Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Mit dem ersten Stück des fünften Bandes fängt sich die Fortsetzung meiner Revision der drei ersten Bände dieses Magazins von Herrn Pockels, an.
Ich würde über Ahndungen mich nicht in einem so entscheidenden Tone erklärt haben, als Hr. P. gleich in dem ersten Aufsatze gethan hat, und muß mir also diesen Gegenstand zur eigenen Ausarbeitung vorbehalten.
Es läßt sich über diese Sache nicht so leicht weg räsonniren, wenn es einem um Wahrheit zu thun ist.
Es ist hier nicht die Frage, ob es den Menschen nützlicher sei, wenn sie an Ahndungen glauben, oder nicht daran glauben, sondern ob und in wie fern diese Erscheinung in der Natur unsers Wesens würklich gegründet oder nicht darin gegründet sei?
Ein Magazin zur Erfahrungsseelenkunde soll ja nicht unmittelbar Moral lehren, und eben so wenig unmittelbar dem Aberglauben entgegen arbeiten. — Dies ist sein Zweck nicht, sondern nur [4]eine sichre Folge, sobald man der Wahrheit um ihrer selbst willen näher zu kommen sucht. —
Durch solche Revisionen aber, wie die obigen, wird dies Werk zu einer blos moralischen Schrift, wo gegen dasjenige im eigentlichen Sinn geeifert wird, wovon man glaubt, daß der Glaube daran den Menschen schädlich seyn könne. —
Es giebt eine Sucht, viele Dinge leicht erklärlich zu finden, eben so wie es eine Sucht giebt, viele Dinge unerklärlich zu finden — und man fällt sehr leicht von einem Extrem aufs andere. —
Freilich muß am Ende sich alles natürlich erklären lassen, weil es nicht wohl anders, als natürlich seyn kann, aber welcher einzelne Mensch umfaßt die Natur mit seinen Gedanken, die von aller Menschen Gedanken noch nicht umfaßt worden ist?
Der zu schnelle Ausruf, bei irgend einer sonderbaren psychologischen Erscheinung: das läßt sich ja ganz natürlich erklären! ist immer schon verdächtig, weil der Erklärer seiner Sache zu gewiß ist, und fest zu glauben scheint, daß seinem alleserforschenden schnellen Blick kein wichtiger Umstand entgehen könne. —
Die Revisionen über die gesammleten Fakta in einem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde sind nicht dazu, um diese Fakta nur größtentheils als leere Einbildungen kurz abzufertigen, damit ja dem Aberglauben entgegen gearbeitet werde. Das ge-[5]schieht auf die Weise wahrlich nicht; denn der Aberglaube nützt die Schwäche, und Oberflächigkeit, womit seine Gegner gegen ihn anziehen, und hält das Ganze desto fester, was eine zu ohnmächtige Hand ihm entreißen wollte.
Der Aberglaube will nie von vorne, sondern unvermerkt in den Flanken angegriffen seyn, wenn seine festgeschlossenen Glieder getrennt werden sollen.
Das geschieht aber von selbst, sobald die Wahrheit um ihrer selbst willen, gesucht wird — denn alsdann muß doch am Ende sich jeder Knoten lösen, und das Verwirrte sich auseinander wickeln. —
Die Vernunft aber, welche bei jedem Schritt den sie vorwärts thut, in Schwärmerei zu gerathen fürchtet, ist eben so wie die Tugend, welche immer bewacht werden muß, der Schildwache nicht werth. —
Wenn man über seine Resultate so gewiß ist, wie Hr. P. in den von ihm entworfenen Revisionen, so sind wir ja mit unsern Untersuchungen am Ende, und es bedarf weiter keines Magazins zur Erfahrungsseelenkunde.
Der Mensch redet freilich gar zu gern über Sachen, unter denen er steht, und welche doch eigentlich über ihm sind. —
Es läßt sich wohl von diesen Sachen reden, wer sie aber mit einem Blick zu übersehen sich einbildet, [6]täuschet sich sicher, und wird dadurch selbst ein Gegenstand psychologischer Beobachtungen, indem er solche zu machen glaubt.
In dem zweiten Stück des sechsten Bandes auf der ersten Seite, sagt Hr. P.: »die Fakta in diesem Magazin verdienten vorzüglich deswegen eine genaue psychologische Beleuchtung, um den immer mehr einreißenden Glauben an die Einwirkung guter oder böser Geister auf das Gemüth und die Handlungen der Menschen mit Gründen der Vernunft zu widerlegen, und durch Aufdeckung seiner unreinen Quelle zu beschämen. —«
Was geht den Psychologen, als Psychologen irgend ein einreißender Glaube an? wozu will er irgend einen einreißenden Glauben beschämen?
Er ist ja nicht zum Glaubensreformator bestellt; er soll nur beobachten — ihm liegt ob, Acht zu geben, wie die Dinge wirklich sind, und Untersuchungen anzustellen, warum sie so sind; nicht aber, zu bestimmen, wie sie nach seiner Meinung seyn sollen. —
Durch die Physik ist auch dem Aberglauben entgegen gearbeitet worden, aber dies erfolgte von selbst, ohne daß man darauf absichtlich hinarbeitete. —
Denn was würde aus aller Wahrheitsforschung am Ende werden, wenn man bei jedem Resultat immer erst untersuchen sollte, ob auch einige abergläubische Menschen diesen oder jenen Satz nicht et-[7]wa mißbrauchen, und sich in ihrem Aberglauben dadurch bestärken könnten. —
Noch thörichter aber würde es seyn, ein Magazin zur Erfahrungsseelenkunde absichtlich gegen den Aberglauben zu schreiben.
Ein solches Werk muß ja schlechterdings gegen nichts geschrieben seyn, es muß gegen nichts arbeiten, wenn es seines Zwecks nicht ganz verfehlen will.
Im dritten Stück des sechsten Bandes auf der ersten Seite sagt Hr. P.: »das Gutachten über den Gemüthszustand des verabschiedeten Soldaten Matthias Matthiesen u.s.w. ist ein neuer Beitrag zu der Erfahrung, daß die Menschen sich durch nichts leichter als durch chimärische Hofnungen künftiger Glückseligkeit täuschen lassen.« Und in diesem moralisirenden Tone geht es fort. —
Um dergleichen Reflexionen zu machen, bedarf es freilich keines Magazins zur Erfahrungsseelenkunde, dies bedarf aber auch solcher Reflexionen nicht. —
Auf der dritten Seite eben dieses Stücks erzählt Hr. P. in seiner Revision ein ganzes Faktum von Wort zu Wort wieder, und setzt am Ende ein paar sehr unbedeutende Reflexionen hinzu, wodurch die Revision eines Magazins zur Erfahrungsseelenkunde denn freilich sehr erleichtert wird.
[8]Wie leicht sich aber Hr. P. diese Arbeit zu machen gesucht hat, habe ich zu meinem Erstaunen auf der 28sten Seite des ersten Stücks vom siebenten Bande gesehen, wo eine fünf und vierzig Seiten lange Geschichte von einem Mörder Namens Simmen, die schon im ersten Stück des 2ten Bandes dieses Magazins S. 38. u.s.w. steht, beinahe von Wort zu Wort wieder abgedruckt ist, und offenbar beweißt, daß Hr. P. die ersten Bände dieses Magazins, bei seiner Fortsetzung desselben, entweder gar nicht, oder doch mit unverantwortlicher Flüchtigkeit muß durchgelesen haben.
Im 2ten Stück des siebenten Bandes S. 2. sagt Hr. P. in der letzten Fortsetzung seiner sogenannten Revision: »Man habe so viel möglich, alle Umstände zusammen genommen, um die bedeutenden Träume natürlich zu erklären, und zu beweisen, daß die Meinung von einer im Traum entstehenden Vorhersehungskraft der Seele eine leere Hypothese sey.«
Man muß nie Umstände, so viel wie möglich, zusammen nehmen, um irgend etwas zu beweisen, wenn es einem darum zu thun ist, die Wahrheit zu erforschen; denn der Beweis muß sich ja nach den Umständen, nicht aber die Umstände sich nach dem Beweise richten — denn wenn man erst so viel Umstände wie möglich zusammennimmt, um ei-[9]nen Beweis zu unterstützen, so scheint es ja, als ob der Beweis selbst auf schwachen Füßen stehe.
Hr. P. glaubt, »durch dergleichen Untersuchungen, sei der Nutzen gestiftet worden, daß man nicht mehr, so wie sonst, mit einer fanatischen Leichtgläubigkeit an Traumbedeutungen hänge, daß man dadurch den Mechanismus unsrer Einbildungskraft näher kennen gelernt habe; und daß dadurch dem Aberglauben wenigstens einiger Abbruch geschehen sei.«
Allein durch dergleichen Untersuchungen ist schlechterdings kein Nutzen gestiftet worden; man hängt ihnen zum Trotz an Traumbedeutungen; dem Aberglauben ist nicht der mindeste Abbruch dadurch geschehen; und der Mechanismus der Einbildungskraft, läßt sich durch keine Räsonnements auseinanderlegen, wobei man selber mechanisch zu Werke geht, indem man sich damit begnügt, wenn über die Sachen nur etwas hin und her geredet wird, ohne je in Erwegung zu ziehen, daß jenseit der unübersehbaren Fläche wohl etwas liegen könne, welches von Menschengedanken noch nicht erforschet ist. —
Wenn man aber nun freilich bedenkt, wie manche Leiden der Einbildungskraft es giebt, und daß es für manche Menschen äußerst gefährlich seyn kann, [10]den Ideen nachzuhängen, wodurch sie zu sehr auf sich und in sich selbst zurückgeführt werden — und diesen Menschen im Ernst zu schaden fürchtete, so müßte man lieber überhaupt kein Magazin zur Erfahrungsseelenkunde schreiben, als etwas ferner so benennen, das diesen Namen nicht verdiente. —
Dann dürfte aber auch von alle dem Guten und Schönen, was irgend einem Menschen durch Mißbrauch schaden kann, nichts mehr statt finden. —
Alles fernere Nachdenken über die Natur unsers Wesens, müßte mit der Poesie und den schönen Künsten auf immer verbannt seyn.
Denn was giebt es wohl Edles und Schönes, wodurch unser Auge nicht unwillkührlich auf uns selbst, und die verborgene Natur unsers Wesens zurückgelenkt würde, das noch von keines Menschen Gedanken umfaßt worden ist.
Der kühne Fuß des Menschen steigt in die tiefen Schachten der Erde hinab, und unser denkendes Wesen sollte es nicht wagen, in seine eigenen Tiefen hinabzusteigen, und dem edelsten Metalle da nachzuspähen, wo es so selten gesucht wird.
Auf dem Punkte, wo unser Wesen sich vollendet, darf es wahrlich nicht vor sich selbst erschrecken; es hält in seinen innern Tiefen sich an [11]sich selber fest, — und wo es erkannt wird, da entfliehen vor seiner leuchtenden Klarheit, alle eingebildeten Schreckengestalten — denn nichts ist wahrhaft schrecklich als der Irrthum, welcher das Schreckliche erzeugt —
Die folgenden beiden Aufsätze, welche meinen Behauptungen zu widersprechen scheinen, mögen sich zuerst an den Anfang dieser Revision anschließen.
(Die Fortsetzung folgt künftig.)