ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: VIII, Stück: 3 (1791) >  

2.

Schreiben über Täuschung und besonders vom Traume.

Veit, Joseph

Aus einigen Aeusserungen welche in Ihrer Erfahrungsseelenkunde vorkommen, aus dem eigentlichen Zwecke welchen Sie sich vorgesetzt zu haben scheinen, und aus der Natur der Sache muß ich vermuthen, daß Ihnen wenigstens nunmehr, da Sie schon eine ziemliche Anzahl von Thatsachen gesammlet haben, auch Betrachtungen willkommen seyn werden, wenn sie Aufschlüsse zur Erklärung dieser Thatsachen enthalten, oder zur Feststellung psychologischer Gesetze beitragen.

In dieser Hinsicht theile ich Ihnen die Resultate mit, welche ich nach Durchlesung des ersten Stückes von dem ersten Bande ihrer psychologischen Schrift gefaßt habe. Sollten sie Ihrem Urtheile nach eine Stelle in Ihrer Seelenkunde verdienen, so habe ich meiner Seits nichts dagegen. Ich schreite zur Sache.

Die Verrücktheit, Faselei und der Traum haben das miteinander gemein, daß 1) in diesen Zuständen Gedankendinge für außer uns vorhandene Dinge gehalten werden. 2) haben wir in dem Augenblicke in dem dieser Trug geschiehet, oft ein Bewußtseyn von dem Truge. Man träumt, und weiß im Traume, daß man träumt; auch geben [18]Wahnsinnige in dem Zustande ihrer größten Verrücktheit manchmal sehr deutlich ein Bewußtseyn ihres Wahnsinnes zu erkennen.

Um nun diese Erscheinungen zu erklären, werde ich eine Frage aufwerfen, deren Beantwortung, wie man mit einem Blicke sehen wird, einiges Licht über diesen Gegenstand verbreiten muß. Es frägt sich nehmlich: da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsers denkenden Wesens sind, woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding betrachten, welches außer uns wirklich ist, und so wenig von unsrer Vorstellung abhängt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch unser denkendes Wesen, und mit ihm alle unsre Gedanken zernichtet werden sollten?

Ehe ich weiter rücke, bemerke ich noch, daß zur gegenwärtigen Absicht eine blos psychologische Beantwortung dieser Frage hinreichend ist; eine metaphysische Beantwortung aber zu nichts dienen würde. Man verlangt hier keine Beweise für die Wirklichkeit der außer uns befindlichen Dinge, sondern man will blos die Wege welche uns zu dieser Vorstellungsart leiten, und die psychologischen Gesetze kennen, nach denen wir etwas für außer uns wirklich halten; und dieses darum, damit wir die Täuschung welche im Traume und in der Verrüktheit vorgehet, desto besser einsehen mögen.

Wir werden also einige Blicke in uns selbst werfen müssen, und mehr erfordert es in der That nicht, um folgendes wahrzunehmen: von vielen [19]Vorstellungen sind wir uns genau bewußt, wie wir von den vorhergegangenen zu ihnen geleitet worden sind; von vielen andern wissen wir dieses zwar nicht, aber wir wissen doch überhaupt, daß eine stetige Fortrückung von Vorstellung zu Vorstellung nach dem Gesetze der Ideenverkettung und Vergesellschaftung in uns statt gehabt hat. Wenn wir uns zum Beispiel auf etwas zu erinnern bemühen, so sind wir uns die große Menge von Vorstellungen, welche wir durchwandert haben, nicht bewußt; aber wir wissen überhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und wenn die Erinnerung wirklich geschiehet, sie eine Folge aller vorhergegangenen Vorstellungen gewesen ist, welche nach dem oben angezeigten Gesetze in uns hervorgebracht worden sind.

Aus diesen Bemerkungen müssen wir natürlich den Schluß ziehen: alle Ideen, welche blos in uns erzeugt werden, mithin alle Gedankendinge, sind eine Folge von vorhergegangenen Vorstellungen, und können nicht plötzlich, oder wie der Psycholog dies zu nennen pflegt, mittelst eines Sprunges entstehen.

Allein wir bemerken auch, daß es noch eine Art von Vorstellungen giebt, welche sich uns mit einemmale aufdringen, bei denen wir keine Spur eines stetigen oder vergesellschafteten Ideenganges wahrnehmen, so daß in der ganzen vorhergegangenen Ideenreihe, wenigstens unsrer Meinung nach, nichts enthalten war, welches darauf geleitet hätte. [20]Wenn z.B. indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen vorüber streicht, so glaube ich überzeugt zu seyn, diese Vorstellung sey plötzlich in mir entstanden, weil zufolge meines besten Bewußtseyns in dem Vorhergegangenen kein Faden anzutreffen ist, den ich an den Begriff eines Vogels knüpfen könnte.

Demnach erzeugt der Satz: kein Gedankending entstehet mittelst eines Sprunges, nebst dem zweiten: es giebt Vorstellungen, welche, wenn ich meinen Wahrnehmungen trauen darf, mittelst eines Sprunges entstehen, den dritten: Die Vorstellungen von der letzten Art, oder bestimmter, die Vorstellungen, welche die Sinne darbieten, werden nicht blos in mir entsponnen, sind keine bloße Gedankendinge, sondern es giebt eine Wirklichkeit außer mir, welche sie in mir wirkt, oder veranlaßt. Nemlich: entweder die Vorstellungen welche wir durch die Sinne empfangen, sind nicht mit unsern übrigen Vorstellungen verbunden, obgleich die Dinge, welche auf die Sinne wirken, eine ununterbrochene Verbindung untereinander haben; oder der Faden ist in Absicht derselben nicht abgeschnitten; ich habe Vorstellungen von der ganzen Welt, und zwar diejenigen, welche blos in mir entstehen, beziehn sich unmittelbar auf mich, auf meine Eigenheiten, und auf Eindrücke, welche die sinnlichen Vorstellungen in mir zurückgelassen haben; die Vorstellungen aber welche durch die Wirkung äußerer Ge-[21]genstände in mir hervorgebracht werden, beziehn sich mehr auf die Verbindung des unendlichen und zum Theil von mir auch in dem gegenwärtigen Zustande anschaulichen Alls.

Von den Vorstellungen des innern Sinnes weiß ich im wachenden und mit Besonnenheit verbundenen Zustande wie ich zu ihnen gekommen bin, oder werde wenigstens die Spur von einer stetigen Gedankenverkettung gewahr; von den Vorstellungen aber, welche uns von aussen zuströmen, findet auch dies letztere nicht statt; nicht weil keine da ist, sondern weil sie für uns verloren geht; hauptsächlich darum, weil es schwer ist, in einem grenzenlosen und äusserst verwickelten All eine Spur zu bemerken.

Es scheint, daß die zuletzt angeführte Meinung, welche doch wenigstens möglich ist, wiederum alles das niederreisse, was vorher aufgebauet worden. Denn da vermöge derselben die Vorstellungen, welche uns die Sinne darbieten, von den vorhergegangenen nicht abgebrochen sind, so kann die anscheinende Unterbrechung keine außer uns vorhandene Wirklichkeit darthun.

Allein es ist bereits erinnert worden, daß blos der Weg und das Gesetz gesucht wird, nach denen wir uns bei dieser Beurtheilung richten; ein Gesetz, welches, da alles auf die Erklärung der Täuschung im Traume und in der Verrücktheit abzielt, den Grund angiebt, warum in den eben genannten Täu-[22]schungszuständen das Blendwerk sich erzeugen muß, dessen Ursprung hier enträthselt werden soll; mithin auch im wachenden und mit völliger Besonnenheit verbundenen Zustande zu Irrschlüssen leiten kann. Denn blos durch die Verirrung welche auch in dem eben beschriebenen Zustande möglich ist, kann die Verirrung erklärt werden, welche in den täuschenden Zuständen unstreitig statt hat.

Daß aber der wirkliche oder scheinbare Mangel einer Ideenverbindung zwischen einer Vorstellung und den vorhergegangenen uns auf eine außer uns vorhandene Wirklichkeit führt, beweisen viele Erfahrungen, von denen ich folgende heraushebe: Wenn ich in eben dem Augenblicke, in welchem ich das einsilbige Wort ja niederschreibe, es auch aussprechen höre, so werde ich zweifelhaft, ob man es wirklich ausgesprochen habe, oder ob in mir eine Täuschung vorgegangen sey, und ich würde nicht einmal daran zweifeln, sondern es für eine ausgemachte Täuschung halten, wenn sie im wachenden Zustande wahrscheinlich wäre.

Also wo wir keine plötzliche Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe wahrnehmen, da schließen wir auch auf keine äussere Wirklichkeit, und wir wären lauter erklärte Egoisten, wenn die sinnlichen Vorstellungen, welche uns die äussern Gegenstände darbieten, mit unsrer Gedankenreihe gleichen Schritt hielten.

[23]

Demnach ist die Unterbrechung der Ideenstetigkeit der Weg der uns auf eine ausser uns vorhandene Wirklichkeit führt, und zum Theil auch ein Merkmaal, daran wir sie erkennen.

Ich sagte zum Theil, und dies vorsetzlich, denn nachdem man auf die Idee geführt worden, so bemerkt man noch andere Merkmaale derselben, welche es eben sind, die den Egoismus so lächerlich machen. Die wichtigsten derselben sind für uns hier von keinem Gebrauche, weil sie besonders auf unsern Zustand im Traume nicht angewandt werden können.

Ich werde daher nur eines einzigen Merkmaals gedenken, darnach wir uns richten, welches so schwankend ist, daß es zu Täuschungen verleitet und auch im Traume statt hat; ich meine nehmlich die Stärke der Vorstellung. Wir können mittelst der Einbildungskraft das Bild der Sonne in uns hervorbringen, aber die Kraft der Vorstellung einer mit Augen gesehenen Sonne, wirkt mit einer weit größern Stärke, als die Vorstellung, welche die Einbildungskraft uns gewährt.

Wie sehr aber dies Merkmaal irre führen kann, beweisen viele Beispiele, wovon ich nur ein einziges rügen werde. Man weiß, daß Dichter und Mahler von ihren eignen Gedankengeschöpfen getäuscht werden, und es hat Fälle gegeben, daß sie in Furcht und Schrecken gesetzt worden, mit einemmale in einen Winkel gekrochen oder zurükgefahren sind.

[24]

Ich enthalte mich, ein mehreres hierüber hinzuzufügen, da die Hauptsache sehr bekannt ist, und zur Erklärung des Truges, welcher in den täuschenden Zuständen in uns vorgehet, fast allgemein angewandt wird.

Ich begnüge mich, blos zu bemerken, daß wir alle Vorstellungen, welche uns die Einbildungskraft, und mithin auch die überspannte Einbildungskraft liefert, für das was sie sind, für Gedankendinge halten müssen, wenn wir nicht in dem Augenblicke in welchem uns das eingebildete Ding vor Augen schwebt, selbst die Spur der vorhergegangenen Ideenreihe, daher es entstanden ist, verloren haben.

Die Gründe welche für die Nothwendigkeit einer Reihenabbrechung zur Vorstellung einer Wirklichkeit vorgetragen worden, beweisen dieses noch um so mehr, wenn sie auf unstreitige Gedankendinge, auf die Bilder der Einbildungskraft angewandt werden.

Es stehet also fest: die Abbrechung von der vorhergegangenen Gedankenreihe ist eine Bedingung, ohne welche wir in keinem Falle etwas als ausser uns wirklich annehmen; und, daß ich es im Vorbeigehn bemerke, in Absicht der Vorstellung unsers eignen Daseyns verhält es sich gerade umgekehrt. Der Mensch vergißt, so zu sagen, sein eignes Ich, wenn er so sehr von Gegenstand zu Gegenstand eilt, daß ihm die innere Gedankenreihe abgebrochen scheinen muß.

[25]

Ich rücke nunmehr näher zum Ziele, und zwar zuförderst zur Erklärung der Haupterscheinungen in den täuschenden Zuständen, und um meine Meinung faßlicher zu machen, werde ich in der Folge einige Entstehungsarten von diesen Zuständen angeben.

Von allen täuschenden Zuständen ist der Traum der einzige, der fast allen Menschen aus eigner Erfahrung bekannt ist; man hat daher auch bestimmtere Begriffe von ihm, als von den übrigen; und man siehet sich oft gezwungen, von ihm auf die andern zu schliessen. In dieser Rüksicht verdient er die erste Stelle; zu dessen Erklärung aber etwas von unsern Vorstellungen im Schlafe vorausgeschickt werden muß.

In dem Zustande des tiefen Schlafes, worin auch kein Traum vorhanden ist, sind die dunklen Vorstellungen der Seele im Gleichgewicht, so daß keine derselben eine größere Stärke als die andre hat; keine ist die hervorstechende, die herrschende. Die Aufmerksamkeit, welche die Seele auf sich selbst und ihre Vorstellungen hat, ist in diesem Zustande äußerst schwach, aber nicht ganz unterdrückt, weil in ihm keine Vorstellung unterdrückt werden kann.

Daher kommt es, daß ein vor dem Schlafe gefaßter Vorsatz selbst in diesem Zustande eine Wirksamkeit hat, wie sehr viele Erfahrungen ausser allen Zweifel setzen; und daher kommt es ferner, daß die Schätzung des verstrichenen Zeit-[26]raums im Schlafe besser als im wachenden Zustande von statten gehet.

Denn da wir das Maß der vergangenen Zeit blos durch die Menge von Vorstellungen schätzen können, welche in uns aufeinander gefolgt sind: so wird dieses nur alsdann mit der Wahrheit übereinstimmen, 1) wenn die Vorstellungen, deren Zusammenzählung den Zeitraum bestimmen soll, gleichen Zeitraum einnehmen. 2) wird auch die Aufmerksamkeit auf sich und auf andre Vorstellungen sehr geringe seyn müssen, weil die Aufmerksamkeit Irrung im Zählen verursacht.

Man kann immer richtig hintereinander wegzählen, wenn man gar nichts dabei denkt, und selbst das nicht, daß man zählet. Ja dies ist es eben, was diese Operation so schwer macht, weil wir die Aufmerksamkeit vollends ablenken müssen. Ich werde mich in der Folge hierüber deutlicher bestimmen.

Da indessen diese beiden Erfordernisse im Schlafe vorhanden sind, so ist es kein Wunder, daß wir pünktlich in dem Augenblicke erwachen, wie wir es vor dem Schlafengehen gewünscht haben.

Man setze demnach: es werden jemanden nach einer jedesmaligen Ziehung der Lotterie die Nummern bekannt, welche herausgekommen sind, so wird er sich zwar im wachenden Zustande die Reihe [27]von Nummern, welche seit vielen Jahren gezogen worden, nicht erinnern, und wird daher noch weniger wissen, welche Nummern gar nicht oder weniger mal wie andere herausgekommen sind, aber im Schlafe wird ihm die Vorstellung aller seit vielen Jahren gezogenen Nummern und das Resultat, welches hierin zu fassen ist, mit eben der Stärke beiwohnen können, als jede andre Vorstellung, weil in diesem Zustande keine Vorstellung einen größern Grad von Stärke hat, als die andere; und wenn eben dieser Jemand ein Lotteriespieler ist, für den also dieses Resultat Interesse hat, so wird ihn diese Vorstellung wecken, er wird entweder völlig erwachen, oder in den mittleren Zustand gerathen, das ist: er wird träumen.

Wem diese Behauptung zu kühn scheint, den frage ich: ob denn die Verhältnisse, welche jedes Frauenzimmer ohne es zu wissen, mithin mittelst dunkler Vorstellungen berechnet, wenn es eine Melodie anhört, nicht eine weit verwickeltere Sache sind? Und ich frage ferner: ob dies nicht daher rührt, weil wir uns bei Anhörung einer Musik blos leidend verhalten, also keine Aufmerksamkeit zu verwenden brauchen? Denn Aufmerksamkeit nenne ich hier: die Bemühung etwas zu entdecken oder zu fassen; und wenn ich sage: es wird keine Aufmerksamkeit erfordert, so will ich zu verstehen geben, daß diese Bemühung unnöthig ist. Und daher behaupte ich: die Anhörung der Musik erfordert keine Aufmerk-[28]samkeit, weil die Töne schon als leidenschaftliche Ausdrücke eine Anziehung haben, welche fähig ist, unsre Aufmerksamkeit von allen Gegenständen weg zu wenden, und wir uns also blos leidend zu verhalten brauchen.

In eben dem erklärten Sinne hatte ich es auch genommen, als ich vorhin die Meinung äusserte, daß man bei dem Zählen — und wie ich jezt hinzusetze, auch bei dem gemeinen Rechnen, in so fern man blos nach einer erlernten Methode verfährt — die Aufmerksamkeit ablenken muß; denn das Zählen und das gemeine Rechnen ist weder eine Operation des Verstandes noch der Vernunft.

Der vortrefliche Doctor Bloch, dieser Mann der mit dem Talent, welches in Ausübung seiner Kunst eine conditio sine qua non ausmacht, mit dem gesunden Menschenverstande so sehr begabt ist, erzählt uns in seinen Bemerkungen eine Antwort des verewigten Mendelssohn auf die Frage: was denken Sie? —

»Nichts, ich zähle.«

Meiner Meinung nach war diese Antwort Mendelssohns, wie die seinige immer zu seyn pflegte, vieles mit wenigen Worten, treffend, scharfsinnig und wahr.

Aus dem was ich vorhin angeführt hatte, wird auch die Schwierigkeit begreiflich, die viele Männer von Genie finden, wenn sie den eigentlich mathematischen Kalkul bearbeiten sollen, ob sie ihn gleich [29]wohl verstehen, und gemeine Rechnungen mit Fertigkeit zu vollenden im Stande sind.

Denn der mathematische Kalkul erfordert zum Theil die Wegwendung der Aufmerksamkeit — in dem erklärten Sinne — und theils eine Anstrengung; das erstere in so ferne die Operationen des gemeinen Kalkuls darin vorkommen, und das letztere in Absicht der darin befindlichen Vernunftschlüsse. Dieser beständige Kontrast ist es, welcher auch einem Genie Verwirrung machen kann.

Wenn also der Wunsch des Herrn von Leibniz in Erfüllung käme, die Zahlzeichen so einzurichten daß das Resultat der Arithmetischen Operationen aus Gesetzen der Vernunft geschlossen werden könnte, so hätte dies wenigstens den Nutzen, daß die gemeinen sowohl als die mathematischen Rechnungen, mit weniger Mühe bearbeitet werden könnten; und der sonst gründliche und erfinderische Plouquet hat dennoch hierüber nicht so geurtheilt, wie er urtheilen sollte und pflegte.

Noch ausführlicher darf ich über diese Materie nicht seyn, denn ich eile zu einem großen Rechenmeister, zum Schlafe.

Ueberhaupt jedes Resultat das uns im wachenden Zustande darum verborgen bleibt, weil sowohl die Ideen, welche es voraussetzt, oder von denen es zusammengesetzt ist, als auch das Verfahren der Vernunft, welches erforderlich ist, um das Endurtheil zu fällen, von herrschenden Ideen oder Ver-[30]nunftverfahrungen unterdrückt worden, kann im Schlafe dennoch in uns entstehen, und wir würden, wenn in dem Augenblicke, in welchem uns das Resultat beiwohnt, ein Erwachen erfolgte, ein vollkommenes Bewußtseyn davon haben, wenn nicht die Operation des Erwachens davon ableitete, und die Vorstellungen vom äussern Gegenstande, welche uns von allen Seiten zuströhmen, das dunkle Resultat wiederum unterdrücken könnten. Es sind aber gleichwohl die glücklichen Einfälle daher erklärbar, welche man oft nach dem Erwachen hat.

Der hier angenommene Uebergang vom tiefen Schlafe zum Erwachen geschiehet aber äusserst selten, mehrentheils erfolgt nach ihm ein Traum. Wir werden daher den Einfluß betrachten müssen, welchen die Ideenreihe die wir im Schlafe hatten, auf die Vorstellungen im Traume hat; aber zuförderst werden wir die Eigenheiten dieses täuschenden Zustandes festsetzen, und daraus werden sich die Haupterscheinungen in demselben von selbst erklären.

Der Traum ist ein Mittelzustand, der zwischen unsern Zustand im Wachen und im tiefen Schlafe fällt, daher wird auch keine vollkommene Aufmerksamkeit auf die innere Ideenreihe statt haben, und da, wo wir im wachenden Zustande nur eine Spur wahrnehmen, werden wir im Traume gar nichts bemerken. Also werden wir kein sehr lebhaftes Bewußtseyn von unserm Daseyn haben; [31]denn dies hängt von der Wahrnehmung der innern Gedankenreihen ab; das Ich ist demnach in diesem Zustande nur schwebend.

Da nun ferner der Uebergang vom Schlafe zum Traume mittelst einer äussern Empfindung oder durch das besondere Interesse, welches eine gehabte Vorstellung für uns hat, geschiehet: so ist hiedurch die Anlage zu einer Herrschaft der Ideen gegeben, oder mit andern Worten, die Seele steht unter der Regierung der Einbildungskraft. Denn der Zustand darin herrschende Ideen und ein schwebendes Ich statt hat, enthält die Elemente zu einer Art von Einbildungskraft, welche man die täuschende und unterdrückende nennen könnte.

Die Fortsetzung künftig.