ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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III.

Die natürliche Religion eines Taubstummen.

Moritz, Karl Philipp

Wenn er ausdrücken will ich weiß nicht, so zeigt er mit dem Finger auf die Stirn, und schüttelt dabei mit dem Kopfe. Will er sagen ich [90] glaube nicht, so ist dieselbe Pantomime mit einer gewissen vernachläßigenden oder wegwerfenden Bewegung der Hand verknüpft.

Nun wohnte ich mit ihm in einem Garten und es war im Frühlinge. Die Bäume fingen gerade an, Blätter zu gewinnen, und das erste junge Grün keimte auf dem Boden.

Wir standen zusammen am Fenster. Ich habe schon von ihm erzählt, daß ihm durch Zeichen von seiner Mutter, schon in seiner Kindheit, fast alle religiösen Begriffe von Christo u.s.w. beigebracht waren.

Da ich nun seine Pantomime wußte, wodurch er das Glauben bezeichnete, so wollte ich einen Versuch machen, ob wohl eine Art Ueberzeugung von diesen Dingen bei ihm statt fände.

Ich machte also mit ausgebreiteten Armen, wie eines Gekreuzigten, die Pantomime, worunter er sich Christum dachte, und zeigte mit Kopfschütteln, und einer Bewegung der Hand, auf die Stirne, welche bei ihm so viel hieß, als: ich glaube nicht!

Seine Antwort hierauf war, daß er mit ausgespreizten Fingern die Krallen des Teufels nachahmte, welcher mich wegen dieses Unglaubens hohlen würde.

[91]Ich wiederholte meine vorige Pantomime, daß ich auch nicht an den Teufel glaubte.

Dann zeigte er mit dem Finger gen Himmel, und fuhr sich mit der geballten Faust langsam auf den Kopf herab; welches so viel hieß, als Gott würde mich, wenn ich gleich den Teufel nicht glaubte, mit seinem Donner strafen.

Da er nun in der geoffenbarten Religion so fest zu seyn schien, so wollte ich noch seinen Glauben in der natürlichen Religion prüfen. Ich zeigte mit dem Finger gen Himmel, und dann auf meine Stirne, und schüttelte mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß ich auch nicht an Gott glaubte. —

Aber wie rührte mich der Anblick, als ich sahe, daß eine Thräne sich aus seinem Auge drängte, und seine aus Lächeln, Wehmuth und Unwillen zusammengesetzte Miene, womit er aus dem offenstehenden Fenster auf die grünen Bäume und die aufkeimenden Pflanzen hinzeigte, die Gott, wie er durch seine Pantomime ausdrückte, aus der Erde wachsen ließe; und die Blumen, indem er sich stellte, als ob er sie mit der Hand in die Höhe führte, um daran zu riechen; und dann wieder mit dem Finger gen Himmel zeigte, daß auch diese Gott habe hervorwachsen lassen.

[92]

Ich suchte jezt durch eine Pantomime ihm zu bezeichnen, daß ich glaube, die Erde bringe diese Blumen von selbst hervor — als er mit verdoppelter Lebhaftigkeit durch ein Geräusch mit dem Munde, und eine Bewegung mit den Händen den herabströmenden Regen bedeutete, den Gott schicke, um die Erde zu befruchten.

Es ging so weit, daß sein Unwille über meinen letztern Zweifel beinahe in eine Art von Zorn und Drohung ausartete; da er doch die beiden erstern Zweifel mir viel leichter hatte hingehn lassen.

Da ich ihm nun nach einer Weile ernsthaft versicherte, daß ich einen Gott glaubte, und er aus meiner Miene die Wahrheit schloß, so heiterte sich sein Gesicht wieder auf, er blickte mich lächelnd an, und zeigte noch einmal triumphirend auf den Garten und die Blüthen, und von den Blüthen zum Himmel. — —

M.