Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn
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Ach wäre ich, wie vom Geize, also eben so frey von verdienten Vorwürfen unsittlicher Würkung des beim Widerspruche ruhmredigen Kraftgefühls, welches wahrlich den Stärksten schwächt; und des übertriebnen Grams, wenn gemeinnützige Anschläge mißlingen; und des kurzen aber heftigen Zorns gegen Widersacher, wenn die Stärke des Getränks mit dem Grame wirkt; und von den Vorwürfen der Ungezogenheit, die in solchem Zustande, auch wohl in der seltnen Fröhlichkeit, deutlich zeiget, daß sich in dem Gegentheile aller Arten der guten Erziehung [35]aufgewachsen, und daß mein bischen Politur ein zu spätes Kunstwerk sey.
Wäre dieses Schicksal nicht so wirksam durchs ganze Leben; was hätten wir denn Wahres zu reden von dem so hohen Wehrte eines philanthropisirenden, und also unsers, Institutes?
Ach wäre ich so frey von Vorwürfen des Spiels zu gewissen Zeiten, welches von jeher, bald mehr bald weniger meine einzige Zerstreuung war; da nur ein Zehntel der Natur in meine von Jugend auf schwache Augen fällt, da die Tonkunst mir fremd geblieben ist, und da nur wenige Arten von gesellschaftlichen Gesprächen mich unterhalten, nehmlich solche, wodurch ich merklich lernen oder merklich lehren kann. Die von der ersten Art aber sind in meinem Alter schwer zu finden; die von der andern Art werden meinen Gesellschaftern bald unangenehm.
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Ich muß, (so ist meine Natur und Verwöhnung,) wenn mir etwas gelingen soll, nicht anders arbeiten, als mit einer ausserordentlichen Anstrengung und Ausdaurung, welche zuweilen fast allen Schlaf hindert. Sonst verliere ich gar leicht den Faden in dem Labyrinthe, in welches ich, als ein Erfinder und Beurtheiler der Wahrheiten und vornehmlich der Methoden und Lehrmittel, mich hineinbegeben habe.
[36]Dadurch verfalle ich denn endlich in einen Zustand, daß ich eine Vernichtung aller Geisteskräfte, sogar der Vernunft, befürchten muß, wenn ich mich nicht auf eine Zeitlang, gleichsam mit Gewalt, loßreiße und zerstreue, und gewisser Besorgnisse wegen, zuweilen ausser Hauses. Eben die Wirkung hat der Anfall des starken Grams.
Und, o Gott, du weißt es, wie selten ich seit einigen Jahren in Dessau von der Uebermacht desselben befreit gewesen bin, seitdem ich dem Lande habe dienen, und ein Philanthropin stiften wollen, wovon ein guter Rest nachgeblieben ist! Trinke ich nun in einem solchen Zustande keinen Wein, oder höchst wenig, so werden meine, entweder zu arbeitsamen oder zu kummervollen Grübeleien nicht unterbrochen, und so bleibe ich in Gefahr, gänzlich zu erliegen, davon ich den Anfang sehr trauriger Wirkungen zuweilen schon erlebt habe.
Ich kenne in der Mischung dieses Lichts und Schattens meines Gleichen nicht. Vielleicht liegt eine natürliche Ursache darinnen, daß mich ein ausserordentlich lebhafter Vater gezeugt, und eine mehrentheils bis zum Wahnsinne melancholische Mutter geboren hat.
In diesem Zustande kann ich nun schlechterdings nicht vorher errathen, wie viel oder wenig mir diene. Wirkt ein unvermuthetes Erinnerungsmittel einer Kette von Ursachen des Grams, so [37]scheint sich, wenn ich auch fernerhin Wasser trinke, (besonders wenn ich zum verdrüßlichen Reden veranlaßt werde,) die Kraft des schon getrunknen Weins zu vervielfachen. Ich rede erst wahr und derb, dann wahr und unvorsichtig, dann wahr und unsittlich, weil ich bis ins achtzehnte Jahr unter lauter sehr gemeinen Leuten, durch schlechte Redensarten, erzogen bin, und also, wenn ich die Feder nicht in der Hand habe, jeder unbesonnene Affekt mich in diese ungeschlifne Sprache wieder zurückführt.
Daher wähle ich zuweilen, wenn Gelegenheit ohne mich da ist, in solchem Drange meiner Gedankennoth, lieber ein, die Aufmerksamkeit erzwingendes, Spiel, als den Wein. Wenn ich aber nicht entweder zur Verbesserung der Wissenschaften, oder im Grame grüble; alsdann, und also gemeiniglich, lebe ich höchst ordentlich und enthaltsam von Wein und Spiel.