ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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5.

Sprache in psychologischer Rücksicht.

Das Verbum seyn.

Moritz, Karl Philipp

Dieß in seiner Art einzige Verbum, welches allen übrigen erst seine Natur und Wesen mittheilen muß, wenn sie wirkliche Verba werden sollen, und welches den höchsten und letzten aller unsrer Begriffe ausdrückt, hat in allen uns bekannten Sprachen eine unregelmäßige Abwechselung: die Vergan-[96]genheit wird mit einem ganz andern Worte, als die Gegenwart, und die erste Person der gegenwärtigen Zeit wiederum mit einem andern Worte, als die zweite oder dritte Person, u.s.w. bezeichnet.

Das Wort bin im Deutschen, wodurch wir unser eigentliches Selbstgefühl, unsre Ichheit bezeichnen, hat nicht die mindeste Aehnlichkeit mit seyn, wodurch wir nicht sowohl das wirkliche seyn, als vielmehr die bloße Idee des Seyns, flach und allgemein benennen.

Eben so ist auch bin von ist unterschieden, worunter wir uns das Daseyn eines dritten Wesens denken, das wir nicht wie uns selber, oder wie eine Person, zu der wir reden, wirklich anschauend erkennen, sondern es uns nur in unsrem Ideenkreise vorstellen.

bin und bist bezeichnet das unwillkürlich empfindsame, oder anschaulich erkannte Daseyn, ist hingegen das durch Anstrengung der Denkkraft erkannte Daseyn eines Wesens.

Ich kann daher nie sagen: ich ist, weil ich mein eigenes Daseyn nicht anders als unwillkührlich empfinden und anschaulich erkennen kann — eben so wenig kann ich sagen: du ist, weil ich von einer Person, die ich anrede, auch unmöglich eine andre, als eine anschauende Erkenntniß haben kann.

Woher nun aber der erstaunliche Unterschied zwischen bin, ist, war, gewesen und seyn, da [97]alle diese ganz voneinander verschiednen Wörter doch im Grunde nur Modifikationen eines und eben desselben Begriffes ausdrücken?

Vielleicht ist dieß gerade der einzige Begriff, dessen Modifikationen zugleich sein Wesen ändern. —

Das vergangne seyn z.B. ist eben so wesentlich von dem gegenwärtigen seyn verschieden, als die Vergangenheit selbst von der Gegenwart verschieden ist; was Wunder also, daß man diese, im Grunde ganz voneinander verschiedne Begriffe, auch durch ganz verschiedne Wörter zu bezeichnen suchte?

Um die anschauende Erkenntniß von dem Daseyn eines Dinges zu bezeichnen, bedient sich die Deutsche Sprache des zirkumskribirenden, oder ein Ding auf sich selbst einschränkenden b

ich bin — du bist.

Woher dieß b grade bei der ersten und zweiten Person, das nachher nie wieder vorkommt? — Die Silbe be vor ein Verbum gesetzt, bedeutet, daß sich die Handlung, welche durch das Verbum bezeichnet wird, gleichsam um etwas rund herum erstrecken soll — als von schneiden, beschneiden, von sehen, besehen, von leuchten, beleuchten. — Man sieht hieraus, daß es als Wurzellaut sehr gut gebraucht werden könne, um die isolirte, durch sich selbst umschränkte, und aus der Masse der übrigen Dinge herausgehobne Persönlichkeit, oder Selbstgefühl zu bezeichnen, welches wir durch [98]den zweiten Wurzellaut n in bin gleichsam in uns hineinziehen, statt, daß wir es durch das st in bist gleichsam aus uns herausstoßen. —

Die zweite Person bist ist auf die Weise aus der ersten und dritten Person zusammengesetzt — das b von der ersten Person bedeutet die anschauende Erkenntniß, welche wir von einem Wesen außer uns haben, das vor uns da steht; und das st bezeichnet die Anstrengung unsrer Denkkraft, wodurch wir uns dasselbe demungeachtet, als außer uns vorstellen — also ist:

bin bist
in uns hineingedachtes aus uns herausgedachtes
Selbstgefühl Selbstgefühl
ist
eine objektivische
Erkenntniß.

Bei ist fällt das zirkumskribirende persönlichmachende, aus dem Zusammenhange der Dinge herausschneidende b ganz weg — weil wir vermöge desselben das Daseyn der Dinge in ihrem Zusammenhange, oder die Wahrheit erkennen sollen — es bezeichnet die außer sich wirkende, sich selbst vergessende angestrengte Denkkraft in ihrer Selbstthätigkeit.

Wenn wir nun erwägen, was für eine erstaunliche Verschiedenheit zwischen unsrem Selbstge-[99]fühl, oder dem Gefühl unsres eignen Daseyn, und unsrer Vorstellung von dem Daseyn fremder Wesen außer uns, ist; dürfen wir uns dann noch wohl wundern, daß die Sprache diese so sehr voneinander verschiednen Begriffe, auch durch ganz verschiedne Wörter bezeichnet hat?

In der Mehrheit verliert sich dieser festbestimmte Unterschied, und verschwimmt sich gleichsam in dem Begriffe der Mehrheit. Indem ich mein Daseyn mit dem Daseyn andrer mir ähnlicher Wesen zugleich denke, und mein und ihr Daseyn gleichsam miteinander vermische; so muß sich mein bestimmtes Selbstgefühl zu der bloßen allgemeinen Idee des Seyns herabstimmen, so daß die Vorstellung von meinem eignen Seyn, mit der Vorstellung von dem Seyn der Personen außer mir, einstimmig wird; denn ohne diese Einstimmung würde ich nicht wir sagen können.

Ich bin — wir sind

sind also wirklich wesentlich voneinander verschiedne Begriffe, wovon der letztre die bloße Idee des Seyns nur mit einem schwachen schwankenden Urtheile ausdrückt, welches durch das hintangefügte d ausgedrückt wird. Das Urtheil von der Mehrheit muß aber nothwendig schwächer und schwankender seyn, als das von der Einheit, weil es das voneinander verschiedne unter einen Gesichtspunkt zusammenfaßt,und also von jedem einzelnen desto [100]unbestimmtere Begriffe geben muß, von je mehreren es zu gleicher Zeit einen Begriff geben will.

In dem Begriffe von der Mehrheit verlieren sich die deutlichen Unterschiede. Dieß kann vermöge der Natur der Sache nicht wohl anders seyn: denn um uns die Mehrheit zu denken, muß die Unterscheidung der Vergleichung weichen. — Die zu bestimmten Unterschiede müssen verschwinden, wenn mehrere Sachen unter einen Gesichtspunkt gebracht werden sollen — es muß nur noch gerade so viel Unterschied übrig bleiben, als nöthig ist, um die Dinge außereinander zu halten, und sie zählbar zu machen.

Darum fallen auch gemeinlich in der Sprache in der mehrern Zahl die Unterschiede weg, welche in der einfachen Zahl ausgedrückt werden. So verliert sich zum Beispiele der Unterschied des Geschlechts von dem Artikel der, die, das, im Plural in das am schwächsten bezeichnende die; — und es ist sehr merkwürdig, daß in der Deutschen Sprache die Mehrheit fast immer, wie das weibliche Geschlecht bezeichnet wird, als:

M. F. N.
der die das
Plur.
die die die
M. F. N.
er sie es
[101]
Plur.
sie sie sie
M. F. N.
sein ihr sein
Plur.
ihr ihr ihr.

Das weibliche Geschlecht wird schwächer mit weniger Nachdruck als das männliche bezeichnet — das männliche stärker und rauher klingende r fällt weg; das männliche Kraft und Thätigkeit ausdrückende der schmilzt in das sanfte Leiden und Nachgeben bezeichnende die hin. —

Indem man nun die Mehrheit bezeichnen wollte, so mußte man nothwendig den schwächsten Ausdruck des Einzelnen wählen; denn das Einzelne soll gleichsam in der Vorstellung verschwinden, um dem Begriffe der Mehrheit Platz zu machen.

Daher sind auch wahrscheinlich alle abgezogne Begriffe, die sich in heit, keit, ung, u.s.w. endigen, Feminina: denn sie sind, so wie die Mehrheit, das Resultat von Einzelnheiten, die gleichsam in Schatten gestellt, nur schwach bezeichnet, und fast vergessen werden sollen, um dem Resultat, das aus ihnen erwächst, Platz zu machen. —

Die abstrakten Begriffe gränzen selbst schon sehr nahe an den Plural, und haben daher größtentheils keinen Plural; ich kann nicht sagen: die Gerechtigkeiten, die Güten — denn Gerechtig [102] keit, Güte, sind selbst schon etwas Zusammengenommenes, aus Einzelnheiten erwachsnes, und der Artikel die, welcher vor denselben steht, kann fast eben so gut wie ein Zeichen des Plurals, als wie ein Zeichen des Femininums betrachtet werden.

Von dem Plural zu dem abstrakten Begriffe ist nur ein unmerklicher Uebergang.

Die Menschen sind sterblich, und

der Mensch (das Abstraktum) ist sterblich

sagt fast einerlei — und wenn der Artikel die im Plural nicht statt des Pronomens steht, als die Menschen, welche u.s.w., so umfaßt er ja alle Dinge einer Art, und macht daher die Mehrheit selbst zu einem abstrakten Begriffe.

Ich kehre nach dieser Ausschweifung zu dem Plural von ich bin zurück, wo sich also nach eben dem Gesetz des Denkens die bestimmten Unterschiede, und selbst die genauere Bezeichnung des Daseyns, in den herrschenden Begriff von der Mehrheit der Personen verliert. Diese Mehrheit ist selbst schon ein abstrakter Begriff, und kann daher auch nur mit dem abgezognen Begriffe des Daseyns zusammenschmelzen, welcher durch sind ausgedrückt wird.

Ehe ich in diesen Untersuchungen weiter fortgehe, will ich mein Nachdenken erst zu einer Vergleichung mehreren Sprachen miteinander zurückrufen, um mich nicht durch einseitiges Beobachten zu Hypothesen, welche zu gewagt sind, verleiten zu lassen.

[103]

Ich will daher zuerst eine Vergleichung zwischen zwei sehr nahe verwandten, und doch in Ansehung des Verbums seyn, sehr voneinander unterschiednen Sprachen, der Deutschen und der Englischen versuchen.

Es giebt verschiedne Wörter im Deutschen, welche im Englischen durch ganz andre Wörter, die mit denselben in Ansehung ihrer einzelnen Laute nicht die mindeste Aehnlichkeit haben, übersetzt werden müssen. Von der Art sind z.B. sterben, die, die Art, kind — demohngeachtet aber sind die Wörter sterben und Art, in dem Wörtervorrath der Englischen Sprache auch vorhanden, aber sie haben ihre allgemeine Bedeutung verlohren, und eine speziellere angenommen — starve heißt, bloß vor Hunger sterben, und thou art heißt du bist — das Englische die und dead hingegen finden wir in unsrem todt wieder, wo es den leidenden, und tödten, wo es den thätigen Begriff des Todes bezeichnet. Was also im Englischen nur eine spezielle Art des Todleidens bezeichnet, das drückt im Deutschen das Todleiden im Allgemeinen aus, vielleicht weil man sich die Entziehung oder Entbehrung der Nahrungsmittel als den Hauptumstand bei dem Todleiden, und alles Sterben sich auf gewisse Weise, wie im Verschmachten oder Verhungern dachte.

Das Englische Kind ist uns in dem Worte Kind übrig geblieben, wo es nun zwar nicht mehr [104]die Art oder Beschaffenheit im Allgemeinen, aber doch immer noch die fortgepflanzte Art eines bestimmten Wesens bezeichnet; wenn wir Kind metaphorisch gebrauchen, als z.B. Gotteskinder, so heißt dieß doch so viel, als Wesen seiner Art — der Hauptbegriff ist also immer noch derselbe.

So wie nun aber das Englische Kind im Deutschen eine speziellere Bedeutung erhalten hat, eben so hat das Deutsche Art im Englischen wieder eine speziellere Bedeutung, indem es nur das Daseyn, und also auch zugleich dabei die Art des Daseyns derjenigen Person bezeichnet, die ich anrede, thou art, du bist. — Der Ausdruck des Begriffes von Art, von Beschaffenheit muß also im Englischen dazu dienen, um das gegenwärtige bestimmteste Daseyn, ohne eigentliche deutliche Rücksicht auf die Beschaffenheit dieses Daseyns auszudrücken — wir sagen: die Art, der Engländer sagt: du Art, das heißt: du bist so beschaffen, wie folget;thou art good, du bist gut beschaffen, deine Art ist gut. — Der Engländer zieht in den anschaulichen Begriff von dem Daseyn der Person, mit der er spricht, die Art oder Beschaffenheit derselben mit hinein. Und von diesem Begriffe der Art, mit Weglassung des t am Ende, ist auch der Plural abgeleitet:

we are, ye are, they are.

Bei der ersten Person

I am

[105]

bleibt nur noch eine schwache Spur des Begriffes übrig; der Vokal mit dem Schluß des Mundes, vermöge des m, bezeichnet das eigne Selbstgefühl.

Unser bin aber finden wir im Englischen been wieder, welches gewesen, und be, welches seyn heißt; und die Spur von unsrem gewesen finden wir wieder in dem Englischen, I was, ich war; und unser bist in dem Englischen thou beest, der zweiten Person des Konjunktivs.

Man kann sich das seyn nicht ohne die Art oder Beschaffenheit des Seyns, das was nicht ohne das wie denken. Es ist daher nicht zu verwundern, daß diese beiden Begriffe bei jeder Gelegenheit ineinanderfließen, und in verschiednen Sprachen einer für den andern genommen werden.

Nur ist es merkwürdig, daß in der Deutschen Sprache Wesen die Art des Seyns oder die Eigenschaften bedeutet, und daß das vergangne seyn ebenfalls durch gewesen bezeichnet wird. —

Die Silbe ge hat in der Deutschen Sprache eine zusammenfassende Kraft, so wird z.B. von Murmeln das zusammengefaßte Murmeln, Gemurmel, von kommen das zusammengefaßte vollendete kommen, gekommen genannt — ich bin gekommender Bach hat gemurmelt — so heißt es also nun auch: er ist gewesen, wenn ich mir das successive Seyn als vergangen, vollendet, und zusammengefaßt denke. —

[106]

Wir geben dem Begriffe des Seyns Persönlichkeit, indem wir Wesen sagen. Wesen ist das auf ein Individuum beschränkte Seynein Seyn kann ich nicht sagen, weil das seyn nicht eins oder einzig seyn kann, aber wohl ein Wesen, weil die Art des Seyns einzig seyn kann.

Daß nun aber durch gewesen das vergangne Seyn ausgedrückt wird, scheint darin seinen Grund zu haben, weil das vergangne Seyn gleichsam etwas Vollendetes, Ganzes ist: das vergangne Seyn ist gleichsam ein Wesen geworden, weil es nicht mehr wird, sondern schon wirklich ist, was es seyn soll.

Das Wesen eines Dinges ist also sein vollendetes, nicht mehr werdendes, sondern von jeher vorhandenes Seyn

Wie? wo? was? Weise; Wesen

sind alles Wörter einer Wurzel, des die Beschaffenheit, oder die Art bezeichnenden w.

Was ist ein Ding?

welches Wesen hat ein Ding?

auf welche Weise geschieht ein Ding?

In der Deutschen Sprache bezeichnet das w fast durchgängig die Beschaffenheit im Gegensatz gegen die Wirklichkeit, die durch d ausgedrückt wird. — Darum kann ich auch sagen: das Wesen eines Dinges, aber nicht das Ding eines Wesens; denn die Wirklichkeit muß der Beschaffenheit nothwendig zur Unterlage dienen.

[107]

Wie sehr nun aber diese beiden Begriffe in den Köpfen der Menschen sich vermischt und untereinander verwirrt haben, davon mag gleich die Verschiedenheit der Englischen und Deutschen Sprache zum Beispiel dienen: wir bezeichnen den Begriff der Beschaffenheit vorzüglich in dem Begriffe des vergangnen Seyns, der Engländer aber vorzüglich in dem Begriff des gegenwärtigen Seyns; er sagt thou art, und wir sagen ich bin gewesen.

Diese Vermischung der Begriffe hat aber einen großen Einfluß auf unsre erhabensten Kenntnisse, wo wir das seyn selbst wieder zu einer Beschaffenheit von sich selber machen, da es doch rein und abgesondert gedacht werden, und nicht in den Begriff der Art übergehen soll.

Die Deutsche Sprache scheint dem Gange der Natur getreu geblieben zu seyn, indem sie sich erst in das vergangne Seyn die Art oder Beschaffenheit mit hineindenkt : ich war, ich bin gewesen. — Denn alsdann erst hat die Seele Muße erhalten, nachdem sie das Seyn empfunden hat, auch die Art desselben zu erkennen.

Das noch nicht völlig vergangne sowohl, als das völlig vergangne Seyn wird beides mit dem eine Beschaffenheit ausdrückenden w bezeichnet: war — gewesen. —

Wir sagen daher nicht die Istheit, sondern die Wahrheit, weil wir uns in den Begriff der Wahrheit nothwendig die Beschaffenheit eines Ge-[108]genstandes, und nicht nur sein gegenwärtiges, sondern auch sein vergangnes Daseyn mit hineindenken müssen;

war aber bezeichnet das noch nicht völlig vergangne, abgeschnittne, sondern sich an etwas folgendes anknüpfende Seyn — wenn ich sage: es war Nacht, so erwartet jedermann noch etwas hierauf folgendes, oder sich an das Nachtseyn anschließendes — das Nachtseyn dauerte noch fort, während daß etwas anders seinen Anfang nahm; das war knüpft und kettet das folgende unauflößlich an das vorhergehende, es bringt in die Erzählung Wahrheit, das ist nothwendige Verknüpfung, Verbindung des Geschehenen — ich kann nicht an der Istheit einer gegenwärtigen Sache, aber wohl an der Wahrheit einer vergangnen zweifeln. — Das ist bei einer Sache erwecket bei mir einen anschaulichen Begriff, strengt meine Denkkraft nicht an — aber das war bei einer Sache läßt mich forschen, in welchem Zusammenhange sie mit den übrigen Dingen steht. — Um den Begriff von der Wahrheit zu erhalten, muß ich die Gegenwart halb in die Vergangenheit zurückschieben: ich muß ist in war verwandeln — oder vielmehr ich muß mir beides, wo möglich, zusammendenken —

dieser Baum ist grün

das ist wahr (war)

[109]

er ist grün — dieser Augenblick ist nun verschwunden — und er war grün, während daß ich anfing zu denken: er ist grün. Ich kann mich erst in dem zweiten Augenblick fassen, und sagen: es ist wahr, daß der Baum grün ist: denn ich sehe ihn noch eben so, wie ich ihn vor einem Augenblick sah, es ist fast einerlei, wenn ich sage

daß der Baum grün ist, ist wahr,

und: der Baum ist grün und war grün.

Die deutsche Sprache scheint also den Begriff des Wahren von dem Begriffe des noch nicht völlig vergangnen, in Rücksicht auf das Gegenwärtige, herzuleiten: und diese Vorstellungsart ist schon der Natur unsrer Seele gemäß. Das noch nicht völlig Vergangne, in Rücksicht auf das Gegenwärtige, ist gleichsam das Wiederfangen der einen Idee, die entschlüpfen will, indeß man die andre noch festhält, wodurch das Wahrheitsgefühl, oder das Gefühl, daß etwas ist und war, entsteht — ich will mich von der Wahrheit einer Idee von irgend einem äußern Gegenstande überzeugen, und es ist kein andres Mittel, als daß ich den noch nicht völlig vergangnen, sondern in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Eindruck vergleiche, und untersuche, ob eben das, was ist, auch war, und ob das, was war, auch noch ist.

Wenn ich unter dem übereinandergelegten Mittel- und Zeigefinger statt eines Kügelchens zwei zu fühlen glaube, so hat dieß Gefühl zwar Istheit, [110]aber keine Wahrheit — oder vielmehr das war und ist fließt zu sehr in eins zusammen: dieselbe Kugel, die bis jetzt unter dem einen Finger war, ist zu gleicher Zeit unter dem andern — weil nun ein und eben derselbe Eindruck nicht zugleich vergangen und gegenwärtig seyn kann, so finde ich mich genöthigt zwei voneinander verschiedne Eindrücke anzunehmen.

Ich kann also nicht eigentlich sagen, daß ich unter den übereinandergelegten Fingern zwei Kügelchen statt eines fühle, sondern ich schließe dieß bloß, weil sonst immer zwei Kügelchen erfordert werden, um dieselbe Empfindung bei mir hervorzubringen, die jetzt durch eins hervorgebracht wird.

Das eine Kügelchen kann sonst nie zugleich unter beiden Fingern seyn: lege ich aber beide Finger übereinander, so fühle ich eine und dieselbe Kugel zugleich unter beiden Fingern, und schließe daher, daß es zwei Kugeln sind, weil dasjenige, was war, unmöglich in demselben Augenblick, wo es war, auch ist; indem aber das Kügelchen sanft unter den Fingern rollt, so entschlüpft das ist dem war, und das war dem ist; der gegenwärtige Augenblick verschwimmt sich in den vergangnen, und der vergangne in den gegenwärtigen, wie Farben, die im Wiederschein ineinanderspielen; — darum muß auch dasjenige, was man unter den übereinandergelegten Fingern reibt, nothwendig gerundet seyn, wenn es die Täuschung hervorbringen [111]soll: man lege einen ekkichten Körper unter die Finger, und er wird sich unsrem Gefühl nicht verdoppeln. — Die Grenzlinien zwischen dem ist und war der Berührung sind hier schärfer, sie können sich nicht ineinander verlieren.

Unser ganzes Wissen beruht auf dem genauesten Unterschied zwischen ist und war. Ein und eben dieselbe Sache ist in diesem Augenblick nicht mehr, was sie war, und war nicht das, was sie ist — ihre Warheit aber kann nur erkannt, die Istheit kann bloß empfunden werden.


Merkwürdig ist es, daß der Engländer sagt: l have been, gleichsam wie, ich habe gebinnt — und der Deutsche: ich bin gewesen. — Das bin, welches bei dem Deutschen das gegenwärtige, eigentlich mit Selbstgefühl verknüpfte seyn bezeichnet, drückt im Englischen das völlig vergangne seyn aus, welches wir uns, eben so wie die Zukunft, nicht anders als mittelbar durch die Vorstellung von dem gegenwärtigen seyn denken können; und daher die völlige Vergangenheit, sowohl als die Zukunft, nothwendig immer durch zwei Begriffe ausdrücken müssen — ich bin gewesen — ich werde seyn. — Die Silbe ge in gewesen, bezeichnet, wie wir schon bemerkt haben, das kollektive, zusammengenommne seyn, welches nur völlig vorbei ist, und als ein Ganzes gedacht wird, zu dessen Rückerinnerung wir aber unser gegenwär-[112]tiges Selbstgefühl nothwendig zusammennehmen müssen: wir können nicht sagen: ich gewesen, sondern sehen uns genöthiget zu sagen: ich bin gewesen — wenn man sagen wollte:

ich bin war,

so würde sich bin und war einander aufheben. —

Die Gegenwart und die noch nicht völlige Vergangenheit, oder der eigentliche Uebergang des Vergangnen ins Gegenwärtige muß immer bestimmt und fest bleiben, weil hiervon unsre Vorstellung von dem Unterschied des Vergangnen und Gegenwärtigen, und im Grunde unser ganzes Denken abhängt. Das völlig vergangne Seyn hingegen, welches gleichsam aus der Reihe und Verkettung der wirklichen Dinge herausgehoben, nur noch in der Einbildungskraft statt findet, kann schon eher mit dem gegenwärtigen, wirklichen Daseyn zusammengedacht werden, ohne daß eins das andre aufhebt; ich kann nicht sagen:

ich bin war — aber wohl:

ich bin gewesen.

Der Engländer sagt: ich habe gewesen — er denkt sein zusammengenommenes durchlebtes seyn mehr aus sich heraus, und rechnet es zu dem, was er hat, was er besitzt, so wie wir auch sagen: ich habe gelebt, und nicht ich bin gelebt — wir rechnen unser zusammengenommenes vergangnes Leben, das von Zeit zu Zeit Momentweise von uns ausgegangen, und am Ende ganz [113]und vollständig wieder in unser Gedächtniß zurückgefallen ist, auch zu demjenigen, was wir nun gleichsam erst ruhig besitzen, was wir nicht erst künftig bekommen sollen, sondern schon wirklich haben.

Haben — bekommen

Vergangenheit — Zukunft.

Allein dasjenige Vergangne, was nicht sowohl von uns ausgegangen, als vielmehr in uns geblieben, oder sogleich wieder in uns zurückgefallen ist, bezeichnet die Deutsche Sprache lieber durch den Mittelbegriff des gegenwärtigen seyns, als durch den Begriff des habens, als

ich bin gegangen,

ich bin gekommen, und so auch:

ich bin gewesen —

Gehen und kommen sind zwar Aeußerungen unsrer thätigen Kraft, die aber immer in sich selbst zurückfallen, um sich von neuem zu äußern, ohne daß sie auf einen Gegenstand außer uns unmittelbar wirkten. — Das Gehen z.B. ist vielmehr eine Rückwirkung unsrer bewegenden Kräfte auf sich selbst, wodurch unser Körper irgend einem Ziele, wohin sich unsre thätige Kraft richtet, näher gebracht wird. — Daher bin ich gekommen, bin gegangen; und das völlig vergangne kommen, und vergangne gehen, gehört mehr zu meinem gegenwärtigen seyn, als zu meinem gegenwärtigen haben, weil es mehr in mir geblieben, als von mir ausge- [114] gangen ist. — Eben das findet nun auch von meinem völlig vergangnen seyn statt, welches nie von mir eigentlich hat ausgehn können, sondern beständig in mir gebliehen ist. Das seyn fällt nothwendig in sich selbst zurück, darum sagen wir: ich bin gewesen. Der Engländer denkt sich aber demohngeachtet das völlig vergangne seyn, als etwas von ihm Ausgegangnes, und sagt: I have been (ich habe gewesen).

Eben so sonderbar ist, daß dasjenige, was im Deutschen das eigentlichste wirklichste Daseyn, oder das Selbstgefühl bezeichnet, im Englischen die bloße schwankende Idee des seyns ausdrückt.

ich bin — I am

seyn — to be.

Unser bin finden wir also im Englischen Infinitiv wieder, wo wir es gerade am wenigsten suchen sollten.

Unsre Wurzellaute des Verbum seyn, sind b, w, s, davon finden wir den Wurzellaut w in Ansehung der Bezeichnung der noch nicht völligen Vergangenheit, den Wurzellaut b in der Bezeichnung der völligen, in bloße Idee verwandelten Vergangenheit, und in dem Infinitiv wieder; der Wurzellaut s aber, der doch auch in dem Lateinischen Verbum sum der herrschende Laut ist, findet sich im Englischen gar nicht, und scheint ganz verdrängt zu seyn.

[115]

An die Stelle des b in der ersten Person ist im Englischen der Vokal a mit dem Konsonant, I am, thou art, getreten, welcher auch im Plural die Stelle des s vertritt: we are, ye are, they are; und an die Stelle des s im Infinitiv ist im Englischen wieder das b getreten, to be, seyn: das b vertritt auch die Stelle des w in been, gewesen, und in being, einer der da ist, oder ein Wesen.

Welch eine Verschiedenheit zwischen zwei so nahe verwandten Sprachen, wie die Englische und die Deutsche ! —

Derselbe Wurzellaut, welcher bei uns das eigentliche Selbstgefühl oder das empfundne seyn bezeichnet, drückt im Englischen die bloße schwankende Idee oder das bloß erkannte und nicht eigentlich empfundne seyn aus — und das empfundne seyn wird wieder durch einen von dem unsrigen so verschiedenen Wurzellaut (I am) angezeigt, als ob ganz verschiedene Begriffe durch das ich bin, und I am ausgedrückt werden sollten.

Sum, je suis, I am, ich bin,

alles fast ganz verschiedne Laute, welche doch ein und eben dieselbe Sache bezeichnen, die doch in allen Ländern und unter allen Völkern nothwendig auf einerlei Art gedacht werden müssen u.s.w.