Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Mein lieber Herr Pfarrer Gaßner!
Sie haben also, mein Freund, einen Seher Gottes und der Wahrheit gesehn! Es freut mich mit jedem Augenblick mehr, und ich weiß nicht wie mir zu Muthe wird, wenn ich denke: so lebt doch zu gleicher Zeit mit dir ein Mann, der mit Kraft zeuget von dem Leben Jesu, und einer von denen [33]Menschen, denen ich am meisten glauben darf, hat mir bezeuget, daß er ist kein Gaukler, kein Betrogener, kein Betrüger. Er glaubt, und lebt seines Glaubens. O Gaßner! Ich weiß, daß ich nicht werth bin an einen Mann Gottes zu schreiben; aber wenn Gottes Barmherzigkeit in Ihnen wohnet – (und ohne diese was wäre denn der mächtigste Wunderglaube – ?) so erbarmen Sie sich meiner, und schreiben mir bald. Aber laßt uns stille – stille unsere Seelen einander mittheilen. Ich bin des Geräusches herzlich müde, die Welt ists auch nicht werth, daß wir ihr die Kraft Gottes vor die Füße werfen.
O wie seelig preis' ich Sie, daß Gott Sie in der Stille zurückführt! O daß Ihre Ruhe nun auch mir zum Seegen würde. Lassen Sie mich, bester miskannter Mann, Ihnen oft mein Bruderherz entgegenbringen. Stärken Sie mich oft mit Glauben an den, an welchen ich meiner Unwürdigkeit wegen kaum glauben darf. Sie können kein besser Werk thun, als mir oft schreiben, was Sie wollen.
Unser lieber Kaufmann hat mich Ihrer Liebe gegen mich versichert. Nehmen Sie die Versicherung meiner Liebe zu Ihnen vor Gott mit Einfalt und Liebe an. Bitten Sie Gott, daß wir einander bald sehen können, und daß sich kein Satan zwischen uns hineindränge. Meine Seele dürstet [34] nach einem lebendigen Zeugen des lebenden Jesus. Mit Wort und Schall kann ich mich nicht mehr begnügen. Mein Thun und Lassen, Predigen und Schreiben ist mir unerträglich. O wenn Sie der Christ sind, den unser Freund in Ihnen liebte; wenn Sie Gottes Kraft würklich in Ihnen erfahren, und Demuth und Liebe Christi würklich in Ihnen wohnt, – was habe ich mir nicht von Ihnen zu versprechen!
Ach! Gaßner, mir ist recht um Erfahrung, um Gewißheit zu thun. Ich hofte sie von Ihrer Seite zu finden. Ists Ihnen möglich; so nähern Sie sich; aber so unbekannt und verborgen als möglich nicht nur meinem Herzen, sondern auch meiner Person. Eine persönliche Zusammenkunft würde gewiß zur Erweckung unseres Glaubens und unserer Liebe gereichen; gewiß nachher vielen 1000 Seelen zum Seegen werden.
Sagen Sie nicht zu geschwinde: nein! Machen Sie möglich, was möglich ist; aber nur in der Stille. Jesus Christus, dessen Nahmen ich auszusprechen unwerth bin, leite Ihr Herz und Ihre Person zu mir. Sagen Sie mir bald, was ich thun kann, um unsere Zusammenkunft zu beschleunigen, und dann habe ich noch viel mit Ihnen zu reden. Sagen Sie mir alles, was Sie wollen! Wer aus der Wahrheit ist, der hört der [35]Wahrheit Stimme. Rede Knecht des Herrn*) 1 ! ich will hören. Mehr jezt nicht. Ich zähle Tage und Stunden, bis ich weiß, Gaßner ist entschlossen mich zu sehen, und das bald. Die Gnade Jesu Christi sey mit uns!
Zürich den 3ten May 1777.
J. C. Lavater.
Pfarrer am Waisenhause.