blaue Auge blickte nun wild, aber matt umher; die Stirne voller Falten; das Gesicht voller Gruben: kein Blutstropfen auf demselben. Todtenbleiche überzog die Wange. Er sah mir starr ins Auge, drückte meine Hand, die ich ihm reichte, und drückte sie mit einer Rührung, die mir anzeigen sollte, daß er sich meiner noch ganz wohl erinnerte. Er sprach kein Wort. Endlich ließ er meine Hand fahren, ging die Stube mit starken Schritten auf und ab, stand plötzlich still und fragte, ohne sich eigentlich an mich zu wenden: wo werde ich logiren? Doch nicht hier? Hier sind keine Betten. Ich antwortete ihm, daß man für Wohnung und alles gesorgt hätte, was ihm noch nothwendig seyn könnte.

»Was mir noch nothwendig seyn könnte? erwiederte er hastig. Ha! ich merke schon, man hat Ihnen auch geschrieben, daß ich krank sei; aber ich bin nicht krank. Sie dorten (seine Freunde in K. nehmlich) haben mich krank gemacht — wollen mich krank machen, setzte er nach einer Weile in einem wehmüthigen Tone hinzu.«

[74]

Der Gedanke, daß man ihn krank machen wollte, schien der herrschendste bei ihm zu seyn. Alle seine Gespräche, alle seine Anspielungen deuteten daraufhin. Er nahm auch daher nicht die mindeste Arzenei zu sich, aus Furcht, der Arzt und Apotheker könnten mit seinen Feinden in Bündniß getreten seyn. Seine Gemüthslage erlaubte uns nicht, ihn zum Gebrauche der Arzenei zu zwingen, erlaubte ihm von der andern Seite nicht, in den Gesellschaften, in die man ihn einführte, diejenige Zerstreuung zu finden, die ihn hätte aufheitern können, und die er gewiß gefunden haben würde, wenn er nicht stets in sich gekehrt gewesen wäre. Er ließ sich zwar auf Spatziergängen mitnehmen, aber genoß sie nicht; sah nichts, hörte nichts, als was seinem Kummer Nahrung verschafte — und wo hätte er diesen nicht gefunden?

An einem Frühlingsnachmittage, wo die Natur in ihrer ganzen jugendlichen Schönheit sich zeigte, wo das frische Laub schon groß genug war, um die schwarzen Aeste zu bedecken, aber noch zusammengezogen, jedem frohen Auge das Bild des emporstrebenden Geistes darbot — an einem solchen Nachmittage nahmen wir E. mit nach dem Thiergarten. Die Gesellschaft war gemischt, und jeder bestrebte sich, so gut er konnte, ihn zu unterhalten. Vergebens! Einsylbige Wörter waren stets seine ganze Antwort. Nur Madam V., dieser geist-[75]reichen Tochter des verewigten M. M., glückte es, eine etwas längere Antwort von ihm zu erhalten, die uns aber alle hinriß, und den ganzen traurigen Zustand seines Gemüths entfaltete.

»Sehn Sie, lieber E., sagte sie zu ihm, wie die Natur so schön um sie her ist. Blicken Sie nur um sich; sehn Sie nur das junge Grün, und es wird Ihnen wohl seyn.« — »Mir wohl seyn! erwiederte er, und sah ihr wild ins Auge — mir wohl seyn! wiederholte er beklommen, ich sehe nicht das Grün, das Sie sehn; sehe nur das abgefallne Laub des vorigen Jahres, und mir ist weh.« Eine Thräne zitterte in seinem Auge, er war innigst erschüttert, und bat die Gesellschaft verlassen und nach Hause gehn zu dürfen.

Sein Gemüthszustand wurde, da er kein einziges Mittel zu seiner Besserung anwandte, von Tage zu Tage schlimmer. Seine Freunde hatten nichts an ihn zu schreiben, und er sehnte sich nach ihren Briefen; fand in ihrem Stillschweigen Beweise ihrer Treulosigkeit, fluchte ihnen und verfluchte sein Daseyn. Die Tage brachte er fast ohne alle Nahrung, die Nächte schlaflos zu. Zucker war seine einzige Speise, Kaffe sein einziges Getränk. Von dem ersten aß er oft mehr als ein Pfund, und den letzten trank er an vier- bis fünfmal täglich. Einst wendete er auch sein ganzes Monathgeld zum Einkauf des Zuckers an, aß einen [76]Theil davon, lösete den übrigen in Wasser auf, und goß, nachdem er etwas von dieser Auflösung getrunken, das übrige zum Fenster hinaus. Auch stand er stundenlang nackt vor dem Spiegel, und besah sich in demselben mit äußerster Gefälligkeit.

Nur dann und wann waren lichte Blicke in seiner Seele, in denen er entweder nach K. schrieb, oder in Meiners philosophischer Sprachlehre d las. Seine Briefe waren zusammenhängend, aber beim Schreiben las er, nach einigen hinzugesetzten Wörtern, stets das Ganze von Vorne durch — gleichsam als setze er ein Mißtrauen in sich selbst, und fürchtete er den Zusammenhang verloren zu haben. Auch kam er in dem gedachten Buche nicht weiter, als bis auf die dritte Seite. Er fing, so oft er es zur Hand nahm, immer von Vorne an, und das erste Blatt erschöpfte schon seine ganze Besinnungskraft. War er in diesen lichten Augenblicken zum Sprechen zu bringen, so suchte er gewöhnlich etwas wissenschaftliches an den Faden seines Gesprächs zu knüpfen, wo er dann seine Meinung mit vieler Wärme, oft mit wahrem Scharfsinne vertheidigte, und seine Zuhörer den Verlust seines Verstandes doppelt bedauern ließ.

Leides fügte er niemanden zu; und selbst, wenn er in der Zerstreuung einigen Schaden anrichtete, entschuldigte er sich sogleich deshalb. Seine Wirthinn, die Büchsenschäfterinn Leib, feierte den Ge-[77]burtstag eines ihrer Kinder durch Musik und Tanz. Nachher sollte Puppenspiel seyn. Sie glaubte, daß diese Art von Zerstreuung ihrem unglücklichen Miethmanne, der sie mit Mitleiden durchdrang, zuträglich seyn könnte, und lud ihn daher selbst ein, um ihn sogleich mit in die Gesellschaft zu nehmen. Sie fand ihn nackt vor dem Spiegel stehen. Er, ohne sich darum zu bekümmern, wes Geschlechts seine Zuschauerinn wäre, ging, auf ihre Einladung, die Stube auf und ab, um einen Entschluß zu fassen, sagte endlich: er werde kommen, nur müsse er sich doch wohl erst ein wenig besser ankleiden, als er es jetzo wäre.

Viel besser, als in der Naturkleidung, erschien er nun wirklich nicht. Lederne Beinkleider, Stiefeln und Sporn, und ein Ueberrock auf dem bloßen Leibe, war sein ganzer Anzug. Er forderte seine Wirthinn zu einem Minuet auf, tanzte die erste Hälfte desselben ganz richtig; aber verließ beim Handgeben Tanzplatz und Gesellschaft, ging in das Zimmer, wo das Marionettentheater schon angeordnet war, und richtete unter den armen, wehrlosen Schauspielern eine schreckliche Verwüstung an. Er kam aber bald wieder zum Besinnen, suchte seine Wirthinn auf, bat sie mit thränenden Augen, ihm zu verzeihen, und Mitleiden mit ihm zu haben. Er wollte seine silbernen Schuhschnallen verkaufen, um ihr den Schaden zu ersetzen. Für die Zerstö[78]rung ihrer Freude, könnte er ihr keine Entschädigung anbieten; sie sollte sich aber darüber nur mit ihm trösten: auch seine Freuden wären ihm zerstört worden, und was das schlimmste wäre, von sogenannten Sinnigen zerstört worden.

Der Grund zu seinem Trübsinn war mir damals noch nicht bekannt, und ich glaubte, das sicherste Mittel ihn von ihm selbst zu erfahren, sei sein Zutrauen zu erwerben, und keine Lust zu verrathen, tiefer in seine Geheimnisse dringen zu wollen, als er sie zu entdecken für rathsam halten würde. Bei seinem Mißtrauen gegen die Menschen, hätte Neugierde alles verderben müssen. Ich irrte nicht. Denn als ich ihn einen Abend, wo er über seinen Zustand bitterlich klagte, tröstete und ihm sagte: es werde noch alles gut werden, fragte er spöttisch: meinen Sie? Doch setzte er hinzu, es ist mir nun kein Wunder mehr, daß Menschen, die sich für meine Freunde ausgeben, mich hintergehn wollen. Mein Vater, meine Brüder und meine besten Freunde haben mich betrogen, und ich Thor traue noch immer den Menschen, lasse mich von Weichherzigkeit hintergehn, halte Schwäche für Mitleiden.

Seine Zunge war nun gelöset und sein volles Herz suchte sich zu ergießen. »Hören Sie, sagte er, indem er sich vertraulich zu mir setzte, und seine Hand auf die meinige legte, hören Sie nur den [79]Streich, den mir meine besten Freunde gespielt haben, und urtheilen Sie, ob ich Menschen noch trauen kann.«

»Zweimal habe ich das große Loos in der holländischen Lotterie gewonnen. Ich habe nun freilich nicht gesetzt, denn ich bin arm, sehr arm. Aber sie dorten hatten das Geld darzu hergegeben, ließen, weil es verboten ist, in fremden Lottos zu spielen, die Zettel auf meinen Namen nehmen, und versprachen mir, für die Gefahr, der ich mich dadurch aussetzte, einen gleichen Antheil am Gewinnste. Die Kerl dachten nun bei ihrer Versprechung freilich nicht, daß die Loose so viel ziehn würden. Aber die Loose thaten es doch, und mir nichts, dir nichts, muß ich euch krank werden. Die Zettel sind bei meiner Genesung verschwunden, meine Braut kennt mich nicht mehr, niemand will etwas von mir wissen.«

»Das haben sie mir nun schon zweimal gethan! Wollte ich nicht jede Art von Zudringlichkeit vermeiden, so könnte mir freilich mein Vater zu meinen Rechten verhelfen; aber —« So ungern ich ihn unterbrechen wollte, so wenig konnte ich es doch über mich gewinnen, mein Erstaunen über das letzte zu unterdrücken. Ihr Vater! rief ich unwillkührlich aus?

[80]

»Ha! erwiederte er, Sie glauben wahrscheinlich auch, daß der Jude in H. mein Vater sei? ich bin nicht von jüdischen Eltern, wenigstens nicht von einem jüdischen Vater gezeugt worden. Ich trage auch das Kennzeichen eines Juden an meinem Körper nicht; und das schützt mich, daß L., den Sie kennen, und der mir ähnlich sieht, sich nicht für mich ausgeben kann, so gern er auch wollte.«

Ich muß hier anmerken, daß ich ihn oft genug nackt gesehn, und mich von der Falschheit dieser seiner Behauptung zu überzeugen, mehr als eine Gelegenheit gehabt hatte. Aber erklärbar ward mir dadurch, weshalb er so gern nackt vor dem Spiegel stand, und sich stets mit einer Art von Selbstzufriedenheit in demselben erblickte.

»Mein Vater, fuhr er fort, ist der Prinz **, das ist in H., in K. und auch bei Hofe bekannt. Ich mußte dreimal verschiedenen Malern sitzen, und von den dreien Bildnissen hängt das eine in **, das andere, in welchem ich ein grünes Kleid trage, in **, und das dritte weiß Gott wo? Mein Gedächtniß wird schwach. Vor meiner Krankheit wußte ich es auch; aber seitdem besinn' ich mich vergebens darauf. Der Professor M. in K., der mich immatrikulirte, muß es wohl auch gewußt haben. Denn, sehen Sie, in meiner Matrikel steht der Ausdruck: Studiosus nobilissimus; der nun freilich nachher, weil ich öffentlich kein [81]adlicher seyn darf, für ein Versehn ausgegeben, aber demohngeachtet nicht abgeändert wurde.

»Auch der König kennt mich und meine Abkunft. Er sah mich auf dem Postwagen bei meiner Herreise, und fragte den General **, der ihm zur Seite ritt: was ist er nun? Durch des Generals Antwort merkte ich erst recht, daß die Frage des Königs mich anging. Philosoph! antwortete der General.«

»Ehre genug erzeigt man mir. Die Schildwache am Posthause trat, bei meinem Absteigen vom Wagen, ins Gewehr vor mir. Aber was hilft das; das Geld, das ich gewonnen habe, wollen, sagen sie dorten, die Generalstaaten nicht über die Grenze lassen und .....«

Er hatte mir nun schon genug gesagt, um ihn unterbrechen und einsehn zu können, daß auch sein vermeinter Gewinnst in der holländischen Lotterie eine Geburt seines zerrütteten Gehirns gewesen sei. Möglichkeiten hatten bei ihm die Stelle der Wirklichkeit vertreten; ließen ihn in seiner Einbildung von Stufe zu Stufe des verbesserten Zustandes steigen, und machten ihn endlich zum Bastarten eines Prinzen.

Seine Freunde schrieben mir nun zu verschiedenenmalen, ihn von Berlin nach H. zu schaffen, [82]indem die erwünschte Besserung in Berlin doch nicht erfolgte. Gewalt anzuwenden hatte ich keine Erlaubniß, und Ueberredung fruchtete bei ihm nichts. Ich verfiel daher auf ein Mittel, das mir jetzt nicht ganz recht scheint, aber das mir damals das bequemste zu seyn schien, den Wunsch meiner Freunde zu erfüllen, weil es ganz in seinen Ideengang eingriff, ihn zur Abreise geneigt zu machen.

Ich sagte ihm nämlich einen Morgen, daß ich vom Minister ** Befehl erhalten hätte, ihm die Nachricht zu hinterbringen, daß der Prinz, sein Vater, ihn sprechen wollte. Für Extrapost, Bedienten und Zehrung auf der Reise wäre vom Prinzen gesorgt worden; und er hätte weiter nichts zu thun, als sich auf den Wagen zu setzen, und sich an Ort und Stelle bringen zu lassen.

Diese Nachricht setzte ihn außer sich vor Freude. Er fing sogleich an einzupacken, und schickte sich zur Reise an. In dem Wahne zum Prinzen zu fahren, würde er nach H. gebracht worden seyn; und wer weiß, ob diese neue Täuschung nicht das Uebel ärger gemacht hätte. Der Zufall vereitelte meinen Plan, und ich danke ihm noch dafür. Ich mußte nämlich E. verlassen, um die Post zu bestellen, und den Menschen aufzusuchen, der ihn begleiten sollte. Mittlerweile kleidete er sich an, lief zum Minister, um sich von demselben ein Schrei-[83]ben an den Prinzen als Beweiß ausfertigen zu lassen, daß er der nehmliche wäre, den der Prinz verlangt hatte. Der Minister war verreiset, und der Sekretair versicherte ihm, daß kein wahres Wort an der ganzen Sache wäre.

Er suchte mich nun auf, und als er mich in seiner Wohnung fand, erzählte er mir die Geschichte mit vieler Kälte, und setzte verdrießlich hinzu: Sie haben mir einen Dienst leisten und mir zu meinen Rechten verhelfen wollen; das seh ich wohl ein. Aber Sie hätten mir den größten Schaden zufügen können. Hätte der Prinz nicht glauben müssen, daß ich mich ihm aufdringen wollte? Das wäre die kleinste Folge ihres unbesonnenen Streiches gewesen. Er bat, daß ich ihn verlassen, und ihn nicht ferner besuchen sollte, weil er sich vor mir schäme, von seinem Grundsatze: keinem Menschen mehr zu trauen, abgewichen zu seyn. Sie, setzte er hinzu, haben es zu gut mit mir gemeint, und das taugt ebenfalls nichts.

Noch zweimal kam ich zu ihm, aber da ich nun sein Zutrauen verloren hatte, und seine Abreise nicht bewirken konnte, entzog ich mich ganz seines Umgangs. Herr F. übernahm die monathliche Auszahlung; und da sein Trübsinn anfing, gefährliche Folgen für seine Mitmenschen befürchten zu lassen, ließ er ihn nach dem jüdischen Armenhause am Ro-[84]senthalerthore bringen. E. tobte anfänglich, rief dem am Thore wachthabenden Offiziere durch das Fenster zu: er sollte einen Unglücklichen befreien, den man eingesperrt hätte, weil er Bombardier werden wollte, und bat, da er sah, daß er nirgends Gehör fand, von selbst, nach H. zu reisen.

Von H. aus empfahl er sich verschiedenen Kaufleuten, als hätte er ein großes Handlungshaus etablirt. Auch übergab er der Post zu H. ein Schreiben an den König. Der Postsekretair, der ihn kannte, und daher das Schreiben nicht abnehmen wollte, wurde von ihm bedroht, sein Amt zu verlieren, wenn er es nicht abschickte, weil die darinn enthaltene Entdeckung von der äußersten Wichtigkeit für den Staat wäre.

Er verließ bald darauf H., trieb sich ein Paar Jahre in Dänemark und Rußland herum, und kam 1787 wieder nach K., wo ihn ein dortiger verehrungswürdiger Geistlicher einen Abend auf dem sogenannten Steindamm vor einem Hause sitzend fand. E. erkannte den Geistlichen, der ihn angeredet und sich nach seinem Befinden erkundigt hatte, klagte gegen ihn über erlittene Verfolgung, und zeugte seinem Gönner, durch sein ganzes Gespräch, wie traurig der Zustand seines Gemüths noch immer beschaffen wäre. »Sie können mich, sagte er ihm unter andern, meinen Verfolgern entziehn, [85]wenn Sie mich zum Christen machen; Christ zu werden, war schon längst mein Wunsch gewesen. Aber bis jetzt habe ich noch keinen gefunden, der mir diesen Dienst hätte leisten, ohne mich zugleich zur Annahme der Taufe, zwingen zu wollen.« u.s.w. Der biedere Geistliche nahm sich seiner väterlich an; aber seine Theilnahme war vergeblich. Die Wunde in E.'s Gemüthe war tief und unheilbar. Jetzt sitzt er im Irrhause zu K.

L. Bendavid.

Erläuterungen:

a: Zu diesem Beitrag vgl. Goldmann 2015, S. 9-21.

b: Königsberg in Preußen.

c: Kant 1781.

d: Meiner 1781.