Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
Startseite > Bandnavigation > Band: VI, Stück: 3 (1788) >
Am 7ten Junius vorigen Jahres (1787) starb zu A.. im Saarbrückischen der reformirte Pfarrer H.. b Der arme Mann war bei aller derjenigen Munterkeit, die er in jüngern Jahren besaß, und auch gegen das Ende seines Lebens noch in Gesellschaften affectirte, hypochondrisch, und ließ dieses Uebel, statt bei Zeiten die gehörigen Mittel dagegen zu gebrauchen, immer tiefer einwurzeln. Ungefähr am 3ten Junius erklärte er sich plözlich gegen seine Schwester, die seine Haushaltung besorgte: Die Zeit meines Abscheidens ist nahe! Ich lebe nur noch eine Woche und alsdenn, ich muß! — alsdenn stürz ich mich ins Wasser! Die Schwester sank bei diesen Worten ohnmächtig zu ihres Bruders Füßen nieder. Durch ungarisches Wasser brachte er dieselbe so weit wieder zu [23] sich, daß sie die Augen aufschlug, und sagte dann zu ihr: Ey Schwester, ich habe nicht geglaubt, daß die Nachricht, die ich dir gab, dich im geringsten alteriren könnte! — Fasse dich, ich bitte, gieb dich zufrieden — es ist nun einmal nicht anders, ich muß sterben!
Den folgenden Mittwoch am monatlichen Bettage predigte er noch, wiewohl mit solcher Beklemmung, daß die Herzensangst ihm Todesschweiß auf der Stirn auspreßte. Das Lied aus dem Marburger reformirten Gesangbuche: Jesus süßes Licht der Gnaden ff. das er damahls singen ließ, zeugte von seiner traurigen Gemüthsverfassung. c Es war das leztemal, daß er die Canzel betrat, denn von nun an blieben stets zwei Nachbarsleute um ihn, die ihn beobachteten. Zu diesen sprach er am Tage vor seinem Tode: Ihr lieben Leute! Bei ... auf der Brücke ist der Rhein so schön tief, bringt mich doch dahin, daß ich mich hinabstürzen und mein Leben enden kann, — oder wenn es euch zu weit ist, so grabt eine Grube, es ist einerlei und scharrt mich ein, es ist da auch kühl! Donnerstags Nachts den 7ten Junii brachte man ihn zu Bette, schloß die beiden Thüren, die zur Schlafkammer führten zu, und die Wächter blieben in der daranstoßenden Stube.
Kaum sahe sich der Unglükliche von Menschen frei, so sprang er aus dem Bette, verriegelte die Thüren von innen, und sprang durch das eröfnete [24]Fenster in den Garten. Zum Unglük konnten die Männer, welche dieses in der Stube hörten, weder durch die verriegelte Schlafkammer noch durch den Hausgang, wovon der Schlüssel verlegt war, ihm sogleich nacheilen, und ihre nachherigen Nachforschungen waren leider vergeblich. Erst Freitags gegen Mittag fand man seinen Leichnam ohnweit A... in einem kleinen Bache, auf dem Rücken liegend, die Mütze über das Gesicht gezogen und die Hände auf die Brust zusammengeschlagen, seine Miene war nicht verstellt, und schien zufriedener als in den lezten traurigen Tagen seines Lebens. Man fand in der Gegend am Bache verschiedene Spuren, daß er schon im Wasser gewesen und wieder herausgegangen war, vermuthlich weil es ihm nicht tief genug zu seyn schien, bis er endlich, weil ers nicht tiefer antraf, sich wie in ein Bette auf den Rücken hinein legte und so ertrank. Er ward am folgenden Montage öffentlich unter einer großen Leichenversammlung begraben. Der reformirte Prediger aus R.. hielt ihm die Leichenpredigt über die gutgewählten Worte Christi: Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun. Journ. v. u. f. D. 9. St. 87.
Visitationsschein. Es war der 16te October Morgens nach 2 Uhr 1764 als vom Churfürstl. Sächsis. [25]Amte zu E.. e ich Endesbenannter Medicus requirirt wurde, mich eilends nach R.. f in das Pfarrhaus zu verfügen, und die Magisterinn, Frau Th. R. C. daselbst, welche von ihrem alten 72 jährigen blinden Ehemanne Herrn M. C. Nachts gegen 12 Uhr im Schlafe in ihrem Bette in der Kammer neben der Wohnstube, worin der alte Magister gelegen, mit vielen Wunden sehr gefährlich verlezt worden sey, mit dem geschwornen Amtschirurgo R. allhier zu visitiren, verbinden zu lassen, und nachher mit dienlichen Medicamenten zu versehen. Dem zu Folge begaben wir uns nebst dem Viceactuario g Herrn Sch. und Landrichter Herrn S. schleunig dahin, und kamen um 5 Uhr Morgens in der Pfarrwohnung daselbst an, und fanden die Verwundete in der obern Wohnstube, anjezt in dem Bette liegend bereits verbunden von einem Chirurgo K. von B. Die Verblutung hatte bereits cessirt, weil der Körper fast vom Blute entledigt und Patientinn sehr blaß aussahe, auch sehr matt war. Sie schlug oft mit der rechten Hand auf ihre Bettdecke; konnte aber dennoch ziemlich vernehmlich auf die gethane Fragen antworten und sagen, daß ihr Mann sie im Schlaf liegend also verwundet habe, doch wisse sie nicht, wenn oder womit es geschehen sey. Es wurde uns ihr angehabtes Hemde gezeigt, welches wie aus Blut gezogen aussahe. Auch fand sich viel Blut in ihren Betten in der Kammer, wo sie verwundet worden war, auch einige blutige Flecken an [26]der Wand des Ofens in der Wohnstube gegen die Stubenthür, und hinter dem Ofen eben daselbst an der Wand. Es wurde uns auch von dem Schwiegersohn G. der Patientinn Schlafmütze und Kopftuch voller Blut und Hiebe, benebst einem ziemlich schweren und scharfen Küchenbeil und scharfen mittelmäßigen Messerchen gezeigt, welches die mörderischen Instrumente gewesen seyn sollten, die auch beide noch mit Blut beflekt waren. Wir ließen hierauf von dem noch gegenwärtigen Chirurgo K. die angelegten Bandagen wieder abnehmen, weil die Verblutung stille geworden war, und fanden folgende 13 Wunden an der Patientinn u.s.w. Die Wunden, welche hier weitläuftig beschrieben werden, kann man füglich übergehen.
Weil nun die Empfindsamkeit der Wunden zu groß war, auch leicht neue gefährliche Verblutungen und Ohnmächten bei dem ohnehin schon geschwinden und febrilischen, jedoch schwachen Puls, nicht weniger auch noch künftige Schmerzen beim nöthigen Heften der großen Wunden zu besorgen stunden, so konnte man vorjetzo keine Visitation der sämmtlichen Hauptwunden vornehmen und bemerken, wie tief solche ins Cranium gegangen wären. Man vermuthete aber doch, daß das Cranium und besonders das Gehirn dabei nicht so viel gelitten haben konnte, weil die Patientinn völligen Verstand und gar kein Erbrechen hatte, wie bei verleztem Gehirn und niedergedrukter oder gespalteter Hirnschaale ge-[27]wöhnlich ist. Man verband demnach die Hauptwunden gehörig, und versahe solche mit warmen spirituösen Aufschlägen und Bandagen, die große Halswunde aber (eine Wunde am Halse bei 3 Zoll quer über durch die asperam arteriam oder Luftröhre und Oesophagum oder Speiseröhre, aus welch lezterer auch der gereichte Thee und Milch vor und nach dem Verbande herausgeflossen) und die Ellenbogenwunde zog man mit 3 Heften zusammen, bedekte selbige mit Pflastern, Aufschlägen und Bandagen. Nach dem Verbande fand sich Patientinn eben nicht schwächer, sondern nahm auf Anbiethen etwas Milch zu sich, um den Abgang des Blutes und der Kräfte ersetzen zu sollen, die aber der Hefte unerachtet zwischen der Bandage aus der Halswunde wieder herausdrang, mit der Versicherung auf beschehene Frage, daß sie nichts davon in dem Magen habe verspüren können.
Die eine von den Wunden, nehmlich die große Halswunde, wurde von dem Medicus Herrn Hofmann, der vorhergehenden Visitationsschein ausgefertiget, für würklich tödlich erklärt, wie denn auch die Unglükliche Ermordete den andern Tag darauf bei einen heftigen Blutsturz würklich ihr Leben endigte. Bei der Section wurde die Tödlichkeit der Halswunde bestätigt, und hierauf gründet sich folgendes merkwürdige Urthel über den Mörder, welches ich ganz hieher setzen will, um zu sehen, durch welche Veranlassungen der unglükliche Mann zu sei-[28]ner abscheulichen That verleitet worden ist, und welch eine Menge qualvoller Ideen vorhergehen mußten, ehe er sich dazu entschloß.
Hat ernannter C. als man ihn Artikelsweise vernommen, gestanden und bekannt, daß er den seit vierzehn Tagen, und besonders die lezten 4 Tage davon, gehegten Vorsatz, sein Eheweib, Theodoren Reginen, ums Leben zu bringen, am 15ten October des abgewichenen 1764sten Jahres, Abends gegen 12 Uhr in der ordentlichen obern Wohnstube der R—er Pfarrwohnung, worinnen sein Eheweib so wie er in der daneben befindlichen Cammer zu schlafen pflegte, dergestalt zu Werke gerichtet, daß, da er aus dem Schnauben des Eheweibes, als er die Cammerthür sachte aufgemacht, gemerkt, daß selbige im Schlafe liege, er aus der Cammer in die Stube gegangen, mit der Hand auf des Weibes Kopf gefühlt, sodann nach dem Orte, wo er seine Hand gehabt, mit dem bei sich gehabten Beile den heftigen Hieb gethan, und da hierauf das Eheweib im Bette sich aufgerichtet, und nebst dem bei ihr gelegenen Tochterkinde, dem H—schen Töchterlein heftig geschrien, er mitler Zeit immer mit dem Beile auf das Eheweib weiter zugehauen, so sehr sie sich mit den Füßen gewehrt, und damit sie desto eher sterben sollte, mit dem aus der Tasche und Scheide gezogenen Federmesser in die Kehle, wonach er zuvörderst mit der linken Hand gefühlt, mit der rechten Hand gestochen; selbiger [29]da niemand anders da gewesen, alle die an derselben befundenen Wunden zugefügt, also an dessen, den 16ten October darauf, Nachmittags gegen 3 Uhr erfolgten Tode, weil er die Frau so verwundet, ganz allein Schuld sey, und also eine prämeditirte Mordthat begangen habe.
Inquisit gestand in dem Verhör ferner, daß es keine Bosheit von Seiten seiner gewesen, die ihn zur Begehung der Mordthat bewogen, sondern daß er dazu durch die Ungenügsamkeit seines Pfarrgehülfen, den man ihm Alters halben gegeben, und welcher nicht mehr mit der ihm bewilligten Hälfte der Pfarreinkünfte habe zufrieden seyn, sondern Inquisiten nur mit einem gewissen jährlichen Gehalt habe abfinden wollen, und durch die daher entstandenen Zänkereyen mit seinem Eheweibe verleitet worden wäre. Dieses machte dem armen blinden Manne, wie er im Verhör anzeigte, tägliche und sehr bittere Vorwürfe darüber, daß er sich seine Einkünfte durch den Adjunctus so sehr abschneiden ließe, und daß sie ihr ihrem Manne zugebrachtes Vermögen ohnedem schon zugesezt hätten. »Du räumst dem Pfarrgehülfen, dies waren ihre täglichen Vorwürfe, zu viel ein, und machest mich unglüklich, und wenn wir einmal betteln gehen müssen; so bist du Schuld daran, desgleichen, wenn er sterbe, und sie solcher Gestalt um ihren Unterhalt kommen werde, wolle sie auf sein Grab treten und sagen: hier liegt der unbe- [30] sonnene Rabenvater, der weder für seine Frau, noch Kinder gesorgt hat. item. Am jüngsten Tage wolle sie sagen: hier ist der gottlose Rabenvater, richte ihn Gott nach dem strengsten! denn er hat die Hölle an mir verdient; noch weiter und immer fort plagte sie ihn mit bittern Vorwürfen, daß er ein alter unverständiger Rabenvater, und daß er werth sey, daß man Leute kommen und ihn mit Steknadeln zerkratzen ließe. Aus diesen anhaltenden Zänkereien und Beängstigungen, wovon ihm immer seine Gedanken vergangen und welcher Unfriede mit seinem Eheweibe 4 bis 5 Monat fortgedauert, sey endlich die Verzweifelung und der Wunsch entstanden, daß sein Leben ein Ende nehmen möchte. Er wäre bei diesen Plagen denn auch zugleich mißtrauisch auf die göttliche Vorsorge geworden, der Gedanke daß er und sein Weib nicht mehr von den halben Einkünften der Pfarre hätten leben können, ferner daß nach seinem Tode sein Weib würde Noth und Schimpf leiden müssen, hätte nun vollends alles dazu beigetragen, sich sowohl, als sein Weib aus der Welt hinaus zu schaffen, — sich, um sich von seinen vielen Plagen und bei seiner langen Blindheit ausgestandenen Lebensüberdruß zu befreien, sein Weib, um sie vor aller künftigen Noth zu sichern. Es sey demnach in ihm der veste Vorsatz entstanden, sein Eheweib zu ermorden, und sich den Händen der Obrigkeit zu überliefern, damit auch er von der Welt käme, und aller seiner tägli-[31]chen Plagen und Noth ein Ende machen möge. Im übrigen sey es durch Hülfe des Satans geschehen, daß er so hintereinander in der Eile dem Weibe die Wunden zugefügt, wie ihm denn auch den ganzen Tag vorher gewesen, als wenn alle Teufel um ihm wären, so daß ihm ordentlich der Kopf gebrauset.« Zu allen diesen Veranlassungen seiner schreklichen That kamen nun noch folgende Umstände, die auch der Defensor des Inquisiten nüzte, um ihn vom Tode zu retten, nehmlich, daß ihn in den lezten sieben Jahren der Schlag, so jedoch ein paarmal nur Schwindel gewesen, 5 bis 6mal gerührt, und seine Gemüthskräfte dadurch in eine Schwäche und Verwirrung gerathen wären; ferner daß er eine schlechte Lebensordnung beobachtet, von zähem und schwerem Geblüte gewesen sey, und den Brantewein geliebt habe. Alle diese Umstände konnten ihn aber doch nicht vom Tode retten, weil er wie er selbst eingestanden, sich seiner bei der verübten Mordthat völlig bewust gewesen, und die dabei vorkommenden Umstände deutlich zeigten, daß er die Mordthat nicht in einem Anfall von Wahnwitzoder Raserei begangen habe.
Es ist der Mühe werth, die Gründe aus dem Urthel h anzuführen, warum man die Vertheidigung seines Defensors nicht für gültig annehmen wollte. »Wenn bei einem Verbrecher die Zurechnung der ausgeübten Missethat wegfallen soll, muß eine solche Schwäche und Ohnmacht des Gemüths und [32]der Seelenkräfte vorhanden seyn, die ihm das, was er gethan, und ob selbiges recht oder unrecht sey, zu wissen und beurtheilen zu können, ausser Stand sezt: bei Inquisiten hingegen desgleichen sich keinesweges ereignet, sintemal die genaue, und so weit andere Personen, als die verwundete C. selbst, der Schwiegersohn, die Magd und der Pfarrgehülfe davon wissen, und etwas melden können, richtige Erinnerungen der Umstände seiner That, sowohl als des unmittelbar vorhergegangenen und darauf erfolgten; ja selbst der nach Anleitung des Inquisiten summarischen Aussage Fol. 45. B. im 45 und 46sten von ihm bejaheten Artikel gebrauchte Gedanke: Daß, wenn er des Weibes Mörder, er dadurch selbst des Todes schuldig wäre, untrügliche Merkmaale sind, daß vor, bei und nach seiner Missethat er sich selbst wohl bewußt, um die Unrechtmäßigkeit seines Vorhabens und dessen Vollziehung einzusehen auch nach den Gesetzen zu beurtheilen nicht weniger als unfähig, sowohl daß das angegebene Brausen des Kopfs, gleich als ob alle Teufel um ihn wären, in der That nichts anders, als die Erinnerungen des Gewissens, so ihm die Abscheulichkeit seines Vorsatzes vorgehalten, gewesen: da weiter, daß er sonst und besonders um die Zeit des verübten Verbrechens ungereimte oder widersinnige Handlungen unternommen, keine Spur zu finden, sondern er dergleichen sich zu enthalten wohl gewußt; darneben damals trunken gewesen zu seyn verneint, [33]auch niemand, daß er es gewesen, an ihm vermerket, alle Vermuthung, daß sein Verstand den Reizungen seines bösen Willens zu widerstehn, wenn nur Inquisit es thun wollen, unvermögend und nicht genugsam gewachsen gewesen, gänzlich hinweg fällt; vielmehr Inquisit mit andern grober Missethat Schuldigen gemein hat, daß, anstatt, was er sich vorgenommen, wohl zu prüfen und sodann den sanften Leitungen des das Unternehmen verwerfenden und mißbilligenden Verstandes zu folgen, er mit gänzlicher Beiseitsetzung dessen, wessen selbiger ihn belehret, lediglich von den übereilten Trieben eines durch Leidenschaften aufgebrachten und verderbten Willens sich überwinden und von ihm hinreissen lassen; anbei daß Inquisit, als ein siebenzigjähriger Greiß, dem das Alter als ein Vorbote des sich ihm nähernden Todes vermittelst Blindheit die Augen gleichsam bereits zugedrukt, und der mithin der Hitze aufwallender Gemüthsbewegungen weniger Herrschaft über sich einräumen sollen, eines anständigern Abschieds aus dieser Zeitlichkeit sich nicht beflissen, dargegen auf so schändliche Art seinem Tode zugeeilet; als ein an die 39 Jahr im Priester-Amte stehender Prediger göttlichen Worts, die in diesem vorgeschriebene, und ohne Zweifel, solche Zeit über, andern gepredigte Zähmung des bösen Willens und Dämpfungen der aufsteigenden sündlichen Begierden und Trieben selbst nicht beobachtet, noch die Gründe, die er wieder das Mißtrauen in die göttliche Vorsorge und [34]die demselben so oft auf dem Fuße folgende Verzweifelung andern eingeschärfet, sich vor Augen genommen, oder, um ihn davon zu erinnern, einen oder andern seiner Mitbrüder und Amtsgenossen angegangen; ferner, daß er die That nicht im Zank mit dem Eheweibe, wobei die jähling aufsteigenden erstere, der menschlichen Schwachheit unerwartet überwältigende, Regungen des Zorns wenigstens als eine scheinbare Entschuldigung hätten angeführet werden können, sondern nach einer längst vorhergegangenen Ueberlegung zu Folge, und da wenigstens einige Stunden lang zwischen ihm und dem Eheweibe kein Wortwechsel vorgefallen, vielmehr Inquisit sec. Artic. 72 und 74 demselben, nur eine viertel Stunde vorher, mit falscher Zunge diejenige Nacht gut zuzubringen angewünschet, die er zu dessen Abschlachtung, und zwar laut des bejaheten 108ten Artikels, unaufhaltlich bestimmt gehabt, über dieses er das Eheweib im Schlafe überfallen, und dadurch, wenn sie, wie er, nach Anleitung der Antwort auf den 103ten Artikel, darauf umgegangen, sofort unter seinen Händen verstorben wäre, deren zu einem so plözlich als unvermutheten Uebergange in die Ewigkeit damals vielleicht nicht gefaßte Seele der Gefahr des ewigen Verderbens auszusetzen, an sich nicht ermangeln, auch von der Beharrlichkeit in seinem bösen Vorsatze, dabei ja freilich wohl ein guter Geist die Hand nicht geführet haben kann, weder durch die Gegenwehr des Wei-[35]bes noch durch dessen und des H—schen Kindes ängstliches Schreien sich abwendig machen lassen, lauter solche Umstände sind, wodurch die Schwere des Inquisiten Verbrechens mehr erhöhet als verringert wird.« — —
Ewa Margretha K— 23 Jahr alt wurde wegen verschiedener Verbrechen im Sept. vorigen Jahres (1755) in das Zuchthaus nach Onolzbach gebracht. Man empfing sie gewöhnlich wie die Züchtlinge mit einer Peitsche, und einer von den Streichen verlezte ihre rechte Brust. Diese Behandlung machte den tiefsten Eindruck auf benannte Weibesperson, und sie fing an, lieber den Tod zu wünschen als ein solches Leben zu führen. Um aber desto eher zu Erfüllung ihres Wunsches zu gelangen, fiel sie auf den schreklichen Gedanken einen Mord zu begehen, damit ihr auch sodann das Leben genommen werden, und auf solche Art Zeit gewinnen möchte ihre Sünden zu bereuen, und bei Gott Gnade zu erlangen, welche sonst durch Handanlegung an sich selbst verlohren gehen möchte. (Man sieht hieraus deutlich, daß die meisten Mörder, die andre umbringen, um sich dadurch selbst aus der Welt zu schaffen, aus einer mißverstandenen Religiosität lieber Hand an andre legen). Sie praemeditirte geflissentlich den [36]Tod einer andern Weibsperson, und führte ihr Vorhaben auch würklich auf folgende Art aus. Sie gab nehmlich vor, als eines Sonntages die Züchtlinge in die Kirche gehen mußten, daß sie Bauchweh habe, und nicht den Gottesdienst mit abwarten könne. Mit ihr wurde noch eine andere Züchtlinginn, Mederin mit Nahmen, zurükgelassen, welches ein äußerst einfältiges Mensch war. Zu dieser begab sich Margaretha K— und stellte ihr vor, daß sie beide, um ihres Jammers auf einmal los zu werden, sterben wollen, und daß sie (die Margretha K—) damit den Anfang machen wollte, daß sie die Mederin zuerst umbrächte. Die Mederin war damit zufrieden, nur machte sie vorher die Bedingung, daß ihr das Umbringen nicht viel Schmerzen verursachen sollte. Sie legte sich darauf auf eine Brücke im Zuchthause ausgestrekt hin, und die Mörderinn übte würklich die schrekliche That mit Abschneidung des vordern Halses mittelst eines Ulmer Kreuzermessers an ihr aus, die einfältige Mederin empfing die tödlichen Messerstreiche mit aller Gelassenheit, und starb nach einer Stunde an den empfangenen Wunden.
Um zu sehen, wie die unglükliche Mörderinn auf die abscheuliche Idee ihre Mitgefangene hinzurichten gekommen sey, und wie traurig die Veranlassungen dazu waren, will ich aus dem medicinischen Bericht über sie nur noch folgendes hinzu setzen, woraus zugleich erhellen wird, wie hundisch die [37]barbarischen Aufseher der Zuchthäuser oft mit ihren Züchtlingen umgehen, und wie leicht bei solchen Unmenschlichkeiten mörderische Gedanken in den armen, leidenden, gedrükten Menschen entstehen können.
Als sie in das Zuchthaus gebracht wurde, wurde sie frei hingestellt, mit aufwärts gestrekten und an Händen geschlossenen Armen, da sie denn vom Zuchtmeister, der ihr hinterwärts zur linken stand, zwanzig Streiche mit einer langen neuen Peitsche, die vom Handgrif bis oben ganz biegsam war, bekam. Während des Schlagens schwang sich das oberste Ende der Peitsche gewaltig auf ihre rechte Brust, und verursachte eine so heftige Contusion auf derselben, daß sie gleich aufschwoll, blau, schwarz, gelb und roth wurde, wie die Brüste denn zu werden pflegen, wenn ein Kind davon entwöhnt wird. Während der Geschwulst, sagte sie, habe sie um Hülfe gebeten, man habe es ihr aber abgeschlagen, und sie zur Geduld verwiesen. Wie die Geschwulst nach 8 Tagen etwas nachgelassen, kamen erst die Schmerzen von der Seite in die Brust hinein, als wenn mit Messern darinn geschnitten wurde. Nach 14tägigen erschreklichen Schmerzen habe sich die Brust oben an der linken Seite eröfnet, wo nichts als gelbes Wasser herausgelaufen, wonach Geschwulst, Härte und Flecken vollends vergangen, auch die Schmerzen, die sich etwas gelindert, blieben auch außen, so lange das Auslaufen dauert, wenn aber dieses nachlasse, und die Oefnung zuge-[38]fallen; so kämen die Schmerzen wieder, ziehen sich in die Brust gegen den Rücken in die Achsel, und von da gegen das Herz und davon bekomme sie schweres Athmen und Stecken, und das herauslaufende Wasser mache ihr sehr brennende Schmerzen.
Als man sie fragte, was sie denn aber zu der abscheulichen That, ihre Mitgefangene umzubringen, bewogen habe? antwortete sie: Furcht vor der Qual und scharfen Schlägen, die sie im Zuchthause hätte erleiden müssen, und noch wie lange hätte ausstehen müssen. Da wäre sie denn auf den Gedanken gekommen: nehme ich mir mein Leben selbst; so ist meine Seele ewig verlohren; wenn ich aber das Mensch umbringe, und sodann auch um das Leben komme; so kann ich meine Sünden bereuen und Gott wird meine Seele zu Gnaden annehmen.
Auf die Frage: ob sie gegen die Entleibte einen Haß gehegt, oder sie von dieser sey beleidigt worden? sagte sie, die Entleibte habe ihr kein Leid gethan, vielmehr wenn dieser etwas leids geschehen, sey sie allezeit auf sie zugelaufen und hätte es ihr geklagt.
Auf die Frage: ob sich die Entleibte nicht gewehrt? antwortete sie, daß sie sich ganz geduldig habe ermorden lassen. Als man sie fragt: ob sie die Nacht nach der abscheulichen That geschlafen? erwiederte sie, sie habe eben gebethet, und da sie darüber eingeschlafen, und wieder aufgewacht, hätte [39]sie das unterbrochene Gebet wo sie vorher geblieben, wie sie jeder Zeit gewohnt gewesen wieder fortgesezt. Sie hätte kein Bedauern mit der Entleibten gehabt, und hätte eben gedacht; sie könnten beide auf diese Art miteinander der Marter auf einmal entledigt und selig werden. Die Inquisitinn zeigte sich übrigens allezeit ganz gelassen, außer wenn man ihr die erschrekliche That vorgestellt, wie dieses durchaus nicht der Weg zur Seligkeit wäre, vielmehr sie den Zorn Gottes auf sich geladen, hat sie geweint.
Der Arzt fand sie stets vollkommen vernünftig, und sezt in seinen Bericht hinzu, daß sie ihre That blos aus Verzweifelung und Lebensüberdruß unternommen hätte, und dazu bei einem bessern Unterricht in der Religion nicht gebracht seyn würde. Die Justiz verstand diesen Wink nicht — und weil man sonst oft mit der Todesstrafe so äusserst bereitwillig war, wurde das unglükliche Mädchen nicht lange nach ihrer That hingerichtet.
Aus vorhergehenden und hundert andern dergleichen Beispielen von Lebensüberdruß erhellet deutlich, daß sehr viel Menschen vor dem Tode lange nicht den Abscheu haben, der uns allen so gemein seyn soll. Der Gedanke, nicht mehr zu seyn, ist für sehr viele lange nicht so schreklich, als wirs glauben. Von den Leiden des Lebens niedergedrükt, von allen verlassen, mit körperlichen Schmerzen beladen — ohne Hofnung daß es jemals besser werden kann, besser werden wird, ist wohl der Entschluß, [40]sich selbst umzubringen, lange nicht so schwer, als er uns bei gesundem Leibe, gutem Appetit, und äussern glüklichen wenigstens erträglich guten Umständen zu seyn scheint. Aber warum richteten sich jene Menschen nicht lieber gleich selbst hin, warum mordeten sie erst andere, damit sie wieder gemordet würden —? dies kann man wohl nicht anders, als theils aus einer natürlichen Abneigung erklären, Hand an sich selbst zu legen, wenn noch Mittel vorhanden sind, daß wir dies traurige Geschäft andern überlassen können; theils aus einer religiösen Furcht, daß man durch einen Selbstmord sich gleichsam den Himmel selbst verriegeln würde, und daß man durch die Ermordung eines andern immer noch Zeit bekäme, an seiner Seligkeit zu arbeiten, was aus dem leztern Beispiel sichtbar erhellet. Ausserdem hat der Gedanke: sich selbst zu ermorden, bei aller seiner Entsezlichkeit, für den Unglüklichen, besonders hypochondrisch Unglüklichen etwas Einladendes an sich; — der Leidende erhebt sich dadurch in seinen Gedanken über alles weg, was ihn einschränken, was seine körperlichen Leiden vermehren kann. Ihm hat kein Mensch etwas mehr zu gebieten, er kann der ganzen Welt trotzen, wenn er nicht mehr von der Todesfurcht gemartert wird. Alle Intriguen und Bosheiten der Menschen gegen sein Glük kommen ihm wie erbärmliche Spielwerke vor; — er darf nur einen Augenblik den Willen haben — seinem Leben ein Ende zu machen, und er ist ewig von allen [41] Unannehmlichkeiten desselben befreit. Freylich müssen große Verirrungen der Seele vorhergegangen seyn, ehe jener Entschluß bei ruhiger Vernunft zur Reife kommen kann; allein selbst die Vernunft kann sich in solchen Augenblicken bisweilen das Ansehn geben, als ob sie den Selbstmord billigen dürfte, und es hat Leute genug gegeben, die aus Gründen der Vernunft Hand an sich selbst gelegt haben, ob gleich jeder der sich nicht an ihre Stelle setzen kann, glauben wird, daß die Leute etwas gescheidteres hätten thun können. Es ist aber auch hier gemeiniglich nicht die Frage: was sie hätten thun können; sondern, was sie nach der einmal vorhandenen Folge ihrer Vorstellungen und Empfindungen durch einen unwillkürlichen Stoß ihrer Gefühle thun mußten.
Wer diesen Punct nicht recht in Erwägung zieht, wird nie mit philosophischer Toleranz über den Selbstmord irgend eines Menschen ein gehöriges Urtheil fällen, und wird Menschen verdammen, die eher unser ganzes Mitleiden verdienten, und die der Himmel wohl nicht nach unsern Systemen richten wird.
a: Vorlage: "Trauriges Ende eines Hypochondristen" in: Journal von und für Deutschland 4. Jg. (1787), 7. St., S. 264f.
b: In der Grafschaft Saarwerden, die von 1527 bis 1793 zu Nassau-Saarbrücken gehörte, gibt es die Gemeinde Altweiler (heute Altwiller). Von 1784 bis 1787 amtierte dort ein aus Kusel in der Pfalz stammender Pfarrer namens Johann Abraham Hepp, der am 9. Juni 1787 tot im Wasser aufgefunden wurde (Bopp 1959, S. 228). Laut Angabe im Kirchenbuch war Milzkrankheit die Todesursache. Die Nachfolge im Altweilerer Pfarramt trat sein Bruder Karl Friedrich Hepp an, der dort von 1787 bis 1847 amtierte und von 1820 bis 1827 auch Präsident des reformierten Konsistoriums in Straßburg war. Für diese Recherche danken wir Dr. Andreas Metzing, Evangelische Archivstelle Boppard.
c: "Jesu, süßes Licht der Gnaden! sieh' mein Elend, meine Noth, laß dich's jammern, heil' den Schaden, Ach, er bringt mir sonst den Tod! Solltest du Erlöser heißen, Und mich nicht dem Tod entreißen? Wie dein Nam' ist auch dein Ruhm, Das erfährt dein Eigenthum."
d: Vorlage: Weiz 1776, S. 231-247.
e: Das kurfürstlich-sächsische Amt zu Eilenburg, Nordsachsen.
f: Vermutlich Rödgen bei Eilenburg.
g: Stellvertretender Actuarius, d.h. Gerichtsschreiber.
h: Belegt als Variante von 'Urtheil' im DWb, Bd. 24, Sp. 2571.
i: Vorlage: Hasenest 1757, Causus XX. "Autochiria passiva. Ein vorsetzlicher, aber doch durch eine fremde Hand erduldeter Selbstmord", S. 92-98.