ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: X, Stück: 1 (1793) >  

IV.

Intendirter Selbstmord aus Hypochondrie. a

K.

(Aus gerichtlichen Akten gezogen.)

Die Pastorinn W... zu E.... im Hannöverschen zeigte am 8ten Novbr. 1789. dem dasigen Amte an, daß sich der ehemals daselbst gestandene Organist H....., ganz mit Blut bespritzt, in ihrem Hause eingefunden habe und selbst angebe, wie er sich vor einigen Stunden durch mehrere in den Leib gegebne Messerstiche zu tödten gesucht, solches aber nicht habe ausführen können.

[53]

Nach gehörig getroffnen Maasregeln wurde der Inquisit in den folgenden Tagen über seine That verhört, und sein Geständniß ist — mit Beibehaltung seiner eignen Worte folgendes:

»Er heiße Salomon Elias H...., sey 33 Jahr alt, und aus Dürrenfeld in Thüringen gebürtig, wo sein Vater Schulmeister gewesen. In seinem 6ten Jahre sey ihm dieser gestorben, und er sey von seiner Mutter in der lutherischen Religion erzogen, auch in seinem 14ten Jahre confirmirt worden. Bald darauf sey auch seine Mutter gestorben, er habe sich nun bey seinen Anverwandten aufgehalten, und bis in sein zwanzigstes Jahr in der benachbarten Stadt Königssee die Musik gelernt. Hierauf sey er nach Hannover in das dasige Chor gegangen, habe auch zugleich während der sieben Jahre seines Aufenthalts das Seminarium frequentiret. Um Ostern 1783 sey er endlich nach E... als Kantor gekommen.

In Hannover habe er einer gewissen Wittwe B.... die Ehe versprochen, und dieses sey der Grund seines ganzen Unglücks. Da diese Person in der Folge einen schlechten Lebenswandel geführt, auch einen Diebstahl begangen, so habe er sein Versprechen nicht halten wollen, und sich durch 50 Rthl. und die Versicherung ihr sobald er könne noch 300 Rthl. zu geben, mit ihr abgefunden. In der Folge sey er auf die Gedanken gerathen, daß ihm diese B.... bey einer andern guten Parthie, die [54]er in E... thun können hinderlich gewesen sey, und ihm verschiedne Feindschaften zugezogen habe. Man sey seiner überdrüßig geworden, und wahrscheinlicherweise habe selbst die Königliche Regierung zu Hannover ihm in den Speisen elektrische Materie oder Gewitterluft beybringen lassen, um sein Leben abzukürzen. Dieser Zweck wäre zwar nicht erreicht worden, allein er habe seit der Zeit doch eine große Nervenschwäche verspürt. Unfähig zu allen Geschäften habe er um Weihnachten 1786 seinen Dienst freiwillig quittiret, E.... mit 150 Rthl. verlassen, und sey nach Stralsund gewandert. Nach drey viertel Jahren wäre sein Geld bis auf 20 Rthl. geschmolzen gewesen, er habe sich nach E... zurück gesehnt, und um seinen ehemaligen Dienst schriftlich angehalten, aber zur Antwort bekommen, daß der Cantordienst schon wieder besetzt, die Organistenstelle aber erledigt sey. Ob er sich gleich dadurch erniedrigen müssen, so habe er doch dieselbe angenommen. Kaum aber sey er wieder in E.... gewesen, so hätte er schon wieder geglaubt von seinen Feinden verfolgt und durch beigebrachte Gewitterluft krank gemacht zu seyn. Auch habe er den Gedanken nicht los werden können, daß der vorige Organist nicht würklich todt sey und er also auch nicht im Dienst stehe. Seines Lebens überdrüßig, habe er selbst angefangen, es für Gottes Willen zu halten, sich zu tödten. Nach einigen mißlungnen Versuchen habe er, ohngefähr 14 Tage [55]vor Michaelis seinen Dienst zum zweitenmahle verlassen, in der Absicht, so lange herum zu schwärmen, als das Geld reichen würde, nachher aber sich das Leben zu nehmen. Ohne Plan sey er durch das Eisenachsche, Hildburghausensche, Saalfeldsche und Hessensche, und so wieder zurück gezogen. Bey Naumburg habe er sich in die Saale stürzen wollen, da er aber gehört, daß eben in Leipzig Messe sey, so habe er Lust bekommen, diese noch erst zu sehen. Hier habe er seine Uhr und einen Rock verkauft, und mit diesem Gelde noch eine Tour über Merseburg, Halle, Eisleben und Nordhausen gemacht, nachher aber sich wieder in die Gegend um E.... begeben, wo er sich in einem Walde, ohngefähr eine Meile von E... eine Hütte gebauet, sich daselbst 14 Tage aufgehalten, und nur zuweilen Lebensmittel aus Wernigerode gehohlt. Seine Absicht sey im Grunde gewesen, sich nach und nach der Nahrungsmittel wirklich zu entziehn, und so zu verhungern. Es habe ihm aber zu lange gedauert, von der rauhen Witterung sey er endlich aus der Hütte vertrieben worden, und habe sich nur zuweilen darinn, die meiste Zeit aber auf dem Zechenhause zu den drey Annen aufgehalten. Endlich sey sein Geld völlig zu Ende gegangen und er habe nun den festen Vorsatz gefaßt, sich das Leben zu nehmen, auch zu dem Ende giftigen Fliegenschwamm gegessen, den er aber wieder von sich gegeben. In Wernigerode habe er in einer Apotheke Gift ver-[56]langt, aber keinen bekommen, da er daselbst unbekannt gewesen. In voller Verzweiflung habe er nun seine Zuflucht zu seinen Messern, einem Federmesser, einem Barbiermesser und einem Taschenmesser genommen. Gestern Morgen um 10 Uhr sey er nach einem einsamen Ort im Walde gegangen, habe sich den Rock ausgezogen und einige Adern öffnen wollen. Am linken Arm habe er mit dem Federmesser den Versuch gemacht die Adern zu durchschneiden — aber vergebens. Er habe also die Weste aufgeknöpft, das Hemd aufgeschnitten, und mit dem Taschenmesser zwischen den Rippen hindurch zu kommen versucht, es habe aber nicht gehn wollen, daher er sich in der größten Wuth mit dem Taschenmesser zwey Stiche in den Leib gegeben, wobey er so stark ausgehohlt, daß das Messer bis an das Heft in den Leib gegangen. Die Kräfte hätten ihn gleich so verlassen, daß er noch einige Stiche nur sehr schwach führen können, zumal er stark gezittert und ihn die Wunden sehr geschmerzt hätten. Einige Minuten sey er auf dem Platze herum gegangen, bald aber sey ihm ein Schwindel und eine solche Ermattung angekommen; daß er sich auf den Bauch niederlegen müssen. In der gewissen Hoffnung bald zu sterben, habe er einige Zeit ganz still gelegen; da er aber kalt geworden und die Wunden aufgehört zu bluten, habe er wohl gemerkt, daß es mit dem Tod noch Zeit haben werde. Er habe nun gesucht, sich mit dem Barbiermesser den Hals ab-[57]zuschneiden und es zu dem Ende festgebunden. Vor starkem Zittern habe er aber nicht dazu kommen können, und es sey ihm nunmehr der Gedanke eingefallen: daß er mit dem Messer sich das Leben vielleicht nicht nehmen solle. In dem Wirthshause zu den drey Annen, wohin er gegangen, habe man ihn, des scheußlichen Anblicks wegen, nicht dulden wollen. Er sey daher nach E... gekommen, um sich von dem Pastor W... eine alte Pistole zum Erschießen zu holen, die dieser von ihm in Verwahrung gehabt. Als man ihn hier von Amtswegen in Empfang genommen, habe er geglaubt, es geschähe solches blos in der Absicht, um seinen Tod zu befördern, und man würde ihn den nächsten Morgen umbringen. Da er aber gesehen, daß man seine Wunden verbunden habe, und auf seine Heilung bedacht wäre, so sey er von diesen Gedanken zurückgekommen. Er glaube auch nunmehr überzeugt zu seyn: es sey Gottes Wille nicht, daß er sich das Leben nehmen solle; weil er sonst seine Absicht wohl würde haben ausführen können. Uebrigens aber würde er gewiß noch immer von seinen Feinden verfolgt, und halte sich nur so lange sicher, als er hier auf dem Amte >sey.«

Aus dem von dem dasigen Prediger ertheilten testimonio vitae ante actae ergiebt sich:

»Daß der H...., während den ersten zwey oder drey Dienstjahren sich die allgemeine Achtung und Liebe seiner Vorgesetzten, der Bürger-[58]schaft und Schuljugend erworben; daß er aber nach dieser Zeit mehreren Hang zur Einsamkeit, öftere Anwandlungen von Tiefsinn, verschlossenen Charakter und sonderbare Eigenheiten beim Essen und Trinken gezeigt, man auch mehrere Unbiegsamkeit in seinen Meinungen und Handlungen bemerkt habe; unter verschiedenem Vorwande habe er sich öfters von E... zu entfernen gesucht; da man aber dieses hintertrieben, habe er zuletzt um Urlaub auf eine kurze Zeit angesucht, weil er einige Erbschaftsangelegenheiten persönlich besorgen müsse. — — — —

Im Anfange seines zweiten Aufenthalts in E... habe er als Organist mehrere Thätigkeit gezeigt. Doch bald sey verdoppelte Schüchternheit an ihm zu merken gewesen. Sonderbare Reden und Handlungen hätten mit dilucidis intervallis abgewechselt, bis er zuletzt etc. etc.

Durch die gütige und menschenfreundliche Vorsorge der Königl. Regierung zu Hannover wurde der Inquisit, nachdem seine übrigens nicht gefährlichen Wunden geheilt waren, unter die Aufsicht eines geschickten Arztes gegeben, und durch diesen von seinen hypochondrischen Grillen völlig befreit.

Er befindet sich jetzt als Organist zu J..., unweit Hannover, und hat die Tochter des Schulzen geheurathet, bey welchem er, während seiner Kur in Aufsicht gewesen.


[59]

Ich füge hier noch einen von ihm während seines Arrests geschriebenen Aufsatz und einige Stellen aus einem weitläuftigen Gedicht bey, das er, seiner Angabe nach, während seines Herumschwärmens verfertigt hat. Man wird darinn die düstre mitternächtliche Seelenstimmung bemerken, die diesen Unglücklichen, der nicht ganz ohne Kopf zu seyn scheint, peinigte:

Dem prosaischen Aufsatze, betitelt:

Die letzten Tage meines Erdenlebens
Nicht ein einem Lebenslaufe ähnlicher Aufsatz, sondern beschriebenes Ende meines Schicksals

hat er das Motto vorgesetzt: für die Wahrheit ist vieler Edlen Blut geflossen.

»Den 17. Oktober 1789. reißte ich ziemlich bewegt von Nordhausen nach Ilefeld, dem Harz, als bestimmtem Orte meiner lezten Tage entgegen. Hoffnung nach Elbingerode gerufen zu werden, äußerte sich in meinem Herzen so wenig, als ichs selbst wünschte. Mit einem verderbten Körper war mir mein Leben auch in Leipzig, wo (ich gesteh es) die Liebe zum Leben sehr geweckt wird, lästig. Vielmehr war mir der Ort, wo ich so viel gelitten, wenn nicht verhaßt doch gleichgültig. Bei Ilefeld dacht' ich an jene reitzvollen seelig verlebten Tage meiner unschuldigen Jugend zurück, und [60]pflückte unbekümmert Haselnüsse. Könnt ich sie zurückrufen, dacht' ich, wie glücklich! Wie sehr nützlich, Gott und Menschen wohlgefällig, sollten sie angewandt werden! Ich seufzete tief, und von Wehmuth, die ich nie so empfand, durchdrungen, irrte ich vom Wege ab, auf einen Klippenberg, worauf ich keine Spur eines Menschen bemerkte als Vögeln tödtliche Schlingen. Ach! sprach ich zu mir selbst, wärst du jezt Vogel, du würdest um leben zu wollen sterben (Gierigkeit und unersättliche Leckerey, war oft das Grab vieler Menschen).

Die Nacht übereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt süsser tönte, als der vom Wein gefüllte Pokal, folgte ich, als einer der sich glücklich fühlt, der vom Schrecken befreit angenehm überrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit — feiger Muth! Mein Schicksal — ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwärzer als die fürchterlichste Mitternacht! — Nicht öder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! — So oft sezt ich dir eine stählerne Brust entgegen. Ging mit männiglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, — deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswürdiger mit holdem und heroischem Sinne. Ist nicht meinen gleichen [61]Muth zu schwächen, Arzenei gebraucht worden? Es sind vorübergleitende Minuten, worinnen das Herz unsern Muth in Feigheit wandelt, und uns selbst beschämt. (Ein zärtlich Gefühl ist der Philosophie das, was das Mutterherz der guten Kinderzucht ist.) Ich kam an eine Sägemühle, woraus der Bewohner durch donnernde und anzügliche Worte meiner Andringlichkeit auszuweichen meinte. Er irrte sich, denn meine Absicht war, von nun an in Wäldern zu übernachten, um meinen Körper tödtlicher zu machen, und keinem Menschen Sorge zu verursachen, und nicht viel gute Worte zu verschwenden. — Süße Schwermuth in mir, und Dunkel um mich, ging ich unwissend, anstatt vor rückwärts und wählte in einem Birkenthal mein Nachtlager, unter einer Eiche. Kaum hatte ich mich gelegt, so schienen (wenigstens mir) ein paar Eulen zu wetteifern, mein Elend recht jämmerlich zu beweinen. Ich fand darinn eine gewisse Beruhigung. — Das Ungewöhnliche Zerstreuete aus den klagenden Stimmen — Ach und Weh! fürchterlich bange Ahndung — Verzweifelung, konnte nirgends besser angetroffen, und ausgedrückt folglich auch gefühlt, und lebhafter empfunden werden, als von mir in diesem Thale; wo alles zusammentraf — wähnte ich fremdes Mitleid. Hiebei erkannte ich, daß auch im Wahn, oder in schiefem Gefühl einiges Glück liege. In neblichter Phantasie und ungleichmäßiger Vorstellung suchen [62]und finden zwar unzählige wohlthätig großes Glück — und schlummern in behaglicher Selbstgenügsamkeit. Allein mich oft getäuscht wissen und glücklich fühlen, möcht ich nicht feine Seele nennen, sondern verdorbenes Gefühl, das sich an jedes rauschende Blatt anhakt, zu viel Reiz hat, oft lästig ist, und mißmüthig macht; andern leicht unerträglich und lächerlich wird, und uns gefährlich werden kann. Z.B. zu zärtliche Romane, Schooshündchen, Püpchen, und dergl. feine Sächelchen, die nach einer höhern Sphäre riechen, welche einem Traumgespinst vom übermäßigen Genuß des Weins erzeugt, gleicht, das mit seinem Entstehen zerflattert. Ich war auch angesteckt mit Schaden für diese, zum Glück für eine bessere Welt aber glücklich geheilet. Bald hätte ich den holen Todtensang vergessen. Sie schwiegen — vermuthlich aus hungriger Bedürfniß, und mit diesem Gedanken zerrann mein süßer Wahn. Um aber der ungewohnten Herbstkühle, ein schwach linderndes Mittel entgegen zu setzen, ließ ich meine Phantasie spielen, und reimte folgende Worte zu jenem würklich einschneidenden melancholischen Gesange.

Heulet Klagen! Todessänger!

Prophezeyt mir Tod und Grab.

Heulet schaudernd daß es bänger

Schallt ins stille Thal herab.

Heulets: daß nun Tod nicht fern

Heulet nur, ich hör euch gern.

[63]

Vielen deutet eure Klage,

Schrecklich nahes Sterben an,

Denen, wo nach alter Sage,

Ein'ge euch auf Dächern sahn.

Aber mir, dem Tod nicht fern,

Heulet nur, ich hör euch gern.

Die zunehmende Kühle siegte über Phantasie und Schlaf, bis ich mich setzte und ganz verhüllte. Unterbrochen einschlafen und wieder erwachen, war meine nächtliche Beschäftigung. Eher als ichs vermuthete, wurde ich von angenehmer Morgendämmerung begrüßt, betete andächtiger, inniger und zufriedener zu Gott, als ich in manchem Wirthshause gebetet hatte.

Unfehlbar ist das Beten aus Büchern, zwischen Poltern, Reden und Geschäften, nur das erste weltliche Tageswerk, das aus scheinheiliger Frömmelei, oder angewohnter Gemüthsrichtung, oder aus mißverstandener Verdienstlichkeit, verrichtet wird. Schon ein kleines Kind ist vermögend die Andacht und gehörige Gedankenfestigkeit zu stören. Lermende Arbeiten und fordernde Befehle vom Gesinde; ein Topf, kaum einen Dreier werth, von einem Kinde zerbrochen, unterbricht nicht nur die Andacht, sondern verwandelt sich gemeiniglich in Schelten, Fluchen und Schlagen. Auch ist das Gemüth der mehresten Menschen, die ich beim Gebet beobachtet, schon zu sehr getheilt, und auf irrdische Bedürfnisse geleitet oder in der Schüssel, auf den [64]fortgehenden Nahrungsstand geheftet: Der Befehl Jesu: Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein etc. wie göttlich und angemessen den Menschen! Vor dem Aufstehen, oder in Büchern allein und ungestört zu beten, müßte jedem Menschen ehrwürdig und nothwendig seyn und werden. Vergnügt blickte ich der aufgehenden Sonne in ihre wohlthätigen Strahlen, und ging gestärckter den Berg mit Fichten bekränzt empor. Ohne in einem Hause einzukehren, ließ ich Beneckenstein rechts liegen, kam unvermuthet zur Sorge, nach Braunlage, neben Otterbrück vorbei, und gieng daselbst den Weg zurück nach Schirke zu. Ob ich gleich von starker Tagesreise, und Entziehen der nöthigen Speisen, müde und schwach war, sucht' ich doch nicht Schirke zu erreichen, sondern blieb wieder im Walde. Ein enges Bette in kühler Erde — wie ein Grab, mit bloßen Händen gegraben, mit Fichtenreisern umpflanzt, eine lange kalte Nacht hingestreckt, ohne Freund und Gesellschaft, ohne Hoffnung eines irrdisch Bessern, von Hunger, Durst und Frost zu leiden, und Schlaf, wodurch alles Leiden eine Zeitlang gemildert und vergessen wird, zu entbehren — Ach! (seufzt' ich) mein Schicksal ist doch hart — Ist nun mit Recht ein Elend zu nennen. Gott! (betete ich) Nimm meine Seele diese Nacht zu dir! Genug gelitten, gekämpft und gerungen habe ich, werth zu seyn, von dir aufgenommen zu werden! Meine Sünden habe ich un-[65]zählige mal bereuet, verwünscht und verabscheut, Besserung angelobt und gehalten; und wofür ich nicht gebüßet und zeitlich büßen kann, dafür hat dein Sohn Jesus Christus Genugthuung geleistet. Erbarm dich meiner, und laß mich jetzt sterben. So betete ich und versuchte einzuschlummern. Umsonst! Ich fror so sehr, und wurde, durch mein eigen Schicksal angewiesen und zugleich gerechtfertiget, auf den Gedanken geführt, mir das bischen kurze elende und unnütze Leben abzukürzen. — Nur der schüttelnde Frost, und Besorgniß, selbiges nicht vollkommen tödtlich ausführen zu können, hinderten mich diesmal.

Wer gewohnt dem Glück im Schooße,

Sich zu wiegen, stets zu freun;

Wem der Dorn nicht sticht, die Rose

Immer blüht im Sonnenschein;

Jammert kindisch, und entfliehet,

Wenn ein Wölckchen droht!

Glaubt unglücklich sich, und siehet

Nichts als lauter Noth.

Wer nur Leiden-Nahmen nennet,

Nie von Leiden selbst gedrückt,

Leiden nicht durch Urtheil kennet,

Fühllos Leidende erblickt;

Leidet zehnfach, wenn er siehet,

Daß sein Glück verdirbt,

Und die Rose ihm verblühet;

Fühlt nur Dorn — und stirbt.

[66]

Wenige die selbst sich tödten,

Stärkt und rüstet wahrer Muth.

Gab nicht Heldenherzen Blöden

Oft der Leidenschaften Gluth? —

Selten ist ein Loos der Erden

Ohne Hoffnungsstrahl.

Selbst der Tod — erlößt zu werden

Lindert alle Quaal. etc. etc.

Aus dem Gedicht, wo hin und wieder manche würklich poetische Schilderung vorkömmt, und worin besonders ein wehmüthiger Rückblick auf die frohen in Tugend und Gottgefälligkeit durchlebten Tage seiner Jugend merkwürdig ist, ziehe ich folgende aus seinem damaligen Gemüthszustand fließende, Stellen aus:

Menschen, Arbeits müde,

Ruhen sanft im Friede

Weit und breit umher.

Aber mich drückt Kummer,

Mich, dem süßer Schlummer

Oefters nöthig war?

Manches Ach! bey Nacht und Tag

Heiß geseufzt in trüben Stunden

Ist dort überwunden.

— — Ach wenn kömmt der Tag!

Er ist nah, das Grab ist da.

Stärke mich durch Jesu Wunden

Gott in Todesstunden.

[67]

Fest in Hoffnung sterben,

Ew'ges Reich zu erben,

Größtes Menschenglück!

Leben wir, so leben

Wir dem Herrn, wir geben

Sterbend uns zurück.

Wie im Heer, so auf dem Meer,

Durch Gebrechen, Krankheit, Morden,

Gott an allen Orten.


Ist eine Vermuthung erlaubt, so glaube ich, daß eine Schwächung seines Körpers durch Ausschweifungen in der Liebe während seines Umgangs mit der Wittwe B.... in Hannover, den ersten und vorzüglichsten Grund zur Hypochondrie des bedauernswürdigen Mannes gelegt habe, die in der Folge — wie das Gutachten des Landphysikus zeigt — durch schlechte Diät zu einem so hohen Grade getrieben worden. —

K.

Erläuterungen:

a: Zu diesem Beitrag vgl. Schütz 2015, S. 109f.