ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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1.

Vermischte Gedanken über Denkkraft und Sprache.

Pockels, Carl Friedrich

Die menschliche Seele denkt, wenn sie vergleicht. Durch das Gefühl, daß sie dieses kann; daß sie in sich selbst Veränderungen hervorzubringen vermag, kommt sie zum Bewußtseyn ihrer Existenz, und weil jenes Gefühl von dem Standpuncte abhängt, aus welchem sie die Welt betrachtet, — ihrer individuellen Existenz. Sie verliert aber ihr eigenes Bewußtseyn, wenn sie nicht mehr Ideen mit Ideen vergleichen, folglich den Standpunct ihrer individuellen Existenz sich nicht mehr vorstellen kann.

Die Schnelligkeit und Richtigkeit ihrer Vergleichungskraft bestimmt die Grade ihres intellectuellen Werths, so wie auch ihrer einzelnen Denkvermögen, des Witzes, Scharfsinnes, der moralischen Urtheilskraft und des von diesen allen abhängenden Geschmacks.

So lange die Seele keine materiellen Ideen mit einander vergleichen kann, folglich sich ihrer nicht [59]bewußt ist, kann sie auch nichts von einander, selbst auf eine dunkele Art nicht von einander unterscheiden; folglich kann es auch keine angeborne Begriffe geben.

Hiemit läugnen wir aber gar nicht, daß die Seele schon eine Modification zum Denken mit auf die Welt bringe, auch schon vor der Geburt des Körpers unzählige Vorstellungen; aber in einem andern Organe gehabt haben könne.

Die ersten Grundbegriffe alles menschlichen Denkens, sind sinnliche Eindrücke auf unsere Organe. Es wird vielleicht nie entschieden werden, ob sie durch eine Art würklicher Impression, oder vermöge subtiler Schwingungen der Nerven der Seele bemerkbar werden. So fein auch jene Impressionen und Schwingungen angenommen werden, so wird es doch immer den Materialisten schwer werden, die Kraft des Denkens selbst daraus herzuleiten.

Anfangs weiß das Kind von jenen Grundbegriffen weiter nichts, als daß etwas in ihm dadurch verändert wird, und in so fern ist es immer nur noch blos Thier. Das sich nach und nach entwickelnde Bewußtseyn ihrer Verhältnisse, die erstlich von aussen durch die Verschiedenheit sinnlicher Objecte, und zweitens von innen durch die Grade des Denkgefühls der Seele bemerkbar werden, macht hernach den großen Unterschied zwischen blos animalischer und animalisch-beseelter Natur aus.

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Ohne jene ersten sinnlichen Grundbegriffe läßt sich eben so wenig eine Aeußerung der menschlichen Denkkraft überhaupt sowohl als insbesondere, als eine Zahl ohne Einheit denken. Sie sind die Fäden, an welche sich alle folgende Vorstellungen bald auf eine nähere, bald eine entferntere Art anknüpfen, ohne daß die Seele einmahl darauf merkt. Aus diesem Anknüpfen unsrer Ideen an jene ersten Grundbegriffe lassen sich viele Erscheinungen in der empirischen Psychologie erklären, die anfangs widernatürlich schienen.

Es giebt keine Idee, welche isolirt in der Seele befindlich seyn könnte, sondern sie steht allemahl mit mehrern in einem Zusammenhange, dieser Zusammenhang mag nun willkürlich oder unwillkürlich seyn. Aus der angenommenen Einfachheit der Vorstellung kann also nicht wohl auf die Einfachheit der menschlichen Seele geschlossen werden.

Die Art und Weise, wie Ideen andere in uns erzeugen, ist unendlich verschieden; unterdessen liegen doch nur einige psychologische Gesetze zum Grunde, nach welchen jene Aufweckung der Ideen durch andere geschehen muß, diese Gesetze sind im Wachen und Traume die nehmlichen und lassen sich unter folgende Classen der Association allgemein zusammenfassen. Ideen erzeugen andere theils ähnliche, theils unähnliche,

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1) wenn Gegenstände in Absicht des Orts, der Zeit, der Zahl, der Folge coexistiren.

2) Wenn, und so oft die Seele von Ursach auf Würkung und umgekehrt schließt, eben so vom Ganzen auf die Theile.

3) Vermöge des Contrasts.

Wenn es Zustände giebt, worin die Seele auf Ideen fällt, die gar keinen Grund in den vorhergehenden haben, so liegt dies entweder an der gänzlichen Neuheit der Objecte, die unsere Organe berühren, oder an einem innern Sprung unserer Imagination, die von der kleinsten Aehnlichkeit oft ganz anders modificirt wird, oder auch an einer eigenen Kraft der Seele aus sich Ideen zu schaffen (die gar keinen Grund in andern Ideen haben); obgleich diese Kraft noch nicht ganz erwiesen ist.

Wir denken uns eine Sache deutlich, wenn sich unsere Seele die Grade des Unterschiedes von andern Dingen gleichsam abzählt. Es gehört also zu jedem deutlichen Begriffe der Seele einige Zeit, die sie sich nimmt, jene Grade sich nach einander vorzustellen, obgleich die Seele dieser Zeit wegen die Schnelligkeit ihrer Denkkraft nicht fühlt, um so viel weniger, da die Sprache durch ein für die Sache bestimmtes hörbares Wort die Seele schnell auf einen Punct zieht. Deutliche Begriffe sind eine angenehme Modifikation der menschlichen [62]Seele, weil sie dabei sich am meisten der Kraft ihrer Selbstthätigkeit bewußt ist; aber dies gilt nicht bei allen deutlichen Begriffen. Das innere Streben der Seele nach Licht, macht daß sie ihre Selbstthätigkeit oft mehr fühlt bei dunkeln Ideen, als bei völlig deutlich gefaßten Begriffen. Wir mögen nicht immer eine abgeschnittene Gränze vor uns sehen. Daher die große Neigung zum Wunderbaren. — —

»Unser eigenes Gefühl sagt es uns, daß wir nicht immer denken; sondern, daß sich unsere Seele oft in dem Zustande einer gänzlichen Unthätigkeit befindet. Die Ohnmacht, der Schlaf, wenn wir nicht träumen, die müßige Gedankenlosigkeit des phlegmatischen Dummkopfs ist offenbar ein solcher Zustand des Nichtdenkens. Auch läßt sichs wohl nicht läugnen, daß die Seele des neugebornen Kindes, welche Aristoteles mit Recht eine tabula rasa a nennt, anfangs ein völlig gedankenloses Wesen sey, welches sich seiner und anderer Dinge noch gar nicht bewußt ist und bewußt seyn kann«.—

Mit diesen Gründen hat man den bekannten Satz des Cartesius: daß das Wesen unsrer Seele im Denken bestehe, zu widerlegen gesucht. Andere Philosophen, — die die Wichtigkeit jener Gründe für zu wichtig hielten, als daß sie dem Cartesius Recht geben könnten, haben daher lieber das Wesen der Seele in eine Kraft, ein Vermögen zum Denken, oder Vorstellungen zu haben, gesetzt, [63]ohne eine neue dadurch entstandene Schwierigkeit zu heben, daß nehmlich eine Kraft als Kraft nie unwürksam seyn kann, weil eben diese Unwürksamkeit sie ja selbst aufheben würde. Wir können uns unter der Kraft, welchen Grad der Würksamkeit, welche Einschränkungen wir ihr auch immer geben mögen, doch einmahl nichts anders, als eine gewisse Tendenz zu Handlungen erklären, als b eine nothwendige innere Würksamkeit denken. Sobald diese Tendenz aufgehoben ist, ist auch der Begriff von Kraft vernichtet, — und sobald ich mir die Seele ohne jene Tendenz, ohne die damit verbundene nothwendige und innere Würksamkeit vorstellen will, wird meine Seele ein Nichts, indem ich nichts unterscheiden kann, weil ich das Wesen einer Kraft in meiner Vorstellung vernichtet habe. Das Gefühl von Nichtwürksamkeit meiner Seele kann also keinen richtigen Beweis gegen den Satz des Cartesius abgeben, und dies um so viel weniger, da aus andern unläugbaren Erfahrungen gewiß ist, daß es oft in uns Vorstellungen giebt, deren sich unsere Seele nichtbewußt ist. Ich muß mich hierüber näher erklären.

Die Erfahrung lehrt es ja, daß wir oft in einem Augenblick durch eine unwiderstehliche Kraft und Gewalt mitten aus einer scheinbaren Unthätigkeit unserer Seele herausgerissen und gleichsam blindlings zum Handeln und Denken fortgetrieben werden, ohne daß wir eine deutliche Vorstellung [64]von den einzelnen Motiven unseres Willens angeben konnten, obgleich dergleichen Motiven absolut vorhanden seyn müßten. Hinterher aber fanden wir bei einer genauern Untersuchung unseres Seelenzustandes, daß gewisse dunkle Bilder der Phantasie, eine geheime Würkung der Himmelsluft auf unsere Organe, eine versteckte Ideenassociation unseres Geistes, oft auch eine schnelle Reihe solcher Vorstellungen, die durch Gewohnheit und Mangel der Neuheit uns unbemerkbar geworden waren, den Grund von hundert unerwarteten Modifikationen unserer Seele in sich enthielten. Manche Bilder unserer Einbildungskraft eilen bei gewissen heftigen Bewegungen des Bluts und der Lebensgeister mit einer solchen Schnelligkeit vorüber, manche Gedanken werden so leise und in so unmerklichen Nuancen mit einander umgetauscht, daß sie in dem Augenblick, wenn sie, um mich so auszudrücken, unter den Focus unseres Bemerkungskreises kommen, von uns nicht erkannt oder auch augenblicklich wieder aus unserm Gedächtnisse verwischt werden. Eben so handelt die Seele gemeiniglich bei der Wahl gleichgültiger Gegenstände, wo sie keine Gründe, den einen mehr als den andern zu begehren, zu haben scheint, nach einer oder mehrern dunkeln Vorstellungen, ohne daß sie sich derselben bewußt ist; und eine Menge anderer Gefühle, die in uns vorgehen, sind durchaus nichts anders als Folgen eines schnellen Syllogismus, den die Seele [65]gemacht hat, wovon ich nur das physiognomische Gefühl anführen will, das seinen Grund blos in der Vorstellungskraft der Seele haben kann. Ferner ist der Zustand, worinn unsere Seele völlig unthätig zu seyn scheint, immer noch mit einigem Bewußtseyn dieser Unthätigkeit selbst verbunden. Wir bemerken die Leere der Gedanken, die in uns herrscht, indem wir den jetzigen Zustand — (das negative) — mit einem vorhergehenden thätigen — (das positive) — vergleichen; ob wir gleich wieder von diesen Vergleichungsideen kein eigenes individuelles Bewußtseyn haben. Wir haben ein inneres Zeitgefühl von der Dauer jener Unthätigkeit, und oft eine dunkle Vorstellung von der noch daurenden Länge derselben. Es ist bekannt, daß sich viele Leute so gewöhnt haben, daß sie in der Minute aufwachen, in welcher sie es sich den Abend vorher vorgenommen hatten. Wenn auch gleich hier die Gewohnheit nach und nach in dem Körper eine solche Disposition veranlassen kann, daß die Seele um eine bestimmte Zeit aufwachen muß; so war doch diese Gewohnheit anfangs selbst nichts anders als ein dunkles Zählen der Augenblicke, welches die Seele während des Schlafs, ohne alles Bewußtseyn, denn wir fühlen ja nichts davon, vornahm.

Man könnte diese Betrachtungen noch durch viel mehrere Erfahrungsgründe unterstützen, wenn es nöthig wäre, und ich will nur noch dies anführen. Unsere zusammengesetzten Vorstellungen, die wir ha-[66]ben, übersieht nach einer langen Uebung im Denken die Seele mit einem Blick, und hat ein deutliches Bewußtseyn derselben. Anfangs, wie die Seele sich dergleichen Begriffe zu machen anfing, mußte sie sich durchaus die einzelnen Merkmahle der Begriffe einzeln vorstellen, sie mußte von den Theilen zu dem Ganzen schreiten. — Nicht so handelt sie, wenn sie diese Begriffe schon oft wiederhohlt hat, wenn sie also mit einer größern Schnelligkeit von den Vorstellungen einzelner Theile gleich zur completten Vorstellung des Ganzen übergehen konnte; und doch müssen jedesmahl die Vorstellungen der einzelnen Theile vorhanden seyn, wenn auch die Seele daran gar nicht zu denken scheint. Denn man versuche es, und ändere einen dieser Theile, die Seele wird es gleich bemerken, und sich nun das Ganze auch anders vorstellen müssen.

Locke ist gar nicht für die Meinung: daß es in uns Vorstellungen ohne Bewußtseyn geben könne. Indem er die angebornen Wahrheiten bestreitet, giebt er zugleich überhaupt zu verstehen, daß es keinen Eindruck in der Seele geben könne, dessen sie sich nicht bewußt wäre. Hier sind seine eigenen Worte.

It c seeming to me near a contradiction, to say, that there are truths imprinted on the soul, which it perceives or understands not; Imprinting, if it signify anything, being nothing else, but the making certain truths [67] to be perceived. For to imprint any thing on the mind, without the mind's perceiving it, seems to me hardly intelligible — — To say a notion is imprinted on the mind, and yet at the same time to say that the mind is ignorant of it, and never yet took notice of it, is to make this Impression nothing. No proposition can be d said to be in the mind, which it never yet knew, which it was never yet conscious of. — — Ess. of hum. Understanding B. I. Ch. II §. 5. e

Wenn Locke darin auch völlig Recht hat, daß es keine angebornen Wahrheiten, würkliche mit der Seele zugleich entstandene χοιρας ερρθρας f geben kann; so folgt daraus doch noch gar nicht, daß es überhaupt gar keine Impressionen, keine Vorstellungen in der Seele geben kann, deren sie sich nicht bewußt ist. Die Wahrheiten, deren Existenz Locke als angeborne bestreitet, sind zum Theil metaphysische Sätze, die sich freilich ohne Nachdenken, ohne Bewußtseyn nicht in der Seele denken lassen, zumahl da ihre Begreiflichkeit sich auf eine schon bestimmte Wortsprache gründet, von der g man ohnmöglich sagen kann, daß sie der Seele des Menschen auch angeboren wäre; — aber deswegen können doch einzelne Vorstellungen und Eindrücke sich in unserer Seele befinden, ohne daß sie sich ihrer bewußt ist, und dergleichen Vorstellungen und Eindrücke giebts unendlich viele, die wirklich immer da sind, aber nicht [68]eher in den Besinnungskreis des Menschen hervortreten, bis wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten. Ob, wie Bonnet behauptet, ein jeder jener Eindrücke eine h eigene Fieber des Körpers nöthig habe — weiß ich nicht, kann Bonnet selbst nicht mit Gewißheit angeben. i

Locke erklärt sich über den Cartesiusischen Satz im 2ten Buch 1 Cap. des oben angeführten Buchs noch weiter. Ich gestehe es selbst, sagt er, daß ich eine von solchen ungeschickten Seelen besitze, welche es nicht selbst empfinden, daß sie stets mit Betrachtung der Begriffe beschäftigt sind, noch begreifen können, daß die Seele nothwendig immer denken müsse. — — Die Empfindung der Begriffe ist, wie ich mir das Ding denke, der Seele eben das, was dem Leibe die Bewegung ist, nicht ihr Wesen, sondern eine von ihren Würkungen. Ob nun gleich das Denken als das eigentliche Seelengeschäft anzusehen ist; so hat man dennoch nicht nöthig zu glauben, daß sie immer denke, stets würke. Dies ist vielleicht ein Vorzug des unendlichen Urhebers und Erhalters aller Dinge, der niemahls schläft noch schlummert, und kommt keinem endlichen Wesen zu, wenigstens nicht der Seele eines Menschen. Wir wissen es aus der Erfahrung mit Gewißheit, daß wir denken, und daraus machen wir den unfehlbaren Folgesatz, daß ein mit Denkkraft begabtes Ding in uns sey. Ob aber diese Substanz immerfort denkt oder nicht, davon können wir nicht [69]weiter versichert seyn, als es uns die Erfahrung lehrt. (Locke setzt hier, wie in andern Stellen, offenbar als schon erwiesen voraus, daß eine jede Vorstellung ein würkliches Bewußtseyn in sich schließen müsse.) Denn sagen, das würkliche Denken sey Wesen der Seele, und lasse sich von derselben nicht trennen, ist so viel als etwas, darüber noch gefragt wird, für gewiß setzen, und es nicht beweisen, welches doch geschehen muß, wenn es nicht ein an sich sonnenklarer Satz ist. (Man setzt ja aber auch den Satz — ich nehme den strengen Cartesianer aus — nicht als ein Axiom voraus, daß das Wesen der Seele im Denken bestehe, sondern man leitet ihn aus Vernunftbegriffen über die Denkkraft des Geistes her, und nimmt an, daß eine Seele ein Nichts wird, sobald sie zu denken und zu empfinden aufhört.) Ob nun aber dieser Satz: die Seele denkt immer, ein an sich sonnenklarer Satz sey, dem jedermann Beifall giebt, sobald er ihn hört, darüber lasse ich alle Menschen in der ganzen Welt urtheilen. —Ich zweifle, ob ich die ganze vergangene Nacht mit Ideen beschäftigt gewesen bin, oder nicht. Da hier die Frage von einer geschehenen Sache ist; so ist es so viel, als sie für gewiß setzen, wenn man als einen Beweis davon einen uns angenommenen noch streitigen Satz anführt. Auf solche Art kann jeder eine Sache beweisen. Ich darf nur voraussetzen, daß alle Uhren, so lange die Unruhe schlägt, denken; so habe ich es zur Gnüge erwiesen, und es [70]ist ausser allem Zweifel, daß sich meine Uhr vorige Nacht mit Gedanken beschäftigt hat. (Locke läßt sich hier durch ein Exemplum claudicans offenbar verführen, wer kann denn bei einer Maschine voraussetzen, daß sie denken kann, aber in Absicht der Seele kann und muß ich eine solche Denkkraft annehmen, weil sie sie würklich besitzt, und weil ein Geist ohne Kraft und Würkung doch durchaus ein leeres Nichts seyn muß.) Allein, wer sich nicht selbst betrügen will, der muß seinen angenommenen Satz auf einegeschehene Sache gründen und die Wahrheit desselben durch die sinnliche Erfahrung beweisen, nicht aber die geschehene Sache glauben, weil sie seinem angenommenen Satze gemäß ist, das ist, weil er ihre Wahrheit voraussetzt. — — — —

Ich gebe es zu, daß die Seele bei einem Wachenden niemahls ohne Gedanken sey, weil dieses mit zum Wachen erfodert wird; ob sie aber im Schlafe, ohne Träume, denkt, ist eine andere Frage. Es ist schwer zu begreifen, daß man etwas denken, und sich dessen doch nicht bewußt seyn soll. Wenn die Seele in einem Schlafenden denkt, ohne sich dessen bewußt zu seyn; so frage ich, ob sie während dieses Denkens Vergnügen oder Verdruß empfindet, ob sie angenehmer oder unangenehmer Empfindungen fähig ist? Ich bin versichert, ein Mensch ist alles dessen so wenig fähig, als das Bette oder die Erde, worauf er liegt. Denn glücklich oder un-[71]glücklich seyn, ohne daß man es weiß, scheint mir allerdings mit einander zu streiten. Ist es möglich, daß die Seele, so lange der Leib schläft, ihre Gedanken, ihre Freuden oder Bekümmernisse, ihr Vergnügen oder ihren Verdruß für sich besonders haben j kann, ohne daß sich der Mensch dessen bewußt ist, so ist gewiß, daß der wachende Socrates und der schlafende Socrates nicht eben dieselbe Person ausmachen; sondern die Seele des Socrates, wenn er schläft und wenn er wacht, sind zwei Personen, weil der wachende Socrates von der Glückseligkeit oder von dem Verdruß seiner Seele keine Kenntniß hat, oder sich nicht darum bekümmert. Seine Seele empfindet jene, und trägt diesen für sich allein, so lange er schläft, ohne daß er etwas davon fühlt. Es ist ihm daran nicht mehr gelegen, als an der Glückseligkeit oder dem Elende eines Menschen in Indien, den er nicht kennt. — Denn nehmen wir von unsern Handlungen und Empfindungen, insonderheit von dem Vergnügen und Verdruße alles Bewußtseyn weg; so werden wir schwerlich wissen, worin die persönliche Einerleiheit (personal Identity.) zu setzen sey. (Die bekannte Eintheilung unsrer Empfindungen in angenehme und unangenehme, und der daraus entspringenden Seelenzustände, Glückseligkeit oder Unglückseligkeit ist — eine Eintheilung, die nicht erschöpfend genug ist. Es giebt unzählige Vorstellungen in uns, die nicht unter obige Rubrik gehören, und von denen wir [72] nicht angeben können, ob sie würklich angenehm oder unangenehm sind, weil wir sie noch nicht deutlich genug überschauen können. Wir dürfen nur auf uns selbst Acht geben, und wir werden fast jeden Augenblick überzeugt werden, daß uns unaufhörlich eine Menge von Ideen zuströmen, die wir nur bemerken, ohne einen angenehmen oder unangenehmen Eindruck derselben auf uns wahrzunehmen. Daß wir also im Denken des Schlafs auch entweder uns glücklich oder unglücklich fühlen müßten, ist nicht psychologisch richtig. So wenig, wie überhaupt Locke im Folgenden wird erweislich machen können, daß wir im Schlafe nicht immer denken.)

Die Seele, sagen diese Leute, (nehmlich die Cartesianer) k denkt, so lange der Mensch im tiefen Schlaf liegt. Indem sie denkt und empfindet; so ist sie ohne Zweifel sowohl der Gefühle des Vergnügens oder Schmerzes, als einiger andern fähig, und sie muß sich dessen, was sie empfindet, nothwendig bewußt seyn. Hat sie aber alle diese Gefühle für sich besonders; so ist es klar, daß sich derselben ein Schlafender gar nicht bewußt ist. Wir wollen demnach setzen, es hätte sich die Seele des Castors im Schlaf aus seinem Körper entfernt. — Dies, was wir hier setzen, kann denjenigen nicht unmöglich vorkommen, welche so freigebig sind, daß sie allen andern Thieren ein Leben ohne eine denkende Seele zugestehen. Diese Leute können es also nicht für etwas unmögliches oder sich widersprechendes [73]ansehen, daß der Körper ohne Seele leben, oder die Seele ohne Körper bestehen und denken, oder Empfindungen auch von Glückseligkeit und dem Gegentheile haben kann. — Wir wollen nun, sage ich, setzen, Castors Seele hätte sich während des Schlafs vom Leibe abgesondert, um für sich allein zu denken. Wir wollen auch setzen, sie wählte zum Schauplatz ihres Denkens den Körper eines andern Menschen, z.B. des Pollux, der ohne eine Seele schläft. Denn wenn des Castors Seele denken kann, indem er schläft, wovon er doch nie etwas weiß, so ist nichts daran gelegen, was für einen Ort zum Denken er sich wählt. Hier haben wir nun Körper zweier Menschen, die nur eine Seele unter sich gemein haben, und von denen wir annehmen wollen, daß einer um den andern schlafe und wache, und daß die Seele in dem wachenden Menschen immer denke, wovon aber der andere, welcher im Schlafe liegt, niemahls etwas wisse, nie die geringste Empfindung habe. Ich frage also: ob nicht Castor und Pollux, da sie nur eine Seele unter sich gemein haben, die in dem einen denkt und empfindet, davon der andere nichts weiß noch sich darum bekümmert, so wohl zwei unterschiedene Personen sind, als Castor und Hercules, oder als Socrates und Plato waren? — Und ob der eine von ihnen nicht recht glücklich, der andere hingegen sehr unglücklich seyn kann. Eben so machen diejenigen aus eben der Ursache die Seele und den Menschen zu zwei Personen, welche vor-[74]geben, die Seele denke für sich besonders, davon der Mensch sich nicht bewußt wäre. — — — — —

Vielleicht, fährt Locke fort, wird man vorgeben, die Seele denke auch im tiefsten Schlafe; aber das Gedächtniß behalte das Gedachte nicht. Allein es läßt sich schwer begreifen, daß die Seele eines Schlafenden diesen Augenblick mit Denken beschäftigt seyn, und sich doch nicht in dem nächsten Augenblicke, wenn er aufwacht, auf das geringste von allen solchen Gedanken besinnen kann. (Und ich behaupte, es läßt sich sehr leicht begreifen, weil mit dem würklichen Aufwachen zugleich eine Menge schwächerer Vorstellungen, die wir während des Schlafs gehabt haben, ausgelöscht werden können, und weil wir an den Nachtwandlern tausend Handlungen, die sie während des Schlafs vorgenommen haben, bemerken, davon sie beim Erwachen kein Wort wissen. Will Locke auch läugnen, daß die Seele dieses Menschen im Schlafe nicht würklich gedacht habe, oder kann sie vielleicht würklich zweckmäßige Handlungen bei dem Nachtwandler hervorbringen, ohne daß sie daran denkt? Nimmermehr! Es giebt Leute, die im Schlafe, ohne daß sie zu träumen scheinen, oder ohne daß sie sich des Traums hinterher bewußt sind, sehr vernehmlich reden, und wenn sie aufwachen, von Allem nichts wissen.) Dies bedarf eines bessern Beweises, als eine bloße Beziehung, wenn man es glau-[75]ben soll. Denn wer kann es sich ohne weiteres Bemühen, und nur weil man es sagt, einbilden, daß die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben alle Tage etliche Stunden an etwas denken, sich aber, wenn sie auch mitten unter solchen Gedanken gefragt würden, ganz und gar auf nichts besinnen könnten. Ich halte dafür, die meisten Menschen bringen einen großen Theil ihres Schlafs ohne Träume zu. Ich habe einmahl einen Mann gekannt, der sich auf die Wissenschaften legte, und eben kein schlechtes Gedächtniß hatte. Dieser erzählte mir, daß er niemahls geträumt hätte, als da ihn ein Fieber befallen, und ich glaube, man wird mehr dergleichen Beispiele antreffen. — —

Oft denken, und es nicht einen Augenblick behalten, ist ein vergebliches, unnützes Denken. Die Seele ist in einem solchen Zustande nicht viel besser als ein Spiegel, der beständig mancherlei Bilder oder Ideen annimmt; aber keines behält. Sie verlieren sich und verschwinden wieder, und es bleiben keine Spuren davon zurück. Der Spiegel wird durch solche Bilder niemahls vollkommner, noch die Seele durch solche Gedanken. Man wird mir vielleicht einwenden, bei einem Wachenden wären zugleich die Organe des Körpers mit beschäftigt und würden mit zu seinem Denken gebraucht, auch das Gedächtniß behielte solche Gedanken vermittelst der im Gehirn geschehenen Eindrücke, und der nach solchem Denken zurückgelassenen Spuren; allein beim [76]Denken der Seele, welches von einem Schlafenden jetzt wahrgenommen würde, hätte die Seele ihre Gedanken für sich allein, und ließe keine Eindrücke, und folglich kein Andenken solcher Gedanken nach sich, weil sie sich der Organe des Leibes nicht bediente. Ohne nun wieder anzuführen, daß es ungereimt ist, wenn der Mensch zwo unterschiedene Personen ausmacht, welches aus dieser Meinung fließt, (und ich setze hinzu, welcher Gegenbeweis da Locke eigentlich nichts sagt, wie ich ein andermahl zeigen will) so antworte ich überdem noch, daß es sich ganz vernünftig schließen lasse, daß die Seele alle ohne Hülfe des Körpers erlangte Begriffe auch behalten könne, ohne des Körpers dazu benöthigt zu seyn, oder es wird sonst die Seele, oder ein von seinem Körper abgesonderter Geist von seinem Denken einen sehr geringen Vortheil haben. Kann die Seele sich nicht auf ihre eigene Gedanken besinnen, nicht zu ihrem Gebrauche aufbehalten, sich nicht ihrer vorigen Erfahrungen, Vernunftschlüsse und Beobachtungen zu Nutze machen, was hilft ihr denn das Denken? (Dies beweist weiter nichts gegen die immer fortwürkende Denkkraft der menschlichen Seele. Die Frage ist auch überhaupt gar nicht, wozu ihr ein Denken oder Bewußtseyn nöthig sey; sondern ob sie immer denkenkönne, denken müsse. Es giebt ja ohnedem in der menschlichen Seele unzählige Vorstellungen, warum man nicht sagen kann, daß sie gerade einen gewißen [77]Vortheil für unsern Geist in sich schlössen, der bemerkbar wäre, genug wenn sie unsere Denkkraft in beständiger Würksamkeit erhalten, wohin auch jene gerechnet werden können, deren wir uns nicht bewußt sind. Wenn Locke im Folgenden sagt: daß es schwer zu begreifen sey, daß unser unendlich weiser Schöpfer eine so vortreffliche Kraft, wie die denkende ist, eine Kraft, welche der Größe seines eigenen unbegreiflichen Wesens am nächsten kommt, geschaffen haben soll, damit sie auf eine so ungereimte und unnütze Weise wenigstens den vierten Theil der Zeit mit Denken zubringen könne; so läßt sichs wahrlich noch schwerer begreifen, wie Gott eine geistige Substanz habe schaffen können, um den vierten Theil der Zeit ganz unthätig zuzubringen. Eben so wenig kann Lockes Bemerkung gegen die beständige Würksamkeit der Denkkraft etwas beweisen, daß unsere Gedanken im Schlafe gemeiniglich verworren wären; — genug, wenn wir nur immer denken, welches allein die Hauptfrage bei dieser ganzen Untersuchung bleibt.)

Diejenigen, welche es für so gewiß ausgeben, daß die Seele immer denkt, möchten doch auch zeigen, welches die Begriffe sind, die sich in der Seele eines Kindes entweder vor, oder gleich bei der Vereinigung mit dem Körper finden, ehe sie noch einige durch die sinnliche Empfindung bekommt. (Diese Begriffe kann man freilich nicht individuell angeben; aber es ist höchst wahrscheinlich, daß die Seele schon [78] in Embrio Eindrücke annimmt, und vermöge dieser Eindrücke, obgleich noch auf eine sehr eingeschränkte Art, würksam ist. Daß wir diese Eindrücke, welche den ersten Stof der Seele liefern, nicht behalten, ist sehr natürlich, weil die Weiche des Gehirns und der Fiebern ihnen noch keine Dauer erlaubt.) Die Träume eines Schlafenden werden nach meiner Meinung alle aus Begriffen, die wir im Wachen gesammelt haben, zusammengesetzt. Hat die Seele ihre eigene Begriffe für sich, die nicht von der sinnlichen Empfindung oder der Reflexion herrühren, wie sie denn solche Begriffe haben müßte, wenn sie sich mit Gedanken beschäftigte, ehe sie von dem Körper einige Eindrücke empfängt; so ist es wohl etwas seltsames, daß sie bei ihrem geheimen Denken, welches so geheim ist, daß es der Mensch selbst nicht wahrnimmt, niemahls einige von solchen Begriffen den Augenblick, da der Mensch von seinem Traume erwacht, behalten kann. (Man hat bei der Behauptung einer beständigen Würksamkeit der menschlichen Denkkraft nicht nöthig, angeborne Begriffe anzunehmen, wie hier Locke voraussetzt. Ein genaues Studium der menschlichen Seele lehrt uns, daß alle Veränderungen unserer Vorstellungen und ihrer ersten Anfänge l allein in der Erfahrung liegen, und wir setzen den Anfang der geistigen Thätigkeit unserer Natur in den Punct unseres Daseyns hin, wenn die ersten Vorstellungen durch körperliche Eindrücke in uns entstehen. m Die [79] erste Vorstellung der Seele ist also, um mich so auszudrücken, der Anfangspunct ihres Lebens, ihrer Thätigkeit, welche, wenn es Gott will, von diesem Puncte, von dieser ersten Vorstellung an bis in alle Ewigkeit hinaus dauern wird. Daß wir die erste Vorstellung nicht wissen, und viele tausend andere, die die erste Thätigkeit der Seele bestimmen, ist kein Beweis, daß sie nicht da gewesen wären, so wenig ich behaupten kann, daß ich nicht geträumt hätte, weil ichs wieder vergessen habe.)

Wer kann es vernünftig finden, fährt Locke fort, daß die Seele während des Schlafs sich in ihrer Einsamkeit so viel Stunden mit Gedanken beschäftigen soll, und gleichwohl niemahls keinen von den Begriffen antreffen kann, die sie nicht von der sinnlichen Empfindung, oder von dem Ueberdenken erborgt hat, und daß sie wenigstens keine andern, als nur solche behält, welche, da sie durch den Körper veranlaßt worden, nothwendig einem Geiste nicht so natürlich seyn müssen. (Locke meint in dieser etwas dunkeln Stelle, daß Begriffe, die uns eingepflanzt wären, von der Seele leichter bemerkt werden müßten, als die, welche wir erst durch den Körper bekämen, und gleichsam der Seele nicht so nahe, wie jene lägen.)

So weit Locke — —. n Leibnitz hat ihn am kürzesten durch seine Perceptio und Apperceptio zu widerlegen gesucht, ein Unterschied, der auch nach Erfahrungen offenbar in der Natur der menschlichen [80]Seele gegründet ist. Hier sind seine eigenen Worte über die bestandige Würksamkeit der Seele.

Je tiens, que l'ame et même le corps n'est jamais sans action, et que l'ame n'est jamais sans quelques perception. Même en dormant on a quelque sentiment confus et sombre du lieu, ou l'on est, et d'autres choses. Mais quand l'expérience ne le confirmeroit pas, je crois, qu'il y en a demonstration. C'est à peu près, comme on ne sauroit prouver absolument par les experiences, s'il n'y a point de vuide dans l'espace, et s'il n'y a point de repos dans la matière. — — o

P.

(Die Fortsetzung folgt.)


Bei der Untersuchung über den Ursprung der Sprache in psychologischer Rücksicht, die schon so viele Köpfe beschäftigt hat, stößt man sehr natürlich auch auf die Frage: Wie die Menschen nach und nach abstracte, übersinnliche Begriffe, allgemeine Empfindungen, und die darauf gegründeten moralischen Vorstellungen haben durch Zeichen ausdrücken lernen?

So leicht und natürlich es ist, die Anfänge einer Wortsprache für hörbare Gegenstände anzuge-[81]ben, indem die Menschen das Hörbare nur durch ihre eigene Stimme nachahmen durften, und so ziemlich allgemein man jetzt annimmt, daß das Hörbare den Anfang aller Wortsprache veranlaßt hat; so schwierig ist aber doch auf der andern Seite die Untersuchung einer Zeichensprache für abstracte Ideen, und das um so viel mehr, weil uns alle historische Data über die Sache fehlen. Wir können ohnmöglich wissen, wenn sich dieser und jener abstracte Begriff der menschlichen Seele so aufdrang, so nahe lag, daß sie für ihn ein Wort suchen mußte; nicht, unter welchen Umständen sie dieses Wort fand, und welche Verbindung es mit dem übrigen Vorrathe schon vorhandener Wörter hatte. Aber demohnerachtet können wir dem wahrscheinlichen Gange der menschlichen Seele in Erwerbung abstracter Zeichen nachspüren. Jedes Volk, das sich eine Sprache erfand, wird zwar, wie auch die unendliche Verschiedenheit der Sprachen lehrt, einen eigenen Weg hierbei genommen haben; aber alle müßten doch auch hierbei den Eindrücken der Sinnlichkeit und der Analogie gefolgt seyn, vermöge welcher jeder rohe Mensch übersinnliche Gegenstände durch körperliche ausdrücken wird, die mit jenen nach seiner Empfindung eine Aehnlichkeit haben, und wovon ich weiter unten reden werde.

Ehe wir uns überhaupt eine Sprache denken, müssen wir uns allemahl eine Societät voraussetzen, ohne welche der Mensch gewiß stumm geblieben seyn [82]würde. Er würde zwar vor Schmerz geschrien, und aus Freude gelacht haben; aber er würde kein Wort aus diesen Naturaccenten gebildet haben, — am allerwenigsten für abstracte Ideen. Die Societät zwang ihm also die Sprache gleichsam auf.

Ueberhaupt lernte nun wohl der Mensch nächst den hörbaren Gegenständen die Begriffe ausdrücken, welche ihm am allernächsten lagen, und sich auf hörbare Leidenschaften und Gemütsbewegungen bezogen, und unter diesen vornehmlich Schmerz und Freude. Jener ist gewiß einer der ersten Lehrmeister der menschlichen Seele gewesen, und sie hat ihm ohnstreitig eine große Menge von Begriffen zu verdanken, die schon durch das natürliche Aufsuchen der Mittel dagegen, durch die verschiedenen Arten des Schmerzes, und an so verschiedenen Theilen, und durch die mancherlei Leidenschaften, die er erregt, veranlaßt werden mußten. Die bloße Geberdensprache konnte bei manchen Völkern lange hinreichen, den Schmerz auszudrücken; allein bei einiger Bildung der Seele mußte sie einen Drang in sich fühlen, auf eine deutlichere Art sich Geschöpfen ausdrücken zu können, welche mit ihr sympathisirten, und dies um so viel mehr, da sich der Schmerz von Natur hörbar macht, und seine eigenen Modulationen hat. Dieses Hörbarmachen besteht anfangs freilich nur in unarticulirten Tönen, in einem thierischen Geschrei; aber der unarticulirte Ton konnte, wenn er etwa sehr auffiel, von einem [83]angesehenen Manne kam, die Autorität eines würklichen Sprachworts bekommen und behalten, gesetzt, wenn er auch nur einen Vocal gehabt hätte; ob sich gleich der Schmerz oft durch Töne ausdrückt, die mehr Vocale haben, als einen. Jene Autorität erhielt aber das Wort nach und nach durch Widerhohlung und Nachahmung desselben. Man gab sich dadurch zu verstehen, wie dieser und jener seinen Schmerz ausgedrückt habe, und weil man hernach einen bestimmten Begriff von einem individuellen Schmerz hatte; so widerhohlte jeder Leidende in dem kleinen gesellschaftlichen Cirkel, der ihn erfand, jenen Ton, und er wurde ein Wort, ein Ausdruck, und ein Merkmahl des Schmerzes, Nomen und Verbum zugleich, dessen Infinitiv lange ohne Zeit und Personen ausgedruckt wurde. Wahrscheinlich bildete endlich auch die Reflexion aus dem Naturlaute des Schmerzes das abstracte Wort für denselben, und nahm dazu die Vocale, welche bei dem Ausdruck des Leidenden immer wieder vorkamen, als Elemente des abstracten Worts. Das genaue Wie läßt sich freilich hier nicht ausmachen, und kein einziger der bekannten Schriftsteller, die über den Ursprung der Sprache geschrieben haben, hat es gewagt, das alte und erste abstracte Urwort für den Schmerz, oder jeden andern abstracten Begriff anzugeben.

Condillac hat ohngefähr diese Meinung vom Ursprünge der Sprachen (Essai sur l'origine des con- [84] noissances humaines Vol. II.). p Nach seiner Meinung waren die Töne der Leidenschaften, die uns thierisch-eigen sind, gleichsam die Wurzelwörter der Sprache, und Condillac hat nicht ganz Unrecht; ob er freilich so wie andere nicht hat zeigen können, wie sich aus den Naturlauten haben Wörter bilden können. Herder, welcher ihn getadelt hat, ohne selbst eine bestimmte Erklärung des ersten Ursprungs der Sprache anzugeben, meint, daß aus dem blos tönenden Ausdruck der thierischen Leidenschaft nimmermehr eine Sprache habe entstehen können, (Siehe dessen Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berl. 1772.) so wenig als die Thiere, welche ihre Leidenschaften auch durch Töne ausdrückten, deswegen zu einer Sprachfähigkeit geschickt wären. q Allein der Unterschied zwischen Menschen und Thier ist doch auch selbst in Absicht der Naturlaute der Leidenschaften sehr sichtbar. Der Mensch hat eine viel größere Menge von Naturlauten vermöge der Modulation seiner Stimme in seiner Gewalt, als das Thier, — und als Thier würde der Mensch auch gewiß nie eine Sprache zusammengesetzt haben; aber als Mensch konnte er anscheinliche Begriffe mit diesem und jenen Naturlaut verbinden und ihn zu einem Wortausdruck eines gewissen Gegenstandes, einer gewissen Empfindung machen. Freilich nach und nach, je nachdem die Reflexion mit in den Bau der Naturlaute durch weggelassene oder hinzugesetzte Silben einfloß. Eine [85]Folge, die sehr natürlich war, weil die menschliche Vernunft in den bloßen Naturlauten nicht Unterscheidung genug fand, um eine größere Anzahl von Dingen auszudrücken. — Sie fing die Wörter aus den Naturlauten eigentlich aus innern Denkinstinct zu bilden an.

Zwischen den Ausdrücken des körperlichen- und Seelenschmerzes war anfangs wahrscheinlich kein Unterschied, weil beide sich fast auf einerlei Art in dem rohen Menschen ausdrücken. Vielleicht brauchte man einerlei Naturlaute in beiden Fällen; aber mit einer verschiedenen stärkern oder schwächern Modulation der Stimme. Der körperliche Schmerz ist heftiger und gemeiniglich wüthender als innere Traurigkeit des Gemüths, drückt sich kühner und stärker aus, als diese, welche in mildern Tönen und in einer stillern Sprache des Gesichts klagt. Da aber auch dieser Unterschied nicht ganz zureicht, beide Arten von Schmerz deutlich zu unterscheiden; so wurde der Schmerzensausdruck, welcher einem Leidenden bei einer innern Bekümmerniß entfuhr und etwas auffallendes an sich hatte, wahrscheinlich das Nomen oder Verbum für ein Seelenleiden, auch wohl gar der abstracte Ausdruck des Leidens überhaupt; vielleicht auch durch einen Vorsatz oder Nachsatz einer Silbe, eines Vocals, das Wort für die Ursache des innerlichen Schmerzes. — Doch ich habe schon oben gesagt, daß das eigentliche Wie hievon nicht angegeben werden kann.

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Die Töne, die durch Reflexion bestimmten Naturlaute des Schmerzes wären also nach meiner Meinung mit die ersten Stammwörter im Lexico einer anfänglichen Sprache gewesen. An sie mußten sich sehr natürlich die anschließen, welche aus einer frölichen Gemüthsstimmung herrührten. Töne des innern Freudengefühls, des Wohlbehagens, der Liebe und Zärtlichkeit. Ein neues Feld für die Entwickelung der ersten Sprache. Der Affect der Freude tönt anders, als der des Schmerzes, drückt sich am ganzen Körper anders aus. Das Sprachbedürfniß muß also auch aus dem Naturlaute desselben andere Nomina, andere Verba bilden, und unter diesen werden diejenigen wieder die ersten seyn, welche etwas sehr Auffallendes an sich hatten, eine gemeinschaftliche Nachahmung einer ganzen Gesellschaft verursachten, und durch das Ansehn der Person einige Autorität erhielten. Viele werden aber auch durch bloßen Zufall Nennwörter der Sprache geworden seyn, der überhaupt keinen geringen Antheil an ihrer Ausbildung gehabt haben mag.

Die elterliche Liebe sowohl als die eheliche, die wir allerdings schon im rohen Zustande der Menschheit wider Rousseaus Meinung annehmen können, ist gewiß eine sehr reiche Quelle von Wörtern gewesen; — vorausgesetzt, daß wir den ersten Menschen als ein erwachsenes Geschöpf mit menschlichen Anlagen denken. Die Mutter muß einen Namen für ihr Kind haben, und sie giebt ihm ei-[87]nen, um es von andern zu unterscheiden, und im Fall der Noth rufen zu können. Diese ersten Nomina propria kamen wahrscheinlich zuerst von einer hervorstechenden r Eigenschaft des Gemüths, oder von einem besondern Umstande der Geburt des Kindes her. Aber die Mutter will es nicht blos nennen, sie will ihm seine Liebe zu erkennen geben, und bedient sich der Naturausdrücke der mütterlichen Zärtlichkeit, welche eine ganz besondere Art der Naturlaute sind, und sich durch eine sanfte Milderung der Stimme auszeichnen. Sie giebt dem Kinde Namen von Gegenständen, die ihr sonst schon angenehm waren, sie führt ihm Sachen, Thiere vor, und macht die Stimme derselben nach, um sie zu unterscheiden, und erweitert dadurch nicht nur den Ideenkreis des Kindes, sondern auch sein Sprachbedürfniß.

Abstracte Wörter für alle dergleichen zärtliche Empfindungen bildet die Seele wiederum durch Reflexion, so wie die für den übrigen großen Theil abstracter Kenntnisse, deren Ursprung aber ohnmöglich individuell angegeben werden kann. Der allgemeine wahrscheinliche Weg, den die menschliche Seele hierbei nimmt, ist wohl der, daß sie wegen einer bemerkten Aehnlichkeit zwischen einzelnen und körperlichen Gegenständen den Wortausdruck derselben auf geistige hinüberträgt, und also das Uebersinnliche anfangs selbst unter einem Bilde ausdrückt. Alle alte Sprachen wim-[88]meln von dergleichen Bildern für abstracte Gegenstände. So wurde Gott wahrscheinlich unter dem bildlichen Ausdrucke des Donnerers, der Zorn unter dem eines rasenden Menschen, die Wachsamkeit unter einem Auge, die Liebe im Bilde der Umarmung, die Schnelligkeit mit einem Pfeil, oder schnell laufender Thiere u.s.w. vorgestellt. Der Ausdruck des Bildes wurde allgemeiner Ausdruck, ein abstractes Wort, welches freylich vielerlei Sinonime haben konnte; aber doch immer Allgemeinausdruck blieb.

P.

(Die Fortsetzung folgt.)

Erläuterungen:

a: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

b: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

c: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

d: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

e: Locke 1690.

f: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

g: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

h: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

i: In seinem Essai analytique sur les facultés de l'âme (1760) ging Bonnet davon aus "daß die Bewegung einer Fiber eine Idee hervorbringt, und daß bey Gelegenheit einer Idee auch eine Bewegung der Fiber erfolget" (Bonnet 1770/1771, Bd. 1, Vorrede, S. XVIII).

j: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

k: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

l: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

m: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

n: Locke 1690, Book II, Chapter 1, § 10-16.

o: Locke 1708, S. 196-205.

p: Condillac 1746, Bd. 2, Section première, Chapitre premier, §2-5.

q: Herder 1772, S. 31-35.

r: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].