ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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<Sprachpsychologie.>

Moritz, Karl Philipp

Treffende Gemählde von den mannichfaltigen Tönen in der Natur zu liefern, scheint zwar das Ziel zu seyn, wohin sich die einfachen Laute zu ganzen Wörtern in der Sprache vereinigten.

Allein wie wenige hörbare Gegenstände werden verhältnismäßig durch die Wörter bezeichnet? Und nach was für einen Gesetz sollen sich also die einfachen Laute z.B. in den Wörtern Keller, Küche, Kasten, Licht, Luft u.s.w. zu diesen Worten vereinigen, da alle diese Gegenstände mit keinem Schalle in der Natur können verglichen werden? — Sie können freilich mit keinem Schall verglichen werden, den wir bloß hören.

Allein zwischen dem Schalle, den wir selber hervorbringen, und zwischen den sichtbaren Gegenständen läßt sich ehr eine Aehnlichkeit gedenken. Wir empfinden nemlich in unserm Munde die jedesmalige Gestalt der Sprachwerkzeuge, wodurch wir irgend einen Schall hervorbringen. Doch diese Empfindung, welche vielleicht im Anfange nur äusserst dunkel seyn mochte, veranlaßte den Menschen, die Gestalt eines sichtbaren Gegenstandes in seine Sprachwerkzeuge überzutragen, und sie mit dem Ton zu benennen, den dieselben in dieser Lage hervorbrachten.

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Die innre dunkle Empfindung von der jedesmaligen Gestalt, und von der leichtern oder schwerern, geschwindern oder langsamern Bewegung der Sprachwerkzeuge ist es also, welche das geheime Band zwischen dem Sichtbaren und Hörbaren geknüpft hat. Daher kömmt es auch, daß wir der ganzen Schöpfung um uns nur durch den Stempel der Sprache, ein unverkennbares Bild von uns selber aufgedrückt haben; daher ist das K, z.B. womit die Zunge die tiefste Wölbung des Gaumens bezeichnet, ein Ausdruck des Tiefen und Ausgehöhlten.

Läßt es sich also beweisen, daß z.B. in unsrer deutschen Sprache, nicht sowohl wie wir dieselbe zur Zeit reden, und wie sie durch ihre Verfeinerung sich immer weiter von ihrem ersten natürlichen Ursprung entfernt hat, sondern in den Ueberbleibseln aus dem Alterthum, und den hin und her zerstreuten Mundarten, die noch am wenigsten von der Verfeinerung gelitten haben, das Hohle und Tiefe beständig durch einen Gaumenlaut bezeichnet wird, und läßt sich die Aehnlichkeit mehrerer sichtbarer Gegenstände mit der Gestalt der Sprachwerkzeuge, vermöge derer sie benannt werden, würklich entdecken, so ist es offenbar, daß sich nach den Hauptgesetze, die Sprachwerkzeuge den äußern Gegenständen ähnlich zu bilden, die einzelnen Laute zu ganzen Wörtern vereinigen. Und so wie bei den Wörtern, die aus mehrern Sylben bestehen, eine Sylbe die herrschende ist, welcher die übrigen untergeordnet sind, so ist auch bei diesen sowohl als [112]bei den einsylbigen Wörtern, ein einfacher Laut der herrschende, welchem sich die übrigen nach ihrem Range, und nach ihrer Nebenbedeutung unterordnen müssen.

Der herrschende einfache Laut ist also in jedem Worte nur ein einziger, allein durch die Laute, welche sich entweder von selber an ihn anschmiegen, als das b in blöcken, oder welche durch einen Vokal an ihn geknüpft werden, als das ch in lachen, wird dieser herrschende Laut auf mannichfaltige Weise modificirt, und verändert mit seiner Bekleidung auch seine zufällige Bedeutung, obgleich seine wesentliche Bedeutung beständig zum Grunde liegt, und unerschütterlich ist.

Das l z.B. zeigt einen jeden Laut überhaupt an, weil es sich in der Zunge als dem Sprachwerkzeuge bildet, wodurch wir unsere Laute hervorbringen, und in deren Ermangelung uns diese Hervorbringung irgend eines Lauts unmöglich seyn würde. Sobald aber ein Laut von Menschen oder Thieren hervorgebracht wird, so fügt sich dem herrschenden Laut l von vorne ein b oder p hinan, als in den Wörtern, plappern, plaudern, blarren, plerren, von Thieren: blaffen, blöcken, bellen, brüllen, u.s.w. Wird hingegen ein Laut vermittelst lebloser unorganischer Körper hervorgebracht, so wird der herrschende Laut l gemeiniglich durch den hinangesetzten Gaumenlaut näher bestimmt, als in [113]den Wörtern, klappern, klimpern, klopfen, klingen, Glocke, u.s.w. Wird der Laut in den Mund zurückgezogen, so wird dem l vermittelst eines Vokals von vorne ein Gaumenlaut zugefügt, wie dem Worte lachen, wo das l den Laut überhaupt, und das ch die besondere Bildung dieses Lauts im Munde oder in der Gurgel bezeichnet.

Merkwürdig ist es immer, daß die Sprachwerkzeuge größtentheils mit dem Laute bezeichnet werden, welchen sie vorzüglich hervorbringen, als die Nase, der Mund, der Gaumen, die Lippen, die Zunge, welche in der lateinischen Sprache mit noch mehr Ausdruck Lingua heißt, die Zähne, u.s.w. Fast in allen Sprachen wird das Ohr, ohngeachtet der Veränderung der übrigen Buchstaben und des Vokals mit r bezeichnet, und was war natürlicher, als dasselbe vermittelst des Buchstaben, welcher das stärkste Geräusch anzeigt, zu beschreiben.

Vom l wollen wir noch bemerken, daß es vorzüglich das schnelle und flüchtige sowohl ausser uns in der Natur, als den schnellen und flüchtigen Uebergang der Zunge zur Bezeichnung des An- oder Unangenehmen in unsrer Seele anzeigt. Was in der Natur ist schneller und flüchtiger, als der Schall, diese schnell sich verlierende Bewegung der Luft? Was ist schneller und flüchtiger, als das fließende Wasser, die schwellende Fluth, der fliegende Pfeil, das blendende Licht, und der zu-[114]ckende Blitz? Was ist leichter und daher auch zu jeder schnellen und flüchtigen Bewegung geschickter, als das zitternde Blatt am Baume. Die leichtherniederfallende Flocke, und die weiche gekräuselte Wolle.

Was ist in unsrer eignen Seele, das die Zunge leichter zum Ausdruck hinüber lockt, als die angenehmen Empfindungen des Glücks, der Liebe, des Lobens, des Gefallens und des Billigens? Welches Gefühl in unserm Körper ist lockender zum leichten und schnellen Ausdruck, als das Gefühl des Lebens, des Leibes, und der Glieder?

So wie aber die Zunge beim Gefühl des Angenehmen sich schnell und leicht im Munde bewegt, eben so unwillkürlich bewegt sie sich auch obgleich langsamer und schwerer beim Gefühl des Unangenehmen, wie ein jeder aus der Erfahrung wissen kann, wenn er sich an die Bewegung der Zunge bei der Vorstellung von einer übelschmeckenden Arznei erinnert. Daher kömmt es auch, daß gerade das Gegentheil vom Angenehmen, ebenfalls durch den sonst so schnell und flüchtig nur zum Angenehmen übergehenden Buchstaben l ausgedrückt wird. Daher bezeichnet das l auch die Unmuth und Leiden erweckende Leerheit, es bezeichnet die das Leere hervorbringende Kleinheit, das durch die Leere und Kleinheit hervorgebrachte Leiden und das dem Anschein nach traurige dem Tode ähnliche Liegen und Schlafen.

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So wie der Gaumenlaut k mehr die Gestalten der Dinge zu umfassen scheint, so scheint der Zungenlaut l vermittelst seiner untergeordneten Laute die verschiednen Bewegungen der Dinge außer uns, und der Empfindungen in uns nachzubilden. Ist es also wohl eine thörichte Mühe, die Wörter in ihre einzelnen Bestandtheile aufzulösen, und den herrschenden Hauptlaut in denselben zu suchen? Kann uns dieß nicht große Aufschlüsse über die erste Entstehung der menschlichen Begriffe geben, die damals freilich nicht so fein, aber vielleicht wahrer gewesen sind, als sie es jetzt bei ihrer höchsten Verfeinerung noch seyn können?