ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Auszug aus Jordan Bruno von Nola.
Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einem. a

Maimon, Salomon


I. Von der Ursache, in wie fern sie von dem Prinzip verschieden und mit demselben einerley ist.
Identität der würkenden, formellen und idealen Ursache.

»Alles was nicht erstes Prinzip und erste Ursache ist, hat ein Prinzip und eine Ursache.«

Ein Philosoph in Forma, wird hier gleich den Schwärmer zu finden glauben, indem der Verfasser diesen Satz als Grundsatz aufstellt, daß nehmlich alles was nicht erstes Prinzip und erste Ursache ist, ein Prinzip und eine Ursache hat, ohne vorher die darin vorkommenden Begriffe von Prinzip, Ursache, erstes Prinzip, erste Ursache, zu erklären. Aber nach genauer Ueberlegung findet es sich daß der Verfasser hierin ganz recht hat, daß er diese Begriffe und den sich darauf beziehenden Grundsatz so wie sie der gemeine Menschenverstand unentwickelt denkt, voranschickt, und hinterher sie zu entwickeln sucht. Die mathematische Methode schickt sich für die Philosophie nicht. Die Mathematik konstruirt ihre Begriffe a priori, wodurch [50]sie von der einen Seite Realität (Beziehung auf ein reelles Objekt) von der andern Seite aber durchgängige Bestimmtheit (in Ansehung der daraus zuziehenden Folgen) erhalten. Die Philosophie hingegen legt Begriffe des gemeinen Menschenverstands zum Grund; nachher erst untersucht sie, ob diese Begriffe Realität (Beziehung auf ein reelles Objekt) haben, oder nicht? Weil der gemeine Menschenverstand nicht selten das blos Subjektive mit dem Objektiven, das Relative mit dem Absoluten, seine eigene Würkungsart im Denken eines Objekts mit den Merkmalen dieses Objekts selbst zu verwechseln pflegt. Wird die Realität dieser Begriffe dargethan, muß sie wiederum untersuchen, ob sie auch in Ansehung der daraus herzuleitenden Folgen, durchgängig bestimmt sind, so daß sie nicht mehr oder weniger Merkmale enthalten, als zur Herleitung dieser Folgen erforderlich ist, welches von dem gemeinen Menschenverstand nicht zu erwarten seyn möchte. Findet sie diese durchgängige Bestimmtheit nicht, so muß sie selbst dieselbe vornehmen. Das Definiren ist also das letzte Geschäft der Philosophie.

»So unläugbar dieser Satz, und so groß die Aussicht auf Erkenntniß von Ursachen und Prinzipien ist, welche wir durch ihn erhalten: so gewiß ist es dennoch, daß wir kaum die nächste Ursache und das nächste Prinzip der Würkungen, welche wir wahrnehmen, zu ergründen fähig sind, und in [51]ihnen von der Ersten Ursache, und dem Ersten Prinzip nur mit äusserster Mühe Etwas, das man eine zurückgelassene Spur nennen könnte, entdecken.«

Eine zurückgelassene Spur. Dieser Ausdruck ist zwar bildlich, aber dennoch zur Begreiflichmachung der Sache sehr passend. Eine zurückgelassene Spur in eigentlicher Bedeutung ist das zurückgelassene Merkmal von den Fußstapfen eines sich bewegenden lebendigen Wesens, Woran wir erkennen daß es da war, und den von ihm genommenen Weg verfolgen können. Erste Ursache und erstes Prinzip bedeutet kein bestimmtes Objekt das wir an sich durch Merkmale erkennen, sondern blos die Forderung der Vernunft bei keiner nächsten Ursache stehen zu bleiben, und nach eben dem Gesetz wie wir zur nächsten Ursache gelangt sind, von Ursache zu Ursache bis ins Unendliche fortzuschreiten. Ob schon wir auf diese Art zur ersten Ursache niemals gelangen, so verfolgen wir gleichsam den Weg den sie genommen hat, durch dieses Gesetz, als der von ihr zurückgelassenen Spur, mit der größten Sicherheit. —

»Wissen wir nur, was wir unter einer ersten Ursache, einem ersten Prinzip verstehen? — Was wollen wir überhaupt mit diesen zwey Benennungen? Haben sie im Grunde nur einerley, oder verschiedene Bedeutung? Und ist das letzte; wo liegt der Unterschied?

[52]

Daß wirklich ein Unterschied vorhanden sey, entdeckt sich bald, obgleich die Verwechselung beyder Ausdrücke häufig geschieht. Prinzip ist der innerliche Grund eines Dinges, die Quelle seines möglichen Daseyns; Ursache, der äusserliche Grund desselben, die Quelle seines wirklichen gegenwärtigen Daseyns. Das Prinzip bleibt in der Würkung, und erhält die Sache in ihrem Wesen. In diesem Verstande sagt man, daß Materie und Form sich mit einander vereinigen, und sich gegenseitig unterstützen. Die Ursache hingegen ist ausser der Würkung, und bestimmt das äusserliche Daseyn der Dinge, zu welchem sie sich verhält, wie das Werkzeug zu dem Werke, das Mittel zu dem Zweck.«

Die Erklärung von Prinzip und Ursache und ihre Unterscheidung von einander, wie sie hier vom Verfasser aufgestellt wird, hat mehr das Gepräge der Schwärmerei und einer Ahndung als einer gründlichen Einsicht der Wahrheit. So viel ist gewiß, daß Prinzip und Ursache keine leere Worte ohne alle Bedeutung sind, und daß sie in etwas beiden gemeinschaftliches übereinstimmen, aber auch durch besondere Bestimmungen dieses Gemeinschaftlichen unterschieden seyn müßten.

Ich will daher diese Begriffe die in der That, in Ansehung ihres Gebrauchs von großer Wichtigkeit sind, zu erörtern suchen.

Ein Objekt überhaupt ist ein jeder Gegenstand des Bewußtseyns, überhaupt (Anschauung, Be-[53]griff, Idee u.s.w. ja selbst das nichts in so fern es Subjekt eines Urtheils seyn kann, z.E. das nichts ist mit sich selbst einerlei u.d.g.) Dieses ist entweder ein Objekt der Wahrnehmung oder ein Objekt des Denkens, und dieses wiederum entweder ein Objekt des blos logischen oder des reellen Denkens. Jenes wiederum entweder ein solches das einem Urtheil zum Grund gelegt wird, oder ein solches das durch ein Urtheil entstehet. Dieses entweder ein Objekt des reellen Denkens a priori oder a posteriori. Ich erkläre mich hierüber.

Die Wahrnehmung der rothen Farbe an sich, ohne sie als Prädikat irgend eines sinnlichen Subjekts zu betrachten, ist ein Objekt der Wahrnehmung. Ding überhaupt ist ein logisches Objekt von der ersten Art. Dieser Begriff wird nicht durch ein Urtheil gedacht, sondern als etwas denkbares an sich, einem Urtheil zum Grunde gelegt (daß es nehmlich nicht zugleich seyn und nichtseyn kann.) Eine süße Linie ist ein logisches Objekt der zweiten Art. Linie und süß an sich sind zwar reelle Objekte. Das aus ihrer Verknüpfung entstehende Objekt (süße Linie) aber ist blos ein logisches Objekt, das durch das Urtheil: Eine Linie kann süß seyn (das als Prädikat gedachte Merkmal der Süße widerspricht dem Subjekte, Linie, nicht) entstehet. Ein Dreieck oder der Begriff von Raum in drei Linien eingeschlossen ist ein Objekt des reellen Denkens a priori. Das Prädikat (drei Linien) [54]wird mit dem Subjekte nicht blos deswegen zusammengedacht, weil es demselben nicht widerspricht, sondern weil es ohne dasselbe nicht gedacht werden kann, indem Linien ohne Raum undenkbar sind. Die Vorstellung des unbestimmten Raumes überhaupt sowohl, als des bestimmten (Linie) wie auch ihre Verknüpfung zu einem Objekt hat nicht blos einen logischen sondern einen transzendentalen Grund a priori. Ein Objekt der Natur (ein Mensch, ein Thier, eine Pflanze u.d.g.) ist ein reelles Objekt a posteriori. Seine Merkmale werden uns auf eine bestimmte Art a posteriori gegeben. Sie werden nicht darum zu einem einzigen Objekt verknüpft, weil sie ohne einander nicht vorstellbar sind, sondern weil sie ohne einander nicht wirklich sind; da nun dieses einen Grund haben muß, so müssen sie ohne einander in einem unendlichen Vorstellungsvermögen nicht vorstellbar, und daher nicht wirklich seyn können. Ein unendliches Vorstellungsvermögen denkt z.B. einen Menschen nicht wie ein Endliches, noch, von der einen Seite unvollständigen, von der andern Seite aber unwesentlichen Merkmalen, sondern so wie wir z.B. ein Dreieck denken.

Diejenige Merkmale eines Objekts der Natur, die, weil sie von keinem Vorstellungsvermögen überhaupt ohne einander vorstellbar sind, von einem unendlichen Vorstellungsvermögen zu einem einzigen [55]Objekt verknüpft werden, machen das Prinzip dieses Objekts aus.

Eben so wie das wirkliche Koexistiren mehrerer Merkmale eines Objekts in ihrem idealischen Koexistiren im unendlichen Vorstellungsvermögen seinen Grund hat, so muß auch die regelmäßige Sukzession verschiedener Objekte aufeinander darin seinen Grund haben, daß diese Objekte von dem unendlichen Vorstellungsvermögen im Verhältniß von Grund und Folge gedacht werden, welches der Grund von der zwischen ihnen bemerkte Kausalität, d.h. der Folge in der Zeit nach einer Regel ist.

Das Beispiel wodurch der V. den Begriff von Prinzip zu erläutern sucht, ist vielleicht das Einzige in seiner Art. Denn da wir von den Merkmalen eines Objekts der Natur selbst, eine sehr unvollständige Erkenntniß haben, so können wir auch die Nothwendigkeit ihrer Verknüpfung durch kein einziges Beispiel von irgend einem bestimmten Objekt darthun (z. B. die nothwendige Verknüpfung zwischen Vernunft und dem auf einer gewissen Art organisirten menschlichen Körper.) Dahingegen wir die nothwendige Verknüpfung zwischen Materie und Form in einem Objekt der Natur überhaupt wohl einsehen können.

»Nachdem wir den Unterschied zwischen Ursache und Prinzip festgesetzt haben, müssen wir in Absicht dieser Begriffe selbst das Nähere zu bestimmen suchen.«

[56]

Nachdem der V. die Erklärung von Ursache und Prinzip und ihre Unterscheidung von einander vorausgeschickt hat, will er nun die Eintheilung derselben in verschiedenen Arten, nach verschiedenen Rücksichten, vornehmen.

»Was verstehen wir unter einer ersten würkenden Ursache; was unter der mit ihr unzertrennlich verknüpften Formalen; was endlich unter der Endursache, welche die würkende in Bewegung setzt?«

Diese viererlei Ursachen sind in einem jeden künstlichen durch Handlung eines mit Erkenntnißvermögen begabten Wesens offenbar. Ein Haus z.B. setzt erstlich eine materielle Ursache, nehmlich das Daseyn der Materie, woraus das Haus gebaut ist (Holz, Steine u.d.g.) Zweitens eine würkende Ursache, die physische Kraft, wodurch es hervorgebracht wird. Drittens eine formelle Ursache, ein Erkenntnißvermögen, das sich unter andern die Form des Hauses vorstellt, und letztlich die Endursache, eben dasselbe Erkenntnißvermögen das sich den Zweck der durch das Haus erlangt werden soll (darin zu wohnen) vorstellt, voraus. In den Produkten der Natur treffen wir gleichfals Materie, Form und Zweckmäßigkeit an. Was sich daraus in Ansehung dieser vier Ursachen schließen läßt, soll im Folgenden erörtert werden.

»Was die würkende Ursache betrifft, so weiß ich von keinem andern allgemein und wirklich thätigen, das ist physisch würksamen Wesen, als jenem [57]allgemeinen Verstand, der ersten und vornehmsten Kraft, der Weltseele, welche sich als die allgemeine Form des Weltalls zu erkennen giebt. Alles ist von dieser Kraft erfüllt; sie erleuchtet das Universum; weiset die Natur an, wie sie ihre Werke verrichten soll; und verhält sich zu der Hervorbringung der natürlichen Dinge, wie die denkende Kraft des Menschen sich zu der Hervorbringung der Begriffe verhält. Die Pythagoräer nannten diesen allgemeinen Verstand den Reger und Beweger des Alls; die Platoniker, in einem ganz ähnlichen Sinne, den Werkmeister der Welt; die Magier, den Saamen aller Saamen, weil er die Materie mit der Unendlichkeit ihrer Formen beschwängert. Orpheus nannte ihn das Auge der Welt, weil er alles durchschaut, um den Dingen von innen und von außen Ebenmaaß und Haltung zu ertheilen; Empedokles, den Unterscheider, weil er nie ermüdet die verworrenen Gestalten im Schooße der Materie zu sondern, und aus dem Tode neues Leben zu erwecken. Vater und Erzeuger war er dem Plotin, weil er die Saamen auf den Acker der Natur ausstreut, und aus seiner Hand alle Formen zuletzt unmittelbar hervorgehen. Mir erscheint er als ein innerlicher Künstler, weil er von innen die Materie bildet und gestaltet. Aus dem Innern der Wurzel oder des Saamkorns sendet er die Sprosse hervor; aus der Sprosse treibt er die Aeste, aus den Aesten die Zweige, aus den Innern der [58]Zweige die Knospen. Das zarte Gewebe der Blätter, der Blumen, der Früchte, alles wird innerlich angelegt, zubereitet und vollendet. Und von innen ruft er auch wieder zurück seine Säfte aus den Früchten und Blättern zu den Zweigen; aus den Zweigen zu den Aesten; aus den Aesten zu dem Stamm; aus dem Stamme zur Wurzel. — Wie hier in der Pflanze, so im Thiere, so in Allem.«

Die Vorstellung von einer Weltseele als ein intelligibiles Wesen das die höchste würkende Formelle und Endursache aller Objekte der Natur ist, kann in verschiedener Rücksicht als wahr und als falsch erklärt werden. Die Objekte der Natur haben ausser der ihnen gemeinschaftlichen absoluten Materie (materia prima) noch besondere Formen die besondern Zwecken gemäß sind, und sich einander wechselseitig bestimmen. Die Form muß schon vor ihrer Verknüpfung mit der Materie an sich möglich seyn (nach dem bekannten ontologischen Satze: was an sich unmöglich ist, ist auch in Verbindung unmöglich) d.h. ihre Merkmale müssen sich einander nicht widersprechen. Sie setzt also ein denkendes Wesen, das den Grund oder die Vorstellung dieser Möglichkeit enthält, als Ursache, voraus. Sie muß auch in Verbindung mit der Materie möglich seyn, sonst ist ihre Möglichkeit an sich blos logisch aber nicht reel, d.h. in einem Objekt darstellbar. Sie setzt also nicht blos ein denkendes sondern auch ein erkennendes Wesen als Ursache vor-[59]aus. Da aber mehrere Formen zugleich von diesen Wesen als möglich erkannt werden, so setzt die wirkliche Verknüpfung einer bestimmten Form mit der Materie, (die an sich auch eine andere Form hätte annehmen können) dieses Wesen auch als würkende Ursache voraus. Nun aber ist diese Verknüpfung nicht nach bloßer Willkühr (die vom Zufalle nicht unterschieden ist) sondern gewissen Zwecken gemäß. Dieses setzt dieses Wesen als ein vernünftiges nach Zwecken handelndes Wesen d.h. als Endursache voraus. Wir werden also nach dem bekannten Grundsatz: alles hat seine Ursache, auf die Vorstellung einer absoluten ersten Ursache geleitet.

Da aber die erste Ursache von uns blos durch ihr Verhältniß zu den Objekten der Natur vorgestellt, nicht aber durch innere Merkmale an sich als Objekt dargestellt werden kann, so ist diese Vorstellung nur in so fern wahr, und zur grenzlosen Erweiterung unserer Naturerkenntniß brauchbar, als man sie blos durch ihr Verhältniß zu den Objekten der Natur bestimmt. Bestimmt man sie hingegen mit andern Objekten, worin dieses Verhältniß statt findet, analogisch, durch die, diesen Objekten zukommenden Merkmale, so wird sie antropomorphistisch und folglich falsch.

Hier ist die größte Klippe, woran die Schwärmer, die den Unterschied dieser Vorstellungsarten nicht einsehen, scheitern müssen, und wofür sich [60]Philosophen nicht genug in Acht nehmen können. — Jene begnügen sich nicht blos damit die Welt d.h. alle Objekte der Natur als ein verbundenes Ganzes auf eine Ursache überhaupt zu beziehen, sondern sie suchen diese Ursache nach Analogie der menschlichen Seele, als Objekt zu bestimmen. Die verschiedenen Arten die menschliche Seele vorzustellen, darbieten ihnen eben so viele Arten diese Weltseele vorzustellen.

Die Materialisten welche die Existenz der Seele, als Objekt an sich leugnen, und sie blos für eine Harmonie in der körperlichen Organisation ausgeben, leugnen auch die Existenz dieser Weltseele als Objekt an sich, sie lassen alles auf eine zufällige Art, aus Materie und Bewegung entstehen. Die Form ist nach ihnen nichts anders als eine besondere zufällige körperliche Zusammensetzung. Die beobachtete Zweckmäßigkeit gleichfals blos scheinbar, und eine Würkung des Zufalls. Der Zufall ist also nach ihnen die würkende, formelle, und Endursache.

Die Idealisten welche die Existenz ihres Körpers leugnen, und ihn blos für eine Modifikation ihres Vorstellungsvermögens ausgeben, sind in Absicht des Weltalls Monadisten. Sie leugnen die Existenz der Materie als Objekt an sich, und halten die scheinbare Existenz desselben für eine Folge von der Einschränkung unserer Erkenntniß. Die würkende, formelle, und Endursache ist nach ihnen eine unendliche Monade.

[61]

Die Dualisten welche sowohl die Existenz des Körpers als der Seele an sich annehmen, nehmen auch in Absicht des Weltalls ein unendliches intelligibiles Wesen als würkende, formelle, und Endursache an. Wie aber dieses intelligibiles Wesen zugleich materielle Ursache (Ursache der Materie) seyn kann? ist freilich schwer durch Analogie begreiflich zu machen. Doch kann uns selbst unser Erkenntnißvermögen in Absicht auf die Objekte der Mathematik einigermaßen die Möglichkeit davon begreiflich machen. Raum als die Materie dieser Objekte, wird so gut als alle Verhältnisse im Raume in den Objekten der Mathematik, vom Erkenntnißvermögen selbst hervorgebracht. — Wir können also problematisch ein intelligibiles Wesen annehmen, das sich zu allen Objekten der Natur überhaupt, wie unser Erkenntnißvermögen zu den Objekten der Mathematik verhält. —

»Diese lebendigen Werke: sollten sie hervorgebracht seyn ohne Verstand und Geist, da unsere leblosen Nachahmungen auf der Oberfläche der Materie beides schon erfordern? — Wie unendlich muß nicht dieser Künstler der inwendige Allgegenwärtige, über uns erhaben seyn; Er der nie ausschließend Stoff oder Gegenstände wählt, sondern unaufhörlich, und in Allem alles würket.«

Dieses kann nach Leibnizens Monadenlehre und der Harmonie praestabilita auf folgender Art erklärt werden.

[62]

Das unendliche Vorstellungsvermögen stellt sich alle mögliche Dinge aufs deutlichste vor. Da wir nun diesem System zufolge, von keiner andern Substanz eine Vorstellung haben, als von unserm Ich oder Vorstellungsvermögen selbst (denn die körperlichen Substanzen sind diesem Systeme zufolge nur Scheinsubstanzen) so sind alle mögliche Dinge als Substanzen nichts anders als alle mögliche Vorstellungsvermögen. Diese sind wiederum nichts anders als das unendliche Vorstellungsvermögen auf unendliche Arten eingeschränkt. Dieses unendliche Vorstellungsvermögen stellt also sich selbst auf alle mögliche Arten eingeschränkt vor. Die Vorstellungen eines unendlichen Vorstellungsvermögens sind zugleich Darstellungen, d.h. sie erhalten dadurch daß sie Vorstellungen sind Objektive Realität ausser demselben. Ein jedes Objekt der Natur, d. h. ein jedes als Substanz existirendes Vorstellungsvermögen ist also wie Leibniz sich ausdrückt ein Spiegel des Universums, weil es, ob zwar in Ansehung der Intension, auf eine eingeschränkte Art, das ganze Universum vorstellt. Der Künstler des Universums würkt also alles in Allem. —

»Wir haben aber dreierlei Verstand zu unterscheiden. Den Göttlichen, welcher alles ist; — den Verstand des Weltalls, welcher alles hervorbringt; — den Verstand der einzelnen Dinge, in welchem alles hervorgebracht wird. Zwey Extreme; und in der Mitte die wahre würkende, so-[63]wohl äusserliche als innerliche Ursache. Aeusserliche, weil sie als efficiente Ursache nicht zu den zusammengesetzten und hervorgebrachten Dingen als ein Theil derselben gerechnet werden kann, folglich als ausser ihnen betrachtet werden muß. Innerliche, weil sie weder an noch ausser der Materie geschäftig, sondern durchaus nur von innen thätig ist.«

Diese Unterscheidung der dreierlei Arten von Verstand oder Vorstellungsvermögen überhaupt, ist ungeachtet der Dunkelheit worin der V. sie einhüllet, von großer Wichtigkeit. Es verlohnt also die Mühe wenn ich mich hiebei ein wenig aufhalte.

Die menschliche Seele wird mit Recht, in höhern und niedrigern Seelenvermögen eingetheilt. Jene sind die intelligibilen Seelenvermögen, Verstand und Vernunft, die blos die Formen der Erkenntniß, oder die verschiedene Arten das gegebene Mannigfaltige in eine Einheit des Bewußtseyns zu bringen, liefern; Diese sind die Vermögen der Sinnlichkeit; Empfindung, Einbildungskraft. Diese liefern den Stoff, das gegebene Mannigfaltige. Jene verbinden und trennen dieses Mannigfaltige nach Gesetzen der Sinnlichkeit. Die höhern Seelenvermögen sind im höchsten Grade thätig, indem die Verbindung und Trennung der Vorstellungen durch dieselbe ohne Zeit, d.h. in einem beliebigen Zeitpunkt geschieht. Die Vorstellungen selbst folgen aufeinander in der Zeit, das Urtheil über ihr Verhältniß zu einander hingegen muß in [64]einem untheilbaren Moment geschehen. Aber sie sind blos in sich thätig, und man kann nicht von ihnen sagen: sie sind auf die Vorstellungen würkend. Denn würken heißt, Veränderungen in der Zeit hervorbringen. Die höhere Seelenkräfte aber würken nicht in der Zeit; sie bringen die Formen der Erkenntniß nicht hervor, sondern diese inhäriren in ihrem Wesen auf eine nothwendige Art. Die Sinne und die Einbildungskraft müssen die Vorstellungen worauf diese Formen angewendet werden sollen, in einer Zeitfolge herschaffen. Die Anwendung der Formen auf dieselbe aber geschieht auf eine nothwendige Art, ohne Zeit.

Die Empfindung verhält sich blos leidend, indem sie das gegebene Mannigfaltige blos aufnimmt.

Also nur die Einbildungskraft ist in gewisser Rücksicht würkend, indem sie das gegebene Mannigfaltige (die Vorstellungen) nach ihren eigenen Gesetzen verbindet und trennet.

Auf eben der Art kann von dem unendlichen Vorstellungsvermögen nicht gesagt werden, es würkt (bringt hervor) alles d.h. seine Vorstellungen, weil diese seinem Wesen nothwendig sind; sondern es ist alles. — Das menschliche eingeschränkte Vorstellungsvermögen ist nicht alles was es seyn kann auf einmal, sondern dieses wird in ihm nach und nach hervorgebracht. Die Weltseele als ein Vorstellungsvermögen das zwar alle mögliche Vor-[65]stellungen wirklich macht. Aber nicht auf einmal, sondern in einer Zeitfolge ist also die wahre würkende Ursache. —

»Ich gehe zu der mit der würkenden oder efficienten Ursache verknüpften formalen über, welche von dem idealen Grund, oder der Endursache nicht wohl getrennet werden kann. Denn eine jede Handlung, welche mit und durch Verstand geschehen soll, setzt ein Vorhaben zum voraus, dem eine Hinsicht auf Etwas zum Grunde liegt. Dieses Etwas ist aber nichts anders, als die Form derjenigen Sache welche zu Stande kommen soll. In jenem Verstande also, welcher die Kraft hat, alle Arten der Dinge hervorzubringen, und mit der herrlichsten Kunst das Vermögen der Materie im Wirklichen darzustellen, müssen nothwendig alle jene Dinge, nach einem gewissen formalen Grunde, früher schon vorhanden seyn. Eine zwiefache Form muß daher durchaus angenommen werden; einmal diejenige, welche Ursache, aber noch nicht zu Wirklichkeit bestimmende Ursache ist; alsdenn die andere, welche den Gegenstand aus der Materie wirklich jetzt entstehen läßt. Der Zweck der würkenden Ursache, oder die Endursache überhaupt, ist die Vollkommenheit des Universums, welche darin besteht, daß in den verschiedenen Theilen der Materie alle Formen zum wirklichen Daseyn gelangen: und in diesem Zwecke gefällt und ergötzt sich der Verstand so sehr, daß er nie müde wird, neue [66]Gattungen der Form aus der Materie zu erwecken; welches auch die Meinung des Empedokles gewesen zu seyn scheint. Ich füge noch hinzu, daß wie die würkende Ursache im Universum allgemein; in jedem Einzelnen aber und seinen Theilen auch besonders gegenwärtig ist: dasselbige in Absicht ihrer Form und ihres Zweckes statt finde.«

Wer mit dem Unterschied zwischen beiderlei Arten, nehmlich der transzendentalen und empyrischen Konstruktion der Objekte der Mathematik nicht unbekannt ist, der wird auch den Unterschied zwischen den beiderlei Arten von Formen, wovon der V. spricht, leicht begreifen.

»Da ich von dem Verstande, als einer Eigenschaft der Weltseele, gezeigt habe, er sey der nächste und letzte Hervorbringer aller natürlichen Dinge; so ist damit zugleich bewiesen, daß Form und würkende Ursache nicht zwei von einander eigentlich verschiedene Dinge, sondern gewissermaßen dieselbige sind: eine Einsicht, welche uns der Erkenntniß der Prinzipien, als des innersten Grundes der Dinge, schon um vieles näher führt.

Hier müssen wir nun gleich eine Frage, welche aus der behaupteten Identität der würkenden und formellen Ursache entsteht, zu beantworten suchen; diese nehmlich: wie ist es möglich, daß ein und dasselbe Wesen, nehmlich die Weltseele, zugleich innerlicher und äusserlicher Grund, Prinzip und Ursache seyn könne?

[67]

Eine Vergleichung wird uns zu der Auflösung verhelfen. Wie ein Bootsmann in seinem Schiffe, so befindet die Seele sich in ihrem Körper. Der Bootsmann, in so fern er mit seinem Schiffe einerlei Bewegung hat, macht einen Theil der ganzen bewegten Masse aus. Betrachten wir ihn aber in so fern er diese Bewegung verändert, so erscheint er als ein Unterschiedenes, für sich würkendes Wesen. Desgleichen die Weltseele. In so fern sie das Universum durchströmt, nur Ein Leben, nur Eine allgemeine Form ist, kann man sie als einen innerlichen, nehmlich, den formellen Theil des Weltalls betrachten. In so fern sie aber alle andere Formen bestimmt, einrichtet, und ihre wechselnden Verhältnisse gebiert, kann sie nicht als ein Theil, nicht als Prinzip betrachtet werden, sondern sie ist Ursache.«

Siehe Anmerkung a).

»Wenn alles belebt, und die Seele eines jeden Dinges seine Form ist, so braucht man das Ganze nur nach der Analogie der Theile zu denken, um bei der Identität der würkenden, formellen und idealen Ursache keine Schwierigkeit zu finden. Aber wir haben, ich weiß nicht was für eine Abneigung, die Welt als ein durch und durch lebendiges Wesen anzusehen; da wir uns doch eine Form, die nicht Würkung, nicht unmittelbarer oder mittelbarer Ausdruck einer Seele wäre, eben so wenig, als etwas überhaupt ohne Form gedenken können. [68]Bilden kann allein der Geist. Dinge der Kunst die nur mittelbare Würkungen des Geistes sind, für lebendige Formen auszugeben, wäre freilich abgeschmackt und lächerlich. Mein Tisch ist als Tisch, meine Kleidung als Kleidung nicht belebt; Da sie aber ihren Stoff aus der Natur haben, so bestehen sie aus lebendigen Theilen. Kein Ding ist so gering und klein, daß nicht Geist in ihm wohnte; und diese geistige Substanz bedarf nur eines schicklichen Verhältnisses, um sich als Pflanze auszubreiten, oder als Thier zu den Gliedern irgend eines regen Leibes zu gelangen. Daraus aber daß in der Natur alles bis zum kleinsten Theile aus Materie und Form besteht, und nichts unbelebt ist, folget noch keinesweges, daß alles was ist, eine thierische Natur oder ein lebendiges Wesen sey. Nicht alle Dinge, welche Seele haben, sind darum, was wir beseelte Wesen nennen. Aber alle besitzen der Substanz nach Seele und Leben; nur sind nicht alle im wirklichen Genuß des Lebens und der Anwendung der Seele.«

Dieses stimmt mit Leibnizens Monadologie aufs genaueste überein.

»Ich werde auf diese Materie zurückkommen, und dann ausführlicher von dem Verstande, dem Geiste, der Seele, dem Leben reden; dem Leben, welches alles durchdringt, in allem ist, alle Materie bewegt, ihren Schooß erfüllt, und sich dieselbe unterwirft. Denn die geistige Substanz kann nicht [69]von der materiellen überwunden werden; sondern diese wird vielmehr von jener beherrscht.

Principio caelum ae terras camposque liquentes Lucentemque globum lunae, Titaniaque astra Spiritus intus alit, totamque infusa per artus Mens agitat molem, magno se corpore miscet.«

Auch dieses stimmt mit Leibnizens Meinung aufs genaueste überein. Ich will mich daher dabei nicht aufhalten.

»Wenn also Geist, Seele, Leben sich in allen Dingen wieder findet, und, nach Graden, was Wesen hat, davon erfüllt ist: so muß dieser Geist auch die wahrhafte Form aller Dinge und ihre Kraft seyn. Dem Wandel und dem Untergange sind allein die äusserlichen Formen unterworfen, welche nicht Dinge, sondern von dem Dinge sind; nicht Substanzen sondern Beschaffenheiten und Umstände derselben.

Morte carent animae, domibus habitantque receptae

Omnia mutantur nihil interit.«

Auch nach Leibnitz sind nur die peripathetischen Formen oder Kräfte wahre Substanzen. Die äussern Formen hingegen sind blos ihre Phänomene.

[70]
II. Von dem maternellen Prinzip überhaupt: hernach insbesondere. Von dem materiellen Prinzip als Potenz betrachtet.

»Demokritus und die Epikuräer, welche behaupten, was nicht Körper sey, sey nichts, nehmen die Materie als den einzigen Grund der Dinge an und sagen: sie selbst sey die göttliche Natur. Auch die Cyrenaiker, Cyniker und Stoiker, halten die Formen für nichts anders als gewisse zufällige Beschaffenheiten der Materie. Ich selbst habe dieser Meinung lange angehangen, weil ihre Gründe sich weit besser aus der Natur, als die Aristotelischen herleiten und beweisen lassen. Nachdem aber mein Gesichtskreis sich erweitert hatte, und ich nun anfieng, der Sache reiflicher nachzudenken; schien es mir dennoch nothwendig, zwey Arten der Substanz anzunehmen, wovon die eine Form, die andre Materie wäre. Denn eben so wie eine höchste Kraft angenommen werden muß, woraus das würksame Vermögen aller andern Kräfte fließt; so muß auch ein entsprechendes Subjekt, welches eben so viel leiden, wie jenes würken kann, schlechterdings angenommen werden. Das Vermögen des Einen ist, zu bestimmen; das Vermögen des Andern, sich bestimmen zu lassen.«

Hier gerathen die Methaphysiker die (aus Gallanterie) der Theologie den Hof machen wollen, ziemlich ins Gedränge. Die Frage ist: wie ist [71]die Materie entstanden? Das allervollkommenste Wesen das sie als die höchste Intelligenz bestimmen, kann blos als würkende, formelle und Endursache, keinesweges aber als materielle Ursache betrachtet werden. Die Allmacht sagen sie, hat die Materie aus nichts hervorgebracht. Aber der Begriff dieser Allmacht selbst, ist blos problematisch und kann von uns auf keinerlei Weise dargestellt werden. Er hat also keine objektive Realität. Es ist uns hier nicht blos um die Grösse der Würkung, sondern um die Würkungsart gelegen. Ich kann mir allerdings eine Kraft von bestimmter Würkung vorstellen, die größer als jede gegebene Kraft ist, aber nicht eine Kraft als Objekt bestimmen, von deren Würkung ich nicht (ausser den transzendentalen Begriff von Ursache und Substanz) den mindesten Begriff habe. Leibniz erklärt sich nicht darüber geradezu, aber aus seinem System läßt sich seine Meinung hierüber leicht errathen. —

Plato behauptet die Materie ist von dem sie regierenden Geiste unzertrennlich, und folglich gleich ihm ewig. Sie ist der Stoff woraus er alles nach Belieben hervorbringt. Dieser Meinung ist auch der V. zugethan.

Wir können uns die Würkungsart dieser höchsten Intelligenz nicht anders als eine Konstruktion a priori denken, d.h. so daß nicht blos, wie in einer Konstruktion a posteriori, die Form a priori in einer empyrischen Materie dargestellt, [72]sondern selbst schon in einer Materie a priori vorgestellt wird. Doch sind die Wege Gottes von den unsrigen verschieden. —

»Wenn man die Materie von der Form absondern will, um sie besonders zu betrachten; so pflegt man von einer Vergleichung mit den Werken der Kunst auszugehen. Auf diese Weise sehen wir die Pythagoräer, die Platoniker, und die Peripatetiker verfahren. Das erste beste Handwerk kann hier zum Beispiel dienen. So liegt den Arbeiten des Tischlers, das Holz; den Arbeiten des Schmiedes das Eisen zum Grunde. Jeder bringt aus einem und immer nur demselben, aber seiner Kunst besonders geneigten Stoffe, eine Mannigfaltigkeit verschiedener Dinge hervor, deren Gestalt, Art, Beschaffenheit und Gebrauch zwar nicht aus der Natur und dem Eigenthümlichen des Stoffes hergeleitet werden kann; aber welche doch auch schlechterdings nicht durch die Kunst allein und bloß für sich bestehen könnten. Eben so verhält es sich in Absicht der Natur; doch mit dem wichtigen Unterschiede, daß die Kunst eine schon gebildete und mannigfaltige Materie, deren bloße Oberfläche sie verändert, aus den Händen der Natur empfängt. Die Natur würket aus dem Mittelpunkte gleichsam ihres Gegenstandes, einer durchaus formlosen Materie; und dieser subjektive Gegenstand ist nur ein einziger und einfacher, dem sie alle seine Verschie-[73]denheiten und Bestimmungen durch die Form erst geben muß.

Aber dürfen wir eine solche formlose Materie annehmen, wenn wir sie nirgend finden, und kein Mittel haben, uns von ihrer Realität zu überzeugen? — Wir dürfen es keinesweges. Fehlt es uns aber darum an einem Mittel die Farben wahrzunehmen, weil wir nicht das Ohr dazu gebrauchen können? Freilich, um das von dem Subjekt der Kunst so ganz verschiedene Subjekt der Natur wahrzunehmen, bedarf es eines andern, als des äusserlichen Sinnes: es wird nur durch das Auge der Vernunft erblickt, dem es aber nicht entgehen kann.

Wie sich die Form der Kunst zu der Materie der Kunst verhält; so verhält sich, unter der gehörigen Einschränkung, auch die Form der Natur zu der Materie der Natur. Welche unzählige Menge von Verwandlungen sehen wir nicht die Kunst mit einer einzigen Materie vornehmen! Hier liegt der gefällte rohe Stamm; dort stehet ein ausgeschmückter, mit dem kostbarsten Geräthe angefüllter Pallast. Aehnliche Verwandlungen zeigt uns die Natur. Was erst Saamen war, wird Gras, hierauf Aehre, alsdann Brodt — Nahrungssaft — Blut — thierischer Saamen — ein Embrio — ein Mensch — ein Leichnam; dann wieder Erde, Stein, oder andere Masse, und so fort. Hier erkennen wir also Etwas, welches sich in alle diese [74]Dinge verwandelt, und an sich immer eins und dasselbe bleibt. Es kann also weder Körper seyn, noch zu dem gehören, was wir Eigenschaften, Beschaffenheiten oder Qualitäten nennen; denn diese sind veränderlich und gehen von einer natürlichen Form in die andere über: es kann folglich auch nicht körperlich und sinnlich dargethan werden.

Da nun aber, diesem zufolge, alle natürliche Formen aus der Materie hervorgehen, und in dieselbe zurückkehren; so scheint wirklich nichts beständig, ewig, und des Namens eines Prinzips würdig zu seyn, als allein die Materie. Die Formen können ohne die Materie, die sie aus ihrem Schooße hervorgehen läßt, und wieder darin aufnimmt, nicht bestehen; dahingegen die Materie immer dieselbige, und immer eben fruchtbar bleibt. Darum sind nicht wenige, nachdem sie dem Grunde der natürlichen Formen lange nachgedacht hatten, zuletzt auf den Gedanken gerathen, es wären diese Formen bloße Zufälligkeiten, Beschaffenheiten und Umstände der Materie. Der Materie allein müsse folglich Realität, Vollkommenheit und wirkliches Vermögen zugeschrieben werden; keinesweges aber solchen Dingen, welche deutlich zu erkennen geben, daß sie weder Substanz, noch Natur; sondern nur Dinge der Substanz und der Natur sind. Dieser Lehre, welche die Materie zu einem nothwendigen, ewigen und göttlichen Prinzip macht, war auch [75]der Peripatetische Maure Avikab zugethan, der sie den Gott nennt, in welchem alle Dinge sind.«

Die Materie muß nothwendig als Subjekt und die Form als Prädikat betrachtet werden, weil die Form blos in der Materie, diese hingegen auch ohne die Form vorstellbar ist. So wie z.B. in einem Dreieck Raum als Subjekt, und die drei Linien worin es eingeschlossen ist, als Prädikat, aber nicht umgekehrt betrachtet werden muß, weil Raum auch an sich ohne Bestimmung der drei Linien, diese aber nicht ohne Raum vorstellbar sind.

»Wirklich muß man in diesen Irrthum gerathen, wenn man nur eine zufällige Form, eine Form der zweiten Gattung, und nicht jene nothwendige, ewige und erste, welche aller Formen Form und Quelle ist, erkennt, die wir mit den Pythagoräern das Leben und die Seele der Welt genannt haben.

Aber diese erste allgemeine Form, und jene erste allgemeine Materie: wie sind sie vereinigt, unzertrennlich; verschieden — und dennoch nur Ein Wesen? Dieses Räthsel müssen wir nun aufzulösen suchen.

Das Prinzip, welches Materie heißt, kann auf zweierlei Weise betrachtet werden. Einmal, als Potenz; hernach, als Subjekt. Wenn wir sie als Potenz betrachten, fallen alle mögliche Wesen auf eine gewisse Weise unter ihren Begriff; und die Pythagoräer, Platoniker, Stoiker und andere haben sie aus dieser Ursache nicht weniger zu den [76]übersinnlichen, als zu den sinnlichen Dingen gerechnet. Wir sehen die Materie nicht ganz so an, wie diese Weltweisen, sondern machen uns von ihr, als Potenz, einen höheren und mehr entwickelten Begriff.«

Hier ist der Ort wo ich mich über die sonst schwankende Begriffe von Materie und Form und ihr Verhältniß sowohl zu einander, als zum Erkenntnißvermögen umständlich erklären muß.

Dem Sprachgebrauche zufolge ist Materie das mehreren Objekten Gemeinschaftliche, welches in einem jeden auf eine besondere Art bestimmt wird. Form aber die besondere Bestimmung eines jeden, wodurch es ein besonderes von dem Uebrigen verschiedenes Objekt ist. Dieses Gemeinschaftliche wird aber entweder analytisch oder synthetisch gefunden. Im ersten Fall werden die Objekte in ihren wesentlichen Merkmalen zerlegt, aus diesen werden diejenigen Merkmale, worin sie von einander verschieden sind, abgesondert, und blos das allen Gemeinschaftliche (das sich alsdann von selbst ergiebt) beibehalten. So verfährt man wenn man z.B. den allen Körpern gemeinschaftlichen Begriff von Körper überhaupt herausbringen will, indem man von den Merkmalen besonderer Körper abstrahirt, und blos das allen Gemeinschaftliche, Ausdehnung und Solidität beibehält.

Im zweiten Falle hingegen nimmt man den umgekehrten Weg. Man fängt von dem an sich denk-[77]baren an, und macht es durch verschiedene, ihm gleich mögliche Bestimmungen, zu ein mehreren Objekten Gemeinschaftliches. Man nimmt z.B. den Begriff von Raum, der schon an sich objektive Realität hat, und bestimmt ihn auf verschiedene Arten zu verschiedene Objekte (z.B. als Dreieck Zirkel u.d.g.) Das diesen Objekten Gemeinschaftliche, nehmlich der Raum ist hier nicht von denselben abstrahirt, sondern es wird vielmehr denselben vorausgesetzt, ohne welches sie nicht gedacht werden können. Im ersten Falle ist Materie und Form (in Ansehung unserer Erkenntniß) blos zufälligerweise verknüpft. Aus dem Begriff der Ausdehnung und Solidität werden wir nie die synthetische Möglichkeit des Goldes z.B. oder der besondern Bestimmung dieses allen Körpern Gemeinschaftliches durch gelbe Farbe u.d.g. herausbringen können. Wir erkennen dieselbe blos empyrisch. Im zweiten Falle hingegen hat die Verknüpfung von Materie und Form einen Grund a priori, nehmlich die unmögliche Denkbarkeit der Form an sich ausser ihrer Verknüpfung mit der Materie, so daß sie nicht als Subjekt sondern blos als Prädikat der Materie gedacht werden kann.

Das was auf den synthetischen Weg gefunden wird, kann auch auf den analytischen Weg gefunden werden; aber nicht immer auch umgekehrt. Man kann z.B. die Vorstellung des Raumes auch dadurch erhalten, daß man von allen möglichen ma-[78]thematischen Figuren, das wodurch sie sich von einander unterscheiden abstrahirt, und das ihnen Gemeinschaftliche beibehält. Dahingegen können wir nicht das allen Körpern Gemeinschaftliche so bestimmen, daß wir auf den synthetischen Weg daraus alle Körper darstellen könnten. —

Doch obschon wir dieses nicht können, so müssen wir es doch in Beziehung auf ein höheres Erkenntnißvermögen als das unsrige ist, voraussetzen, weil sonst die von uns erkannte regelmäßige Verknüpfung der allgemeinen Merkmale von Körper überhaupt (Ausdehnung und Solidität) mit dem spezifischen (gelbe Farbe) im Golde unerklärbar wäre.

Dieses synthetische Gemeinschaftliche ist also von dem von uns gefundenen analytischen Gemeinschaftlichen (das blos eine Folge von Jenem seyn kann) ganz verschieden. Jenes ist Prinzip (Entstehungsgrund) des Eigentümlichen. Dieses hingegen blos Subjekt; oder Jenes ist das reelle, dieses aber das blos logische Subjekt des Eigenthümlichen. Daß der Tisch viereckigt ist, ist blos zufällig. Tisch und Viereck stehen nicht in einem reellen, sondern in einem blos logischen Verhältniß von Subjekt und Prädikat. Daß aber Raum in vier Linien eingeschlossen werden kann, ist wesentlich, weil Raum auch an sich, vier Linien hingegen ohne Raum nicht denkbar sind. Raum und vier Linien stehen nicht in einem blos logischen, sondern auch in einem reellen Verhältniß von Subjekt und [79]Prädikat. Da aber der Raum, obschon er das Viereck möglich macht, dennoch dasselbe nicht hervorbringt, so ist Raum blos das materielle Prinzip des Vierecks, das Erkenntnißvermögen selbst aber das würkende Prinzip desselben. Diese beide sind aber nothwendig verknüpft und können nicht ohne einander statt finden. Das Erkenntnißvermögen kann seine Formen nur in eine von ihm unzertrennliche Materie a priori darstellen. So weit glaube ich ist es zur Erläuterung der tiefsinnigen aber äusserst dunklen Gedanken des V. hinreichend.

»Gewöhnlich theilt man die Potenz, oder das Vermögen, in ein aktives und ein passives ein. Ich lasse den aktiven Modum bei Seite, um bei dem passiven zu bemerken, daß man, um ihn nach der Wahrheit zu betrachten, ihn rein und absolut betrachten müsse.

Nun ist es unmöglich, irgend einer Sache Daseyn beizumessen, welcher das Vermögen da zu seyn gebräche. Letzteres bezieht sich aber so ausdrücklich auf den aktiven Modum; daß hieraus sogleich erhellet, wie der eine ohne den andern nicht seyn kann, sondern beide sich einander gegenseitig voraussetzen. Wenn also von jeher ein Vermögen zu würken, hervorzubringen, zu erschaffen da war, so mußte auch von jeher ein Vermögen bewürkt, hervorgebracht, und erschaffen zu werden da seyn. Der Begriff der Materie, als eines passiven Wesens, auf diese Weise gefaßt, läßt sich mit dem Be-[80]griffe des höchsten übernatürlichen Prinzips, ohne Bedenken vereinigen, und nicht allein alle Philosophen, sondern auch alle Gottesgelehrte müssen ihre Stimme dazu geben. Die vollkommene Möglichkeit des Daseyns der Dinge, kann vor ihrem wirklichen Daseyn nicht vorhergehen, und eben so wenig nach demselben überbleiben.«

Die vollkommene Möglichkeit ist nicht blos der Mangel eines Widerspruchs die logische conditio sine qua non, sondern der synthetische Grund eines Objekts, das immer ein Daseyn voraussetzt.

»Wenn es eine vollkommene Möglichkeit wirklich zu seyn, ohne wirkliches Daseyn gäbe, so erschaften die Dinge sich selbst, und wären da, ehe sie da wären. Das erste und vollkommenste Prinzip fasset alles Daseyn in sich; kann alles seyn, und ist alles. Wenn es nicht Alles seyn könnte, so wär' es auch nicht alles. Thätige Kraft und Potenz, Möglichkeit und Würklichkeit, sind in ihm also ein unzertrennliches und unzertrennbares Eins. Nicht so die andern Dinge, welche seyn und nicht seyn, so oder anders bestimmt werden können. Jeder Mensch ist in jedem Augenblicke, was er in diesem Augenblicke seyn kann; aber nicht alles, was er überhaupt und der Substanz nach seyn kann. Was alles ist, was es seyn kann, ist nur ein Einziges, welches in seinem Daseyn alles andere Daseyn begreift. Die übrigen Dinge sind nur was sie sind, und jedesmal seyn können, einzeln, besonders, in [81]einer gewissen Ordnung und Folge. Also ist ein jedes Vermögen eine Handlung, welche im Prinzip eingewickelt, ungetrennt, die einfache Handlung des Prinzips selbst ist, welche in den Dingen entwickelt, zerstreut und vervielfältiget erscheint.«

Wenn der Begriff eines Dinges so gefaßt wird, daß man den Grund seiner Synthesis einsieht, so hat man die vollkommene Möglichkeit oder die objektive Realität desselben. Diese Möglichkeit läßt der Wirklichkeit nichts mehr übrig, weil alles andere Hinzugedachte zu dieser Synthesis nicht gehört. Siehet man hingegen den Grund der Synthesis nicht ein, und verbindet man blos deswegen mehrere Merkmale zu einem Objekt, weil sie sich analytisch nicht widersprechen, so ist die dadurch vorgestellte Möglichkeit des Objekts nicht vollkommen, weil man auf diese Art noch immer mehrere Merkmale, die die Erfahrung als mit den Vorigen wirklich verknüpft darbietet, hinzufügen muß. Also blos der Mangel einer solchen synthetischen Erkenntniß trennt die Wirklichkeit von der Möglichkeit eines Dinges, welche Trennung in Ansehung eines unendlichen Erkenntnißvermögens nicht statt finden kann. —

Ein Zirkel z.B. ist durch eine Konstruktion a priori vollkommen möglich, d.h. dieser Begriff hat schon vor aller Erfahrung objektive Realität. Was fehlt also noch zu seiner Wirklichkeit? Etwa daß er nicht mit Dinte aufs Papier gezeichnet ist. [82]Aber die schwarze Farbe der Dinte gehört nicht mit zum Begriff des Zirkels, und kann mit demselben in keiner reellen Synthesis gebraucht werden. Sie stehen blos in einem logischen nicht aber in einem reellen Verhältniß von Subjekt und Prädikat, weil sie beide ohne einander vorstellbar sind. Der Zirkel ist also durch seine Möglichkeit schon wirklich. Denke ich mir hingegen das Gold. Z.B., so, u.s.w.

»Das Universum, die unerzeugte Natur, ist ebenfalls alles was sie seyn kann in der That und auf Einmal; weil sie alle Materie nebst der ewigen unveränderlichen Form ihrer wechselnden Gestalten in sich faßt: aber in ihren Entwicklungen von Moment zu Moment, ihren besondern Theilen, Beschaffenheiten, einzelnen Wesen, überhaupt ihrer Aeusserlichkeit, ist sie schon nicht mehr was sie ist und seyn kann; sondern nur ein Schatten von dem Bilde des ersten Prinzips, in welchem thätige Kraft und Potenz, Möglichkeit und Wirklichkeit Eins und dasselbe sind. Da kein Theil des expliciten Weltalls alles ist, was er seyn kann; wie sollte das aus lauter solchen Theilen bestehende Ganze die Vollkommenheit einer Natur ausdrücken, welche alles ist, was sie seyn kann, und nichts seyn kann, was sie nicht ist?

Unserm Verstande ist es unmöglich, jenes durchaus und schlechterdings thätige Vermögen, welches zugleich das schlechterdings und durchaus leidende Vermögen ist, zu fassen; wir begreifen weder wie [83]Etwas alles seyn kann, noch wie es alles ist; denn unsere ganze Erkenntniß ist nur eine Erkenntniß der Aehnlichkeit und des Verhältnisses, welche bei dem Unermeßlichen, Unvergleichbaren, schlechterdings Einzigen auf keine Weise kann angewandt werden. Wir haben kein Auge weder für die Höhe dieses Lichts, noch für die Tiefe dieses Abgrunds; worüber die heiligen Bücher, indem sie beide äusserste Enden zusammenfassen mit Erhabenheit sagen: Tenebrae non obscurabuntur a te. Nox sicut Dies illuminabitur. Sicut tenebrae ejus, ita et lumen ejus.«

Dieses mag als ein Beispiel zur Erläuterung meiner Gedanken von der höheren Schwärmerei hinreichend seyn. Hier siehet man, wie die produktive (dichterische) Einbildungskraft, alle andere Erkenntnißkräfte zur Würksamkeit über die Grenzen ihres Vermögens anspornt. Die Natureinheit die der Verstand erkennt, schaft sie zur höchsten Natureinheit, die sie nachher in der höchsten Einheit der Prinzipien idealisirt. Das Erkenntnißvermögen erhebt sich beständig über sich selbst, und fällt wiederum in seinen vorigen Zustand zurück. Daher die Verworrenheit im Vortrage der Gedanken, und das Bildliche im Ausdrucke. Daher das Bestreben die Gedanken auf verschiedene Arten darzustellen, und die Vermängung des Dichterischen mit dem Philosophischen.

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Der grobe Schwärmer verräth einen Mangel des Erkenntnißvermögens, nicht die Idee von der höchsten Vollkommenheit des Gegenstandes an sich, sondern die dunkel wahrgenommene Beziehung desselben auf den Zustand seiner Empfindung spornet ihn zu Untersuchungen über denselben an. Der kalte, schulgerechte Philosoph verräth zwar keinen Mangel des sich auf bestimmte Objekte beziehenden Erkenntnißvermögens, aber doch einen Mangel an Genie. Der Schwärmer von der höheren Art ist ein Genie. Er findet in der schulgerechten Erkenntniß des Philosophen Spuren einer höheren Erkenntniß. Diese bestrebt er sich, ob zwar auf eine unvollkommene Art, darzustellen. Da nun diese Spuren viel tiefer im Erkenntnißvermögen liegen als jede bestimmte Erkenntniß, so ist es kein Wunder, wenn er zuweilen diese jenen aufopfert, und nach Leitung des Genies auf unbekannte Wege herumwandelt.

S. Maimon.

Erläuterungen:

a: Vorlage: Jacobi 1789, S. 261-287.