ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Johann Herrmann Simmen,
ein braver Soldat, ein zärtlicher Vater, liebreicher Gatte, ehrbarer, ordentlicher, stiller Bürger und — — kaltblütiger Mörder seiner Anverwandten. a

Pockels, Carl Friedrich

Das Leben dieses sonderbaren Mannes, so wie sein letztes trauriges Ende, welches er sich durch ein schwarzes Verbrechen selbst zugezogen hatte, ist in einer kleinen, sehr lesenswürdigen Schrift beschrieben*), 1 woraus ich hier einen Auszug mit Anmerkungen liefern will, der in einem Magazin der Erfahrungsseelenlehre allerdings einen Platz verdient, um so viel mehr, da obige kleine, vor sieben Jahren erschienene Schrift lange nicht so bekannt geworden ist, als sie es zu seyn verdient.

Der angezeigten Schrift ist ein Kupferstich des genannten Simmen beigefügt, woraus Lavater, dem es zugeschickt wurde, ohne daß man ihm eine [29]nähere Nachricht von Simmen mittheilte, schloß: daß es sicherlich das Profil von einem außerordentlichen Mann sey, der groß seyn würde, wenn er etwas mehr eigentlichen denkenden Scharfsinn, und mehr innige Liebe hätte. Etc. Aus dem vor mir liegenden Kupferstich erhellet nach meinem Urtheil, daß Simmen kein gewöhnlicher, kein gemeiner Kopf war. Zwar nicht denkender Scharfsinn, aber ein zum ernsthaften Forschen und Untersuchen aufgelegter Verstand leuchtet daraus sehr deutlich hervor, — eine feste Seele, ein kühner Character, ein beharrlicher Sinn, ohne einen Zug von Grausamkeit. Vielmehr glaub' ich in ihm einen nicht geringen Grad von Menschenliebe, von väterlicher Herzlichkeit, obgleich auch einer beigemischten Rohheit der Natur zu bemerken. Steifer Ehrgeitz und Streben nach Vorzügen zeichnet sich auch darin aus. Im Ganzen ists das Gesicht eines rechtschaffenen Mannes.

»Der Unglückliche, so hebt der Verfasser oben angezeigter kleinen Schrift an, war in seiner Kindheit ein flüchtiger Knabe, dem nichts weniger, als das Stillsitzen anstand, der in der Schule von den Grundwahrheiten des Christenthums, und dem Uebrigen, was zum Gebrauch des Lebens darin gelehrt wird, wenig begriffen, und kaum fertig lesen und seinen eigenen Nahmen schreiben gelernt hat. Dieß ist das Zeugniß, das ihm diejenigen geben, [30]die sich noch von jenen Jahren her seiner zu erinnern wissen.«

Der Verfasser obiger Schrift zeigt sehr gut, daß diese Schilderung uns keine widrigen Vorstellungen von seiner natürlichen Gemüthsart beibringen darf.

» Simmen zeigte frühzeitig Lust zum Soldatenstande. Die Begleiter seiner Jugend erzählen, daß er wöchentlich mit Holz nach der Residenz gefahren, wenn er aber solches verkauft, halbe Tage vor der Hauptwache daselbst gestanden, und den Soldaten zugesehen habe. Er ward denn auch in seinem 17ten Jahre Dragoner.«

Der Verfasser glaubt nicht, daß Simmen durch besondre Jugendfehler zu dem gedachten Stande gebracht worden sey. »Sein Verhalten in demselben macht es auch nicht wahrscheinlich, daß er aus Verlangen nach einer ungebundenen Lebensart zu seiner Wahl hingerissen sey, und die Erlaubniß zu dieser Freiheit beim Kriegshandwerk zu finden, irriger Weise geglaubt habe.«

»Er machte mit seinem Regimente im Dienste der Generalstaaten gleich anfangs den letzten Feldzug vor dem Aachner Frieden mit, kam aber bei dem Schluße des Krieges mit seinem Regimente wieder nach Hause. Er muß hernach als Soldat in Friedenszeiten Wohlverhalten, Ordnung und Unverdrossenheit bewiesen haben, da die ältesten [31]Leute von seinem Regimente ihm nichts übels nachzusagen wußten, und er den Beifall zweier seiner Befehlshaber hatte. Er bekam den 31sten Dec. 1758 von seinem Chef, einem erlauchten Herrn, einen ehrenvollen Abschied.«

»Der zweite Preußische Krieg rief ihn wieder ins Feld. Außer dem Fußvolk mußte sein Fürst auch den größten Theil des Dragonerregiments, unter dem Simmen stand, als ein Contingent zur Reichsarmee stoßen lassen. Simmen durfte mit marschiren; in einer altenburgischen Landstadt wird er aber von preußischen Husaren aufgehoben, durchs Erzgebürge nach Sachsen geführt, und nimmt unter dem berühmten Belling Dienste. Beim Aufbruch aus den Winterquartiren in Chemnitz und Eröfnung des Feldzugs 1759 rief ihn sein vorgedachter Chef unvermuthet vor die Fronte, erklärte ihn zum Unterofficier, und wünschte ihm dazu Glück, obgleich Simmen sich alle Mühe gab, die neue Charge zu verbitten. Bald darauf stieg er bis zum Wachtmeister, zum Beweis, daß er allen Muth, Entschlossenheit, Unerschrockenheit und Ordnungsliebe bewiesen haben müsse, die der Preußische Geist und die Preußische Zucht erfordern.«

»Im Jahre 1760 mußte er mit seinem Regimente nach Pommern, wo er bis 1762 gegen die Schweden fochte. 1762 gerieth er durch einen Zufall im Erzgebürge unter die Reichstruppen und [32]wurde von ihnen aufgehoben, durch List aber kam er zur Preußischen Esquadron zurück. Von Feldschlachten hatte er der bei Frankfurt an der Oder und bei Zorndorf, und außerdem sehr vielen Scharmützeln beigewohnt, bei welchen Gelegenheiten er denn unterschiedene Säbelhiebe bekommen. Er versicherte, daß ihm einigemal sein eigner Säbel vor der Faust weggehauen sey; Kugeln aber hätten ihm nichts gethan. Er bildete sich ein, fest dagegen gewesen zu seyn, und sagte mit Entdeckung eines wunderlichen Aberglaubens, der 91. Psalm habe ihn fest gemacht, den er allezeit ein- oder mehreremale vor dem Handgemenge gebetet habe. Dieses Geheimniß verdankte er einem Prediger zu Hirschberg, der vorher Feldprediger gewesen sey.«

»Nach seinen sechsjährigen Preußischen Kriegsdiensten bekam er von seinem Chef Erlaubniß, in sein Vaterland zu reisen. Der Kriegsdienst war die Schule, sagt der Herr Verfasser, in welcher dieser Mensch das sanfte, und den guten Anstrich seiner Sitten, auch die Geschicklichkeit, wohlzureden, gewann, und den ehrlichen, ehrbaren, feinen Mann so meisterhaft spielen lernte; daß er aber darin ein Mensch von guten, festen moralischen und Religionsgrundsätzen, ein Mensch von einem eigenthümlich guten moralischen Character geworden sey, das läßt sich nicht sagen. Genug, er lernte aus Bewegungsgründen von Anstand oder Uebelstand, von Ehre oder Schande, von Belohnung [33]oder Strafe, was gelobt würde, was ihm zur Empfehlung dienen könnte, nachahmen.«

»Freilich haben alsdann diejenigen nicht Unrecht, die ihn für einen feinen Heuchler erklären. Die Vorblicke von Ehrlichkeit, von Ehrliebe, von Güte des Herzens, die in seinem Betragen hervorstechen, könnten wir für nichts anders halten, als was Cicero in einer bekannten Schilderung: adumbrata non expressa signa virtutum & vitia radicibus quibusdam virtutum nixa nennt. In dem Falle, daß strafbare Begierden und Affecten sich seines Herzens möchten bemeistert haben, ist freilich alsdann nicht anders zu erwarten, als daß er diese Geschicklichkeit, sich zu verstellen, und einen guten Schein anzunehmen, mit zum Dienst seiner bösen Begierden angewendet, und er alsdenn als ein arglistiger böser Heuchler gehandelt haben werde.«

»1764 erhielt er, wie schon gesagt, Urlaub, und kam in dem nehmlichen Jahre glücklich und mit Ehren an seinem Geburtsorte an. Er fand hier nach seiner Zurückkunft allerlei Verstrickungen, die ihn zu dem Entschluß brachten, den er wohl bei seiner Abreise nicht gehabt hatte, seinen Dienst zu verlassen, und nicht wieder zu seinem Regimente zurückzukehren; er suchte beim Obrist von Belling um seinen Abschied nach, der ihm aber seinen Gesuch zweimal abschlägt.«

[34]

»Es kamen wohl bei ihm viele Bewegungsgründe zusammen, die ihn vermochten in seinem Vaterlande zu bleiben. Er hatte Freunde, die ihn dazu beredeten, und durch mancherlei Vergnügungen, die sie ihm machten, an sich zogen; vielleicht mischte sich auch die Liebe darein, nach welcher er sich kurz hernach zu seiner Heirath entschloß. Er kaufte sich also in seinem Geburtsorte an, ließ sich häuslich nieder, und trat zu einer Gesellschaft Viehhändler, die ihn zu den auswärtigen Geschäften ihres Handels gegen gute Vergeltung seiner Dienste gebrauchten. In der Folge aber gab die Verbindung mit seinen Handelsconsorten zu Irrungen Anlaß, woraus Schuldklagen erwuchsen. Wegen einiger derselben will man Simmen beschuldigen, daß er Schuldposten, die er für die Gemeinschaft gehoben hätte, abgeschworen habe. Er hat aber in sehr ernstlichen Unterredungen behauptet, mit Wissen nie falsch geschworen und allezeit ein Entsetzen vor falschen Eiden gehabt zu haben, mit Anführung des Denkspruchs des gemeinen Mannes: einen falschen Eid geschworen, heiße die Seele verloren.«

»Durch seine Verheirathung kam er mit dem, mit dessen Blute er sich befleckte, in eine doppelte Verschwägerung. Denn Simmens Weib war George Schmidts leibliche Schwester; und dieser hatte Simmens Schwester zur Frau.«

[35]

»Simmens Ehe ward einträchtig und gut geführt, ohne daß ein Theil über den andern Beschwerden geäußert hätte. Dem entgegen, was man von ihm vermuthen sollte, wird er von solchen, die sein Haus kennen, als ein gefälliger, sich sehr bequemender Ehemann beschrieben, der häuslichen, auch gewöhnlicherweise nur weiblichen Verrichtungen sich oft unterzogen habe.«

»Gegen seine Kinder soll er sehr nachgebend gewesen seyn, ob es ihm gleich sehr am Herzen lag, daß sie etwas lernen sollten, daß er Geld auf ihren Privatunterricht außer der Schule wandte, ihnen zum lernen, so gut er konnte, behülflich war, sie mehrmals selbst prüfte, und nach befundenem Zunehmen sich gegen ihre Lehrer sehr dankbar bewies.«

» Simmens neue Lebensart und Haushaltung an seinem Geburtsorte schien nun ganz gut eingerichtet zu seyn. Er hielt sich fein, sein Betragen war ordentlich, bescheiden und gesittet; auch selbst diejenigen, denen sein feines Betragen am verdächtigsten war, können ihm das Lob eines äußerlich ehrbaren, ordentlichen und stillen Mannes nicht versagen. Er erwarb sich dadurch Zutrauen und Ansehn, und weil sein guter Verstand, seine durch Erfahrung erworbene Kenntnisse, seine Bedächtlichkeit und gute Art zu reden dazu kam, wurde auch die Vormundschaft seines Orts bewogen, ihn zu ihrem Mitgliede anzunehmen. Er soll in dieser [36]Verbindung alle Obliegenheiten und Aufträge gut ausgerichtet haben.«

»Es kann ihm keine einzige Art öffentlicher, habitueller Ausschweifungen schuld gegeben werden. Er trank wohl eine Zeche mit, und konnte sie vertragen; aber er war kein Schlemmer von Profession, er wußte sich nicht nur vor Unordnungen in Acht zu nehmen, die beim Trunk vorzufallen pflegen, sondern hielt bei solchen Gelegenheiten immer selbst auf Ordnung, wehrte Händeln, stiftete Frieden, und ich habe rühmen gehört, daß wenn auch mehrere volle Tische mit einander in Zwist geriethen, er sie, wie der gemeine Mann sich ausdrückt, durch seine Redensarten zu befriedigen gewußt habe.«

»Eben so frei ist er von dem Verdacht geblieben, mit Personen andern Geschlechts ausgeschweift zu haben, seit der Zeit, da er den Säbel abgelegt und sich verheirathet hat. Er versicherte selbst, vor lüderlichen Personen dieses Geschlechts allezeit einen Abscheu gehabt zu haben.«

»Verschiedne Jahre ging es glücklich mit seinem Viehhandel, und seine Vermögensumstände schienen auf einem guten Fuße zu seyn. Allmälig aber wurde seine Familie zahlreicher. Er war schon ein Vater von drei Kindern, als die bekannten theuren Jahre einfielen. c Diese traurige Zeit wurde eine Ursach von dem ersten Verfall seines Vermögens und seiner Nahrung; — er mußte zusetzen, [37]und es war ihm nicht möglich, sich ganz wieder aufzuhelfen. Es entstanden zwischen ihm und seiner Handelsgesellschaft Zwistigkeiten, sie trennte sich von ihm, und er sollte nun für sich allein handeln; das konnte er aber nun mit seinem eigenen Vermögen nicht glücklich durchsetzen. Es ging nun nicht mehr so, wie er es wünschte, er konnte sich nicht mehr auf dem Fuße halten, wie er angefangen hatte; zum Bauer wollte er sich nicht ganz herablassen.« *) 2

[38]

»In dieser drückenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigem Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen und ins Reine bringen würde. Er folgte hier unsichern Hofnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelten. Mich dünkt, daß ihn die Begierde, größer zu scheinen, auch wohl größer zu werden, als er war, und noch einmal wieder einen verhältnismäßigen Character zu gewinnen, eben so sehr zu dem Schritte, den er hier that, verleitet haben möge, als der Drang häuslichen Mangels. Er entschloß sich, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Bürger und verkaufte sein Haus an seinem Geburtsorte an seinen Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, täuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie ab-[39]zuwarten. Er verlor darüber, daß er sich fremden Angelegenheiten unterzog, vollends alle Vortheile seines bisherigen Handels und voriger Einrichtung, und durch mehrere Umstände, die dazu kamen, wurde dieses der Schritt zu seinem Fall und Verderben.«

Vorzüglich aber scheint mir in folgenden Umständen die eigentliche Vorbereitung zu seiner abscheulichen That gelegen zu haben. »Es entsponnen sich über den Hauskauf allerlei Entzweiungen zwischen ihm und seinem Schwager, die bis zu einer tödtlichen Verbitterung anwuchsen. Dieser bezahlte von dem Hauskaufsgelde, womit sich Simmen zu helfen gedacht hatte, nicht nur ein darauf haftendes größeres Capital, das mit Willen des letztern geschehen seyn soll, sondern auch andre kleine Posten wider seinen Willen. Simmen glaubte, daß derselbe dabei auch seine Gläubiger, die auf andre Art vortheilhafter für ihn hätten befriedigt werden können und sollen, unredlicher Weise selbst aufgereitzt habe, so daß ihm hierdurch nicht nur das Kaufgeld zersplittert und seine Hülfe benommen, sondern auch die Bezahlung des Geldes zu seinem mehrern Ruin und dem Contract zuwider verzögert sey. Aus dem Wortwechseln hierüber entstanden ferner auch wohl Thätlichkeiten und Injurienklagen, wodurch der Groll des, besonders durch die letzte Art Klagen, mehrmals empfindlichst gereitzten Wachtmeisters immer stärker aufloderte. — Hierzu [40] kam noch, daß Schmidt seine Schwiegereltern, als Simmens Vater und Mutter, geschlagen, und seine erste Frau, als Simmens Schwester, und welche dieser sehr geliebt, sehr übel gehalten habe, wenigstens hat Simmen dieses in seinem gerichtlichen Verhör behauptet, und als eine Hauptursache seines fürchterlichen Hasses angegeben. Weil aber endlich Schmidt sich auch immer in Absicht seiner äußern Lage besser, als der Wachtmeister, befand, so kann daher wohl einige Eifersucht in die Verbitterung des letztern sich mit eingemischt haben. Das konnte der Wachtmeister selbst nicht läugnen, daß er in dieser Gemüthsfassung seinem Schwager öffentlich und vielleicht mehrmals Rache gedrohet und geschworen habe.*) 3 Die nächste Ursach des [41] Ausbruchs seiner Wuth war unstreitig die, daß er von seinem Schwager einen Vorschuß zu erhalten versuchte, welcher ihm auch vom letztern versprochen wurde; nachmals aber sich von der Erfüllung dieses Versprechens wieder ablenken ließ.«

»Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Unglücklichen eigenen Worten beschreiben. Kein Haus! keine Hülfe bei Freunden! keinen Trost! keinen Credit! da mir sonst jeder ein paar hundert Thaler zu borgen bereit war. Hierzu kamen nun noch der Drang von Gläubigern und zu fürchtende Rechtshülfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, dazu kein Mittel zu wissen, und wer weis, was noch mehr, das verborgener ist? Man denke sich hier den Mann, der gewohnt war, seine Rolle mit Ansehn, ja mit einigem Glanz zu spielen, dem es der Stolz unerträglich machte, sich so weit herunter zu lassen, als ihn nun seine Umstände herabzusetzen droheten, der weder die Gründe der Vernunft, noch der Religion so gefaßt, oder im Herzen hatte, daß sie dasselbe hätten beruhigen, aufrichten und bei Muth erhalten können! Wenn er gewohnt war, so wie ers wirklich war, bei dem allem im Resultat zu denken — und an dem allen ist dein Schwager schuld; so muß man vor dem erzittern, was bei der Unbändigkeit einer solchen Gemüthsart, wie die Simmische, von starken, [42] schwermüthigen Affecten war, endlich zu fürchten schien.«

»An einem unglücklichen Sonntage durchbrach der Damm seiner Verzweiflung und Wuth. Simmen besuchte früh den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt aufmerksam zugehört habe. Den Nachmittag ging er über Feld, einiger Geschäfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche.«

»Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bei einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl noch selbst seinem bösen Vorhaben zu entgehn: denn es zog ihn wohl das innere Gefühl noch zurück. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die böse Seite, und wandte nicht Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beim Weggehen von seinem Besuch und bei seiner Wiederkunft zu Hause, daß er nicht recht wohl sey, und ging, zu seinem Verderben, auf das zweite Stockwerk, allein zu schlafen. Der Vorsatz, die Mordthat zu verüben, drang sich immer mehr in seiner Seele vor; er faßte den Entschluß, und machte Anstalten dazu, doch alles noch mit innerlichem Widerspruch und Widerstreben. Er gerieth darüber in einen Schlummer, fuhr aber aus demselben, wie er es bei der Abzeichnung seines [43] Bildes erzählte, gegen eilf Uhr plötzlich und voll von einer Wuth auf, die ihn so gedrängt, daß er sich nicht zu helfen gewußt hätte, und wie verdüstert zur Ausführung fortgegangen sey.«

»Anderthalb Stunden brauchte der Unglückliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm höchst bekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklären steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affecten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehen gebracht habe. Sehr sonderbar ist folgendes Geständniß des unglücklichen Mannes: Ich würde, sagte er, wenigstens diesmal, vielleicht aber auch aufs künftige, mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Wächter auf der Straße begegnet wäre, oder ich bei der Einlassung in das Mordhaus einige Schwierigkeiten gefunden hätte. Aber selbst den Zufall, daß ihm nichts hinderlich gewesen sey, nahm der Unglückliche als ein Kennzeichen an, daß sein Vorhaben ein Verhängniß sey, ja noch damals, wie ich ihn dieses habe erzählen hören, suchte er darin eine heimliche Entschuldigung seines Verbrechens, die mir bedenklich war.«

» Simmen taumelte aber nun dahin, wo er die Verbrechen begehen wollte, so schwankend, so [44] verblendet, so verdüstert, wie schon gedacht. Er fand noch Licht im Hause, und klopfte, wie er es erzählte, leise an. Seine Schwägerin sahe heraus, fragte ihn, auf seinen Gruß und Bitte, eingelassen zu werden, wo er so spät herkomme? glaubte seinem Vorwande, über Feld herzukommen, ließ ihn ein, und führte ihn in die Stube, wo er seinen spät heimgekommenen Schwager im Bette, wie man sagt, etwas berauscht, aber noch nicht völlig eingeschlafen fand. — Alles also so leicht, so bequem. Nun ward sein Entschluß fest.« —

» Simmen ward von seiner Schwägerin willig und freundlich aufgenommen, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß sie einen Erbitterten einlasse, der mit Hülfe der Nacht ihr Mörder werden könnte; noch mehr, sie bietet ihm zu essen an, und nimmt ein Licht, um ihm noch um Mitternacht Sauerkraut aus dem Keller zu holen, davon er, wie sie wußte, ein Liebhaber war. Der unempfindliche Mörder legte bald darauf seine eben angebrannte Tabackspfeife wieder hin, — schleicht ihr nach, — nimmt ihr das geholte Sauerkraut ab, das sich nachher noch in der Stube fand, — giebt ihr aber zugleich unversehens mit einem dazu mitgenommenen und unter dem Rock verborgenen Knittel noch in dem Keller, als sie eben im Begriff ist, wieder herauszugehen, auf der untersten Stufe einen schweren Schlag auf den Kopf. Sie behält noch so viel Bewußtseyn, daß sie ihm zuruft: [45]warum er das an ihr thue? aber weder die Wuth, noch die einmal gewagten argen Vorschritte, ließen ihn zurückgehn. Er giebt ihr noch einige Schläge, und da sie noch immer wimmert, nimmt er sein gewöhnliches schlechtes Taschenmesser, und giebt, wie er es erzählte, um ihr von ihrer Qual zu helfen, ihr noch einige Stiche und Schnitte, das er selbst im Dunkeln, weil das Licht ausgegangen war, nicht hätte unterscheiden können. Verläßt darauf den Keller, ungewiß, ob sie ganz todt sey, sieht auch weiter nicht nach ihr, sondern legt nur, als er wieder aus dem Hause ging, den Keller zu. Bei der Section haben sich an ihr acht Wunden, theils vom Schlag, theils vom Messer gefunden, davon zwei für schlechterdings tödlich erkannt sind, ihr Blut aber war bis sechs Schuh weit von ihr gesprungen. Auch diese umzubringen, hatte er den Vorsatz später gefaßt, und daher nichts bedrohliches sich gegen sie früher verlauten lassen. Zur Ursach hat er angegeben, weil sie ihn und seine Frau vielmals sehr arg und empfindlich geschimpft, diese auch sogar vor kurzem sehr geschlagen habe: auch der Antheil, den sie an der Verweigerung des Vorschusses hatte, den ihr Mann kurz vorher dem Erbitterten versprochen gehabt, gehört wohl mit zu diesen Ursachen.«*) 4

[46]

»Nach Verübung dieser Grausamkeit ging Simmen wieder in die Stube, fand seinen Schwager im Bette unterdessen eingeschlafen, und gab ihm zwei bis drei Schläge auf den Kopf, so daß derselbe keinen Laut mehr von sich gegeben haben, sondern auf einmal ohne einige starke Bewegung erstarrt liegen geblieben seyn soll. Es war auch die halbe Hirnschaale entzwei und in das Gehirn selbst hineingedrungen, auch das rechte Ohr von einander geschlagen; doch gab er noch bis in den andern Tag hinein, obgleich sinnlos, einige Zeichen des Lebens von sich.«

[47]

»Nach Simmens Aussage geschahe es bei dem zweiten Schlage, der den Vater traf, und deswegen auch seine meiste Kraft verloren hatte, daß das Schmidtsche vierjährige Kind, welches beim Vater im Bette lag, und der Thäter vorher nicht bemerkt haben will, sich in die Höhe richtete, und mit von eben dem Schlage auf den Kopf getroffen ward, welches er denn, bevor er aus dem Hause gegangen, noch mit Kissen zugedeckt haben will, das aber nachmals nach des Vaters Füßen zu auf dem Gesichte liegend mit noch einigen Kennzeichen des Lebens gefunden ward.«

»Eine ältere Tochter des Erschlagenen schlief indessen auf einer andern Kammer, und hörte von dem allen nichts. Simmen konnte deswegen nach verübten Verbrechen unbemerkt aus dem Hause gehn; das that er aber erst, nachdem er vorher aus der Weste des sinnlos liegenden Mannes den Schlüssel zu dessen Geldschränkchen gezogen, und demselben das darin vorräthige Geld, nach seiner Aussage beinahe ein Dutzend Thaler, weiter aber nichts, genommen hatte. Er hat auch eingestanden, auf dieses Geld zugleich mit Absicht gehabt zu haben. Ich glaube es leicht, vermuthe aber, wiewohl er damals wegen Geldes von mehr als einer Seite im Drang war, daß der Gedanke an dieses Geld sich doch erst spät an den ältern Gedanken auf Rache angeschlossen, und, weil er seinen Schwager als die Ursache seines Ruins ansahe, er sich für [48] nicht unberechtiget gehalten habe, auch durch das Geld, so er bei ihm finden würde, sich schadlos zu halten und aus seinem Drange zu reißen.«

»Was ich jetzt anführen will, hat er zwar nur außergerichtlich geäußert; es wird aber durch die Zusammenbestimmung mit den übrigen Umständen glaubhaft; daß nehmlich sein Vorsatz gewesen sey, im Ueberdruß seines Lebens, als ein doch ruinirter Mensch, nach verübten Mordthaten, sich selbst abzuhelfen, und zwar, wie er sagte, zu ersäufen; wozu er doch hernach nicht kommen können, wovon Gottes Hand ihn müßte zurückgehalten haben; er sey vielmehr die ersten Stunden nach dem Mord ganz ruhig, ja vergnügt gewesen, habe aber, als er nach und nach zum Nachdenken gekommen, den Willen gehabt, sich selbst der Gerechtigkeit zu überliefern, wiewohl ihn wieder der Gedanke, daß doch wohl niemand auf ihn Verdacht haben, und er durch die Anzeige nur Frau und Kinder unglücklich machen werde, von dieser eigenen Anzeige, so wie von der Flucht, so lange zurückgehalten habe, bis er zur Haft gebracht sey; auch da habe ihn noch Anfangs der Gedanke blenden wollen: du kannst vielleicht mit Läugnen durchkommen; sobald ihm aber die Anzeigen seines Verbrechens unter die Augen gehalten worden, sey ihm der Gedanke aufgefallen: Gott hat dich entdeckt, du willst's gestehen. Nun überlasse ich meinen Lesern, mit diesem von ihm selbst angegebenen Gange seiner Ge-[49]danken, den fernern Gang seiner Geschichte zu vergleichen.«

»Ruhig also, ja vergnügt über seine Grausamkeiten, verließ der Mörder das Haus, in welchem er sich so vielfach mit Blute befleckt hatte, wusch Knittel und Messer im Schnee ab, wiewohl er hernach das letzte aus Abscheu nicht wieder brauchen mögen, machte sich auf den Weg und kam unbemerkt in seine Wohnung zurück. Am nächsten Morgen ging er auf einige Dörfer, wohin er sonst seinen Viehhandel gehabt, und wo er noch einige Reste einzufordern hatte; und bis gegen Mittag, versichert er, sey er noch in diesem Rausch seiner Seele gutes Muths gewesen; alsdann aber sey er unruhig geworden, und habe von selbst angefangen, nachzudenken, was er verübt habe. Damals mögen denn auch wohl die Versuchungen bei ihm wieder erwacht seyn, sich selbst das Leben zu nehmen, wozu er aber, nach seinen Privateröffnungen, nicht habe gelangen können.«

»Unterdessen war am Orte der Entleibten am Morgen nach der That es einem Nachbar befremdend vorgekommen, noch um sieben Uhr die Fenster des Schmidtschen Hauses geschlossen zu sehen. Er gehet also hinzu, findet das Haus unverschlossen, und beim Eintritt in dasselbe die mittlere, etwas blödsinnige Tochter, die deswegen der Mörder auch zu verschonen willens gewesen seyn will, eben aufgestanden, noch erst halb angekleidet, und [50] noch unwissend, was geschehen sey. Er geht darauf in die Stube, findet den Mann im Blute, sinnlos und bei ihm die jüngste Tochter in der schon gedachten Lage, ruft darauf voll Bestürzung des erschlagenen Bruders, und beide zeigen es gehörigen Ortes an.«

»Ungesäumt wird der Amtsobrigkeit Bericht erstattet, die schleunig Arzt und Wundarzt mitbringt, deren Hülfsversuche aber nichts hoffen ließen. Indessen war die Frau, auf welche anfänglich der Verdacht des Mords, auch bis zur genaueren Untersuchung, des Selbstmords, geworfen worden war, im Keller gefunden.«

» Simmen war nun ebenfalls wieder nach Hause gekommen. Seine Frau hatte ihn durch einen Boten die Nachricht von der Ermordung ihres Bruders und Schwägerin wissen lassen, und mit demselben war er den Tag nach der That, früh, über die Residenz wieder zurück gegangen, wo auch schon einiger Ruf von diesen Mordthaten erschollen war. In derselben hätte sich Simmen an einigen Orten, wo er einsprach, und viel von dieser unglücklichen Begebenheit geredet wurde, beinahe, und zwar an dem Einen durch seine Aengstlichkeit und Zittern, die ihm nicht einmal ein angebotenes Glas Brandwein auszutrinken, oder einen Anbiß zu nehmen verstattete, verrathen, auch sich dadurch blos gegeben, daß er sich, in dem Gespräch, von [51] freien Stücken verlauten ließ: Der erschlagene Schmidt habe nicht viel Geld bei sich gehabt. Am andern Orte, wo die älteste Schmidtische Tochter Amme war, die er aber wider seinen Willen nicht zu sprechen bekam, weinte er, und hielt sich nicht lange auf; an dem dritten aber verbarg er die Unruhe seines Gewissens durch eine angenommene Freimüthigkeit größtentheils, so, daß er daselbst einige Tassen Caffee mittrank, eine kleine Schuldpost bezahlte, und wieder etwas Waare gegen Bezahlung mitnahm; es entfuhr ihm blos ein tiefer Seufzer, mit den Worten: Er würde doch wohl auch durch dieses Unglück zu thun bekommen! Er besann sich aber hierbei wieder, und half sich durch; man frug ihn, wie er denn das meinte? und er war mit der Antwort fertig: daß er doch wohl Vormund der Schmidtischen Kinder werden müßte. Indessen verrieth sich seine Unruhe und Angst durch ein verstörtes Wesen der Magd im Hause so, daß sie auch, als Simmen weg war, ihren Verdacht nicht bergen konnte, und sich deswegen mit ihrem Herrn überwarf. Es ist kaum zu glauben, daß ein Mensch so sehr seine Empfindungen unterdrücken, oder so geschwind und in der Maße, eine Person annehmen, und wieder eine Rolle spielen kann, die demjenigen so zuwider ist, was in seinem Herzen vorgeht; aber er that entweder das erste oder bewies das letzte, doch stuffenweise, an dem zweiten Orte noch nicht so mei-[52]sterlich, als an dem dritten Orte, wiewohl doch auch da noch nicht ganz vollkommen. Noch unglaublicher wäre es aber, wenn man nicht mehr dergleichen Exempel von Verbrechern hätte, daß er gleich nach seiner Zurückkunft das harte Herz gehabt, in das von dem Blute, das er vergossen hatte, noch beschwemmte Haus hinzugehen, und, zu der Zeit der Section der Erschlagenen, wo alles in größter Betrübniß war, vor den Augen der durch ihn verwaisten Kinder zu stehen.«

»Indessen verfolgte ihn die Rache geschwinder als er, der zur Flucht Gelegenheit und Zeit genug hatte, und schon in fremder Herrschaft war, wirklich aber nicht darauf gedacht zu haben scheint, sich es wohl einbildete. Die älteste Schmidtische Tochter, deren wir schon gedacht haben, erklärte, sobald sie von der Ermordung ihrer Eltern hörte, den Wachtmeister Simmen laut und öffentlich für den Thäter, behauptete es auch, als sie gerichtlich deswegen vernommen ward, und gründete sich auf die vieljährige Feindseeligkeit desselben gegen ihren Vater, auf die letzte Verweigerung des von ihm bei ihrem Vater gesuchten Geldvorschusses, und vornehmlich auf die vielfältigen Drohungen, deren Simmen sich habe verlauten lassen, ihren Vater aus Rache umzubringen. Dieses gab den Anlaß zu weiterer Untersuchung der Sache, und zuvörderst zur Inhaftirung des Wachtmeisters. Un-[53]versehens wurde er auf öffentlichem Markte, wo er Frucht handelte, eingezogen, wobei sogleich die Verändrung der Farbe und starkes Zittern sein böses Gewissen den Zuschauern merklich verrathen haben soll. Zugleich wurde aber auch zu einer Haussuchung bei dem Arretirten geschritten. Bei derselben fand sich ein blutiges Oberhemd, an dem die Flecken nur halb ausgewaschen waren, so wie auch Beinkleider, an denen Blutflecken zu bemerken waren; ein Beweis, daß den Mörder damals seine Geistesgegenwart und sein Scharfsinn größtentheils verlassen gehabt, da er nicht bedachte, daß ihn diese Anzeigen noch immer verrathen könnten.«

»Im ersten Verhör schien es anfangs, er werde sich aufs Läugnen und auf seine Verstellungskunst verlassen. Bewegliche und überführende Vorstellungen wollten lang nichts bei ihm verfangen, bis ihm, mit einem Feuer und ernstlichen Anrede, von seinem, sich hier vortreflich zeigenden Richter, das blutige Hemd unter die Augen gehalten wurde. Dieses machte ihn bestürzt, und, nun außer Fassung, gab er gute Worte, ergriff die Hand des Richters, versprach alles zu gestehen, und that es auch wirklich, unterwarf sich der Strafe, und bat nur um Beschleinigung seines Processes.«

»Wo war nun der Mann, der noch vor drei Tagen so geschwind über die Schrecken seines Herzens Herr werden, und mit eben so viel Selbstbe[54]zwingung, als Kunst, den Unschuldigen, den Unerschrockenen sogleich wieder vorstellen konnte? Aber hier erfuhr er auch wohl zum erstenmal die Kraft des Gewissens recht; bisher hatte es ihn beunruhigt, erschreckt, zitternd gemacht; aber zum freien Geständniß hätte es ihn, ohne diese Ueberraschung, vielleicht niemals, oder etwa erst an der Schwelle des Todes gebracht. Wenn er dem Gerichte bekannte, er sey entschlossen gewesen, ihm freiwillig sein Verbrechen zu bekennen, so betrog er sich wohl selbst dabei; er hielt Trieb und Drang seines Herzens, zu bekennen, für Entschluß; aber von demselben würde er sich wohl noch lange losgewunden haben, wenn er nicht so überrascht worden wäre, nicht so schnelle Eindrücke von der ihn verfolgenden göttlichen Gerechtigkeit bekommen hätte; und Peinlichkeiten selbst, wenn auch die vorliegenden Anzeigen für stark genug darzu geachtet worden wären, dürften ihn hernach schwerlich zum Bekenntniß gebracht haben, wenn er vermögend gewesen wäre, sich auch hier noch zu verhärten. Er erkannte das auch selbst nachher, und seine Entdeckung für göttliche Wohlthat; ich würde sonst noch viel verstockter und viel verwegener geworden seyn, war sein Ausdruck davon gegen seinen Beichtvater, dem ich die Nachrichten von seinen letzten Wochen und Todesbereitung, so wie mehr andre, verdanke, die mir sonst unbekannt geblieben seyn würden.«

[55]

»Nach dem Geständniß, und während der Erwartung, zu welcher Genugthuung die menschliche Gerechtigkeit ihn verurtheilen werde, blieb er bei einem Betragen, das die Aufmerksamkeit des Menschenforschers auf sich zog. Ueberhaupt war es demjenigen ähnlich, davon ich in der Nachricht von seiner Abzeichnung gedachte, und das ich damals einige Stunden zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich weiß, daß die Meinungen darüber sich oft sehr getrennt haben. Da er fortfuhr, mit seiner Bescheidenheit und Höflichkeit die größte Gelassenheit zu verbinden; so hielten einige ihn für fühllos und verhärtet, andre für standhaft und unerschrocken; sein Blick hatte aber dabei nichts wildes, seine Reden nichts ungestümes oder verwirrtes. Er bezeigte nie ein Mißfallen, wenn andere kamen, ihn zu sehen, und wenn es solche waren, die er kannte, oft ein Wohlgefallen und Erkenntlichkeit. Er behielt eine gewisse Freimüthigkeit im Anblick und im Reden, und ein freundliches Lächeln in der Mine, das manchen, die es nicht begreifen konnten, Leichsinn und Frechheit schien. Was ihm von unziemlichen Betragen in der Haft nachgesagt wird, sind sicherlich Mißdeutungen falsch erhorchter Worte, oder muthwillige Erdichtung. Er blieb sich insgemein gleich, mogte wohl essen und hatte einen guten ruhigen Schlaf, so, daß von denen, die ihn am genauesten beobachten konnten, einsmals einer sagte, der Wachtmeister müsse ein sehr gut Gewis-[56]sen haben! ein Urtheil, das vermuthlich paradoxer klingt, als es gemeint war, vielleicht aber auch auf Spuren der Denkungsart des gemeinen Mannes führen möchte, wenn wir ihm nachgehen könnten. Für Dummheit konnte man dieses ruhige Wesen nicht halten, denn übrigens zeigten seine Reden und Erzählungen noch eben den guten Verstand, der ihm Achtung erworben hatte. Daß es Verstellung gewesen, um ein heimliches Vorhaben, etwa der Flucht, oder Selbstentleibung, zu verbergen, hat auch im geringsten keine Wahrscheinlichkeit; man hat nie etwas bemerkt, daß auch nur auf eine entfernte Art darzu angelegt hätte scheinen können. Noch weniger konnte er sich wohl mit der Hoffnung täuschen, das Leben zu erhalten. Dasjenige, was ihm bei seiner Erzählung weich machen und Thränen ablocken konnte, waren, lange Zeit, nur seine Frau und Kinder, und das obengedachte vierjährige Schmidtische Kind; für die erstern bat er viel; soll ihnen auch, was ihm von Personen, die ihn in seinem Arrest besuchten, etwa geschenkt worden, alles geschickt, und kaum davon wenige Pfennige, zu einem Maaß Bier oder Trunk Brandwein, für sich behalten haben; das letzte, das Schmidtische Kind, nannte er unschuldig, wollte aber, wie man merken konnte, damals noch damit sagen, daß seine Rache an dessen Eltern nicht ungerecht gewesen sey.«

[57]

»Sollte ich irren, wenn ich glaube, daß er, seit seiner Haft, wirklich entschlossen gewesen und geblieben sey, zu sterben, nachdem er einmal auf der Welt ein so verdorbener Mensch geworden war, daß er sich also vor dem Tode an sich nicht gescheuet habe, obgleich für gewissen Graden der Schande im Tode, und daß er es für anständiger gehalten, öffentlich mit einer Standhaftigkeit zu sterben, als auf eine feige Weise sich heimlich das Leben zu nehmen? daß er aber auch dabei mit seinen Sophistereien von der Unvermeidlichkeit seines Schicksals, und von der Verminderung seiner Schuld dadurch, daß er ein Werkzeug zur Ausführung des Willens Gottes, und zwar zur Wegschaffung böser Menschen, gewesen sey, eine gute Zeitlang sich getäuscht und eingeschläfert habe? Mir selbst wenigstens ließ er noch dergleichen merken, und äußerte sich sogar, als er auf das Gute geführt wurde, das ihm doch auch in seiner Haft, und besonders durch sein sehr leidliches Gefängniß und Ketten, noch wiederfahre, habe er doch auch nichts so böses gethan! Daß aber bei seinem Scheu vor dem Selbstmord auch etwas religiöse Gewissenhaftigkeit mit eingemischt gewesen seyn möge, ist nicht unwahrscheinlich.«

»Nach und nach erkannte er aber die Unmoralität seines Verbrechens, und fühlte sich überzeugt, daß er sich von seinem Falle die Schuld allein zuschreiben müsse; daß er die Sorgfalt und Mittel [58] seinen grausamen Leidenschaften zu widerstehen, die doch in seinen Kräften gewesen, nicht angewandt, daß ihm sein Gewissen Warnung genug gegeben habe, die er nicht geachtet, die er unterdrückt hätte. Er hat auch freimüthig bezeugt, sein Verbrechen wäre ihm so erschrecklich vorgekommen, daß er zur Verzweiflung an Gottes Gnade gebracht werden wollen; er habe sich aber an die Verheissungen des göttlichen Worts und die evangelischen Trostgründe festgehalten, eifrigst gebetet, und dadurch zu der Barmherzigkeit und Gnade Gottes, durch Christum, wieder ein Vertrauen gewonnen.«

»Er gab Beweise einer innigen Reue, nicht nur über seine letzten Missethaten, sondern auch über alles Gott mißfällige, das er nun in seinem Wesen und Thun gewahr werde. Ich müßte mir, sagte er, selbst feind seyn, wenn ich diese Zeit, die ich noch habe, nicht rechtschaffen anwendete, meiner Begnadigung von Gott und guter Hoffnung in und nach dem Tode mich zu versichern, — und die That bewies es.« —

»Der Ausdruck, den er auf die Befragung, wie er sich finde? mehrmals in der letzten Zeit brauchte: traurig und freudig, und in den letzten Tagen: — mehr fröhlich als traurig, — war so natürlich, daß man ihn für die Sprache des Herzens halten mußte, und begriff wohl nichts weniger, als was man von Reue und Glauben in der christ-[59]lichen Bekehrung verlangt. Keine Betrachtungen rührten ihn so sehr, als die Betrachtungen der allzeit erfahrnen göttlichen Güte, und der Leidensgeschichte, besonders auch der letzten Worte, seines Erlösers; sein liebstes Lied, womit er sich auch aus seiner Haft heraus zu seiner Hinrichtung führen ließ, war das Libichische: »Ich werfe mich in deine Hände etc.«

»Es brach aber seine Reue nicht in heftige Ausbrüche des innern Schmerzes, in Wehklagen und in Winseln aus, sondern zeigte sich in einer etwas tiefsinnigeren Niedergeschlagenheit, in einer stillen Wehmuth, und mit unter durch das Herabfallen einiger Thränen. Ich glaube auch, daß es zu viel gefordert sey, von allen Gemüthsarten jene heftigern Ausdrücke zu verlangen, ob es mich gleich nicht befremdet, daß auch zum Theil denen, die an seiner letzten Bereitung arbeiteten, dieses Betragen eine Zeitlang zweideutig, und Simmens Gemüthszustand räthselhaft oder verdächtig vorkam. Es läßt sich nichts anders vermuthen, als daß er sich bei ungleicher Behandlung etwas ungleich gewesen seyn, daß sein Herz sich bei einem rauhen Ton verschlossen, bei der Stimme des Mittleids und Wohlwollens aber geöffnet haben müsse; denn so ganz und so geschwind konnte er wohl alle Empfindlichkeit seines Characters nicht ablegen; oder so lange er noch zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, immer ganz derselbe seyn.«

[60]

»Er hat allen, die zu ihm kamen, ihn auf christliche Betrachtungen zu führen, nicht nur Bescheidenheit, Aufmerksamkeit und Geduld, sondern auch Ehrerbietung, auch Dankbarkeit bewiesen, und sich mehrmals ihren ferneren Zuspruch ausgebeten; insgemein las er auch, was er von dem wieder nachlesen konnte, was vorgekommen war, z.E. Gesänge, mit eigener Ueberlegung, wieder nach. Sein Beichtvater versicherte mich, daß er mehr Erkenntniß der christlichen Religion, und mehr Bekanntschaft mit unsern christlichen Andachtsbüchern, bei ihm gefunden habe, als er ihm zugetraut hätte: er hat aber auch, nachdem er ein Landmann geworden war, die öffentlichen Andachten ordentlich abgewartet, und vielleicht, als Vater, manches wieder durch seine Kinder gelernt. So werde ich auch absonderlich versichert, daß er sich geäußert: er habe Gott niemals vergessen, und niemals gänzlich das Gebet verabsäumet, aber freilich wohl meistens ohne Ueberlegung und Andacht gebetet, er fühle es nun wohl, daß sein Herz von der rechten Liebe Gottes leer, und er besonders zu stolz gewesen sey, bei der Verschlimmerung seiner Umstände, Gottes Regierung zu erkennen, und sich unter dessen Hand zu demüthigen; daß er sich überhaupt mehr nach Menschen, als nach Gott bequemt und geschmiegt habe, daß es ihn jetzt besonders kränke, seinem Schwager zu einer Zeit das Leben genommen zu haben, da er Ursach hätte, seiner guten Bereitschaft wegen [61] besorgt zu seyn, daß es ihm nahe gehe, so vielen Menschen Leiden, Unkosten, Beschwerden und Versäumniß verursacht zu haben. Dieses alles sind doch wohl unmöglich Aeußerungen eines Gedankenlosen, Gefühllosen oder Heuchlers? Er hat vielmals mit allen äußerlichen Beweisen der Aufrichtigkeit, die man verlangen kann, jene Reue, deren ich schon gedacht habe, bezeugt und lebhaft zu erkennen gegeben, wie sehr er nun fühle, sich an Gott selbst durch beide Verbrechen, den Mord und Diebstahl, vergriffen, und die Strafen des weltlichen Richters verdient zu haben, wie willig er sich auch denselben unterwerfe, und seinem Tode gelassen entgegensehe; doch hat er auch in der feierlichsten Stunde versichert, er habe keine andere Verbrechen der Art, wie seine letzten waren, sich vorzuwerfen. So weit Menschen urtheilen können, könnte man nicht zweifeln, daß seine Bekehrung aufrichtig sey. Denn er bezeigte bei seinen evangelischen Hoffnungen ebenfalls von der göttlichen Allwissenheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit eindrucksvolle Ueberzeugungen zu haben; er betheuerte ein Leben nach dem Tode und künftiges Gericht ungezweifelt zu erwarten, aber doch einen gnädigen Richter und einen unverdienten Antheil an der Glückseeligkeit jenes Lebens sich zu versprechen. Er versicherte mit einem Herzen zu sterben, das allen aufrichtig vergebe, die ihm Unbilligkeiten bewiesen hätten; aber auch alle wehmüthigst um Verzeihung bitte, die er [62] auf irgend eine Weise beleidiget oder gekränket hätte, und ersuchte seinen Beichtvater, alle und jede zusammen, Stadt und Land, die er durch sein Verbrechen gedrückt, beschwert, betrübt und geärgert habe, in seinem Namen um Vergebung zu bitten.«

»Sein Vater, ein zweiundachtzigjähriger Greis, wurde vermocht, den Sohn noch einmal zu besuchen, der von ihm Vergebung alles dessen, worin er etwa seine kindliche Pflicht aus den Augen gesetzt haben möchte, auch der letzten Kränkung durch sein Verbrechen, wehmüthig suchte, und sie unter guten Ermahnungen und Wünschen vollkommen erhielt, auch dagegen den kummervollen Greis bat, seines Endes wegen sich zu beruhigen: da er versichert sey, daß er Vergebung und Gnade von Gott habe, und ihn bat, seiner Kinder sich noch ferner anzunehmen, das der Greis auch willigst zusagte, und der Sohn ihm hingegen versprach, daß er auch seinen Kindern, dessen Enkeln, beim Abschied von ihm anbefehlen wollte, ihm in allen gehorsam und beiständig zu seyn. Der nun beruhigte Alte war so froh, daß er sich Kräfte wünschte, dem besten Fürsten sich zu Füßen zu werfen, und ihm für die seinem Sohn erwiesene unverdiente Gnade des gemilderten Todesurtheils danken zu können.«

»Zween Tage vor seinem Ende nahm der Unglückliche, in Gegenwart seines Beichtvaters, von [63] seiner Frau und Kindern einen Abschied, der nicht zärtlicher und rührender seyn konnte. Die Worte flossen ihm jetzt nicht, weil sein Herz zu beklemmt war und zu viel litte; seine Frau aber, die zu wiederholtenmalen bezeugte, daß er ihr niemals etwas zu leide gethan habe, konnte sich kaum von ihm losreissen, und sein jüngstes Kind nahm er auf den Schoos, und drückte es so weich an seine Brust, daß alle Anwesenden mit ihm weinen mußten. Diese rührende Scene bestätigte feierlichst alles gute, was ich von seiner Ehe geschrieben habe. Von allen nahm er einzeln Abschied, aber seine Minen redeten mehr, als sein Mund. Er versicherte den Morgen darauf, daß er in diesen Empfindungen zu väterlichen Vermahnungen unvermögend gewesen wäre, durch eine Tochter aber, die unterdessen wieder bei ihm gewesen, es nachzuholen gesucht habe. Er hat auch an demselben Abend, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, einen Knaben, seinen Paten, der Abschied zu nehmen kam, beweglich ermahnet, Gott vor Augen zu haben und sich für Sünden zu hüten. Aus Vorsorge für die Seinigen, denen etwa Mildthätigkeit dadurch erweckt werden könnte, verlangte er bei seiner Ausführung von seinem jüngsten Sohne begleitet zu werden, weil er aber selbst empfand, daß ihn der Anblick leichtlich stören und zu weich machen könnte, stand er davon ab; seinem Begehren aber geschahe doch, auf eine ihm unmerkliche Art, Gnüge.«

[64]

»Auch diejenigen, mit denen er in Streit gewesen war, kamen von ihm Abschied zu nehmen, und freuten sich nachher innigst, sich mit ihm ausgesöhnt und ihn in der guten Gemüthsfassung gefunden zu haben, bewiesen auch, daß es ihnen anliege, in den Stücken, die sie selbst angingen, den nachtheiligen Vermuthungen und Urtheilen von Simmen zu steuren. Bei einem solchen Besuch entfuhren ihm ein paar Worte, die ein Vorwurf zu seyn und einen noch festsitzenden Groll zu entdecken schienen. Er bat aber selbst den andern Morgen um Verzeihung dieses Ausdrucks, und bezeugte, daß damals noch eben, denn es war gleich nach dem Abschied von dem Seinigen, sein Herz zu voll von Empfindung, dennoch aber nicht voll Grolls, auch seine Worte nicht so gemeint seyen, als sie hätten erklärt werden können.«

»Bei der ersten Bekanntmachung seines schärfsten Urtheils veränderte er sich wenig, bei dessen Bestätigung aber gerieth er etwas mehr in Bewegung, und bat mit einigen Thränen, doch bescheiden und gefast, um die ihm auch verstattete Erlaubniß, um Milderung seiner Todesart nochmals nachzusuchen. Nach der Rückkunft in seine Haft fiel er, wehmüthiger als sonst, auf seine Knie, und sagte, als ihm zugesprochen ward: Es sey doch ganz etwas anders So zu sterben; ein So, das sein Gefühl von allem entdeckte, was die Ursach und die Art seines Todes beugendes für ihn haben [65] mußten. Das Schimpfliche der letzten machte ein großes davon aus, und vielleicht war es ihm gewissermaßen schwerer, als das Sterben selbst; es kränkte ihn besonders die Schande dabei, die er auf die Seinigen zu laden fürchtete. Wenn auch in einem Gesang das Sterbbette vorkam, so ward immer seine Bewegung merklich, und bei den Worten: der Leib habe in der Erde seine Ruh, entfuhr ihm die Wehklage: und der meinige nicht! Doch auch diesen Schauder hatte er überwunden, als er den traurigsten Anblick in den Augen hatte, und doch noch zu den Zuschauern seines Todes reden konnte.«

»Bei der Bekanntmachung der ihm angediehenen Milderung brachen seine Dankbarkeit und Freude in Minen, Worten und Gebehrden auf das lebhafteste aus; er bezeugte, daß er so viel Gnade nicht gehoft hätte, und nun gerne sterben wolle.«

»Die Bekanntmachung des Todestages selbst hat er mit dem gesetztesten Wesen und einer Art von Zufriedenheit angenommen, auch dabei nochmals mit Thränen für die gnädigste Milderung gedanket.«

»Während der Zeit, da er nun ein verurtheiltes Opfer der Gerechtigkeit war, blieb seine Bereitung dazu sein ganzes Geschäfte; wie er aber auch in dieser Zeit in härtern Banden gehalten wurde, so behielt er ebenfalls die größte Gelassenheit und [66] Geduld, auch seine lächelnde Mine, und in der Wehmuth selbst eine große Heiterkeit, alles zeigte vom Schuldgefühl und Demüthigung, aber auch von Vertrauen und Muth. Er verfehlte nicht, denen, die ihm Liebe erwiesen hatten, seine Dankbarkeit, und zwar mit merklicher Empfindung der Stärke ihres Wohlmeinens und der Größe ihrer Verdienste um ihn, zu bezeigen.«

»Wenige Tage vor seinem Ende ward er an der Gerichtsstelle vernommen, bat sehr gerührt um Verzeihung, dankte wiederum für die gnädigste Milderung seiner Todesart und alle ihm bei seinem Proceß erzeigte Wohlthaten, bat wieder wehmüthig für die Seinigen, blieb aber übrigens aufs genaueste bei seinem Bekenntniß, versprach, es auch im Halsgerichte zu thun. — Und das that er mit einer Schaam und Standhaftigkeit, die jedermanns Mitleiden erweckte. Er erfüllte bei seinem langen beschwerlichen Todesgang, was er mit Gottes Hülfe von demselben versprochen hatte, ging ihn getrost, aber nicht frech. Er ließ sich weder durch die viele Tausende, deren Augen auf ihn gerichtet waren, noch auf dem Richtplatz durch die erblickten Anstalten zu seinem Tode und zu seiner Schande stören, blieb unverrückt in seiner Andacht, behielt auf dem ganzen sauren Wege, ungeachtet er keine freien Hände hatte, das Gesangbuch in der Hand, sang mit, hörte auf alle Erklärungen und auf jeden Zuspruch aufmerksam, und gab durch [67] kurze Worte oder durch Minen die Anwendung, die er davon auf sich machte, und die Empfindung seines Herzens dabei, zu erkennen.«

»Auf dem Richtplatze selbst blieb er sich vollkommen gleich, ungeachtet der Anblick den Zuschauern selbst schauderhaft war, bedankte sich bei seinem ihm aufstoßenden Defensor, und denen, die ihn auf seinem Todesgang mit ihrem Zuspruch begleitet hatten, insgesammt einzeln und mit vieler Rührung, bezeigte, daß er geneigt, von den Zuschauern Abschied zu nehmen, nahm ihn auch mit gesetztem Wesen und fester Stimme, zwar kurz, aber so, daß nichts, was zweckmäßig, vergessen war: Bekenntniß, Abbitte, Vermahnungen, Fürbitte für die Seinigen und Wünsche zu Gott für aller Wohlfahrt, war ihr Inhalt.«

»Er kniete nochmals nieder, bezeugte die Beharrlichkeit seiner Reue und Glaubens, und ließ sich mit heiterer Mine einsegnen, betete innbrünstig, sorgte noch beim Auskleiden für seine Kinder, half dabei denen, unter deren Hand er sterben sollte, ließ sich von ihnen zurecht weisen, und mitten im Gebet floß sein Blut und büßte seine Verbrechen. Er starb also, zwar den Tod eines Missethäters, und der andern eine Warnung bleiben sollte, aber er starb ihn getrost und muthig, weil er noch gelernet hatte, ihn mit christlichen Vertrauen zu Gott und Hoffnung eines bessern Lebens zu sterben; er starb [68] mit größerem Muth, als er vielleicht außerdem auf dem Bette der Ehre würde gestorben seyn.«

Sein Tod müsse jeden mit ihm aussöhnen, und sein letztes Wohlverhalten seine Verbrechen bedecken!


Dieser Simmen scheint mir ein eben so merkwürdiger und zwar gewissermaßen noch merkwürdigerer Mensch zu seyn, als der bekannte Rüdgerodt, über dessen Silhouette Lavater ein so falsches Urtheil gefällt hatte, und über dessen Character er hernach eine der fürchterlichsten Declamationen in seinen Fragmenten drucken ließ. d

Sobald man ihm den Umriß von jenem Bösewicht Rüdgerodt geschickt hatte, bebte er vor einer Gestalt zurück, die nur für den entsetzlichsten Unmenschen schlimm genug ist. — Den entsetzlichsten Unmenschen! fährt Lavater fort. Ja! seys der einzige in seiner Art: Ein lebendiger Satan! Ein unaufhörlicher Mörder! Stiller in sich grabender Bosheit voll! Ein Hurer ohne Maaße; ein Dieb ohne alle Nothdurft; ein Mädchenmörder; ein Frauenmörder; Muttermörder; ein Geitzhals, wie kein Moralist sich einen dachte, kein Schauspieler vorstellte, kein Poet dichtete, — der in den letzten Lebenstagen nur Wasser, keinen Wein, trank —aus Geitz — ... Er weidete sich an dem Schat-[69] ten der Nacht; schuf sich durchs Verschließen seiner Fensterladen den Mittag in Mitternacht um;L verriegelte sein Haus; sein Haus, ein Abgrund von Diebstahl und Mord, Mordgewehr, Diebswerkzeugen. — Lichtscheu, Menschenscheu, allein in sich vermauert, grub er in die Erde, in tiefe Kellermauern, in Dielen und Felder seine erstohlnen und erworbenen Schätze; beschauete und zählte sie in einsamen Mitternächten, wo ihn der Schlaf floh, das Gewissen die letzten Warnungen vergeblich noch versuchte. Mit dem Blicke der Unschuld bespritzt, tanzte er lachend am Hochzeittage der Frau, die er hernach am Grabe, da sie sich selbst, auf sein Geheiß, in seiner Gegenwart, unwissend bereitete, todtschlug. Er blieb gelassen bei den schrecklichsten Erwartungen und lächelte über die Bosheiten, um derer Willen er sein verruchtes Leben auf dem Rade endigen mußte u.s.w.

Rüdgerodt war durch eine höchstfehlerhafte Erziehung, durch ein natürlich feindseliges Gemüth, durch eine Fühllosigkeit gegen alle moralische Principien schon früh ein Bösewicht geworden — er verrichtete seine erschrecklichen Handlungen aus einer Art von Instinkt; sie waren ihm zur andern Natur geworden, — seine Seele hatte einmal keine andre Richtung mehr, — als die zum Laster. — Allein ganz anders war der Fall bei Simmen. Dieser Mensch, an dessen vortreflichen, ehrlichen, großen und denkenden Gesicht die weissagende Phy-[70]siognomik einen gewaltigen Schiffbruch leiden mußte, hatte von frühern Jahren an selbst in einem Stande, wo so leicht Ausschweifungen vorfallen, — als Soldat, ein ehrbares, wenigstens nicht äußerlich schlechtes, Leben geführt. Er hatte sich als ein ehrlicher Bürger zu nähren gesucht, er hatte seinen Kindern eine gute moralische Erziehung geben lassen, er war der gefälligste Vater und Gatte gewesen, man konnte ihn keiner mit Wissen und Willen begangenen boshaften Handlung beschuldigen. — Ein einziger Umstand erweckt in seiner sonst stillen Seele den schwarzen Keim zu einer schwarzen That. Das, was wir für eine Kleinigkeit halten würden, was aber dem ehrgeitzigen, lebenssatten Simmen wie ein Gebirge vorkam, über welches er nicht hinwegzusteigen vermochte.

Sein Schwager befindet sich in bessern äußern Umständen, wie er, — dieß scheint die Anlage seines ganzen mörderischen Entschlusses gewesen zu seyn. — Der Gedanke, daß er sich durch Arbeitsamkeit und Industrie auch wieder hinaufschwingen könne, kömmt ihm nicht in Sinn; — du bist herabgesunken von deinem sonst etwas glänzenden Standpunkt — bleibt immer der Hauptgedanke, dem er nicht mehr ausweichen kann, an diesen heften sich alle übrigen schwarzen Bilder seiner Seele an, und vermehren den Sturm seiner Leidenschaften. — Am Ende wird die erstaunliche Kleinigkeit, eben dem gehaßten Schwager einige Thaler [71] wegzunehmen, verbunden mit Rachsucht, in der Seele des sonst gutdenkenden Simmen der Ausschlag seiner entsetzlichen That. Man muß bei solchen Entschlüssen der Menschen vorzüglich auf die letzten Motife Acht geben; alle vorhergehenden wirken nur gemeiniglich entfernt, die letztern bringen erst die That zur Reife; und in diesem Moment bemerken wir oft die sonderbarsten Erscheinungen der menschlichen Seele. Die Frau des Schwagers wird nicht aus Haß — sondern gleichsam par compagnie ermordet, sie würde ihm im Wege gestanden haben, den Hauptmord zu begehen. Der Mörder ist noch mitleidig, er schneidet ihr ruhig mit einem Messer die Kehle ab, damit sie nur von ihrer Qual kommt; eben so ruhig erschlägt er seinen Schwager — den vornehmsten Gegenstand seines Mordentschlußes — und zugleich sinkt auch ein vierjähriges Mädchen unter den mörderischen Schlägen, — durch ein Ohngefähr, wie der Mörder betheuerte.

Ruhig — ja vergnügt über seine Grausamkeit — als hätte er eben ein edles Werk der Wohlthätigkeit ausgeübt — verläßt der Mörder das Haus — und wäscht den blutigen Knittel, das blutige Messer im Schnee ab. Kommt ohne alle Gewissensangst nach Hause —schläft ruhig — und versichert, daß er noch bis gegen Mittag des andern Tages — nach gesättigter Rache gutes Muths gewesen.

[72]

Also ists überhaupt oft Befriedigung der Seele — ein gewisses Ziel erreicht zu haben — sey es auch, welches es wolle! — Gestillte Rachsucht wird Wohlbehagen, da eine Last gehoben ist, welche uns drückte, — das Blut wird ruhiger, — die Vernunft und das Nachdenken tritt erst spät aus dem Hintergrunde hervor — und die besten Menschen können, durch Rachsucht verleitet, die abscheulichsten Thaten thun.

Wenn auch die guten moralischen Gesinnungen, die Verbrecher am Rande ihrer Bestrafung äußern, oft nichts als Folgen einer erzwungenen Besserung sind, die man zu leicht einer großen Einwirkung religiöser Begriffe zuschreibt, so unterscheidet sich doch Simmen auch dadurch sehr von dem Bösewicht Rüdgerodt, daß der letztere bis an sein Ende hart wie Eisen blieb, Simmen hingegen sehr deutliche Spuren seiner innigen Reue blicken ließ. Sein ganzes Verhalten im Gefängnisse war exemplarisch gut, und sein Abschied von seiner Familie gleicht der traurigen Scene des Calas, als er von den Seinigen Abschied nahm. Merkwürdig bleibt aber in der ganzen Erfahrungsgeschichte des Simmen ein heimlich verborgenliegender Gedanke, wenigstens anfangs, daß sein Schwager eine solche Behandlung verdient habe. Immer schob die Rachsucht hier den Gedanken unter: du hast deinen Feind ermordet, — und darum ist die Hand-[73]lung des Mordes weniger schändlich. In diesem Gedanken lag zugleich mit der Grund, daß der Mörder nach vollbrachter That so ruhig blieb, und nichts von den Vorwürfen seines Gewissens litte. Auch war ihm der lange mit sich herumgetragene Gedanke: seinen Schwager zu ermorden, wohl schon so habituel geworden, daß er die Handlung selbst nicht ganz von ihrer abscheulichen Seite betrachtete. Oft verwechseln wir auch bei andern Gelegenheiten das Habituelle des Gedankens mit der Handlung selbst; wir beruhigen uns über die Handlung, da der Gedanke uns vorher keine sehr widrige Empfindungen verursachte — nach jener alten Regel, daß wir das, was wir zu denken für erlaubt halten, auch leicht in wirkliche Handlungen übergehen lassen.

P.

Fußnoten:

1: *) Johann Herrmann Simmen. Ein Beitrag zur Physiognomik und Menschenkenntniß. b

2: *) In diesen Umständen, in diesem Herabsinken aus einer guten anständigen Lage in einen armseeligen Zustand, den Simmen nicht erwartet hatte, in den Erschütterungen, den sein früher Ehrgeitz dadurch leiden mußte, welcher bei gemeinen Leuten, die eine gewisse Feinheit und Cultur zu besitzen glauben, oft so erstaunliche Fortschritte macht, — liegt wohl der erste Grund seines Lebensüberdrußes und seine nachher vollbrachte abscheuliche That, die sich auf diesen Ueberdruß zu gründen schien. Wenn die menschliche Seele in einer solchen Lage nicht von Principien einer gesunden Moral unterstützt wird; wenn sie sich bloß ihrem unterdrückten Ehrgeitz überläßt, wenn eine gewisse freiere Denkungsart, ein heimliches, trotziges Wesen, was man wohl leicht als Soldat lernen kann, hinzukommt, so ergiebt sie sich leicht kühnen Projecten, und wird bei aller angebornen Gutmüthigkeit, die aus dem Character Simmens unverkennbar hervorleuchtet, ein Opfer momentaner oft schrecklicher <|38|> Leidenschaften, die man nach ihren natürlichen Anlagen gar in ihr nicht vermuthen sollte. Simmen gehört offenbar zu den Menschen, die vortrefliche Anlagen des Kopfs und Herzens besitzen, meistentheils auch moralisch gut handeln; aber im Drange einer einzigen verschrobenen mißgeleiteten Passion momentane Bösewichter, — und hinterher wieder gute Menschen werden können.
P.

3: *) Der Verfasser dieser Erzählung macht hinterher die Bemerkung, daß Simmen der sich allezeit vor einem falschen Eide entsetzt habe, durch einen falschen Gebrauch seines Schwurs wahrscheinlich noch mehr habe verleiten lassen, seine Mordthat zu begehen, eben weil er sie zugeschworen hätte. Allein ich glaube, Simmen war ein Mann von zu viel richtigem Verstande, und hatte nach allem, was man von ihm weiß, wenigstens theoretisch-moralische Begriffe genug, als daß er eine Handlung, darüber er in einer stürmischen Gemüthsverfassung einen abscheulichen Eid ausgesprochen hatte, für rechtmäßig und für eine Entschuldigung seiner Affecten hätte halten können.
P.

4: *) Auch wohl die, daß er, ohne die Frau vorher auf die Seite zu schaffen, schwerlich seinen bösen Vorsatz an seinem Schwager ausüben konnte. Bei einem solchen Tumult der Leidenschaften ist es einer aufgebrachten und erbitterten Gemüthsart wohl einerlei, ob einer mehr oder weniger umgebracht wird. Man hat mehrere Beispiele, daß Mörder die unschuldigsten Kinder hinrichteten, damit sie von ihnen bei Ermordung andrer erwachsener Menschen nicht hinderlich seyn möchten. Freilich mögen die oben angegebenen Gründe Simmen wohl mit verleitet haben, sich zugleich an der Frau zu rächen, obgleich der Grad seiner Erbitterung gegen sie nicht so stark, als gegen seinen Schwager seyn mochte, indem er selbst, während der Ermordung der erstern, noch ein gewisses Mitleiden gegen sie an den Tag legte, da er sie nehmlich sobald als möglich von ihrer Qual zu befreien wünschte.
P.

Erläuterungen:

a: Vgl. Moritz' Version derselben Geschichte (MzE II,1,38-54 u. II,2,101-110) und sein Kommentar zu Pockels (MzE VII,2,8).

b: Stuss 1782.

c: Der siebenjährige Krieg hinterließ eine wirtschaftliche Katastrophe. Hohe Getreidepreise trieben viele in den Hungersnot. Vgl. Erl. zu II,1,45.

d: Der Arzt Zimmermann hatte die Silhouette geschickt und Lavater nannte die Person "das größte, schöpferischste Urgenie". Danach schickte Zimmermann die biografischen Informationen über diesen Mörder. Lavater zitiert sein ursprüngliches Urteil und begründet sein Fehlurteil dadurch, dass er den "bloßen Schattenprofile" gesehen habe (Lavater 1776, S. 194).