ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Sonderbarer Eindruck einer Liebeserklärung auf das Herz eines jungen Frauenzimmers.

Pockels, Carl Friedrich

Es gehen Veränderungen in der menschlichen Seele vor, die keine Philosophie aufzuklären vermag. Dahin gehören vornehmlich alle schnelle und unwillkührliche Uebergänge unserer Empfindungen in grade entgegengesetzte. Manche Menschen können in einem Augenblicke lachen und weinen; andere empfinden mitten in den stärksten Aufwallungen ihrer Freude über das Glück ihrer Nebenmenschen, oft selbst derer, die sie herzlich lieben, einen innerlichen Neid, dem sie nicht wider-[58]stehen können, und wir dürfen nur auf uns selbst Acht geben, um hundert andere eben so sonderbare Uebergänge unserer Empfindungen in entgegengesetzte wahrzunehmen. Wie leicht können wir nicht aus einer fröhlichen Laune in einen finstern Mißmuth, aus Haß in Liebe, oder auch aus Liebe in Haß, aus den Empfindungen einer innern herzlichen Andacht zu unerlaubten Gefühlen der Sinnlichkeit, aus der Ruhe, welche die Wahrheit in uns hervorbringt, zu einem dunkeln uns quälenden Zweifelsgefühl übergehen! die Ursachen davon liegen gemeiniglich so tief in dem Gewebe unserer Empfindungen verborgen, daß sie oft durchaus nicht mit Gewißheit angegeben werden können. Ein solches unerklärbares Phänomen scheint mir folgendes zu seyn, welches in seiner Art eben so ungewöhnlich als wahr ist.

Vor mehrern Jahren hielt sich ein junges unverheirathetes Frauenzimmer bei einem ihrer Anverwandten in H.. zum Besuche auf, in dessen Hause ein junger Theologe aus- und einging. Der junge Mann besaß viel Lebhaftigkeit, artigen unterhaltenden Witz, und nicht gemeine Kenntnisse; dabei war er wohl gewachsen, wußte sich auf eine unverstellte und unzudringliche Art einzuschmeicheln, kurz, er hatte alle jene angenehmen Eigenschaften, wodurch es jungen Männern so leichte wird, weibliche Herzen zu erobern. Unsere Fremde, die den [59]Freund ihres Anverwandten täglich sahe, schien nicht gleichgültig gegen ihn zu seyn, und seine liebenswürdigen Eigenschaften, die noch durch seine gute Lebensart erhöht wurden, mußten einen desto größern Eindruck auf das edle Mädchen machen, da sie selbst einen sehr lebhaften Verstand, und ein ganz zur Liebe und Zärtlichkeit geschaffenes Herz hatte. Der junge Mann entdeckte bald, daß seine Gesellschaft ihr nicht unangenehm war, und er zweifelte nicht, ihr Herz erobern zu können, wenn er etwas thäte, wodurch Mädchenherzen so leicht gefangen werden, und ihr, bei seinen ohnedem guten Aussichten zu einer Pfarrstelle, geradezu seine Hand antrüge. Zu dieser Absicht kaufte er einen Ring, und eilte, da die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihm keine Zeit zu einer längeren Ueberlegung ließ, bei erster Gelegenheit dem jungen Frauenzimmer die heißen Wünsche seines Herzens auf eine feierliche Art zu entdecken. Er hatte auch bald das Glück sie eines Tages allein anzutreffen, ihr freundlicher Blick machte ihn zu seinem Vorhaben muthig; er leitete das Gespräch auf Liebe, und das Glück eines auf wahre Zärtlichkeit und Tugend gegründeten ehelichen Lebens, und gestand ihr endlich unter den heiligsten Versicherungen: daß er sie innig und über alles liebe, und daß sie allein ihn zu den glücklichsten aller Menschen machen würde. Er ergriff darauf mit Bescheidenheit ihre Hand, drückte ganz leise den mitgebrachten Ring in die-[60]selbe, und wartete mit Thränen im Auge auf eine zärtliche Gegenerklärung seiner Geliebten. — Aber welch ein tödtlicher Schlag für sein liebekrankes Herz! das Mädchen, welchem er sonst nicht gleichgültig gewesen war, fühlte sich in dem Augenblick, da er ihr seine Liebe erklärte, auf einmahl von dem heftigsten Haß gegen ihn durchdrungen. Der junge Mann war ihr, ohne daß sie sich davon eine Ursach anzugeben wußte, der abscheulichste und unausstehlichste Mensch geworden. Sie verließ ihn mit einem Blick, der den ganzen Abscheu ihres Herzens gegen ihn ausdrückte, und das Haus ihres Anverwandten hatte nunmehr alle Reitze für sie verlohren, da sie in demselben der Gesellschaft eines Mannes nicht ausweichen konnte, den sie von ganzem Herzen haßte. Diese Empfindung war nicht von der Art, wie sie spröde und schüchterne Mädchen aus einer misverstandenen Schaamhaftigkeit bisweilen zu haben scheinen, indem ihnen ein unvermutheter Liebesantrag geschieht. Sie entrüsten sich — einige Augenblicke über die Freiheit, die sich ein junger Mann genommen hat, ihnen sein Herz anzubiethen, und sind so erstaunlich tugendhaft, daß sie sich manchmahl mit dem Zorn einer Furie im Auge die Gesellschaft des Liebhabers verbitten, den sie im andern Augenblick schon wieder — einladen. Der Haß unserer Spröden gegen ihren Liebhaber dauerte lange fort, und hörte, was mir sehr sonderbar hiebei vorkommt, nicht eher [61]auf, bis er sich mit einem andern Mädchen verheirathet hatte.

Ich getraue mir nicht dieses sonderbare Phänomen zu erklären. Aus der Dauer der Abneigung, die das Frauenzimmer gegen den unschuldigen Liebhaber fühlte, sieht man, daß sie nicht bloß eine übele vorübergehende Laune gewesen sei, in welcher uns oft ein Mensch, dem wir sonst nicht abgeneigt sind, auf einige Augenblicke unausstehlich werden kann, ob wir gleich davon selbst keine Ursache angeben können. Ueberdem war unsere Schöne immer das lachendste und heiterste Mädchen, die gar nichts von dem bösen übellaunigen Wesen wußte, was unsere empfindelnden neumodigen Schönen, wie ich höre, so oft haben sollen. Ihr liebenswürdiges Herz war immer zur Freude offen. Die ungezwungene Erziehung, die sie von ihren vortreflichen Eltern erhalten hatte, die natürliche und unverstellte Güte ihres Herzens, und die unschuldige Neigung zur Geselligkeit, machten, daß sie die Menschen ohne Mistrauen liebte, und gegen Männer nicht gleichgültig war, die jene vortheilhaften Eigenschaften des jungen Theologen besassen. Der Grund ihrer Abneigung vor dem letztern kann also weder in innrer böser Laune, noch in der Kälte ihres Herzens gesucht werden. — Vielleicht war die Art, mit welcher er seine Liebe erklärte, und wodurch die Gefühle eines weiblichen Herzens so leicht verstimmt werden können, nicht delikat und [62]anständig genug; vielleicht entdeckte sie in dem Augenblick in seinem Gesichte gewisse dunkle Züge, welche ein unedles Herz verriethen; vielleicht erwachte damals schnell eine stärkere Neigung für einen andern in ihrer Brust, die auf den gegenwärtigen Liebhaber zu seinem Nachtheil ein falsches Licht warf; vielleicht auch ahndete sie eine zu schnelle Uebergabe ihres Herzens, und suchte sich dagegen durch Schreckbilder von den Folgen dieser Liebe zu sichern; doch vielleicht sind auch alle diese Vermuthungen nicht die rechten. Wenn es Ahndungen giebt, so könnte man auch diese zu einer Erklärungsart jenes sonderbaren Phänomens machen. Meine Freundinn wäre durch jenen Mann gewiß die unglücklichste Gattin geworden, indem er sich nachher selbst in seinem Ehestande den unerlaubtesten Ausschweifungen ergab, und dadurch in die kläglichsten Umstände seines Lebens gerieth.

C. F. Pockels.