ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Schreiben an Herrn K. P. Moritz, mit Anmerkungen von Herrn S. Maimon.

Mathy, Joseph Hyazinth Adalbert

Hochedelgebohrner Herr!

Hochzuehrender Herr Professor!

Als ich vor einem halben Jahre, bei meiner Durchreise durch Berlin, von meiner Vaterstadt, nach der hiesigen Universität, das Glück hatte Ihre Bekanntschaft zu machen, erhielt ich von Ihnen die schmeichelhafte Erlaubniß, Ihnen einen Aufsatz für das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde überreichen zu dürfen. Ich schrieb Ihnen damals am Vorabend meiner Abreise, die häufigen Zerstreuungen erlaubten mir nicht was Ordentliches zu denken, ich würde aber, sobald ich an den ruhigen Sitz meiner Pimplea angekommen wäre, nicht unterlassen, von Ihrer gütigen Erlaubniß Gebrauch zu machen.

[110]

Ich habe sie erreicht meine Muse; aber Psyche war für diesesmal das Mädchen nicht, das sie sich zu ihrer Gespielin ausersehen; nur des delischen Jünglings bärtiger Sohn war es, dessen Lehren sie jetzt ihr Ohr lieh. Zu seinen Füßen wog sie die Kräfte der menschlichen Natur, spähte mit bewafneter Hand in ihrem Innern die Wunder ihres Baues, und maß in endlosen Zahlen die Weite des Erdkreises. — Doch jetzt kehrt sie wieder zu der Verlassenen, um schwesterlich und fester als je mit ihr vereint den kommenden Lenz zu durchleben, daß sie ihr ganz ihr Herz aufschließe.

So habe ich dann nicht gesäumt, vor einigen Tagen, da die Holde sich zu mir herabließ, und bei wiedererlangter Muße, mich ihrer Eingebung würdigte, sogleich mein Versprechen zu erfüllen. Ich habe also hiemit die Ehre, Ihnen, hochzuehrender Herr Professor, einen Aufsatz zu überreichen, der seinem Inhalte nach, zwar in jene vortrefliche Zeitschrift gehört, die unter Ihrer bildenden Hand Leben und Wachsthum erhält, ob er aber auch würdig sey einen Platz darin einzunehmen, ob er wagen dürfe sich neben Werke von Männern zu stellen, welche darin leuchten, das überlasse ich ihrem Ausspruche. — Es ist dieses die erste Frucht meiner Bemühungen mit der ich mich in die Welt hinauswage. Ich hoffe auf Ihre gütige Schonung, und im Fall ich das Glück haben sollte einiger Aufmerk[111]samkeit von Ihnen gewürdigt zu werden, auf die Erlaubniß, noch mehreremale meine Aerndte in Ihrem Magazine niederlegen zu dürfen.

Jena, den 16. Aprill
1791.

Joseph Hyazinth Mathy
D. A. u. H. K. B.
aus Danzig


Tu ne quaesieris, (scire nefas) quem mihi quem tibi
Finem Di dederint, Leuconoe neu Babylonios
Tentaris numeros — — —

Hor. ode XI. L. I."Quäl nicht die mir getreue Brust Leuconoe, hör auf zu fragen; / Kein Sternseher kann dirs sagen, / Wie bald, und wie du sterben must; / Die Götter haben diß verborgen, / Und strafen die verbotnen Sorgen." a Bd. I, S. 58f. (1756).

So weit meine Erfahrungen und Beobachtungen reichen, habe ich immer zwei Hauptgattungen von Narren unterschieden. Einige sehen alle Dinge von einer verkehrten Seite an, andre äußern ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle. Jene, zu mehrerer Bestimmung, sind eben diejenigen, die den Vorwurf des Arztes ausmachen. Zu ihrer Klasse gehören die Tollhäus'ler, und überhaupt diejenigen deren Krankheit man im Allgemeinen mit dem Namen: Verrückung, zu bezeichnen pflegt. Die nächste, wenn gleich nicht immer erste Ursache davon, liegt im Körper, und mehrentheils, wenn nehmlich diese Ursache zugleich die erste ist, können sie durch [112]physische Behandlung gebessert werden. — Bei weitem von diesen unterscheiden sich die Narren der andern Art. Ihre Krankheit ist, wenn wir nehmlich zwischen beiden eine ganz scharfe Grenzlinie ziehen (und das müssen wir, wenn wir sie vorläufig, genau unterscheiden wollen), ihre Krankheit sage ich ist blos Seelenkrankheit. Es sind diejenigen Menschen, die in allem richtig denken und handeln, bis auf irgend einen gewissen Punkt, da stimmen sie mit andern Menschen nicht überein, da schwindet bei ihnen logische Wahrheit, da scheinen sie der gesunden Vernunft entsagt zu haben. Zu dieser Klasse gehören wir Menschen alle, so auffallend, so widersprechend das auch klingen mag; wer sollte wohl nicht in irgend einer Sache seine ganz besondern, selbst mit seinen eignen, sogar nach ausführlich deutlichen Begriffen abgeleiteten Grundsätzen, streitende Meinungen haben? — Das Sprichwort: jeder hat sein Gran Narrheit, ist unleugbar ein wahrer Satz, und jeder wird ihn bestätigt finden, der nur Lust hat, seine Wahrnehmungen zu Beobachtungen zu erhöhen, und vom Auffallendern und Deutlichern aufs Verstecktere und weniger Bemerkte zu schließen, und hier im Stillen ruhig zu forschen. Wüßte man diesem Satze den Gehalt eines Grundsatzes zu geben, das heißt entwickelte man diejenigen Folgerungen aus ihm, die nothwendig in ihm liegen; wahrhaftig wir lebten um einen Theil glücklicher, würden sanfter gegen [113]unsre Brüder seyn, und weniger uns selbst beipflichten.

Wie nun aber das Gesetz der Stättigkeit in der Körperwelt ausgebreitet ist, so findet es auch bei den Geistern statt, und in unserm Falle können wir von den unkenntlichsten Spuren, durch unzählige Verblasungen bis zu den härtesten Zügen fortsteigen, und nicht allein der analogische Exempelschluß, sondern auch eine aufmerksame Beobachtung, und auf Versuche angewandte kalte Aufmerksamkeit, wird uns bei dem offenbar Närrischen völlig das, und nichts mehr zeigen, was wir bei jedem Menschen wahrnehmen.

Ich habe zu genauerm Unterschiede angenommen, daß die Krankheit dieser Leute blos Seelenkrankheit sey. Wir bleiben für jetzt noch dabei, um mit ihrer Bezeichnung desto ungehinderter zu Stande kommen zu können.

Sollte man wohl leugnen können, daß die Reihe der Ideen, die ein Mensch sein ganzes Leben hindurch fortsetzt, aus andern als aus geselligen Ideen gebildet werde? Schon Leibnitz hat das behauptet, und man wird, so viel Mühe man sich auch geben mag ihm zu widersprechen, diesen Grundsatz doch schwerlich aufheben können. Er hat mir wahr geschienen, schon ehe ich wußte daß Leibnitz ihn angenommen.*) 1 Ich habe mich bemüht ihn [114]für falsch zu halten, habe doch aber trotz aller Bemühung mich am Ende genöthigt gesehen, auch in ihm den großen Weisen zu bewundern, dessen Geist noch in den spätesten Zeiten immer fortwirken wird. — Der Witz ist eine Seelenkraft, die wohl bei weitem reger ist, als man es bisher eingesehen hat. Ungezwungen wird man alle Seelenkräfte auf ihn zurückbringen können; die höhere Aufmerksamkeit, und mithin Scharfsinn und Absonderungsvermögen, was ist sie anders als Aeußerung des Witzes? Wäre man wohl im Stande unter mehrern Dingen gleicher Art eines herauszusuchen, herauszusuchen sage ich, wenn man nicht wüßte, daß dieses Ding in dieser Art enthalten wäre? und wie könnte man das, wenn hier nicht der Witz sich thätig erwiese? also wie könnte man das, wenn hier nicht gesellige Ideen vorhanden wären? — Gedächtniß, Einbildungskraft, Phantasie, was sind sie, oder was ist dieses anders als Geburt des Witzes? Könnten wir gehabte, nunmehr schlummernde Ideen wieder haben, wenn sie nicht durch ähnliche aufgeregt würden? und könnten sie das, wenn wir diese Aehnlichkeit nicht wahrnähmen? Wir sind es ja die wir wirken, nicht etwa die Ideen, als selbstständige Wesen impelliren sich mechanisch!

Ein großer Beweis — und vielleicht der größte — scheint mir der Scharfsinn zu seyn. Können wir wohl Dinge unterscheiden, ohne vorher ihre Ähnlichkeiten wahrgenommen zu [115] haben? müssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst würden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, würden ja nicht die Möglichkeit einschließen, Verschiedenheiten zwischen ihnen wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. — Ist also der Witz sogar da thätig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankömmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Idee der Aehnlichkeit die deutlichste ist?

Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch für Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Idee die sich in uns drängt — sie dringe so plötzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Idee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der stärkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe ähnlicher ineinander gegründeter Ideen geführt hat, ist von dieser Unähnlichkeit fremder Ideen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, b und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und [116]selbst nicht ein Stäubchen mich in meiner Vertiefung stört, und plötzlich wird an meinem Zimmer geklopft, und nun mit einemmale sind Schnee und Gefilde und Klee und Bäume und Hauptschmuck aus meiner Seele weggeschnellt, und eine Reihe anderer Bilder vorgestoßen, die mit den vorigen auch nicht die geringste Aehnlichkeit haben! wie, sagt man, ist es möglich daß diese aus jenen sollten entstanden seyn? wie ist da Zusammenhang möglich, wo so ein greller Bruch geschehen ist?*) 2

Daß dieser Beweis allerdings viel blendenden Schimmer habe, ist nicht zu leugnen, allein wenn hier nur nicht die fallacia ignorationis elenchi zum Grunde liegt! Man hat hier mit Idee, Gedanke verwechselt. Wenn man von Gedanken spricht, dann hat Leibnitz auf jeden Fall geirrt, allein hier ist die Rede von Idee! — So nimmt mancher Wahrheiten mit in sein Grab, und sein Andenken wandelt unter der Zahl der Bühnenärzte, weil ihr Nachhall die Afterwelt betäubt! — Wenn wir das obige Beispiel genau betrachten; werden wir finden daß es sich damit so verhalte: Gesetzt die letzte Idee die ich in meinem Nachdenken habe, [117]sey: Haar, es wird geklopft, es entsteht in meiner Seele eine Empfindung; was wird nun das Erste seyn, das hier in mir vorgeht? das Allererste wird seyn: ich fühle daß zu meiner Idee noch etwas hinzugekommen ist: Nun ist die Empfindung die das Klopfen in mir erregt hat, Idee geworden, aber diese Idee ist noch dunkel. Was thue ich weiter? ich suche Merkmaale auf, ich finde einige die von denen der Idee vom Haar unterschieden sind; nun hat meine Idee vom Klopfen einen Grad der Deutlichkeit erlangt, ich merke darauf, und so komme ich allmälig von meiner vorigen Idee ab, und habe nun keine als die neue*) 3. Ward ich also plötzlich von der letzten abgerissen? war zwischen beiden eine unerfüllte Spalte? oder spannen sie sich nicht vielmehr gleich wie zu einer stettigen Größe zusammen? War es nicht die Empfindung des Mehr, die sich zuerst an die lezte Idee anschmiegte? und konnte meine Seele da wohl anders, als das Etwas wahrnehmen, das beide zusammenschmolz? — Ideen also, erzeugen einander, nicht Gedanken, d.h. Zusammensetzungen von Ideen bei denen man zwischen zwei verschiedenen nicht auf diejenigen Rücksicht nimmt, durch die sie verbunden werden. Zu-[118]sammengesetzte Ideen, sagt man, aber das ist ein schwankender Ausdruck; eine Idee ist nur einzeln! — Was nun zwischen einer Idee und einer hinzukommenden Empfindung, und zwischen einer Empfindung bis sie Idee wird, noch im Innern unsrer Seele vorgehe, das liegt in zu dichtem Dunkel, und ist man auch so glücklich Begriffe davon zu haben; so empören sich wiederum unsre Zeichen der Begriffe. Etwas ist ganz sicher noch da, aber womit diese feine elementarische Stuffenfolge ausgefüllt sey, oder ob sie ausgefüllt sey, das ist eine andere Frage. —

Also der Mensch denkt immer gesellschaftliche Ideen. Niemand wird leugnen, daß der Mensch gewisse Lieblingsideen habe, und unter diesen sich eine befinde, die ihm die vorzüglich liebste sey. Nothwendig wird die Seele sie also auch deutlicher und öfter als alle andern Ideen denken, und wird in der ganzen Reihe ihrer Gedanken diejenigen Ideen am deutlichsten denken, die ihr gleich sind. So wird es auch mit den Gedanken gehen: diejenigen Gedanken in denen die Ideen vorkommen, die der Lieblingsidee gleich sind, wird sie deutlicher als alle andern, und eben so deutlich denken als die Gedanken, in denen die Lieblingsidee die Hauptidee ist. Und die Phantasie wird nicht unterlassen, zu diesen neuen Gedanken Ideen hinzuzuthun, um sie dem Gedanken ganz ähnlich zu machen, in welchem die Lieblingsidee die Hauptidee ist. Wenn nun dieser [119] Gedanke von der Art ist, daß er entweder den jetzigen oder den künftigen Zustand der Seele bezeichnet, sey es einen glücklichen oder unglücklichen; so wird die Seele ihn ganz einzig, und hauptsächlich, und am häufigsten denken. Sie wird sich nicht begnügen, Aehnlichkeiten in andern Gedanken blos wahrzunehmen; sie wird auch, in jedem Gedanken Ideen suchen die der Hauptidee dieses Lieblingsgedanken gleich sind, die Phantasie wird wieder das Ihrige dabei thun, und so wird sich eine Menge ähnlicher Ideen aneinander ballen, und je größer diese Zahl wird, desto größer wird, verhältnißmäßig nach Maaßgabe dieser größern Zahl, die Menge neuer Gedanken seyn, die sich an die vorigen anweben; denn in jedem Gedanken werden außer der gleichen Hauptidee, noch immer Ideen seyn, die der Hauptidee zwar ungleich, Ideen aber gleich sind, die in andern neuen Gedanken vorhanden sind.

So wird der Hauptgedanke immer genährt. Und das ist der Zustand des Narren. Wer in dem Falle ist, daß ein und derselbe Gedanke immer vorspringt, der ist ein Narr.

Es frägt sich nun, woher ein Mensch gewisse Lieblingsideen habe. Gemeinhin liegt die Ursache davon in der Denkart derjenigen, mit denen er am häufigsten umgeht, in der herrschenden Denkart seiner Zeiten, in der Denkart der Schriftsteller, die er am häufigsten vielleicht gelesen, und hauptsächlich in der Erziehung, überhaupt also darin, daß gerade [120]diese Ideen am häufigsten in ihm vorgekommen sind, entweder passive, da sie von andern wiederhohlt aufgeregt worden, oder aktive, da die Seele, weil sie sie gleich in der ersten Jugend gedacht, selbst, sie oft erneuert. Und, ist dieses nun die Ursache; so ist ja deutlich, daß jeder eine solche Lieblingsidee habe; denn jeder Mensch lebt ja in einem gewissen bestimmten Kreise; und hat auch seine besondre Erziehung genossen; Laßt uns also vom offenbar Närrischen zu dem vernünftigsten Menschen herabsteigen; werden wir einen andern Unterschied zwischen beiden als den Grad finden? und können wir demnach nicht von dem Vernünftigen zum Narren in unmerklicher Stufenfolge fortsteigen? und ist also der Satz, daß jeder sein Gran Narrheit habe, nicht wahr und allgemein?*) 4

Salomon Maimon.

[121]

Bis so weit haben wir also die Narrheit blos als Seelenkrankheit betrachtet. — Sollte aber [122]der Körper nicht vermögend seyn sie hervorzubringen, oder sollte er wohl nicht gar, immer sie her-[123]vorbringen? Diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Unterschied zwischen den körperlichen Krankheiten in dieser Absicht machen. Krankheiten nehmlich die die Seele erkennt, dahin alle diejenigen gehören die in die Sinne fallen, und diese werden in der Art vermögend seyn Narrheit hervorzubringen, wie jeder andre Gegenstand durch Ein[124]würkung auf die Sinne es vermögend ist. (Von diesen ist also hier die Rede nicht, außer in sofern sie Ursache von den folgenden Krankheiten, und mithin entferntere Ursache der Narrheit seyn können,) — und Krankheiten von denen die Seele nur dunkle Begriffe, oder wohl gar nur Empfindung hat.*) 5 Diese sind nicht allein geschickt, Narrheit zu erzeugen; sondern ich glaube daß sie sie wohl mehrentheils erzeugen. Doch hinreichende Ursache sind sie nie, sondern nur gelegentliche. Wären sie hinreichende Ursache, so müßten sie in der Seele Idee von Krankheit hervorbringen, und so fielen sie mit denen von der erstern Klasse zusammen, und würden also in Absicht ihrer Würkung auf die Seele, nicht als Krankheit zu betrachten seyn. Das aber thun sie nie, sondern sie veranlassen anderweitige Ideen, die die Seele entweder vordem gehabt hat, oder bei der Entstehung der Krankheit bildet, und die mit ihr nichts gleich haben, als höchstens die unangenehme Empfindung. Solche Krankheiten können Narrheit veranlassen, und veranlassen sie auch in der That wohl immer wenn sie da sind, und ich getraue mir zu behaupten, daß jede Narrheit die in traurigen Gedanken besteht, von der Art Krankheit veranlaßt worden sey. Die Seele wird durch diese Empfindung nur gar zu [125]leicht irre geführt. Sie geräth auf eine Idee, die in ihrer Würkung mit dieser Empfindung die mehreste Aehnlichkeit hat, und so wie die traurige Empfindung fortwährt, so währt auch diese Idee fort. Man sieht also, daß das was den Zustand der Narrheit veranlaßt, nicht eben immer Krankheit zu nennen sey; sondern daß auch oft das Temperament dazu hinreiche; denn die Seele empfindet sich nicht allein selbst; wir müssen sagen: sie empfindet das Ich des Menschen. — Allein die Veranlassung mag nun Krankheit oder Temperament seyn oder nicht, so wird gewiß selten ein Fall seyn, da dieser Zustand der Seele nicht der Art Krankheit hervorbringen sollte. Desto mehr Stoff also die Narrheit zu nähren; denn, ist die Krankheit einmal erzeugt, so folgt was ich schon angeführt: sie würkt zurück, und hier findet sie nun einen fangenden Zunder, und um wie viel schneller wird dieser Tausch, diese gegenseitige Unterstützung nicht vor sich gehen, wenn Krankheit die erste Ursache gewesen? So greifen Seele und Körper immer fester ineinander ein, beide zerrütten einander immer mehr, und es kann endlich aus dieser Narrheit die der ersten Art entstehen, von der ich ausgegangen bin, und so kann sie von dieser die erste Ursache seyn. — Mich aber auf diese Art Seelenkrankheit einzulassen, fordert mein Zweck nicht.

Nachstehende Geschichte mag als Beispiel zur Erläuterung dieser Grundsätze dienen, und auch [126]ein Wink allen Polizeiämtern seyn, wie so manche Dinge im Staat als Kleinigkeiten übersehen werden, die auf das Schicksal des Bürgers den wichtigsten Einfluß haben.

(Die Fortsetzung folgt im nächsten Stück.)

Fußnoten:

1: *) Ohne daß ich deswegen seiner Harmonie beifalle.

2: *) Ich habe zu diesem Beispiele mit Fleiß Dinge von ganz getrennter Gattung gewählt, um nicht, im Fall der mindesten Aehnlichkeit zwischen beiden, den Leser von meinem eigentlichen Beweise abzulenken, daß er verführt würde auf eine, wenn auch nur versteckte Aehnlichkeit zu merken.

3: *) Sollte einigen der Ausdruck: allmälig, anstößig seyn; weil hier vom plötzlichen Verändern von Ideen die Rede ist, so verweise ich darauf, daß: plötzlich, und: allmälig, nur Beziehungen sind.

4: *) Der Verfasser unterscheidet zwei Hauptgattungen von Narren. Die eine ist die Gattung derjenigen Narren, die alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, die andere besteht aus denjenigen welche ihre Narrheit nur in einem gewissen Falle äußern.
Ich glaube aber, daß man schwerlich Narren von der ersten Gattung finden wird, d.h. solche, die, wie der Verfasser sich ausdrückt, alle Dinge von einer verkehrten Seite ansehn, oder von allen Dingen falsche Vorstellungen haben. Es kann allerdings Narren von der zweiten Gattung geben, d.h. solche, die nur eine einzige falsche Vorstellung haben, die aber dennoch aus diesem Grunde alle Dinge verkehrt ansehn; wenn nehmlich diese einzige falsche Vorstellung etwas betrift, das mit allen Dingen im Verhältniß steht. Die Korrelata (alle andere Dinge) können also immer in der Vorstellung unverändert bleiben, so wird doch dadurch ihr Verhältniß zu dem Dinge wovon man eine falsche Vorstellung hat, nothwendig verändert. Wie wenn z.B. jemand sich einbildet von Glas gemacht zu seyn; so hat er blos von einem einzigen Dinge eine falsche Vorstellung, nehmlich von seinem Körper, und dennoch fürchtet er nicht nur, eine schwere Last zu tragen, als wodurch er nach seiner Einbildung zerbrochen werden könnte, sondern auch, sich auf den Tisch zu lehnen, auf dem Stuhle zu sitzen, auf dem Bette zu liegen, auf den Erdboden zu treten u.s.w. weil alle diese Dinge zum Glase eben dasselbe Verhältniß haben. So wie ohngefähr bei dem Gelbsüchtigen die Veränderung der Beschaffenheit der Augensäfte, die Veränderung der Farbe aller Dinge nach sich zieht.
So sehe ich auch nicht ein, warum der V. die Ursache der ersten Gattung im Körper, der zweiten aber in der Seele zu liegen glaubt? dieses wird von ihm ganz willkürlich angenommen, ohne bewiesen zu werden.
Ferner sagt der V. »Der Witz ist u.s.w. — ungezwungen wird man alle Seelenkräfte auf ihn zurückbringen können.« Hier kömmt es darauf an, zu wissen, was doch der V. unter Witz verstehn mag. Versteht er darunter, nach der gewöhnlichen Erklärung, das Vermögen, die Aehnlichkeit der Dinge wahrzunehmen, so kann er nicht behaupten, daß der Witz das einzige Seelenvermögen sey, worauf alle übrigen sich reduziren lassen. Association ist freilich zu allen Seelenoperationen nothwendig. Aber die Association beruht nicht einzig und allein auf Aehnlichkeit, sondern kann auch auf Koexistenz, und Dependenz (von Grund und Folge) beruhen. Wir können daher allerdings gehabte, nunmehr schlummernde Ideen auch ohne irgend eine Aehnlichkeit mit den gegenwärtigen blos wegen ihrer Koexistenz mit denselben reproduziren. Folglich hängt das Gedächtniß nicht nothwendig vom Witze ab.
Versteht er aber unter Witz das Associationsvermögen im Allgemeinen, so ist diese Bedeutung offenbar wider den Sprachgebrauch. Was er ferner in Ansehung des Scharfsinns sagt, so kömmt es hier auf den Begriff der Verschiedenheit an; ist nehmlich Verschiedenheit nichts anders als Theilentgegensetzung, so muß allerdings die Aehnlichkeit der Verschiedenheit vorhergegangen seyn; weil die Entgegensetzung in eben demselben Subjekte gedacht werden muß; folglich müssen die Dinge die als voneinander verschieden gedacht werden sollen, in Ansehung des Subjekts, das in beiden einerlei ist, ähnlich seyn. Ist aber bei ihm Verschiedenheit eine besondere Form, so kann man auch ohne Wahrnehmung der Aehnlichkeit die Dinge als verschieden denken. Der Begriff von der Tugend z.B. ist von dem Begriffe eines Dreiecks, ohne demselben in irgend etwas ähnlich zu seyn, verschieden.
Was er ferner in Ansehung des Unterschiedes zwischen Ideen und Gedanken sagt, daß nehmlich jene einander erzeugen, folglich immer in einer ununterbrochnen Reihe fortgehen, diese aber nicht, ist mehr spitzfündig als reel. Wenn blos die Vorstellung des Mehr zur Vergesellschaftung verschiedener Ideen hinreichend ist, so sind alle Ideen ohne Unterschied gesellschaftliche Ideen. — Das Gesetz der Association ist aber blos ein Gesetz der Einbildungskraft. Diese hängt aber allerdings von der Empfindung ab, nicht aber umgekehrt. Man muß daher diesem Gesetze zu Folge von der, die gegenwärtige Empfindung begleitenden Idee auf eine mit derselben associirte vergangne gerathen; es ist aber nicht nothwendig, daß man auch umgekehrt von einer vergangenen Idee in der Einbildungskraft auf eine mit ihr gesellschaftliche Empfindung gerathe. Die Verbindung die Leibnitz hier annimmt hat ganz einen andern Sinn. —

5: *) Beispiel der ersten Art sind, Fieber, Kopfweh, und äußere Verletzungen; der zweiten, Hysterie, Hypochondrie.

Erläuterungen:

a: Solms-Wildenfels 1756-1760,

b: "Der Schnee ist nun vorbey: es schmückt das Gras die Felder; / Es keimt das grüne Laub und schmückt das Haupt der Wälder", Solms-Wildenfels 1756-1760, Bd. IV, S. 74f. (1758).