ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Auszug aus dem Leben H. Cardans.

Pockels, Carl Friedrich

In psychologischer Rücksicht.

Hieronymus Cardan, ein Mailändischer Arzt, gehört unstreitig zu den sonderbarsten und seltsamsten Menschen, die es je gegeben hat. Bayle rechnet ihn zu den größten Männern seiner Zeit, und seine große Menge, zum Theil mit vielem Scharfsinn ausgearbeiteten, Werke*) 1 zeigen offenbar, daß er ein Mann von einer sehr ausgebreiteten Gelehrsamkeit und ein großer, sinnreicher Kopf gewesen sey; ob es gleich fast unerklärbar scheint, wie eben dieser Mann von einer Menge der sonderbarsten Grillen und der paradoxesten Meinungen so sehr eingenommen seyn konnte, daß er sie mit dem vollkommensten Ernst lebenslang vertheidigte. Er hat sein eigenes Leben, die ganz sonderbaren Schicksale, die er erlebt, sein ganz eigenes und bizarres Temperament, seine Tugenden und Fehler, und die mannigfaltigen schwärmerischen Grillen seiner Einbildungs-[100]kraft mit einer gewissenhaften Genauigkeit in einem besondern Buche, de Vita propria b betitelt, beschrieben, und dieses merkwürdige Buch ist es, aus welchem ich hier wegen der Sonderbarkeit des Verfassers, der bei aller Größe des Geistes, bei allem Scharfsinn des Verstandes, sich oft einer Art Wahnwitz nähert, einen für die Seelenkunde passenden Auszug liefern will. So schwer sich übrigens das schlechte, abgebrochene und unleidliche Latein, worin seine meisten Werke abgefaßt sind, übersetzen läßt: so glaub' ich doch fast immer den Sinn des Verfassers richtig getroffen zu haben.

Doch vorher erst einiges von seinem Leben überhaupt, damit man seine folgenden Confessionen, die gewiß viel sonderbarer als die Rousseauischen sind, desto richtiger verstehen und übersehen kann.


Hieronymus Cardan war zu Pavia den 24ten des Herbstmonats 1501 geboren. Man weiß nicht gewiß, ob seine Mutter mit seinem Vater verheiratet oder nur seine Maitresse gewesen ist; so viel erfuhr nachher Cardan selbst, daß sie, während ihrer Schwangerschaft mit ihm, Arzeneien genommen hatte, um die Frucht abzutreiben, was aber nicht gelingen wollte. Sie lag drei Tage in Kindesnöthen, und das Kind, womit sie schwanger ging, mußte mit Gewalt von ihr gerissen werden. – [101]Wahrscheinlich lag in allen diesen Umständen mit ein früher physiologischer Grund seines äußerst seltsamen und bizarren Charakters. – Als er auf die Welt kam, war sein Kopf schon mit krausen und schwarzen Haaren bewachsen. Im vierten Jahre seines Lebens wurde er nach Mailand gebracht, wo sein Vater Sachwalter war. Im siebenten Jahre fiel er in eine gefährliche Krankheit, wobei ihn sein Vater dem heiligen Hieronymus widmete, und diesmal lieber zu diesem Heiligen, als zu seinem Schutzgeist, den er zu besitzen sich öffentlich rühmte, desgleichen auch hernach Cardan selbst that, seine Zuflucht nehmen wollte. Im zwanzigsten Jahre ging er, um den Wissenschaften obzuliegen, nach Pavia, legte sich vornehmlich auf Mathematik, und erklärte zwei Jahr darauf den Euclid. Anno 1524 ging er nach Padua, erhielt noch im nämlichen Jahre den Titel eines Lehrers der freien Künste, und am Ende des Jahrs 1525 den eines Doctors in der Arzneikunde. 1531 verheirathete er sich, da er nach seinem kläglichen Geständnisse die vorhergehenden zehn Jahre zum Ehestande völlig untauglich gewesen war. In seinem drei und dreißigsten Jahre ward er Professor der Mathematik in Mailand. 1539 ward er in das Collegium der Aerzte zu Mailand aufgenommen, und 1543 lehrte er die Medicin in dieser Stadt öffentlich. Im folgenden Jahre las er Collegia medica zu Pavia; allein er hörte am Ende des Jahrs damit auf, weil man ihm seine Besol-[102]dung nicht bezahlte, und ging nach Mailand zurück. 1547 schlug er eine vortheilhafte Bedienung ab, die ihm der König von Dänemark anbot.*) 2 1552 reiste er nach Schottland, und kam nach Verlauf von ungefähr zehn Monaten nach Mailand zurück. Er blieb in dieser Stadt bis er zu Anfange des Weinmonats 1559 nach Pavia ging, von da er 1562 nach Bononien berufen ward. Er lehrte hieselbst bis 1570, in welchem Jahre man ihn gefangen setzte, doch wurde er nach einigen Monaten wieder in sein Haus gebracht, ob er auch gleich hier einige Zeit Arrest hatte. 1571 ging er von Bononien weg, und begab sich als Privatmann nach Rom. Er wurde in das Collegium der Aerzte daselbst aufgenommen, und genoß vom Pabst bis an's Ende seines Lebens eine Pension; er starb daselbst 1575, wie Scaliger glaubte, vor Aerger über ein Buch, welches er wider den Cardan schrieb. c Das übrige hiervon, wie einige andre literarische Nachrichten über den Cardan, kann man in Bayle's Wörterbuch, im Artikel: Cardan, nachlesen. d Schon aus diesem kurzen Abrisse des Lebens dieses Mannes kann man die große Veränderlichkeit seines Temperaments, worüber er sich unten weiter ausläßt, ersehen. Aber dies ist nicht die einzige Sonderbarkeit, die wir an ihm zu bemerken haben. [103]Seine sonderbare Hypochondrie, seine bizarren Grillen, seine schwärmerische Einbildungskraft, seine paradoxen Meinungen, seine wunderbaren Schicksale, und seine ganze Denk- und Lebensart stellen uns ihn als einen der größten Sonderlinge auf, die es je gegeben hat, und dessen Leben ein in der That sehr wichtiger Beitrag zur Naturkunde der menschlichen Seele ist. Er mag sich von nun an selbst schildern.


In der Vorrede zu seiner Lebensbeschreibung sagt er, daß er nach dem Beispiel des weisesten und vortreflichsten Mannes, des Antoninus Philosophus, auch sein Leben beschreiben wolle, worüber er vom Bayle getadelt wird, indem jenes Buch des Antonins nicht eine Biographie, sondern eine Sammlung moralischer Grundsätze sey. Cardan versichert, daß er nichts aus Prahlerei hinzugesetzt, nichts um seinen Gegenstand zu verschönern geschrieben, sondern allein die Wahrheit immer vor Augen gehabt habe, weshalb er sich auf damals vorhandene Zeugen beruft. Er entschuldigt sich am Ende der Vorrede nochmals dadurch, daß der Versuch, sein eigenes Leben zu beschreiben, nicht neu sey, sondern mehrere schon dergleichen vor ihm gethan hätten.

Im ersten Kapitel seiner Biographie selbst, beschreibt er sein Vaterland und seine Vorfahren, was [104]wir ganz übergehn können, weil es nichts merkwürdiges für den Psychologen enthält, und weil viel wichtigere Dinge in jener Biographie vorkommen. Das zweite Kapitel handelt von seiner Geburt; und hier lernt man schon einigermaßen den Mann nach seinen astrologischen Grillen, welche in damaligen Zeiten einen Theil der mathematischen und physischen gelehrten Kenntnisse ausmachten, kennen. Er findet in der Constellation der Gestirne, daß er gar leicht als ein Monstrum hätte geboren werden können, welches aber dadurch verhütet worden sey, weil bei seiner Geburt grade die Sonne, Venus und Mercur in menschlichen Zeichen gestanden hätten. Da, fährt er fort, der Jupiter im Aufsteigen, und Venus die Beherrscherinn des ganzen Zeichens war: so wurde ich bloß in Absicht meiner männlichen Glieder verwahrlost, so daß ich von meinem 21ten bis in's 31ste Jahr meines Lebens zum ehelichen Umgange untauglich war, mein Schicksal oft beweinte, und andere, die glücklicher als ich waren, beneidete. Aus eben jener Constellation der Himmelszeichen leitet er seinen niedrigen Stand, seine lispelnde Sprache, seine schnelle und überraschende Divinationskraft und andre Prophezeihungsgaben her. Nach jener Constellation, obgleich aus mir hätte etwas werden können, heißt es ferner, blieb mir nichts als eine gewisse Verschlagenheit und Sklaverei des Gemüths übrig, ward ich ein Mann, der nach abgebrochenen und unerlaubten Entschlüssen han-[105]delte, – kurz ein Mensch, dem es an körperlichen Kräften fehlte, wenig Freunde, ein kleines Erbtheil, viel Feinde hatte, deren größten Theil ich weder dem Namen, noch dem Gesichte nach kenne, der keine Lebensklugheit, ein schwaches Gedächtniß, aber doch eine beßre Vorsichtigkeit besaß, so daß ich nicht begreifen kann, wie ein Zustand, der meiner Familie und den Vorfahren Schande machte, für rühmlich und beneidenswerth hat angesehen werden können. »Mein Vater, sagt er im dritten Kapitel, trug wider die Gewohnheit der Stadt einen Purpurrock, ob er gleich eine schwarze Parucke beibehielt. Er stammelte, war ein Freund verschiedener Wissenschaften, roth vom Gesicht, und hatte weiße Augen, womit er auch des Nachts sehen konnte. Die Worte: »omnis spiritus laudet Dominum, quia ipse est fons omnium virtutum,« hatte er immer im Munde. Bei einer Kopfwunde waren ihm in seiner Jugend die Scheitelknochen weggenommen worden, so daß er, ohne sein Haupt zu bedecken, nicht lange aushalten konnte. Von seinem vierten Jahre an hatten ihm alle Zähne gefehlt. Er studirte fleißig den Euclid, hatte krumme Schultern, und einen einzigen vertrauten Freund, ob sie gleich beide ganz verschiedene Studien trieben. – Meine Mutter war zum Jähzorn geneigt, hatte ein vortrefliches Gedächtniß und einen guten Kopf, war kleiner Statur, fett und andächtig. Beide Aeltern waren von zornigem Tem-[106]peramente, und unbeständig in der Liebe gegen ihren Sohn; doch hatten sie Nachsicht mit mir, so daß mein Vater erlaubte, ja sogar befahl, daß ich vor der zweiten Stunde des Tages nicht vom Bette aufstehen sollte, welches auf mein Leben und Gesundheit einen wohlthätigen Einfluß gehabt hat.«

Kap. 4. enthält einen kurzen Abriß seines ganzen Lebens, wie wir ihn gleich anfangs geliefert haben. Cardan bekam schon in den ersten Wochen seines Lebens einige Pestcarfunkeln; durch ein Bad in heißem Essig wird er curirt. Seine Aeltern schlagen ihn in den vier ersten Jahren seines Lebens oft so sehr, daß er oft in Gefahr zu sterben gerieth. Von seinem siebenten Jahre an beschliessen sie, ihn sanfter zu behandeln; aber sein Schicksal wird dadurch nicht sehr verbessert: er muß bei seinem schwächlichen Körper, und in dem zarten Alter seinen Vater fast stets begleiten, wodurch der arme Cardan in neue körperliche Schwächlichkeiten fällt, so daß man ihn schon einmal als einen Todten beweint. Sein Vater widmet ihn in einem Gelübde dem heiligen Hieronymus, und nicht seinem Dämon, den er zu haben glaubte. Cardan ist kaum wieder besser, so stürzt er mit einem Hammer eine Treppe herunter, und zerbricht den obersten linken Stirnknochen, davon er zeitlebens eine Narbe behält: auch von diesem Uebel ist er kaum geheilt, als ein Stein von einem benachbarten hohen Dache ihm auf den Kopf [107]stürzt. Sein Vater fährt fort, ihn auf eine grausame Art überall als einen Sklaven mit sich zu führen. Ein reicher Vetter will den Cardan zu seinem Universalerben einsetzen, aber Cardans Vater verhindert es, indem es unrechtmässig erworbenes Gut sey. In seinem fünfundzwanzigsten Jahre verliert er seinen Vater. Im einunddreissigsten verheiratet er sich, und erzeugt mit seinem Weibe zwei Knaben und eine Tochter.

Im fünften Kapitel beschreibt er seine körperliche Gestalt und übrigen Leibesbeschaffenheiten mit der pünktlichsten Genauigkeit. Im sechsten redet er von seinen kläglichen Gesundheitsumständen. Es ist erstaunlich, mit wie vielen Krankheiten und körperlichen Schwachheiten der grosse Mann lebenslang zu kämpfen hatte. Er war nie ganz gesund*) 3, und dies mußte nothwendig seiner ganzen Denk- und Handlungsart etwas Eigenthümliches geben. Sehr sonderbar, und vielleicht einzig in ihrer Art, ist folgende hierher gehörige Stelle. »Ich hatte, sagt er, die Gewohnheit, worüber sich die meisten verwundert haben, daß, wenn ich keine Ursachen des Schmerzes hatte, ich dergleichen selbst aufsuchte. Dadurch ging ich gemeiniglich den Krankheit erregenden Ursachen entge- [108] gen, indem ich glaubte, daß das Vergnügen in dem vorhergestillten Schmerz bestehe, und daß, wenn derselbe willkürlich sey, er auch leicht gestillt werden könne, und da ich an mir wahrnehme, daß ich niemals vom Schmerz ganz frey seyn kann: so entsteht, wenn dies einmal geschieht, ein so beschwerlicher Gemüthsdrang in mir, der nicht heftiger seyn kann, so daß der Schmerz, oder eine Ursach des Schmerzes, vorausgesetzt, daß sie nicht schändlich und gefahrvoll ist, lange nicht so schlimm ist, als jener Drang, den ich im schmerzenlosen Zustande empfinde. Daher habe ich nun Mittel, mich selbst zu quälen, erfunden. Ich beisse mich nämlich in die Lippe, ich zerstosse die Finger, kneife mich in die Haut und in den linken Armmuskel, bis ich zu weinen anfange, vermöge welcher Mittel ich noch ohne Schaden fortlebe. Ich habe eine natürliche Furcht vor hohen Oertern, wenn sie auch noch so breit sind, und vor solchen, wo ich wegen der tollen Hundskrankheit Verdacht habe. Bisweilen habe ich auch an der heroischen Liebe krank gelegen, so daß ich mich selbst umzubringen gedachte; aber ich vermuthe, daß dies auch andern begegnet sey, ob sie es gleich nicht in Büchern aufzeichnen.«

Im siebenten Kapitel redet er von seinen Leibesübungen folgendergestalt. »Vom Anfang an habe [109]ich alle Arten der Fechtkunst getrieben. Ich focht mit dem Degen allein, und mit einem länglichen, runden, grossen oder kleinen Schilde, wie man's haben wollte, und sprang sehr leicht mit einem Dolche und Degen, mit Spieß, Säbel und Mantel auf ein hölzernes Pferd. Ich verstand unbewaffnet dem andern einen bloßen Dolch aus der Hand zu reissen, ich übte mich im Laufen und Springen, worin ich's sehr weit gebracht hatte, und weiter als im Fechten, weil mir die Natur sehr kleine Arme gegeben. Im Reiten, Schwimmen und Gewehrlosbrennen war ich hingegen furchtsam, – so wie dies letzte überhaupt mein Naturfehler war. – Des Nachts ging ich selbst wider die Befehle der Fürsten in den Städten bewaffnet herum, wo ich mich aufhielt. Des Tages trug ich bleierne Soolen von acht Pfund, und des Nachts einen schwarzen Schleier über das Gesicht. Viele Tage hindurch übte ich mich vom frühesten Morgen bis gegen Abend in den Waffen, trieb dann vom Schweisse naß Musik, und schwärmte bis an den hellen Morgen öfters herum.« – –

Das achte Kapitel handelt von seiner Lebensart, in Absicht auf Schlaf, Speise und Trank. Auch hier beschreibt Cardan alles mit der größten Genauigkeit, welches wir aber füglich übergehn können, ob gleich auch hier der gelehrte Sonderling überall hervorschimmert.

[110]

Kap. 9. Von Verewigung seines Namens. Hier stellt Cardan die ernsthaftesten Betrachtungen an, ob es wohl der Mühe werth sey, sich bei der Nichtigkeit und Vergänglichkeit aller Dinge einen unsterblichen Namen zu machen. Alle äußre Vorzüge, um sich zu verewigen, fehlen ihm; weder Reichthümer, noch Gewalt, noch eine feste Gesundheit, nicht Familie und eigene Thätigkeit liessen ihm eine Hoffnung dazu übrig, – und doch bleibt sein Verlangen nach einem unsterblichen Namen immer gleich stark. Er entschließt sich, ein – Schriftsteller zu werden; aber auch der Schriftsteller Ruhm scheint ihm ein sehr unsicheres, vergängliches Ding zu seyn, – scheint viel zu viel Aufopferungen zu erfordern. – Beim Haschen nach Schriftsteller-Ehre, sagt er vortreflich (was alle Schriftsteller sich fein merken sollten!), wird dich deine Hoffnung peinigen, deine Aengstlichkeit martern, du wirst von Arbeiten entkräftet werden, und jeden übrigen Reiz des Lebens verlieren. Er untersucht ferner, was endlich die Helden der Vorzeit durch ihre mühsamen und ehrsüchtigen Plane gewonnen haben. – Aus allem vorhergehenden zieht er nun das Resultat: Wenn die Seele unsterblich ist, wozu das Gepränge von Namen; geht sie unter, wozu nützen sie? Wenn die Zeugung der Geschöpfe einmal aufhört: so werden jene Namen auch alle ihr Ende erreichen. »Es ist also kein Wunder, setzt er hinzu, daß ich aus einer Art Zwang von Ruhmbegierde [111]angefeuert werde, – und doch blieb diese alberne Begierde in mir zurück. Aeussern Ruhm und Ehre habe ich demungeachtet nicht sehr begehrt; ja sogar verachtet. Ich wünschte, daß meine Existenz bekannt sey, nicht was und wie ich grade sey. – Soviel es erlaubt war, habe ich mir selbst gelebt, und habe aus Hoffnung künftiger Dinge das Gegenwärtige verachtet.« Kurz, der Wunsch zu einer Art Fortexistenz scheint ihm am Ende doch sehr natürlich zu seyn, da er lobenswürdig bleibt.

Das zehnte Kapitel handelt von der Einrichtung seines Lebens. »Ich habe mein Leben, sagt er, so eingerichtet, nicht wie ich's gewollt, sondern wie es mir erlaubt war; habe auch nicht die Lebensart gewählt, die ich wählen sollte, sondern wovon ich glaubte, daß es die bessere seyn würde. Auch wählte ich nicht eine und die nämliche Art des Lebens, da alles gefahrvoll, lästig und unvollkommen in der Welt ist, sondern welche mir zu jeder Zeit grade die bequemste schien. Daher ist es dann gekommen, daß man mich für einen unbeständigen, veränderlichen Mann gehalten hat; denn das ist ganz natürlich, daß die, welche keine gewisse und festgesetzte Lebensart beobachten, mehrere Plane versuchen, und verschiedene schiefe Wege einschlagen. Die eigentliche Absicht meiner Handlungen war, mich auf irgend eine Art zu verewigen. Reichthümer, Ehrenstellen, Macht und Ansehn waren nicht [112] mein eigentlicher Wunsch. Auch standen mir hierbei die Schicksale und Zufälle meines Lebens, meine Nebenbuhler, die Beschaffenheit der Zeit, und meine Unwissenheit selbst im Wege. Es fehlten mir zu jenen Dingen alle Hülfsmittel; auch dadurch wurde ich von ihnen zurückgehalten, daß ich nach meiner damaligen astrologischen Kenntniß, wie es mir und andern schien, gewiß nicht das fünfundvierzigste Jahr meines Lebens erreichen würde. Unterdessen überließ ich mich füglich den Vergnügungen und der Nothwendigkeit, indem ich so recht zu leben dachte; vernachlässigte, wegen der schlechten Hoffnung, die wirklichen Dinge, verirrte mich in meinen Gedanken, und fehlte öfters in meinen Handlungen, bis ich endlich in meinem dreiundvierzigsten Jahre, welches das lezte meines Lebens seyn sollte, erst zu leben anfing.«

»Ich ergab mich den Vergnügungen, wanderte in den schattigten Gegenden ausserhalb den Mauern der Stadt umher; schmauste zu Mittag, trieb darauf Musik, fischte neben den Haynen und denen der Stadt nahe liegenden Wäldern; studirte, schrieb, und kam dann Abends wieder nach Hause.« Dieses fröliche Leben dauerte, nach Cardans eigenem Geständniß, sechs Jahre lang. Neue Leiden lagern sich um ihn her. Das Unglück seines ältesten Sohns fängt an, ihn vorzüglich zu drücken (welcher sein Weib mit Gift hatte vergeben wollen, und deswe- [113] gen im Gefängniß hingerichtet wurde). »Gewisse Magistratspersonen, sagt er, haben bekannt, daß sie meinen Sohn deswegen zum Tode verurtheilt hätten, damit ich in meinem Schmerz umkommen, oder meinen Verstand verlieren mögte; wie wenig ich von dem einen oder dem andern entfernt gewesen bin, und ich an seinem Orte erzählen will, mögen die Götter wissen; – aber meine Feinde erreichten ihre Absicht nicht.« Er will für seinen unglücklichen Sohn eine Apologie schreiben; die Hauptgedanken dazu hat er im gegenwärtigen Kapitel entworfen, welche sehr deutlich zeigen, wie ängstlich und zärtlich der unglückliche Vater bemüht war, seinen Sohn zu retten. Aber vergeblich! und den Tod desselben rechnet er zu einem der vorzüglichsten Leiden seines väterlichen Herzens.

Kap. 11. de prudentia enthält einige vortrefliche Lebensregeln, und Anweisungen zu einer practischen Klugheit, worin er sich als einen schlechten Meister bekennt, die aber nicht hierher gehören.

Kap. 12. redet er von seiner heftigen Disputierliebe, so daß keiner mit ihm in gelehrten Gezänken hat auskommen können, welches wir auch übergehn können.

Viel merkwürdiger und für die Seelenlehre wichtiger ist das folgende dreizehnte und vierzehnte Kapitel seiner Lebensbeschreibung. Er schildert darin [114]seine Sitten, Gemüthsgebrechen, seine Irrthümer, seine Tugenden und Standhaftigkeit ganz in dem Geschmacke eines Montagne und Rousseau, und läßt uns dadurch tiefe Blicke in die Natur unsrer Empfindungen thun. Er hält uns dadurch einen Spiegel vor, in welchem jeder wenigstens einen Theil seiner Gestalt erblicken kann.

»Ich kenne mich sehr wohl, fährt er nach einer kurzen Einleitung über das Studium seiner selbst, oder das γνώϑι ςεαυτόν fort. Ich bin von Natur zum Jähzorn geneigt, bin einfältig, der Wollust ergeben. Hieraus sind andere Fehler geflossen. Ich bin grausam, starrsinnig, roh und hart, unvorsichtig, hitzig, und empfinde ein über meine Kräfte steigendes Verlangen zur Rache, und eine Geneigtheit, daß mir das gefällt, was andre verwerfen, daß ich mich wenigstens so ausdrücke, als wenn mir's gefiele. – Die Rache ist süsser als das Leben selbst. – Ich mache keine Ausnahme von dem Satz, daß unsre Natur zu allem Bösen geneigt ist; ob ich gleich die Wahrheit rede, eingedenk genossener Wohlthaten, ein Freund der Gerechtigkeit und der Meinen, ein Verächter des Geldes, begierig auf Ruhm nach dem Tode bin, und alles Mittelmäßige, des Kleinen nicht zu gedenken, zu verachten pflege. – – Von Natur bin ich zu allen Lastern, zu allem Bösen geneigt. Ausser meinem Ehrgeitz kenne ich meine Unwissenheit als einer. Aus Hochach-[115]tung gegen Gott, und weil ich weiß, wie eitel und vergänglich alles ist, bediene ich mich der gegebenen Gelegenheiten der Rache mit Vorbedacht nicht. Ich bin kalten Herzens, furchtsam und habe ein hitziges Gehirn; bin immer in Gedanken, indem ich stets über viele äusserst wichtige, und selbst unmögliche Dinge nachdenke. Ich kann auch meine Aufmerksamkeit auf zwei Sachen zu gleicher Zeit wenden. Die, welche mir eine Schwazhaftigkeit und ein Uebermaaß in meinen Lobpreisungen Schuld geben, beschuldigen mich ganz fremder Fehler. Ich greife keinen an, ich vertheidige mich bloß. Warum sollte ich mich auch darum bekümmern, da ich so oft von der Nichtigkeit des Lebens Zeuge gewesen bin? – Ich habe mir angewöhnt, meinem Gesicht immer eine andere Gestalt zu geben; daher kann ich mich anders zeigen, als ich's meine, ob ich gleich nicht zu heucheln verstehe. Doch ist dies leicht, wenn es zu der Seelenstimmung, nichts zu hoffen, etwas beiträgt, welche ich seit funfzehn Jahren auf's mühsamste zu erlangen gesucht, und endlich erreicht habe. Dieserwegen gehe ich bisweilen in Lumpen, bald geschmückt umher, bin bald still, bald geschwätzig, bald frölich, dann wieder traurig. In meiner Jugend habe ich mich wenig um die Ausschmückung meines Kopfes bekümmert, weil ich von einer Begierde, mich auf wichtigere Dinge zu legen, beherrscht wurde. In meinem Hause gehe ich vom Knöchel bis an die Waden mit bloßen Beinen. [116]Mein Gang ist ungleich, bald schnell, bald wieder langsam. Bin wenig gottesfürchtig, und kann meine Zunge nicht im Zaum halten, bin auf's höchste zum Zorn geneigt, so daß es mich oft gereut, und ich einen Abscheu dafür habe.« – – – Nach einer Episode, die ich übergehe, fährt er so fort: »Ich weiß, daß dies einer meiner grössten und sonderbarsten Fehler ist, daß ich von nichts lieber rede, als was den Zuhörenden mißfällt. Mit Wissen und Willen fahre ich hierin fort, und es ist mir nicht unbekannt, wie viel Feinde mir diese Eigenschaft zuzieht. So viel vermag die Natur durch eine lange Gewohnheit! Doch vermeide ich jenen Fehler bei meinen Wohlthätern und den Großen. Ich liebe die Einsamkeit so viel es möglich ist, obgleich Aristoteles diese Lebensart verworfen und gesagt hat, daß ein Einsiedler entweder ein Thier, oder eine Gottheit ist. Aus Schwachherzigkeit, und zu meinem nicht geringen Schaden, behalte ich das Gesinde bei, von welchem ich weiß, daß es mir nicht nur unnüz sey, sondern sogar zu meiner Schande gereicht: ja ich kann mich nicht einmal von den mir geschenkten Thieren, als Böcken, Lämmern, Haasen, Kaninchen, Störchen trennen, so daß sie mir das ganze Haus besudeln. Ich habe wenig, und vornehmlich keine getreuen, Freunde gehabt. Ich habe darin viel und selbst die größten Fehler begangen, indem ich mich zur rechten und unrechten Zeit in alles mi-[121]schen wollte, und habe selbst die beleidigt, welche ich herauszustreichen mir vorgenommen hatte. Im Urtheilen bin ich zu schnell, und fasse daher übereilte Rathschläge, und kann bei keinem Geschäfte einen Aufschub leiden. Da meine Nebenbuhler bemerkt haben, daß ich nicht leicht zu fangen bin, wenn ich Zeit habe: so thun sie nichts anders, als daß sie mich treiben. Ich ertappe sie offenbar, hüte mich vor ihnen als Nebenbuhlern, und halte sie, was sie auch wirklich sind, für meine Feinde. – Wenn ich mir nicht angewöhnt hätte, über eine Sache, die ich freiwillig that, wenn sie auch schlecht ablief, keine Reue zu empfinden: so wäre ich der unglücklichste Mensch geworden. Die vornehmste Quelle meiner Leiden waren aber gemeiniglich die höchst dummen und schändlichen Streiche meiner Söhne, die Sorglosigkeit der Anverwandten, und ihr Neid gegen die Ihrigen, ein eigenthümlicher Fehler der Familie. Von meiner Jugend auf bin ich dem Schachspiele auf eine unmäßige Art ergeben gewesen, wodurch ich dem Franziscus Sforza, Prinzen von Mailand, bekannt wurde, und mir die Freundschaft vieler Großen zugezogen habe. Da ich aber jenes Spiel viele und beinahe vierzig Jahre hindurch beständig trieb: so kann ich nicht sagen, wieviel mein Hauswesen darunter gelitten hat. Noch ärger ging es mit dem Würfelspiel, indem ich meine Söhne selbst darin unterrichtet hatte, und mein Haus oft den Würfelspielern öffnete.«

[118]

Im vierzehnten Kapitel, virtutes et constantia überschrieben, redet Cardan von seiner Beständigkeit im Glück und Unglück. »Ich habe, fährt er fort, zur Bewunderung andrer, meine unglücklichen Schicksale geduldig getragen, und bin in meinen glücklichen beständig der nämliche geblieben. Ich habe in meinem Glück meine Sitten nie geändert, bin nicht härter, ehrgeitziger, ungeduldiger geworden, habe die Armen nicht verachtet, habe meine alten Freunde nicht vergessen, habe mir im Umgange kein größres Ansehn gegeben, und keinen vornehmern Ton angenommen, habe nie köstlichere Kleider getragen, als ich zu der Rolle, die ich spielte, zu tragen genöthigt war. In traurigen Lagen meines Lebens bin ich aber doch von Natur nicht so standhaft geblieben, da ich oft Leiden tragen mußte, die meine Kräfte überstiegen; aber ich habe durch Kunst die Natur überwunden. Denn bei den größten Leiden meines Gemüths schlug ich mit einer Ruthe meine Schienbeine, biß mich heftig in den linken Arm, fastete, und machte mir durch Weinen Luft, wenn ich weinen konnte, denn oft konnte ich's nicht; stritte auch mit Vernunftgründen gegen meine Leiden, indem ich mir immer vorsagte: daß nichts neues unter der Sonne geschehe u.s.w. Oft bin ich auch, wenn meine Leiden zu groß wurden, durch die Güte des Himmels, und gleichsam durch ein Wunderwerk davon befreit worden, wie ich unten gesagt [119]habe. Bei meinen Handlungen war ich sehr beständig, und vornehmlich bei Ausarbeitung meiner Schriften, so daß ich bei den angenehmsten, mir dargebotenen, Gelegenheiten von meiner Arbeit nicht wegging, sondern dabei sitzen blieb, indem ich wohl wußte, wie viel die Veränderlichkeit seiner Vorsätze meinem Vater geschadet hatte.« – –

»Meine Freundschaft habe ich nie abgebrochen, und geschahe es einmal: so habe ich nie etwas verrathen, was unter uns Freunden vorgegangen war, habe auch keinem hinterher Vorwürfe gemacht. Ich rechne es mir als eine Tugend an, daß ich von meiner frühsten Jugend an nie gelogen, meine Armuth, meine so vielen traurigen Schicksale geduldig ertragen habe, und nie mit Recht einer Undankbarkeit beschuldigt werden kann.«

Das Meiste, was Cardan Kap. 15–36. erzählt, können wir übergehn. Einiges scheint aber doch in Absicht seines Charakters wichtig genug zu seyn, um hier angeführt zu werden.

Von frühester Jugend an hatte er sich angewöhnt, dies Gebet zu beten: »Herr Gott, schenke mir nach deiner unendlichen Güte ein langes Leben, Weisheit und Gesundheit des Geistes und Leibes.« – »In keinem Stücke, sagt er Kap. 23, bin ich [120]mir besser vorgekommen, als in Absicht meiner Lebensregeln wegen der Länge meines Lebens, und der Menge meiner Leiden. – Erstlich habe ich Gott immer für alles, was mir begegnet ist, gedankt; zweitens habe ich die Gottheit fleissig angerufen; drittens war es mir nicht genug bei einem Verlust den Schaden zu ersetzen, sondern machte, daß ich immer noch etwas darüber erhielt; viertens nahm ich immer auf die Zeit die genaueste Rücksicht, daß ich, wenn ich ritte, aß, im Bette lag, wachte, mit andern sprach, stets über etwas meditirte; fünftens verehrte ich die Greise sehr, und war gern bei ihnen; sechstens war ich auf alles aufmerksam, und glaubte, daß nichts von ungefähr geschehen könne; siebentens zog ich das Gewisse fast immer dem Ungewissen vor; achtens bestand ich auf keiner Sache, die mir misglückte, und machte lieber Versuche, als daß ich mich auf meine Geschicklichkeit und Kunst verließ, was vornehmlich bei Heilung der Kranken der Fall war. Im übrigen überließ ich mich dem Schicksale, und dachte über das Vergangene, wie die meisten thun, nicht weiter nach.«

Sonderbar ist folgende Erzählung, die er uns über die Wahl seiner Frau mitgetheilt hat: »Ich wohnte zu Sacci, sagt er, und führte das glücklichste Leben von der Welt, als ich mich einstmals des Nachts in einem angenehmen, vollkommen schönen, mit Blumen und Früchten angefüllten [121]Garten erblickte. Es wehte eine sanfte Luft, so daß kein Mahler, kein Dichter, kein menschlicher Gedanke etwas angenehmeres hätte hervorbringen können. Ich befand mich am Eingange des Gartens, die Thür stand offen, und gleichfalls eine gegenüber, als ich ein Mädgen in einem weißen Kleide erblickte. Ich umarmte und küßte sie; aber beim ersten Kuß riegelte schon der Gärtner die Thür zu. Ich bat ihn inständigst, daß er sie offen lassen mögte; aber umsonst. Es kam mir also vor, als wenn ich, indem ich darüber traurig war, und immer noch an dem Mädgen hing, hinausgeschlossen wurde. In der nämlichen Nacht wurden wir aufgeweckt, – indem meines Nachbars Haus brannte. Wenige Tage darauf sah ich ein Mädgen auf der Straße, welche in ihrem Gesicht und Kleidern vollkommen dem Mädgen glich, das ich im Traum gesehn hatte. Ich empfand eine brennende*) 4 Liebe« – und er heiratet dies Mädgen. – Fast allen Glauben übersteigen die Gefahren und widrigen Zufälle seines Lebens, deren Erzählung er ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Viermal ist er in der äusserstenTodesgefahr gewesen; zu den größten Leiden seines Lebens rechnet er – seine Unfähigkeit zum Heirathen vom einundzwanzigsten bis zum einunddreissigsten Jahre seines Lebens; die grausame [122]Hinrichtung seines Sohns; seine eigene Einkerkerung; die Gottlosigkeit seines dritten Sohns, und die Unfruchtbarkeit seinerTochter. Die Nachstellungen nach seinem Leben sind in der That äusserst merkwürdig, und ein Beitrag zur Geschichte menschlicher versteckter Bosheit.

»Als ich, sagt er, zu Pavia öffentliche Collegia las, hatte ich eine Magd, einen jungen Menschen, Hercules, zwei Knaben, und wo ich nicht irre, einen Bedienten im Hause. Der eine von den Knaben war mein Hauslaquai und ein Musikus, der andre wurde zum Ausschicken gebraucht. 1562 wollte ich von Pavia weggehn und meine Professur niederlegen. Der Senat nahm dies übel, und suchte mich beizubehalten. Nun waren aber noch zwei Doctoren in Pavia, – einer war sogar mein Schüler gewesen, ein erzlistiger Kerl; der andre lehrte die Arzneikunst, ein einfältiger und, wie ich glaube, nicht böser Mensch. Da beide meine Nebenbuhler waren, so thaten sie alles mögliche, daß ich die Stadt verlassen mögte; da dies aber der Senat nicht zugeben wollte, ob ich gleich um meinen Abschied anhielt: so beschlossen sie, mich heimlicher Weise zu ermorden, und legten ihren Plan auf mein Leben von weitem an. Zuvörderst schrieben sie im Namen meines Schwiegersohns und meiner Tochter einen äusserst schändlichen und schmutzigen Brief, daß sie sich nämlich im Namen des Se-[123]nats und des ganzen Collegiums ihres Vaters (meiner) schämten, und mich einer öffentlichen Professur unwürdig hielten. Ueber eine so unverschämte und kühne Beschuldigung meiner eigenen Kinder bestürzt, wußte ich nicht, was ich machen, was ich sagen oder antworten sollte. Wenige Tage darauf wurde mir ein andrer Brief im Namen des Floravanti gebracht folgendes Inhalts: Er schäme sich im Namen des Vaterlands, des Collegiums und der ganzen Gesellschaft der Professoren, indem überall ausgestreut sey, daß ich mit den Knaben heimlich zu thun hätte, und gemeiniglich zwei zu gleicher Zeit mißbrauche. – Dadurch wollte man mich stürzen, und einen von jenen Doctoren in meine Stelle befördern.« Cardan befreit sich von dem abscheulichen Verdacht einer ihm schuld gegebenen Knabenschänderei, aber seine Feinde machen neue Plane zu seiner Ermordung. Als er in der Akademie zu Pavia soll aufgenommen werden, findet er einen Balken am Eingange des Hauses so gelegt, daß er leicht darüber hätte zu Tode fallen können; ein andermal wird er zu einem Patienten gerufen, und man hat an der Hausthüre ein Stück Blei angebracht, daß es über den Cardan herabstürzen muß; noch ein andermal wollen sie ihn vergiften, und suchen vorher seine Hausleute zu entfernen, damit sie von seinen Speisen nicht mit vergiftet werden mögten.

Im 37sten Kapitel seiner Lebensbeschreibung erzählt er einige seiner sehr sonderbaren Eigenschaften, [124]nebst einigen Träumen, wovon Cardan sehr viel hielt, und in welcher Rücksicht er eine gewisse Prophezeihungsgabe zu besitzen glaubte. Das ganze Kapitel ist ein merkwürdiger Beitrag zur Stärke und den Ausschweifungen der menschlichen Einbildungskraft, die sonderlich bei hypochondrischen Leuten oft die sonderbarsten Empfindungen und Chimären hervorbringt.

»Auf Befehl meines Vaters, hebt er an, blieb ich gemeiniglich bis drei Stunden nach Anbruch des Tages im Bette liegen, und hatte von meinem vierten bis gegen das siebente Jahr des Morgens, ehe ich zur bestimmten Zeit aufstehn durfte, sonderbare Erscheinungen, die mir sehr angenehm waren, und mich nie vergebens auf sich warten liessen. Ich erblickte nämlich allerlei Bilder gleichsam von Luftkörpern, die aus ganz kleinen Ringen zu bestehen schienen, wie Panzerringe, ob ich gleich damals noch keinen Panzer gesehn hatte. Sie stiegen von der untersten rechten Ecke des Bettes in einem Halbcirkel in die Höhe, und fielen langsam zur linken Seite nieder, so daß ich sie nicht mehr sahe, als z.B. Bilder von Schlössern, Häusern, Thieren, Pferden, nebst den Reutern, Pflanzen, Bäumen, musikalischen Instrumenten, Theatern, Menschenkleidern und verschiedenen andern Kleidern; vornehmlich aber von Trompetern mit ihren Instrumenten, ob sie gleich keinen Ton von sich gaben. Ausserdem [125]erschienen mir Soldaten, Völker, Aecker und andre, mir noch auf diesen Tag verhaßte, Körpergestalten; ferner Haine, Wälder und andre Dinge, deren ich mich nicht mehr erinnere, oft auch eine ganze Menge zugleich vor meinen Augen vorbei eilender Gegenstände, ohne daß sie sich unter einander vermischten. Alle diese Dinge waren hell und durchsichtig, aber doch nicht so, als wenn sie deswegen nicht wirklich vorhanden gewesen wären, auch nicht so dicht, daß sie das Auge nicht durchschauen konnte. Selbst die schattigten Zirkel waren ganz durchsichtige Räume. Ich fand an diesem Schauspiele ein großes Vergnügen, und sah diese Wunderdinge starr an, daher mich meine Tante einmal fragte: Ob ich etwas sähe? Ob ich gleich noch ein junges Kind war, so dachte ich doch bei mir selbst, wenn du Ja sagst: so mögte sie böse werden, und dir den ganzen Spaas verderben; denn es erschienen mir auch allerlei Blumen und vierfüssige Thiere, und Vögel aller Art, ob ihnen gleich, da sie bloße luftige Bilder waren, die Farben fehlten. Da ich nun weder in meiner Jugend, noch in meinem Alter gelogen habe, und meine Tante mich einmal fragte, was ich so starr ansehe: so weiß ich nicht, was ich ihr geantwortet habe; ich glaube wohl, ich habe gar nichts geantwortet.«

»Sehr oft sah im ich Traume einen Hahn, vor dem ich mich fürchtete, daß er nicht einmal mit [126]menschlicher Stimme zu reden anfangen mögte, welches aber doch kurz darauf geschah. Es waren gemeiniglich Drohworte, deren ich mich aber doch nicht mehr erinnere. Der Hahn hatte rothe Federn, einen rothen Kamm und dergleichen Backenbart. Ich glaube, daß ich ihn wohl hundertmal gesehn habe.«

(Die Fortsetzung folgt im nächsten Stück.)

Fußnoten:

1: *) Die 1663 zu Lion herausgekommene Ausgabe seiner Werke besteht aus zehn dicken Folianten. a

2: *) Religion und Klima Dänemarks waren die Ursachen, warum er die Bedienung ausschlug.

3: *) So wie sein ganzes Leben überhaupt eine Kette unglücklicher und sehr sonderbarer Begebenheiten war.

4: *) Er giebt nicht undeutlich zu verstehen, daß das Feuer eine Vorbedeutung von seiner Liebe gewesen ist.