ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Fortsetzung der Revision der drei ersten Bände dieses Magazins.

Pockels, Carl Friedrich

Der – wahrlich sehr unphilosophische – Glaube an Ahndungen ist so alt und allgemein als der Glaube an Gespenster. Die Neigung der Menschen zum Ausserordentlichen und Wunderbaren; die so natürliche Begierde, Andern von sich etwas Sonderbares erzählen zu können, oder von Andern erzählen zu hören; das fürchterlich angenehme Gefühl erschüttert zu werden, und vornehmlich auch die Meinungen von höhern auf uns würkenden Geistern, haben gewiß das Meiste dazu beigetragen, jenen Glauben auszubreiten, wohin man noch die Neigung, seinen Voreltern in Ab-[2]sicht der unter ihnen sich a zugetragenen Ahndungen nicht zu widersprechen, rechnen kann.

Nicht bloß unwissende und gemeine Leute, welche nie über die Natur der menschlichen Seele nach gedacht haben, und jedes sonderbare Phänomen derselben höhern Wesen ausser uns zu zu schreiben sich geneigt fühlen; sondern selbst Leute von Kopf und Geschmack, Philosophen von Profession, – die doch billig an einem Ahndungsvermögen der Seele zweifeln müßten, da es so erstaunlich viel wider sich, und nur wenig für sich hat, – lassen sich den Glauben daran nicht nehmen, und ich habe manche dasselbe mit einem Enthusiasmus vertheidigen hören, als wenn es auf die Untersuchung der allerwichtigsten Wahrheiten angekommen wäre. Ich kenne einige noch lebende Schriftsteller, welche alle ihre zufälligen Amtsveränderungen vorhergesehen zu haben vorgeben, – wozu ihnen eine solche Notiz geholfen hat, wissen sie selbst nicht –, und bei uns lebt noch diesen Augenblick ein Gelehrter, der sich darauf todtschlagen ließe, daß er aus gewissen unerklärbaren Veränderungen, blizschnellen Erscheinungen, und Lichtvibrationen in einem Winkel seiner Stube; aber NB allemahl des Abends, gewisse zufällige Begebenheiten seines Lebens, z.B. den Tod eines Anverwandten vorhersehen könne, wobei ihm denn immer zugleich ein kalter Schauer über die Haut laufen soll. – –

[3]

In den drei ersten Bänden der Erfahrungsseelenkunde sind viele Beiträge über die Ahndungen abgedruckt worden, davon einige in der That sonderbar genug sind; andere enthalten ganz gewöhnliche, und leicht zu erklärende Vorhersagungen unglücklicher Begebenheiten, woran nicht so wohl jenes erträumte Vorhersehungsvermögen der Seele, als eine melancholische Stimmung des Gemüths, und der bloße Zufall Theil hatte. Ich will alle einzelne berichtete Fälle, welche vom Hrn. Prof. Moritz in seiner Revision noch nicht untersucht worden sind, nach und nach durch zu gehen, und nach psychologischen Gesetzen zu prüfen suchen. –

Doch vorher noch Einiges über Ahndungen und ihre Erklärungsart überhaupt.*) 1

Es ist nicht zu läugnen, daß viele Uebel, von denen man eine Ahndung gehabt zu haben vorgab, würklich, und oft mit einer Pünktlichkeit eingetroffen sind, die uns in Erstaunen setzen muß, und dieses Eintreffen ist als ein Allgemeinbeweis eines in uns liegenden, obgleich bei verschiedenen Menschen bald stärkern bald schwächern Vorhersehungsvermögens der menschlichen Seele angenommen worden; – allein ich habe gegen das Daseyn eines solchen Vermögens vornehmlich Folgendes einzu-[4]wenden, wobei ich zugleich auf die vortrefliche Abhandlung von F. G. im ersten Stück des dritten Bandes dieses Magazins, die Nichtigkeit des Ahndungsvermögens etc. betitelt, verweise.

1) Streitet ein solches Vermögen mit der natürlichen, einmahl von dem Schöpfer bestimmten Art und Weise, wie unsere Begriffe und Empfindungen entstehen; mit der Identität unserer Denkkraft, die durch eingeschobene Ideen, welche in der natürlichen Folge und Verbindung unserer übrigen Begriffe keinen Grund hätten, auf eine übernatürliche Art aufgehoben werden müßte; folglich auch mit der Natur derjenigen Schlußfolge, vermöge welcher wir nur das Zukünftige durch Vergleichung der Ursach und Würkung, nie aber etwas blos Zufälliges vorhersehen können.

2) Wird dieses Vermögen bei unzähligen Menschen gar nicht bemerkt, am allerwenigsten aber NB bei aufgeklärten, hellen von Vorurtheilen freien Köpfen, so lange sie sich im Zustande des gesunden Denkens befinden.

3) Würde uns ein solches Vermögen von der Gottheit mehr zu unsrer Qual, c als zu unsrer Glückseligkeit gegeben worden seyn, wie wir von den Leuten wissen, welche sich ein solches Vermögen zu haben d einbilden.

[5]

4) Lassen sich die meisten Ahndungen sehr natürlich und psychologisch erklären, ohne daß man jenes Vermögen, oder wohl gar Einwürkungen höherer Wesen anzunehmen nöthig hat. Dieser lezte Punkt sollte vornehmlich von allen Psychologen ernstlich erwogen werden, und ich will daher meinen Lesern einige Winke mittheilen, wie man billig bei Erklärung einer jeden Ahndung verfahren muß, wenn man sie richtig erklären will.

a) Hat diese und jene Person, deren Ahndungen eingetroffen sind, auf keine Art und Weise ihr Unglück durch vorhergegangene und gegenwärtige Umstände oder auch Gemüthslagen vermuthen können; hat insbesondere in Absicht der leztern die Seele nicht die dunkle Vorstellung eines Unglücks repetirt, das sich schon einmahl mit der Person zutrug, und sich in einer gewissen Zeitfolge wieder zutragen konnte oder mußte?

b) In welchem Seelenzustande befand sich der Ahndende, wenn er ein gewisses Vorgefühl von einem bevorstehenden Unglück zu haben glaubte. Was trug Melancholie, Einbildung, Hypochondrie dazu bei, sich erst ein Uebel überhaupt möglich zu denken, und hinterher sich ein bevorstehendes Uebel insbesondere vorzustellen; – wobei man zugleich genau untersuchen müßte: ob diese Vorstellung ohne ein vorhergegangenes dunk-[6]les Gefühl der Schwermuth blitzschnell; oder die Vorstellung aus diesem Gefühl e erst nach und nach entstanden sey?

c) Wurde nicht manchmahl eine hypochondrische Grille, die eintreffen, aber auch nicht eintreffen konnte, hinterher durch eine zu lebhafte Einbildung wahr? wie es mehrere Beispiele giebt, daß Leute, die sich den und den Tag, Monat, das und das Jahr zu sterben einbildeten, um die nehmliche Zeit würklich starben, und ein Opfer ihrer angestrengten Phantasie wurden.

d) Trägt mancher nicht oft, wenn die Ahndung schon erfüllt ist, in ihr dunkles Vorgefühl durch die Imagination eine Deutlichkeit hinüber, die vorher nicht mit jenem Vorgefühl verbunden war, oder um mich deutlicher auszudrücken, bildet man sich nicht oft nach einem Unglück eine bestimmte Ahndung davon gehabt zu haben ein, die vorher sehr unbestimmt war? Wir finden überall Leute, die nach einem erlittenen Unglück gleich mit der Sprache fertig sind, das hat mir wohl geahndet, es war mir so bange ums Herz, ich hatte an keinem Orte Ruhe. –

e) Welchen nahen oder fernen Einfluß hat der Zufall auf die Erfüllung einer Ahndung gehabt? Ein Umstand, den man aufs genaueste bei der Erklärung der Ahndungen erwägen müßte, selbst da, wo sie auf die pünktlichste Art in Absicht der Zeit und äußerer Situationen in Erfüllung [7]gegangen sind. Es tragen sich Dinge in der Welt oft auf die sonderbarste Art zu; stimmen so genau in Absicht des Orts und der Zeit überein; scheinen so natürlich in einander gegründet zu seyn, – daß man darauf schwören sollte, daß sie in einander gegründet wären, ob sies gleich nicht sind. So kann die menschliche Seele sich ein gewisses Unglück vorher deutlich vorgestellt und vermöge dieser Vorstellung geahndet sieben hundert und mehrere mahle ein anderes Unglück vorhergesehen haben, – und doch ist der strenge Denker noch lange nicht berechtigt zu glauben, daß die Ahndung sich auf ein würkliches Vorhersehungsvermögen der Seele gründe. – –

Wenn man nun alles dieß zusammennimmt, (alle diese Umstände bei einer jeden Ahndung untersuchen könnte oder wollte,) wenn man ferner bedenkt, daß nicht nur zu sehr vielen Ahndungen unwahre Ideen und äußere Lagen hinzugedichtet werden; sondern daß auch die menschliche Seele oft unwillkürlich zu solchen Erdichtungen verführet wird; bedenkt, daß sie oft aus vorhergegangenen Vermuthungsideen, die sie wieder vergessen hat, Schlusfolgen zieht, oder zog, wovon sie selbst nicht mehr recht weis, wie sie entstanden sind, und wenn man überhaupt bedenkt, daß ein Ahndungsvermögen der Seele, das sich nicht auf eine physische Art erklären läßt, etwas Unnatür-[8]liches, wider die einmahl vorhandene Einrichtung unsrer Denkkraft Streitendes, und für unsere moralische Ausbildung Unbrauchbares, – ja vielmehr wegen der Neigung der Menschen zum Aberglauben höchst Schädliches seyn muß; so kann und darf Alles, was Ahndung, Traum, Vision, Weissagung heißt, vor dem Richterstuhle der reinen Vernunft keinen Werth behalten, und die Menschen würden sich tausenderlei Unruhen, Sorgen und lächerliche Grillen erspart haben, wenn sie nie daran geglaubt hätten; doch hievon ein andermahl. –

Ich komme iezt zu den einzelnen Ahndungsgeschichten selbst, welche in die drei ersten Bände der Seelenkunde eingeschickt sind.

Im zweiten Stück des ersten Bandes S. 78 steht ein Aufsatz über das Vorhersehungsvermögen der Seele, welchen der Kirchenrath Hr. Hennig aus Königsberg eingeschickt hat. »Einer Kaufmannsfrau, Nahmens Krausin in Löbnicht zu Königsberg wohnhaft, war 1782 im Monat Januar eines ihrer geliebtesten Kinder gestorben. Schon damahls hatte sie gesagt: daß sie dieß Kind nicht lange überleben würde. Aufs folgende Jahr würde sie im Monat Januar wieder entbunden werden, und in diesen sechs Wochen würde sie sterben«. Dieß war nun freilich ziemlich bestimmt vorhergesagt; allein in der ganzen Prophezeihung, dergleichen viele im gemeinen Leben vorkommen, scheint [9]mir gar nichts Sonderbares zu liegen, so richtig sie auch nachher eingetroffen ist. Wer die lebhaften und schwärmerischen Empfindungen des mütterlichen Herzens kennt, wenn es um den Tod eines geliebten Kindes trauert, wer das andere Geschlecht oft in melancholischen Stimmungen seines Gemüths beobachtet hat, wird bemerkt haben, daß es sich alsdann mit nichts lieber als mit Gedanken an Grab und Tod beschäftigt, und nichts mehr als seinen gestorbenen Lieblingen nachzufolgen wünscht. Ich kenne mehrere vortrefliche Mütter, die in den Empfindungen ihres Schmerzes über den Verlust ihrer geliebten Kinder sich nicht nur selbst sehnlichst den Tod gewünscht; sondern auch geradezu behauptet haben, daß sie jenen gewiß bald nachfolgen würden f – ob diese guten Seelen gleich diesen Augenblick noch leben. Wer würde es einem Psychologen verzeihen, wenn er aus solchen Aeußerungen der zu lebhaft gewordenen Phantasie gleich ein Vorhersehungsvermögen der Seele folgern wollte!

Der Gedanke der guten Mutter, der der Gegenstand des gegenwärtigen Beitrags ist, lag nun einmahl tief in ihrer Seele, daß sie ihrem geliebten Kinde bald nachfolgen werde, und sie vermuthete, daß dieß am wahrscheinlichsten in den nächsten sechs Wochen geschehen könnte; es scheint, als ob ihre Phantasie sich recht mit Fleis diesen Umstand ausgesucht habe, weil eine Niederkunft so leicht eine Veranlassung zum Tode werden kann. Sie fühlte [10]sich einige Monate darauf würklich in andern Umständen – »Sehr oft, heißt es weiter, fand ihr Mann, wenn er von seinen Geschäften nach Hause kam, sie in Sterbensbetrachtungen vertieft, sehr oft auch in vielen Thränen, die sie jedoch nicht eigentlich wegen ihres, wie sie glaubte, bevorstehenden Todes willen vergoß, sondern NB vielmehr um einiger Gewissensangelegenheiten willen, die ihr beständigen Kummer verursachten«. Ein Umstand, der hier sehr mit in Betrachtung kommt, weil er ihren Wunsch zu sterben, worauf sich höchst wahrscheinlich ihre ganze Ahndung gründete, nicht nur erzeugen, sondern auch verbunden mit dem Glauben an eine Ahndung auf die Kränklichkeit ihres Körpers wenigstens entfernt würken half.

Daß sie während ihrer neuen Schwangerschaft auch desto lebhafter an ihr Ende denkt, ist wieder etwas ganz gewöhnliches. Schwangere Frauenzimmer denken sehr häufig an den Tod. Ich kenne verschiedene, die sich würklich jedesmahl dazu vorbereiten, und sogar ihre Sterbekleider dazu zurechte zu legen pflegen.

Noch natürlicher und zuverläßiger mußte ihr Gedanke an einen bevorstehenden Tod vollends dadurch werden, daß sie nach der Geburt ein Geschwür im Unterleibe bekam, und daran die erstaunlichsten Schmerzen empfand. Nun sahe sie ja den Tod gleichsam vor Augen, und es war daher sehr natürlich, daß sie bei dem anhaltenden immer stär-[11]ker werdenden Gefühl ihrer Schmerzen, ihren Kindern versicherte: daß sie gewiß sterben werde. Sie starb auch würklich nicht lange darauf am Brande im Eingeweide.

Am Ende setzt der Herr Kirchenrath hinzu: »Sie war übrigens eine Person von sehr lebhaften Temperament und feuriger Einbildungskraft, schien einen sehr feinen Nervenbau zu haben, mithin sehr empfindsam, ungemein biegsam und weich, und von sehr zärtlichem Gewissen. Ich habe das fast bei allen denen gefunden, die mit ihr ähnliche Vorfälle gehabt, und dieß oder jenes vorausgesehen, oder wenigstens voraussehen zu können geglaubt haben«. Eine sehr richtige Bemerkung, die der Psychologe bei Untersuchung der Ahndungen nie ausser Acht lassen sollte, weil der körperliche Theil des Menschen oft gerade den meisten Antheil an gewissen vorgegebenen Vorgefühlen künftiger Uebel hat. –

Es ist daher auch gar kein Wunder, daß solche Vorgefühle sich am meisten bei dergleichen Leuten äußern; nicht weil sie würkliche Vorgefühle hätten; sondern weil sie sich dieselben leicht einbilden, da denn hie und da einmahl eins in Erfüllung gehen kann. Der Tod ist vornehmlich für lebhafte Leute ein fruchtbarer Gegenstand vieler und oft sonderbarer Gefühle und Einbildungen; sie glauben oft sichere Phänomene an sich bemerkt zu haben, daß sie bald sterben würden, bisweilen bestärken sie die [12] zufälligsten und unbedeutendsten Umstände in ihrer Meinung, sie träumen von allerlei Anzeichen und Ahndungen desselben, und man weiß von Gellert, daß er oft von seinen Freunden Abschied nahm, mit den Gedanken, in der nächsten Nacht zu sterben, sich ins Bette legte, und den andern Morgen – frisch und gesund wieder aufstand.

Eine andere Todesahndung steht im ersten Stücke des zweiten Bandes der Seelenkunde, S. 72.

Den 13ten Junius 1773 starb zu Bleicherode in der Grafschaft Hohenstein ein junger Mensch von vier und zwanzig Jahren. Den lezten Sonntag vor seinem Ende geht er spazieren, er kommt auf den Kirchhof, geht bei seines Bruders Grab, welcher vor sieben Jahren an einem hitzigen Fieber gestorben war, und sagt zu seinen Freunden: »auf künftigen Sonntag könnt ihr mich auch hierher tragen«. Nach seinem Tode, welcher um die vorhergesagte Zeit eintraf, hat man in einem Kleiderschrank von ihm eingeschrieben gefunden, daß ihm geträumt: er werde nach drei Jahren an eben dem Tage und um die Zeit sterben, da sein Bruder gestorben wäre.

Ein solcher Traum, dünkt mich, konnte sehr natürlich entstehen. Seine Seele beschäftigte sich damahls gewiß mit dem Tode seines Bruders; der Tag, die Stunde seines Abscheidens und die Art seiner Krankheit schwebte ihm vor den Augen; er [13]liebte auch wahrscheinlich seinen Bruder herzlich, und wünschte, daß er ihn bald wieder sehen möchte. Aus diesen Vorstellungen und Empfindungen entstand sein angezeigter Traum auf die natürlichste Weise; allein, wird man sagen, der Traum war nichts Sonderbares; aber das genaue Eintreffen desselben. Auch dieß nicht. Der junge Mensch hielt nun einmahl vermöge seines Traums seinen Tod für ein gewisses Ding, der Gedanke, daß er gewiß an dem und dem Tage sterben müsse, lag beständig in seiner Seele, er ängstigte und beunruhigte sich darüber, sein Blut wurde erhizt und nach und nach durch seine ängstliche Phantasie seine Gesundheit untergraben. Seit einem halben Jahre hatte er schon von Kopfschmerzen gelitten. Er kommt an das Grab seines Bruders, nach seiner geträumten Rechnung hatte er nur noch acht Tage zu leben, dieß sezt seine Einbildungskraft vollends in die größte Bewegung, die vielleicht noch entfernt liegende Krankheit seines Körpers wird nun auf einmahl durch den Gang nach dem Kirchhofe beschleunigt, und er stirbt endlich würklich um die bestimmte Zeit, und an der nehmlichen Krankheit wie sein Bruder, – und wer weis denn endlich, wie viel andere Nebenumstände den Tod des Jünglings zufällig befördern halfen? g


Ein sehr sonderbares Beispiel von einem und zwar fürchterlichen Ahndungsvermögen, das sich [14]gewiß kein einziger meiner Leser wünscht, steht im zweiten Stück des zweiten Bandes der Erfahrungsseelenkunde S. 16.

»Ein angesehener glaubwürdiger Mann in St.. kann es einem Menschen aus dem Gesichte lesen, ob er bald und plözlich sterben werde. Für ihn selbst, versichert er, habe eine solche Entdeckung viel Schauderndes, und er vermeide gern große Gesellschaften; wo er's aber nicht könne, so scheue er sich doch jedem dreist ins Gesicht zu sehen, weil er bei solchen Gelegenheiten am ersten befürchten müßte, eine solche unangenehme Entdeckung zu machen.

Die Leute, versichert er ferner, an denen er bisher seine Erfahrungen gemacht, kommen seinen Augen völlig so vor, als ob sie schon ein paar Tage im Grabe gelegen, gelb und todtenblaß, und wenn sie auch für jeden andern wie Rosen blühen.«

Es wird darauf ein Beispiel erzählt, daß er seinem Freunde, der ihn auf einem Spaziergange begleitete, den Tod eines vorübergehenden blühenden Fräuleins vermöge seines Ahndungsgefühls richtig vorausgesagt habe.

Ich muß gestehen, daß ich nie etwas Sonderbareres in dieser Art gelesen habe. In den Augen dieses Mannes kann der Grund seines Vorhersehungsvermögens nicht liegen, denn wie ist es möglich, daß die blühenden Wangen eines bald sterbenden Mädchens, die aber noch völlig gesund ist, einen ganz andern Eindruck in denselben, als diejeni-[15]gen hervorbringen könnten, welche noch nicht sobald ein Opfer der Verwesung werden sollen; alle Anatomie würde freilich hier nichts ausrichten; eher würde ich glauben, daß der Mann vermöge seiner feinen Geruchsnerven vielleicht ein Vorgefühl von dem Tode eines noch gesunden, aber leichenartig ausdunstenden Menschen haben könnte, welches ihm dann die blühenden Wangen durch einen Betrug der Phantasie als todtenbleich darstelle.

Doch ich wage es nicht hierüber etwas mit Gewißheit zu bestimmen, ehe wir nicht folgende Aufschlüsse über die ganze Sache bekommen, worum ich den Herrn Einsender dieses Beitrags ergebenst bitte.

1) Hat der angesehene glaubwürdige Mann würklich schon mehrern Menschen, die völlig gesund aussahen, ihren baldigen Tod vorhergesagt und – ist es eingetroffen?

2) Hat ihn sein Gefühl nie getäuscht?

3) In welcher Entfernung von der bald sterbenden Person fängt ihr Gesicht in seinen Augen bleich zu werden an, und geschieht dieß in einem Augenblick, oder nach und nach?

4) Hat er sich viel mit Physiognomie beschäftigt, und wenn hat ungefähr sein Ahndungsvermögen sich in ihm zu äußern angefangen?

5) Sind seine Aussagen vornehmlich im strengsten Verstande glaubwürdig und ehrlich, und sind mehrere unpartheiische Zeugen, de-[16]nen er sein Vorgefühl entdeckt hat, vorhanden?


Die Seite 99 – 101 angeführten Beispiele eines Ahndungsvermögens enthalten nichts Sonderbares in sich, und ich würde nimmermehr ein Vorhersehungsvermögen der Seele daraus hergeleitet haben, weil sie sich auf gewisse blos dunkle Empfindungen gründen, die wahrscheinlich blos von körperlichen Ursachen veranlaßt wurden.

Daß Herr Kirchner von der Landkutsche springt und aus einem innern Drange zu Fuße geht, daß bald darauf die Landkutsche umfällt und er nicht zerquetscht wird, welches vielleicht auch nicht geschehen wäre, wenn er sitzen blieb; daß die ins Kloster gesteckte Ehefrau eine heftige Begierde zu entfliehen empfindet, würklich entflieht, und endlich auf dieser Flucht ihren Mann als Reisenden in einem Wirthshause findet, – ist eben nichts Sonderbares, und der Zufall hatte gewiß das meiste Spiel in der Sache. Am wenigsten aber kann die im dritten Stück des dritten Bandes angeführte Geschichte S. 20 zu den Ahndungen gerechnet werden.


Im dritten Stük des zweiten Bandes S. 118 erzählt Herr Goekingk Folgendes von sich.

»Schon in meiner frühen Jugend begegnete mir es zuweilen, daß sich meiner Seele ohne die allergeringste äußere Veranlassung, plözlich [17]der Gedanke aufdrang: dieser oder jener Bekannter ist dir nahe, wird jezt gleich zu dir kommen! (– wenn die Ahndung mir im Hause anwandelte – ) oder wird dir begegnen! ( – wenn ich denn grade auf der Straße war).

Zu meiner eignen großen Verwunderung traf dieses nicht selten ein, ob ich gleich von dem, der eine Minute darauf vor mir stand, weder gewußt hatte, daß er in die Gegend kommen würde, noch von ihm gesprochen, noch an ihn gedacht.« u.s.w.

Darauf erzählt er einen neuern Fall seines Ahndungsvermögens. Es fällt ihm zu Leipzig nahe an der Ecke der Heustraße die Idee ein: daß der Rath Bertuch aus Weimar ihm nahe wäre, – und siehe da! Herr Bertuch steht, wie Goekingk um die Ecke gegangen ist, vor ihm.

Herr Goekingk erzählt da eine Erscheinung von sich, welche er mit sehr vielen Menschen gemein hat, und die man in den allermeisten Fällen, ohne sich auf eine andere Erklärungsart einzulassen, dem Zufalle zuschreiben kann. Daß Hr. Goekingk den Rath Bertuch vermöge seines feinen selbst nach einem zwanzigjährigen häufigen Gebrauch des Schnupftobacks nicht verdorbenen Geruchs von ferne gewittert habe, kommt mir um so weniger wahrscheinlich vor, da er ein andermal mit Bertuch an einem Tische sitzt, und seiner im mindesten [18]nicht gewahr wird, auch im Folgenden gesteht, daß er die Personen, deren Nähe sich ihm verrieth, im geringsten nicht durch den Geruch habe unterscheiden können.

Daß es aber Menschen von äußerst feinen Geruchsnerven giebt, vermöge welcher gewisse Ahndungsideen in ihnen entstehen können, ist nicht zu läugnen, und Herr Goekingk hat sehr Recht, daß sich dergleichen Ahndungen physisch und ganz natürlich erklären lassen. Er führt davon h Seite 121 ein merkwürdiges Beispiel von einem Manne an, welcher das Vermögen habe zu ahnden, wo ein Körper begraben liegt, und ich wünschte sehr, daß dem Publikum die hierüber versprochene nähere Nachricht bald mitgetheilt würde, – und wenn es möglich ist, mit den Bemerkungen eines Goekingks.

Man erlaube mir bei dieser Gelegenheit eine Stelle aus des Herrn Professor Hennings Abhandlung von Ahndungen und Visionen anzuführen, die obiges Beispiel noch mehr erläutern könnte.

»Herr le Cat hat in seiner Abhandlung von den Sinnen i verschiedene Beispiele angeführt, die es beweisen, daß der Geruch der Menschen oft die Vollkommenheit des Geruchs der Thiere erlangen kan. Man hat auf den Antillischen Inseln Schwarze gesehen, welche andern Menschen auf der Spur wie Jagdhunde nachfolgen und die Spur eines Weißen und eines Africaners [19]gut unterscheiden*) 2. Der Ritter Digby gedenkt eines Kindes, welches in den Wäldern erzogen wurde, und einen so feinen Geruch hatte, daß es durch selbigen die Annäherung eines Feindes entdeckte. Als es nachher seine Lebensart geändert hatte, so erlitte auch diese große Fühlbarkeit starke Veränderungen. Doch unterschied er noch lange Zeit nachher, als er sich verheurathet hatte, seine Frau durch das Beriechen noch gar wohl von einer andern. In der Nacht vertrat seine Nase die Stelle des Gesichts. m Ein Prager Geistlicher, von welchem in dem Journal des Savans 1684. geredet wird, setzt die Philosophen in noch größere Verwunderung. Er kannte nicht nur die Personen, welche ihn besucht, so bald er sie berochen, sondern auch, was noch ausserordentlicher ist, er unterschied eine Jungfrau von einer Frau, und eine keusche Person von einer unzüchtigen. u.s.w. Warum wollte man dennoch zweifeln, daß ein Mensch durch unsichtbare Annäherung seines Freundes, vermittelst des Geruchs eine Idee [20]von selbigen ohne sonderliches Bewußtseyn erhalten könne, wodurch er Veranlassung bekommt von diesem Freunde zu reden, auch wohl dessen Gegenwart zu wünschen. Zeigt sich nun dieser Freund, so hat man sich nicht zu verwundern, wenn man dessen Erscheinung als einen Erfolg von einer Ahndung ansieht. n Hieraus läßt sich auch das Sprüchwort: lupus in fabula o erklären. In solchen und andern ähnlichen Fällen ist zwar würklich ein ganz natürlicher Grund der Voraussehung und Vorauserkennung vorhanden, weil aber derjenige, der eine solche Prävision besitzt, auf diesen Grund nicht verfällt; so bleibt der Zusammenhang und die Folge der Vorstellungen diesem Vorausseher der Zukunft unbegreiflich, und er kann seine Vorausempfindung blos der Ahndung zuschreiben«. p

(Die Fortsetzung folgt.)

C. F. Pockels.

Fußnoten:

1: *) Vergl. Hennings von Ahndungen und Visionen, Seite 330 – 351. b

2: *) Bougainville j erzählt in seiner Reisebeschreibung, k daß die Otaheiter l sogleich ein Mädchen unter seinem Schiffsvolke durch den Geruch entdeckt hätten, welches den Weltumsegeler in Mannskleidern begleitete und bisher von allen Schiffsleuten für eine Mannsperson gehalten worden war.
P.

Erläuterungen:

a: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

b: Hennings 1777-1783, Bd. 1.

c: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

d: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

e: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

f: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

g: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

h: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

i: Le Cat 1744, S. 35-37.

j: Korrigiert im Druckfehlerverz., MzE V,3,[125].

k: Bougainville 1771.

l: Otahaiti ist eine veraltete Namensform von Tahiti. Otaheiter hießen die Bewohner.

m: Geschichte von 'John of Liege' in Digby 1644, S. 247-249.

n: Journal des sçavans 1684, S. 59. Auch zitiert in Le Cat 1744, S. 37.

o: Entspricht im Deutschen: "Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit."

p: Hennings 1777-1783, Bd. 1, S. 190-192.