Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Sonnabends den 3. Julii 1782.
Sollte man es wohl dahin bringen können, daß man sich immer selbst gleich bliebe?
Mittwoch den 14. Julii.
Wohl mir! daß ich wenigstens aufs neue einen guten Vorsatz wieder fassen kann, den ich sonst Jahre lang vergaß. —
Noch einmal — nein! — so oft es nöthig ist — will ich es versuchen, diese unruhige Leidenschaft zu besiegen, die mich so oft zu jeder guten That unfähig, und mit. mir selbst so unzufrieden macht.
Morgen will ich den Anfang machen, und wenn sich meine ganze Seele dagegen empören sollte, das zu thun, was ich thun soll, es mag mir nun so unangenehm und widrig seyn, wie es wolle; und von nun an, will ich die Vorsätze, die ich auf den folgenden Tag fasse, in mein Tagebuch schreiben, und mir am Abend desselben Rechenschaft ablegen, in wie ferne ich sie ins Werk gerichtet habe.
Ist es nur halb geschehen, so sey dies H. ein beschämendes Zeichen für mich; ist es ganz geschehen, so soll mir dies G. ein selbstbelohnendes Merk-[49]mal seyn; ist es gar nicht geschehen, so soll mich dieses N. so lange mißvergnügt machen, bis ich meinen Fehler genug bereuet habe, um ihn inskünftige vermeiden zu können.
Dienstag den 11. Sept. Um 4 Uhr.
O du süßes, süßes Gefühl der Ausübung meiner Pflicht, wie lange hab ich deinen Reiz verkannt! Ewig sollst du mir theuer seyn.
Ach, was kann der Mensch nicht thun, wenn er will! Wem hätte ich es vor vier Wochen noch geglaubt, daß ich mir die Stunden meines Berufs so würde versüßen können, daß es nun die seligsten Stunden meines Lebens werden?
Also kann ich mir auch diese Wüste zu einem Tempe umschaffen? —
Aufmerksamkeit aufs Einzelne, du Schöpferinn der Glückseligkeit, du einzige wahre Weißheit des Lebens, wodurch wir dem Schöpfer des Weltalls ähnlich werden, du bist es, die ich noch immer von mir stieß, indem ich ein leeres Ganze zusammenfassen wollte, das keinen innern Gehalt und Festigkeit hatte.
Donnerstag den 25. Oktober.
So lang habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, und das hat seinen guten Grund.
Das handelnde Leben verträgt sich nicht sehr gut mit dem beschauenden Leben. Ich bin diese Zeit [50]über fast täglich vom Denken zum Empfinden, vom Empfinden wiederum zum Denken und Handeln übergegangen, und so habe ich mich auch durch die Dornen des Lebens gedrängt, ich weiß nicht wie.
Manches reine und edle Vergnügen haben mir meine Berufsgeschäfte gewährt, und wenn eine trübe Stunde kam, so hab ich doch immer wieder Muth gefaßt, und gedacht, es wird sich wieder aufklären, und das that es denn auch.
Mög' es nur so bleiben, wie es jetzt ist, so will ich zufrieden seyn.
Mittwoch den 12. December.
Warum sollte ich mir denn selbst unwichtig seyn? Was bin ich und hab' ich dann, als mich selber? Kann ich meine Persönlichkeit ablegen, und ein anderes Wesen seyn, wenn ich will?
Trübe Tage! trübe Stunden! lästige Zeit! Und das alles, weil mir das Gegenwärtige wieder so klein, so nichtswürdig vorkömmt. —
Aengstlich Streben hilft dir nichts, und macht dich elend! —
Aber ach, wenn ich nun ewig zurückbleibe im Staube, wenn ich am Ende allen Muth verliere — o wehe, wehe mir! —
Ich werfe mich zu sehr weg — das ist es, was mich jetzt unglücklich macht — ich achte mich selber nicht mehr —
Lebe wieder auf mein Muth, sonst wirds zu spät!
[51]Sonntag den 20. Januar.
Mein Unglück soll mich nicht darnieder beugen — und es thuts auch nicht, es flößt mir edeln Muth ein; es macht mich in meinen eigenen Augen werth, und spornt mich zu hoher Tugend an. —
Ja, die will ich auszuüben suchen, damit ich ohne zu erröthen sagen kann: mir geschiehet Unrecht! —
Freilich schmerzt es tief, wenn ich eine Stunde mich von der Arbeit erhole — so lange ich aber arbeite, kann ichs wohl ertragen. —
Die Stunden dieses Tages sind mir doch ziemlich vergnügt entflohen. —
O Gott, laß mir meine Arbeit wohl gelingen, da du nach deinem weisen Rathe mir so vieles, vieles mißlingen lässest, o laß mir diesen Trost in meinem Kummer, damit ich nicht ganz verzagen darf! —
Den 7. Febr.
Jetzt sey ein Mann! jetzt kämpfe gegen den Unmuth, der jede Kraft in dir darnieder drücken will!
Aber wenn sich alles vereiniget, dem schwachen Sterblichen eine trübe Stunde zu machen, wer kann sich da wohl helfen? Aber das soll mein Trost seyn, daß ich meinen Kummer diesem Buche, wie einem getreuen Freunde klagen kann.
Ja, wenn mich jeder Trost verläßt, dann will ich eilen, und meine Thränen hier ausweinen. Da-[52]mit ich doch noch etwas von der Vergangenheit behalte, will ich meine Klagen, und meine kleinen Freuden sammeln, und will sie aufbewahren, damit ich mich einmal daran ergötzen kann, wenn die Gegenwart keinen Reiz mehr für mich hat, o daß ich dann die vergangenen Stunden meines Lebens zurückrufen, und die kummervollsten zählen kann, wie ein Gefangener ein Vergnügen daran findet, jeden Tag mit einem Striche an die schwarze Wand zu bezeichnen, um zu wissen, wie viele Tage er schon in seinem Kerker schmachtet.