ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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3.

Fragmente aus dem Tagebuche Weilers.

— — — l

am 26. Mai.

Sie liebt mich gewiß, gewiß! Warum sollte auch mir ein Geschöpf in der Welt Liebe lügen? — Aber was ist das, daß ich doch nicht so recht in dieser Ueberzeugung ruhig bin? Was will ich von ihr? Freilich hat sie einen Geist zur Intrigue der mir — sonst sehr willkommen gewesen wäre — und jetzt! — Warum kann man nicht immer derselbe seyn? Und wie könnte sie, auf der andern Seite mir das seyn, was sie ist, ohne diesen Geist? Würde sie es denn wagen mich Nächte durch in ihrem Schlafzimmer zu haben, wo ihre beiden kleinen Geschwister schlafen, indessen wir am Tisch sitzen und lesen und küssen? — Aber das sollte sie nur mir seyn? — Ha Teufel! da sitzts. Ich liebe sie unaussprechlich, und wenn es möglich ist, daß ich noch einst zu einer ruhigen bürgerlichen Glückseligkeit gelange, so muß Sie mein Weib seyn. Ja! und mein Weib eben muß auch fähig seyn, so wie ich, der Konvenienz und aller Zucht und Sitte einen Seitenstoß zu geben um der Liebe willen. Aber gleichwohl — bin ich nicht toll? — nur mir, nur mir!

Jetzt überfällt mich der Gedanke, daß Sie mir vielleicht nicht beschieden wäre, mit einer Angst, [86]wovor ich mich nicht zu retten weiß. Neulich trieb mirs Thränen in die Augen, ich mußte niederfallen. Gieb mir Sie, du Unbegreiflicher, sagt' ich, vor dem allein mein Geist sich beugt! Gieb mir Sie endlich endlich nur, nach allen ausgeprüften Quaalen, Sie! — Ich gelobte bis dahin nie nach dem letzten Genuß der Liebe zu streben. Du kennst mich, sagt' ich, mehr Tugend hab' ich nicht, wenn vor dir Entbehrung Tugend ist, mehr hab' ich nicht, als um Sie allen Freuden des Lebens abzusagen, um sie mich auf dies Endlich meines Lebens aufzusparen, zu schmachten und zu kämpfen.

Kann ich mit Gott anders reden als ich denke und empfinde, wenn ich nicht rasen, wenn ich die Würkung des Gebets — Vertrauen und neuen Muth an mir erfahren will? Soll ich dem Allwissenden mehr versprechen als ich zu halten weiß? — Und doch kömmt dies Wesen: reine Tugend, immer wieder hervor. Ich will schwören, daß ich nicht weiß, was das ist: reine Tugend, und doch ist mirs immer als müßt' ich ein ewiger harmvoller Zweifler bleiben, ohne sie, als wolle man mir nicht eher, auch nur Gehör, geben, bis ich mit ihr bekannt in ihrem Namen bitten könnte. Wunderbares Chaos in mir! Welches Schöpfer-Wort wird all das ordnen? — Ich müßte auch Ludwinen wegdenken können, und denn doch glücklich zu seyn begehren können! — Ach Mensch! das, worauf du so stolz bist, was dich so zum Ty-[87]rannen der Dinge macht, — Deine Menschheit, giebt dir hienieden nur das Recht, auf eine ganz eigene Art unglücklich zu seyn. Du bist keine für sich bestehende Gattung, nur ein zweideutiger, in ewigem räthselhaften Streit befangener Uebergang, der bald auf diese bald auf jene Seite von unbekannten Kräften, wie von einem bösen Zauberer, getrieben, steter Unruhe, steter Zweifel, flüchtiger, eilender Raub ist. Ahndung, ähnlich göttlicher Vernunft, hebt dich bald hinan zu deiner Vollendung, bald stürzest du dich wieder hinab in deine thierische Masse, die wie ein giftiger Zusatz, sprudelt und gährt, und alles, was gut und edel ist in Dir, verzehrt.

Ja meine Forderungen an Sie sind seltsam! Sie soll frei denken, verbuhlt seyn, kokett, und doch — treu, mir treu, all das nur mir! Ach ich fürchte Sie erfüllt meine erste Forderung ganz, und — sagt meine kalte richtige Vernunft, — und folglich die letzte gar nicht, und daß Sie das so kalt und richtig sagen darf, macht mich rasend.

Gestern als wir, uns wechselseitig umschlungen, da saßen, und ich ihr im Yorick vorlas, und einmal im Affekt ein wenig lauter ward als gewöhnlich, erwachte Ihr jüngerer Bruder, und richtete sich in die Höhe. Ohne sich zu bedenken warf Sie ganz gelassen einen Mantel um mich, und blieb ruhig wie zuvor. Er wird mich doch nicht erkannt haben? sagt' ich, als er wieder eingeschlafen war. O nein, [88]antwortete Sie, er hält Dich für die Anne, die zuweilen noch spät dasitzt und neht. Neulich erzählt' er zwar bei Tisch, es wäre ein Dieb in der Stube gewesen, und hätte die Ludwine wollen todt machen, und da meint' er Dich, Du Küßdieb, man lachte aber über seine Träume, und nun mag er erzählen, was er will, sag' ich: er hat geträumt.

Aber wenn Deine Mutter denn doch einmal aufmerksam würde?

Meinst Du Sie höre die Kinder an? Mit Ihr darf keins ohne besondere Erlaubniß sprechen.

Aber, gesetzt nun, Sie belauschte uns einmal, Himmel! überraschte uns?

Hm! Vorm Ueberraschen sind wir sicher, die Thür ist verriegelt, und kömmt Sie herein — nun so wirst Du Dir ja wohl ein Viertelstündchen einen unbequemen Aufenthalt gefallen lassen? für das übrige sorg' ich denn. —

Ich saß da, und sah lange gerade vor mich hinaus, bis Sie mich erinnerte, weiter zu lesen. Himmel! wenn Sie all das um meinetwillen wäre, mit alle dem Mein, nur mein! Ich zittere die Worte auszusprechen: wer darf das erwarten? Und doch — Ach Himmel hilf mir!

am 3. Junius.

Ich lebe und denke und bin nur in ihr, aber glücklich ist darum meine Existenz immer nicht. O [89]diese Variete, dies Gefühl, diese Schwärmerei, und dann diese entzückende Koketterie, die Sie mir so begehrenswerth macht, ist mir eine Quelle ewiger Unruhe.

Gestern schlugs 12 Uhr als ich bei Ihr war. Nun laß uns einmal, sagte Sie, von heute bis morgen küssen! Und so hieng ich, bis alle Schläge geschehen waren, in einem Kuß an ihr. Ach! die Begierde wollte mir die Kehle zuschnüren, und noch treibt die Idee, von heute bis morgen Sie küssen, Sie genießen, das Blut wie Feuer durch meine Adern. O Mädchen! Mädchen!

am 4. Junius.

Ich konnte diese Nacht nicht schlafen, es ward mir so heiß, so ungeduldig im Bett, ich stand also, es mochte etwa 2 Uhr seyn, auf und gieng in das Bad, und kühlte mich ab, und schwamm mich müde in dem Fluß, darauf erstieg ich den Elsberg, und legte mich da unter einen duftenden Nußbaum, der Länge lang ins Gras, wo ich bald süß einschlief. Es dämmerte kaum ein wenig, als ich mich hinlegte, und als ich erwachte, mit dem herrlichen Wohlseyn das einem das Flußbad und die Bergluft giebt — Gott! — wer das sagen könnte! Eben gieng die Sonne auf. Jeder Ausdruck ist da Stümper Pinselei. Aus mir riefs laut: Lobt den Herrn! und so sang ich das ganze hohe Lied nach der herr-[90]lichen Rollischen Melodie. Ich hätte nur noch Löwen und aller Thiere frolockend Gebrüll da um mich haben mögen, und so im vollen Chor hinauf jubeln: Lobt den Herrn! — So war Adams erstes Erwachen! — O Vater! warum dürfen wir nicht immer so an dem Busen der Natur liegen, und deine Herrlichkeit einschlürfen, und im Genuß unsrer Menschheit glücklich seyn? — — Es war eine selige, selige Stunde meines Lebens. Ich fühlte, daß mein Herz noch des Glücks der Unschuld fähig sey. Thoren, die wir sind, sagt' ich, keiner ist, der nicht in seinem Herzen die Tugend ehren müsse, auch in seiner schmerzendsten Stunde, keiner der nicht fühlt: Das ist Tugend und dies Laster, so gut wie das Schöne und das Häßliche, und doch thun wir als sey Sie uns wildfremd, weil unsere Vernunft ihr Wesen nicht begreift, so wenig, wie das Gesetz der Schönheit, verhärten uns gegen Sie, als sey Sie unsere Feindin, und setzen Ihr elende Chikanen des Verstandes entgegen, indessen Sie ganz allein auf unser Herz Ansprüche macht. Nein! Nein dieses Gefühl, das sich jetzt so selig über mich ergießt, will ich heilig bewahren, und wenn meine berauschte Sinne mir es rauben wollen, dann will ich diese Stunde meiner Seele zurückrufen, und hier die Wahrheit wieder finden. — Gott! und wenn Sie mich liebt, dann soll Sie auf diesem Wege zur stillen kindlichen Glückseligkeit meine Gefährtin seyn. Ich will zu Ihr sprechen [91]mit dem Ausdruck all meiner Liebe, jener Liebe, die jetzt, wo all das geschwunden ist, was mich so oft in einem Wirbel von Sinnengelüste umtrieb, noch jenen Stempel der Gottheit, jene allrührende Schönheit, die Schwester der Tugend, in ihr erkannt, und nach inniger Vereinigung, dem ewigen Trieb der Geister gegen einander, strebt. Ich will den Adel ihrer Seele wecken, jene Einfalt und Hoheit, die Ihr so eigen ist, zum moralischen Gefühl in ihr erhöhen. Ich will Ihre Knie umfassen und Sie bitten, der Engel meines Lebens zu seyn, mit mir, Hand in Hand, den heitern Unschuldsweg zu wandeln, mit Ihr vereint mich bestreben, gut zu seyn. Mit Ihr? Welch' eine Seligkeit! Und welch süßer Lohn wartet unser, wenn wir ausgedauert haben in fester Treue. Gott! Laß mir diese Seligkeit, laß mich Sie verringen! —

Heute werd' ich wieder bei Ihr seyn, o wie klopft mein Herz, Ihr all das mitzutheilen! Ludwine! — O sieh! Es ist kein Falsch in mir! Um meiner Liebe willen, Ludwine, die für Dich alles leiden alles dulden, alles unternehmen will, die gern für Dich starb, wenn Du Ihr nur noch in der letzten Zuckung des Todes lächeltest, Ludwine, o sey mir gut! Sey mir treu! —

[92]

am ***

Heute kann Sie mich nicht sehen, schreibt Sie — o das ist entsetzlich hart! Warum nun gerade heute nicht? Es ist doch rasend! Und morgen auch nicht; denn Ihre Mutter wird morgen eben so wenig in ihrem frisch angestrichenen Zimmer schlafen. — Ich möchte zerspringen und kann mich nicht mittheilen. Schreiben? Ach was sind todte Buchstaben! und überhaupt hass' ich die Briefe, sie verriethen mich schon einmal schändlich.

Nein es ist unbegreiflich! Just heute kann Sie mich nicht sehen! Was tritt da für ein Damm zwischen uns? — Aber ich will ausharren, warlich ich will!

am 13. Junius.

Ich bin unterdessen wieder beim Hofrath Engel gewesen, er war allein, und freute sich, daß ich kam. Ich sagte ihm, daß ich entschlossen sey, meine mathematischen und kameralistischen Wissenschaften fortzusetzen, und überhaupt einen Plan meines Lebens gemacht habe, der vielleicht seinen Beifall erhalten würde. Nur, sagt' ich, wissen Sie, wo mir es fehlt. Ich habe wenig oder gar kein Geld von Haus zu erwarten, wüßten Sie für diesen Umstand ein Auskunftsmittel, so wär' es möglich, daß ich noch einst ein glücklicher Bürger werden könnte. Er sprang voller Freude auf und [93]küßte mich, und seine Augen waren feucht, sagte, daß er oft an mich gedacht, daß es ihn oft bekümmert habe, daß meine Talente so in Unmuth hinsterben sollten, und heute besonders sey ich ihm nicht aus dem Sinn gekommen.

Er that darauf Vorschläge, wie er mich wieder mit meinen Verwandten aussöhnen wolle, die ich aber alle verwarf. Nein, es ist mir nicht möglich von diesen Menschen Wohlthaten anzunehmen! Er schien das zu begreifen — Wissen Sie was? sagt er, wollen Sie übersetzen, so will ich Ihnen einen Verleger schaffen, und ich steh' Ihnen für eine ziemliche Einnahme. Er erzählte mir dann, daß er von einem Leipziger Buchhändler Auftrag erhalten habe, einige Italienische Werke zu übersetzen, der ihm für den Bogen zwei Thaler geboten habe. Er könne diese Arbeit wegen seiner andern Geschäfte nicht wohl übernehmen, und da ich ohne dies der Italienischen Sprache noch mächtiger sey, als er selbst, so wisse er mir gar keinen bessern Vorschlag zu thun.

Ich sagte mit Freuden Ja! und er freute sich fast kindisch, daß er mir helfen konnte.

Guter Gott! Nun bin ich ja wieder ganz ganz glücklich! Welch ein süßer Friede in meiner Brust! — Nun will ich arbeiten und nichts mehr hören und sehen und wissen als meine Arbeit und meine Wissenschaften, und — meine Erholung, meine Freude ist Sie dann, und nur Sie. Was [94]bedarf ich jetzt noch! Ich bin überschwenglich glücklich. Oft wenn ich so vor mir hinsehe, so treten mir Thränen in die Augen, ohne daß ich sagen kann warum? und meine Hände falten sich unwillkührlich. — In meinem kleinen netten Stübchen mit meinen Büchern allein, von niemand getrennt noch gestört, verdien' ich mir mit Seelenruhe ehrlich mein Brod, und sammle mir Kenntnisse, die mich einst, — guter Gott! — die mich einst würdig machen, um ihre Hand zu werben; und Abends, wenn ich mich müde geschrieben und gelesen habe, wenn nun mein Herz auch Nahrung heischt, dann schleich' ich zu Ihr, zu meiner meiner Ludwine, die mir einen Himmel in die Brust küßt, und schlafe dann ruhig in sanfter seliger Fantasie ein, bis mich ein neuer glücklicher Tag weckt. — Ach Gott! Laß mir das alles! Laß mich nicht wieder sinken mein Vater!

O ich muß hinaus ins Freie! Hier erstickt mich das Gefühl meiner Seligkeit.

am 22. Junius.

Ja! es ist mir ganz wohl. Ich fühle daß ich lebe, alle meine Kräfte sind in Thätigkeit, und gewähren mir Freude an mir selbst und inniges Wohlseyn. Auch — sonderbar! — seit gestern fängt mir meine Vergangenheit wieder an lieb zu werden. W*** und G*** — Orte wo ich [95]freilich ruhig nie war, aber doch manchen Freudenrausch, so wie manche herbe Stunde verlebte, stellten sich bisher meiner Fantasie immer nur im Nebel dar, ich konnte sie mir nicht anders als im Winter denken. Jetzt erscheinen Sie mir wieder im lieblichen sanften Lichte. Ich denke gern an alle die einzelnen Plätze zurück wo ich war, und, einerlei, ob ich damals eben glücklich war oder nicht, in meiner Rückerinnerung ist nun alles lieb und schön, alles wehmüthig — wohlthuendes Denkmal. Wie wahr! was irgendwo*) 1 steht: Den Liebenden ist alles besser wie zuvor, Sie sehen alles in den besten Jahreszeiten, alles im Junius.

am 18. Julius.

Ha! Nun war ich ja bei Ihr! Warum sagt' ich dann nichts von all den schönen Sachen, die ich mir ausgedacht hatte? — O gestehe dies nur, armseliger Tropf, weil sie ein dünnes weißes Neglige anhatte, Du alle Ihre Reize warm und lebendig mit deinen Armen umfangen fühltest, Du nichts mehr sahst als diese regen quellenden Schenkel, um die ein dünnes Röckchen schmeichelnd floß, als diesen Busen der sich öfnete, um zwischen den [96]weißen Hügeln, die eine Schwindeltiefe von Wollust errathen zu lassen, weil Ihr Kuß, Ihr himmelwärts hinsterbendes Auge Dich an das letzte Entseelen der Wonne erinnerte, weil Du schon Plane machtest die jenes Gespräch würden zerstört haben, weil Du befürchtetest Dich bei dem muthwilligen schäkernden liebefordernden Mädchen lächerlich zu machen. — Ja das wars, Elender! Freilich schickte Sie Dich diesmal bald fort, aber waren Deine Vorsätze nicht schon rein geschwunden? Würdest Du das Wort — Tugend haben vor Ihr aussprechen können? O warlich nicht! Ein Antrag ganz anderer Art brannte aus Deinen Augen, dehnte Deinen Arm so begehrlich um ihre runden Hüften herum. Schien Sie nicht eben deswegen Dich wegzuschicken, weil Sie etwas Entehrendes in Deinen langen schwebenden Seufzern ahndete! O Himmel! — Aber was ist Sie auch für ein Mädchen? Ihren Reiz und ihre Koketterie beschreibt kein Ausdruck. Das ist mehr als ich tragen kann.

Und doch wollt' ich immer noch anfangen, doch glaub' ich immer noch, daß ich Sie blos zu früh verlassen mußte. Ich hätte doch einen Eingang machen müssen, und der wollte sich immer gar nicht finden.

Ach ich bin schon wieder viel schlechter, viel unruhiger und wilder geworden! —

[97]

Das Nächstemal? — Ja! und wenn Sie nun das Nächstemal wieder so wäre? würd' ichs dann wagen können Ihr so Etwas zu sagen, was nothwendig einen Tadel eben Ihres augenblicklichen Betragens enthalten muß, das doch so lieb ist? — was Sie beleidigen würde, mich von ihr entfernen — verstecken! Himmel wie könnt' ich das ertragen!

Und doch — ja, noch einmal will ichs versuchen, will ein fester unerschütterlicher Mann seyn. Aber vorher muß ich mich erst besser auf alle denkbare Fälle vorbereiten, und, vor allen Dingen Sie schlechterdings nicht vorher umarmen und küssen. Dazu ist meine Tugend noch zu neu und weich. An wen Sie wohl schreiben wollte? so in der Nacht! Ich hätte fragen sollen, und, in der That schien Sie blos meine Frage zu erwarten, aber, der Teufel weiß, ich war so von mir, so verblüft! Sie sagte, dies sey allemal Ihr Brieftag; also eine ordentliche Korrespondenz? — Neue Unruhen! Wenn Sie nun noch immer an den schrieb, dessen Briefe der Herr von B** in Händen gehabt hat! — Ach daß ich mir nicht treu blieb, ihr nicht sagte was ich wollte! Jetzt wär' ich — — wenigstens im Reinen. Nun sitz' ich da und schlage mich mit tausend Grillen herum. Ach Mädchen, warum bist Du nun gerade so, um zu entzücken und zu quälen? —

[98]

am 30. Julius.

Verlobt! Nein! Nein! Nein! Das ist eine infame Lüge. Sie kann nicht verlobt seyn, das ist so ein gewöhnliches Altweibergewäsch. Sie kann ihn ja wohl gekannt, auch wohl geliebt haben, aber seine Verlobte? — Nein, das wird sie nicht seyn, das kann sie nicht seyn! Nein, Teufel, Nein! — Wie könnte sie mich so heiß küssen, sich mir so hingeben? Was hätte sie mit mir vor? Und doch — sagt' er nicht auch, ihre Mutter wisse darum, und sie wechselten noch immer Briefe? Wenn es nicht wahr ist, so helfe Dir Gott, Schwätzer!

Es ist um rasend zu werden, blos um mich zu unterhalten, weil er sieht, daß mich sein Besuch und seine tausend und eine Stadtneuigkeiten immer mehr erschlaffen, daß ich vor Gähnen mich nicht mehr zu lassen weiß, fängt er vom Rath und der Räthin und von Ihr ein trostloses Geschwätz an, und würde mich toll geplaudert haben, wenn ich nicht mit Gewalt abgebrochen hätte.

Ist man nicht ein Sklav, daß man sich solche unerträgliche Besuche muß gefallen lassen? Einen Dieb der mir mein Geld stielt, darf ich, nach Befinden auf der That umbringen, und wenns solch' einem Distelkopfe einfällt, mir alles, was mir für den Augenblick schätzbar ist, meine Zeit und meine [99]gute Laune zu rauben, so muß ich dabey sitzen und still halten! Die Leute müssen sehr verlegen seyn wie sie ihre Zeit unterbringen wollen. Ich wüßte nicht, wie mirs einfallen könnte, einen Menschen, den ich einmal am dritten Orte gesehn hätte, nun gleich zu besuchen. Aber kömmst Du mir nur wieder in den Wurf, ich will Dir das Besuchen wohl abgewöhnen, verdammter Schwätzer, der mich um all meinen Frieden geschwätzt hat! — Wissen muß ich was an der Sache ist, es gehe dann wie es will! Und — Nein! so entsetzlich lügen wird sie nicht, wenn ich sie frage. Was könnte sie davon haben? Nein sie wird nicht so entsetzlich lügen.

am 5. August.

Alles ist aus — und ich bin verloren! Gute Nacht auf ewig aller Friede meiner Seele! O eine Legion Teufel wohnen wieder in meiner Brust! Nein, es ist unmöglich, ich kann dies Leben nicht ertragen! Nur in dem Gedanken liegt mir noch Beruhigung, daß ich es abschütteln kann und will. Was soll ich hier? Ich bin ein Fremdling den alles anfeindet — hämisch — teuflisch! — Nicht die Menschen — o! da handelt am Ende ein jeder nach seiner Konvenienz, was können Sie dazu daß ich just überzählig bin, nirgends hin passe? — [100]Hm! Man erzählt von einem Kaiser, der ein majestätisches Vergnügen daran fand, arme Leute auszuhungern, die er dann mit einemmale an eine, mit köstlichen Gerichten besetzte Tafel führen ließ. Reizende Gerüche von allerley Speisen dufteten in ihre Nasen, ihre Eßlust stieg aufs höchste, sie fielen heißhungrig über die Speisen her, und fanden sie — künstlich von Gyps gebildet. Der kaiserliche Teufel lachte, und fand den Spas allerliebst, und die Bettler fielen ohnmächtig zu Boden, und das Lustspiel war aus. — O ihr Leute! hattet ihr denn nicht mehr Tugend, als das Leben aus lauter Appetit zu verlieren? Arme Schufte! Es war ja nur zum Spas.

Wer nur mitlachen könnte! Ich denke mir so eine Laune als möglich. Wenn ich noch einen wüßte mit dem das Schicksal auch so, wie die Katze mit der Maus gespielt hätte, ich wollte mich und ihn todt lachen!

O Ihr mach' ich ja keine Vorwürfe: was weiß sie davon, was in mir vorgeht? sie lebt ihren Grundsätzen treu, — Grundsätze die ich ja schon so lange bei einem weiblichen Wesen gesucht habe, und jetzt — machen sie mich sinnlos. —

Ich stand wie einer, neben dem der Blitz eingeschlagen hat — lange war ich keiner Silbe fähig — endlich kam das Bange: Du hast einen Verlobten, und mich liebtest Du nicht? zitternd hervor. — O ja, sagte sie, ich liebe dich, und [101]jeden braven Burschen der hier — Sie zeugte aufs Herz, wohl beschaffen ist, der mit mir schwärmen, und lachen und empfinden kann.

Und Dein Verlobter? — Ich muß ausgesehen haben wie ein Esel, als ich dies sagte, denn sie konnte ein Lächeln, das mir ungefähr das sagte, nicht unterdrücken.

Mein Verlobter, versichr' ich dich, hat kein Aederchen von Eifersucht. Zum Beispiel, ich hab' ihm dich sehr empfohlen, und ich wünsche, daß ihr euch kennet und gute Freunde werden möget. Er ist lauter leichtes gutes Blut, das keine böse Laune zuläßt. Denn, Lieber, es ist eine pure Laune, ein verderblicher Eigensinn, die Eifersucht.

Also von Treue weißt du gar gar nichts? fragt' ich fast boshaft wie ein Kind.

Pfui, du mußt mich nicht so ausfragen! Mit einem Worte: Ich versprach ihm, nie mich einem andern zu verloben, und das will ich ihm treu halten. Dagegen macht' ich Verbannung aller Eifersucht zur Bedingung unsers Bundes. Sollt' es ihm einfallen böse Launen zu bekommen, so sind wir geschieden — Was starrst du so? —

O Mädchen! Du hast vielleicht recht, aber ich bin schrecklich elend!

[102]

Ihr seyd wunderliche Geschöpfe, ihr Männer, daß es euch so um unsere Freiheit zu thun ist. Sey kein Thor! Wenn es dich beruhigen kann, so wisse, daß — ich dich vielleicht noch mehr liebe als ihn, daß ich vielleicht nie heyrathen würde, wenn — Erlaß mir doch eine Beichte, und komm her und küß mich!

Sie strich mir die Haare von der Stirn, und lächelte mir ins Gesicht. — Ich küßte Sie, aber ich zitterte, wie einer, den das Fieber schüttelt. Leb wohl, sagt' ich, Deine Lebensweisheit hat ihre schwere Sätze, laß mir Zeit dich erst zu begreifen. Leb wohl! —

Komm bald wieder, sagte sie, und sey froh und heiter, und laß die Grillen fahren, und du bist mein lieber Adolf.

Ach, wie sie doch so gar nichts ahndet, was in mir vorgeht! Es wär ja sonst nicht möglich, daß sie so seyn könnte. Ja! und wenn ich sie anbetete, sie wie eine Gottheit um Erbarmen anflehte, und sie wär' auch des Erbarmens fähig, — was half mir all das? treu könnte sie doch nicht seyn. Treue ist eine Eigenschaft des Herzens, des Karakters, wie kann ich von ihr verlangen, was sie nun einmal nicht hat? Und dann, würd' ich Ausdruck für meinen Schmerz haben? Würd' ich sie überzeugen, daß ich ohne sie nicht leben könne? — Ach! ich fühls, meine Bestimmung ist — Opfer. Ich bin eng umschränkt, nur noch [103]ein Weg, ein finstrer, unbekannter Weg! — Ich gehe! —

am 17. August.

Nein, für den wahrhaft Unglücklichen giebts keinen Trost! Oder wollt ihr mich mit eurem: Es ist nun einmal nicht anders! trösten? Das ist dem müden Waller hienieden, was dem Ohnmächtigen ein Glas Wasser ins Gesicht gegossen. Er schreckt auf, und — lebt nun freilich fort, weil er muß. Muß! — Das ist ein unerträgliches empörendes Wort. Muß! Wenn ich nun auch müßte, müßte dieses mein quaalvolles Ich mit hinüberschleppen, durch alle Ewigkeit immer nur Ich seyn unzerstörbar — dieser meiner Existenz schlechterdings nicht entfliehen könnte? — Höllische Angst! Wer schloß mich in diesen fürchterlichen Zirkel? —

Sey es wie es will, ich will versuchen durchzubrechen. Und — wenn es nur dies wäre, nur diese eine tapfere Entschließung, und ich trat dann mit einemmale heraus aus meinem Kerker, in blumige Fluren einer bessern Welt! — Fänd meine Marie und meine Mutter meiner harrend, lächelnd, daß ich nun die kleine Angst dieses Lebens überstanden hätte? — Ja ich komme, ich komme!

[104]

am 29. August.

O ich rasender Thor! wie mir bey ihr auch nur die tolle Idee von Liebe und Treue, und Gott weiß, was noch vor schäfermäßige Dinge? in den Kopf kommen konnte! Ich begreife mich nicht. War sie nicht von allem Anfang ein verbuhltes begehrendes Mädchen? und ich seufze mich bald zum Heimchen. — Komm' ich heut Nacht spät nach Hause, und wie ich so ungefähr zehen Schritte vom Hause bin, hör' ich von innen an der Hausthüre arbeiten. Ich kehrte ins Dunkle; die Thür geht leise auf, und heraus tritt Einer in einem weißen Mantel, den ich sogleich vor jenen Schwätzer, den verdammten Siebold erkenne, und schlüpft geschwind hinüber in eine andere Gasse, indem sie ihm nachruft: Gute Nacht, lieber Junge! — Lieber Junge! wie unerträglich vertraulich!

Im ersten Gewirre meiner Empfindungen wollt' ich ihm nach, und ihm das Mahl gesegnen, die Betrachtung aber, daß ich denn doch immer die Rolle eines unglücklichen Nebenbuhlers spielen würde. Mein Gesicht! — Sein Spott würde mich zermalmt haben — kurz ich blieb, und hielt mich still, bis alles wieder ruhig war. Als ich in mein Zimmer kam, fand ich den Horaz auf meinem Tische aufgeschlagen, worinnen ich heute geblättert hatte, und mein Blick fiel gerade auf die Ode: Quis multa gratilis te puer in rosa u.s.w. Ich [105] las Sie durch und hub laut an zu lachen. — Ich ein Mondesritter! Ha! ha! ha! und gerade bey ihr. Wie lächerlich muß ich ihr oft gewesen seyn mit meinem Getändel! welche närrische Metamorphose ist mit mir vorgegangen! Sitze da Nächte lang bey einem glühenden nach Genuß schmachtenden Mädchen, die mich zum schönsten Siege einladet, — ein Seladon

— der seiner Phillis zu Füßen

die Schäferstunde verseufzt —

und härme mich um sie wenn ich allein bin, indessen der gracilis puer im weißen Mantel seine Zeit sehr gut bey ihr zubringt. Ich bin jetzt wieder ganz ruhig, — wenigstens hab' ich wieder einen gewissen erreichbaren Zweck, drüber hinaus mags dann gehen — wie es kann und will. Ja, meine aurea Pyrrha,

verzeih', ich liebte Dich

ich war ein wenig toll!

Künftig sollst du sicher keine Langeweile mehr bey mir haben. Ha! ich kann nicht genug über mich lachen. Ein Mädchen, ein frisches, süßes herrliches Wonnemädchen, daß mir all seine Schätze beut, und ich wäre vorübergegangen! — — Nein! das könnt' ich mir nie vergeben.

[106]

am 1. Septbr.

Der Teufel hat sein Spiel mit mir! O — ich möchte mir ins Gesicht schlagen! Verläßt mich denn alle meine Frechheit gerade bei ihr? Ein einziges halblautes Pfui! von ihr entmannt mich. Aber wie zum Henker kam sie auch diesmal gerade auf diese melancholische Schwärmerei, wo nun gar kein Uebergang zu machen war? Glaubt sie mit mir sey weiter nichts anzufangen? — Oder täuschte mich die Nacht, und sie war es nicht die dem Siebold das: »lieber Junge« nachrief? Oder — oder — oder soll ich denn schlechterdings rasend werden? — Ha! und heute kann sie mich nicht sprechen, und morgen verreist sie mit ihrer Mutter. — Teufel! das geht wunderlich her! Aber — jetzt will ich, es koste was es wolle! Ha! ich bin nun ganz wieder was ich war!

Diese Reise kömmt freilich verdammt quer in den Weg, — gerade jetzt! Man kann nicht mehr zum Narren gehabt werden. Welche jämmerliche Rolle werd' ich unterdessen spielen! — Ha! genießen muß ich sie, es koste was es wolle. Mein Vorsatz ist unerschütterlich! Wenn nur die verfluchte Reise nicht wäre!

am 2. Septbr.

Da rollte der Wagen hin, und — fort ist sie, und mir — ists ganz weich ums Herz. Es [107]ist eine eigene Sache um die Trennung. Sie macht uns weicher und empfindlicher, und das, was von uns sich trennt, heiliger, werther, und so ist die Trennung freilich der größte Schmerz, — vielleicht der einzige in der Natur.

Als ich sie und ihre Mutter an den Wagen begleitete, da drehte sie sich noch einmal um und sagte: Adieu, lieber Herr Weiler, leben Sie unterdessen recht wohl! Auf das recht legt sie denn allemal so einen ganz besondern Akzent, auch wenn sie sagt: schlaf recht wohl, — es liegt in ihrem Ausdruck so eine gewisse biedere Herzlichkeit, die ihr Lebewohl! und ihre Gute Nacht! über die konventionelle Abschiedsformel erhebt, — daß es ist, als hätte sie einem etwas aus ihren Herzen gegeben, einen Segen worauf man hafften könne.

Nun hab' ich weder Ruh noch Rast, und möcht' ihr nach. Mir ist als wenn da nur Leben und Freude seyn könne, wo sie weilt.

Ach es ist doch ein herrliches trefliches Mädchen! Warum? warum? — Ach das ist mir das sicherste Pfand, daß ich keine Glückseligkeit hienieden schmecken soll. Ich wollte ja der Ihrige seyn, unter welcher Bedingung es wäre. Alles wäre mir ja recht, wenn sie nur mein Weib werden wollte, sie möchte ja so frei leben, wie es ihr beliebte. Sie hat Glückseligkeit für viele, und ich wäre ja doch in ihrem Arm immer der seligste Schwelger. Dem Perikles war Aspasia immer [108]das liebenswürdigste Weib unter der Sonne, ungeachtet jeder wackere Grieche ein Recht auf seine Schwägerschaft hatte.*) 2 Auch Sie würde nur Männer lieben, deren Herz und Kopf ihnen Anspruch auf den ächten Genuß der Schönheit erlaubt. Sie sollten warlich meine Freunde seyn! Wir wollten eine Schule der feinen Wollust bilden. Liebe sollte unser Geschäft auf Erden seyn. Musik und Dichtkunst und alle Künste sollten uns ihre Freuden zollen, schöne zufällige Mädchen wollten wir unsre Geheimnisse lehren. Sie sollten unsre Nächte mit feiern, und guter Wein und frohe Laune erhüben unsre Mahle zu Götterfesten. Ihr, unserer Priesterin, brächten wir alle Opfer, und keine Eifersucht wäre da möglich, und wenn ich unsere kleine Georgierinnen genug geküßt hätte, dann eilt' ich mit zwiefachem Verlangen in Ihre Arme, und sie wäre mir immer aufs neue reizend. Ach! —

am 5. Septbr.

Es ist mir alles so leer, da trieb' ich mich denn auf Spaziergängen, Kaffeehäusern, und, der Himmel weiß, wo all herum, und finde nirgends was ich suche, — Trost — Nahrung für mein ödes Herz. Auch die Bücher ekeln mir an.

[109]

Von Ihr wird indessen doch mehr gesprochen als ich glaubte. Ich weiß nun nicht, ob man mirs gerade will anzuhören geben, aber die medisance weiß allerlei Geschichtgen von ihr. Schon als sie noch Kind war, spielte sie Romanzen, hielt Rendezvous mit kleinen Buben, und hatte mit einigen von ihnen und ihren Gespielinnen einen Orden gestiftet, den aber nachher die Eltern zerstörten. Daß sie mit dem Helmuth versprochen ist, weiß jedermann, und auch daß sie jetzt noch andere Liebschaften unterhält. Der Siebold wird vorzüglich genannt, von mir scheint man nichts zu muthmaßen, aber den Siebold hat man sogar einmal Nachts wollen zum Fenster einsteigen sehen. —

Helmuth soll ein angenehmer junger reicher Mann seyn, der eine glänzende Laufbahn vor sich hat, und zum Sterben in sie verliebt ist: Die andern Mädchen in der Stadt sind ihr feind, und überhaupt haben die tugendsamen steifen Matronen in ihrem heiligen Eifer das Verdammungsurtel über sie gesprochen, so daß sie von der Seite ziemlich isolirt lebt.

All das facht nun meine Begierden immer mehr an. Ich wollte sie würde von allen verlassen, angefeindet, verfolgt, bei Gott! in meinen Armen sollt' ihr kein Leids geschehen.

Gestern gegen Abend war ich im Rathskeller, und saß in einer Ecke allein, und dampfte Taback in die Luft hin, da trat ihr Bruder herein und [110]stellte sich ans Billard und sah dem Spiele zu. Ich saß so, daß ich ohne aufzufallen ihm lange in das Gesicht sehen konnte. Er hat in der That etwas Aehnliches mit ihr, besonders in seinem Lächeln. Wenn sie so lächelt, so heißt das: »Lieben Leute, moralisirt und predigt und sagt so viele vernünftige Sachen, als ihr wollt, ich habe gar nichts dagegen, und glaube von Herzen, daß ihr Recht habt, und wenn ihr mich auf den Scheiterhaufen vernünfteln wollt. Ich kann nun einmal nur fühlen, und mein Gefühl ist Wonne, und das ist alles was ich weiß. Verzeiht darum meiner Verlegenheit, denn in der That ich gehöre gar nicht hieher unter Euch.«

O mit diesem Lächeln hat sie mich zum Ewigverschwornen ihrer Partie gelächelt, und wenns gegen die ganze Welt gält. Er sieht, mit seiner Erlaubniß, nebenbei freilich ein wenig dumm aus, wenn er so lächelt, wie er denn überhaupt ein geistloser Klumpen Fleisch ist.

am 6. Septbr.

Bald kann ichs länger nicht aushalten. Wie? wenn ich Ihr nachreiste! Feldheim soll nur acht Stunden von hier liegen. Aber wenn mich Ihre Mutter sähe, oder man erführ' es, — Sie würd' es auf alle Fälle nicht gerne sehen.

[111]

Ach liebe süße Ludwine! Komm doch bald zurück! Ich bin nichts als heißes Sehnen nach Dir, alle Eifersucht ist dahin. Komm, o komm und zaubere mich in deinem Schooße zum seligen Gotte! Eil' in meine Arme, Lida, daß ich fest an deine Lippe mich sauge, Brust an Brust zum Freudentaumel erwärme. Eile, meine Lida, heute liebe, denn morgen scheidet von heute dunkle Nacht, harre nicht des schönen Tages, nicht der blumigern Gefilde; denn ach der armen Sterblichen Wünsche liegen zu weit für des müden Wallers zitternden Fuß! Heute, heute laß an deinem Busen all des Lebens Kummer, all des Todes Schrecken mich verträumen.

am 7. Septbr.

Der arme wahnsinnige Christel, der so gern Fische ißt, — ach Fische! Fische ess' ich erstaunlich gern, pflegt er zu sagen, und wenn er es sagt so ists als säh ihm die Eßlust zum Munde heraus. — Wenn man den stillen Wahnsinn mahlen wollte, so müßte man ihn mahlen. Mit seinen großen schönen schwarzen Augen, zwischen denen schräg bis auf die Nase, die ein wenig gebogen, forn ganz spitz zu läuft, sich eine sonderbare tiefe Falte gebildet hat, — seinen gelbbraunen dürren Backen, seinem hellbraunen Haar, das ihm ähnlichte wie Flachs gerade den Nacken herunter hängt, und das [112]er immer, als machts ihm zu heiß am Kopf glatt hinter die Ohren streicht. Sein Blick, seine zerstörte lächelnde Miene, die immer nur seinen innern Zustand mahlt, eigentlich nie etwas außer ihm betrift, oder zu irgend einer Sache spricht, seine dürre halbreife Gestalt, die wie ein C zu forn etwas übergebogen ist, seine Kleidung — er trägt auf dem Kopf eine Kappe, die von forn kaum die Haare bedeckt, die Ohren nicht berührt, und hinten bis in den Nacken herunter geht, sein Hals ist blos, weil er nur ein Hemde anhat, statt dessen, und aller übrigen Kleidung trägt er eine graue Jacke, die oben bis an die Gurgel fest zugeknöpft ist, und ihn bis zur Hälfte der Schenkel rund herum bedeckt, und Beinkleider von eben der Farbe, die bis auf die Knöchel herabreichen, ohne Schuh und Strümpfe; sein Stock, ein dicker Prügel, der fast so lang ist, wie er selbst, und auch so gekrümmt, wie zwei Freunde, wo einer des andern Eigenthümlichkeiten nach und nach annimmt; eine kleine Tasche von Baumbast, die ihm an einem Strick über der Achsel auf dem Rücken hängt, und worinnen er ein wenig Brod und andere Dinge, die er sich in der Stadt erbettelt, verwahrt: — alles dies macht ihn zu einer seltsamen interessanten Figur. Mich hatt' er schon oft interessirt, wenn ich ihn so in seinem stillen Wesen über die Straße hingehen sah. Er heischt denn nie Etwas, sondern die Leute, die ihn alle kennen, und alle Mitleiden mit ihm [113]haben, rufen ihn meistens zu sich, und geben ihm oft so reichlich, daß er zuweilen wieder an andere Bettler austheilt, wie man sagt. Seine fixe Idee ist: Fische, wovon er am liebsten spricht, und die er roh und gesotten, wie er dazu kömmt, mit der größten Gier verschlingt. — Gestern, als ich an dem Flusse hingieng, stand er bis an den Hals im Wasser. »Christel, ruft' ich, was treibst Du?« — Ach, rief er, ganz beklommen aus enger Brust: Fische! Fische! — Komm heraus, armer Junge, sagt' ich, Deine Fische sind schon gefangen, Du sollst sie essen. Er kam sogleich heraus mit seiner triefenden Jacke, denn er hatte sich nicht erst entkleidet, doch lag sein krummer Stock und seine Tasche am Ufer, — und gieng mit mir fort nach einer Mühle zu, die zugleich ein Wirthshaus ist, indem er noch einigemal sein: Fische! Fische ess' ich erstaunlich gern, wiederholte. Unterwegens trafen wir einen Mann an, der am Ufer saß und eine Angel im Wasser hielt. Der arme Christel blieb stehen, und sah mich an, dann den Mann mit der Angel, dann ließ er seinen Blick von der Hand, womit dieser die Ruthe hielt, bis zu ihrer Spitze hinauf, und von da am Faden herunter, bis auf den kleinen Wirbel wo der Faden in das Wasser tauchte, und so wieder zurück auf des Mannes Hand laufen. — Indem zog dieser schnell heraus, und ein schöner Karpfen zappelte am Faden. Der arme Christel sah mich an, und [114]dann den Fisch, und dann den Mann, und schien etwas beginnen zu wollen, indem ihm auf einmal die Thränen in die Augen schossen, die er sich mit der flachen Hand wegwischte, und immer dazu lächelte.

Mich hat nie etwas so gerührt als diese Thränen. Armer Junge! — Freilich sind Fische zunächst im Wasser, ein fröliches Gewimmel! Aber ihnen am nächsten, mitten unter ihnen, wo Deine heiße Gier Dich hintreibt, wirst Du eher ertrinken als einen fangen. Tröste Dich darüber, guter Christel, mit tausenden, denen es auch nicht besser geht. Es ist der Lauf der Dinge so. Die Leidenschaft, die brennende Begierde, die schlechterdings nichts lindern kann, die nichts hören und wissen mag als Befriedigung — wird nie befriedigt. Warum? — Zur Strafe, weil die Leidenschaft leidenschaftlich ist, weil sie von keinen Künsten weiß, weil sie nur ihr Verlangen fühlt, und nicht Muse hat die Eigenschaften der Dinge die sie begehrt, auszumessen, und die Art, wie ihnen beizukommen ist, zu finden. Werde erst kälter! das heißt, habe erst keine Begierde mehr, und mache Dir wohlbedächtig eine Angel, und lerne Stunden lang ruhig am Ufer sitzen und abwarten. Erst dann wirst Du Fische bekommen, wenn Du sie entbehren kannst! Lerne die reizenden Dinge, die Dich umgeben, verschmähen, verlange erst nach Gütern, die fern liegen, die Du nicht siehst, oft nicht kennst, [115]dann fallen Dir diese wie von ungefähr zu. Gelüstet Dir nach einem Dorfe Deines Nachbars, so nimm ihm sein ganzes Land weg, das Dorf allein wirst Du nie erhalten. Willst Du ein schönes Weib haben, so strebe nach Reichthum und Rang, und das schöne Weib würde sich Dir anbieten. Willst Du zeitlich glücklich seyn, so trachte nach den Gütern der Ewigkeit, so wird Dir das andere alles zufallen. Man erfand Porzellan als man Gold machen wollte — Genug, geh niemals den geraden Weg auf das einzelne begehrte Gut los, er ist immer der Falsche.

Warlich der Zug aus Christels Wahnsinn, ist eine ganze Geschichte meines Lebens. — Ach! was soll ich thun, um Sie zu erhalten? Kann ich, kann ich Sie minder begehren? Kann ich noch etwas anders wünschenswerth finden, als Liebe? — Ha! grausame, grausame Ordnung der Dinge!

am 8. Septbr.

Allein seyn! Das ist was der Mensch nicht ertragen kann. Erste einfältige Paradieses Weisheit: Es ist nicht gut daß der Mensch allein sey! — Woher wißt ihr es besser, elende kranke Spleen Männerchen, und wollt alles vereinzeln! Dürft ihr der Natur ins Angesicht widersprechen mit eurem: Der Mensch muß sich selbst genug seyn? O [116]man darf nur einen von Euch gesehen haben, ihr neidischen grämlichen Geschöpfe! die ihr freilich nichts habt, was ihr geben könnt, das einem andern die Freude seines Daseyns rege machte, und darum weist man Euch wie prahlhafte Bettler vor allen Thüren ab, wo ihr mit eurem armseligen Stolze anklopft. Und nun habt ihr, um euch zu rächen, ein System des Menschenhasses, der Verschwörung wider Gottes Natur aufgeführt, und habt die ganze Welt vergiftet.

Ich weiß es, und fühl' es tief, daß Sie lügen. Allein seyn, heißt ewig nur sein Gesicht bis zum Ekel im Spiegel sehen. Ich weiß nicht, welch ein wunderbarer Schauder mich ergreift, wenn ich mir zwei sich ganz gleiche Dinge vorstelle, so wie einen Menschen und sein Bild im Spiegel. Ich habe darüber nur verworrene Gedanken. Vielleicht so: Die Tugend, sagten die Alten, oder wie sie wohl eigentlich wollten verstanden seyn, das Vollkommene liegt in der Mitte, oder: Wo Du etwas Schönes Gutes oder Wahres entdeckst, da ist nothwendig jede Abweichung hinüber und herüber, das Gegentheil davon. Nun wird alles, was schön und erfreulich ist, durch das Aehnliche hervorgebracht, wo wir auf eine Aehnlichkeit stoßen, da öfnet sich unser Herz und unser ganzes Wesen durchbebt ein angenehmes Gefühl. Selbst die Erinnerung an überstandene Leiden, an Schmerz ist süß, weil sie uns eine, jenen Leiden ähnliche [117]Empfindung zu führt. Mahler und Dichter lernten der Natur dies Kunststück ab, und gaben ihren Werken dadurch Anmuth und Zauber.

Also das Aehnliche ist eine Vollkommenheit die in der Mitte steht. Auf jener Seite liegt das Unähnliche, die Heterogene Zusammensetzung, das Horazianische Ungeheuer mit dem Menschenkopf an einem Pferdehalse u.s.w. und auf dieser, das sich Gleiche und das Einzelne. Oder wenn man so will: Einheit in Mannigfaltigkeit ist das Mittel, und seine Abweichung ist, auf der einen Seite nackte Einheit, und auf der andern Seite, Mannigfaltigkeit, ohne Einheit. Denn es ist hier einerlei, ob ich sage: das Aehnliche oder das Mannigfaltige in Einem, weil dies blos durch den Bezug der Aehnlichkeit, sie liege nun worinnen sie will, die alle Theile auf das Eine, und folglich auch unter einander bekommen, hervorgebracht wird.

Beide Abweichungen gebiert die Natur nimmer, beide vermögen keine Freude, keine angenehme Empfindung zu gewähren. Horaz sagt, nachdem er sein Unding aufgestellt hat: »Spectatum admissi risum teneatis amici?« — und er hat vielleicht in allen Fällen der Heterogenen Zusammensetzung Recht: ihr Anblick erregt Spott, eine Empfindung die endlich eine unangenehme Leere hinterläßt; aber das sich Gleiche, das Einzelne, das ist ein gräßliches Gespenst, wovon unser Ge-[118]fühl, möcht' ich sagen, ängstlich die Augen wegwendet.

Ich kann freilich nur von meiner Empfindung reden, allein mich deucht, die Marter die ein einzelner (abstrakter) Begriff jedem Ungeübten macht, die Leere, die er in jeglicher Empfindung zurückläßt, unterstützte meine Meinung, vom Einzelnen, das wir freilich außerdem nirgends so ganz antreffen, so wenig wie das ganz Gleiche: wer indessen jemals einige Stunden weit, in einer schnurgeraden Allee reiste, der wird einen kleinen Vorschmack auch hiervon haben. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mehr Geistesmarter ausgestanden zu haben, als, da ich einsmals von Karlsruhe nach Rastadt gieng, zwischen zwei Linien von Bäumen eine so schnur gerade als die andere dahin, und nun den vergoldeten Jupiter ewig und ewig vor den Augen! — Vater der Götter und König der Menschen, ruft' ich in meiner damaligen jovialischen Laune, nie hast Du einen Sterblichen so gequält als mich! Aber Dein Volk hätte Dich auch nicht an das Ende einer Meilen langen schnur geraden Allee hingesetzt, wo Du, aus Langeweile, den Menschen das Leben sauer machst.

Die Natur, die allein durch dies Aehnliche so schön wird, macht uns nicht allein für diese Schönheit empfänglich, sie gab auch jedem Wesen den Trieb zu seinem Aehnlichen, und dadurch gewinnt sie ihren Reiz — Leben und Bewegung. Feuer [119]flammt in die Höhe, und was irrdisch ist, fühlt einen Zug, sich mit allem seinem Aehnlichen in dem Mittelpunkte seiner Allmutter der Erde zu sammeln. Ströme zerreißen Welttheile, um sich mit dem Meere zu vereinigen — Allein seyn ist eine Dissonanz in der Natur, die sie nicht lange erträgt, sie läßt sie bald mit einem starken volltönenden Griffe. Und der Mensch — diese Welt im Kleinen, auf den alles Bezug hat, der allem Bezug giebt, der Fähigkeit und Bedürfniß zu jeglichem Genuß, Berührungspunkte für jedes Wesen hat, dem seine Ahndungen Ansprüche zur Seligkeit geben, ist nur ein unmuthiges trübes Geschöpf, giebt, überdrüßig, alles hin was er ist, wenn dieser quälende Trieb zu seinem Aehnlichen nicht befriediget wird. — Ach seine Quaal muß ja wohl größer seyn als irgend eines andern Geschöpfs, da er so vieler Wonne fähig ist. Herz und Sinne und Vernunft — Leib und Seele, alles hat seinen süßen Genuß, wo einer den andern zum höchsten Entzücken erhöht.

Dieser Trieb, diese Wonne des Menschen ist die Liebe. Sie ist Vereinigung mit seinen Aehnlichen, Mittheilen und Empfangen, Entzücken im Genuß doppelter Treflichkeit.

Ha! welch ein Himmel ist die Liebe! Der ist ein Seliger, der darinnen wohnt, der ein Verdammter, der keinen Platz darin bekommt! Guter Hölty! Wohl! wohl!

[120]

Mich haben sie heraus gestoßen, und nun schleich ich im Nebellande allein, trüb und freudenleer. Ach Ludwine! Ich zittere vor Deiner Zurückkunft, und schmachte ihr entgegen. — Noch hoff' ich Thor, was schlechterdings nicht mehr zu hoffen ist. Sie Mein? — und ist Sie nicht schon wirklich für mich verloren? — Noch krümmt sich mein Herz wie ein gequälter Wurm zu glauben, was Du selbst — ach selbst! — mir sagtest, hofft noch immer einen Ausweg, ach! wird noch sehnend Dir zu klopfen, wenn Du es nun vernichten wirst.

am 10. Septbr.

Ich gieng zum Thor hinaus und so weiter und immer weiter Berg auf Berg ab, und als ich mich einmal umsehe bin ich in dem Birkenwald, durch den der Weg nach Salbach geht. Wie mich das ergriff!

Seitdem: daß ich hier mich so überschwenglich glücklich fühlte in ihren Arm — guter Gott! welche Stürme in meiner Seele! Wie so ganz anders ist es mit mir geworden!

Warum muß ich nun so ohne Rettung an meinen Wunden verbluten? Warum darf sie nicht mein seyn?

Ich weilte lange hier, und schwelgte in der Wehmuth der Rückerinnerung. Mir dünkte ich [121]hätte alle Plätzgen noch gewußt, wo sie dies und das gesagt, gethan hätte.

Wie gewiß glaubt' ich, damals am Ziele aller meiner Leiden zu seyn, ach! und nun, wie hofnungslos und elend!

Nein, ich erkenn' es, meine Bestimmung in dieser Welt ist, nicht, Glückseligkeit, mein Loos ist — Schmerz und Kampf und Tod. Ich soll fort: darum werd' ich so gereitzt, so mit Hofnungen getäuscht, und dann mit einemmale zurückgestoßen in mein Elend, und gehöhnt. O Mädchen! — Nein es ist nicht möglich, ich kann ohne dich nicht leben! —

Ich gieng vollends nach Salbach. Je näher ich dem Orte kam, je länger schlug mir mein Herz. Es ist eine eigene Sache um die Rückerinnerung! Wär' ich mit dem süßen Bewußtseyn ihrer Liebe hieher gekommen, so wär' ich eingegangen, wie ein Sohn in seines Vaters Haus, wo er lange weg war, und nun weiß, daß er mit Freude und Jubel empfangen wird. Jetzt war mirs, als wär ich von einem lieben Orte abgereist, wo ich schon mit tiefem Schmerz auf ewig Abschied genommen hätte, und müßte nun wieder auf wenige Minuten zurück, um noch etwas zu bestellen, oder mitzunehmen, was ich vergessen hatte. All die Lieben, die ich verließ, find ich noch trauernd über mein Scheiden. Sie sehen mich zurückkommen, aber ihr Blick erheitert sich nicht, sie wissen, daß ich hier nicht [122]reden darf, daß ich nur komme um ihren und meinen Schmerz zu erneuern. Sie schweigen, und reichen mir stumm noch einmal die Hände, und ich zerfließe nun in lang verhaltenen Thränen, und stürze jammernd hinweg von ihnen.

So war meine Empfindung, als ich nun alle die Plätzgen wieder betrat, die mich einst so glücklich gesehen hatten, die, ihr geheiliget, ein ewiges Recht auf mein Andenken haben. Ach! du gehörst ja nun nicht mehr hieher, hier hat man dir nichts mehr zu sagen. Ihre Freuden und ihren Kummer darfst du fortan nicht mehr theilen, die Trennung ist geschehen, du bist nun ein Fremdling geworden, dem von alle dem nichts übrig bleibt, als Sehnsucht und Trauer. Du bist abgerissen von ihnen, und, wenn sie dir auch noch eine Thräne nachweinen, so wirst du verwelken, und sie werden fortblühn, und ihr wohlgefällig duften.

Ach Gott! fast hätt' ich geweint, als ich mich nun so allein hier wieder fand. All das nun zertreten, vernichtet — Ludwine, wird dir das nie auch nur einen Seufzer kosten?

Die Leute, frohe heitere Geschöpfe, die sich wenig um meine trübe Laune bekümmerten, schienen meiner zu spotten. Ich wähnte sie wüssten alles, jeder ihrer Blicke schien mir zu sagen: Thor! Wie konntest du nach einer solchen Glückseligkeit streben, du, den die Natur und das Schicksal zum Elend auszeichneten. — Ich eilte hinweg von ihnen zu [123]den Ruinen. Hier ward mirs wieder einheimisch.

Diese Massen, die täglich zerstört werden, und doch der Vernichtung trotzen, die ihr wahres Leben, ihre Harmonie verloren haben, und nun, ohne ihre eigenthümliche Seele, nur noch in dem allverbindenden Geiste der unsterblichen Natur leben, waren meiner Empfindung näher verwandt. Ja! auch ich will in ein anderes Leben hinüber, in eine weitere Sphäre, will die Bänder dieser unglücklichen Zusammensetzung lösen.

Ich wünsche keinem meine Erkenntniß, und möge keiner begehren die Wahrheit nackend zu sehen! Jeder taumle in seinem frölichen Wahne dahin; nur Täuschung ist Glück! Gleich einem Schwächling, der einem reizenden Mädchen die Hülle zu entreißen strebt, die ihre Schönheit seinem üppigen Auge verbirgt, und wenn es ihm nun gelungen ist — bebt, und ein beschämendes Zeugniß seiner Schwäche ablegt, so hat der Mensch keine Ruhe so treibts ihn immer, einen glücklichen Wahn nach den andern zu verlassen, der Wahrheit immer näher zu kommen, bis er endlich, von allem was tröstlich ist hienieden, verlassen, ein Raub der Verzweiflung wird. — Mein innrer Sinn erkennt es anschaulich: Nichts ist ewig und selbstständig, alles, alles muß sich endlich dem ewigen Gesetz der Zerstörung unterwerfen. Noch haben alle Jahrtausende der Welt keinen Zweck hervorgebracht, auf [124]keinen hingeleitet. So wie der einzelne Mensch, und hinterließ er noch so viele Spuren seines Daseyns, vergeht und seine Thaten nach und nach mißverstanden werden, jeder sein Werk immer wieder von forn anfängt, so sinken Nationen hin, und ihre Tempel werden zerstört, ihre Heiligthümer geraubt, geschändet, ihre Schönheiten getrennt, ihre Weisheit nicht verstanden, und ihr Geist verfliegt und theilt sich keiner andern mit, keine vermag den Bau der vorigen fortzuführen.

Es giebt einen Grad von Kultur, diesen mag der einzelne Mensch, so wie ein ganzes Volk erreichen, aber drüber hinaus liegt beider unvermeidliches Elend. Wie oft soll euch dies die Geschichte der Menschheit noch lehren? —

Und doch! in welche liebliche Träume wiegt euch nicht die Rückerinnerung! Welche süßere Hofnung habt ihr als die Hofnung künftigen Andenkens? Was soll euch dieser unsterbliche Funke, diese Anlage zur Ewigkeit, wenn doch alles so eitel ist, ihr doch immer nur bis auf dasselbe Fleckgen kommt? —

O Natur! Ich eil' aus diesem Leben hinweg, das mir nicht einmal den Wahn der Täuschung gewährt. Nimm mich auf in deinen ewigen Kreislauf, gieb mich den Elementen zurück, und muß ich ja wieder eine Zusammensetzung erhalten, so möge es nur diese unglücküche Menschenform nicht seyn, der dein Spott nur Wünsche und bange Zweifel zum Vorzug gab.

[125]

Ha Wünsche! — Noch schwebt meine Fantasie um das reizende Bild ihrer Liebe, noch flistert mir eine Stimme zu: Wie schön war dein Leben, wenn Ludwine dein würde! Ach! wenn sie meinen Kampf sähe, würde sie wohl ihren frohen Leichtsinn behalten? Wird ihr mein Andenken nicht einst eine Thräne in das Auge locken? — Ha! ist meine ganze Hofnung noch eine Thräne? Die auch verrinnen wird im öden Sand, wie mein ganzes nichtiges Leben?

Wenn ich nun von ihr werde Abschied nehmen: Leb wohl Ludwine, ich verreise Morgen! und sie dann in ihrer frölichen gutmüthigen Art: Adieu Lieber, komm bald wieder, und sei indessen recht froh und wohl, und mir auf die lange Reise wohl schäkernd ein Band von ihrem Busen mitgiebt, um ihrer dabei zu gedenken, — wenn sie mir dann den letzten Kuß küßt — Himmel! Wie will ich das ertragen! O Ludwine, wie will ich's ertragen? Warum mußt du mir erst meinen vorigen mürrischen Sinn genommen haben, in dem ich so hingegangen wäre wie ein Schlaftrunkener? Warum mußt du erst all mein Gefühl so aufgereitzt, alle meine Sinne so empfindlich gemacht haben, daß ich nun so zwischen Leben und Tod mich quälen muß.

Während ich so da lag im hohen Ridgras das flüsternd um die Steine wehte, hatt' ich so gar nichts außer mir bemerkt, daß ich erst, als ich auf einmal einen Stern über mir erblickte, die Nacht [126]um mich gewahr ward. Ich stieg dann hinauf in die Fenster, und übersah die Gegend noch einmal, die in sanftem Mondsschimmer abwechselnd mit schwarzen Waldschatten, vor mir lag. Wie schön, wie rührend ist die Natur, und doch ohne die Fantasie der Liebe, ohne ein zweites Herz, das es mit empfände, wie fremd ist dies alles dem Menschen! O warlich, Liebe, du bist ihm nothwendig, nur du legst in ein jedes Ding Sinn und Bedeutung, ohne sie ist ihm die Natur nur ein allverschlingendes Grab.

Ich nahm stummen Abschied von den Ruinen, die ich jede einzeln noch einmal eingieng, und kehrte dann zurück in das Haus.

Die Leute, die jetzt in der Erde bis in die späte Nacht arbeiten, saßen eben um eine große dampfende Schüssel herum, und ließen sichs wacker schmecken. Mich schienen sie für ein seltsames Stück von Menschen zu halten, daß ich da bis in die Nacht allein im Walde gewesen wäre. Um dies zu zerstreuen, zwang' ich mich zu einem geselligen Tone, und da ich ohne dies hungerte, weil ich den Mittagstisch versäumt hatte, so bat ich mich zu Gaste. Kaum hatten sie den letzten Bissen im Munde, so sank eins da, das andere dort im Schlaf.

[127]

Sie essen und trinken und schlafen ein! das ist ungefähr der Hauptinhalt von jedem menschlichen Leben, die zwischen Szenen füllen Angst und Mühe und Thorheit aus.

Ich ließ mir in das Zimmer wo ich Ludwinen zum erstenmale an mein Herz drückte, eine Streu machen, ließ mir Schreibzeug geben, und schrieb dies:

Gute Nacht, Ludwine, denkst du meiner wohl jetzt in dieser stillen Stunde? Sehnst du dich wohl, ach! nur ein wenig nach mir? Ach Ludwine, wenn es möglich wäre! — Gute Nacht! Noch sey es nicht die lange Nacht.

(Die Fortsetzung im nächsten Stücke.)

Fußnoten:

1: *) Lebensl. in aufst. Linie 1. Th. 236. 6. Anm. d. Herausg.

2: *) Das ist nicht erwiesen. A. d. H.