ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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7.

Waffen der Mystik gegen die Versuchungen zur Wollust.

Fleischbein, Johann Friedrich von

Auszug aus einem Briefe des Hr. v. F... a

den 14. Juni 1759.

Ihre Versuchungsgedanken betreffend, haben Sie sehr wohl gethan, solche in Einfalt an mich zu schreiben.

Schämen Sie sich nicht vor mir, wie könnte ich Ihnen meinen geringen Rath in einer Sache ertheilen, wann ich eben diese Sache nicht vorher auch erfahren hätte?

Die Versuchung, worüber Sie klagen, haben die größten Knechte Gottes in ihrem Glaubensweg erfahren müssen.

Wann Sie der M. G. Lebenslauf ganz gelesen haben, werden Sie sich entsinnen können, daß sie meldet, wie eine Nonne, die sich eben dieser Versuchung wegen an einer andern ärgerte, und ferner ein alter treuer Diener Gottes damit befallen worden.

Bei diesen Umständen, muß man trachten, nicht den Gedanken geradezu zu widerstehen, welches selten gut von statten gehet, sondern sie fallen zu [72]lassen, also, daß man sich sachte davon abwendet, an etwas anders zu gedenken trachtet, und sich in der Gegenwart Gottes hält, hiermit kann man oft dem Versucher entrinnen.

Hält aber dieses nicht die Versuchung ab, noch alles nicht, was man dagegen vernimmt, so muß man es tragen so gut man kann, und sich von Zeit zu Zeit immer wieder davon ab und zu Gott wenden.

Diese Versuchungen wiederfahren den Seelen zu ihrer Prüfung auch oft, weil sie sich innerlich erhoben, oder der Gaben und Gnaden angemaßt haben; allein alsdann ist dieses der Koth den J. Chr. gleichsam den geistlichblindgebohrnen auf die Augen leget, damit sie ihr Elend und Unvermögen sehen und erkennen sollen, und wissen, daß sie nichts als Elend und Verdorbenheit sind, Gott aber allein heilig ist.

Also lassen auch Sie sich diese Prüfung dienen, und solche Sie ja nicht abhalten, sich stets in der Gegenwart Gottes zu halten zu trachten, und zu allem und jedem dem Willen Gottes unterworfen zu bleiben.

Wie bist du sehend worden? fragten die Pharisäer den Blindgebohrnen, welcher antwortete: Koth legte er mir auf die Augen. Ihre Uebergabe muß auch dahin sich erstrecken, daß, nachdem Sie alles angewandt haben, was vermittelst der Gnade in Ihren Kräften stehet, und Sie dessenohn-[73]geachtet diese Gedanken nicht loß werden können, daß Sie sich der Gerechtigkeit Gottes aufopfern, um diese schwere Probe bis in Ihr Grab zu tragen.

Sie müssen sich aber hüten und getreu seyn, nicht darein zu willigen, und was wider Ihren Willen Ihnen begegnet, rechnet Gott Ihnen nicht zur Sünde.

Aeusserlich aber müssen Sie mit Weibspersonen allen vertraulichen Umgang vermeiden. Kennest du, spricht Thomas a Kempis, eine Gott ergebene Weibsperson, so befiehl sie Gott, und bleibe für Dich in der innern Stille und Einsamkeit ohne mit ihr vielen Umgang zu haben.

Hüten Sie sich sonderlich für jungen Weibspersonen, durch welche der Feind leicht Stricke der Versuchung uns zu legen pfleget.

Gott wird Sie schützen und erhalten, daß die Versuchung ein solches Ende gewinnet, daß dieselbe Ihnen an ihrem Seelenheil nicht schadet, und Sie solche ertragen können.

Es fallen mir zwei Begebenheiten dieser Versuchung wegen bei. Eine Person, die damit mit der größten Heftigkeit befallen wurde, belegte ihren bloßen Rücken mit frischen Brennesseln, welches aber die Versuchung vermehrte und noch weit heftiger machte, anstatt, daß sie glaubte, ihr Fleisch zu züchtigen und der Versuchung Einhalt zu thun. Diese Person aber hatte noch keine Erfahrung in den innern Wegen.

[74]

Die andre Begebenheit ist diese: Ein Frauenzimmer, die eine bejahrte Matrone war, und den Genuß der steten Gegenwart Gottes hatte, auch Erfahrung besaß, und dabei oft mit dieser Versuchung befallen wurde, sagte: sie sehe dise Versuchung an, wie eine Leibeskrankheit, deren man nicht loß werden könnte, wann sie käme, und die man in Gedult und mit Ueberlassung in den Willen Gottes tragen müßte.

Wann Sie es auch also machen, und Ihren Willen davon abziehen, wird dieses Ihnen nicht schaden, sondern in Erkennung Ihrer Nichtigkeit, Elends und Unvermögens Sie allmählig in der Demuth gründen. Hüte dich, daß du in keine Sünde willigest, noch thust wider Gottes Gebote, sagte der alte Tobias zu seinem Sohn. b

In Ansehung Ihrer obengemeldeten Versuchung habe ich noch zu melden, daß, wann Gott zu Ihrer Demüthigung zulassen sollte, daß Sie in der Versuchung unterliegen und fallen sollten, (welches ich jedoch hoffe, daß es nicht geschehen werde) so müssen Sie nach Anweisung der bewährtesten und erleuchtetsten geistlichen Führer, in Ihrem Fall weder liegen bleiben, noch sich lange damit aufhalten, Ihren Fehler zu betrachten, sondern Sie müssen sich geschwinde wieder aufraffen, und zu Jesu Ihre Zuflucht nehmen, Ihren Fehler vor dem Angesicht Gottes erkennen, bekennen und nicht bemänteln noch sich entschuldigen, auch müssen [75]Sie den innern Schmerz tragen und diese innere Pein sich so lange sie währen mögte, zernagen lassen, ohne was anders zu thun, als, daß Sie, wie vorher, sich in der Gegenwart Gottes stets und von neuem wieder zu halten trachten, und Ihre innere Uebungen wie vorher fortsetzen.

So wird ein solcher Fehler durch die rächende eifersüchtige Liebe Gottes vermittelst dieses innern Nagens und Schmerzens, selbst gereiniget werden; Sie werden hierdurch wieder die Gnade Gottes erlangen, und diese Demüthigung sammt den innern Nagen und Brennen wird verschaffen, daß Sie ihre Nichtigkeit und Ohnmacht zu allem Guten, tiefer erkennen, und sich künftig für den geistlichen Hochmuth und Erhebung des Herzens wegen der Ihnen verliehenen Gnaden, mehr hüten werden.

Gott allein kann Sie durch seine Gnade erhalten und bewahren, daher müssen Sie das Ansicht des HERRN suchen vermittelst des inneren Gebets und der Uebung der Gegenwart Gottes, wie sie in den Schriften der M. G. gelehret werden.

Erläuterungen:

a: Vgl. zu Fleischbein und den Schriften der Madame Guyon, Wingertszahn 2002, S. 63-92, 99f. Wingertszahn 2005, S. 275f. und KMA 1, S. 609-611, 760-773.

b: Luther 1545, Apokryphe Schriften des Alten Testaments, Das Buch Tobias, Tobit 1,10.