ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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6.

Die Leiden der Poesie. a

Moritz, Karl Philipp

Diese geheimen Leiden waren es, womit R... beinahe von seiner Kindheit an, zu kämpfen hatte.

Wenn ihn der Reitz der Dichtkunst unwillkürlich anwandelte, so entstand zuerst eine wehmüthige Empfindung in seiner Seele, er dachte sich ein Etwas, worin er sich selbst verlohr, wogegen alles, was er je gehört, gelesen oder gedacht hatte, sich verlohr, und dessen Daseyn, wenn es nun würklich von ihm vorgestellt wäre, ein bisher noch ungefühltes unnennbares Vergnügen verursachen würde.

Nun war aber noch nicht ausgemacht, ob dies ein Trauerspiel, oder eine Romanze, oder ein Elegisches Gedicht werden sollte; genug, es mußte etwas seyn, das würklich eine solche Empfindung erweckte, wovon der Dichter schon gewissermaßen ein Vorgefühl gehabt hatte.

In den Momenten dieses seeligen Vorgefühls konnte die Zunge nur stammelnde einzelne Laute hervorbringen.

Etwa wie die in einigen Klopstockschen Oden, b zwischen denen die Lücken des Ausdrucks mit Punkten ausgefüllt sind.

Diese einzelnen Laute aber bezeichneten denn immer das Allgemeine von groß, erhaben, Wonnethränen, und dergleichen. —

[109]

Dies dauerte denn so lange, bis die Empfindung in sich selbst wieder zurücksank, ohne auch nur ein paar vernünftige Zeilen, zum Anfange von etwas Bestimmten, ausgebohren zu haben.

Nun war also während dieser Krisis nichts Schönes entstanden, woran sich die Seele nachher hätte festhalten können, und alles andre, was würklich schon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewürdiget.

Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas gehabt hätte, was sie selbst nicht seyn konnte, und wodurch ihr eigenes Daseyn ihr verächtlich wurde.

Es ist wohl ein untrügliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter habe, den blos eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt, und bei dem nicht schon die bestimmte Scene, die er dichten will, noch eher als diese Empfindung, oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist. Kurz, wer nicht während der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Scene werfen kann, der hat nur Empfindung, aber kein Dichtungsvermögen.

Und gewiß ist nichts gefährlicher, als einem solchen täuschenden Hange sich zu überlassen; die warnende Stimme kann nicht früh genug dem Jüngling zurufen, sein Innerstes zu prüfen, ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und [110]weil er diese Stelle nie ausfüllen kann, ein ewiges Unbehagen die Strafe verbotenen Genusses bleibt.

Dies war der Fall bei R..., der die besten Stunden seines Lebens, durch mislungene Versuche trübte, durch unnützes Streben nach einem täuschenden Blendwerke, das immer vor seiner Seele schwebte, und wenn er es nun zu umfassen glaubte, plötzlich in Rauch und Nebel verschwand.

Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei einem Menschen mit seinem Leben und seinen Schicksalen kontrastirt, so war es bei R..., der von seiner Kindheit an in einer Sphäre war, die ihn bis zum Staube niederdrückte, und wo er bis zum Poetischen zu gelangen, immer erst eine Stufe der Menschenbildung überspringen mußte, ohne sich auf der folgenden erhalten zu können.

So gieng es ihm nun jetzt wieder in seiner äußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube für sich, sondern mußte, da es nun anfing kälter zu werden, mit in der gemeinschaftlichen Stube wohnen, deren Einwohner, wenn ausgefegt wurde, so lange herausgehen mußten.

In dieser Stube wohnte die ganze Familie, nebst R... und noch einem Studenten, und jeder nahm seine Besuche von Fremden darin an; es wurde darin erzählt, von Kindern gelärmt, gesungen, gezankt und geschrieen; und dies war nun die nächste Umgebung, worin R... seine philosophische Abhandlung über die Empfindsamkeit schreiben, [111]und seine poetischen Ideale außer sich darstellen wollte.

Hier sollte nun das Trauerspiel Siegwart geschrieben werden, c das sich mit seiner Einkehr bei dem Einsiedler anhub, welches immer R...s Lieblingsidee war, und die Lieblingsidee aller jungen Leute zu seyn pflegt, welche sich einbilden, einen Beruf zur Dichtkunst zu haben.

Dies ist sehr natürlich, weil der Zustand eines Einsiedlers gewissermaßen an sich selber schon Poesie ist, und der Dichter seinen Stoff schon beinahe vorgearbeitet findet.

Wer aber zuerst auf solche Gegenstände fällt, bei dem ist es auch fast immer ein Zeichen, daß bei ihm keine ächte poetische Ader statt finde, weil er die Poesie in den Gegenständen sucht, die in ihm selber schon liegen müßte, um jeden Gegenstand, der sich seiner Einbildungskraft darbietet, zu verschönern.

So ist die Wahl des Schrecklichen ebenfalls ein schlimmes Zeichen, wenn das vermeinte poetische Genie gleich zuerst darauf verfällt; denn freilich macht sich hier das Poetische auch schon von selber, und die innere Leerheit und Unfruchtbarkeit soll durch den äußern Stoff ersetzt werden.

Dies war der Fall bei R... schon in H... auf der Schule, wo er Meineid, Blutschande und Vatermord, in einem Trauerspiele zusammen zu häufen suchte, das der Meineid heissen sollte, d und [112]wobei er sich dann immer die würkliche Aufführung dieses Stücks, und zugleich den Effekt dachte, den es auf die Zuschauer machen würde.

Dies zweite Zeichen sollte ebenfalls für jeden, der sich wegen seines poetischen Berufs sorgfältig prüft, schon abschrekkend seyn.

Denn der wahre Dichter und Künstler findet und hoft seine Belohnung nicht erst in dem Effekt, den sein Werk machen wird, sondern er findet in der Arbeit selbst Vergnügen, und würde dieselbe nicht für verlohren halten, wenn sie auch niemanden zu Gesicht kommen sollte. Sein Werk zieht ihn unwillkürlich an sich, in ihm selber liegt die Kraft zu seinen Fortschritten, und die Ehre ist nur der Sporn, der ihn antreibt.

Die bloße Ruhmbegier kann wohl die Begier einhauchen, ein großes Werk zu beginnen, allein die Kraft dazu kann sie dem nie gewähren, der sie nicht schon besaß, ehe er selbst die Ruhmbegier noch kannte.

Noch ein drittes schlimmes Zeichen ist, wenn junge Dichter ihren Stoff sehr gerne aus dem Entfernten und Unbekannten nehmen; wenn sie gerne morgenländische Vorstellungsarten, und dergleichen bearbeiten, wo alles von den Scenen des gewöhnlichen nächsten Lebens der Menschen ganz verschieden ist; und wo also auch der Stoff schon von selber poetisch wird.

[113]

Dies war denn auch der Fall bei R...; er gieng schon mit einem Gedichte über die Schöpfung schwanger, wo der Stoff nun freilich der allerentfernteste war, den die Einbildungskraft sich denken konnte, und wo er statt des Detail, vor dem er sich scheute, lauter große Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn für die eigentlich erhabene Poesie hält; und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben, als zu dem, was dem Menschen nahe liegt; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst herein tragen, welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben.

R...s äußere Lage wurde hiebei mit jedem Tage drückender, weil die gehofte Unterstützung aus H... nicht erfolgte, und seine Hausleute ihn immer mehr mit schielen Blicken ansahen, je mehr sie inne wurden, daß er weder Geld besitze, noch welches zu hoffen habe.

Sein Frühstück und Abendbrodt, was er hier genoß, war er nicht im Stande zu bezahlen, und man ließ ihm deutlich merken, daß man nicht länger Willens sey, ihm zu borgen; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte, und er überdem ein trauriger Gesellschafter war, so war es natürlich, daß man seiner loß zu seyn wünschte, und ihm die Wohnung aufkündigte.

So wenig auffallend dieß nun an sich war, so tragisch nahm es R...

[114]

Der Gedanke des Lästigseyns, und daß er von den Leuten, unter denen er lebte, gleichsam nur geduldet würde, machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt.

Alle Erinnerungen aus seiner Jugend und Kindheit drängten sich zusammen.

Er häufte selber alle Schmach auf sich, und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksale aufs Neue überlassen.

Nun gieng er zu F..., um Abschied von ihm zu nehmen, ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu können, weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle.

Der Doktor F... schob diesen Entschluß auf seine Melancholie, redete ihm zu, daß er bleiben solle, und entließ ihn nicht eher, bis R... ihm versprochen hatte, wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen.

Diese Theilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar für R... sehr schmeichelhaft; sobald er sich aber wieder allein befand, verfolgte der Gedanke des Lästigseyns in seiner nächsten Umgebung ihn wie ein quälender Geist, er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthäuserklosters, wohin er sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zufluchtsorte sehnte, und wehmüthig nach den stillen Mauren hinüberblickte.

[115]

Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel sich mit Wolken überzog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte.

Der Fieberfrost, welcher sich nun zu den innern Unruhen seines Gemüths gesellte, trieb ihn in Sturm und Regen umher, bei altem Gemäuer und durch einsame öde Straßen, denn in seine bisherige Wohnung zurückzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen.

Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf, band sich ein Tuch um den Kopf, und suchte sich unter altem Gemäuer eine Weile vor dem Regen zu schützen.

Vor Müdigkeit fiel er hier in eine Art von betäubendem Schlummer, aus dem er durch einen neuen Regenguß, und durch das Getöse des Windes wieder erweckt wurde.

Indem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug, fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein: to shut me out, in such a night as this! (Die Thüren vor mir zu verschließen, in einer Nacht wie diese!) e Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweifelung durch, und vergaß sich in dem Schicksale Lears, der von seinen eigenen Töchtern verbannt, in der stürmischen Nacht umherirrt, und die Elemente auffordert, die entsetzliche Beleidigung zu rächen.

[116]

Diese Scene hielt ihn hin, daß er sich eine Zeitlang den Zustand, worin er war, mit einer Art von Wollust dachte, bis auch dies Gefühl abgestumpft wurde, und ihm nun am Ende nichts als die leere Würklichkeit übrig blieb, welche ihn in ein lautes Hohngelächter über sich selbst ausbrechen ließ.

In dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zurück, der nun schon eröfnet war, und wo die Chorherren sich zur Frühmette bei Licht versammleten.

Das alte gothische Gebäude, die wenigen Lichter, der Widerschein von den hohen Fenstern, machten auf R..., der die ganze Nacht umher geirrt war, und sich hier auf eine Bank niedersetzte, einen wunderbaren Eindruck.

Er war, wie in einer Behausung, vor dem Regen geschützt, und doch war dies keine Wohnung für die Lebenden.

Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte, den schien dies dunkle Gewölbe einzuladen, und wer eine Nacht, wie R... die vergangene, durchlebt hatte, konnte wohl geneigt seyn, diesem Rufe zu folgen.

R... fühlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt, die etwas unbeschreiblich Angenehmes für ihn hatte, die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entrückte, und ihn das Vergangene vergessen machte.

[117]

Er hatte aus dem Lethe getrunken, und fühlte sich in das Land des Friedens sanft hinüberschlummern.

Dabei heftete sich immer sein Blick auf den blassen Widerschein von den hohen Fenstern, und dieser war es vorzüglich, welcher ihn in eine neue Welt zu versetzen schien: es war dies eine majestätische Schlafkammer, in welcher er seine Augen aufschlug, nachdem er die Nacht wild durchträumt hatte.

Denn wie Träume eines Fieberkranken, waren freilich solche Zeitpunkte in R...s Leben, aber sie waren doch einmal darin, und hatten ihren Grund in seinen Schicksalen von seiner Kindheit an.

Denn war es nicht immer Selbstverachtung, zurückgedrängtes Selbstgefühl, wodurch er in einen solchen Zustand versetzt wurde? Und wurde nicht diese Selbstverachtung durch den immerwährenden Druck von außen bei ihm bewirkt, woran freilich mehr der Zufall Schuld war, als die Menschen?

Als der Tag angebrochen war, kehrte R... mit ruhigem Gemüthe aus dem Dom zurück, und begegnete auf der Straße seinem Freunde N..., der schon früh ein Kollegium besuchte, und welcher erschrak, da er R...n ins Gesicht sahe, so sehr hatte diese Nacht ihn abgemattet und entstellt.

N... ruhete nicht eher, bis R... ihm seinen ganzen Zustand entdeckt hatte.

[118]

Nach freundschaftlichen Vorwürfen, daß R... nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes.

Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freundes, stärkte bei R... wieder das erkrankte Selbstgefühl, er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm.

Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu können, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte.

Er laß und studirte hier oben, und würde in dieser Abgezogenheit völlig glücklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht über die Schöpfung nicht gequält hätte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth, wenn er Dinge ausdrücken wollte, die er zu fühlen glaubte, und die ihm doch über allen Ausdruck waren.

Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte, aber immer für seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdrücke finden konnte.

[119]

Er dachte sich eine Art von falscher täuschender Bildung in das Chaos hinein, welche im Nu wieder zum Traume und Blendwerke wurde; eine Bildung die weit schöner, als die wirkliche, aber eben deswegen von keinem Bestande, und keiner Dauer war.

Eine falsche Sonne stieg am Horizonte herauf, und kündigte einen glänzenden Tag an. —

Der bodenlose Morast überzog sich unter ihrem trügerischen Einflusse mit einer Kruste auf welcher Blumen sproßten, Quellen rauschten; plötzlich arbeiteten sich die entgegenstrebenden Kräfte empor, der Sturm heulte aus dem Abgrunde, die Finsterniß brach mit allen ihren Schrecknissen aus ihrem verborgenen Hinterhalte hervor, und verschlang den neugebornen Tag wieder in ein furchtbares Grab.

Die immer in sich selbst zurückgedrängten Kräfte bearbeiteten sich mit Grimm nach allen Seiten sich auszudehnen, und seufzten unter dem lastenden Widerstande.

Die Wasserwogen krümmten sich und klagten unter dem heulenden Windstoße.

In der Tiefe brüllten die eingeschlossenen Flammen, das Erdreich das sich hob, der Felsen der sich gründete, versanken mit donnerndem Getöse wieder in den alles verschlingenden Abgrund. —

Mit dergleichen ungeheuren Bildern, zerarbeitete sich R...s Phantasie in den Stunden, wo sein Innres selbst ein Chaos war, in welchem der [120]Strahl des ruhigen Denkens nicht leuchtete, wo die Kräfte der Seele ihr Gleichgewicht verlohren, und das Gemüth sich verfinstert hatte; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm verschwand, und Traum und Wahn ihm lieber war, als Ordnung, Licht und Wahrheit.

Und alle diese Erscheinungen gründeten sich gewissermaßen wieder in dem Idealismus, wozu er sich schon natürlich neigte, und worin er durch die philosophischen Systeme, die er in H... studierte sich noch mehr bestärkt fand.

Und auf diesem bodenlosen Ufer fand er nun keinen Platz wo sein Fuß ruhen konnte.

Angstvolles Streben und Unruhe verfolgten ihn auf jedem Schritte.

Dieß war es, was ihn aus der Gesellschaft der Menschen auf Böden und Dachkammern trieb, wo er oft in phantastischen Träumen noch seine vergnügtesten Stunden zubrachte, und dieß war es was ihm zugleich für das Romantische, und Theatralische, den unwiderstehlichen Trieb einflößte.

Durch seinen gegenwärtigen innern und äußern Zustand, war er nun wiederum in der idealischen Welt verlohren, was Wunder also, daß bei der ersten Veranlassung seine alte Leidenschaft wieder Feuer fing, und er wiederum seine Gedanken auf das Theater heftete, welches bei ihm nicht sowohl Kunstbedürfniß, als Lebensbedürfniß war.

[121]
R...s Schreiben an seinen Freund.

Dies Schreiben war denn ganz im Tone der Wertherschen Briefe abgefaßt.

Die patriarchalischen Ideen mußten auf alle Weise wieder erweckt werden; nur Schade, daß es hier nicht wohl ohne Affektation geschehen konnte.

Denn um diesen Brief schreiben zu können, schafte sich R... erst einen Theetopf an, und lieh sich eine Tasse, und weil er kein Holz im Hause hatte, kaufte er sich Stroh, welches man in Erfurt zum Brennen braucht, um sich selber in seinem Stübchen, in dem kleinen Oefchen seinen Thee zu kochen, womit er endlich, nachdem er vor Rauch beinahe erstickt war, zu Stande kam.

Und als dies nun nur erst einmal geschehen war, so schrieb er gleichsam triumphirend an seinen Freund.

Jetzt, mein Lieber! bin ich in einer Lage, welche ich mir nicht reizender wünschen könnte. Ich blicke aus meinem kleinen Fenster über die weite Flur hinaus, sehe ganz in der Ferne eine Reihe Bäumchen auf einem kleinen Hügel hervorragen, und denke an Dich, mein Lieber u.s.w. Ich habe die Schlüssel dieser einsamen Wohnung, und bin hier Herr im Hause und Garten, u.s.w. Wenn ich denn manchmal so da sitze, an dem kleinen Oefchen, und mir selbst meinen Thee koche, u.s.w.

In dem Tone gieng es fort, und ward ein stattlicher und langer Brief; und als nun R... es [122]nicht über das Herz bringen konnte, diesen schönen Brief nicht auch seinem kritischen Freunde, dem Doktor S... zu zeigen: so verdarb dieser vollends die Sache, indem er ihm nach seiner gutmüthigen Höflichkeit das Kompliment machte: wenn ihm R...s Gegenwart nicht selbst zu lieb wäre, so würde er wünschen, entfernt zu seyn, um nur solche Briefe von R... zu erhalten.

Und nun war auf einmal, der beinahe zur Ruhe gebrachte Dichtungstrieb bei R... wieder angefacht. Er suchte nun zuerst sein Gedicht über die Schöpfung vollends durch das Chaos durchzuführen, und hub mit neuer Qual an, in der Darstellung von gräßlichen Widersprüchen und ungeheuren labyrinthischen Verwickelungen der Gedanken sich zu verlieren, bis endlich folgende beide Hexameter, die er aus der Bibel nahm, ihn aus einer Hölle von Begriffen erlößten.

Auf dem stillen Gewässer rauschte
Die Stimme des Ewigen
Sanft daher, und sprach: es werde Licht!
Und es ward Licht. f

Merkwürdig war es, daß ihm nun die Lust vergieng, dies Gedicht weiter fortzuführen, sobald der Stoff nicht fürchterlich mehr war.

Er suchte also nun einen Stoff aus, der immer fürchterlich bleiben mußte, und den er in mehreren [123]Gesängen bearbeiten wollte; was konnte dies wohl anders seyn, als der Tod selber!

Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Idee, daß er, als ein Jüngling, sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen wählte; daher hub er denn auch sein Gedicht an:

Ein Jüngling, der schon früh den Kelch
der Leiden trank, u.s.w.

Als er nun aber zum Werke schritt, und den ersten Gesang seines Gedichts, wovon er den Titel schon recht schön hingeschrieben hatte, wirklich bearbeiten wollte, fand er sich in seiner Hofnung, einen Reichthum von fürchterlichen Bildern vor sich zu finden, auf das Bitterste getäuscht.

Die Flügel sanken ihm, und er fühlte seine Seele wie gelähmt, da er nichts, als eine weite Leere, eine schwarze Oede vor sich erblickte, wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben, wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ, sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte, und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte.

Er strengte mit einer Art von Wuth seine Einbildungskraft an, in diese Dunkelheit Bilder hineinzutragen, allein sie schwärzten sich, wie auf Herkules Haupte die grünen Blätter seines Pappelkranzes, da er sich, um den Cerberus zu fangen, dem Hause des Pluto nahte. Alles was er niederschreiben wollte, lößte sich in Rauch und Nebel auf, und das weiße Papier blieb unbeschrieben.

[124]

Unter diesen immer wiederholten vergeblichen Anstrengungen eines falschen Dichtungstriebes, erlag er endlich, und verfiel selbst in eine Art von Lethargie und völligem Lebensüberdruß.

Er warf sich eines Abends mit den Kleidern aufs Bette, und blieb die Nacht und den ganzen folgenden Tag in einer Art von Schlafsucht liegen, aus der ihn erst am Abend des folgenden Tages, wo es grade Weihnachten war, ein Bote von seinem Gönner dem Regierungsrath Sp... weckte, dessen Frau an R... ein sehr großes Weihnachtsbrodt zum Geschenk übersandte.

Dies war nun gerade, was ihn in seiner unwiderstehlichen Schlafsucht noch bestärkte. Er schloß sich mit diesem großen Brode ein, und lebte vierzehn Tage davon, weil er nur wenig genoß, indem er Tag und Nacht, wo nicht in einem immerwährenden Schlafe, doch, die letzten Tage ausgenommen, in einem beständigen Schlummer, im Bette zubrachte. Hiezu kam nun freilich der Umstand, daß er kein Holz hatte, um einzuheizen; er hätte aber auch nur ein Wort sagen dürfen, um dies Bedürfniß zu befriedigen, wenn es ihm nicht gewissermaßen lieb gewesen wäre, den Mangel des Holzes als einen Beweggrund zu dieser sonderbaren Lebensart vorschützen zu können.

R... wurde in diesem Zustande auch von seinen Freunden nicht gestört, weil er gegen diese oft den [125]Wunsch geäußert hatte, daß er nur einmal ein paar Wochen lang ganz einsam zu seyn wünschte.

Nun hatte aber dieser Zustand eine sonderbare Wirkung auf R..: die ersten acht Tage brachte er in einer Art von gänzlicher Abspannung und Gleichgültigkeit zu, wodurch er den Zustand, den er vergeblich zu besingen gestrebt hatte, nun gewissermaßen in sich selber darstellte. Er schien aus dem Lethe getrunken zu haben, und kein Fünkchen von Lebenslust mehr bei ihm übrig zu seyn.

Die letztern acht Tage aber, war er in einem Zustande, den er, wenn er ihn isoliert betrachtet, unter die glücklichsten seines Lebens zählen muß.

Durch die lange fortdauernde Abspannung hatten sich allmälig die schlafenden Kräfte wieder erholt.

Sein Schlummer wurde immer sanfter; durch seine Adern schien sich ein neues Leben zu verbreiten; seine jugendlichen Hofnungen erwachten wieder eine nach der andern; Ruhm und Beifall krönten ihn wieder; schöne Träume ließen ihn in eine goldne Zukunft blicken. Er war von diesem langen Schlafe wie berauscht, und fühlte sich in einem angenehmen Taumel, so oft er von dem süßen Schlummer ein wenig aufdämmerte.

Sein Wachen selber war ein fortgesetzter Traum, und er hätte alles darum gegeben in diesem Zustande ewig bleiben zu dürfen.

Erläuterungen:

a: Vgl. KMA 1, S. 404-412, 417-420, 1061-1065, 1069f.,

b: Klopstock 1771.

c: Miller 1776.

d: Vgl. KMA 1, S. 297.

e: Vgl. KMA 1, S. 1063.

f: Gen. 1,2-3. Vgl. KMA 1, S. 1069.