ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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6.

Obereits Widerruf für Kant.

Obereit, Jakob Hermann

Ein psychologischer Kreislauf.*) 1

Suum Cuique. Deo a priori.

Me regat Aequa Fides! Recto Vobisque Quirites,

Res fortunatem, feliciter ac bene vortat!

Quintus Ennius.

Et redit ad Dominum, quod fuit ante suum.

Eleg.

Doktor Obereit, Philosoph beim Cabinet seiner Durchlaucht des Herzogs von Meiningen, erklärt hiemit allen und jeden, denen es zu wissen dienlich und ersprießlich seyn mag, aus bloß eigener Ueber-[107]zeugung und Bewegung, niemanden sonst zu lieb noch zu leid, als ein freier Schweizer, nur zu unpartheiisch gemeinnützigster Beförderung und Bestätigung des Besten einer gesunden Philosophie: Daß er bei der Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und Wichtigkeit des Alters, in Kürze der Zeit und des Raums, so viel füglich Gemeinnütziges als möglich auf den wichtigsten Denkpunkt zusammen zu bringen gedacht, da er eine völlige und die größte Revolution seiner Denkart für das Reich der Philosophie erfahren, die unzähligen merkwürdig und edlen Geistern frei redlicher Großmuth am nutzbarsten auf immer seyn könnte. Hievon meldet er nun gradaus, daß er, nach fünfjähriger Abwesenheit von Jena, sich wiederum dahin verfügend, um die philosophische Revolution da selber von Grund aus zu beobachten, zuerst die neue Theorie des Vorstellungsvermögens von Reinhold, dann seine Beiträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, darin die Grundlegung der neuen Elementarphilosophie, mit allem Fleiß eingesehen, welche beide Werke ihm von dem edelmüthigen Herrn Adjunkt Schmid sogleich mitgetheilt worden, dessen Moralphilosophie, wegen ihres Werths über alle, sich Obereit schon in Meiningen angeschaft hatte: ferner, daß er endlich Reinholds Schrift über das Fundament des philosophischen Wissens, a von ihm selbst aus der Presse gütigst mitgetheilt, mit ganz freiem Gemüthe gelesen, den Gang des Autors in [108]allem Vortrag, Schritt vor Schritt, beobachtet, alle neuen Unterscheidungen und Entwickelungen genau bemerkt, den natürlichen Zusammenhang durchaus richtig gefunden,*) 2und wo er Bedenklichkeiten [109]fand, dieselben dem Autor selbst frei eröfnet, der sie auf der Stelle mündlich klar und gut gehoben, und damit allen Nebel zerstreuet hat.

Vornehmlich hat besagten Obereit, in den Reinholdischen Beiträgen, das erklärte Verhältniß der Theorie des Vorstellungsvermögens zur Kritik der reinen Vernunft vollkommen überzeugt, daß er, Obereit, die Kritik der reinen Vernunft c von Kant [110]lange vorher und bis dahin sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus natürlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter Sinneseröfnung gekommen. Genetisch auf seine eigene Art, wie sich an Kants Platz, hatt' er ihn verstanden.

Obereit hatte zwar schon im September vorigen Jahrs, nachdem er die neue Kritik der Urtheilskraft d von Kant mit größter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm eine Kapitalsache über die Spekulation gewonnen gegeben. Beim höchsten Gegenstande und Interesse nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden grundscharfen Entdeckung, der Unzulänglichkeit aller Beweisversuche für das Daseyn Gottes außer dem Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen Beweise dafür aus Ueberzeugung auf, so äußerst eingenommen er sonst für sie war, denn er erkannte nun die bestmöglichen Spekulativen selbst, als aus moralischer Sinnesart abstammend;*) 3 da er die Gewohnheit hat, nicht [111]halb, sondern ganz auszudenken, und zusammen zu nehmen, was zusammen gehört, so schlug er sich, der neuen Grundeinsicht zufolge, nun ganz auf die Seite der praktischen Vernunftkritik, die er immer vorher für das Beste von Kant gehalten, grad zuerst so; hiemit erst das Jahr 1788, für das volle Neulicht, 101 Jahr nach der ersten bekannten Erscheinung von Newtons Principien.

Eben in diesem Jahre erschien auch eine rein populäre und Nazarenisch weise Grundlegung zur Metaphisik der Sitten von Mutschelle: Ueber das sittlich Gute. Nun aber fand sich noch mehr bei genauerer Betrachtung des höchsten praktischen Vernunftprinzips, dasselbe fand sich nun auch für alle Spekulation, für alle Selbstthätigkeit im Denken als allgemein gerecht, gesetzgebend, hiemit gemeinnützig für sich zum höchsten Grundgesetz aller Philosophie, eben zur absoluten Convenienz aller, aller Vernunft durchaus zu erheben, worin er nun [112]alles in allem begrif, wie in der höchsten Rechtsregel: Suum cuique! die schon im Kantischen Satz des Widerspruchs: Keinem Ding kommt was Widersprechendes zu, am weitesten begriffen ist, realer im Sellischen: Das Daseyn, und was zum Daseyn gehört, kann unmöglich nicht da seyn.*) 4

So stimmte ihn Kants Kritik der Urtheilskraft zuerst ganz und gar zum pragmatischen Beobachter, auch alles Spekulativen, überall um. Denn auf Selbstdenken allein, oder blos Spekuliren, hält er außer dem Nothwendigen eben nicht viel, aber auf Selbstbeobachten, bis auf den Grund, unendlich viel.*) 5 Das war eine ganze Revolu-[113]tion. Da giengs recht nach des alten seeligen Johann Jacob Mosers Verschen:

Nachdem das Herz den Kopf gelehrt,

Hat dieser sich ganz umgekehrt,

Auch in den Grundideen.*) 6

Das ist auch wohl die allerälteste Gelehrsamkeit der Menschenkinder, bei schiefem Herzen die schlimmsten werdend, bei gradem reinem die besten [114]und himmlischen, welche Grundlage zum Bauen darauf das Licht der Welt von Nazareth auch am besten verstand, und zeigte bis auf diesen Tag. Dabei gedachte er auch zu bleiben, zu leben und zu sterben, und keine Spekulation noch spekulative Kritik mehr zu achten,*) 7 außer dem praktischen höchsten Vernunftgesetz, und ihm gemäß, je genauer je besser. So beurtheilte er nun alles rückwärts, alles Spekulative nach dem höchsten Praktischen.*) 8

Der Reinholdische Grundsatz des Bewußtseyns, nun, der ihm ganz unschuldig vorkam, als Fundament einer neuen universalen Elementarphilosophie, konnte ihn endlich durch den deutschen Merkur am dringendsten erwecken, von neuem einmal ein philosophisches Elementarstudium anzufangen. Sein Alter machte ihn nur etwa um ein Jahr jünger als den großen Kant, ließ ihn doch auf platonischem Popularitätsgeschmack, den er am Hof erhalten, am Herzen und Kopf frei, munter, heiter und aufgeräumt, so schwer beladen auch nur sein Styl seyn mag (nur nicht so kerngut als Hallers und Persii Satyren, Pindar und Epiktet, seine frühen Lieblinge), nachdem er über ein halb Jahrhundert die [115]Philosophie aller Zeiten und Nationen, soweit möglich, auch die sonst in der Welt ungeachtete, dunkelste, tiefsinnigste, paradoxeste, allgemein gleichgesinnt, neutral und frei durchgangen hatte, jede nur in Prinzipien und besten Quellen ihrer Art, nach ihrer Geistesmanier wie ein Schauspieler seine Rollen,

Nullius addictus jurare in verba magistri,

Multa tulit fecitque puer, sudavit & alsit.

Auch als später Autor, schon in der Geburt veraltet, wollte er weder herrschen noch kriechen, nur in Mitte Freiheit zum Unendlichen. Denn ehe ein Philosoph de Sanssouci seyn kann, muß erst der Philosoph de Grandsouci in aller Länge, Tiefe, Breite, Höhe da seyn. Nunmehr findet er am besten, Reinholds natürlich simpel genetische Theorie und Elemantarphilosophie mit Kants allgemein praktischem Vernunftgesetz zu vereinigen, und in Absicht der ersten spekulativen Vernunftkritik von Kant widerruft er hiemit förmlich laut überall alle Urtheile über sie, die er, seit 1787 von der verzweifelten Metaphisik e an, bis in dieses laufende Jahr seines Schattenfechtens, in öffentlichen kleinen Schriften, die zum Glücke keinen Anhang keinen Bruit zu machen taugten noch bestimmt waren, sich hat entfallen lassen als voreilig, vorschüssig, sagen die Schweizer, null und nichtig. — So lange und so weit einer in seiner eigenen [116]Sphäre seines eigenen guten Sinnes bleibt, den er am meisten im Leben beobachtet und angebaut hat, so mag er wenigstens sich selber verstehen und Grund für sich haben, auch alles Fügliche dazu, aus allem schon gemeinnützig Vorhandenen, in der ganzen weiten Welt darzu nehmen, brauchen und sich dienen lassen, so baut er seine Sache an, so gut er immer kann, mit aller Welt in Frieden; aber auf fremdem Gebiet jagend, was und wo seine Sache nicht ist, wird er vogelfrei. Was ist absolute Vernunft in allem Spekulativen und Praktischen, als absolute Billigkeit? Gebt und laßt Gotte was Gottes ist, und jedem Dinge gehörig das seine. Suum Cuique! Ad unum Absolute Aequum omnia.

Obereit bekennt hiemit öffentlich, daß Kants Kritik der reinen Vernunft in rechtem Verstande, nach Reinholdischer Entwickelung, genau richtig und ohne Irrthum sey, und läßt ihr hiemit alle übrigen bekannten und schätzbarsten Vorzüge, vor allen die große Zweckbemerkung, daß die Natur das ganze spekulative Vermögen zum Behuf und zur Gründung des moralischen hauptsächlich eingerichtet habe, welche erhabene Bemerkung zugleich die Bestimmung der Vernunftgrenzen in sich faßt. Nur das einige kann er nicht gestehen und finden, daß sie ohne allen Mangel a priori sey; hievon zeugt selbst die Mangelersetzung, der unerklärten Voraussetzungen, durch die Reinholdische Theorie des [117]Vorstellungsvermögens; Non omnia possumus omnes!*) 9

Obereit war ein schwacher, im Alter vor allem, der erst durch eine akkommodirende Vorstellungs- oder Entwickelungsart, wie die Reinholdische für ihn war, zu rechter Einsicht vom voraus kritischen Kant gelangen konnte. Daraus lernen wir alle, sammt und sonders, daß neuer Wein oder gar Weingeist eines starken reinen, hohen tiefen Geistes, in alte Schläuche nicht taugt, daß also die Schläuche, [118]wenn sie ja neu zu füllen wären, erst durch simpel Wasser oder Feuer, Luft und Sonne gereinigt, wie Tabula rasa werden müssen, daß nehmlich zu ganz reinem Fassen, reinem Kritisiren, reinem Theorisiren eben so viel absolut frei resolute, lautre, ganze, stätige Selbstverleugnung, ja Selbstvergessung gehört, als zu reinem Praktiziren eines reinen Willens. Augen, Ohren, Herzen, Edle, wo es noch giebt, merkt auf! Nicht umsonst zeigte Diotima, des Sokrates wahre Liebeslehrerin, daß diejenige Liebe, die zwischen Himmel und Erde Gemeinschaft stiftet, eigentlich Philosoph sey, Dolmetschergeist des Himmels für die Erde, der Erde für den Himmel, wie nach unserer weitern Aussicht, Vorsteller des Urquells aller Kräfte, Gesetze und Formen für die Natur, und so, der Grundharmonie aller ursprünglichen Spontaneität und Receptivität zu ihrer Wechselwirkung, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, alles aus Einem Prinzip und zu dem Einen zurück durch harmonische Temperatur in allen Wirkungssphären der ewigen reinen Liebe.

Was ist nun Philosophiren? In einzig würdigem Sinn ists lauterlich lieben, die reine, die wesentliche Harmonie, die da Wahrheit heißt, in lautrer Liebe ihr ganz sich selbst aufopfern. Höchste Wahrheit, sey sie theoretisch oder praktisch, ist an sich absolute Convenienz, ewig ganzes, lautres Gegentheil des absoluten Widerspruchs an sich. Die Ewige ists werth. Unendlich ist ihre Klarheit, ihre [119]Schönheit, ihre Fruchtbarkeit, unüberwindlich ihre Stärke. Sie selbst die pur lautre All-Einheit des ewigen Rechts und unveränderlichen Guts aller Zeiten und Völker, aller Wesen, aller Himmel im Geiste der Unsterblichkeit!

Obereit gab sich, unter und nach tausend Zerstreuungen seiner Lage, sein Schattenleben lang hienieden, mit Vergleichung aller Prinzipien aller Philosophen ab, zu sehen, wo Defekt, wo Exceß, wo Gleichgewicht zwischen beiden in Mitte zu treffen, wo eins dem andern aushelfen kann, was zusammen füglich, was trennbar, wo das Band von allen, wo der Scheidepunkt, wie alles gehörig unterschieden, doch in Einem zu begreifen, diakritisch-synthetisch zugleich ist. Er hatte insgemein, da er fast überall wechselseitige Gebrechen fand, den Sinn des großen Bacons von Verulam (dem der alte simple Schweizer mehr Maximen für Wahrheit zu danken findet, in seinem kleinsten Theile, als allen andern berühmten Weltgelehrten von jeher) vor Augen: Tum autem homines Vires suas noscent, cum non eadem infiniti, sed NB! omissa alii tractabunt. Wenn nicht alle einerlei, jeder was von andern Vorbeigelassenes beobachtet, dann wird wechselseitigen Bedürfnissen begegnet. Er sahe, daß durch bloßes gehöriges oder fügliches Suppliren, wo es möglich, all den größten nothwendigen Uebeln in der Welt, ohne andre Korrektur, ohne Streit, könnte abgeholfen werden, wenn [] die Menschen einmal beliebten, die Mode anzunehmen, auf den Grund zu sehen, wo es fehlt, wie von Grund aus zu begegnen. Und wenn dieses gradezu zu schwer, dann nur auf den Zweck zu sehen, den man eher findet, was der für einen Grund, für ein Hauptmittel, für ein Gewicht oder Maaß und Fügen von beiden erfordere, um dem Zwecke gleich zu kommen, so alles durch Gleichung zu finden, da in Grund, Mittel und Zweck, und ihrer Angemessenheit für einander alles besteht. Und ist nicht gründlich zweckmäßig Suppliren alles in allem, was der Welt fehlt und noth thut?

Was aber nun durch absoluten Realismus a priori, auf genetische, ganz andre Manier als Spinoza, Obereits Beobachtungsgeist vor Zeiten für erhebliche Grundmängel a priori an der Kritik der reinen Vernunft zu finden und sogleich a priori zu ersetzen Sinn hatte (nun freilich einem Klügern als Obereit, eher und anders am Ende als am Anfange denkbar), siehe das steht in dem Aufklärungsversuch der Optik des ewigen Naturlichts, Berlin, bey Decker 1788. f Es war schon drei Jahr vorher in einem Prospekt des Friedenstempels aufgesetzt. Da muß aber der Kontext so grobe Druckfehler verbessern, daß der umgekehrte Verstand wieder aufrecht zu stehen kommt, wiewohl dieses Jahrhundert den ganzen stufenartig freien Geistesprospekt da bis ins Innerste, eher für einen ganzen Druckfehler ansehen, etwa zu Methusalems oder Melchisedeks [121]Welt aufs wenigste verbannen möchte, nach Belieben.

Obereit war doch weder Supernaturalist, ob er gleich Lavaters Freund war, noch materialer, blos physisch-mechanischer oder cosmologischer Naturalist, noch dogmatischer Theist à la Mode, noch dogmatischer Skeptiker, für sich selbst war er ein versuchend kritischer an allen Systemen, auch an seinem eigenen, wenn und so weit er eins hatte, da er immer von neuem bis nun mit Vergleichung aller alten und neuen Principien zu lernen anfieng, aber am liebsten in größter Einfalt fieng er an vom simpelsten aller Wesen, dem Ewigen von selbst, dem wesentlich unendlich Freien, in sich selbst allein Allgenugsamen, damit fand er einen absolut universalen Moral-Naturalismus über allen physisch-cosmologischen, insgemein fatalistischen, und über allen scholastisch blinden Supernaturalismus, der außer dem buchstäblichen Anhangen an Ton und Schein keinen Grund hat, als selbst in der Blindheit am moralischen oder naturalischen Vollkommenheitsgesetz, das selbst natürlich, gradruales und höchstes Bedingungsgesetz der Theilnehmung an des lautern Vollkommenheitswesens, an des selbstständigen Allgutgesetzes Gemeinschaft ist; wie man denn den durchgängig so klar grundfesten Moral-Naturalismus über alles ganz fertig formirt sehen kann in Gamaliels Spatziergängen, über Berlinische Wunderbetrachtungen 1780, bei Perrenon. g Wie auch [122]schon im ursprünglichen Geister- und Körperzusammenhang nach Newtonischem Geist, Augsburg bei Lotter 1776, so nur in einem Paar Bogen besteht. h

In höchst moralischem Verstande leuchtete ihm am höchsten über alles systematisch ein: Des Apostels Pauli Dreiklang von Gott: von Ihm, durch Ihn, und zu Ihm sind alle Dinge. Also von Ihm, als höchstfreiwirksamem Urgrunde, durch Ihn, als höchstfreithätigen Urmittel, zu Ihm, als höchstfreierfüllendem Urzweck. Freikraft ist dem Ursprung gebender Urgrund, Freithätigkeit das bestimmende Urmittel, Freierfüllung der vollendende Urzweck, das ist natürlich in gutem Begrif. Von sich absolute Selbstkraft, absolute Selbstthätigkeit, absolute Selbsterfüllung ist sich selbst absolut genugsam, von, durch, für sich selbst schon Urgrund, Urmittel, Urzweck, und ins Unendliche fort für alles von ihm Mögliche, als unumschränktes Allgut mittheilbar, nach jeden Dinges Fähigkeit und ewig billigen Mittheilungsbedingungen, da ewige Wesensgesetze immer gleich gut für alle sind, Gesetze der Vollkommenheit ins Unendliche fort.

So ist alles Abhängliche Original-Receptiv des Grundbestandes vom allkräftigen Urgrunde, der Bestimmung oder Einrichtung vom Urmittel, der Erfüllung, Vollendung, Befriedigung vom Urzweck. So ist alles fundamental dreiharmonisch in Grund, Mittel, und Zweck verfaßt, die einander gleich füglich sind, und unzertrennlich in Grundkraft, Mittel-[123]kraft und Zielkraft, in Gleichgewicht und Ebenmaß, zum Bestand und zur Schönheit, und hiemit zur anständig und ebenmäßig wirksamen Fruchtbarkeit, alles von, durch, zu Einem Originaldreiklang der höchsten harmonievollen Freiheit, der allgleich beruhigenden Allgenugsamkeit, für alle Subjektivität, Objektivität und Finalität von beiden, für alle Spontanität, Receptivität und Reaktivität in beide zur Erfüllung aller dreien in einem Dreiklange. Sowohl in der ganzen moralischen als in der ganzen physischen Welt herrscht die dreifache Beziehung, und da die physische mit der moralischen verbunden und dieser untergeben ist, zur moralischen Regierung, so ist die physische Welt nicht blos abgesonderte Maschine, nicht für sich allein da, sondern für die moralische, hiemit der ganzen moralischen Welt Organon, alles Physische hat moralische Zeichenbeziehung, so ist die ganze Welt, als moral-physisch, ein moralisch, aktives, passives und reaktiv moralisch bezeichnendes Ganze. Denn auch stumme Bezeichnung redet zum Moralwesen, wie mit der ganzen Natur ein Jachim Boas durch dramatisches Hierogliphensystem.

Nach einer solchen universal-moralischen Geistesstimmung nun, die vom Urwesen der Freiheit von, durch, für sich selbsten a priori erschien, war ihm der allgemeine Grundsatz des Bewußtseyns von Reinhold, der sich selbst beweißt, natürlicher und willkommner, als die mit unendlichem Raum und [124]Zeitfluß ohne Genesis wie mit einem plötzlich sich in uns versetzenden Feenhimmel anfangende Kritik der reinen Vernunft, wiewohl diese ihre gute Ursachen zu so einem erhabenen Anfang hatte.*) 10

Allein es ist kein Wunder, daß der Satz des Bewußtseyns bisher in der jetzigen fast ganz populär und zerstreuungsvoll gewordenen Vernunftwelt noch keinen Eingang zu finden scheint, nicht so viel als des Cartesii mehr auffallendes Cogito, ergo sum, weil eben der Reinholdische Elementarsatz bei aller seiner Natürlichkeit und lautern Einfalt doch auch sogar dem sonst alle Spekulation trocken gewohnten Obereit anfänglich und bis ans Ende zu spekulativ, wie kernleer, ins Auge fiel, ob er gleich das Fundament alles praktischen sowohl als theoretischen Elementarwissens seyn sollte.

Man sieht ihm seine Grundfruchtbarkeit gar nicht an, wie hingegen der Satz des zureichenden Grundes aller Welt gleich fruchtbar und allen Vernunftgegnern furchtbar in die Augen fiel, der Satz des Bewußtseyns aber braucht und rührt blos einfältigen Verstand, und dieser ist in unsrer ganzen Kunstwelt gar zur Rarität worden, da die Welt [125]nicht begreifen kann, daß in der größten Einfalt alle Menschen mögliche Weisheit verborgen liegt.*) 11

Eben das Letzte war aber der alte Schweitzer Obereit sehr frühe gewohnt zu merken, in Schweizereinfalt, bei simpelsten Prinzipien, deren Generalitäten gros dem Grunde nach, ja fast den Prospekt einer Allwissenheit giebt, und der ganze Inbegriff allgemeiner ewiger Wahrheiten, was kann er ursprünglich seyn als ein Generalausdruck des allfassenden Verstandes, uns in der Grundform mitge-[126]theilt? Die Wahrheit kann ja nur durch den Verstand seyn, ohne den keine, und ist der endliche nicht Grund genug darzu, so muß es ja wohl der unendliche seyn?*) 12 Der durch sich selbst allgenug ist, da nichts ohne das seyn kann, wodurch es ist.

Der Unendliche kann wohl ohne uns endliche Kleinigkeiten seyn, das Unendliche per se gegeben, bedarf ja nichts Endliches, wir aber können schon in der bloßen Möglichkeit nicht ohne den Unendlichen seyn, der objektiv ins Unendliche mittheilbar ist, ohne dessen Verstand der unsrige durch sich selbst allein nichts ist. Er gab uns also, daß wir von allen Schranken abstrahiren können, wenn wir Ihn rein denken, das ist das Größte und Fruchtbarste, was wir im Denken vermögen, wodurch dessen größte und reine Fruchtbarkeit im Allgemeinen gegründet wird, wie auf andre Art durch den bloßen Begrif des absoluten Seyns für sich allein, ohne welches per se Gegebenes gar kein Relatives, hiemit keine Welt nur möglich ist. Und Seyn und Vermögen ist Eins, denn was Nichts vermag, ist Nichts. —

[127]

So hängt alles an einem Seyn, in Einfalt. Wie in der Empfänglichkeit zum Empfangen allgemeiner Anziehungs- und Ausbreitungsreitz allempfangenden klaren Raum darstellt oder anschaulich macht, und mit dem Gleichungsreitz von und für beide im kürzesten Ebenmaaß, der stetig fliegenden Zeit, so viel nur möglich zusammen zu nehmen, den sinnlichen Grund aller Schönheit in uns giebt, da die Natur in und außer uns durch lauter Realentgegensetzungen, wie Feuer und Wasser, fruchtbar ist, so macht hingegen die mechanische Kunst durch Gewicht und Gegengewicht nur unfruchtbaren Stillstand, hiemit Contrast gegen die simpel antithetisch fruchtbare Natur.

Consequent demnach, daß in den simpelsten Prinzipien, wie in dem simpelsten Wesen, von dem sie sind, die größte Fruchtbarkeit liegt, wenn mans ihnen gleich noch nicht ansieht, sahe sich Obereit um, nachdem er die Vorstellungstheorie, die Beiträge und die Fundamentschrift Reinholds i durchaus beobachtet hatte, da kehrte er endlich, um obiger Ursach willen, für sich allein den Satz des Bewußtseyns auf alle mögliche Seiten des angelegenen größten universalen Interesses, ohne welches, und zwar sichtbares bis zum Augenschein, endlich die größte und feinste Spekulation, Kritik und Systematik dem Allbeobachter eine taube Nuß ist. Und da das Gesetz des Gleichgewichts nach Newton, und dem ihm höchst simpel kosmologisch prosequirenden [128]Schweizer Lambert das ganze Universum regiert, nach letzterm auch in allen Kräften der Wesen und Sachen durchaus wie Ebenmaaß zum Bestand nothwendig, hiemit real metaphysische Einheit, Wahrheit und Güte ausmacht, da das Halten des Gleichgewichts der Seele, wie des Ebenmaaßes in der schönen Sinnlichkeit schon insgemein guten Ruf, zu allgemeinnütziger Anwendbarkeit im Geisterreich hat, da auch à la Newton schon der herrliche jüngere Hemsterhuy's das Maaß der allgemeinen geistigen Anziehung der Seelenwelt eröfnet, so beobachtete der gerade alte Schweizer in allgemein geistigem Sinn, ob nicht das Gesetz des Gleichgewichts auch im Satz des Bewußtseyns nach der Schnur angemessen sey? und er fands genau, da das Subjekt, das Objekt, und die Vorstellung im Bewußtseyn einander gleich nothwendig, gleich wichtig, allseitig gleich unzertrennlich in Beziehung auf einander sind, durch ebenmäßige Aktivität, Receptivität und Reaktivität. Und so im Gleichgewicht muß das Bewußtseyn stehen, wenn die größte Unpartheilichkeit unendlich wichtig statt haben soll. Da ist ein gleichseitig philosophischer Triangel zur Probe.

Wenn nun Obereit für sich Kants praktisches Prinzip und Reinholds Elementar-Fundament unendlich fruchtbarer findet, auch allem wie mathematisch angemessener, mehr darin als Kant und Reinhold selber genau oder ausdrücklich zur Zeit ihrer [129]Verfassung darein wollten gelegt haben, wie Obereit auch mehr in Lamberts Gleichungsgesetze und Pauls Dreiklang zu finden denkt, als diese selbst zu ihrer Zeit, nun wohl, so wissen die Gelehrten längst: inventis facile est addere, die Erfinder gehen doch immer voraus, so geht jeder ihnen nach, so weit er kann und mag, jedesmal für jetzt in seiner Ordnung, jeder in seinem Kreis und jetzt geziemenden Gesichtspunkt, einstimmig in Grund und Zweck und allgemeinen Weg, verschieden in besondern Mitteln und Wegen der Vorstellung, wie jedem die Vorsehung giebt oder finden läßt, so wird Mannigfaltigkeit und Einheit im Ordnungsreich der Geister erhalten, am Ende kommen alle zu einem Ziel der ewigen Natur und unendlichen Wahrheit oder Harmonie, also Verschiedenheit, auch von Ost, West, Nord, Süd zu Einem Mittelpunkt und All, kein Schade für alle Welt!

Möchte der Geist der freien Schweitz über alles nach ihrem größten Newtonisch-philosophischen Landsmann, dem nach Herders Gott noch zum Allebenmaaß nutzbaren verklärten Lambert, auch seinen noch auf Erden erhabensten Freund Kant durch Kants edlen Freund Reinhold frei klar sehen! Im besten Lichte freier Natur!

Du, schwinge selbst vielmehr des Geistes Kräfte los,

Nicht ewig für die Zeit, nicht für die Erde groß.

Und höherer Sorgen werth. Sieh jenem Himmel zu etc.

von Haller.

[130]

Sicanimus sylvas, sylvae sint Consule digne.

Virg.

Noch eine Capitalanmerkung eines Veteranen in der Philosophie, das ganze philosophische Reich betreffend, vergönne man allerseits frei geneigt bei dieser Gelegenheit, die sonst nicht wiederkommen dürfte. Krusius hat schon die Gebrechlichkeit der sogenannten mathematischen Methode des Spekulirens, so wie sie Cartesius und Wolf zur Philosophie anwandten und einführten, gezeigt, daß man auf diese Nachäffungsart ganz consequent, systematisch auf die falschesten Resultate komme, wie Spinoza. Der größte systematische Skeptiker Hume kann auch zum Exempel dienen mit Vernichtung aller Vernunft durch gemeine Vernunft und Logik, weiter nichts. Und Krusius gab eine weit strengere und tiefere Logik, die kein Wolf hält noch verdauet, so wenig als die streng vorhergegangene mathematisch förmliche von dem scharfsinnigen Adolph Friedrich Hofmann, einem Vorgänger in Principien des großen Plattners, der alle denkbare vereint.

Den ersten Grund dazu legte der erste unter allen Deutschen, der eine synthetisch kritisch erfindende Philosophie nur versuchte, und schon die ganze damalige philosophische Welt gegen sich hatte, wie Kant anfänglich die jetzige, Andreas Rüdiger. Lambert aber, als Newtonischer Physiker und Mathematiker von Profession und Gleichungsakkuratesse, [131]hat den Schaden mit einem Blick des Durchmessers im Grund eingesehen, und ganz simpel gezeigt, daß Wolf und auch die größten seiner Nachfolger die mathematische Methode nur halb, nicht vollständig gebraucht haben, und daher in alle Fehler der Halbdenker und Halbmesser, die überall in der That zu kurz kommen, gefallen sind, daß man hingegen, vom Capitalfehler weg, aufs äußerste bemerken und besorgen müsse, die mathematische Methode vollständig, ganz Euklidisch im Geist, nicht Buchstaben der äußern Form, zu beobachten, um durchgängig bestimmte Generalbegriffe, wie den des Zirkels, Triangels etc. zu bekommen, die denn auch durchgängig richtig anwendbar seyen, ja nach denen, wenn was darnach zu messen möglich, der Mathematiker sogleich seine Dimension recht anbringen könne, ohne vorher weitere Veränderung und Berichtigung des Begriffes oder Satzes zu richtiger Meßbarkeit zu bedürfen, wie bisher der Fall insgemein war. —

Ist diese absolut nothwendige Lambertische Forderung nicht von aller Philosophenwelt, außer Kant, bisher vergessen worden? Vertrakt! Ist je deren Erfüllung in Philosophie zu vollem Bewußtseyn gekommen? Ist wohl das Bewußtseyn an sich selber, der Tag der Seele, ihr Gewißheitsmaaß nach Lambert, noch nie zu ganzem Bewußtseyn seiner selbst bei der ganzen Welt gekommen? Wo je?

[132]

Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh!

Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie.

Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren?

Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu entbehren,

Du bleibest stets ein Kind, das täglich unrecht wählet,

Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlet:

Du urtheilst überall, und suchst nie recht, warum?

Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum.

Im Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen,

Kann auch der Klügste sich in fremde Bahn vertiefen,

Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt,

Am Ende sieht er doch, daß er im Anfang ist.

Wohl angebrachte Müh! gelehrte Sterbliche! —

Euch selbst mißkennet ihr, sonst alles wißt ihr eh.

Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit,

Der klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit.

v. Haller. j

Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit,

Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut,

Der Fesseln müd', in kühnem Geist entbrannt,

Zuerst für alle, sich allein verbannt:

Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdrückt,

Und über seinen Leib den Weg zur Freiheit brückt?

Bodmer. k

Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen Mathematik meist gehörte, verstattete ihm nicht, jene durchgängige Bestimmungsangabe für die Metaphisik selbst genau auszuführen, nur als Wegbahner durchaus kritischer Vernunft Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem Organon [133]und seiner Architektonik der Begriffe zu sehen, welche letztern, ihm selbst zu wenig genugthuend, er anfänglich nie Sinn hatte, selbst heraus zu geben, ohne zu sehr gedrungen zu seyn, weil die größte Theurung und doch Nichtachtung, freien und reinen Grundverstandes herrschte, da er selbst behauptete, die Logik sey noch lange nicht vollkommen genug, um zur Metaphysik recht anwendbar zu seyn, die eigens erforderliche logische Causalmethode darzu sey noch nicht erfunden, auch noch nicht der Schlüssel, das fruchtbarste richtige Eröfnungsprinzip darzu, das auch der universalgelehrte Sulzer mit der ganzen Berlinischen Akademie der Wissenschaften damals unter den Denkern desiderirte und suchte, wie dergleichen die Preisaufgabe über die metaphysische Evidenz voraussetzend zu verstehen gab.

Obereit gesteht, daß er das fruchtbarste und durchgängig bestimmende Prinzip auch in der spekulativen Spekulationskritik von Kant überall suchte, und nicht zu finden das Glück oder Geschick hatte, daher an ihr Grundmangel a priori natürlich bei allen Hauptsachen zu sehen dachte, und dieselben ad interim für sich und mögliche Grundesfreunde, so gut er konnte, in dem Aufklärungsversuch zu ersetzen suchte.

Obereit hatte zwar die erste Vernunftkritik jetzt besser verstehen gelernt, aber mit der neuen Theorie des Vorstellungsvermögens, die ihm hauptsächlich genetisch einleuchtete, konnte sein alter Kopf nun [134]besser fortkommen, ließ also nun die erste Kritik, als ein ihm ungenetisches doch ehrwürdiges Gerüste stehen, zumal sie ihm vorher, wenn er auch keinen Fehler oder Irrthum darin fand, doch als für vollständig ausgegebener Maaßstab in ihm mehr satyrischen als kritischen Geist erweckt hatte. Nun besser: Manum de Tabula!

Aber in Reinholds Satz des Bewußtseyns hat Obereit das durch sich selbst klar durchgängig bestimmte und zugleich fruchtbarste Prinzip aller Philosophie, außer allem durch uns Unvorstellbaren, gefunden, also das weiteste und gewisseste Mögliche, außer den Dingen an sich.

Nun ist, und zwar augenscheinlich in vollem gründlichen Bewußtseyn, durch Reinhold erfüllt, bis zu mathematischem Ebenmaaß durchgängig gleicher Bestimmtheit, wie ein Generaltriangel, und fortgeführt in eine Elementarphilosophie, als in eine original-philosophisch sphärische Trigonometrie, was Lamberts und Sulzers und der Berliner Akademie ihrer Zeit größtes Desideratum Quesitum, Problem, allen sonst unerfindlich war.

Komm und siehe! rufen aller geistfreien Welt nun Lamberts, Sulzers und Hallers Geist, drei Schweizer durch einen andern, der sich gern nur als ein Opferkalb dagegen sieht, das nur eine Stimme aus der Wüste der an sich selbst bis zum allgemeinen Nichts von sich verzweifelten Metaphysik haben kann.

[135]

Sulzer verband mit allgemein philosophischem Verstande aller Wissenschaften und Künste, moralische und schöne Sinnlichkeit in einsichtreichem Geschmack, Lambert mit allwerts logischem Gleichsinn eine physisch mathematisch anschauende Sinnlichkeit, wie die anschauende Seele des größten Realisten Jacobi, und der durchgängig versuchende sanfte graduale Aequationsgeist Lamberts, Sulzers, Garves, und noch etwa seltner Unpartheiischen war und ist gleichsam die Schiffbrücke für die Welt zum Kantisch kritischen und Reinholdisch elementarischen Geist. So wahr ist es, daß es auch in der Geisterwelt sowohl, als in der ganzen Material- oder Stofbilderwelt allmähliche Uebergangsstuffen oder Mittel und Mittelhalter von einem Aeußersten zum andern giebt, wie eben vom äußersten auch oft nur original trägen Dogmatismus bis zum äußersten absoluten Skeptizismus, wo dieser möglich, den der kritische temperirt.

Nunmehro aber sind dem lautersten Wißbegierigen keine Schiffbrücken nöthig, da Reinholds reinste klare Elementarlehre mehr helle Grundeinsicht in einem Tage eröfnet, als Lambert, Leibnitz, die größten Vorigen in ganzen Jahren und Lebensläufen, das macht der einzige Vortheil, daß bei Reinhold nun alles Wissens Quell, Mittelpunkt klar augenscheinlich ist.

[136]

Medium tenuere beati!*) 13 Was dem edlen Reinhold Kants ganze Kritik der reinen Vernunft war, nach Vollendung der ungeheuer schwierigen, allseitig kritischen Untersuchung, nehmlich unumschränkt befriedigende Auflösung alles Erklärbaren, das ist dem Obereit nun Reinholds einziges Elementarprinzip, mehr ihm als von zwei tausend Jahren alle laufende Philosophie der Welt, vielmehr Phil-Asophie, seine eigene bisherige mit zugeschossen für Lumpen zu neuem Papier. Wiewohl die Kürze der Zeit, die man auf eigentliches Philosophiren anwenden kann, wie Hume wohl anmerkt, aus zweitausend Jahren einen sehr kleinen Zeitraum macht, der gegen unzählige Schwierigkeiten des strengen Philosophirens beinahe wie Nichts ist.

Man stelle sich einen Durst nach allbestimmender Grundwahrheit vor, der einen Menschen wenigstens vierzig Jahr und darüber, wie die Kinder Israel in der Wüste Arabiens herumführte, sich selbst und alle Welt durchsuchen machte, nach jedem im Ganzen verfehlt ersehenen Versuch größer wurde, ob er gleich in einigen Theilen befriedigt wurde, als in der bloßen Wesens Theologie, und im wichtigsten [137]moralischen frühe am vornehmsten und besten, vom Spiegel der Vollkommenheit, wer ihn kennen mag; da der Durst aber, außer dem Moralinhalt, alle andre Spekulation voll Gebrechen fand, und nur mit steter oder öfter temperirender Revolution zusammen konzentrirter Ideentropfen, so gut sich thun ließ, sich begnügen mußte, an wenigem und einfachem Moralfüglichen, endlich am Einigen zur Ewigkeit Nothwendigen und Allgenugsamen dem Unbedingten Allbedingenden sich begnügen lernte, doch immer durstig nach einem absolut convenienten Prinzip für alles Idealische. Man stelle sich einen solchen fast lebenslänglichen Durst vor, und dann endlich auf einmal dessen Erfüllung, und man begreift Obereit, den Mikroskopen, die ganze Ideenwelt in einem Prinzip allgemein klar zu finden. Der edle jüngere Hemsterhuy's fand nur zwei Philosophien, die nicht durch Witz und Imagination verkünstelt worden, die moralische des Sokrates, und die physische Newtons, nun fehlte noch immer rein simple intellektuelle, die giebt nach Kanten Reinhold am klärsten. Mit dem realobservatorisch propädeutischen Bacon von Verulam giebts ein Quadrat, Bataillon quarré, Face à tout! Und Kants erste Kritik der reinen Vernunft nebst Hume ist ganz Einleitungssystem zur Sokratischen Unwissenheit vor allen Dingen.

Im negativen Bewußtseyn, dessen, was man sich bewußt ist oder wird, nicht zu seyn, nicht zu [138]haben, nicht zu können, nicht zu wissen, wie der darin sehr musterhafte Sokrates, da giebts unendlich mehr Selbsterkenntniß als in dem wenigen Positiven, das man in sich findet, und selbst das zu besitzen Erachtete, im Bewußtseyn gemustert, findet sich meist aus Fremdem her, das nähere Eigene wiederum in Probe genommen, findet sich wenigstens nicht ohne fremde Hülfe gepflanzet, gezogen, gewachsen, was endlich wesentlich eigenthümlich bleibt, bloßes Vermögen, das kann nicht einmal absolut von und durch sich selbst seyn, sonst wäre es unabhängig sich selbst und allein genugsam, das widerlegt sich von selbst, in Ohnmacht von, durch, für sich selbst allein. Was ist also das bloße Vermögen? Nichts von, durch, für sich selbst allein und absolut, am Ende pure Empfänglichkeit von einem Allgenugsamen, und da wir, männliche Bilder, mehr Aktivitäten sind, die weibliche, mehr Receptivitäten, so giebt es gegen den Allgenugsamen gehalten, im wesentlichen Grunde der Endlichen, nichts als Receptivitäten von Ihm, also die ganze Natur in ihrem abhängigen Vermögen, nichts als Receptivität vom höchst Freyen, dem Einigen absolut Gebenden, Receptivität, Dame, nicht Herr; hiemit die ganze originale Natur-Philosophie wesentliche Damen-Philosophie, und noch darzu die einzige grundwahre und am Ende unwidersprechliche.

Was stolzieren dann die großen Bärte der Philosophen, als wäre die tiefste Grundphilosophie ihr [139]vorzügliches Eigenthum, da ihr tiefster Grund in der Weiblichkeit liegt? Vanitas Vanitatum! — Vielleicht findet man noch unscheinbare Heldinnen im Geist der Vorzeit von weiterm und tieferm Grundauge als Männerfackeln. Und durch den Weg des negativen Bewußtseyns, hauptsächlich dessen darin, was nicht ohne einander seyn kann, durch das Prinzip der Unzertrennlichkeit, in welchem erst der Satz des Grundes seinen Grund hat, sowohl als der des Zweckes, wie das Mittel zum Zwecke und Bestimmungsgrunde, der aus sich nur durch etwas, das ein Mittel ist, zum Zweck bestimmt, wie alles in Termino à quo, per quem, ad quem begriffen ist, da findet Obereit die allergrößte und zugleich nothwendigste, strengste, mögliche und proportionirteste, schönste Fruchtbarkeit des Verstandes und der Vernunft über alles im Grundsatz des Bewußtseyns. Und durch das unmögliche Beisammenfinden im reinen Bewußtseyn, des nicht Zusammengehörigen, Unvereinbaren, durch das Prinzip der Unverknüpfbarkeit, fand er den Grund aller rechten Absonderung, das philosophische Scheidewasser und Fegfeuer.

Da diese negative Grundretirade gefunden war, nunmehro fand er sich den Weg geöfnet zu einer in ihrer Sprachform zwar gewaltig negativen, aber in Wahrheit unzertrennlich klaren Elementareröfnung des Unentbehrlichen, die hiemit an sich allgemein augenscheinlich, und so für jedes fähige Wesen durch-[140]aus pragmatisch nutzbar zum und im Nothwendigen seyn kann als wesentliches Teleskop der Zeit für die Ewigkeit, das zugleich ein Blitzableiter, für die sonst leicht gefährlichen Zeitgewitter, Zeitreitze, Zeit- und Raumwechsel ist. Ohne absolutes Recht, Licht und Gut als Wesens Norm, und Gesetzform können wir nicht seyn, absolutes Recht, Licht und Gut aber ist per se gegeben vom absoluten Seyn per se, à se, pro se, braucht also keines Beweises, ist über allen Beweis hinaus. Es ist, weil es ist, von dem: Ich bin, der ich bin, Absolut! Bestehend allein durch sich selbst. —

Ein unbeweglich allreizend umtreibender, stets gleicher Augenpunkt der Ewigkeit; per se, unendlich starker, heller, still belebender als Feuer, Licht, Aether. Wenn dein Auge einfältig ist, sagt das ewige Licht von Nazareth, so wird dein Ganzes Licht. Das Absolute per se allein bedarf bloße freie Observation, keinen Beweis. Altius hoc tibi non infiget Jupiter Ammon! Sum ne absolute Aequitas, ipsa mera Realitas, absolute objectiva, est certitudo ipsa per se, Fidei absolutae, Aequitate à se per se absolutae non nisi Fides absoluta respondet, convenit.

Ja da endlich Nichts ohne das Einige von selbst allgenugsame Wesen der unendlichen Freiheit nur möglich seyn kann, so findet Obereit damit den Weg zum Nichts aller Dinge an sich, ihrem Nichts nehmlich außer dem ewigen Wesen von selbst, das allein [141] von selbst nothwendig wirklich, keine nothwendige Folgen als nur bloße Möglichkeiten haben kann, hiemit absolute Freiheit zu handeln darüber, absolut selbst genugsam, für sich allein unbedürftig, in sich zu beruhen und vergnügt zu seyn, auch mit seiner eignen freimöglichen, anständigen und unerschöpflichen Fruchtbarkeit und Mittheilbarkeit, im ewigen Gleichgewicht aller Vollkommenheiten der nothwendigen Wesens- Beziehung von, durch und zu sich selbst als einiger absoluter Allgrund und Herr aller bloßen Abhänglichkeit. Mit dessen absolutem Daseyn von selbst, wenn es weg fiele, wird alle nur denkbare Möglichkeit auf einmal und für immer aufgehoben, schlechterdings gar nichts Denkbares bliebe übrig, so ist und bleibt allein das pure Daseyn des ewigen Unabhängigen von selbst, der erste Grund, wie das letzte Ziel alles Denkens, das absolute Positive an sich, von, durch, für sich selbst, der einige Grund aller Denkbarkeit, der einige Endpunkt aller Vorstellbarkeit, der einige Urgrund unumschränkten Bejahens, in und an dem keine Negation möglich ist, das einige Ziel absoluten Zustimmens, Beruhens, Genügens ohne Schranken, hiemit das einige absolute Grund- und Zielobjekt über alles, so daß Verständniß und Vernunft, theoretisch und praktisch, ohne das zuerst und zuletzt nicht seyn können, und in ewiger Ordnung a priori vom Anfangsgrunde zum Ende, vom Endzweck wieder zum Anfangsgrunde eben sowohl eine vollkommene [142]Zirkulation haben, als alle Welt um ihr Zentrum, alle Jahrszeit auf ihre Art, nach einem gleichförmigen Allgesetz alles zu seinem Prinzipio und Fine, wie sichs gehört und gebühret nach absolutem Vernunftgesetz ohne Ausnahme, zumal das Absolute an sich, das Unendliche selbst mit dem Wesengesetz und der Freiheit als a priori, per se gegeben, absolute primitive Fakta sind, wie das Bewußtseyn, worauf alles beruht, da man am Ende alles Denkens bis ins Nichts aller Dinge an sich, außer Einem, dem ewigen Ruhepunkt, dem unbedingten Allbedingenden, den ewigen Allanfang, den Urgrund wieder findet, und so den Ersten und Letzten aller Dinge zugleich, und hiemit kann auch Immanuel Kant der Erste, vor seiner ersten Vernunftkritik, in seinem einzig möglichen Beweisgrund des Daseyns Gottes, 1763, 1770, l im einzig und ewig absolutissime zweischneidigen Dilemma: Aut Ens a se, aut Nihil absolute, mit Kant dem andern und dritten, in seiner spekulativen und praktischen Vernunftkritik, wieder vereinigt werden, und ganz was und wie Kant durchaus a priori ist, ganz a priori voraus vor allen andern lautern Denkern da stehen und bleiben.

Da nun Obereit, zur Strafe seiner Voreiligkeit, ein negativer Philosoph wird, mit einem evidenten Salto mortale, bis ins Nichts seiner selbst und aller Dinge an sich außer Einem Ewigen von selbst, so nimmt er mit seinem neuen und alten Wirbel des Nihilismus à se, der von Ewigkeit zu Ewigkeit richtig ist (Sapienti sat, in sipienti nunquam!), kurzab Schweizerisch guten Abschied, von aller ihm gnädigen toleranten deutschen Lesewelt, und wünschte aller Welt allerseits wohl zu leben im All. Amen in A und O!

[143]

Jena, Ende Juni und Anfang Juli, 1791, 13 Jahr nach des äquatorischen Lamberts Verscheiden, 10 Jahr nach Kants erster Kritik der reinen Vernunft; m 103 & quod excurrit, nach Newtons Prinzipien dazu. Zum Grundeins von Generalphysik und Metaphysik! Sehen wirs bald?

1) Casta fave Lucina: Suus jam regnat Apollo!

Aspice convexo nutantem pondere mundum;

Aspice venturo laetentur ut omnia seclo.

4) Occidet et serpens et fallax herba veneni

Occidet, Assyrium vulgo nascetur amomum,

Talia secla suis, dixerunt, currite fusis.

7) Concordes stabili factorum numine Parece.

Virgil. n

Signirt Dr. Obereit,

aus dem Thurgau von Arbon am Bodensee.

Δος ροι πδςώ*) 14

Fußnoten:

1: *) Dieser Aufsatz, der uns vom Herrn Pr. Schmidt in Jena zugeschickt worden ist, verdient hier in diesem Magazin, nicht seines Inhalts, sondern seiner besondern Form wegen, einen Platz. Es ist Herrn Obereits philosophisches Glaubensbekenntniß in Curialstyl abgefaßt; was aber Herr Obereit damit haben wolle, da ihm niemand dieses Glaubensbekenntniß abgefordert hat, können wir dem Leser nicht sagen, außer (was auch der Leser so gut wissen kann, als wir), daß es der Welt bekannt werden möchte.
S. M.

2: *) Den natürlichen Zusammenhang im Reinholdischen Fundament des philosophischen Wissens, b wie auch in seiner Theorie des Vorstellungsvermögens und den gedachten Beiträgen, muß jeder unpartheiische Selbstdenker richtig finden; und, wie ich dafür halte, so hat diese Theorie, in Ansehung ihrer systematischen Form, die höchste Vollkommenheit, die irgend eine Theorie erreichen kann, und das ihr zum Grunde liegende System kann als Muster eines vollkommenen Systems aufgestellt werden. Von der andern Seite betrachtet aber, glaube ich erstlich, daß nur die Philosophie (nach H. Reinholds Erklärung) eines solchen Systems fähig sey, und eine jede andre Wissenschaft sich demselben nur immer nähern kann, ohne es völlig erreichen zu können. Zweitens fehlt es dieser Theorie in der Philosophie selbst an der materiellen Gewißheit. Herr Kant legt seinem kritischen System Erfahrung, als unbezweifeltes Faktum, zum Grunde, woraus er hypothetisch die Realität der Grundbegriffe und Sätze a priori beweist. Nun hat aber der kritische Skeptiker allerdings Recht, das Faktum selbst (daß wir Erfahrungssätze haben, die objektive Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit ausdrücken) in Zweifel zu ziehn, und folglich auch die darauf gegründete Realität gedachter Prinzipien selbst. Herr Reinhold legt seinem System den Satz des Bewußtseyns als Thatsache zum Grunde, nehmlich: Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen. Dieser Satz kann nicht vom Bewußtseyn überhaupt (auch einer Wahrnehmung), sondern blos vom Bewußtseyn einer Vorstellung (einer auf eine Synthesis, als Merkmal aufs Objekt sich beziehende Wahrnehmung) gelten. Eine bloße Wahrnehmung, ehe sie in irgend eine Synthesis gebracht wird, bezieht sich auf nichts außer sich selbst, und nur dadurch, daß sie als Bestandtheil einer Synthesis gedacht worden ist, bezieht sie sich auf dieselbe, als eine Vorstellung auf das dadurch Vorgestellte. Sie kann sich auch auf das Ding an sich, d.h. nicht blos auf die wirkliche (das Vorgestellte), sondern auf eine mögliche Synthesis überhaupt (das Kantische x) beziehen, weil in dem Begriffe einer bestimmten Synthesis der Begrif einer Synthesis überhaupt nothwendig enthalten seyn muß. Dieses alles kann aber nicht vom Bewußtseyn einer Wahrnehmung gelten, folglich ist gedachter Satz nicht allgemein.
S. M.

3: *) Also auch die bestmögliche Spekulation der Mathematik wird von H. Obereit als aus moralischer Sinnesart abstammend erkannt? Vermuthlich will H. Obereit hiemit so viel sagen: der moralischen Sinnesart liegt, nach dem Kantischen Moralprinzip, der Satz des Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß dieser Satz einer jeden Spekulation als Conditio sine qua non, zum Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H. Obereit nichts Neues gesagt; jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller Ewigkeit her überein. Sollte er aber damit sagen wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz des Widerspruchs nicht blos Conditio sine qua non, sondern reeller Bestimmungsgrund sey, für die bestmögliche Spekulation, so sagt er freilich hiemit was Neues!
S. M.

4: *) Dieser Satz, der einer Philosophie zum Grunde liegt, von der man bei ihrer höchsten Evidenz mit niemanden sprechen darf und kann — stammt keinesweges aus der Kantischen Philosophie. Dieser zu Folge ist das (wirkliche) Daseyn eine Modalität die das Verhältniß des reellen Objekts (der Anschauung) zum Subjekt ausdrückt. Denkt man also alle Anschauungen weg, so wird dadurch auch ihr Daseyn weggedacht. Versteht aber Herr Obereit das blos logische Daseyn (das Setzen eines Prädikats), so gehört dieser Satz nicht blos der Kantischen, sondern einer jeden Philosophie überhaupt.
S. M.

5: *) Hierin hat auch H. Obereit vollkommen Recht. Aber kann er das Kantische Moralprinzip durchs Selbstbeobachten bestätigen? Ich glaube schwerlich. Je mehr er (oder irgend ein andrer) sich selbst beobachten, und sich zu den Prinzipien seiner Handlungen auf dem Wege der Induktion nähern wird, desto mehr wird er sich von dem Kantischen Moralprinzip entfernen, indem er nach einer genauen psychologischen Entwickelung finden wird, daß, so entfernt von allem (materiellen) Interesse diese anfangs zu seyn scheinen, sie dennoch sich darin auflösen lassen; folglich kann er nicht durch das Selbstbeobachten, sondern nur durchs Selbsttäuschen und eine Art des Machtspruchs dazu gelangen.
S. M.

6: *) Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Herz den Kopf lehre, man nähme denn an, daß das Herz (Gefühlsvermögen) dem Kopfe (Erkenntnißvermögen) ihm bisher unbekannte Gefühle zum Vergleichen darbiete. Diese Gefühle müßten also an sich evident seyn. Das moralische Gefühl aber hat seinen Grund nicht im Herzen, sondern im Kopfe (in der Vernunft), und sein Daseyn als Gefühl kann noch immer in Zweifel gezogen werden. Hier ist also der Fall umgekehrt, der Kopf oder die Vernunft muß dem Herzen ein Gefühl (Achtung fürs Gesetz), als Folge ihrer Idee, durch einen Machtspruch aufdringen, d.h. es belehren.
S. M.

7: *) Also nicht einmal eine Spekulation noch spekulative Kritik zu achten!
S. M.

8: *) Ich wünschte von H. Obereit belehrt zu werden, wie er doch die mathematischen Wahrheiten nach dem Praktischen beurtheilen mag?
S. M.

9: *) Daß die Kantische Kritik a priori ist, kann H. Obereit nicht bezweifeln, aber versteht sich, hypothetisch, indem, meiner innigsten Ueberzeugung nach, Kant nie im Sinne gehabt hat, durch seyn System die Skeptiker zu überführen. Kants Art zu philosophiren ist diese: da die Dogmatiker den Erfahrungssätzen objektive Wahrheit und Allgemeingültigkeit beilegen, und als Faktum voraussetzen, so müssen sie alles zugeben, was mit diesem Fakto nothwendig verknüpft ist, und ohne welches dieses Faktum, das, nach ihrer Voraussetzung, wirklich ist, nicht möglich wäre. Da aber dieses nur als Bedingung der Möglichkeit des Faktums seine Realität hat, so kann es außer demselben keinen Gebrauch haben. Daß aber die Kantische Kritik mangelhaft seyn solle, kann ich nicht glauben. Herr Reinhold hat blos der systematischen Form mehr Vollständigkeit gegeben, keinesweges aber etwas der Theorie Unentbehrliches hinzugefügt, folglich trift hier nicht das non omnia possumus omnes! ein.
S. M.

10: *) Freilich hat die Kritik der reinen Vernunft ihre guten Ursachen dazu, und wenn Herr Obereit diese guten Ursachen so deutlich eingesehn hätte, als er sie nur dunkel ahndete, so wäre diese Vergleichung anders ausgefallen.
S. M.

11: *) Ein sehr wahrer Satz, der aber leicht gemißbraucht werden kann, und wirklich gemißbraucht wird (wie das Beispiel des Herrn Obereits selbst beweißt). Die Reinholdische Theorie des V. V. enthält freilich die einfachsten Prinzipien aller Wissenschaften überhaupt, und ist, in sofern sie in einer Kritik des Erkenntnißvermögens gegründet ist, die Conditio sine qua non zu allen Wissenschaften. Wollte man aber mit Herrn Obereit sagen, daß alle Wissenschaften schon darin verborgen lägen, so wäre es so viel als sagte man: die ganze Geometrie liegt schon in dem Begriffe des Raumes verborgen; weil alle Gegenstände der Geometrie und ihre Verhältnisse nur im Raume gedacht werden können. Herr Obereit probire einmal irgend ein Phänomen in der Natur durch die aus der Kritik der reinen Vernunft, oder der Theorie des V. V. geschöpften Prinzipien zu erklären und wissenschaftlich zu bestimmen. Herr Obereit erinnere sich an sein: suum cuique, aber auch nicht mehr als das Suum!
S. M.

12: *) Dieses scheint gar nicht der kritischen Philosophie, wozu sich Herr Obereit bekehrt hat, angemessen zu seyn. Diese weiß von keinem unendlichen Verstande was zu sagen. Sie ist in ihren Forderungen bescheiden, und sucht nur die Bedingungen der Möglichkeit eines endlichen Verstandes anzugeben, welches für uns hinreichend ist.
S. M.

13: *) Ich glaube schwerlich, daß sich dieser Vers zu der vorigen Aeußerung schickt! Reinholds reinste klare Elementarlehre hätte mehr helle Grundeinsicht in einem Tage eröffnet, als Lambert, Leibniz, die größten Vorigen in ganzen Jahren und Lebensläufen! Medium tenuere beati!

14: *) Der brave Schweizer Herr Obereit, der, wie man aus diesem Aufsatze sieht, das tiefe Denken mit einer ungemeinen Erhabenheit des Ausdrucks in sich vereinigt, wird es einem braven Polen verzeihen, wenn er eingesteht, daß ihn dieser hohe Schwung schwindlich macht, und daß er vor dem Nichts zurück schaudert. Er bekennet selbst in seiner ersten Schrift (Versuch über die Transzendentalphilosophie) o dieses Salto mortale gewagt, und die Vereinigung der Kantischen Philosophie mit dem Spinozismo versucht zu haben; ist aber jetzt von der Unausführlichkeit dieses (einem jeden Selbstdenker natürlichen) Unternehmens vollkommen überzeugt, und glaubt vielmehr die Vereinigung der Kantischen Philosophie mit dem Humischen Skeptizismo bewerkstelligen zu können.
S. M.

Erläuterungen:

a: Reinhold 1791.

b: Reinhold 1791.

c:

d: Kant 1790.

e: Obereit 1787a.

f: Obereit 1788.

g: Obereit 1780.

h: Obereit 1776. Die Publikation besteht aus nur 28 Seiten.

i: Reinhold 1791.

j: Albrecht von Haller, 'Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben' (1729).

k: Bodmer und Breitinger 1746, Bd. 2, 57. Blatt, S. 64f.

l: Kant 1763, Kant 1770.

m: Kant 1781.

n: Ekloge 4 aus Vergils Bucolica, 'Der göttliche Knabe'.

o: Maimon 1790.