Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Die Fugen des Verbums, wodurch es sich nach dem Substantivum richtet, sind im Deutschen in der einfachen Zahl die Buchstaben e, st und t, und in der mehrfachen n und t, indem wir z.B. sagen, ich liebe, du liebest, er liebet, wir lieben, ihr liebet, sie lieben.
Sage ich, du liebest, so verstärkt das st gleichsam meine Vorstellung von der Handlung des Liebens durch die Bezeichnung ihrer Wirklichkeit, indem ich mir eine Person dabei vorstelle, die ich [119]anrede, und die wirklich der Urheber dieser Handlung ist, wovon ich rede, so daß ich die Person und die Handlung nicht voneinander trennen kann.
Sobald ich mir aber in der Anrede die Wirklichkeit von der Handlung hinwegdenke, fällt auch das st weg, und ich sage im befehlenden Tone, liebe du, und nicht, liebest du, weil die Handlung des Liebens durch meinen Befehl erst wirklich werden soll, aber es noch nicht ist; so sage ich, du giebst; aber im befehlenden Tone, wo das Geben noch nicht wirklich geschieht, sage ich, gieb!
Sage ich nun, er liebet, so bezeichnet das t ebenfalls eine Wirklichkeit der Handlung, aber nicht mit solchem Nachdruck, wie das st, weil ich hier keine Person anrede, sondern nur von einer Person rede, die der Grund desjenigen ist, was ich rede, und die ich gleichsam in einem schwächern Lichte betrachte, als die Person, welche ich anrede.
Denke ich mir aber die Wirklichkeit von der Handlung hinweg, und wünsche ich z.B. bloß, daß dieselbe geschehen möge, so fällt auch hier das nachdruckvolle t weg, und ich sage anstatt, er geht, oder er kömmt, bloß, er gehe! oder, er komme!
Daß aber st und t die Wirklichkeit bezeichnen, scheinet daher zu kommen, weil sie verursachen, daß die Stimme länger auf dem Worte ru-[120]het, und am Ende gleichsam noch einen gewissen Stoß oder einen Nachdruck darauf setzt.
Wenn wir aber von uns selber reden, so scheinet es, als ob wir es für überflüßig halten, die Wirklichkeit desjenigen, was wir von uns selber reden, oder dessen wir uns selbst schon hinlänglich bewußt sind, noch besonders zu bezeichnen; daher sagen wir, ich liebe, indem wir bloß ein e hinzusetzen, oder von lieben das n wegwerfen, wodurch sonst eigentlich die Wirklichkeit aufgehoben wird: denn wenn ich sage, das Lieben, oder zu lieben, so nenne ich beinahe bloß den Nahmen einer Handlung, ohne mir dabei vorzustellen, daß sie wirklich geschiehet.
Demohngeachtet aber heißt es nun in der mehrfachen Zahl, wir lieben, ihr liebet und sie lieben: eigentlich sollte es heißen, wir liebent, und sie liebent, wie man es auch in alten deutschen Schriftstellern findet; allein der Begrif von der Mehrheit pflegt gern die übrigen Begriffe zu verdrängen, und das ist auch hier der Fall; weil die Handlung nicht einer einzigen Person, sondern mehrern zugeschrieben wird, so denkt man sich auch ihre Wirklichkeit nicht so genau und bestimmt, als ob sie nur einer einzigen Person wirklich zugeschrieben würde.
Allein bei der Anrede wird auch in der mehrfachen, eben so wie in der einfachen Zahl, der [121]stärkste Nachdruck auf das Verbum gesetzt, und es heißt, ihr liebet.
Auf die Weise haben wir gesehen, wie sich das Verbum nicht nur nach dem Substantivum richtet, sondern sich zugleich als gewiß oder ungewiß, als wirklich oder nicht wirklich, in den Zusammenhang unsrer übrigen Vorstellungen fügt. ―
Da sich aber alle unsre Vorstellungen an dem Begriffe von der Zeit fest halten müssen, so muß sich das Verbum auch nach diesem Begriffe fügen. Dieses thut es nun, indem sich, um die Vergangenheit zu bezeichnen, noch ein t zwischen das b und e einschiebt, so daß es heißt, ich liebte, du liebtest, u.s.w.
Um das Vergangne zu bezeichnen, muß die Stimme gleichsam einen Aufenthalt finden, und darf nicht so schnell von dem b, als von dem letzten Buchstaben des eigentlichen Worts, zu dem angehängten e, st, u.s.w. hinübergehen, als wenn die gegenwärtige Zeit ausgedrückt werden soll: denn der Begrif von der Vergangenheit schiebt sich gleichsam zwischen die Vorstellung von der Handlung und von ihrer Wirklichkeit hinein, weil das Vergangne doch eigentlich jetzt nicht mehr wirklich ist.
Darum fällt auch, wenn ich nur von einer Person rede, das Zeichen der Wirklichkeit wieder weg, und es heißt nicht, er liebet, sondern er liebte.
[122]Allein unsre Sprache bezeichnet die Vergangenheit auch auf eine andre Art, die zwar nicht so künstlich und regelmäßig als die vorhergehende ist, aber weit natürlicher und ausdruckvoller zu seyn scheinet.
Sie verwandelt nehmlich, um die Vergangenheit zu bezeichnen, den höhern Vokal gewöhnlich in den tiefern, als, ich singe, ich sang; ich fließe, ich floß; ich grabe, ich grub, u.s.w.
So verhält sich nemlich die Vergangenheit in unserer Vorstellung zu der Gegenwart, wie die entferntere, gedämpfte Musik zu der tönenden und rauschenden, wie die Dämmerung zu dem Lichte ― und wie Bedeutungsvoll wird dieses durch die Verwandelung des höhern Vokals in den tiefern ausgedrückt!
Freilich wird auch zuweilen der tiefere Vokal in einen höhern verwandelt, indem unsre Sprache die Vergangenheit bezeichnet, als ich blase, ich bließ; ich gehe, ich ging; allein hieran mag wohl eine übertriebene Verfeinerung der Sprache schuld seyn; und daß die Verwandlung des höhern Vokals in den tiefern natürlicher ist, sieht man auch daraus, weil die Sprache des gemeinen Volks sich wieder dahin neigt, indem man unter demselben öfter hört, ich bluß, und ich gung, als ich bließ, und ich ging.
Diese übertriebene Verfeinerung der Sprache macht, daß sie immer mehr und mehr von ihrer be-[123]deutenden Kraft verliert: so vertauscht man z.B. schon das nachdrucksvolle erscholl, mit dem matten und regelmäßigen erschallte, und eben so macht man es in mehrern Fällen.
Nun ist es merkwürdig, daß man dasjenige, was nicht wirklich ist, ebenfalls beinahe so wie die Vergangenheit bezeichnet, indem man z.B. sagt, ich liebte dich, wenn du es verdientest. Weil nehmlich die Vergangenheit jetzt auch nicht mehr wirklich ist, so hat man sich das gar nicht Wirkliche, und das jetzt nicht Wirkliche beinahe auf einerlei Art gedacht und bezeichnet.
Bei dem Verbum aber, wo der höhere Vokal zu einem tiefern herabgestimmt wird, um die Vergangenheit zu bezeichnen, als ich trage, ich trug, unterscheidet man das gar nicht Wirkliche, von dem nicht mehr Wirklichen, indem man den tiefern Vokal wiederum gleichsam zu einem halben, schwankenden Tone stimmt, und sagt z.B. ich trüge deine Bürde, wenn sie mir nicht zu schwer wäre.
Denn ä, ö, und ü, sind gleichsam unter den Vokalen das, was in der Musik die halben Töne sind, darum sind sie am schicklichsten, das Schwankende, Ungewisse, und nicht Wirkliche bei dem Verbum zu bezeichnen.
Wir sagen daher, ich sang, ich flog, ich trug, um etwas anzuzeigen, das gar nicht wirklich, sondern nur möglich ist ―
[124]Allein wenn ich z.B. sage, ich sang, so denke ich mir die Handlung meines Singens, als vergangen, und doch als unvollendet; ich stelle mir vor, daß sie noch fortdauerte, indeß etwas anders anging, als, ich sang ein tröstend Lied, da verschwand mein Kummer, u.s.w.
Es wird uns schwer, wenn wir uns irgend etwas als ganz vollendet, oder als ganz vergangen denken wollen, weil die Folge der Dinge in der Welt einen so festen Zusammenhang hat, wie die Glieder einer Kette, wo sich immer eins in das andre schließt, und wo man sich also nicht gut eins ohne das andre denken kann.
So müssen sich unsre Vorstellungen von dem Entferntern auch an den Vorstellungen von dem Nähern und Gegenwärtigen festhalten, wenn die Kette unsrer Gedanken nicht zerreissen soll.
In unsrer Seele verdrängt ein Bild nicht plötzlich das andere, sondern schiebt sich ihm allmälig vor, und fügt sich zugleich an dasselbe hinan.
Weil es nun wegen des nähern Zusammenhanges der aufeinander folgenden Dinge am allernatürlichsten ist, sich das Vergangne nicht als vollendet, sondern in Ansehung desjenigen, was darauf folgt, noch als fortdaurend zu denken, so bezeichnet unsre Sprache die Vergangenheit auch bloß auf diese Art unmittelbar.
Wollen wir uns aber dem ohngeachtet das Vergangne als ganz vollendet denken, so müssen wir[125]dieses mittelbar thun, indem wir zu den Begriffen von seyn oder haben unsre Zuflucht nehmen, das wir uns vorher als gegenwärtig gedacht haben müssen, um zu dem Begriffe von der gänzlichen Vergangenheit zu gelangen. ―
Um uns also die gänzliche Vergangenheit z.B. der Handlungen des Liebens und des Gehens zu denken, sagen wir, ich habe geliebt, und ich bin gegangen.
Durch haben bezeichnen wir sonst dasjenige, was ausser uns ist, und was wir nur mit in den Kreis unsers Daseyns ziehen; durch seyn aber was in uns ist, und was mit zu unserm Wesen gehört, indem wir z.B. sagen, ich habe ein Kleinod, und ich bin ein Mensch: eben so sagen wir auch, ich habe geliebt, und ich bin gegangen, indem wir uns lieben als eine Handlung vorstellen, die von uns ausgeht, gehen aber als eine Handlung, die sich gleichsam in uns selber zurückwälzt, und auf die Weise schon mehr in unser Daseyn verwebt ist. So lange aber eine Handlung noch nicht vollständig, oder ganz vollendet ist, kann ich sie noch nicht zu dem zählen, was ich habe oder was ich bin: diese Vollständigkeit der Handlung nun, welche nothwendig ist, wenn ich mir dieselbe, als ganz vergangen, denken will, wird durch die Silbe ge ausgedrückt, die gemeiniglich eine Zusammenfassung desjenigen bezeichnet, was auf einander folgt, so wie z.B. in dem Worte Gemur- [126] mel, wo ich ein oftwiederhohltes Geräusch, das ich murmeln nenne, zusammenfasse, und mir es wie ein Ganzes denke.
Eben so fasse ich nun unter der Silbe ge in geliebt, die Vollständigkeit der Handlung meines Liebens zusammen, wie dieselbe nicht nur von mir ausgegangen, sondern auch schon auf einen andern Gegenstand übergegangen ist, und also ihre Endschaft erreicht hat; und in gegangen fasse ich eine wiederhohlte Bewegung, die ich gehen nenne, zusammen, und denke sie mir nun als etwas vollständiges, oder als etwas, das seine Endschaft erreicht hat.
(Die Fortsetzung folgt künftig.)