ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Fortsetzung der Revision des 4ten, 5ten und 6ten Bandes dieses Magazins.

Pockels, Carl Friedrich

Die sonderbare Meinung, daß man im Traume künftige Dinge vorhersehen könne, hatte sich ohnstreitig durch die historische Tradition, daß so etwas würklich gesehen seyn sollte, — woraus man denn gleich schloß, daß es würklich geschehen könne, und durch die wohl zufällige Erfüllung manches Traums, von jeher ein ziemlich allgemeines Ansehen erworben, bis aufgeklärtere Psychologen darzuthun suchten, daß ein solches Vorhersehn gar nicht in der Natur unsrer Erkenntniß gegründet sey, und daß die Menschen, welche im Traum etwas vorhergesehen haben wollten, wären es auch [2] die vortrefflichsten und klügsten Menschen gewesen — unschuldiger- oder schuldigerweise betrogen seyn mußten. — Allein selbst diese Beweise, so consequent sie auch angelegt waren, und so sehr sie sich auf ein näheres Studium der menschlichen Seele gründeten, haben nicht allgemein durchdringen können, das Ansehen gewisser heiliger Träume lag ihnen immer noch zu sehr im Wege, und man wird überall noch würklich aufgeklärte Köpfe finden, die durch jenes Ansehn verführt, ihren Glauben an die Bedeutsamkeit der Träume noch nicht aufzugeben wagen, und den Psychologen mit einer Menge von Beispielen zu betäuben suchen, welche jene Bedeutsamkeit erweisen sollen.

Mehrere dergleichen zum Theil sehr sonderbare Beispiele sind in diesem Magazin um so williger aufgenommen worden, weil denn doch eine psychologische Untersuchung derselben theils in diesem Magazin selbst; theils in andern öffentlichen Blättern nicht unterbleiben konnte. Das Resultat fiel selten zu Gunsten der bedeutenden Träume aus. Man nahm, so viel es möglich war, alle Umstände zusammen, solche Träume natürlich zu erklären, sie nach den Gesetzen der Einbildungskraft zu zergliedern, und aus der Natur unsrer Vorstellungen zu beweisen, daß ein Vorhersehen zufälliger Dinge bei keinem unendlichen Geiste angetroffen werden könne, und daß die Meinung von einer im Traum entstehenden Vorhersehungskraft der Seele eine leere Hypothese [3] sey. Durch dergleichen Untersuchungen ist allerdings der Nutzen gestiftet worden, daß man nicht mehr so sehr, wie sonst, mit einer fanatischen Leichtgläubigkeit an Traumbedeutungen hängt, daß man dadurch den Mechanismus unsrer Einbildungskraft näher kennen gelernt hat, und daß auch dadurch dem Aberglauben wenigstens einiger Abbruch gemacht wurde.

Wenn man die sogenanten bedeutenden Träume untersucht, und sich nicht bloß durch das Sonderbare ihrer Bilder und Folgen täuschen läßt; so wird man gemeiniglich finden, daß die Seele von der hinterher erfolgten Begebenheit vorher schon einige, wenigstens dunkle, Begriffe gehabt, und also nur gleichsam im Traume noch copirt hat; oder daß sie sich nur ein mit der Begebenheit homogenes Bild geträumt zu haben einbildete; oder daß schon würkliche Vermuthungen vorhergingen, die man in gewissen Momenten wieder vergessen hatte, welche aber der Traum wieder aufwekte, oder daß sich ein Betrug der Sinne, eine schwärmerische Nachbildung, auch wohl gar ein Drang, das würklich zu machen, was man zufällig geträumt hatte, mit ins Spiel mischte. Ich gebe gerne zu, daß es Träume giebt, wobei alle diese angeführten Umstände unanwendbar bleiben; aber wer wagt es zu läugnen, daß einer, oder der andre davon auf eine verstekte Art zum Grunde liegen kann, und daß ein [4]gewisser Zufall der Sache einen ganz eigenen Ausschlag gegeben haben dürfte.

Nach diesen vorausgeschikten wenigen Bemerkungen über die Bedeutsamkeit der Träume überhaupt, komm ich zur Bedeutung einiger einzelnen, die im lezten Stück des 4ten Bandes und im folgenden angeführt sind, und in der That wegen ihrer Sonderbarkeit etwas näher untersucht zu werden verdienen.

»Ein Rendant den der Herr Einsender des Traums Herr Seidel und Herr Prof. Moritz persönlich kannten, hatte das Unglück, daß ihm durch einen Bedienten eine beträchtliche Summe Kassengelder entwendet wurde. Die Verlegenheit des unglüklichen Mannes, der weiter kein Vermögen hatte, als was ihm sein Posten einbrachte, war außerordentlich groß. Das Fehlende sollte nun ersezt werden; sollte schon in weniger Zeit, als einem Monat ersezt seyn, weil er alsdenn Rechnung ablegen, und seine Kasse folglich richtig seyn mußte. Seine Freunde waren nicht im Stande, ihm eine so ansehnliche Summe gleich vorschießen zu können. — Er suchte alle noch so entfernte begüterte Bekannte auf, und die Zeit der Berechnungskasse nahete bis auf wenige Tage heran, ohne daß er Hülfe zu finden wußte.«

»Nun träumte er in der einen Nacht, als ob ihm jemand sage: er möchte in die *** Straße, in das *** Haus gehen. Beides, Straße und [5]Haus waren ihm so deutlich durch bekanntere Häuser bezeichnet, daß er nicht irren konnte. In dem Hause nun sollte er zwei Treppen hinaufgehen, sich aber auf der zweiten in Acht nehmen, daß er nicht herunterfalle, und so würde er das nöthige Geld erhalten.«

»Am Morgen des folgenden Tages, da ihn dieser Traum noch ganz beschäftigt, kommt einer seiner Freunde zu ihm, dem er diese seine Traumgeschichte erzählt, und von dem er zugleich erfährt, wer in dem bezeichneten Hause in der zweiten Etage wohne; — denn er selbst wußte das nicht. Der Mann, den er da finden, und der ihm Geld leihen sollte, war ihm so sehr unbekannt, daß er sich nur erinnerte, ihn ein einziges mahl in einer großen Gesellschaft gesehen zu haben. — Er fand es aber nicht für rathsam, zu einem ihm völlig unbekannten hinzu gehen.«

»Er sucht also denselben Tag aufs neue Hülfe; aber vergebens. Am zweiten Tage nach seinem gehabten Traum glaubt er aber seiner eigenen Ruhe auch das noch schuldig zu seyn, und zu dem Unbekannten zu gehen. — Er geht, — und erinnert sich im hinaufsteigen auf der zweiten Treppe des Hauses der Warnung nicht herabzufallen.«

»Er geht langsam und bedächtig fort, und ist nun fast hinauf, als oben das Zimmer zur rechten Hand heftig und ganz geöfnet wird, und durch die schnell aufgerissene Thür sich zugleich eine kleine Git-[6]terthür an der Treppe, die nicht befestigt war, einwärts nach der Treppe zu öfnet, so daß er durch diese ihm entgegenstoßende Gitterthür leicht hätte in Gefahr gerathen können, getroffen zu werden, oder gar herabzufallen. Gleich nach Eröfnung des Zimmers kommt jemand heraus, der ihn um Verzeihung bittet, daß er durch die plözliche Erweiterung seiner Thür, sein Heraufgehen aufgehalten und gehindert habe, und entschuldigt sich deshalb mit der Eilfertigkeit seiner Geschäfte.«

»Der unglückliche Rendant vermuthet, daß dies eben derselbe Mann sey, zu dem er wolle, und trägt nun, da er doppelt bestürzt ist, sein Anliegen ohne Umwege vor, — und erhält das Geld.«

Da bei der Erzählung fast jeder Traumgeschichte eine Menge von Umständen ausgelassen worden, die zur natürlichen Erklärung des Phänomens nothwendig sind, und auch dies wohl hier der Fall ist: so scheint erwähnter Traum, so wie er da erzählt wird, in der That sonderbar, und bedeutend genug zu seyn. Allein konnte nicht der Rendant bei seinem hin und her Grübeln: — woher wohl Geld anzuschaffen sey? nicht auch mit auf jenes Haus wenigstens Vermuthungsweise gefallen seyn?*) 1 Selbst die Nebenideen von andern in der Gegend liegenden Häusern, wodurch er sich im Schlafe orientirt, laßen dies vermuthen. [7]Das Traumbild von diesem Hause — und (da er während seiner Bekümmerniß wohl manche Treppe gestiegen seyn mochte) — von einer Treppe, die er hinauf steigen soll, vielleicht noch kurz vorher eine dergleichen Treppe gestiegen war, — konnte also sehr leicht in ihm entstehen, und dies wäre gar nichts Seltsames gewesen, — als welches nur in der Erfüllung seines Traums liegt; — aber nun eben diese Erfüllung? Sein Freund kennt den Mann, von dem er geträumt hat. — Hatte dieser nicht etwa schon, ohne daß es der Rendant je erfuhr, den reichen Mann dahin gestimmt, dem Unglüklichen die Summe vorzuschießen? — so daß also die Erfüllung des Traums durch den guten Freund, oder auch durch einen andern vermittelt wurde. Auf diese Art wäre das ganze Rätzel erklärt, wenn man es auch gar nicht einem bloßen Zufall zuschreiben wollte.


Der Traum, welchen Herr Voß im 3ten Stük des 4ten Bandes S. 84 ff. erzählt, scheint mir überhaupt genommen von keiner großen Bedeutung zu seyn, so lesenswürdig auch die vorhergehenden Bemerkungen über Träume von eben demselben Verfasser sind. Daß ein verheirathetes Frauenzimmer im Traume vergessen kann, daß sie verheirathet ist, daß sie den Liebesantrag eines andern jungen Mannes im Traume annimmt, Reflectionen [8]anstellt, ob es nicht besser sey, ihn nicht anzunehmen, und ihrer Phantasie ganz die Scene einer Verlobung spielen läßt, — — finde ich gar nicht ungewöhnlich, da sich die Seele, wenn sie träumt, so leicht in nicht existirende Situationen hinein denken und Zustände fingiren kann, die nicht einmahl möglich sind. Der Psychologe hat eine andre Absicht bei Beobachtung der Träume, als dem bloß gewöhnlichen Spiele ihrer Bilder nachzuforschen, und die Seelenlehre gewinnt durch die bloße Erzählung von Traumgeschichten nicht viel, wenn dabei nicht folgende Untersuchungen angestellt werden.

a) Welches waren die veranlaßenden Umstände von außen oder die gelegentlichen innern Ursachen in der Maschine, die der Seele den ersten Schwung gaben, eine gewisse Ideenreihe während des Schlafs zu beginnen? —

b) Warum fing sie diese Ideenreihe grade so und nicht anders an, warum ließ sie nähere lebhaftere Bilder liegen, grade als ob sie gar nie in der Seele existirt hätten, und ging zu ganz andern, ganz fremden über, ja zu Ideen, die sie sich vielleicht noch nie im Wachen gedacht hatte? —

c) Woher rührt die oft ganz vertilgte Gedächtnißkraft in Absicht der bekanntesten Vorstellungen, da doch in dem nehmli- [9] chen Moment die Seele längst verloschene Bilder in sich wieder mit einer erstaunlichen Deutlichkeit hervorruft, die ihr im Wachen nicht möglich seyn würde? —

d) Da die Seele im Traume ganz mechanisch zu handeln scheint, wie kommt es daß sie die Intervallen in ihren Ideenassociationen nicht immer bemerkt; sondern darüber hinwegeilt, und doch nach den logischen Gesetzen des Denkens gehandelt zu haben glaubt? —

e) Lassen sich die Erfüllungen vieler Träume nicht aus einer schon vorhergehabten Ideenfolge erklären, die man schon einmahl in Wachen gehabt, sie vergessen, und im Traum wieder mit einer neuen Lebhaftigkeit gedacht hatte? —

f) Läßt sich die Natur des Traums nach Bonnets Analyse lediglich aus dem Mechanismus der Fiberbewegung erklären, und hängt die verschrobene Ordnung des Denkens im Traume von gewissen innerlichen Stößen ab, welche sich nebenbei ereignen, und die Ordnung der Bewegungen und auch folglich die der Gedanken mehr oder weniger stöhren? *) 2

[10]

Dergleichen Untersuchungen müßten durchaus über die Theorie des Denkens und Empfindens selbst vieles Licht verbreiten, und würden am Ende deutlich zeigen, daß es keinen einzigen bedeutenden Traum giebt, der nicht auf eine ganz natürliche Art erklärt werden könnte.


Dies glaub ich ist der Fall bei allen im 5ten Bande dieses Magazins angeführten oft sehr sonderbar scheinenden Träumen. Ueber den Traum des Freiherrn von Seckendorf 5. B. 1. St. Seite 55 ff. habe ich mich schon am Beschluß der davon mir mitgetheilten Erzählung erklärt, und ich habe das Son-[11]derbare darin gar nicht finden können, was man darin finden wollte, ob ich gleich nicht läugnen will, daß manche darin vorkommende Scene etwas Schauderhaftes hat.

Nicht unerklärbarer ist der Traum Seite 103 St. 2. B. 5. den der seelige Professor Meier zu Halle seinen Zuhörern in den psychologischen Vorlesungen jährlich einmahl mittheilte: »Ein junger Gelehrter in Halle träumte einst, daß er sich auf dem dortigen Kirchhofe befände, und auf einem Leichenstein seinen eigenen Namen nebst dem Tage seines Todes deutlich angezeigt fand. Nur die lezte Ziffer der Jahrszahl war mit Moos bewachsen; er wollte ihn wegkratzen; aber in dem Augenblick erwachte er. Er schrieb sogleich den ganzen Traum auf, versiegelte das Papier, und schloß es in seinen Schreibschrank, mit der völligen Ueberzeugung, daß er bald und an dem angezeigten Tage sterben werde. Er gab Meiern kurz vor seinem Tode den Schlüssel zum Schreibtisch, und Meier fand bei der Eröfnung des versiegelten Papiers, daß der Traum des jungen Gelehrten richtig eingetroffen war, denn er starb grade an dem angezeigten Tage.«

Bei der ganzen Geschichte ist mir dies gleich anfangs aufgefallen, daß der junge Gelehrte seinen Tod nicht bestimmt vorhersahe, denn die lezte Ziffer der Jahrszahl war ihm unbekannt geblieben; der Tag traf freilich richtig ein, allein man weiß aus mehrern Beispielen dieser Art, daß eine sehr lebhaft [12]erregte Einbildungskraft zur Erfüllung solcher schwarzen Bilder sehr viel beitragen kann, wovon mehrere auffallende Exempel in diesem Magazin vorkommen. Unläugbar ist es, daß solche Erschütterungen auf die Gesundheit des menschlichen Körpers gewaltig würken, und daß diese gleichsam in den Graden abnimmt, als sich die Seele dem sich fast eingebildeten Ziele zu nähern glaubt. Es liegt daher in dem Gedanken gar nichts unnatürliches, daß die Einbildungskraft ein physischer Grund des Todes worden, und daß die menschliche Seele im Körper zu existiren aufhören kann, wenn sie sich den Gedanken einmahl fest imprimirt und den Körper zu einer successiven Abnahme seiner Kräfte gezwungen hatte. Vielleicht giebt es selbst einen so hohen Grad der Einbildungskraft, daß die Seele zu denken, und sich ihrer Bewust zu seyn in dem Moment aufhört, wo sie sichs fest einbildet, daß sie zu denken aufhören müsse; so daß also, ob wir gleich hievon noch keine genaue Beispiele*) 3 anführen können, der Tod bloß die Folge einer sehr lebhaften Vorstellung werden könnte, welche sich die Seele einige Zeit, als das lezte Ziel ihrer Thätigkeit gedacht hatte.


[13] Seite 18. St. 3 des 5ten Bandes kommt ein Traum vor, der vielen sehr sonderbar geschienen hat. »Der Ehemann einer jungen Dame ist verreist, sie erhält eines Abends einen Brief, daß er sich ganz wohl befinde, und bald wieder bei ihr zu seyn gedächte. Das junge Weib schläft ein, erwacht aber bald wieder mit einem kreischenden Geschrei und sagt: daß ihr Mann ermordet sey, sie habe ihn eben sterben gesehen. Sie erzählt eine Menge von Umständen, die dabei vorgefallen sind. Man sucht sie zu beruhigen; sie schläft wieder ein, wird aber von dem nehmlichen Traume noch einmahl aufgewekt, und nun bleibt sie dabei, daß ihr Mann todt sey. Die Sache hat seine Richtigkeit. Vier Monat nach ihrem Wittwenstande geht sie in die Kirche, und sieht da einen Officier, welchen sie im Traume erblikte, als sie die Vision von ihres Mannes Tode hatte, eben den Mann, der ihrem Gatten bei seinem Verscheiden noch den lezten Beistand leistete. Sie hatte das größte Verlangen diesen Mann zu sprechen, und er war es würklich, der bei dem Tode ihres Gatten zugegen gewesen war. Auch trafen alle Umstände seiner Erzählung mit ihrem Traume vollkommen überein.«

Da ich mich über diesen Traum schon am angeführten Orte erklärt habe, und ihn würklich für eine Erzählung halte, wobei vielerley Umstände ausgelassen sind; so ists nicht nöthig, mich hierüber weiter auszulassen; indessen will ich doch die Erklärung des [14]Herrn Professor Tiedemanns beifügen, die er von diesem Traume in seinen Untersuchungen über den Menschen Theil III. S. 240 dem Publico mitgetheilt hat:

Das, was nach der Erzählung Wunderbares in dem Traume ist, ist folgendes: die Dame träumt noch an eben dem Abend vom Tode ihres Gemahls, da sie doch einen Brief von seinem Wohlseyn empfangen hat; sie sieht im Traume den Ort, wo er ermordet ist; sie wird auch den Officier gewahr, der ihm beigestanden hat, und erkennt ihn hernach, ohne ihn vorher gesehen zu haben; sie erblikt endlich ganz genau die Art, wie er verwundet wurde, und daß der Officier ihn aus seinem Hute tränkte. Dies Wunderbare verschwindet, so bald man annimmt: daß die Dame die Gegenden alle genau kannte; daß sie Gefahr zu besorgen Ursache hatte; daß endlich auch der Zufall seine Rolle dabei zu spielen nicht unterließ.

Dies anzunehmen berechtigt mich die Erzählung selbst. Der Mann schrieb: es hätte nicht das Ansehen, daß er Gefahr laufen würde: also war er in einer gefährlichen Gegend, also kannte die Dame die Art von Gefahr, die zu besorgen war, und auch die Gegend, wo sie zu besorgen war. Der Mann hatte den Abend vorher geschrieben, wo er zulezt gewesen war: hieraus also konnte die Dame leicht berechnen, wo er von da hingekommen, durch welche Wege er dahin gekommen war. Ohne Zweifel [15]"wuste sie auch, daß es in der Gegend viele Officiers gab, daß folglich ein Officier ihm wahrscheinlich zu Hülfe kommen würde.

Nach diesen in der Erzählung selbst gegründeten Voraussetzungen erkläre ich nun nun alles sehr natürlich so: Die Dame schlief mit großer Bekümmerniß um ihren Gemahl ein; vermuthlich hatten die Worte des Briefes, es wäre kein Anschein von Gefahr da, diese noch lebhafter gemacht; denn wo man etwas sehr fürchtet, da nimmt man selbst aus den Gründen, nichts zu fürchten, Furcht her. Nach dem Briefe wuste sie, von wo ihr Gemahl zulezt ausgereiset war, und da sie die Gegenden kannte, vielleicht auch aus andern Nachrichten wuste, daß es bei einer gewissen Quelle unter gewissen Bäumen nicht sicher wäre: so sezte sie da die Scene des Todes hin. Oder auch vielleicht waren auf dem Wege sonst keine Bäume, als bei der Quelle, und unter den Bäumen mußte doch nach der Natur der Dinge der Mord eher geschehen, als im freien Felde. Weil sich in der Gegend Truppen aufhielten, weil die Dame von einem Officier eher Beistand als von einem andern vermuthen konnte: so sezte ihre Phantasie einen Officier zum Beistand. Dieser Officier hatte ein blaues Kleid, weil die Dame wuste, daß es so gekleidete Officiers da gab. Daß sie die Wunde ihres Mannes in die Seite sezte, kam vielleicht aus der Art, wie sie sich die Angreifer und den Angriff vorstellte, die man uns aber nicht be-[16]richtet hat. Aus der Erzählung sieht man, daß der Herr ein Mann vom Stande war; ein solcher wehrt sich mit dem Degen, man läßt ihn also auch nach den natürlichen Gesetzen der Association mit einem Degen angegriffen werden, und ein Stich geht nach eben der Regel eher in die Seite als sonst wohin. Er war verwundet, an einer Quelle verwundet; es war nur ein Officier da: was war also natürlicher, als daß die Phantasie ihr ihren Gemahl durstig und den Officier ihn aus seinem Hute, aus Mangel eines andern Hülfsmittels, tränkend darstellte? Sie erkannte den Officier wieder, entweder weil er eine von den Gestalten hatte, dergleichen es viele giebt, und weil ihre Imagination ihr eine solche Alltagsgestalt dargestellt hatte, oder auch weil der Zufall wollte, daß er eben die Bildung hatte, die sie im Traume gesehen hatte. Daß dieser Traum erfüllt wurde, war gleichfalls eine Wirkung des Zufalls, der so manche in unsern Augen sonderbare Dinge hervorbringt. b


Eben dieß lezte war ohnstreitig der Fall bei einem Seite 75 St. 3, des 5ten Bandes angeführten Traume, der mir von dem kürzlich verstorbenen Consistorialrath Feddersen mitgetheilt worden ist.

Der Herzog von *** träumt 1769 vom 8. zum 9. October: es würde ihm am folgenden Tage ein fürchterliches Unglük begegnen. Er bittet seine [17]Familie an dem Tage nicht auszufahren, oder auszugehen, weil ihm bange sey, es möchte einem von ihnen ein Unglük begegnen; — der Traum bleibt jezt unerfüllt. Aber im Anfange des Octobers 1770 wird seine Gemahlin von einer Prinzessin glüklich entbunden. Am 9. October fühlt sie sich so munter, und gestärkt, daß sie das erstemahl aus dem Wochenbette aufsteht, um eine Stunde im Sopha zu sitzen. Um ihrem Gemahl eine Freude dadurch zu machen, läßt sie ihn rufen. — Freudig eilt er die Treppe herunter, — aber — indem er in ihr Zimmer tritt, sieht er sie — sterben. In der Minute, da sie ihm die frohe Nachricht geben ließ, hatte sie der Schlag getroffen. — Genau ein Jahr nachher wurde also erst der Traum erfüllt. —

Also um ein ganzes Jahr hatte diesmahl die Ahndung getrogen! — Es lassen sich sehr viele physicalische und andre Umstände denken, warum uns bisweilen ein ängstliches Bild während des Traums vorschwebt, das wir sonderlich bei zu vielem Blut und einem furchtsamen Temperament für eine Vorbedeutung zu halten geneigt sind, — so wie wir manche dunkle Ideen aus Träumen mit in den Zustand des Wachens herübernehmen, die uns auf ganze Tage verstimmen und in die finstersten Launen versetzen können.

Dergleichen dumpfe Empfindungen können aber nicht als etwas Vorbedeutendes angesehen werden, weil wir nicht einmahl wissen, worauf sie sich be- [18] ziehen. Trägt sich hingegen darauf irgend ein Unglük von ohngefähr zu; so wird denn gleich die dunkle unangenehme Empfindung darauf applicirt, — sie mag sich dazu passen oder nicht, und der Zusammenhang zwischen dem Vorhersehen und der Begebenheit mag noch so ungewiß seyn.

Ich habe manchmahl darüber nachgedacht, warum die meisten Menschen so gern das Ansehn haben wollen, — etwas vorhersehen zu können, oder etwas vorhergesehen zu haben; und ich habe den Grund davon gemeiniglich in einer furchtsamen Gemüthsart, die sich so gern schwarze Bilder schaft, und in der Begierde zum Außerordentlichen gefunden. Jene ist vermöge ihrer Natur mißtrauisch gegen Facta und Menschen, und transferirt ihre Einbildungen gar leicht auf würkliche Objecte, weil ihr gleichsam das Vermögen fehlt, die Distanz zwischen dem imaginirten Bilde, und einer würklichen Sache zu messen, sondern beides mit einander verwechselt. — Diese, nehmlich die Begierde zum Außerordentlichen, welche psychologisch mit der Furchtsamkeit des Gemüths zusammenhängt, reizt die Imagination viel zu sehr, als daß bei ihren Phantasien die Vernunft immer zu Rathe gezogen würde. Jene, die Imagination, bewürkt durch das Außerordentliche ein gewisses Schaudern, das uns nicht unangenehm ist, weil es uns mit hundert neuen Bildern beschäftigt, und unsern in der Jugend empfangenen Begriffen vom Wunderbaren [19]reichliche Nahrung verschaft. Diese frühen Begriffe haben sich gemeiniglich so fest gesezt, daß wir erwachsene und gescheidte Leute eben so wohl als Kinder mit erneuerter Aufmerksamkeit aufhorchen sehen, wenn ein Geschichtchen von Ahndungen, Visionen, und andern dergleichen Fabeleien erzählt wird.

C. F. Pockels.

Die Fortsetzung folgt.

Fußnoten:

1: Man konnte ihn auch von jenem Manne gesagt haben, was aber der Rendant wieder vergessen hatte.

2: *) Wir wissen aus der Erfahrung sagt Bonnet, II. Theil seines Werks über die Seelenkräfte S. 57 und 58 a daß die Bewegung (der Fibern) sich nach der Seite auszubreiten sucht, wo sie den wenigsten Widerstand findet. Nun findet sie aber weniger Widerstand, wenn sie sich nach der Ordnung ausbreitet wonach die verschiedenen Fiberlagen öfters erschüttert worden, Z.B. nach der Ordnung, die wir durch die Reihe A, B, C, D, E, F, G ausgedrukt haben. Nehmen wir nun an, daß ein innerlicher Stoß die Lage A erschüttere; so wird sich die Bewegung von A nach B, von B nach C u.s.f. auszubreiten suchen. Wenn aber in dem Augenblick, da die Lage C so eben von der Lage B erschüttert werden soll, ein neuer innerlicher Stoß dazu kommt, welcher die Lage F stärker erschüttert, als die Lage C von der Lage B erschüttert werden kann; so erfolgt die Vorstellung F unmittelbar nach der Vorstellung B, und so wird die Reihe also in Unordnung gebracht.

3: *) Ein dergleichen Beispiel wird doch in folgendem Stük vorkommen.