ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Psychologische Bemerkungen über Träume und Nachtwandler.

Pockels, Carl Friedrich

Fortsetzung. (Siehe vorhergehendes Stück.)

Die genauern Beobachtungen, welche man vornehmlich in diesem Jahrhunderte über diese sonderbare Art Menschen und über das Nachtwandeln selbst angestellt hat, haben, wenn auch nicht grade die Seelenlehre mit ganz neuen Wahrheiten dadurch bereichert wurde, doch zu einer Menge interessanter Untersuchungen über die erstaunliche Wirksamkeit dunkler Ideen, über die Stärke einer isolirten Einbildungskraft, über die Natur des Träumens, und folglich auch über die von äußern Eindrücken nicht unmittelbar abhängende Thätigkeit der Denkkraft sehr viel Stoff und Gelegenheit gegeben, und die Geschichte dieser Menschen mußte daher für forschende Psychologen desto wichtiger bleiben, je mehr [75] sie daraus von den Operationen des menschlichen Geistes in einem so sonderbaren Mittelzustande des Schlafens und Wachens unterrichtet und von dem geheimen Mechanismus dunkler Sensationen belehrt werden konnten. Wenn schon der Traum an sich betrachtet ein sehr merkwürdiges Phänomen der menschlichen Seele ist, so mußte es das Nachtwandeln noch viel mehr seyn, da die Menschen in diesem Zustande nicht nur nach einer mit Ueberlegung angestellten Ideenfolge zu handeln, sondern auch oft sich zu einer solchen Höhe von Gedanken und Empfindungen zu erheben pflegen, die man oft selbst im Wachen nicht immer an ihnen bemerken konnte.

Mehrere Psychologen haben versucht, diesen Zustand der Seele, noch ehe die zum Theil lächerlichen Experimente eines neuerlichen Somnambulismus bekannt wurden, nach gewissen Gesetzen des Denkens und Empfindens zu erklären, und da der eine bald mehr, der andre bald weniger irgend eine Seelenkraft in seinen Schutz nahm, woraus er die geheimen Operationen der Seele zu erklären suchte; so haben sich denn auch die Seelenlehrer in Beantwortung der Frage: Wie das Nachtwandeln eigentlich zugehe? sehr von einander getrennt. Besser hätten sie wohl freilich gethan, wenn sie, anstatt sich, wie gewöhnlich, in sehr inconsequente und unpsychologische Erklärungen dieses [76] Phänomens einzulassen*) 1, sich mehr bemüht hätten, dabei Untersuchungen über die Denkkraft überhaupt, über die Eigenheit, Stärke und Associationen der Ideen dieser Leute, sowie über die Natur des Traums selbst und über die Uebereinstimmung ihrer Handlungen bei verschlossenen Sinnen mit äußern Objecten und Umständen anzustellen.

Es gab eine Zeit, wo die sogenannten Philosophen fast nichts aus eigenthümlichen und natürlichen Gründen zu erklären suchten, wo man sich gewisse Principien gewisser Erscheinungen fingirte, und die Folgerungen aus solchen unrichtig angenommenen Gründen für ausgemachte Erklärungen der Naturphänomene hielt, ohne sich weiter darum zu bekümmern, ob der Erfolg auch nur einigermaßen mit der Natur der Dinge homogen seyn könne. Die Alten haben, wenige Hypothesen ausgenommen, viel richtiger über die Natur der menschlichen Seele gedacht, als die Psychologen des mittlern Zeitalters, die sich die Köpfe durch eine Menge willkührlich angenommener verborgener Kräfte, die nach ihrer Meinung die Phänomene des Denkens, so wie auch alles übrige Unerklärbare erklären sollten, verwirren ließen. Man hätte nur immer [77] auf den Beobachtungen der Alten, mit Hinwegräumung einiges Schuttes, fortbauen sollen, und die Seelenlehre würde nicht bis zu den neuern Zeiten eine so armselige Wissenschaft geblieben seyn, wenn sie noch anders diesen Nahmen vor ihrer Bearbeitung von Spinoza verdient.

Ehe ich zur Darstellung der sonderbaren Phänomene des Nachtwandelns selbst komme, wollen wir nur ganz kurz hören, wie sich diese und jene Gelehrten das Ding zu erklären gesucht haben.

Einige, z.E. Paracelsus, meinten, der Geist des Menschen habe seine Krankheiten, wie unser Körper; so wie nun dieser, vermöge seiner materiellen Einrichtung, den Tag über den Meister über den Menschen spiele, so thue es der Geist während der Nacht, und wenn derselbe eben nicht guter Laune sey, führe er den Leib mit sich herum. Daß aber der Nachtwandrer in einem solchen Zustande keinen äußern Schaden nähme, rühre daher, weil der gute Dämon, den ein jeder Mensch bei sich habe, seinen bösen Dämon abhielte, dem Nachtwandrer Schaden zuzufügen. Man sollte beinahe glauben, daß diese Erklärung des Nachtwandelns mehr aus Scherz, als zu einer befriedigenden Antwort der Sache ersonnen sey. Indeß scheint sie sich doch lange, bald mit etwas mehr Vernunft, bald mit noch etwas mehr Unsinn vermischt, erhalten zu haben, zumal da sie aus einer Zeit herrührt, [78] wo die guten und bösen Dämonen in jede Erklärung natürlicher Begebenheiten, sobald sie etwas dunkel schienen, mit hinein gemischt wurden, und solche Sächelchen dem Genius des Jahrhunderts sehr angemessen waren.

Daß die angegebene Auflösung eigentlich gar nichts auflöse, sieht ein jeder ein, der darüber nachdenken will. Denn es wird dadurch gar nicht erklärt, wie es zugehe, daß ein Nachtwandrer Handlungen im Schlafe, wenigstens in einer Art Schlafe, unternimmt, die man sonst nur im Wachen zu verrichten im Stande ist, daß er bei der Eingeschränktheit der schlummernden Sinne doch Handlungen und Entschlüße verfolgt, die mit den äußern ihn umgebenden Objecten in einer genauen Verbindung stehen, daß er sogar Handlungen unternimmt, die er im Wachen nicht zu unternehmen im Stande wäre, und daß er bei aller im Traume geäußerten Lebhaftigkeit seiner Vorstellungen hinterher nichts mehr von dem weiß, was er als Nachtwandrer that, wenigstens sich der Sachen nur noch wie aus einem Traume erinnert.

Eben so unbefriedigend ist die Erklärung andrer Psychologen, welche den Menschen in drei Stücke zergliedern, und dem Geiste als einem Beherrscher der Seele die Verrichtungen der Nachtwandrer zuschreiben, so wie andre die Einbildungskraft allein zum Erklärungsgrunde dieser sonderbaren Erschei-[79]nung machen; obgleich diese viel für sich haben. Nach der Meinung dieser Psychologen soll die Phantasie bei gewissen Menschen, verbunden mit einer dazu eingerichteten Disposition des Körpers, eine solche Lebhaftigkeit bekommen können, daß sie die Nachtwandrer aus ihren Betten treibt, sie auf hohe Dächer hinaufklettern, zu Pferde steigen, ihre Berufsgeschäfte treiben, sprechen, Briefe schreiben und andre Handlungen im Traume thun läßt, die man sonst nur im Wachen zu verrichten pflegt. Daß die Einbildungskraft im Zustande des Nachtwandelns vorzüglich thätig ist, und die vornehmste Schöpferin aller lebhaften Bilder bleibt, wonach sich der Nachtwandrer richtet, leuchtet aus allen ihren Handlungen und Unternehmungen hervor; allein schon mehrere Psychologen haben die Einbildungskraft für keinen hinlänglichen Erklärungsgrund jenes Phänomens gehalten, wenn man auch annimmt, daß sie bei verschlossenen Sinnen, bei der concentrirten Kraft der Seele auf einen einzigen Punkt, und bei einer, wie es scheint, von aller Furcht freien Anstrengung zu erstaunlichen Dingen fähig ist. Aber immer wird dadurch noch nicht erklärt, wie die Seele sich beim Nachtwandeln und im Traume genau nach der Lage äußerer Objecte richtet*) 2, davon den nehmlichen Gebrauch, wie [80] im Wachen, macht, und nach einer Ordnung der Ideen verfährt, die wir sonst selten bei Träumen bemerken.

Man hat daher versucht, da vorhergehende Erklärungen zur Auflösung des psychologischen Rätzels nicht zureichten, und immer einige wichtige Fragen ganz unbeantwortet ließen, andre zu finden und gewisse Mittelzustände zwischen Wachen und Träumen anzunehmen. Zwischen dem wachenden Zustande und dem Traume, sagen die neuern Psychologen, kann es noch erstaunlich viele Grade des Bewußtseyns und der Vorstellungen geben, und man kann unmöglich annehmen, daß der Nachtwandrer wirklich schläft, denn er verrichtet Handlungen, die nur ein Wachender verrichten kann.

In jenen Mittelzuständen des Denkens und Empfindens, wozu man auch den Schlummer rech-[81]net, kann es wieder einen Zustand geben, wo der Nachtwandrer nicht, wie im Schlaf, ganz das Gefühl äußerer Gegenstände verliert, sondern wenigstens immer noch einige dunkle Vorstellungen von den Objecten behält, die ihn umgeben. Seine Einbildungskraft ist sich also nicht ganz allein, wie in dem gewöhnlichen Traume, überlassen, sondern sie muß sich bald mehr, bald weniger nach den Eindrücken richten, die man im Traume von äußern Gegenständen empfängt, obgleich die Einbildungskraft machen kann, daß er den empfundenen Gegenstand nicht grade für das hält, was er wirklich ist, z.B. wenn der Nachtwandrer das Dach, worauf er reitet, für ein Pferd hält.

Weil nun ferner der Nachtwandrer eigentlich nicht schläft, sondern sich in einem Zwischenzustande des Träumens und Wachens befindet, wo er eine Menge Vorstellungen von außen bekommt, so ist auch seine Erinnerungskraft größer, als im wirklichen Traume. Diesen Umstand haben die neuern Psychologen in ihren Erklärungen des Nachtwandelns, glaub' ich, ausgelassen, ob er gleich nach meiner Meinung der wichtigste Punkt zur Auflösung der meisten Handlungen der Nachtwandrer ist.

Die gewöhnliche Unordnung unsrer Traumideen, das Hin- und Herspringen unsrer Einbildungskraft, die Bereitwilligkeit, die ungereimte-[82]sten Dinge für wahr zu halten, die Hirngespenste, die wir uns im Traume so leicht erfinden, die Contraste der Empfindungen, worin wir versinken, rühren gemeiniglich daher, daß unsre Erinnerungskraft im Traume oft ganz ausgetilgt zu seyn scheint, und wir den Faden nicht wieder finden können, wodurch der Traum mit der wirklichen Welt zusammenhängt. Nicht so bei dem Nachtwandler. Sein Gedächtniß ist ihm viel getreuer, als dem bloßen Träumer, — seine Vorstellungen werden nicht alle Augenblicke durch die Mißgeburten seiner Einbildungskraft unterbrochen, er erinnert sich sehr genau, daß seine Handlungen so und nicht anders nach der Ordnung der Dinge aufeinander folgen können, weil sie im Wachen so aufeinander zu folgen pflegen, er leitet von einerlei Ursachen viel richtiger, als im Traume, einerlei Wirkungen ab, und er weiß diese Wirkungen in die Folge zu stellen, worin sie wirklich stehen müssen. Alles dieß kommt von seiner richtigen Erinnerungskraft her, und er würde sich von einem Wachenden nicht unterscheiden, wenn seine äußern Sinne nicht zum Theil verschlossen wären. Hieraus erhellet nun zur Gnüge, daß sich ein Nachtwandrer von einem gewöhnlich Träumenden in vielen Stücken unterscheidet. a) Er besitzt eine viel deutlichere und richtigere Erinnerungskraft, als dieser, und weiß, vermöge dieser Erinnerungskraft, seine Handlungen besser nach den Gesetzen des Denkens und [83] der äußern Umstände einzurichten, als der wirkliche Träumende. b) Er hat wenigstens dunkle Empfindungen von den Objecten um ihn her, und sein feineres Gefühl vertritt bei ihm die Stelle des Gesichts ungefähr nach eben der Ideenassociation, als das letztere im Wachen bei ihm veranlaßt haben würde. c) Seine Organe sind also offenbar in einem wachendern Zustande, als im gewöhnlichen Traume. Die Bewegungen seines Körpers richten sich nach der vorhandenen, obgleich bisweilen ununterbrochenen Ideenfolge seiner Seele, und diese wickelt den Faden ihrer Vorstellungen fast eben so, wie im Wachen, ab, nur daß sie dieß beim Nachtwandeln mehr mechanisch, als im Wachen treibt.

Endlich ist wohl nicht zu läugnen, daß durchaus eine gewisse Disposition des Körpers zu diesem sonderbaren Zustand erfordert wird, indem er sich nach verschiedenen Jahrszeiten und selbst nach dem verschiednen Mondwechsel richtet, und gemeiniglich durch körperliche Mittel geheilt werden kann. In so fern dieser Zustand vorzüglich von einer gewissen Disposition des Körpers oder der Jahrszeit abhängt, muß dessen Erklärung dem Physiologen überlassen werden, ob ich gleich nicht glaube, daß die bisherigen Erklärungen dieser Herren, die diesen Zustand betreffen, die Sache in ein helleres Licht setzen. Ich habe bei ihnen keine bestimmte Erklärung auffinden können, wie das Nachtwan-[84]deln körperlich hervorgebracht wird, und vielleicht läßt sich eine solche Erklärung auch nicht einmal geben, da uns die Art der Einwirkungen des Körpers auf die Seele bisher immer noch so geheimnisvoll geblieben ist. Hoffmann nennt das Nachtwandeln in seiner 1695 zu Halle herausgekommenen Disputation, de somnambulatione ein semivigilans somnium, in quo ratione subjugata fortior phantasia spiritus in cerebri medullio satis adhuc mobiles determinat ad partes extremas pro variis perficiendis motibus. a

Knoll in seiner Abhandlung vom Nachtwandeln behauptet, daß die Ursach des Nachtwandelns ein überflüßiges gallichtes Blut sey, welches die Theile desselben mehr und mehr zertheilt, eine Menge Lebensgeister zubereitet, welche durch eine starke Einbildungskraft in Bewegung gegen die Theile des Körpers gebracht werden. b Diese Erklärung ist mit jener fast einerlei — aber eben so undeutlich und unbestimmt, wie jene. Um keinen Grad besser ist die des Bontekö (vid. dessen œconomiam animalem), welcher das Nachtwandeln von der ungleichen Menge Bewegung und Dicke des Nervensafts, Bluts und andrer Säfte herleitet, indem einige Gefäße und Gänge dieser Säfte verschlossen und einige offen sind. c

[85]

Da die zum Theil sehr merkwürdigen Erzählungen von Nachtwandlern in sehr vielen Schriften zerstreut liegen, ohne daß man grade daraus Folgerungen für die Seelenlehre gezogen und nach den Gesetzen unsrer Vorstellungen beleuchtet hätte, so werde ich nach und nach die wichtigsten Phänomene dieser Art sammeln und erläutern, und mit neuern Beobachtungen über jenen merkwürdigen Zustand der menschlichen Seele vermehren. Aus den Factis wird sichs selbst am deutlichsten ergeben, daß das Nachtwandeln aus einer Art wachenden Traume besteht, und sich genau nach den Erinnerungsgesetzen der Empfindungen richtet, die sich die Seele während des Wachens erworben hatte, daß sie aber auch hierbei mit einer größern Ordnung, als gewöhnlich im Traume zu Werke gehe, weil nicht die Einbildungskraft allein die Sensationen der Seele beim Nachtwandeln aneinander reihet.


Eins der merkwürdigsten Beispiele dieser Art befindet sich in den Act. Vratislav. 1725 Decemb. Class. IV.art. 7, welches mir um so viel wichtiger scheint, weil es den unwillkührlichen Mechanismus unsrer Ideenverbindungen auch in dieser Art des Träumens sehr deutlich an den Tag legt, und es außer allen Zweifel setzt, daß der Nachtwandler nicht schläft, [86] wenn auch seine äußern Sinne zugedämmt zu seyn scheinen.

Ein Seiler (ein wirklicher Nachtwandrer bei Tage) von dreiundzwanzig Jahren, ein Mann von einem melancholischen Temperamente, hatte seit drittehalb Jahren folgende Beschwerung. Es überfiel ihn vielmals am hellen Tage ein Schlaf, — mitten unter seiner Handthierung, es sey im Sitzen, Stehen oder Gehen. Wenn ihm der Paroxismus ankam, zog er ihm etlichemal die Stirn und Augen zusammen, bis sich diese fest zuschlossen. Und sogleich hörte der Gebrauch aller äußerlichen Sinne auf; hingegen fing er schlafend an, dasjenige zu thun, was er den Tag über bis auf den Augenblick des Paroxismus gethan hatte. (Seine Seele vegetirte also nur gleichsam die den Tag über angelegte Ideenfolge.*) 3 Z.B. er betete den Morgensegen ganz andächtig, that, als wenn er sich ankleidete, sich wüsche, sang ein Morgenlied in gehöriger Melodey, und alle Verse in ihrer Ordnung und ganz vernehmlich. Wiederholte dann nach und nach alle Reden mit eben den Worten, wie er sie wachend ausgesprochen hatte, und drückte alle Geberden und Minen sowohl im Gesicht, als den übrigen Theilen des Leibes ganz natürlich aus. [87] Ueberfiel ihn der Paroxismus im Gehen, so ging er im Zimmer, wo ihm der Zufall begegnet war, hin und her, ohne die Wände oder Tische darin zu berühren, bis ihm eine andre darauf folgende Idee eine neue Richtung gab. Z.B. Er stieg eine Treppe hinauf oder hinunter, so hebt er die Schenkel einen nach dem andern in die Höhe, und zwar ziemlich derb, und grade so oft, als etwa Stufen in der Treppe gewesen. War es eine Wendeltreppe, so ging er krumm herum; bei einer graden oder gebrochenen aber ging er grade oder winkelmäßig.

Wenn ihn der Schlaf im Gehen über Land befällt, so bleibt er nicht stehen, sondern geht seines Weges fort, fast geschwinder, als wachend, ohne des rechten Weges zu verfehlen, oder über etwas im Wege liegendes zu stolpern. Wie er denn mehrmals von Weimar nach Naunburg schlafend gegangen, und einst in eine Gasse gekommen, wo Bauholz im Wege gelegen, worüber er ganz ordentlich, wie ein Wachender, ohne allen Anstoß weggestiegen. Er soll auch Pferden und Wägen, die ihm begegnet, ausgewichen und wieder in seinen Weg gekommen seyn. Einstmals war er im Begriff nach Weimar zu reiten. Ungefähr ein paar Stunden davon überfällt ihn sein Schlaf, er ritt aber fort, traf den Weg auch durch ein kleines Holz, ohne das Gesicht vom Gesträuche zu verletzen, ritte dann durch die Ilme, tränkte darin [88] sein Pferd, pfiff ihm auch dazu und zog die Beine in die Höhe, damit sie nicht naß werden möchten. Passirte hiernächst durch etliche Gassen über den Markt, der eben voller Leute, Buden und Karren stand, und das alles so glücklich und behutsam, daß er, ohne jemand zu beschädigen oder sich Schaden zu thun, in das Haus, wo er hingewollt, gelanget. Hier stieg er ab, band sein Pferd an einen an dem Laden befindlichen Ring, ging durch den Laden seines Mitmeisters, wo allerlei im Wege lag, ohne es zu berühren, in die Stube, und nach einigen gesprochenen Worten wieder heraus, mit dem Vorgeben, daß er durchaus auf die Hochfürstl. Regierung gehen müsse. Als er nun da gewesen und an gedachten Ort wieder zurückkam, wachte er auf. — Wenn der Paroxismus zu Ende gehen wollte, zog er ihm, wie bei seinem Anfange, Stirn und Augen zusammen. Darauf kam er zu sich selber, öffnete die Augen, schämte sich und entschuldigte sich gegen die Anwesenden. Wenn ihn sein Zufall unter seiner Arbeit im Spinnen anwandelt, so spinnt er fort, und macht die Fäden so gut und eben, als wenn er wachte.

Im Paroxismo war er ganz unempfindlich, man mochte ihn stechen, kneipfen, raufen, stoßen, oder auch bei seinem Nahmen rufen. Er roch den allerflüchtigsten Spiritus nicht, sahe nicht, wenn man ihm auch gleich die Augenlieder von einander zerrte, hatte auch nicht gehört, als eine [89] Pistol ganz nahe bei ihm losgeschossen wurde. Wenn der Paroxismus vorüber ist, klagt er über große Mattigkeit. Uebrigens spricht er ganz sittsam und ordentlich, was man von einem gemeinen Manne sonst nicht leicht erwarten sollte, mag auch einen äußerlich guten Wandel führen.

Er kam zu jemanden einst des Abends, der ihn niedersitzen hieß, und ungefähr eine Stunde lang mit ihm redete. Während der Zeit fiel derselbe in Schlaf und fing an zu erzählen und zu handeln, was denselben Tag mit ihm vorgegangen war. Er forderte erstlich sich und seine Frau aufzustehen auf, that vorher ein Gebet, forderte seiner Frau ein Hemde ab, geberdete sich, als wenn er dasselbe umhinge, stieg darauf aus dem Bette, setzte sich hin und machte solche Gebehrden, als wenn er Strümpfe und Schuhe anziehe, sang aber dabei mit heller und vernehmlicher Stimme ein Morgenlied. Als er einen Vers davon gesungen, fiel ihm ein, daß er sich noch nicht gewaschen hatte, stand also von dem Stuhle, worauf er bisher gesessen, auf, ging in einen Winkel der Stube und that, als wenn er sich wüsche und kämmete. Dabei befahl er seiner Frau, daß sie zum Nachbar gehen, und ihn bitten sollte, daß er sein Pferd zurechte machen möchte, darauf er von Sulze nach Weimar reiten wollte. Nach diesem sagte er: er wäre nun allein, ging darauf in eine andre Ecke der Stube und verrichtete kniend sein Gebet. Als er [90]von diesem Gebet aufgestanden war, fing er das zuvor angefangene Morgenlied bei dem zweiten Vers in eben demselben Ton wieder an, und sang solches völlig aus. Hierauf redete er mit seiner Frau unterschiedenes, vertröstete dieselbe den andern Abend wiederzukommen, machte allerlei Abschiedszeichen, und that, als wenn er in des Nachbars Haus ginge, denselben grüßte, das Pferd aus dem Stalle hohlte, sich darauf setzte und zum Thore hinausritte. Worauf er denn ungefähr eine halbe Stunde lang auf einer Stelle stehen blieb, und mit der linken Hand und dem Leibe die Bewegungen eines Reitenden machte. Während der Zeit, als er einen Reiter vorstellte, nahm er verschiedenemal die Mütze ab, und grüßte jemand, der ihm begegnete. Als er eine Weile geritten hatte, fing er an zu singen: Von Gott will ich nicht lassen etc. und sang solches Lied unverstümmelt ganz bis ans Ende aus, doch so, daß er zuweilen ganz laut und zuweilen leise sang; von welchem letzten die Ursach mag gewesen seyn, daß ihm etlichemal unterwegs Leute begegnet sind, weshalb er leise gesungen. Als er das Lied ausgesungen hatte, beschäftigte er sich den ganzen übrigen Weg mit lauter guten Gedanken und Gesprächen, die er im Schlafe alle hersagte. Er hielt auch einmal stille, und forderte ein Maaß Bier, trank zweimal davon, und gab den Krug wieder zurück, mit dem Befragen, ob das Bier einen Dreier gelte? Grif [91] darauf in die Tasche, zog verschiedene Stücke Geld heraus, nahm aus derselben einen Dreier und ließ ihn aus der Hand fallen, als wenn er ihn dem Wirthe gäbe. Darauf fing er wieder an, sich als ein Reitender zu gebehrden, hielt einige Zeit darauf noch einmal stille und merkte, daß der Sattel auf dem Pferde nicht fest läge, stieg herunter und that, als gürtete er den Sattel auf dem Pferde wieder fest, setzte sich auch wieder auf, und ritte weiter. Es hatte sich aber zugetragen, daß er bei dem nächsten Dorfe vor Weimar auf dem Pferde in Schlaf gefallen war, in solchem Schlafe auch grades Wegs fort durch die Ilme auf Weimar, durch die Stadt und über den Markt, und vor des Hofseilers Haus daselbst geritten war. Er hatte hier, wie oben umständlich erwähnt, sein Pferd ordentlich angebunden, war auch im Schlaf auf die fürstl. Regierung und wieder herunter und in des Hofseilers Haus gegangen, da er denn erst nach einiger Zeit wieder aufgewacht war. Alles dieses, was er auf der Hinreise im Schlafe gethan, machte er diesmal auch wieder im Schlafe nach, sogar auch die Gebehrden, da er, als er durch die Ilme geritten, die Füße angezogen und dabei gesagt, daß das Wasser tief sey. Er stellte hierauf, da er nun in Weimar war, vor, wie er seiner Geschäfte halber in verschiedene Häuser ging, und dieselben da ausrichtete. Hierauf kam er endlich zu dem Manne, bei dem er in diesen [92] Schlaf gefallen war. Er redete alle Worte und machte alle Gebehrden, die er geredet und gemacht hatte gegen die Magd, welche ihm jenes Mannes Stube hatte zeigen müssen. Stieg so viele Treppenstufen hinein, als sich daselbst befanden, klopfte an die Thür und fing eben die Worte zu reden an, die er beim Einlassen wachend gegen jenen Mann gesprochen hatte. Bisher hatte er immer gestanden und gewandelt. Nunmehr fand er im Schlafe eben den Stuhl, darauf ihn jener Mann hatte niedersetzen lassen, — der doch etliche Schritte von ihm stand, ging mit festverschlossenen Augen, die auch nicht die geringste Bewegung bei dem davor gehaltenen Licht machten, durch die dazwischen stehenden Leute weg, setzte sich nieder und sprach alle die Worte nach einander wieder her, die er dem Manne, bei dem er in Schlaf gefallen, auf seine Fragen zur Antwort gegeben hatte. Endlich wachte er auf, und bezeugte, daß dieses alles, was er da im Schlafe gethan hätte, denselben Tag so mit ihm vorgegangen sey; übrigens könne er sich nicht besinnen, daß er alle diese Handlungen schlafend nachgeahmt habe.


So seltsam die meisten in vorhergehender Erzählung enthaltenen Facta scheinen mögen, so lassen sie sich doch recht gut aus der Natur unsrer Einbildungskraft und unsrer Ideenfolgen erklären, [93] und daß sie nicht unwahrscheinlich sind, erhellet daraus, daß noch täglich die Nachtwandrer zum Theil noch unglaublichere Dinge zu verrichten pflegen. Der in dieser Erzählung vorgestellte Nachtwandler bei Tage befand sich während seines Paroxismus gewiß nur in einem geringen Schlummer, obgleich seine äußern Sinne geschlossen zu seyn schienen. Eigentlich unternahm er keine neue Handlungen; alles war nur eine Repetition kurz vorhergegangener Vorstellungen und Handlungen, wobei aber doch gewiß die äußern Objecte auf die Einbildungskraft desselben nicht ganz unwirksam seyn konnten. Wenn es heißt, daß beim Anfall des Paroxismus der Gebrauch aller seiner äußerlichen Sinne aufgehört habe, so schien dieß nur so, denn aus der Erzählung selbst erhellet zu deutlich, daß wenn er auch nicht durch den Sinn des Gesichts bei seinen Vorstellungen mit geleitet wurde, doch sein Gefühl desto lebhafter und feiner war, wie dieß bei solchen Fällen gemeiniglich zu geschehen pflegt. Außerdem glaub' ich, daß die Nachtwandler bei ihren Handlungen nicht immer ganz Gesichtslos handeln, weil sich, ohne daß sie einen Gebrauch von ihren Augen machen, viele ihrer gefährlichsten und verwickelsten Handlungen gar nicht erklären lassen. Sie unterscheiden Gegenstände, zu deren Unterscheidung das Gefühl nicht zureicht, sie vermeiden in ihrem Schlummer Gefahren, die sie nur blos durch Hülfe des Gesichts — wenig-[94]stens auf eine dunkle Art, wie Menschen in Entzückung und bei Krämpfen, bemerken können; sie richten sich genau nach den Verhältnissen bürgerlicher Ausdehnung und Raume, ohne daß sie dieselben erst vorher berührt haben.

In so fern sie ihre Ideen nur nach einem allgemeinen Faden wieder abwickeln, und im Traume nichts anders thun, als vorhergegangene Handlungen vegetiren, können sie eher der Augen entbehren, indem die Seele die Entfernungen der Gegenstände im Schlummer so gut, wie beim Wachen, zu messen pflegt, und sich selbst durch die Erinnerungskraft die Punkte und Momente bezeichnet, wo sie zu handeln anfangen, aufhören oder dabei abwechseln soll, und dieß Messen der Entfernungen ist doch das vorzüglichste Stück der Operationen in der Seele des Nachtwanderers, — so wie das richtige Wiedererinnern der Zeitmomente, in welchen beim Wachen ihre Handlungen auf einander folgten. Alles dieß beruhet auf dem gewöhnlichen Mechanismus unsrer Fiebern, nach deren Eindrücken und Bewegungen die Ideen sich einander erzeugen und an einander knüpfen. Der Nachtwandler wird von seinem Paroxismus überfallen, — alle Bilder des vergangenen Tages liegen ihm am nächsten, es kostet der Seele gar keine Mühe, sie wieder in sich zurückzurufen, da die Eindrücke jener Bilder noch ganz frisch in ihm vorhanden sind, — es bedarf nur eines kleinen lei-[95]sen Anstoßes die Ideenreihe anzuheben, die sich auf die Folge der vorhergegangenen Handlungen gründete. Ist der Schlummer des Nachtwandrers sehr leise, desto ähnlicher werden alle seine Handlungen den Handlungen eines Wachenden werden. Sein Gedächtniß zeichnet ihm die Ordnung der vorigen Geschäfte deutlich vor. Sein Morgenseegen, sein Ankleiden, alle seine Arbeiten folgen, wie im Wachen, aufeinander. Er geht, macht Bewegungen mit den Händen, weil er nicht wirklich schläft, weil er noch einigen freien Gebrauch seiner Glieder übrig hat, was der Fall im Schlaf nicht ist. Er wendet sich, vermöge seiner Zurückerinnerungen nach der Lage äußerer Gegenstände; er weiß, vermöge jener Kraft, die Hindernisse, die ihn im Wege liegen; er weicht ihnen aus. Ohne Zurückerinnerung würde er dieses nicht können, wenn ihn nicht anders sein Gefühl leitet, oder seine Augen ihm wenigstens dunkle Vorstellungen von außen gewähren. Vermöge jener Erinnerungskraft macht er nun auch einen rechten Gebrauch von den Objecten, die ihn umgeben. Er weiß, ein Pferd zu reiten, und findet den rechten Weg, (vielleicht wurde in gegenwärtigem Fall zufällig selbst das Pferd der Führer des Nachtwandrers) weil er ihn schon mehrmals gemacht hat, und in seiner Seele eine deutliche Vorstellung von der Länge und Art des Weges vorhanden ist, — weil die Seele die Momente gezählt hat, die zur Voll-[96]bringung der kleinen Reise gehörten, und immer nur auf einen Punkt concentrirt bleibt, — und so erfolgen alle seine Handlungen durch eine im Schlummer erregte körperliche Disposition oder äußerer Einflüße veranlaßte Nachahmung der Geschäfte des Tages. Der Mann befand sich gleichsam im geringsten Grade des Schlummers, und seine Vorstellungen während des Traums waren zuerst so deutlich, als nöthig war, alle seine Schritte sicher zu leiten. — Daß er in seinem Paroxismo kein Gefühl von Stechen, Kneipfen, Raufen, Stoßen und Rufen hatte, daß er den stärksten Spiritus nicht roch, nicht den Pistolenschuß hörte, — rührt doch wohl wieder daher, daß seine ganze Seele auf einen einzigen Punkt gespannt ist, und für alle Sinne unterdessen gleichsam keine Aufmerksamkeit mehr hatte, welches bei mehrern Zuständen des menschlichen Körpers, bei Ohnmachten, Convulsionen, Entzückungen, heftigem Anstrengen des Kopfs, so wie schon bei außerordentlichen Aufwallungen der Leidenschaften sehr gewöhnlich der Fall ist. — Endlich hat die Seele den Faden ihrer Vegetitionen abgesponnen — sie ist gleichsam aus ihren Traumbildern hinausgeworfen, sie muß sich also von selbst wieder in die wirkliche Welt hineinfinden, denn sie hat keinen Stoff mehr, neue Ideenassociationen anzuspinnen; die alten sind erschöpft; sie fängt durch das [97] bemerkte Leere ihrer abgeschnittenen Thätigkeit an, sich wieder zu orientiren, und — wacht denn endlich wieder auf. Aber mit dem nun auf einmal hereinbrechenden hellen Tageslicht wirklicher, origineller Vorstellungen, die nun nichts mehr mit jenen Traumbildern gemein haben, wird die Erinnerung an dem gehabten Traume, wie ein Lampenlicht durchs Sonnenfeuer gleichsam vertilgt. Der Nachtwandrer kann sich seiner verrichteten Handlungen nicht mehr besinnen, weil sie nur auf der Oberfläche der Erinnerungskraft und des Gedächtnisses hinwegglitschten. Dahingegen die wirklichen herbeiströmenden Ideen des Wachenden tiefere, lebhaftere, homogenere und viel umfassendere Eindrücke mit dem Bewußtseyn, daß man sie im Wachen empfängt, veranlassen. Allenfalls bleibt in der Seele des Nachtwandrers ungefähr ein solches Nachgefühl jenes Zustandes zurück, wie wir noch einen lebhaften Traum des Morgens zu behalten pflegen. Alle diese psychologischen Bemerkungen beweisen nachfolgende Beispiele eben so deutlich.


In vorher angeführten Act. Vratisl. 1722 Febr. Class. IV. Artic. II. wird folgender besondrer Vorfall von einem unverheiratheten Frauen-[98]zimmer erzählt, der eben so sehr unsre Aufmerksamkeit, als vorhergehender, verdient.

Die hier erwähnte Patientin, ein Mädchen von siebzehn Jahren, war Anfangs Febr., nachdem sie Vormittags bei harter Kälte den Gottesdienst abgewartet, Mittags nach dem Essen in einen Schlaf gefallen, darin sie mit den Händen allerlei Grimassen gemacht, nach diesem gelächelt und endlich laut zu lachen angefangen. Worauf bald weinende Minen und thränende Augen wahrgenommen worden, bis sie endlich nach einer starken Viertelstunde wieder zu sich selbst gekommen und von allen diesen Dingen nichts gewußt. (Offenbar war dieser anfängliche Zufall krampfhaft.) Drei Tage nachher hat sich obiger Paroxismus auf gleiche Art wieder eingefunden. Etliche Tage darauf hat sie wegen zustoßender Mattigkeit bettlägrig werden müssen, da denn alle Tage, und zwar des Tages etlichemal, sich obige Zufälle eingefunden, wenn sie nehmlich anfangs in einen matten Schlaf gefallen zu seyn geschienen, nachgehends aber allerlei Minen, bald lachend, bald weinend, bald freundlich, bald trotzig, so wie man die Affecten durch Minen auszudrücken pflegt, gezeigt, und solche auch mit allerlei Bewegungen der Hände lebhafter gemacht. Endlich hat sie zu reden angefangen, und allerlei moralische und biblische Gespräche geführt. Wenn man ihr in die Rede gefallen und über dieß und jenes befragt hat, hat sie ganz ver-[99]nünftig auf alle Punkte geantwortet, und mit ihrer Schwester und andern Anwesenden sich zu Viertel- und halben Stunden in weitläuftige Discurse eingelassen, und jener oder andern ihrer Bekannten, die sie anwesend zu seyn geglaubt, allerlei Ermahnungen gegeben, wie ein Frauenzimmer christlich, züchtig und vor der Welt unanstößig leben müßte. Dabei ihnen die etwa bemerkten Fehler nachdrücklich verwiesen, und sie zu verbessern mit sonderbaren Ausdrücken erinnert, und vornehmlich von dem elenden und vergänglichen Zustande des Menschen und den seeligen Vergnügungen des Himmels viel geredet, mit stets untermischten biblischen Sprüchen und Redensarten, — wovon sie aber beim Erwachen niemals etwas gewußt. Wie sie denn auch christliche Lieder laut und vernehmlich damals im Schlafe gesungen, auch sich nicht stöhren lassen, wenn man mit einer Violine oder einem Clavier darein gespielt, sondern die Music und den Tact wohl beobachtet, auch wohl, wenn man ihr das Clavier aufs Bette gegeben, selbst gespielt und im Schlafe fortgefahren, außer daß in diesem Fall dann und wann ein falscher Grif mit untergelaufen. Sie sagte die in ihrer Kindheit gelernten Rollen aus Comödien mit den dazu erforderlichen Gesticulationen deutlich her, verrichtete andre feine weibliche Arbeiten;*) 4 that, [100]als wenn sie die in Form des Papiers auf ihrem Bette zusammengelegten Servietten beschrieb, forderte Licht, die geschriebenen Briefe zuzusiegeln, sagte auf Befragen, was und an wen sie geschrieben; las das Concept deutlich vor, welches meistens in einem artigen Concept und Eröffnung ihres Zustandes bestanden, machte eine französische Addresse darauf, versiegelte es (doch nur ihrer Einbildung nach) und befahl, daß es auf die Post getragen werden sollte. Wenn sie in ihrem Traume eine Visite erwartete, hing sie ihren Nachtmantel um, putzte sich vor dem Spiegel den Kopf, richtete sich im Bette auf, wenn sie bei Eröffnung der Thür glaubte, daß die vornehme Person hereinkommen werde, bewillkommte sie auf eine gefällige Art, dankte für die hohe Ehre und das Glück des Besuchs in den artigsten Ausdrücken, sprach von ihrem Zustande, und führte oft lange vernünftige Gespräche mit derselben, so wie sie die Fragen, die man an sie that, richtig beantwortete. Eben so feierlich und artig empfahl sie sich auch wieder beim Abschiedsnehmen des hohen Besuchs. Die Erzähler dieser Begebenheit setzen hinzu, daß das nachtwandelnde Mädchen nach einigen Wochen völlig wieder kurirt worden sey. Man brachte ihr gehemtes Blut wieder in eine ordentliche Bewegung, gab ihr Arzneien, die auf die Stärkung der Nerven, auf die Transpiration und auf die Heiterkeit des Gemüths wirkten, und die Paroxismi ließen [101] endlich ganz nach. Sie heirathete, gebar drei Kinder, und nachher hat sie nicht das geringste mehr von solchen Anfällen gespürt.

Eigentlich gehört diese Person nicht ganz zur Classe der Nachtwandrer, da sie immer im Bette blieb, und nur durch Stimme und andre körperliche Bewegungen einer Wachenden ähnlich wurde. Ihr Paroxismus fing unstreitig mit krampfhaften Zufällen und einer plötzlich entstandenen Schwächung der Nerven an, wodurch aber zugleich eine größere Reitzbarkeit derselben hervorgebracht wurde. Sonderbar, daß sich bei dieser Person die Seele erst durch allerlei Gebehrden und Pantomimen, die gewisse Leidenschaften ausdrückten, durchzuarbeiten schien, ehe sie in wörtliche Aeußerungen ihrer Ideen ausbrach, — und diese Ideen waren grade wieder die ihr geläufigsten — und mit dem Character nervenschwacher Menschen am homogensten. Sie gab Ermahnungen, mischte biblische Sprüche unter, tadelte Fehler und predigte vom Himmel. Sehr leicht drücken sich musicalische Accorde in dem Gehirne ab, die Seele kann sie nachstimmen, ohne sich anzustrengen, im Wachen selbst fließen oft gewisse Melodien von unsren Lippen, ohne daß wir daran denken, sondern dabei etwas ganz anderes treiben. Die Seele thut also gleichsam zwei Sachen auf einmal, aber sie hat zu den Tönen keine anstrengende Aufmerksamkeit nöthig; [102] die Töne folgen, wie bei einer aufgezogenen Flötenuhr, aufeinander, sobald der erste Ton die angeregte Schwingung der Gehirnfiebern veranlaßt hat, die mit den Muskelbewegungen der Sprachorgane in Verbindung stehen. Selbst das Clavierspielen während des Schlummers läßt sich leicht erklären, indem die mechanische Muskelbewegung der Finger, die mechanische Folge von Tönen, obgleich etwas falsch, ausdrückte, die die Patientin auswendig wußte.

Die einzige Art, wodurch man den Nachtwandler in die Classe der Träumenden setzen kann, ist wohl vorzüglich die, daß er seine Handlungen nach einer imaginären Supposition, indem er sich etwas als wirklich fingirt, was nicht vorhanden ist, wenigstens nicht auf die nehmliche Weise vorhanden ist, als ers sich denkt, einrichtet. Die Handlungen folgen dann aber im Traume ganz natürlich aufeinander, und werden theils durch äußere Eindrücke, theils durch die der supponirten Hauptidee angehängten Nebenvorstellungen, wie es scheint nach freien Entschlüssen, aber eigentlich unwillkührlich dirigirt. Wovon die nächstfolgenden Beispiele zeigen.


[103]

Ein Beispiel, welches mit vorhergehendem viel Aehnlichkeit hat, kommt im Arzt. St. 74, S. 295 ff. III. Th. vor. Neueste Ausgabe. d

Die Person, von welcher daselbst geredet wird, war nicht nur eine Nachtschwätzerin im höchsten Grade,sondern auch zuweilen eine Nachtwandlerin. Sobald sie des Abends nach verrichteter Arbeit zum Sitzen kam, fing sie auch schon an, einzuschlummern. In diesem Schlummer, der anfangs nur sehr leicht ist, beschäftigte sie sich sogleich mit ihren Freunden, und war niemals zu Hause, sondern allemal an ihrem Geburtsorte. (Weil dieß die nächste Hauptidee war, die sich ihrem Gehirn am tiefsten eingedrückt hatte, und womit sich die Erinnerungskraft ihrer Seele unstreitig am liebsten beschäftigte.) Sie fing also zu reden an. Man antwortete ihr, ließ sich mit ihr ein, und sobald dieß geschehen, hatte man ihre Vertraulichkeit vollkommen erworben. Fragen und Antworten geschahen wechselsweise. Sie drückte sich ordentlich aus, sie dachte und zwar ganz vernünftig. Sie hatte das beste Gefühl von Tugenden und Lastern*) 5, und [104] wußte alles, was man ihr vorsagt, sehr wohl zu unterscheiden, und auf das richtigste zu beantworten. Die Einbildungskraft mußte bei ihr ganz außerordentlich stark seyn; denn sobald sie nur wachend ein ihr vorhin ganz unbekanntes Clavierstück höchstens zweimal spielen und singen hören, wußte sie solches in diesem ihren Schlummer auf das genaueste, und ohne eine Sylbe oder einen Ton zu verfehlen, nachzusingen. Spricht ein Fremder, mit dem sie eben nicht vielen, obwohl einigen, Umgang gehabt, in diesem Zustande mit ihr, so erschrickt sie sich zwar anfänglich etwas, weiß aber auf Befragen, was ihr fehle, zu sagen, daß ihr ein Schall in die Ohren gekommen sey, als wenn sie denjenigen, der wirklich zu ihr geredet, sprechen gehört hätte.

Indessen wird dieser ihr Schlummer stets stärker und zuletzt der allerhärteste Schlaf von der Welt (nehmlich nach des Erzählers Meinung). In solchem nun unterscheidet sie, wie gesagt, sowohl die Stimme, als auch das Gefühl und den Geruch. Man kann aber während solches Schlafes nicht nur auf das stärkste reden, schreien und lachen, ohne daß sie davon erwachen sollte, weil sie sodann gar mitschreiet, mitlacht, sondern auch eine Trommel, ja eine Pistole selbst würde sie nicht aus dem Schlafe erwecken können. Sie geht sogar, wenn man will, mit spatzieren, ob sich sodann gleich [105] einige Schwäche und einiges Taumeln bei ihr zeigt: Sie schlägt sich mit einem herum, sie weint, sie schilt, betet, ja alle mögliche Affecten erregen sich bei ihr, und sie ist aller ihrer Sinnen, außer des Sehens und Schmeckens mächtig, und was das Sonderbarste ist, so kann sie in solchem Zustande gar knüppeln und allerhand Handarbeiten verrichten, ja sie weiß einer jeden Sache ihre eigenthümliche Stelle zu geben. Daß sie des Nachts im Schlafe geistliche und weltliche Lieder singt, ist bei ihr gar nichts neues, — und dennoch weiß sie von allem, was sie entweder im Schlafe gethan, oder man mit ihr vorgenommen, wenn sie nachher erwacht, nicht das mindeste. Sie hat eine Schwester, welche fast gleichen Zufällen unterworfen ist. Beide hörte man im Schlafe die ordentlichsten Discurse mit einander führen, davon sie doch beim Erwachen nichts wußten.

Es ist ungemein schwer, die vorbeschriebene Person endlich wieder zu erwecken. Je länger man mit ihr gesprochen, je mehr man mit ihr vorgenommen, und je stärker ihre Einbildungskraft erregt worden ist, desto schwerer ists, sie aus dem Schlafe zu bringen. Das Rufen bei Nahmen hilft nichts. Ihre Herrschaft nur allein ist nach vielen Rufen im Stande, sie endlich wieder zu ermuntern. Doch alles, was sie bei solchem Erwachen thut, geschieht annoch [106] im Traume. Kurz, sie braucht fast eine halbe Viertelstunde, um sich vollkommen zu ermuntern. Daß dieß alles keine Verstellung war, erhellet daraus, weil sie so ehrgeitzig ist, daß wenn sie erfahren, ein Fremder habe sie im Schlafe reden gehört, sie wohl eher einen ganzen Tag geweint, und sich davor so sehr geschämt hat, daß sie demjenigen, der sie in solchem Zustande gesehen, fast nicht vor Augen kommen mögen.

Bei vorher erzählten Beispielen hat mir besonders folgendes merkwürdig geschienen: a) Daß die Nachtschwätzerin erschrack, wenn sie ein Fremder anredete, und es ihr nur so vorkam, als ob sie jemand fremdes sprechen gehört. Bei diesem Schlummer hatte sich die Seele der Nachtwandlerin, wie mich dünkt, so orientirt, daß sie nur von den Bekannten, die sie umgaben, und deren Stimme ihr geläufig war, klare Eindrücke empfing, von einer fremden Stimme aber etwas in Verwirrung gebracht wurde, weil sie nicht genau wissen konnte, von wem die Stimme eigentlich herrühre. b) Daß es desto schwerer war, die Nachtwandlerin aus dem Traume zu bringen, je mehr man mit ihr vorgenommen und je stärker ihre Einbildungskraft erregt worden war. Hier verirrte sich die Seele gleichsam in einer Menge Traumideen, und brauchte einen größern Weg, um sich wieder in die wirkliche Welt zurückzufinden. Jede Idee braucht einige [107] Momente, ehe eine andre an ihre Stelle treten kann, je mehr vorzüglich lebhafte Ideen nur der Seele vorgeschwebt haben, je tiefer sie sich in dieselben eingelassen hat, je mehr Zeit und Kraft wird erfordert, um entweder die alten vielfachen Ideen auf die Seite zu schieben, um andern Raum zu geben; oder auch in einem bloß passiven Zustande andre aufzunehmen, die von außen herbeieilen. Da die Nachtwandrer überdem wohl sogleich die Eindrücke, die man bei ihnen, um sie aufzureiben, gebraucht, in ihren Traum selbst verweben, indem sie was außer ihnen vorgeht zu träumen glauben, so pflegt das Rufen bei Nahmen und andre Mittel nicht leicht auf sie zu wirken, bis eine körperliche Ursache eine neue Spannung der Nerven, oder auch eine entstandene Leere von Vorstellungen die Seele wieder zu sich selbst kommen läßt. Daß sie in jenem Zustande Ausdrücke von außen mit in die Reihe ihrer Traumideen aufnimmt, und dadurch nicht aufgeweckt wird, siehet man daraus, daß unsre Nachtwanderin, wenn man zu schreien und zu lachen anfing, mitschrie und mitlachte. Es scheint, daß oft eine stärkere Erschütterung des Körpers beim Nachtwandler nöthig sey, als die bloße Stimme eines andern, um ihn aus seinem Traume zu erwecken, wie auch aus nachfolgendem Beispiel erhellet, welches ich wegen seiner Sonderbarkeit und Unläugbarkeit nicht übergehen kann, zumal da es mir Gelegenheit giebt, [108] etwas über die gefahrvollen Handlungen der Nachtwandrer zu sagen, die sie im Schlaf mit größter Sicherheit und auf eine Art unternehmen, die ihnen im Wachen unmöglich seyn würden.


D. Knoll erzählt nehmlich in einer 1747 herausgekommenen Schrift: Historische, theoretische und practische Betrachtung eines kürzlich vorgefallenen Nachtwandelns, e daß er einen jungen Menschen von zweiundzwanzig Jahren, von einem melancholisch-cholerischen Temperamente, von robuster Natur und arbeitsamer Lebensart, als einen Nachtwandler gekannt habe und ein Augenzeuge seiner Handlungen gewesen sey. Dieser junge Mann ging als Gärtner in die Dienste einer adlichen Herrschaft. Nach einiger Zeit bemerkten die andern Hausgenossen, daß er des Nachts vom Bette aufstand, den Fensterladen abnahm, aus dem Fenster stieg, nach drei oder vier Stunden erst wieder kam, und sich dann wieder ins Bette legte. Weil sie aber gemeint, es geschehe im Wachen und mit Willen, so hat man anfänglich nicht viel daraus gemacht. Als er aber des Winters nebst andern Bedienten sich in der Stube befand, und Abends auf keine Art beim Wachen erhalten werden konnte, sondern täglich nach acht Uhr einschlief, so fing er im Schlafe an, geistliche Sprüche und Gebete, mit Verwunderung der Umstehenden, [109] herzubeten, worauf er aufstand, zur Thür hinaus ging, einmal im Garten über eine ziemlich hohe Blanke kletterte und hinten die hohe Mauer ohne Verletzung hinunterstieg, ging schlafend etliche Gassen und zwar ohne Hut fort, bis ihm ungefähr ein Diener, der ihn kannte, begegnete, und weil er keinen Hut aufhatte, denselben anredete und so lange schüttelte, bis er munter wurde, da er denn zurückging, an der Thür klingelte und wiederum eingelassen war, von allem aber, was er gemacht, nichts wußte.

Ein andermal ging er im Schlafe aus der Stube, stieg im Hofe aufs Dach und ritte auf der Dachrinne, als auf einem Pferde mit Erstaunen der Umstehenden, und als er eine Weile auf dem Dache herumgeklettert, kam er unbeschädigt wieder herunter, und man hat besonders angemerkt, daß er im Steigen mit Fühlen forschte, ob auch die Ziegel loß oder feste waren. Waren sie loß, so unterließ er, darüber zu steigen.

Da nun die Frau des Hauses von allem diesen benachrichtigt wurde, so war sie besorgt, es möchte dieser Bediente einmal verunglücken, daher befahl sie, ihn in eine andre Kammer zu betten, und dieselbe wohl zu verwahren, damit er des Nachts nicht herauskönnte, und ließ ihn dabei wohl beobachten. Als er nun im Schlafe zu gewöhnlicher Stunde seine Nachtwanderschaft antre-[110]ten wollte, und merkte, daß er nicht aus der Kammer kommen konnte, so fing er mit dem darin befindlichen Hausrath und seinen Kleidern verschiedene Arbeit an. Als es ungefähr um neun Uhr war, stand er einstmals mit offenen Augen schlafend aus dem Bette auf, und kroch unter dasselbe; er nahm ein unter demselben liegendes Bret, stützte es unter die Nase, und rieb dieselbe damit, bis das Blut herausfloß. Er ging hierauf nach dem Ofen, zog die Beinkleider an, nahm aus der Tasche derselben ein Messer, legte solches auf den Ofen, die Gartenschlüssel, so er gleichfalls aus derselben nahm, warf er hinter den Ofen in Winkel. Er kroch wieder unter das Bette, und rieb sich mit dem Brete die Nase. Er eilte darauf zum Ofen, und suchte das Messer, weil aber solches von den Umstehenden schon weggenommen war, schmeißt er die daselbst gefundenen Steine mit widrigen Minen stark zur Erde, die Gartenschlüssel aber nimmt er wieder zu sich. Er zog die Beinkleider aus, nahm andre Kleidung, und zog sie bald an, bald wieder aus. Er schmiß einen großen eichenen Tisch mit großer Gewalt bald hier, bald dorthin, und als solcher von einer andern Person, in der Absicht, damit nicht einer von den Umstehenden möchte getroffen werden, gehalten wurde, und auf ihn fallen wollte, wich er zurück. Man rief mit starker Stimme seinen Vor- und Zunahmen; aber er erwachte nicht. Sie schüttelten ihn, und er bekam einen convulsi-[111]vischen Husten. Die Personen, die alle seine Handlungen beobachtet, meldeten, daß er durch Rufung seines Nahmens niemals erwache, sondern durchs Schütteln, und daß der starke convulsivische Husten allezeit entstünde, wenn er erwache.

Er legt sich auf die Erde und schläft sogleich wieder ein, liegt aber kaum einen Augenblick stille, so steht er gleich wieder auf und fängt von neuem zu handthieren an. Er sucht alle Kleidung, so in der Schlafkammer befindlich, zusammen, mengt sie unter einander, schmeißt sie herum, holet sie wieder zusammen; die alten Strümpfe und Schuhe suchet er paarweise nach der Farbe aus, als wenn er sie sähe und kennte, die Kleidung hängt er indeß hintern Ofen wieder an ihren ordentlichen Ort, wo sie vorher gehangen hatte. Nachdem die Umstehenden die Kleider und den Tisch weggenommen, fängt er mit dem Bette zu Lärmen an. Er zieht solches mitten in die Stube, und bricht davon eine Lehne ab. Kurze Zeit darnach will er es wieder an gehörigen Ort bringen, merkt aber, daß ein Bret auf der Seite abgestoßen. Dieses schlägt er mit einem Steine ordentlich wieder zusammen, weil es aber noch wackelte, so kratzte er sich hinter den Ohren, schüttelt den Kopf und macht widrige Minen, ingleichen befestigt er wieder die Pfoste unten am Bette, die gleichfalls losgestoßen war. Er steigt ins Fenster, wo kein Wachender stehen kann, [112] macht das Fenster auf, gucket durchs Loch des Ladens und lächelt ein wenig. Vom Fenster steigt er nach dem Ofen, so gleichfalls kein Wachender verrichten kann, weil der Ofen viel höher, als das Fenster, und ziemlich weit entfernt ist. Er setzt sich auf den Ofen, und reitet darauf, wie auf einem Pferde, klappet auch dabei in die Hände. Vom Ofen kehrt er wieder zum Fenster zurück, er will aus dem Fenster, als er aber nicht kann, lachet er und schüttelt mit dem Kopfe. Indem er im Fenster steht, untersucht er mit den Händen die Wände, ob es gefährlich sey. Eine Nehnadel, so er vor einigen Tagen in die Wand gestochen, holet er von der Wand, zieht den Faden durchs Loch und nähet seine Beinkleider. Die andre Nacht ist er durch die Thür gebrochen und hat in dem Garten mit den Blumentöpfen sein Gewerbe getrieben, als wenn er wachte. Man hat bemerkt, daß in dem letzten Viertel des Mondes sein Paroxismus am heftigsten war. Wie er selbst versicherte, hat ihn seine Mutter schon in seiner zarten Jugend öfters des Nachts vom Hofe geholt, er wisse aber bis jetzt nicht, daß er dergleichen Handlungen unternehme, wenn es ihm nicht andre erzählten.

Dieser sonderbare Nachtwandrer unterscheidet sich von den andern vorzüglich dadurch, daß seine Handlungen, die er während des Paroxismus vornahm, nicht eigentliche Repetitionen seiner kurz [113] vorher im Wachen getriebenen Geschäfte, sondern gleichsam ganz neue Unternehmungen waren, die durch die Einbildungskraft, verbunden mit dunkeln Einwirkungen äußerer Objecte, hervorgebracht wurden. Daß seine Handlungen aber wirklich durch jene Objecte größtentheils determinirt wurden, ergiebt sich aus der Erzählung von selbst, indem er sogar die Dachziegel untersuchte, ob sie ihn auch würden halten können. Daß übrigens dergleichen Leute bei ihren wirklich gefahrvollen Handlungen keinen Schaden leiden, hat man, wie mich dünkt, ganz richtig daraus zu erklären gesucht, weil sie die Gefahr nicht kennen, worin sie sich befinden. Ein Wachender würde so gut, wie ein Nachtwandrer, auf dem Dache herumklettern können, wenn die Furcht zu fallen ihn nicht betäubte, und seine Schritte unsicher machte. Der Schwindel, welchem die meisten Menschen unterworfen sind, wenn sie sich auf Anhöhen befinden, macht, daß sie während des Wachens keiner solchen Handlungen, als der Nachtwandler wirklich verrichtet, fähig sind. Von jenem Schwindel weiß aber der Nachtwandrer nichts, weil er sich auf keiner Anhöhe zu befinden glaubt, und den Abgrund unter sich gar nicht bemerkt; daher man solche Leute bei ihrem gefahrvollen Steigen nicht zum Wachen bringen darf, weil sie sonst unfehlbar herunterstürzen würden, indem sie nun die Gefahr vor sich liegen sehen, worin sie sich begeben hatten. Ferner ist das Richten [114] der Seele auf einen Gegenstand, oder auf die mechanische Befolgung einer Handlung, der zweite Grund, daß dergleichen Leute bei ihren gefahrvollen Schritten so sicher gehen. Da ihre Sinne gewissermaßen geschlossen sind, so werden sie nicht zerstreut und ihre Ideen nicht confundirt, was bei dem Schwindel der Fall ist. Diese Richtung der Seele würde vielleicht selbst dann ihre Schritte sicher machen, wenn sie wüßten, daß sie sich grade auf einer Anhöhe befänden.


Nicht weniger merkwürdig, als vorhergehende Erzählungen, sind folgende, die ich ohne weitere Anmerkungen anführen will, da sie sich nach vorhergehenden psychologischen Grundsätzen und Erläuterungen deutlich erklären lassen; allerdings aber in eine Sammlung jener denkwürdigen Begebenheiten der menschlichenSeele gehören.

Hildan. erzählt Cent. II. Obs. 84, 85, f daß 1607 den 20sten April sein Blutsfreund, ein junger Mensch, in eben dem Hause zu Wittenberg, darin Hildan gewohnt, des Abends berauscht zu Bette gegangen, und bis um Mitternacht wohl geschlafen habe. Da er denn aus dem Bette aufgestanden, erst hin und her gewandert, nachher im Schlaf schnell aus dem Fenster gestiegen und zu demselben sich hinausbegeben. Ich schlief, fährt [115] Hildan fort, damals in derselbigen Kammer, und als ich von dem ungewöhnlichen Geräusch und Getöse erwachte, dachte ich gleichsam im Traume bei mir, daß dieser Jüngling in seiner Kindheit oft im Schlafe gegangen. Da nun mein Diener auf Befragen geantwortet, daß der junge Mann sich nicht mehr im Bette befinde, so stand ich augenblicklich auf, und ging auf das Fenster zu, damit ich vielleicht ihn daselbst noch aufhalten und zurückziehen könnte. Aber in demselbigen Augenblick ist er aus dem dritten Stockwerk, vierzehn Ellen hoch, auf das Pflaster hinabgefallen. Doch ohne sonderlichen Schaden.

Der edle Herr Horrizäus hatte dem Hildan erzählt, daß er eine Bäuerin im Basler Gebiete gekannt, welche im Schlafe gewandelt. Dieselbe sey bei Nacht aufgestanden, und habe im Schlafe ihre Hausgeschäfte verrichtet; ja sie sey einmal auf das Feld zu den Schäfern hinausgegangen. Horrizäus betheuert, daß er solches mit eigenen Augen gesehen habe.

Zu Lustrien ohnweit Lausanne war ein Bürger von achtundzwanzig Jahren, der von Jugend auf im Schlafe gewandelt. Als er noch ein Knabe war, stieg er bei Nacht aus dem Bette, wanderte durchs Haus und die Gassen, schrie und redete im Schlafe ganz verständlich. Welches von vielen gesehen und wahrgenommen worden. Er würde [116] sein Nachtwandeln fortgesetzt haben, wenn ihn nicht nachher seine Gattin des Nachts zu Hause gehalten hätte. Doch ist derselbe niemals recht bei Verstande gewesen.


Plater erzählt in seinen Observat. Lib. I. pag. 12 g von dem zu seiner Zeit sehr berühmten Buchdrucker, Johann Oporinus, folgendes. Als dieser sich einstmals mit meinem (Platers) Vater, welcher auch ein Buchdrucker war, auf der Reise befand, und wegen einbrechender Nacht unterwegs in einem schlechten Wirthshause einkehren mußten, fing an, damit sie die Nacht ohne Schlaf hinbringen möchten, ein griechisches Buch zu corrigiren. Oporinus schlief, indem er den Text vorlas, darüber ein, dennoch aber hörte er nicht auf fortzulesen. Als ihn endlich Platers Vater aufweckte, wußte er von allem, was er gelesen, nichts, ob er gleich im Schlafe eine ganze Seite gelesen hatte. Eben dasselbe habe ich auch an andern oft beobachtet, fährt Plater fort, und es ist mir selbst zuweilen begegnet, daß, wenn ich Abends zu Bette gegangen und in einem Buche gelesen, darüber aber eingeschlafen bin, ich dennoch nicht aufgehört habe zu lesen. Und wenn man mich nach einiger Zeit ermuntert, habe ich von alle dem, was ich gelesen, mir nicht das Geringste entsinnen können. Ja oft bin ich nach dem Abendessen bei [117] der Laute eingeschlafen, und habe im Schlafe immer fortgespielt.


Vorzüglich merkwürdig scheint mir auch das Beispiel, welches H. ab Heers in seinen Observation. oppido raris h angeführt hat. Ich kenne, sagt er, einen nunmehro bejahrten Mann von Kindesbeinen an, welcher im Schlafe wandelt, und außer andern solchen Leuten ganz gewöhnlichen Sachen ganz wunderbare Verrichtungen unternimmt und glücklich bewerkstelligt. Als er noch ziemlich jung war, und die Dichtkunst auf einer berühmten Universität lehrte und am Tage oft hin und her dachte, wie er die gemachten Verse noch ändern und ausbessern könnte, wollte ihm oft nichts einfallen. Hingegen zur Nachtzeit, wenn er schlief, stand er gemeiniglich auf, schloß seinen Schreibtisch auf, fing an zu schreiben, und las dasjenige, was er geschrieben hatte, mit lauter Stimme her. Endlich, wenn er aufhörte zu lesen, fing er an zu lachen, und freuete sich über seine glücklichen Einfälle; ja er ermahnte seinen Stubengesellen, daß er sich doch eben so vergnügt über seine verfertigten Gedichte bezeigen möchte. Wenn alles dieses vollbracht war, legte er seine Papiere in Ordnung, schloß den Schreibtisch zu, zog seinen Schlafrock und Pantoffeln aus, legte sich wiederum zu Bette und schlief so lange, bis er aufgeweckt [118] wurde. Da er denn von allem, was er in der Nacht gethan, nichts wußte.

Wenn er am Morgen aufgestanden und sein Gebet gethan, ging er mit einiger Bekümmerniß an seine Arbeit, und sorgte, wie er die den vorigen Tag gemachten Poesien noch verbessern und die Lücken derselben ausfüllen möchte. Sobald er aber vom Schreibtische kam und alles dieses, ja was noch mehr, mit seiner eigenen Hand schon bewerkstelligt sah, erstarrte er, gleich einem, der vom Blitz gerührt worden, und bekümmerte sich im rechten Ernst darüber, ob solches ein guter oder böser Geist gethan. Wenn seine Freunde über sein Bezeigen lachten, so bat er sie mit Thränen, ihn, wo es möglich wäre, von diesem Irrthum zu befreien. Weil er aber, indem sie dasjenige, was sich mit ihm in der Nacht zugetragen, und was sie wachend mit angesehen hatten, erzählten, ihnen keinen Glauben zustellen wollte, so brachten sie ihn die folgende Nacht, da er es wiederum eben so gemacht, in ein ander Bette, und legten ihn mit seinem Nachtkleide, welches er von ungefähr anbehalten hatte, verkehrt in dasselbe, so daß er mit dem Kopfe da lag, wo man sonst die Füße hinzulegen pflegte, ließen ihn auch so lange liegen, bis er am hellen Tage von selbst erwachte. Ob er nun gleich abermals läugnen wollte, daß er dieselbe Nacht aufgestanden sey, gelesen, geschrieben, auch dieß und jenes ver-[119]richtet habe, so wurde er doch gar leicht durch den Augenschein überzeugt, daß er sich im Schlafrock, den er doch den Abend vorher ausgezogen, und in einem andern Bette befand. Es ist in der That zu verwundern, setzt der Erzähler hinzu, daß ein Mann von so unvergleichlichem Gedächtniß, sich dieses nächtlichen Schreibens und Lesens, welches doch oft drei bis vier Stunden gedauert, gar nicht zu erinnern gewußt. Aber noch mehr, daß sein Gang, die Art zu schreiben und seine Sprache ihm bei Nacht eben so natürlich gewesen, als er alles dieses am Tage verrichtet, da sonst die meisten Nachtwandrer ihre Sachen sehr unvollkommen und gleich Trunkenen vornehmen. Was aber bei dieser Sache am sonderbarsten ist, ist dieß, daß, nachdem er lange nachher sein Amt aufgegeben, und eine schöne und tugendhafte Frau geheirathet, er derselben aber seine Heimlichkeiten verschwiegen, diese des Nachts, wenn er das Kind im Schlafe aus der Wiege auf seine Arme genommen, und damit im ganzen Hause herumgegangen, ihm überall auf dem Fuße nachgefolgt, und durch Fragen alles Verborgene seines Herzens von ihm erfahren, so, daß er sich nachher gewundert, wer seiner Gattin die Geheimnisse seiner Seele, die sonst niemand, als ihm allein, bekannt gewesen, verrathen haben müßte.

Im fünfundvierzigsten Jahre seines Alters hörte er auf im Schlafe zu wandern, dagegen fing [120] er zu der Zeit an, desto mehr zu träumen, wovon er, so lange er zur Nacht aufstand und arbeitete, frei gewesen. Die ihn bei Nacht wandern und lesen gesehen, haben versichert, daß er die Augen weit offen gehabt. Er selbst aber hat hoch betheuert, daß er gar nichts gesehen habe. (Wahrscheinlich hatte er auch dieß beim Aufwachen vergessen, daß er wirklich während seinen nächtlichen Arbeiten Gebrauch von seinen Augen gemacht.) Die Träume, die er nachher bekam, heißt es weiter, waren gemeiniglich prophetisch. Er sahe in denselben seines Schwiegervaters, seiner Frauen, seines ältesten Sohnes und verschiedener Anverwandten Leichen so deutlich vorher, wie sie nachmals in der That bestellt und angeordnet wurden. So sagte er auch viele Dinge, die ihm jeden Tag über begegnen würden, zum voraus, fröhliche und traurige Begebenheiten, Streitigkeiten, Verlust, Gewinn und andre dergleichen; ja er wußte gemeiniglich die Stunde gewiß anzuzeigen, wenn solches geschehen würde.


Wepfer erzählt in seinen Observat. medico-practic. Observ. 94 i folgendes. D. Buoch schrieb im Monat April 1688 von Meßkirchen folgendes an mich. In einem benachbarten Kloster sind zwei Nonnen, welche im Schlafe wandeln, und fast alle Nächte mit offenen Augen das Kloster [121] durchstreichen. Sie laufen die Treppen auf und nieder und zünden Lichter an. Es begleiteten sie gemeiniglich zwei bis drei andre gesunde Nonnen, welche sie nicht gewahr werden, bis man sie recht scharf mit Ruthen streicht.


Del Rio erzählt (siehe Fritschii Histor. mirabil. Part. II. Hist. 5 ) Gundisalvus, ein Schulmeister, welcher die Kinder im Catechismus unterrichtete, und in einem Kloster zu übernachten pflegte, hatte im Gebrauch, daß er zur Nachtzeit sang, lehrte, schalt und vermahnte, grade, als wenn er sein kleines Auditorium wirklich vor sich hätte. Ein Klosterbruder, in dessen Zelle er lag, drohete ihm, er sollte die Nacht stille seyn, und ihn ruhig schlafen lassen, oder er wollte aufstehen, seine Ruthe nehmen, und ihm, wie er seinen Schülern, das Lermen vertreiben. Der Schulmeister merkt sich dieß, und schläft darüber ein.

Des Nachts steht er auf, nimmt eine lange Scheere und geht zu des Bruders Bette, welcher zu allem Glücke gewachet, und bei hellscheinendem Monde diesen Nachtgänger gesehen, und sich hinter das Bette verkrochen. Gundisalvus aber näherte sich dem Bette und stieß die Scheere etlichemal in das Hauptküssen, und legte sich darauf wieder nieder. Des folgenden Tages wußte er nichts [122] davon, sondern sagte, daß ihm geträumet, der Bruder sey mit der Ruthe zu ihm kommen, und er habe sich mit der Scheere vertheidiget.

Ein Schüler, wie Clauderus erzählet, ist im Schlafe aufgestanden, hat sein Exercitium verfertiget, und sich nachher wieder zur Ruhe begeben.

Im Jahre 1593 den 24sten März ist nicht weit von Helmstädt ein Nachtwanderer gewesen, wie Horst berichtet, welcher aus dem Bette aufgestanden, die Treppe hinuntergestiegen, und einen weiten Weg durch den Hof gegangen, darnach in die Küche gekommen, und in den Brunnen gestiegen, hat die Hände und Füße hart und fest eingesetzt, ist auch ganz nackend gewesen, bis aufs Hemde; ist doch nicht ins Wasser kommen, ausgenommen, daß er den Saum am Hemde ein wenig benetzet, und als derselbe erwachet, vielleicht wegen des kalten Wassers, hat er geschrien: O mein Bein, hilft mir. Die andern im Hause, als sie die Stimme hören, suchen und finden ihn, daß er sich in den Brunnen mit Händen und Füßen anhält, und setzten ihm die Leiter mit einem Licht hinein. Dieweil er aber auf diese Weise nicht herauskommen können, lassen sie ihm den Eimer hinunter; da steiget er mit dem rechten Fuße hinein, und mit der rechten Hand hält er die Ketten, und haben ihn also herausgebracht; welches glücklich zugegangen, aber er ist sehr erfroren gewesen und ganz erstarret. j

[123]

Helmont erzählet, er habe einen Schlafgesellen gehabt, welcher gemeiniglich des Nachts im Schlafe aufgestanden, mit dem Schlüssel das Schloß aufgemacht, und wenn er eine Weile herumgewandert, bei seiner Zurückkunft wieder zugeschlossen habe. Daher Helmont einstmals aufgestanden sey, den Schlüssel hinweggenommen und unter das Kopfküssen versteckt habe. Allein sein Schlafgeselle habe sich hernach aus den Federn gemacht, und den Schlüssel unter dem Kopfküssen hervorgezogen, gleich, als wenn er es gesehen hätte, daß er dahin verstecket worden, und sey hinweggegangen. Da er ihn nun nachgeschlichen, habe er gesehen, daß er auf eine alte mit Moos und Gras bewachsene Wand gestiegen. Den folgenden Morgen habe er aber von allem nichts gewußt.

Es schliefen drei junge Edelleute und Gebrüder, schreibt eben derselbe, in einem Bette beisammen, von diesem stand der eine einstmals ganz nackend auf, nahm sein Hemde in die Hand, und eilte stillschweigend nach einem Fenster, ergriff das vor dem Fenster von der Rolle herabhangende Seil, und durch Hülfe dieses Seils rutschet er bis zum Giebel des Hauses, nimmt daselbst junge Aelstern aus, wickelt selbige ins Hemde, macht sich wieder herunter, begiebt sich zu Bette und versteckt darin die ins Hemde gewickelte junge Aelstern. Da er des Morgens erwachte, und seine Brüder wegen [124] seines Aufstehens mit ihm sprechen, will er von nichts wissen, außer daß ihm geträumet, er sey verwichene Nacht aufgestanden, habe ein Aelsternest zerstöret, und die Jungen aus denselben mit sich genommen. Worüber seine Brüder ihn auslachen. Als er nun aufstehen will, sucht er sein Hemde im Bette, welches er auch unten zu den Füssen mit sammt den lebendigen jungen Aelstern findet, und also nicht nur im Traume, sondern in der That geschehen war, was er seinen Brüdern erzählet hatte.

Es fällt mir ein, schreibt der Verfasser der curieusen Betrachtungen bei schlaflosen Nächten, wie ich einen gewissen Goldschmidt gekannt habe, welcher mir selbst erzählete, daß er in seiner Jugend mit dergleichen Uebel sehr beladen gewesen sey. Unter andern meldete er zweierlei, so sich von diesen in seinen Lehrjahren zu Hamburg mit ihm zugetragen hatte. Nehmlich es hätte sein Lehrherr immer viel zu thun gehabt, daß die Gesellen und Jungen selten hätten vor zwölf bis ein Uhr des Nachts dürfen zu Bette gehen. Als dieser Junge sich nun einstmals nebst seinen Cameraden und Gesellen auch so spät schlafen geleget, und sanft eingeschlafen wäre, waren die andere Gesellen und Jungen zwar des Morgens darauf zu rechter Zeit wieder aufgestanden, hätten aber diesen ihren Schlafgesellen nicht mehr bei sich gehabt, ohnerachtet seine Kleider noch [125] zugegen gewesen. Da man nun nach vielen vergeblichen Suchen ihn nicht finden können, wäre er am Mittage gegen Tischzeit von sich selbst wieder zum Vorschein gekommen, und zwar in einem pfütznassen Hemde und Haaren. Dieses aber aus folgenden Ursachen: Es wäre das Dach von seines Herrn Hause an des Nachbarn Haus auf solche Art gestoßen, daß die Dachtraufen von beiden Häusern zusammen in eine große Rinne gegangen wären. Nun hätte ihm gedünket, als daß ihm selbige Nacht geträumet hätte, es wäre seinem Herrn ein Canarienvogel entflogen, und er wäre dem Canarienvogel nachgestiegen, ihn wieder zu fangen, hätte aber hernach empfunden, was ihm vor ein seltsames Abentheuer im Schlaf begegnet sey. Nehmlich er wäre im Schlafe aufgestanden, sey zum Dachfenster hinaus auf die Rinne gestiegen, hätte sich in solche Rinne gelegt und wohl ausgeschlafen, bis gegen Mittag. Unterdessen aber wäre ein starkes Gewitter mit einem Platzregen entstanden; also, daß das von beiden Dächern zusammenschießende Wasser weit über ihm müsse hingegangen seyn. Dem aber ungeachtet hätte er solches nicht gefühlet, sondern wäre ohne Schaden bis in Mittag in solcher Rinne liegen geblieben, bis er von sich selbst erwachet und als eine gebadete Maus aufgestanden wäre, und nicht gewußt hätte, wie er dahin gekommen, oder weswegen er so naß wäre. Bis ihm seine Leute bedeutet hätten, daß gegen den [126] Morgen ein heftig Gewitter gewesen; welche sich daneben auch sehr über ihn verwundert hätten, daß er nicht gar ersoffen wäre, weil das Regenwasser doch eine geraume Zeit müßte über ihn hingegangen seyn, und er solches nicht gefühlet, noch das starke Donnern gehöret hätte. Noch wunderbarer kam es heraus, als mir eben dieser Goldschmidt erzählte, es sey ein gewisser unbewohnter Thurm zu Hamburg, in welchen oft in Jahr und Tag kein Mensch käme, und also stets die Thüre des Thurms verschlossen bliebe. Er hätte aber einstmals in Acht genommen, daß im Sommer die Mauerschwalben oben in dieses Thurms Mauer heckten. Welches Schwalbennest nicht gar weit von einem Loche, das oben im Thurme, wie eine offene Thür herausgehe, sey. Da hätte er manchmal gedacht, wenn er nur zu diesen Schwalbennest kommen und solches ausnehmen könnte. Hierauf hätte es sich begeben, daß an einem nicht weit von diesem Thurm stehenden Gebäude wäre gearbeitet worden, an welchem des Tages sowohl, als des Nachts, große Leitern zum Bau gelegen wären. Einstmals wäre er auf vorhererzählte Weise aus seinem Bette vermißt worden, da doch seine Kleider zugegen gewesen, und Niemand hätte ihn zu suchen gewußt. Es hätte aber eine von jetztgedachten großen Leitern desselben Morgens früh an mehr erwähnten Thurm gelegen, als ob jemand hätte darauf in den Thurm steigen, und hätte es, weil sie bis auf die sechs [127] Ellen bis an das große Loch nicht zugelanget hätte, unterlassen müssen. Weil es aber gleichwohl bei jedermann einen Verdacht erwecket hätte, aus was Ursachen die große Leiter an den wüsten Thurm müsse seyn geleget worden, so wäre die Thurmthüre geöffnet. Wie man aber hinaufgegangen und sich oben umgesehen, hätte man ihn (den damaligen Goldschmiedsjungen) eben bei dem großen Loche auf einem Schutthaufen in dem tiefsten Schlafe liegend gefunden, also, daß sie ihn kaum erwecken können. Als er nun endlich erwachet, hätte er nicht gewußt, wo er wäre, oder wie er dahin gekommen. Am allermeisten aber hätte jedweder sich verwundern müssen, wie er, als ein schwacher Knabe, eine so große Leiter an den Thurm bringen können, welches doch der stärkste Bauer allein nicht würde vermocht haben. Imgleichen, wie er hätte können von der Leiter bis in das Loch steigen; da doch die Leiter etliche Ellen zu kurz gewesen wäre.

Der Beschluß im folgenden Stück.

Fußnoten:

1: *) Oder mühsam zu untersuchen, ob der Harmonist, Influxionist, oder der Schüler des Cartesius das Nachtwandeln am besten mit seinem System vereinigen könne.

2: *) Eben dieß wird auch nicht durch eine andre Erklärung auseinander gesetzt, daß nehmlich alle Ideen des Gedächtnisses und der Einbildungskraft, und überhaupt alle geistige Ideen vermittelst eben des Spiels der Gehirnfiebern und Nerven, oder der materiellen Ideen, die bei den ursprünglichen Sensationen in Bewegung sind und würken, nur auf einem entgegengesetzten Wege, vom Gehirn nehmlich und der Seele, bis zum Nerven der Sinneswerkzeuge herab, hervorgebracht werden, und also wesentlich von jenen ursprünglichen äußern oder innern Sensationen nicht verschieden sind.
Anmerk. d. H.

3: *) In welchem Fall sich die oben in der Anmerkung angeführte Meinung einiger Psychologen noch am meisten vertheidigen ließe.

4: *) Z.B. entwarf sich Muster zum Sticken, stickte, nähete und schrieb.

5: *) Auch hierdurch unterscheiden sich die Nachtwandrer sehr merklich von wirklich Träumenden, indem bei diesen gemeiniglich und oft auf die sonderbarste Art während des Schlafs alle moralischen Gefühle zu verlöschen scheinen, und mit größter Bereitwilligkeit allen Unterschied zwischen Tugend und Laster aufgeben.
P.

Erläuterungen:

a: Hoffmann 1695, Abschnitt XXI, S. 20.

b: Knoll 1753.

c: Bontekoe 1688. Erschien posthum.

d: Unzer 1769, Bd. 3, 74. Stück, Haller, 'Vom Zustande der Seele bey den Nachtwanderern'. J. A. Unzers Zeitschrift Der Arzt erschien ab 1759 (Unzer 1759-1764). 1760 gab es eine 2. Auflage, 1767/1768 eine 'Neue Ausgabe', 1769 erschienen Bd. 1-6 in der 'Neuesten Ausgabe' und 1769-1796 erschienen die 12 Bde. dieser Ausgabe in einem 2. Druck.

e: Knoll 1747.

f: Observationum et Curationum Chirurgicarum Centuriae war eine Fallgeschichtensammlung, jeweils 100 wurden veröffentlicht. Eine Gesamtausgabe erschien posthum (Hildan 1641).

g: Sammlung von Krankengeschichten: Platter 1614.

h: Heer 1630.

i: Wepfer 1727.

j: Horst 1593.