ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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3.

Materialien zu einem analytischen Versuche über die Leidenschaften.

Pockels, Carl Friedrich

Bonnet schrieb einen analytischen Versuch über die Seelenkräfte. a Er zergliederte darin die Anfänge des menschlichen Denkens, wie man die einzelnen Theile eines Körpers anatomirt, er suchte die ersten Principien der Empfindungen Stückweise auf, und bildete daraus endlich ein Ganzes, welches der Seelenlehre eine ganz neue und sehr interessante Gestalt gegeben hat. Ich wünschte, daß einer unsrer großen Köpfe einen ähnlichen Versuch über die Leidenschaften schreiben möchte. In einem solchen [53]Versuche müßten die Leidenschaften gleichsam anatomirt, und in die einfachsten Bestandtheile der Empfindung und des Wollens zerlegt werden. Er müßte die genauesten auf bestimmte Erfahrungen gebauten Gründe enthalten, warum eine Leidenschaft jetzt so und nicht anders entstand; warum und wie sie sich mit andern vermischte, umtauschte, und neue Grade des Wollens hervorbrachte; welcher Grad und warum dieser Grad von Ideenlebhaftigkeit oder auch körperlichen Einflusses erfodert wurde, der Leidenschaft ihre eigenthümliche Spannung und Reizbarkeit zu geben. Vornehmlich aber müßte ein solcher Versuch zeigen, wie eine jede Leidenschaft endlich mit einem allgemeinen Princip des Wollens, so vermischter Natur sie auch seyn mag, zusammenhängt, und nach demselben ihre verschiedenen Gestalten, Schattirungen und Nüancen erhält. — Daß es ein solches allgemeines, und zwar einziges Princip des Wollens giebt, ist nicht zu läugnen, so sehr auch die alten und neuen Philosophen in den Hauptzweigen seiner Aeußerungen voneinander abgehen.

Um aber zu einer solchen analytischen Kenntniß der Leidenschaften zu gelangen, müßten wir vornehmlich die Aeußerungen derselben in sehr vielen, und auch zum Theil unerwarteten Fällen zu beobachten suchen. Dem aufmerksamsten Psychologen entwischen oft selbst die wahren Gründe eines Phänomens, [54]wenn er es bloß isolirt betrachtet, und nicht mit sehr vielen andern Phänomenen, äußern und innern Umständen des Denkens, Lagen und Veränderungen mehrerer individueller Zustände des Wollens vergleicht. Vorzüglich, muß er seine Aufmerksamkeit bey gemischten Leidenschaften verdoppeln, und die Differenz richtig zu finden suchen, die für die Natur der Leidenschaft herauskommt, wenn er das Passive von dem Activen abzieht.

Wir haben sehr viel Theorien*) 1 über die Leidenschaften, aber wenige berühren den eigentlichen Calculus der Empfindungen, welcher sich auf die kleinsten und ersten Elemente und Schattirungen der Leidenschaften erstreckt. Sie sind gemeiniglich zu allgemein, zu compendiorisch, als daß sie analytische Theorien genannt zu werden verdienten; vornehmlich aber haben sie den Fehler, daß ihre Verfasser nicht Anatomen genug waren, um das ganze Gebiet der Empfindungen, soweit der menschliche Scharfsinn reicht, physiologisch zu beleuchten. Es giebt keine einzige Leidenschaft, die nicht einen genauen Bezug auf unsern Körper und seine Bauart hätte. Alles Wollen wird durch den Einfluß des Bluts, der Lebensgeister, des Nervensafts und der körperlichen Ideenassociation bewürkt, und wir wer-[55]den daher ohne eine genaue Kenntniß des menschlichen Körpers nie eine analytische Theorie der Leidenschaften erwarten können. Von dieser Seite her ist überhaupt die Psychologie noch wenig bearbeitet, ob auch gleich hievon Versuche genug vorhanden sind. Wenn wir erst mit den feinsten Graden der Blutbewegung, die zum Anstoß einer Leidenschaft erfoderlich ist, mit den innern Eigenschaften der Nerveneindrücke und dem Zusammenhange materieller Ideen mit gewissen Gemüthsbewegungen, und überhaupt mit dem physiologischen Theile der Leidenschaften bekannter seyn werden, dann werden wir das Spiel derselben und die ganze Theorie ihres Würkens wie eine Aufgabe der Experimentalphysik berechnen können, wenn uns auch dabey immer noch der Uebergang von Materie zum Bewußtseyn, oder von Bewegung zu Idee ein Geheimniß bleiben sollte.

Ich habe mir vorgenommen, in dem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde nach und nach Materialien zu einem analytischen Versuche über die Leidenschaften zu sammeln. Ich kann bey dieser Sammlung selbst noch keine Rücksicht auf eine systematische Ordnung nehmen, die jetzt ohnedem auch noch bey den ersten Anfängen dieser Materialien unnütz seyn würde. Ich liefere sie so, wie sie sich mir darboten, und überlasse einem künftigen Systematiker, sie nach seinen Absichten zu ordnen. Wenn ich bisweilen [56]hiebey meine Ideen über die Moralität einer Leidenschaft geäußert habe; — so scheint dies nun eigentlich nicht grade zu Materialien zu gehören, allein es scheint nur so; indem wir keine Leidenschaft ohne einen gewissen moralischen Bezug auf unser Seyn denken können, sobald wir sie als eine Willensäußerung eines vernünftigen Wesens denken.

Eigentlich hätte ich wohl von der Selbstliebe anfangen sollen, da sie nach einer genauen Zergliederung unsrer Empfindungen, als der erste physische und moralische Wollenstrieb unserer gesamten Thätigkeit angesehen werden muß; aber ich sage noch einmal, daß bey Sammlung bloßer Materialien noch nicht die Frage ist, ob sie in einer gewissen Ordnung liegen müssen. Auch könnte ich noch hinzusetzen, daß erst nach einer genauen Anatomie der Leidenschaften die Selbstliebe in der Theorie der Empfindungen als das erste Prinzip des Wollens erscheine, und als ein solches erkannt werden müsse, was auch die Vertheidiger der selbstständigen wohlwollenden Gefühle dagegen sagen mögen.

P.


Neid — Mißgunst —

Zu den an sich unangenehmen Gemüthsbewegungen, die in Rücksicht eines vernünftigen Wesens [57]außer uns undgegen dasselbe entstehen, rechnen wir den Neid. Wir beneiden einen andern, wenn wir ihm die Vorzüge seiner Ehre, seines Standes, seiner Kenntnisse, seiner Lebensart und seines Glücks überhaupt nicht wünschen; sondern sie gern selbst besitzen möchten; welches Letztere sonderlich der Charakter des Mißgünstigen ist. An sich ist der Wunsch des Selbstbesitzens nicht allemal mit dem Neide verbunden. Es giebt sehr viele Fälle, wo wir einem andern seine Vorzüge nicht gönnen, sie uns aber auch nicht selbst wünschen, weil wir das Lästige, Unbequeme und Gefährliche davon fürchten, oder auch unser Ungeschick dazu — was doch seltener der Fall ist — einsehen; oder wir können auch mit unserm Zustande so zufrieden seyn, daß wir das Glück eines andern zu wünschen, keine Ursach haben. Sehr oft geschieht es auch, daß wir einen andern gleichsam in der Seele eines dritten beneiden. Z.B. eines guten Freundes, welcher nach unsrer Meinung das Glück des erstern viel mehr verdient hätte.

Uebrigens mögen wir aber den Neid betrachten, von welcher Seite wir wollen; so liegt allemal Selbstliebe, Selbstinteresse bey ihm zum Grunde, so versteckt es auch auf unsere Leidenschaft würken mag. Wenn wir einem andern seine Vorzüge nicht gönnen, sie uns auch selbst nicht wünschen; so werden wir doch dabey von einer dunkeln, uns [58]täuschenden Vorstellung von den Vorzügen jenes Glücks geleitet, wodurch der andre mehr Gewicht und Ansehn, wenigstens zu bekommen scheint, als wir ihm wünschen, und wir wünschen ihm dieses vermöge jener dunkeln Vorstellung nicht, weil wir eine Verdunkelung unsrer Vorzüge, eine Herabsetzung unseres Ichs, wenigstens in unsrer Einbildung, befürchten.

In den allermeisten Fällen wünschen wir uns aber wirklich in den Besitz der Vorzüge, die ein anderer vor uns voraus, oder auch gemein hat — denn wir denken uns die seinen immer größer, als sie sind, — der Neid erhöht eben so leicht das Glück des andern in der Einbildung, als er sich quält, das Bild jenes Glücks zu verkleinern. Wir denken uns lebhaft in die glückliche Lage des andern hinein, ob gleich der andere das Angenehme und Reitzende derselben hundertmal weniger empfinden mag, als wir von ihm glauben. Wir setzen uns in die Stelle desselben; — denken uns, wie wohl ihm zu Muthe seyn müsse, wenn er Ehrenbezeugungen und Lobsprüche einärndet, Gelder einstreicht, die Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens ruhig und nach Gefallen genießen kann, mit angesehenen Leuten umgeht, mächtige Gönner und Freunde hat, Freude an seinen Kindern erlebt. — Wir denken uns gleichsam in die Seele des Mannes, den keine Sorgen drücken, der von keinen trüben Aussichten in die [59]Zukunft beunruhigt wird, dessen Pläne alle glücklich von statten gehen, anstatt daß vielleicht kein einziger von den unsrigen zu Stande kommt. Dieses Sichhineindenken in die glückliche Lage eines andern, und der dunkle oder deutliche Vergleich derselben mit der unsrigen ist allemal der erste Anfang jedes neidischen und mißgünstigen Gefühls, so wie die Fortsetzung desselben Gefühls davon abhängt. Je eitler, eigennütziger, ehr- und geldgeiziger wir sind, desto stärker werden wir von dem Glücke eines andern zum Neide und zur Mißgunst gereizt werden, und dieser Neid wird oft in wirklichen Haß übergehen, wenn uns gleich der andere nie beleidigt, sondern sogar Wohlthaten erwiesen hat.

Unser Neid wird uns gerecht dünken 1) wenn der andre seine Vorzüge nicht zu verdienen scheint, 2) wenn wir ihm seine erhabnen Eigenschaften des Geistes, seine Talente beneiden.

Im ersten Fall wird der Dummkopf, der sich vor uns emporgeschwungen, und durch ein günstiges Geschick viel mehr äußere Vortheile und Vorzüge erlangt hat, als wir durch unsere Verdienste je erreichen werden; der Reiche, welcher ohne eigenen Fleiß und Anstrengung, vielleicht durch einen ungefähren Zufall, vielleicht auch durch einen ehrlosen niederträchtigen Streich sein Glück gemacht hat; der geehrte und gerühmte Mann, welcher durch allerley Kunstgriffe und listige Mittel den erschlichenen [60]Beyfall der Großen und der Menge genießt; der Fremdling, welcher in seinem Vaterlande nichts galt und gelten konnte, uns Aemter und Würden nimmt, die wir eher zu verdienen glaubten, — unsern ganzen gerechten Neid zu verdienen scheinen, und das um so viel mehr, je eine größere Idee wir von unsern Talenten und Verdiensten hatten, und je mehr unsere Absichten und Schicksale mit den seinigen in Collision kamen.

Im zweyten Fall kommt uns der Neid gerecht und billig vor, weil wir den andern um eines Seelenguts willen beneiden, was sich ein jeder Mensch vorzüglich wünschen muß. Die Wichtigkeit des gewünschten Gutes scheint die Leidenschaft des Neides wirklich zu rechtfertigen, und dieser Neid scheint uns wieder Ehre zu machen, weil das ein vortrefflicher Mensch seyn muß, der die erhabnen Eigenschaften des Geistes eines andern zu besitzen wünscht, und weil wir voraussetzen können, daß jener Neid ihn antreiben werde, sich eben so auszubilden. Auch können noch andere hinzukommende Empfindungen in uns den Neid rechtfertigen; — ein edles Gefühl der Reue, daß wir es noch nicht so weit gebracht haben; — eine menschenfreundliche Begierde, daß wir eben so viel Nutzen wie jener durch seinen Kopf stiften möchten u.s.w.

Man rechnet zur Natur dieser Leidenschaft nicht ohne Grund das Bestreben, dem, den wir benei-[61]den, in seinem Glücke hinderlich zu seyn, ihm den Genuß desselben zu verbittern, seine Eigenschaften zu verkleinern, seine Freunde gegen ihn einzunehmen u.s.w. ob dies gleich eigentlich mehr die Natur der Mißgunst ist. Der eigentliche Neid bey edlen Menschen geht gewiß so weit nicht; aber demohnerachtet läßt sichs selbst bey einem edlen Charakter wohl denken, daß er eine gewisse überraschende Freude empfindet, wenn der Beneidete Hindernisse seines Glücks antrift. Diese Freude ist eine psychologische Folge der Leidenschaft, über die kein Mensch in dem Augenblick der Ueberraschung Herr seyn kann. Sie scheint uns gleichsam eine Genugthuung für das Mißvergnügen zu seyn, welches wir über die Vorzüge eines andern empfanden, und wir können uns ihr in gewissen Augenblicken, wenn wir nicht über unsere Zunge und Ausdrücke wachen, so sehr von ihr hinreissen lassen, daß wir in Gefahr gerathen, von andern für sehr schlecht gehalten zu werden, so rein auch unser Charakter seyn mag. Sonst treffen wir hierbey einen frappanten Unterschied in dem Benehmen eines verständigen, gebildeten und moralischen Mannes, und eines rohen, ungebildeten und unmoralischen an. Jener wird seinen Neid zu verbergen suchen, wird ihn nicht durch Verläumdungen und Verkleinerungen des andern an den Tag legen, und selbst Mitleiden mit dem Beneideten haben, wenn er unglücklich werden sollte; dieser wird mit einer triumphirenden Miene [62]von dem Unglücke des Beneideten sprechen, seine Mißgunst durch Beschimpfungen und ein mürrisches Wesen offenbaren, und seine hämischen, satyrischen und ungerechten Bemerkungen über ihn nicht unterdrücken können.

Man wird es selten finden, daß sich Menschen einander ihrer Tugenden wegen beneiden, und wenn sie es thun, geschieht es mehr in Rücksicht der glücklichen Folgen gewisser Vortheile des Lebens, die daraus entspringen, als ihrer moralischen Güte an sich selbst. Der Grund hievon ist nicht schwer zu entdecken. Derjenige, welcher selbst kein tugendhafter Mann ist, kann das Glück eines andern, der es ist, — ein Glück, das seinen innern nicht grade in die Augen fallenden Gehalt hat, gar nicht beurtheilen, weil er vorher selbst tugendhaft seyn müßte. Der gute Mensch, als guter Mensch betrachtet, kann daher jenem kein Gegenstand des Neides seyn, und dies um so viel weniger, da das äußere Glück guter Menschen selten beneidenswürdig ist, oder doch beneidenswürdig scheint. Daß ein Tugendhafter einen andern Tugendhaften beneidet, (diese Begriffe enthalten nichts widersprechendes in sich, weil es wirklich einen dergleichen edlen Neid geben könnte,) läßt sich auch nicht wohl annehmen, weil doch ein jeder Mensch von seinem moralischen Ich bey aller Bescheidenheit, die wir ihm geben, einen deutlichern Begriff, als von dem eines andern haben[63] muß, und sich nicht gern unter den andern in Absicht seiner tugendhaften Handlungen setzen wird. Hiezu kommt noch der Gedanke: daß der andere Tugendhafte nicht durch bloßen Zufall, durch ein unverdientes äußeres Geschick, sondern durch eigene Anstrengung, eigenen Fleiß das ist, was er ist, und also das zu seyn verdiene, was er ist, was bey einem äußern Glück uns so selten der Fall zu seyn scheint. — — Noch mehr aber der Gedanke, daß wir ihm, wenn seine Tugend auch sehr beneidenswerth seyn sollte, hierin ähnlich werden können, wenn wir nur wollen. Ueberhaupt nimmt der Neid gemeiniglich in dem Grade ab, als wir das Glück des beneideten leicht erreichen zu können glauben — als überhaupt mehr jenes Glück von unserm freyen Willen abhängt.

Wir können den Charakter eines andern beneiden, allein deswegen beneiden wir die Tugenden des andern noch nicht, — weil diese immer schon eigentlich mehr von unserm freyen Willen abhängen, jener hingegen nie ganz von dem bloßen Willen des Menschen abhängen kann. Wir wünschen uns oft den ruhigern, festern und unerschütterlichen Charakter, die zufriedenere Art zu handeln, die wir an einem andern bemerken, besonders wenn wir von der Lebhaftigkeit unsrer Leidenschaften hin und her geworfen werden, und wenn diese Lebhaftigkeit uns leicht zum Vorwurf oder Schaden gereichen kann.

[64]

Nach diesen allgemeinen vorausgeschickten Sätzen, will ich auf einzelne psychologische Phänomene kommen, welche man bey den Neidischen und seiner Leidenschaft bald mehr bald weniger zu bemerken Gelegenheit hat.

a) Der eigentliche Neid setzt eine gewisse Gleichheit oder Aehnlichkeit des Standes, der Geburt, der Lebensart und des Geschlechts in den meisten Fällen voraus, wenn er gegen einen andern entstehen soll, weil nehmlich in diesen Fällen nicht nur die menschlichen Wünsche und Pläne am leichtesten collidiren, sondern weil wir auch das Verdienst des andern genauer abwägen zu können glauben. Wir beneiden eigentlich einen Monarchen, der viele Heere und Länder hat, nicht, weil jene Gleichheit oder Aehnlichkeit fehlt, weil wir sein Glück unmöglich erreichen können, und weil unsere Ehre, Wünsche und Geschäfte selten mit den seinigen in Collision kommen, oder auch weil ein gewisses helles, oder auch dumpfes Gefühl von Ehrerbietung den Neid zurückhält; hingegen beneidet der Gelehrte den Gelehrten, der Künstler den Künstler, der Handwerker den Handwerker, weil tausend Fälle zusammentreffen können, wo sich ein beiderseitiges Interesse durchkreuzt, und einer dem andern im Wege steht. Ich rechne zu diesem Handwerksneide; — ein Wort, welches ich eben so gut von dem Gelehrten Neide gebrauchen kann etc. — vornehmlich eine [65]nähere Bekanntschaft mit der Person des Beneideten, und die Furcht, daß er mir wohl Abbruch thun könne. Versetzt den Glücklichen in einen Ort, wo ich ihn nicht zu kennen Gelegenheit habe, so viel mir auch von seinen Vorzügen vor erzählt werden mag; oder entfernt ihn einige hundert Meilen von mir, daß mir seine Gegenwart nicht mehr im Wege steht, und mein ganzer Neid wird aufhören, wenn auch jener Glückliche an dem andern Orte noch viel glücklicher werden sollte.

b) Wir beneiden dem andern Geschlecht seine Vorzüge nicht; aber desto stärker beneiden sich Frauenzimmer unter einander.

Die Vorzüge des andern Geschlechts kommen wieder mit den unsrigen nicht so oft in Collision, als die der Männer; — wir wünschen sie auch nicht besonders sehr, und sie würden sich nicht einmal immer für unser Geschlecht passen. Hiezu kommt ein uns gewissermaßen angebornes Gefühl von Superiorität, welches durch unsere Geschäftsart, durch körperliche Kräfte, durch Kunst- und Wissenschaftsfleiß noch mehr unterhalten wird, — ferner auch jenes zärtliche Interesse, welches wir an den Schicksalen und Wünschen des andern Geschlechts vermöge der Einrichtung unsrer Natur nehmen, wodurch den Empfindungen des Neides entgegengearbeitet wird. Auffallend ist die Heftigkeit dieser Leidenschaft bey Frauenzimmern wegen der Lebhaftigkeit ihrer [66]Empfindungen überhaupt, und ihres Interesses an tausend eiteln Wünschen insbesondere. Schon ein besserer Putz, ein tieferes Compliment, das eine andere bekommt, kann den Neid mit allen seinen Qualen in ihnen erzeugen, Schönheit, Gabe der Coquetterie, Anbeter, Schmeicheleyen, Liebe und Eheglück sind eben so viel Veranlassungen zu jener Leidenschaft, die sie öfterer, als bey Männern geschieht, zu dem giftigsten Hasse verleiten kann. Ich glaube mich nicht zu irren, daß die meisten Feindschaften zwischen Frauenzimmern einen wenigstens entfernten Grund in dem Neide haben, und daß die Veränderlichkeit ihrer Freundschaft unter einander sowohl, als die Medisance in ihren mannigfaltigen Gestalten sich von ihm vornehmlich herschreibt.

(Die Fortsetzung folgt.)

Fußnoten:

1: *) Worunter die Preisschrift des Hrn. Cocsius ohnstreitig die vorzüglichste ist. b

Erläuterungen:

a: Bonnet 1770/1771. Originaltitel: Essai analytique sur les facultés de l'âme (1760).

b: Cochius 1769.