Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Wollen wir uns nun das völlig Vergangne nicht einzeln und gleichsam abgeschnitten, sondern im Zusammenhange mit etwas darauf folgendem denken, das auch schon vergangen ist, so müssen wir sogar die Mittelbegriffe von seyn und haben in die Vergangenheit zurückschieben, und sagen, ich hatte geliebt, und ich war gegangen.
Auf die Art machen wir die dunkelste Perspecktive in unsrer Seele, indem wir die völlige Vergangenheit selbst noch hinter eine andere Vergangenheit zurückschieben. Die Zukunft können wir uns ebenfalls nicht unmittelbar Denken, sondern müssen sie uns erst mittelbar durch den Begriff des Werdens oder allmäligen Entstehens, vorstellen, indem wir z.B. sagen, ich werde rufen, ich werde gehen.
Das Werden oder Entstehen dieser Handlungen, indem sich meine Gedanken jetzt dazu entschließen, denke ich mir als wirklich und gegenwärtig, die Handlungen selbst aber kann ich mir unmöglich als wirklich denken, daher drücke ich ihnen auch nicht das Gepräge der Wirklichkeit auf, und sage nicht, du wirst rufest, sondern, du wirst rufen, u.s.w.
[112]Ist aber auch dieß Entstehen der Handlung noch nicht einmal wirklich, so bezeichne ich diese Ungewißheit durch einen halben, schwankenden Ton, und sage anstatt, ich werde rufen, ich würde rufen, u.s.w. ―
Wenn wir nun blos sagen, ich werde rufen, so rufen wir oder handeln wir noch nicht wirklich, sondern so lange die Handlung noch in uns entsteht, verhalten wir uns gleichsam unthätig.
Daher kömmt es nun, daß wir uns durch den Mittelbegriff von werden auch das unthätige Verhältniß denken, worinn wir uns befinden, wenn wir nicht selbst handeln, sondern die Handlung eines andern auf uns übergeht, und daß wir also z.B. sagen, ich werde geliebt, ich werde gerufen.
Daß aber in diesen Falle die übergegangne Handlung durch die Silbe ge bezeichnet wird, erklärt sich sehr natürlich daraus, daß man sich, so wie bei der vergangnen Zeit, die Handlung schon wie vollständig oder gewissermaßen wie vollendet denken kann, sobald sie auf ihren Gegenstand schon wirklich übergegangen ist.
Weil aber das Werden etwas ist, was nicht von mir ausgeht, sondern gleichsam in mir selber bleibt, so kann ich auch nicht sagen, ich habe geworden, sondern, ich bin geworden: allein man sagt demohngeachtet, vielleicht des Wohlklangs wegen, nicht, ich bin geliebt geworden, sondern, ich bin geliebt worden.
[113]Bei alle den Verbis, die auf die Art etwas anzeigen, daß mehr in uns bleibt, als von uns ausgeht, so daß wir uns mehr leidend als thätig verhalten, wird das völlig Vergangne nicht durch haben sondern durch seyn bezeichnet, daher sagen wir ich bin begegnet, ich bin gefallen, ich bin gestürzt, weil alle diese Verba etwas bezeichnen das von uns unabhängig ist, und wobei wir uns mehr leidend als thätig verhalten.
Demohngeachtet aber sagen wir, es hat mich gefreuet, es hat mir geahndet, u.s.w. weil wir uns bei den unpersönlichen Verbis zwar selbst wie leidend verhalten, aber dasjenige, was auf uns wirkt, sich gewissermaßen thätig gegen uns verhält.
Wir sagen sogar, ich habe gelitten, ich habe geruhet, ich habe geschlafen, obgleich alles dieses eigentlich keine Handlungen sind, die von uns ausgehen, allein wir denken sie uns doch einmal, als von uns abhängig, ob wir leiden, ruhen, oder schlafen wollen oder nicht, kurz, wir denken uns gewissermaßen thätig.
Bei den Verändrungen des Orts aber, als gehen, laufen, kommen, scheinen wir uns am wenigsten thätig zu denken, weil die Bewegung unsern Körper gleichsam fortzieht, und derselbe sich also nur leidend verhält, darum sagen wir, ich bin gegangen, gelaufen, gekommen, u.s.w. [114]deswegen ist auch nur ein kleiner Unterschied dazwischen, wenn wir sagen, ich bin gefahren, und, ich bin gefahren worden.
Selbst unter denjenigen Wörtern, die etwas für sich bestehendes in der Natur anzeigen, als Baum, Bach, u.s.w. denken wir uns doch keine einzelne für sich bestehende Sache, sondern fassen z.B. unter Baum, alles, was in der Welt Baum heißt, zusammen; wenn wir nicht durch eines von den kleinen Wörtern der, die oder das, ein einzelnes Ding, aus der Menge aller übrigen herausheben, um es uns, nicht nur in unsrer Vorstellung, sondern auch außer uns, als wirklich vorzustellen, indem wir z.B. sagen, der Baum, welcher da steht, das Wasser, welches dort fließt, die Wiese, die hier vor mir liegt.
Durch die kleinen Wörter, der, die oder das, denken wir uns also eine Sache, von der wir reden, aus unsrer Vorstellung heraus, so daß wir sie uns nicht nur in unsern Gedanken, sondern auch außer uns, als wirklich für sich bestehend, vorstellen.
Wollen wir aber von einer Sache bloß als von einer Vorstellung in uns reden, so setzen wir vor das Hauptwort statt der, die oder das, nur das [115]Wörtchen ein; sagen wir also z.B. ich sehe einen Baum, so reden wir von dem Baume nur, in so fern er in unsrer Vorstellung da steht; fahren wir aber fort, der Baum ist grün, so denken wir ihn aus unsrer Vorstellung heraus, indem wir ihm, außer uns, ein wirkliches Daseyn beilegen; sagten wir aber, ein Baum ist grün, so würden wir wiederum nur von einem Baume in unsrer Vorstellung reden.
Durch das Wörtchen ein heben wir also unter allen Bäumen in unsrer Vorstellung, und durch das Wörtchen der unter allen wirklichen Bäumen, einen einzigen heraus, worauf wir unsre Aufmerksamkeit insbesondere heften.
Welch ein Unterschied ist dazwischen, wenn ich sage:
dieser Baum ― du Baum ― dein Wipfel. ― und welcher (nehmlich) Baum.
Durch dieser bestimme ich den Standort des Baums, indem ich gleichsam mit dem Finger auf denselben zeige: durch du lege ich ihm gleichsam eine Persönlichkeit bei, indem ich ihn, als ein vernünftiges Wesen, anrede; durch dein wird die beigelegte Persönlichkeit fortgesetzt oder erhalten, ob man gleich nur von demjenigen redet, was zu dem Baume gehöret, oder was derselbe besitzt; durch welcher, wenn ich z.B. sage, der Baum, welchen ich sehe, ist grün, führe [116]ich die Handlung meines Sehens auf eben den Baum zurück, von welchem ich sage, daß er grün ist, sonst müßte ich mich so ausdrücken, ich sehe einen Baum, und der Baum ist grün; wir ziehen also durch welcher einen Satz gleichsam in den andern hinein.
Man siehet leicht, daß dieser nur eine Erhöhung oder Verstärkung des Artikels der ist, welcher auch oft anstatt desselben gesetzt wird, wo man aber im Reden einen stärkern Ton darauf legt, indem man z.B. auf jemanden zeigt, und sagt, der Mann da! So wie ich nun durch dieser, diese oder dieses das Nähere anzeige, so deute ich durch jener, jene oder jenes das Entferntere an.
Was nun aber das Wort du anbetrift, so wird uns dasselbe auf einige wichtige Bemerkungen in Ansehung der Sprache leiten. Durch du legten wir nehmlich dem Baume eine Persönlichkeit bei, oder wir betrachteten ihn gleichsam, als ob er ein Mensch wäre: eben das würden wir auch durch das Wort ich thun, wenn wir ihn redend einführten; und durch er, wenn wir von ihm, als von einer abwesenden Person sprächen.
Daß aber auch das er den Baum als eine Person bezeichnet, sehen wir daraus, weil man eine abwesende Person, wenn sie männlichen Geschlechts, mit er, und wenn sie weiblichen Geschlechts ist mit sie benennet, indem man z.B. sagt, er kömmt, sie kömmt.
[117]Indem man also von dem Baume sagt, er ist grün, so redet man von ihm, als von einer Person männlichen Geschlechts, und indem man von der Rose sagt, sie blühet, so redet man von ihr, als von einer Person weiblichen Geschlechts.
So drückt der Mensch auch in dieser Absicht der leblosen Natur sein Gepräge auf.
Alles leblose, was man sich als stark, groß, wirksam, oder auch wohl als schrecklich denkt, wird, wenn man ihm eine Persönlichkeit beilegt, mit dem männlichen Geschlechte verglichen; alles aber, was man sich als sanft, leidend oder angenehm denkt, vergleicht man in dem Falle, daß man ihm Persönlichkeit zuschreibt, mit dem weiblichen Geschlechte, daher kömmt es nun, daß wir z.B. sagen:
der Baum, | die Blume, |
der Wald, | die Wiese, |
der Zorn, | die Sanftmuth, |
der Haß, | die Liebe. |
Wo denn auch der härtere, männlichere Artikel der in das sanftere die hinüberschmilzt.
So scheinet die Sprache auch alles leblose in der Welt zu paaren; indem sie zu etwas Größern oder Stärkern immer etwas Aehnliches aufzufinden weiß, das nur kleiner oder schwächer, aber schöner und angenehmer ist.
Was man aber in der Natur nicht so wichtig oder nicht schicklich fand, ihm das menschliche Ge-[118]präge aufzudrücken, bezeichnete man, wenn man davon sprach, weder durch er noch durch sie, sondern durch es, und schloß es auf die Art gewissermaßen von der Persönlichkeit aus, indem man es unter die Sachen rechnete.
Ja sogar, wenn man von Menschen mit dem Begriffe von ihrer Kleinheit redet, zählet man sie eine Zeitlang unter die Sachen, als wenn man z.B. sagt, das Kind, das Männchen.
Wir sehen, wie sich hier wiederum der Artikel nach der Vorstellungsart bequemet, und sowohl das männliche r als das weibliche ie, mit dem unbestimmten s vertauscht.
Wenn wir folgende Wörter untereinandersetzen, so werden wir sehen wie die erstern gleichsam den Keim zu den folgenden enthalten:
Mann, | Weib, | Sache, |
der, | die, | das, |
dieser, | diese, | dieses, |
er, | sie, | es, |
welcher, | welche, | welches. |
Durch die ersten drei Wörter der, die, das, denken wir etwas erst aus unsrer Vorstellung heraus; durch die andern denkt man es an einen gewissen Ort hin; durch die folgenden er, sie, es, benennen wir nun dasjenige, was wir uns schon einmal aus unsrer Vorstellung heraus, und an einen Ort hin gedacht haben.
[119]Wir lassen daher bei er, sie und es das bestimmende d weg, wodurch eigentlich das wirkliche Daseyn außer unsrer Vorstellung angezeigt werden soll, weil dieses schon einmal vorausgesetzt ward; durch die letztern welcher, welche, welches, benennen wir ebenfalls etwas, das wir uns schon außer unsrer Vorstellung als wirklich gedacht haben, mit dem Nebenbegriffe irgend einer Beschaffenheit, welche durch das vorgesetzte welch bezeichnet wird.
So wie das d die Wirklichkeit desjenigen, was wir uns vorstellen, anzeigt, so zeigt das w die Art der Wirklichkeit oder die Beschaffenheit desjenigen an, was wir uns schon als wirklich vorgestellet haben.
Wenn man folgende beide Ausdrücke nebeneinanderstellt:
der Baum, welcher da steht, ist grün; und
der Baum, (er steht da) ist grün,
so wird man den Unterschied zwischen denselben leicht bemerken, und sich zugleich die wahre Natur des Worts welcher daraus erklären können.
In dem ersten Ausdruck, denken wir uns das da stehen des Baumes, den wir durch er bezeichnen, vermittelst der vorgesetzten Silbe welch, als eine Beschaffenheit, in denselben hinein, und verwandeln auf die Weise zwei Sätze in einen: der andre Ausdruck wird immer in zwei Sätze zerfallen, wir mögen es machen, wie wir wollen, weil die Silbe welch darinn fehlt.
[120]Weil wir uns nun bei unsern Fragen gemeiniglich nach den Beschaffenheiten der Dinge erkundigen, so fangen sie sich auch gemeiniglich mit w an; als wenn wir fragen, wer ist da? so setzen wir durch das er schon das Daseyn einer Person voraus, aber durch das vorgesetzte w drücken wir unser Verlangen aus, etwas von der Beschaffenheit der Person zu erfahren, welche nun wirklich da ist.
Wir können uns also hieraus erklären, warum die Wörter welcher, welche, welches, auch als Fragewörter gebraucht werden, zu denen wir noch die Wörter wer oder was rechnen müssen; wovon das erste von Personen beiderlei Geschlechts; das letztere aber nur von Sachen gebraucht wird.
Er, sie, es, sind also allgemeine Benennungen desjenigen, wovon ich rede; denn alles in der Welt kann ich er, sie oder es nennen. Setze ich nun vor jedes dieser Wörter ein d, als in der, die, das, oder in dieser, diese, dieses, so trage ich den Begriff der Wirklichkeit in meine Vorstellung; setze ich aber ein w davor, als in welcher, welche, welches, und in wer oder was, so trage ich den Begriff einer Beschaffenheit hinein.
Durch die Frage wer? kann man nun die wirkliche Persönlichkeit von der figürlich beigelegten sehr gut unterscheiden: denn ob ich gleich dem Baume eine Art von Persönlichkeit beilege, indem ich er, (der Baum,) dieser Baum, und welcher Baum, sage, so kann ich doch nicht fragen, wer [121] steht da? sondern ich muß fragen, was steht da? Wenn ich von etwas in der mehrern Zahl rede, so verliert sich der Unterschied zwischen Mann, Weib und Sache, in dem Begriffe von der Mehrheit, und wird nicht besonders mehr bezeichnet. Wir wollen nun noch nebeneinander stellen:
ich | du | er | ihr |
mein | dein | sein | euer |
mich | dich | sich | euch. |
Wir wissen nun, in wie ferne mein, dein, sein und euer von ich, du, er und ihr unterschieden sind: diese letztern nehmlich zeigen bloß die Person an und für sich selber an; vermittelst der erstern aber halten wir den Begriff von der Person fest, und richten doch zugleich unsre Aufmerksamkeit auf dasjenige, was der Person auf irgend eine Weise zu kömmt, ohne selbst diese Person zu sein: wir können dadurch den Begriff von der Person unendlich erweitern, und alles gleichsam mit in den Kreis ihres Daseyns hineinziehen.
So kann ich durch das m, vor den unbestimmten Artikel ein gesetzt, alles was ich will, obgleich nur in meiner Vorstellung, in den Kreis meines Daseyns hineinziehen, indem ich z.B. sage, mein Haus, mein Garten, u.s.w. schließe ich nun aber alles andre aus, und sage bloß mein Ich, so bekomme ich dadurch den deutlichsten Begriff von mir selber, indem ich mich nun, als etwas, das außer mir ist, betrachte, oder mich gleichsam aus [122]meiner eignen Vorstellung herausdenke; mein ich aber wird in mich zusammengezogen.
Auf diese Weise gelangen wir erst durch den Mittelbegriff von mein zu dem Begriffe von mich, welcher uns nun im Denken sehr zu statten kömmt, so daß wir über uns selbst Betrachtungen anstellen können, indem wir uns gleichsam von uns selber absondern. Wenn wir also z.B. sagen, ich kenne mich, du kennest dich, er kennet sich, ihr kennet euch, so ist das eben so viel, als wenn wir sagten: ich kenne mein ich, du kennest dein ich, er kennet sein ich, ihr kennet euer ich.
Wir tragen den Begriff von ich selbst auf dasjenige, was außer uns ist, hinüber, wenn wir uns die völlige Persönlichkeit desselben denken wollen, indem wir z.B. sagen: ich sehe dich, welches so viel heißt, als: ich sehe ein Ich, oder ein Wesen, das Selbstbewußtseyn und Persönlichkeit hat, aber es ist nicht mein Ich, sondern das Ich dessen, den ich anrede.
So wie wir nun Wörter haben, die Person auf das allerbestimmteste zu bezeichnen, so haben wir wieder andre, wodurch die Person, von der man redet, auf das allerschwankendste bezeichnet wird.
So sagen wir, da ist jemand, ohne einen Unterschied zwischen Mann und Weib zu machen: ferner, man glaubt ohne auf die Anzahl oder das Geschlecht der Person zu sehn, die da glauben; und [123]es donnert, ohne zu bestimmen, ob es eine Person oder Sache ist, die das Donnern hervorbringt. In folgender Tabelle sieht man die Wörter, von denen wir jetzt geredet haben, nebeneinander.
Ich, | Du, | Er, | Sie, | Es, | |||
mein | dein | sein | |||||
mich | dich | sich (ihn) | ihr | ||||
mir | dir | sich (ihm) | sich | ||||
wir | ihr | sie | |||||
unser | euer | ihr | |||||
uns | euch | ihnen | |||||
der | die | das | |||||
dieser | diese | dieses | |||||
welcher | welche | welches | |||||
wer? | was? | ||||||
jemand | |||||||
man | |||||||
es. |