ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Fortsetzung der Revision der drei ersten Bände dieses Magazins.

Pockels, Carl Friedrich

Da es der gegenwärtigen Natur und Beschaffenheit unserer Seele, ein Vorhersehungsvermögen derselben, oder, wie es Andere genennt haben, eine vim divinatoriam, anzunehmen, durchaus zuwider ist; — so fragt sichs nun aber: ob unsere Ahndungen nicht vielleicht auf eine andere Art erklärbar sind? Können wir nicht vielleicht Ahndungen durch Hülfe außer uns vorhandener Geister haben, und was lassen sich für reelle psychologische Gründe für diese Meinung anführen? — Ich antworte: keine! wenigstens gewiß keine wahrscheinliche, keine gegründete.

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Alle neue Begriffe und Empfindungen, welche wir bekommen und in uns wahrnehmen, gründen sich natürlicherweise auf Selbstbeobachtung, Selbstdenken; oder auf den Unterricht von Andern, vermöge symbolischer Zeichen, sie mögen nun in eigentlicher Wortsprache, in Gesichtsausdrücken oder Gesten bestehen. Es ist bisher noch kein Weg entdeckt worden, und es wird auch wohl nie ein solcher entdeckt werden, wie uns andere Menschen ohne symbolische Zeichen ihre Gedanken und Empfindungen mittheilen können. Selbst bei den oft so schnellen und überraschenden Gefühlen der Sympathie, wo eine Seele in die andere überzugehen, in ihr zu leben und zu empfinden, mit ihr durch einen unsichtbaren, unerklärlichen Einfluß verbunden zu seyn scheint, müssen entweder würkliche Gegenstände, würkliche Zeichen — oder eingebildete vorhanden seyn, die auf eine symbolische Art zu unserm Herzen reden.

Aber, könnte man sagen, jene Mittheilung neuer Ideen zwischen uns und höhern uns umgebenden Genien, ist doch möglich. Vielleicht würken diese auf eine unsichtbare Weise, für welche unsere Seele einen geheimen Sinn hat, wenn sie gleich die Berührung, die Bewegung dieses Sinnes nicht erklären, noch den individuell auf sie würkenden Geist angeben kann, jene Vorgefühle der Zukunft in uns, die so viele Menschen gehabt zu haben vorgeben; jene Begriffe und Vorhersehun-[3]gen, die in dem vorhergehenden Seelenzustande keinen Grund hatten? — —

Dieses vielleicht wäre nun freilich eine sehr leichte und bequeme Art, den Ahndungen einen gewissen Credit zu verschaffen, — wenn es nur auch schon ausgemacht wäre: ob unsere Seele einen einzigen Begriff ohne symbolische Erkenntniß oder Selbstdenken, und ein Vorgefühl von einer durchaus zufälligen Sache durch ein anderes geistiges Wesen außer ihr haben könnte. Zwei Hindernisse, die jener Erklärungsart der Ahndungen vornehmlich im Wege liegen.

Wir mögen nehmlich denken, was wir wollen, das denken wir uns in Verbindung mit einem gewissen, entweder durch den Gebrauch schon bestimmten, oder auch willkürlichen symbolischen Zeichen, in Verbindung mit einem gewissen Worte, oder wie die Taub- und Stummgebornen, unter einer gewißen Gesichtsmiene, einer körperlichen Bewegung. Ohne diese Einrichtung unserer Natur, (das Reden mag nun entweder, wie Einige geglaubt haben, schon für den einzelnen Menschen Bedürfniß, oder Convention, Bedürfniß des gesellschaftlichen Lebens seyn,) würde es uns erstaunlich schwer fallen, deutliche Begriffe zu bekommen, am langsamsten würden sich aber vollends abstracte Ideen in uns entwickeln können.

Wir stellen uns bei dem erstaunlich schnellen Wechsel unserer sinnlichen und abstracten Vorstel-[4]lungen freylich jenes symbolische Zeichen nicht immer deutlich vor, wir denken sogar oft über eine Sache fort, deren Benennung wir ganz verloren haben; allein dieses widerlegt die Nothwendigkeit einer symbolischen Erkenntniß gar nicht. Im ersten Fall, wo sich oft Ideen gegen Ideen auf einmahl vertauschen, in einander auflösen, und ohne daß wir den Grad ihrer Weile, die jede Vorstellung haben muß, fühlen könnten, unbegreiflich geschwind mit einander abwechseln, stellt sich die menschliche Seele würklich jedes einzelne Wort nur in der möglichst größten Schnelligkeit vor; — denn wir bemerken es den Augenblick, wenn uns in dem schnellen Fluge unserer Gedanken ein Wort fehlt, und es hat Redner gegeben, die durch den Verlust eines einzigen Wortes bei der schnellen Folge ihrer Gedanken so verwirrt wurden, daß sie den ganzen Faden nicht wiederfinden konnten.

Im zweiten Fall, wo die menschliche Seele über eine Sache fortdenkt, ohne ihre Benennung behalten zu haben, behält sie doch allemahl eine sehr lebhafte und gleichsam ängstliche Erinnerung, daß es für jene Sache einen würklich symbolischen Ausdruck giebt; aber wie sehr geneigt sie sich fühlt, diesen Ausdruck wieder zu erhaschen, wie sie sich bemüht, auf seine Spur zu kommen, oft auf einmahl alle andere Gedanken abbricht und auf das verlorne Wort denkt, wird ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Verliert sie vollends mehrere Worte auf [5] einmahl; so geräth sie in den Zustand der Verwirrung, und ich kann es mir sehr gut denken, wie einige Menschen melancholisch werden konnten, weil ihr Gedächtniß mitten im Reden ihnen nicht jedesmahl die Worte, welche sie suchten, herbeischafte.

Wenn nun die menschliche Seele ohne symbolische Zeichen durchaus keine neuen Begriffe von Andern außer uns erhalten kann, wenn dazu entweder Eindrücke auf unsere Gesichtsnerven, auf unser Gefühl, oder Worte für unser Gehör unumgänglich nothwendig sind; — so ist es nun auch unbegreiflich, wie ein außer uns befindlicher Genius, — weder durch Geberdensprache; denn wie sollte die ein unsichtbares Wesen machen können? noch durch Worte; denn wie kann ein solcher Geist würklich reden? — neue Begriffe und sogar Vorgefühle der Zukunft in uns erregen könnte.

Nicht durch Zeichen und Wortsprache, könnte man mir sagen; diese ist ja auch nicht das einzige Vehiculum, wodurch neue Begriffe von andern außer uns befindlichen Wesen in unsere Seele geschoben werden können. — Können nicht außer uns daseyende Geister mit unserer Seele einen gewissen andern, uns bisher noch unbekannten Communicationsweg haben; können sie nicht eine Sprache mit uns reden, wozu sie keine Gesichts- und Gehörsnerven nöthig haben, und zeigen nicht manche schnell in uns entstandene herzerhebende, unerwartete Gedanken und Gefühle sehr wahrschein-[6]lich, daß wir sie von andern geistigen Wesen außer uns bekommen haben müssen? — —

Und dieses sind die Hauptgründe, womit man die Hypothese von der Einwürkung anderer Geister auf uns unterstützt? Ich erstaune, wenn ich sogar oft von Philosophen diese und keine andere Argumente für jene Grille angeführt finde, und ich kann ohnmöglich glauben, daß sie hiebei über die Natur der menschlichen Seele ernsthaft nachgedacht haben können. Ob es irgend einmahl einen andern Communicationsweg zwischen uns und andern Geistern, auf einer viel höhern Stufe unserer Entwickelung, als symbolische Sprache, geben kann, will ich hier nicht bestreiten; ob mir gleich diese symbolische Sprache für jedwede Mittheilung unserer Begriffe auch in der Ewigkeit sehr nothwendig scheint; — aber in der gegenwärtigen Epoche unseres Daseyns und unseres Denkens ist durchaus kein anderes Vehiculum einer gegenseitigen Mittheilung der Begriffe vermöge der bekannten Natur unserer Seele gedenkbar, als symbolische Zeichen, weil wir durchaus ohne diese Zeichen nicht deutlich und zusammenhängend denken können, wenn wir einmahl eine Sprache gelernt haben.

Jene schnell in uns entstandenen herzerhebenden, unerwarteten Gedanken und Gefühle, welche die Andacht so gern vom Himmel herableiten möchte, beweisen auch nichts, und können gewiß sehr natürlich erklärt werden, wenn man die Umstände [7]und die Anstrengung der Einbildungskraft genau kennt, wodurch jene Gedanken und Gefühle erzeugt und begünstigt werden. Man muß den Menschen, die Natur seiner Seele, die Art und Weise, wie sich in ihm Begriffe entwickeln und Gefühle hervorbringen, gar nicht kennen, wenn man annehmen kann, daß irgend etwas Unnatürliches darin vorgehen könne. Die Unwissenheit und Schwärmerei hat unendlich oft den seltsamsten Bizarrerien in Gedanken und Empfindungen den Namen göttlicher Würkungen gegeben, und die menschliche Eitelkeit, welche so gern einen höhern Umgang mit unsichtbaren Geistern träumt; — oder ihn auch nur affectirt, hat diesen Träumereien ein widerrechtliches Privilegium der Wahrheit gegeben, ohne einen andern Richter dabei zu Rathe zu ziehen, welcher doch allein der Lehrer aller Wahrheit seyn müßte, — nehmlich die gesunde Vernunft.

Aber gesetzt, wir wollten einmahl obigen unpsychologischen Satz von der Communication unsichtbarer Geister, welchen so viele gescheidte Köpfe, — freilich zum Erstaunen des gesunden Menschenverstandes, — geglaubt haben, annehmen; so entsteht hierbei wieder die sehr schwierig zu beantwortende Frage: wie können wir von höhern Geistern in blos zufälligen Begebenheiten unseres Lebens Unterricht erhalten, da sie zufällige Dinge, so wenig wie wir wissen können, oder wenn es überhaupt nichts Zufälliges giebt, wie [8] ist es denkbar, daß ein eingeschränkter Geist, (denn dies sind auch die weit über uns erhabnern Wesen — ) das ganze Universum so überschauen könne, daß er das Nothwendige, uns aber zufällig scheinende, uns dennoch entdecken könne?

Es läßt sich nicht denken, daß ein eingeschränkter Geist das ganze Universum übersieht, und folglich müssen ihm noch unzählig viele Dinge zufällig scheinen, und er kann auf keine andere Art etwas Künftiges vorhersehen, als in so fern er das Vergangene mit dem Gegenwärtigen vergleicht und daraus auf irgend eine individuelle Begebenheit einen Schluß macht, so wie der Mensch etwas vorhersieht.

Daß ein Mensch, der seinen Weg ganz von ohngefähr vor einem Gebüsch vorbei nimmt, auf die zufälligste Weise von der Welt durch eine Kugel, welche nach einem Wild abgeschossen wurde, sein Leben verliert; daß ein Anderer durch eine unerwartete Unordnung des Bluts im Tanze todt zur Erde fällt; daß ein völlig gesunder Mensch übermorgen sterben wird; daß meine Schicksale des Lebens diese, und keine andere Wendung nehmen konnten, da es für die Vorstellungskraft eines endlichen Geistes unendlich viel andere Wendungen geben kann, — alle dergleichen würklich zufällige Begebenheiten können wir von keinem endlichen Geiste entdeckt werden, weil er sie selbst nicht weiß.

[9]

Doch ich muß noch einen Einwurf berühren, welchen man gegen meinen letztern Satz von der Unmöglichkeit, daß uns Geister zufällige Begebenheiten bekannt machen könnten, anführen dürfte. Wie könnte man sagen, wenn nun jene Geister, was gar nicht unwahrscheinlich ist, die Ursachen von gewissen uns zufällig scheinenden und bevorstehenden Begebenheiten auf eine natürliche Art vorherwissen, die wir nicht kennen? Wie, wenn sie uns vermöge ihrer Schnelligkeit Nachrichten in einem und dem nehmlichen Augenblick von andern Orten bringen könnten, wenn sie Schwedenburgen sagten: daß es eben jetzt in Stockholm oder Copenhagen brenne, wenn sie einer Frau von R—r, die behauptete, daß eben jetzt ihr Sohn in einer Bataille blieb, diese Botschaft als Zeugen jener Begebenheit schnell überbrachten? — —

Das ließe sich nun freilich hören, (obgleich eine solche Ahndung, ein solches Vorhersehen nicht mehr Ahndung, Vorhersehen wäre); allein, ich frage mit Recht hier wieder: wie brachten denn jene Geister solche Nachrichten, wie theilten sie dieselben mit, da wir von Andern in unserer gegenwärtigen Existenz ohne symbolische Zeichen nichts Neues erfahren können? Ich frage weiter: ist denn die angenommene Schnelligkeit der Geister, (die man oft so unphilosophisch aus der Schnelligkeit unserer Gedanken hat beweisen und damit vergleichen wollen) womit sie uns von fernher Begebenheiten be-[10]kannt machen, schon erwiesen? — und was ich billig hätte zuerst fragen sollen: giebt es denn würklich uns umgebende Genien überhaupt? Kann ich eine Hypothese, (die Ahndungen) mit einer andern Hypothese (uns umgebende Geister) beweisen, und darf ich nicht an der ganzen Sache zweifeln, so lange ich keine andere, als solche Gründe für sie habe? — —

Ich komme zum letzten Zufluchtsorte derer, welche an Ahndungen und Vorgefühle des Zukünftigen glauben. Die Gottheit, sagen sie, kann vermöge ihrer Allmacht neue Ideen in uns erwecken; sie kann uns also auch, freilich auf eine unbegreifliche Art, zukünftige Dinge bekannt machen und vorhersagen. Auch diesen Satz kann man nicht so geradezu annehmen. Man hat sich von jeher sehr schiefe und unrichtige Begriffe von der göttlichen Allmacht erträumt, man hat sich sogar nicht gescheut zu sagen: daß Gott auch das Sonderbarste, das Widernatürlichste, das, was gar nicht in der Natur der Dinge gegründet ist, würklich machen könne. Welch eine Gottheit! Gott macht nach den reinen Vernunftbegriffen, die wir von seinen Eigenschaften haben, nichts würklich, kann nichts würklich machen, was nicht in dem ewigen Wesen der Dinge gegründet ist. Dieses Wesen kann er nicht ändern, er kann also auch nicht machen, daß meine Seele Begriffe empfängt, die nicht in der Natur, in dem Wesen ihrer individuellen Denk-[11]kraft gegründet sind, und wider die Art und Weise streiten, wie ich nach den Anordnungen der Natur Begriffe in mir aufnehme, und, so lange ich nach eben diesen Anordnungen der Natur nicht einem ewigen Wirrwarr meiner Vorstellungen unterworfen seyn soll, in mir aufnehmen muß.

Und endlich, woran soll ich denn diese neuen durch die Gottheit in mir gewürkte Begriffe und Gefühle erkennen?

a) In der unerwarteten Schnelligkeit, mit welcher sie, ohne in einem vorhergehenden Seelenzustande zu liegen, entstehen? Nimmermehr! die bloße Schnelligkeit einer Idee, eines Gefühls kann kein Beweis ihres göttlichen Ursprungs seyn. — Alsdann müßten unsere meisten Vorstellungen und Gefühle einen göttlichen Ursprung haben, und die lebhaften, schnellen Empfindungen der einfältigsten Schwärmer wären denn am ersten die Kinder einer göttlichen Kraft. Aber wer will nun auch bestimmen, daß, und ob eine solche lebhafte schnelle Idee nicht in einem vorhergehenden Seelenzustande gegründet gewesen sey? Wer vermag alle die innern Veranlassungen unserer Denkkraft, unserer dunkeln Gefühle, unserer Organisation anzugeben, welche auf eine geheime Art bei solchen Vorstellungen, aber auf eine sehr natürliche Weise gewürkt haben, die in keiner der vorhergehenden Modificationen unseres Geistes gegründet zu seyn schienen, — und wer kann es denn läugnen, [12]daß unsere eigene Geisteskraft oft ganz mit den vorhergehenden Zuständen des Denkens heterogene a Begriffe gleichsam aus sich selbst hervorbringt.

b) Aus dem bangen oder hervorhebenden Gefühle welches sie begleitet? — Auch nicht! Denn wie kann ich wissen, ob jenes bange herzerhebende Gefühl nicht blos eine Würkung meiner Einbildungskraft, meines dicken oder lebhaften Bluts, meiner gegenwärtigen versteckten Gemüthslage sey, zumahl da es ausgemacht, daß jene bangen und herzerhebenden Gefühle fast immer körperlichen Ursprungs sind.

c) An dem damit verbundenen deutlichen Bewußtseyn, daß dies oder jenes würklich eintreffen werde? — Gewiß nicht! Denn jenes Bewußtseyn kann durch bloße Bilder der Phantasie seine Stärke und Lebhaftigkeit erhalten haben, und wie viele hundert Fälle giebt es nicht, wo die Menschen etwas ganz positiv vorherzusehen glaubten, was nicht eintraf. — Wo blieb also bei dergleichen Fällen der geträumte Credit eines angenommenen göttlichen Einflusses? — —

Man gehe alle Kennzeichen menschlicher Begriffe und Vorstellungsarten durch, und man wird kein einziges finden, von dem ich mit Gewißheit sagen könnte: daß es einen göttlichen Ursprung eines in uns entstandenen besondern Gefühls oder einer solchen Idee deutlich anzeige. Solange es also dergleichen sichere Criterien eines uns [13]durch göttlichen Einfluß mitgetheilten Begriffs oder Gefühls nicht giebt; sind wir auch auf keine Weise befugt, den Ursprung der Ahndungen Gott zuzuschreiben, hier nicht zu gedenken, daß diese ihre Entstehungsart der Weisheit und Güte unseres Urhebers schnurgerade entgegenstehen würde; zumahl da nicht selten die Ahndungen die unbedeutendsten Kleinigkeiten betreffen.

Nun will ich die noch rückständigen Beiträge über Ahndungen und Visionen kürzlich durchgehen, welche in den drei ersten Bänden dieses Magazins vorkommen.

Seite 20 (dritten Bandes drittes Stück) kommt ein Beitrag vor, welcher ahnendes Vorgefühl der Krankheit überschrieben, und von einem sehr glaubwürdigen Manne eingeschickt ist. Wer mit Aufmerksamkeit den ganzen Aufsatz durchlieset, wird leicht bemerken, daß alles, was der Herr Verfasser von sich erzählt hat, sehr natürlich zugegangen ist. Er hat vor kurzem seine Mutter begraben, er kommt auf den Kirchhof in der Stadt, wo er im Winterquartier liegt, und kann sich da unter einem empfindlichen Schauer nicht des Gedankens erwehren: sollte auch wohl auf diesen Kirchhof dir dein Grab bestimmt seyn? »Es erwachte damit das Andenken an meine verstorbene Mutter etc.« — — Dieser bloße vermuthliche Gedanke: solltest du wohl dein Grab hierfinden, kann doch wohl eigentlich kein ahnen- [14] des Vorgefühl einer Krankheit genennt werden, er lag ganz natürlich in der Seele eines ernsthaften Mannes, der erst kürzlich seine geliebte Mutter begraben hatte, dessen Gemüth noch voll von wehmüthigen Empfindungen ist; — endlich ein Gedanke, der gewöhnlich vielen Menschen einzufallen pflegt, wenn sie sich auf einem Kirchhofe befinden, wie ich aus eigener Erfahrung weiß; aber jenes Vorgefühl traf ja doch beinahe ein; der Verfasser wird würklich krank. Dies war wieder sehr natürlich. Er wird in ein Lazareth gerufen, und ein starker Qualm schlägt ihm daraus entgegen, als ihm die Lazarethstube geöffnet wird. Da ist ja die natürlichste Ursach seiner Krankheit, die ohne jenes angegebene Vorgefühl eben so natürlich entstanden seyn würde, weil er von den giftigen Dünsten der Krankenstube angesteckt wurde, und auch gleich anfangs einen Schauder dabeiempfand.

Sonderbarer scheint mir das in eben diesem Beitrage vorkommende Beispiel von einem Vorgefühl der Gesundheit zu seyn. Weil nehmlich der Verfasser gegen den Sonntag hin, wo er predigen soll, immer kränker wird; so bittet er einen andern Prediger, seine Stelle zu vertreten. Dieser schlägt es ihm ab. Sein Wirth will dem Commandeur des Regiments seine Krankheit anzeigen, weil er unmöglich predigen könne; allein der Verfasser will es nicht zugeben. Es dringt sich ihm der Gedanke mit größter Lebhaftigkeit auf: nein! du mußt [15] predigen; predigst du nicht, so kommst du nicht von deiner Krankheit auf; predigst du aber, so sey von deiner gewissen Genesung versichert! etc. Er predigt auch würklich, so schwach er übrigens ist, eine ganze halbe Stunde, und den nehmlichen Nachmittag sieht er Flecken auf seinen Händen,— fällt in ein vier Wochen langes Delirium, und wird endlich — wieder gesund. Ich glaube, daß der Herr Verfasser es auch geworden seyn würde, wenn er obigen Gedanken nicht so fest in seine Seele gefaßt hätte, welcher wahrscheinlich halb durch den Verdruß, daß sein College ihm die Predigt abschlug, und daß er durchaus nicht die Kirchenparade abgestellt haben wollte, und halb durch die schon kränkelnde Phantasie, und wer weiß, durch welche andere innere Gründe des Gemüths seine Lebhaftigkeit erhielt. Es läßt sich auch annehmen, daß manchmahl kranke Leute durch eine lebhafte Vorstellung ihrer Genesung gesund werden können, wie oft Gesunde aus Einbildung krank werden.

Seite 106 in eben diesem Stücke kommt sogar eine Vision vor, die, wenn sie auch aus des vortrefflichen Pfeffels eigenen Munde kommt, doch höchst unglaublich ist.

Der blinde Pfeffel und sein Bruder gehen mit einem Freunde auf einem mit Bäumen besetzten Platze öfters spaziren. Sie bemerken, daß der Geistliche (ihr Freund) immer nur bis auf einen [16] gewissen Fleck geht, und dann wieder umkehrt. Sie gehen weiter, er nie. Sie befragen ihn nach der Ursach, er weigert sich lange, herauszurücken; — endlich gesteht er, daß auf dem Flecke, wo er umkehrte, eine weiße, lange, hagere Menschenfigur stände, die ihn verhinderte, weiter zu gehen. — — — Die Pfeffels merken sich den Platz, lassen nachgraben, und finden etliche Fuß tief im Boden ein Todtengerippe. Sie lassen es wegbringen, scharren das Loch wieder zu, gehen mit dem Pfarrer dort wieder spaziren, — und nun sieht der Pfarrer die Gestalt nicht mehr. —

So unwahrscheinlich die ganze Erzählung ist, so wünschten wir doch über das ganze erzählte Factum eine nähere Auskunft zu bekommen, da der Pfarrer ein rechtschaffener und aufgeklärter Geistlicher genannt wird, und der liebenswürdige aufgeklärte Pfeffel es selbst erzählt haben soll.

C. F. Pockels.

(Die Fortsetzung folgt.)

Erläuterungen:

a: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].