ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Geständnisse über das Vermögen künftige Dinge vorherzusehen.

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Woher es kömmt, daß man mir mehr zutraut, als wirklich mein Wissen ist, weiß ich nicht; genug, man zwang mich aus Scherz Prophetin zu werden.

Blos aus Geselligkeit, nachdem ich mich genug geweigert, sage ich jemanden allerlei Dinge, von denen ich behaupte, sie würden nie eintreffen.

Im Scherz gefodert, im Scherz gesagt, wie es zugegangen, daß es eingetroffen, weiß ich mir noch jetzt nicht zu erklären.

Nachher sollte und muste ich den Weissagergeist haben; da ich aber sah, daß es bisweilen dazu diente, kleine Händel bei meinem Geschlechte zu stören, so nutzte ich die Einbildung meines Nächsten von mir zu einen guten moralischen Endzweck, glaubte hin und wieder Nutzen zu stiften.

Aber wie es nun geht, das Außerordentliche setzt in Ruf.

Da ich fand, daß der Glaube an mein Vorhersagen künftiger Dinge zu sehr befestiget ward, hielt ich ein, sagte nur aus Gefälligkeit gemeine Sachen, ließ es mir aber merken, daß mir solche Forderungen zuwider wären, und so hat es aufgehört.

Nie habe ich etwas gesagt, was den Hörer in Schrecken setzen konnte. Aber lassen Sie sich einige Dinge erzählen:

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Eine Krankheit meines Mannes machte es nothwendig nachher mit mir ins Bad zu gehn. Dort trift man, wie Sie wissen, der Gesellschaft viel.

Ein Land-Cavalier hatte sich zur Lust, jemanden zu überraschen, im Predigerrock versteckt.

Der Scherz glückte; der Mann, dem es galt, verkannte ihn. Ich aber sagte: spotten Sie nicht mit dem schwarzen Rock, vielleicht kommt noch unter vierundzwanzig Stunden ein Bothe, und meldet Ihnen etwas, wo sie wirklich nachher einen tragen müssen. Wann es aber geschiehet, so bedeutet es eine reiche Erbschaft; auch liegt der Kranke Ihrem Herzen nicht nahe, wohl aber der Frau Gemahlin, gehen Sie zu dieser, um sie zu trösten.

Wirklich sagte ich dies, um seine Lust zu dämpfen, er nimmt es auch so; nachdem er ins Haus tritt, findet er schon den Bothen.

Sein Schwager wird gemeldet, verlangte ihn zu sprechen, wenige Stunden seines Lebens wären nur übrig.

Der Cavalier reist, der Schwager stirbt, die Frau erbt ansehnlich, die die Schwester des Todten war.

Ich gestehe, mir war dieß, wie manches andere, unbegreiflich.

Eben der Art sind manche Dinge vorgefallen, die ich nicht hersetzen kann, um nicht zu weitläuftig zu werden.

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Doch noch eins in anderer Art: mit einer meiner Freundinnen besuchte ich einen Garten, wir sind alleine, lange will sie sich nicht aufhalten, weil ihr Mann Besuch auf den Abend erwartet, ich sage also: gehn Sie, noch einen Freund werden Sie finden, der Ihnen lieb ist, der andere aber, den Sie erwarten, wird Ihnen sehr zur Plage werden.

Sie lacht, sieht ein, warum ich dieß sage, weil ich sie von ihrem Hause nicht länger abhalten will, und aus Scherz dieß letztre einmische.

Die Antwort war: der Gast, den wir erwarten, ist der beste Mann, kann nie quälen.

Da sie in ihr Haus tritt, findet sie wirklich einen lieben Freund vom Lande, sie lacht, sagt, daß sie diesen Besuch schon vorher gewußt; ihr Gatte wundert sich, sie erzählt, was ich gesagt, auch daß die noch zu erwartende Person zur Last fallen würde.

Man hält dies ohnmöglich; der Mann kömmt, hat sich durch einen andern Freund zum Trunk reitzen lassen, seiner Stärke zu viel getraut; kurz, er ist unausstehlich, und geräth zuletzt in einen Zustand, wo man ihn in sein Quartier bringen muß.

G** den 23sten October 1785.

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