Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
Startseite > Bandnavigation > Band: II, Stück: 1 (1784) >
Der Unglückliche war in seiner Kindheit ein flüchtiger Knabe, dem nichts weniger als das Stillsitzen anstand, der in der Schule von den Grundwahrheiten des Christenthums und dem Uebrigen, was zum Gebrauch des Lebens darinnen gelehrt wird, wenig begriffen, und kaum fertig lesen und seinen eigenen Namen hat schreiben gelernet. Dieß ist das Zeugniß, daß ihm diejenigen geben, die sich noch von jenen Jahren her seiner zu erinnern wissen.
Er zeigte frühzeitig Lust zum Soldatenstande. Die Begleiter seiner Jugend erzählen, daß er wöchentlich mit Holz nach der Residenz gefahren, wenn er aber solches verkauft, halbe Tage vor der Hauptwache daselbst gestanden, und den Soldaten zugesehen habe. Er ward denn auch in seinem 17ten Jahre Dragoner.
Sein Vater, ein Schneider, bestimmte ihn, nach Erlassung b aus der Schule, zu seinem Hand-[39]werk; aber er war nicht für die Nadel, er war für den Degen und Säbel, und am Schneider-Tische die Beine unterzuschlagen, war nicht seine Sache; er wollte ins Feld, er wollte in die Welt. Der neue Pallasch c wollte ihn zwar zu unzeitiger Courage und Händeln bald anfangs und während der Transportirung verleiten, allein Erfahrung und Klugheit lehrten ihn bald diese Hitze mäßigen, und in kurzer Zeit ward er vorsichtig und ordentlich in seinem Betragen.
Er machte mit seinem Regimente im Dienste der Generalstaaten d gleich anfangs den letzten Feldzug vor dem Aachner Frieden e mit, kam aber auch beim Schlusse des Krieges mit seinem Regimente nach Hause, und mußte sich in Postirungsquartiren gedulden, bis es wieder etwas für ihn zu thun geben würde.
Unter dem 31sten December 1758 erhielt er einen sehr ehrenhaften Abschied.
Als der zweite Preußische Krieg f anging, mußte sein Fürst außer dem Fußvolke, auch den größten Theil des Dragonerregiments, unter welchem Simmen stand, als sein Kontingent zur Armee stoßen lassen, und Simmen durfte mit marschiren. Allein er wurde mit dem Hauptmann und 27 Mann seiner Compagnie auf dem Marsche in einer Altenburgschen Landstadt in einem Ueberfalle von Preußischen Husaren g aufgehoben, und durchs Erzgebürge nach Sachsen geführt. Man darf es ihm wohl glauben, daß [40]er mehr genöthiget als beredet worden sey, unter den Preußischen Husaren Dienste zu nehmen. Er that es unter dem damaligen Obristlieutenant v. Belling, und kapitulirte unter dem 23sten September 1758, auf die Bedingung, daß dieses sein Engagement nur von einem Winterquartier zum andern gehen, und daß ihm, wenn das Corps solche bezogen hätte, allemal freystehen sollte, seinen Abschied zu fordern, auch ihm alsdann derselbe auf sein Ansuchen unweigerlich ertheilt werden sollte.
Der neue Husar mußte gleich, wie schon gedacht ist, mit nach Sachsen, h und fand am Schluß des Feldzugs in Chemnitz sein Winterquartier. Beym Aufbruch aus demselben und Eröffnung des Feldzugs 1759, rief ihn erst sein vorgedachter Chef unvermuthet vor die Fronte, erklärte ihn zum Unterofficier, und wünschte ihm dazu Glück. Simmen versichert, daß er diese Gnade weder gehofft, noch gewünscht, sondern alle Mühe, aber umsonst sich gegeben habe, sie zu verbitten; weil er den beschwerlichen Dienst und die schwere Verantwortung eines Preußischen Unterofficiers, vorzüglich im Kriege, schon damals habe kennen gelernt. Er stieg denn ferner bis zum Wachtmeister.
Der Marsch ging nach Schlesien gegen die Oesterreicher, ferner an die Polnische Grenze, gegen die Russen, hernach gegen ebendieselben ins Brandenburgische. Im Jahr 1760 mußte er mit [41]seinem Regimente nach Pommern, wo er bis 1762 gegen die Schweden fochte. Diese rühmte er als sehr brave und besonders christliche Soldaten.
Aus Pommern gieng das Bellingische Husarenregiment, und also auch Simmen, im Jahr 1762 wieder nach Sachsen, gegen die Oesterreicher zurück. i Hier gerieth er durch einen Zufall im Erzgebürge unter die Reichstruppen, j und wurde von ihnen aufgehoben. Er kam aber bald durch eine List von den Feinden wieder los, indem er gegen sie vorgab, er habe sich selbst ranzionirt, k und sey im Begriff zu seinem alten Dragonerregiment zurück zu gehen. Er erhielt hierdurch einen Paß, der sich auch findet, datirt von Nassau, (einem Dorfe bei Frauenstein) den 2ten November 1762, und von einem Hauptmann von Oettinger unterschrieben. Mit Hülfe desselben entkam er die Nacht drauf, und zu dem Preußischen Esquadron zurück.
Bekanntermaßen machte der Hubertsburger Friede l dem Krieg ein Ende. Simmen kam darauf mit seinem Regimente in Pommern zu stehen. Nun regte sich bei ihm das Verlangen, sein Vaterland und seine Eltern wieder zu sehen. Er erhielt auch im Jahr 1764 nach dem gerühmten Zutrauen seines Obristen von demselben Urlaub, und zwei Pässe dazu, der eine davon ist vom 16ten, der andre vom 20sten May. Der erste mußte seine Beglaubigung im Preußischen, der andere sein Geleit ausserhalb [42]seyn. Er kam also im gedachten Jahre glücklich und mit Ehre an seinem Geburtsorte an, ohne daß es ihm geahndet hätte, daß er dem Verlust seines Glücks und seiner Ehre, ja einem schimpflichen Tode entgegen reise.
Er fand hier bald nach seiner Zurückkunft allerlei Verstrickungen, die ihn zu dem Entschluß brachten, den er wohl bei seiner Abreise nicht gehabt hatte, seinen Dienst zu verlassen, und nicht wieder zu seinem Regiment zurückzukehren. Er verkaufte also sein mitgebrachtes Pferd, das, wie er versichert, mit Sattel und Zeug sein eigen war, und suchte bei seinem Obristen um seinen Abschied nach, den er aber nicht erhielt. Unkundige der Umstände hielten ihn deswegen geradezu für einen Ausreisser. Allein ich muß in dieser Sache das Licht mittheilen, daß zween eigenhändige Antworten des Obersten von Belling an ihn geben. In der ersten drückt sich der Oberste sehr gnädig aus, und unterschreibt sich, des Wachtmeisters allstets wohlwollenden Freund, versagt ihm aber seinen Abschied, und befiehlt ihm, sich wieder sogleich bey der Esquadron einzufinden. In der zweiten, auf Simmens Ansuchen, wobei er sich auf seine oben angeführte Capitulation berufte, versagt er ihm denselben nochmals aus dem Grunde, daß er ihm die Capitulation als Husar ertheilt, aber da er bis zum Wachtmeister avancirt, so sei solche null und nichtig, und befiehlt ihm, sich sogleich bei dem Regiment wieder einzufinden.
[43]Es kamen wohl bei ihm viele Bewegungsgründe zusammen, die ihn vermochten, in seinem Vaterlande zu bleiben. Er hatte Freunde, die ihn dazu beredeten, und durch mancherlei Vergnügen, das sie ihm machten, an sich zogen; vielleicht mischte sich die Liebe bald darein, nach welcher er sich kurz hernach zu seiner Heirath entschloß. Er hatte viele Gunst bei Großen, und fand selbst Gelegenheit, die Gnade des Prinzen zu gewinnen. Der erlauchte Chef, der ihm den oben schon erwähnten Abschied von seinem alten Regimente ertheilte, ließ sich besonders angelegen seyn, ihn wieder in die Dienste seines angebohrnen Landesherrn, verhältnißmäßig anzubringen: Er hätte es gerne bei seinem unterhabenden Regimente gethan, allein dazu wollte sich keine Gelegenheit finden; es sollte bei den Landhusaren geschehen, die zu errichten damals in Vorschlag gebracht war, allein dieses Projekt zerschlug sich.
Wie er also seine Hofnungen theils vereitelt, theils in einer so ungewissen Ferne sahe, und nun schon der Bedenklichkeiten bei der Rückkehr zu seinem Husarenregimente zu viel waren, so konnte er dieselben, ohne Geschäfte und Verdienst zu haben, länger nicht abwarten. Er kaufte sich also in seinem Geburtsort an, ließ sich häußlich nieder, und trat zu einer Gesellschaft Viehhändler. Dieß war an seinem Orte der ansehnlichste, und für ihn verhältnißmäßigste, anständigste und angemessenste Erwerb. Denn da ihn seine Gesellschaft zu [44]den auswärtigen Geschäften ihres Handels, gegen eine gute Vergeltung seiner Dienste, gebrauchte; er auch wohl etwas zum Handel mit zuschoß, so konnte er auf doppelte Weise gewinnen, und darbei seine feine Sitten, und beim Kriegshandwerk gewonnene Erfahrungen und Geschicklichkeiten, brauchbar machen.
Daß an Simmens Entschlusse, den Preußischen Dienst zu verlassen, die Liebe mit Theil gehabt habe, lässet sich daraus vermuthen, daß er sich nicht lange nachher an seinem Geburtsort verheirathete. Durch die Verbindung, die er hier einging, kam er mit dem, mit dessen Blute er sich hernach befleckte, in eine gedoppelte Verschwägerung; denn Simmens Braut war Georg Schmidts leibliche Schwester, und dieser hatte Simmens Schwester zur ersten Frau.
Von Simmens Ehe höre ich nichts nachtheiliges, sie ward einträchtig und gut geführt, ohne daß ein Theil über den andern Beschwerden geäussert hätte. Dem entgegen, was man von ihm vermuthen sollte, wird er von solchen, die sein Haus kennen, als ein geselliger und sich sehr bequemender Ehemann beschrieben, der häuslichen auch gewöhnlicher Weise nur weiblichen Verrichtungen sich unterzogen habe.
Nun war Simmens neue Lebensart und Haushaltung an seinem Geburtsorte, wie es schien, gut eingerichtet. Er hielt sich fein, sein Betragen war ordentlich, bescheiden, und vor seinesgleichen vorzüg-[45]lich gesitteter; auch selbst diejenigen, denen sein feines Betragen am verdächtigsten ist, können ihm das Lob eines äusserlich ehrbaren, ordentlichen und stillen Mannes nicht versagen. Er erwarb sich dadurch Zutrauen und Ansehn, und weil sein guter Verstand, seine durch Erfahrung erworbene Kenntnisse, seine Bedächtlichkeit und gute Art zu reden darzu kam, wurde auch die Vormundschaft seines Orts bewogen, ihn zu ihrem Mitglied anzunehmen. Personen, die am besten davon urtheilen können, geben ihm auch das Zeugniß, daß er in dieser Verbindung alle Obliegenheiten und Aufträge gut ausgerichtet habe.
Verschiedene Jahre ging es glücklich mit seinem Viehhandel, und seine Vermögensumstände schienen auf einem guten Fuß zu seyn. Allmälig aber wurde seine Familie zahlreicher, er war schon ein Vater von 3 Kindern, als die bekannten theuren Jahre m einfielen. Wie diese traurige Zeit viele vorherblühende Familien niedergedrückt, wo nicht ganz zu Grunde gerichtet hat, so wurde sie auch Ursach an dem ersten Verfall des Nahrungs- und Vermögensstandes dieses Unglücklichen, weil der Handel, sein einziges Verdienst, lag, ihm auch verschiedene Posten, die, wenigstens nach seiner Vorrechnung, etwas betrugen, verloren gingen. Er mußte zusetzen, und es war ihm nicht möglich, sich ganz wieder aufzuhelfen.
Nach der Zeit verwickelte er sich mit seinen Mithändlern in Streitigkeiten und Klagen, durch welche [46]seine Gewissenhaftigkeit verdächtig wurde. Die Gesellschaft trennte sich auch von ihm, und nun sollte er für sich allein handeln; das konnte er aber mit seinem eigenen Vermögen nicht glücklich durchsetzen. Es ging nun nicht mehr so, wie ers wünschte, daß er sich hätte auf den vorigen Fuß halten können, und wie es sein voriger Charakter zu fordern schien. So wie er sich im Hause alles gefallen ließ, so ließ es ihm doch der Wachtmeister nicht zu, sich ganz zum Bauer herabzulassen, und auswärtig Handgeschäfte der Art vorzunehmen, die an seinem Orte gewöhnlich und zum Durchkommen nöthig waren. Nur zu einer Zeit im Jahre war etwas, und auch nicht mehr das hinlängliche, mit dem Handel zu verdienen, die übrige Zeit gab es für ihn nichts zu thun.
In dieser drückenden Lage wurde seines Vaters Schwester, die mit einigen Ansehn in der benachbarten Stadt lebte, zur Wittwe. Diese erbot sich, ihn mit den Seinigen zu sich zu nehmen, wenn er ihre Angelegenheiten besorgen, und ins Reine bringen würde. Er folgte hier unsichern Hoffnungen, und vielleicht auch dunkeln Blendwerken, die ihm seine Ehrsucht vorspiegelte. Er entschloß sich also, in die Stadt zu der gedachten Verwandtin zu ziehen, ward Bürger und verkaufte sein Haus in seinem Geburtsorte seinem Schwager Schmidt. Die Hoffnungen, die ihm waren gemacht worden, oder er sich selbst gemacht hatte, täuschten ihn, oder er hatte nicht Geduld und Schmiegung genug, sie abzuwar-[47]ten; er verlohr darüber, daß er sich fremden Angelegenheiten unterzog, folgends alle Vortheile seines bisherigen Handels und voriger Einrichtung, und durch mehr Umstände, die dazu kamen, wurde dieses der Schritt zu seinem Fall und Verderb.
Es entsponnen sich über dem Hausverkauf allerlei Entzweiungen zwischen ihm und seinem Schwager, die bis zu der tödlichen Verbitterung anwuchsen. Dieser bezahlte, wie mir von glaubwürdigen Personen versichert worden, von dem Hauskaufsgelde, womit sich doch Simmen zu helfen gedacht hatte, nicht nur ein darauf haftendes größeres Kapital, das mit Willen des leztern geschehen sein soll, sondern auch andere kleinere Posten wider dessen Willen. Simmen glaubte, daß derselbe dabei auch seine Gläubiger, die auf andere Art vortheilhafter für ihn hätten befriediget werden können und sollen, unredlicher Weise selbst aufgereizt habe, so daß ihm hierdurch nicht nur das Kaufgeld zersplittert und seine Hülfe benommen, sondern auch die Bezahlung des übrigen Geldes, zu seinem mehrern Ruin, und dem Contrakt zuwider, verzögert sey. Aus dem Wortwechsel hierüber, entstunden ferner auch wohl Thätlichkeiten und Injurienklagen, wodurch der Groll des, besonders durch die lezte Art Klagen, mehrmals empfindlichst gereizten Wachtmeisters, immer stärker aufloderte. Andere entschuldigen zwar Schmidten dieserwegen, und rühmen allerlei Gutes, daß er Simmen und dessen Kindern gethan [48]habe. Entscheidend kann ich nun hievon nicht urtheilen, aber das muß ich gestehen, daß keine Schilderung, die mir von Schmidten gemacht ist, auch selbst von seinen Vertheidigern nicht, zu dessen Vortheil gewesen sey, noch es wahrscheinlich genug mache, daß er mehr Recht als der Unglückliche bei diesen Händeln gehabt haben möge. Hierzu kam noch, daß Schmidt seine Schwiegereltern, als Simmens Vater und Mutter, geschlagen, auch seine erste Frau, als Simmens Schwester, und welche dieser sehr geliebt, übel gehalten haben soll, wenigstens hat Simmen dieß in seinem gerichtlichen Verhör behauptet, und als eine Hauptursach seines fürchterlichen Hasses angegeben. Weil aber endlich Schmidt sich auch immer besser als der Wachtmeister fand, so kann daher wohl einige Eifersucht in die Verbitterung des leztern sich mit eingemischet haben.
Das konnte nun Simmen selbst nicht läugnen, daß er in dieser Gemüthsfassung seinen Schwager öffentlich und vielleicht mehrmals Rache gedroht und geschworen habe. Er will ihm zwar eigentlich nicht den Tod, sondern nur gedroht haben, es ihn künftig entgelten zu lassen.
Damals wars wohl eben, daß er den Versuch machte, von seinem Schwager einen Vorschuß zu erhalten, und ihm auch derselbe solchen versprach, nachmals aber von der Erfüllung dieses Versprechens sich wieder ablenken ließ.
[49]Seine nunmehrige traurige Lage will ich mit des Unglücklichen eigenen Worten beschreiben: »Kein Haus! keine Hülfe bey Freunden! keinen Trost! keinen Credit, da mir sonst jedermann ein Paar Hundert Thaler zu borgen bereit war!« Und hierzu kamen nun der Drang von Gläubigern und zu fürchtender Rechtshülfe, auch die Nothwendigkeit, einen Sohn zum Handwerk zu helfen, und das Uebel, darzu kein Mittel zu wissen, und wer weiß, was noch mehr, das verborgener ist?
An einem unglücklichen Sonntage durchbrach der Damm. Simmen besuchte früh an demselben den Gottesdienst in der Stadt, und man will bemerkt haben, daß er, wie es geschienen, einer ernsthaften Predigt, die ihn zum Nachdenken hätte bringen können, aufmerksam zugehöret habe. Den Nachmittag ging er über Feld, einiger Geschäfte wegen, und auch da noch einmal in die Kirche.
Am Abend kam er wieder nach Hause, und brachte noch einige Stunden bey einem Bekannten in der Nachbarschaft zu, wie ich glaube, den Gedanken, mit denen er sich trug, und wie ich vermuthe, wohl selbst noch seinem Vorhaben zu entgehen; denn es zog ihn wohl das innere Gefühl noch immer zurück. Aber sein Herz hing schon zu sehr auf die böse Seite, und wandte nicht mehr Ernst und Kraft genug an, zu widerstehen. Er klagte beym Weggehen von seinem Besuch und bey seiner Wiederkunft zu Hause, daß ihm nicht recht wohl sei, [50]und ging, zu seinem Verderben, auf das zweite Stockwerk allein zu schlafen. Der Vorsatz, die Mordthat zu verüben, drang sich immer mehr in seiner Seele vor; er faßte den Entschluß, und machte Anstalten dazu, doch alles noch mit innerlichem Widerspruch und Widerstreben. Er gerieth darüber in einen Schlummer, fuhr aber aus denselben, wie er erzählte, gegen 11 Uhr, plötzlich und voll von einer Wuth auf, die ihn so gedrängt, daß er sich nicht zu helfen gewußt hätte, und wie verdüstert zu der Ausführung fortgegangen sei.
Anderthalb Stunden brauchte der Unglückliche, nach seinem eigenen Bekenntniß, zu einem ihm höchstbekannten Wege, von einer kleinen halben Stunde; ein Umstand, der nicht zu erklären steht, wenn wir uns nicht vorstellen, daß ihn der Sturm seiner Affekten und der Kampf in seiner Seele mehrmals aufgehalten und zum Stillstehn gebracht habe. So fehlte es ihm nicht an Erinnerungen; so war es noch möglich, daß er in sich und zurücke gieng! Ich kann es ihm glauben, was er erzählt, daß, ob er gleich die Absicht gehabt habe, seinen Schwager und seine Schwägerin, aber nicht ihr unschuldiges Kind, zu ermorden, er es doch immer noch dabei auf ein Ungefähr habe ankommen lassen. »Ich würde, sagte er selbst, wenigstens dießmal, vielleicht aber auch aufs künftige mich bedacht haben, und von meinem Vorhaben abgestanden seyn, wenn mir jemand beim Weggehen aus meinem Hause, oder ein Wächter [51]auf der Straße begegnet wäre, oder ich bei der Einlassung in das Mordhaus, einige Schwürigkeiten gefunden hätte.«
Simmen taumelte aber nun dahin, wo er das Verbrechen begehen wollte, so schwankend, so verdüstert, wie schon gedacht; er fand noch Licht im Hause, und klopfte, wie er es erzählte, leise an; also noch als ein Mensch, der nicht das unerschrockene Herz hatte, das zu thun, was er doch gleich that.
Seine Schwägerin sahe heraus, frug ihn, auf seinen Gruß und Bitte eingelassen zu werden, wo er so spät herkomme? glaubte seinem Vorwande, über Feld herzukommen, ließ ihn ein, und führte ihn in die Stube, wo er seinen spät heimgekommenen Schwager im Bette, wie man sagt, etwas berauscht, aber noch nicht völlig eingeschlafen fand. Also alles so leicht, so bequem! Nun ward sein Entschluß vest!
Simmen ward von seiner Schwägerin willig und freundlich aufgenommen; bei allen vorgegangenen Zwistigkeiten, ja, wie man sagt, nach einer vorher geäußerten außerordentlichen Aengstlichkeit, läßt sie ihn ein, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß sie einen Erbitterten einlasse, der mit Hülfe der Nacht, ihr Mörder werden könnte; noch mehr, sie bietet ihm zu essen an, und nimmt ein Licht um ihn noch um Mitternacht Sauerkraut (oder Kohl) aus dem Keller zu holen, wovon er, wie sie wußte, ein Liebhaber war.
[52]Die unglückliche Schwägerin nimmt also das Licht, und gehet in den Keller, um dieses Kraut zu holen: der unempfindliche Mörder legt bald darauf seine eben angebrannte Tabackspfeife wieder hin, und schleicht ihr nach, nimmt ihr das geholte Sauerkraut ab, das sich auch nachher noch in der Stube fand, giebt ihr aber zugleich unversehens mit einem dazu mitgenommenen und unter dem Rock verborgenen Knittel, nach seinem Angeben eine Elle lang, und fünf Finger dick, noch in dem Keller, als sie eben im Begriff ist, wieder heraufzugehen, auf der untersten Stufe einen schweren Schlag auf den Kopf. Sie behielt noch soviel Bewußtsein, daß sie ihm zuruft, warum er das an ihr thue? aber weder die Wuth, noch die einmal gewagten argen Vorschritte, liessen ihn zurückgehn. Er giebt ihr noch einige Schläge, und da sie noch immer winselt, nimmt er sein gewöhnliches schlechtes Taschenmesser, und giebt, wie er erzählte, um ihr von ihrer Quaal zu helfen, ihr noch einige Stiche und Schnitte, das er selbst im Dunkeln, weil das Licht ausgegangen gewesen, nicht hätte unterscheiden können; verläßt darauf den Keller, ungewiß, ob sie ganz todt sey; sieht auch weiter nicht nach ihr, sondern legt nur, als er wieder aus dem Hause gieng, den Keller zu. Bei der Sektion haben sich Wunden, theils vom Schlag, theils vom Messer gefunden, davon 2 für schlechterdings tödtlich erkannt sind, ihr Blut aber war bis 6 Schuh weit von ihr gesprungen. Sie zu ermorden hatte er den [53]Vorsatz später gefaßt, und daher nichts Bedrohliches sich gegen sie verlauten lassen. Zur Ursache hat er angegeben, weil sie ihn und seine Frau vielmals sehr arg und empfindlich geschimpft, diese auch sogar vor kurzem sehr geschlagen habe; auch den Antheil, den sie an der Verweigerung des Vorschusses hatte, den ihr Mann kurz vorher dem Erbitterten versprochen gehabt, gehört wohl mit zu diesen Ursachen.
Nach Verübung dieser Grausamkeit gieng Simmen wieder in die Stube, fand seinen Schwager im Bette unterdessen eingeschlafen, und gab ihm 2 bis 3 Schläge auf den Kopf, so daß derselbe keinen Laut mehr von sich gegeben haben, sondern auf einmal, ohne einige starke Bewegung, erstarrt liegen geblieben seyn soll. Es war auch die halbe Hirnschale entzwei und das Gehirn selbst hineingedrungen, auch das rechte Ohr von einander geschlagen, doch gab er noch bis in den andern Tag hinein, obgleich sinnlos, einige Kennzeichen des Lebens.
Nach Simmens Aussage, geschah es bei dem zweiten Schlage, der den Vater traf, und deswegen auch seine meiste Kraft verlohren hatte, daß das Schmidtische vierjährige Kind, welches beim Vater im Bette lag, und der Thäter vorher nicht bemerket haben will, sich in die Höhe richtete, und mit von eben dem Schlage auf den Kopf getroffen ward, welches er denn, bevor er aus dem Hause gegangen, noch mit einem Kissen zugedeckt haben will, das aber nachmals nach des Vaters Füssen zu, auf dem Gesichte [54]liegend, mit noch wenigen Kennzeichen des Lebens gefunden ward. Sein ganzer Kopf, wie sichs bei der Besichtigung zeigte, war voll Contusionen, die Häute desselben wie Schwamm anzufühlen, und die Augen mit Blut unterlaufen, so daß die Vermuthung veranlasset werden wollen, die doch der Mörder nicht auf sich kommen lassen, es müsse grausamerweise wider die Wand geschlagen sein.
Eine ältere Tochter des Erschlagenen schlief indessen auf einer andern Kammer, und hörte von dem allen nichts. Simmen konnte deswegen, nach verübten Verbrechen, unbemerkt aus dem Hause gehn; das that er aber erst, nachdem er vorhero aus der Weste des sinnlosliegenden Mannes, den Schlüssel zu dessen Geldschränkgen gezogen, und aus demselben das darin vorräthige Geld, nach seiner Aussage, beinahe ein Dutzend Thaler, weiter aber nichts, genommen hatte.
(Der Beschluß künftig)
a:
Eigtl. Johann Herrmann Simmen, der wegen Mordes hingerichtet wurde. Seine Biographie, Stuss 1782, war ein Versuch seine Verbrechen aus seinen Gesichtszügen und aus seinen Lebensumständen zu erklären.
Vgl. auch Pockels' Beitrag im 1. St. des VII. Bd. und Moritz' Kommentar (MzE VII,2,8).
b: Alte Form für 'Entlassung' (DWb Bd. 3, Sp. 890).
c: Schwert (DWb Bd. 13, Sp. 1412).
d: Die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen oder Generalstaaten war ein Bündnis eigenständiger Staaten auf dem Gebiet der nördlichen Niederlande.
e: Dieser Vertrag beendete am 18. Oktober 1748 den Österreichischen Erbfolgekrieg. Die letzte Schlacht war die Schlacht bei Lauffeldt, am 2. Juli 1747.
f: Siebenjähriger Krieg, 1756-1763.
g:
Eine Kavallerieregiment, von Friedrich dem
Großen zur Verstärkung der Truppen in Sachsen aufgestellt. Major von Belling wurde zum Oberstleutnant befördet und zum Kommandeur ernannt.
h:
Bellings sogenannte 'schwarze Husaren' spielten eine wichtige Rolle
in diesem Krieg, vgl. die zeitgenössiche Würdigung in König 1788, Bd. 1, S. 116-119 und ADB https://www.deutsche-biographie.de/gnd102530726.html#adbcontent.
i:
Die Schlacht bei Freiberg in Sachsen am 29. Oktober 1762 war das letzte große Gefecht im Siebenjährigen Krieg. Die Preußen unter Prinz Heinrich erlangten den Sieg.
j: Das Heilige Römische Reich erklärte am 17. Januar 1757 Preußen den Krieg als Reaktion auf dessen Angriff auf Sachsen.
k: ranzionieren: Kriegsgefangene durch Loskauf oder Austausch befreien (Adelung 1811, Bd. 4, Sp. 935).
l: Friedensvertrag, der den siebenjährigen Krieg beendete, am 15. Februar 1763 von Preußen, Sachsen und Österreich unterschrieben.
m: Der siebenjährige Krieg hinterließ eine wirtschaftliche Katastrophe. Hohe Getreidepreise trieben viele in den Hungersnot.