ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Methode im Wahnwitz.

K. St.

Auszug aus einem Briefe.

W. den 25sten März 1789.

Versprochenermaßen übersende ich Ihnen noch einige Nachrichten von dem wahnwitziggewordenen B..., von dem ich Ihnen schon mündlich verschiedenes Auffallende erzählt habe.

Dieser Mensch ist von einem Meierhofe in einem nicht weit von hier gelegenen Dorfe gebürtig. Seine Eltern waren wohlhabende Leute, und unterschieden sich durch ihre Lebensart von den übrigen Einwohnern des Dorfes so sehr, daß der junge B... nebst noch einem Bruder und einer Schwester einer Erziehung genoß, die auf einem Dorfe gar nicht gewöhnlich ist, und wodurch er zu einem wirklichen gebildeten Menschen wurde.

In seinem Charakter war ein stilles ehrbares Wesen, mit einem gewissen Grade von Stolz verbunden, wobei ihn aber jedermann, da er überdem einen guten Wuchs und schönes Ansehen, obgleich eine schwere stotternde Aussprache hatte, wohl leiden konnte.

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Als er nun so weit erwachsen war, ließ ihn sein Vater die Ingenieurkunst lernen, er war fleißig und kehrte als ein geschickter Mensch zu seinen Eltern wieder zurück.

Da er sich nun aber, weil er wegen hinlänglichen Vermögens nicht nöthig hatte sich um eine Versorgung zu bekümmern, wieder beständig bei seinen Eltern aufhielt, verliebte er sich in die Tochter eines damals hieselbst wohnenden Mannes, welcher im Kriege bei irgend einer Armee ein Lieferante gewesen, aber nun ganz verarmt war, und durch die Mittel und Wege, die er einschlug, um sich wieder empor zu helfen, und überhaupt durch seinen ganzen Charakter, sich und seine Familie bei jedermann verhaßt machte, und heruntersetzte.

Dies war nun B...s Eltern ganz und gar zuwider und sie suchten daher auf alle Art und Weise ihn wieder davon abzubringen.

Aber seine Geliebte und ihre Eltern wußten ihn so in ihr Netz ziehen, daß er sich lieber mit seinen Eltern darüber in Feindschaft setzte, und alles was er durch allerlei Vorgebungen von denselben nur erhalten konnte, erstern zubrachte und große Summen mit Unternehmungen verschwendete, wozu seine Geliebte und deren Eltern die Plane entworfen hatten, und wovon der Erfolg immer für ihn unglücklich war.

Dies dauerte so fort bis seine Eltern endlich überrechneten, daß er den größten Theil seines der-[13]einst zu hoffenden Erbtheils bereits dahin habe, und ihn nun ferner zu enterben droheten, wenn er so fortfahren würde.

Dies gab der Sache einen Verstoß und seine Geliebte und deren Eltern sahen sich nun genöthigt ihr Glück an einem andern Orte zu versuchen, und zogen daher nach H....

Sie waren aber noch nicht gar lange da gewesen, als B... auch schon dahin reisete, um, wie er vorgab, sie nur einmal zu besuchen.

Er war aber kaum einige Tage da gewesen, so bekamen seine Eltern die Nachricht, daß er auf einmal rasend toll geworden sey und bereits in Ketten und Banden müsse festgehalten werden. Und er wurde nun als ein solcher auf einem Wagen mit Ketten und Banden befestiget wieder zu seinen Eltern gebracht.

Was nun die eigentliche Ursache seiner so plötzlichen Raserei mag gewesen seyn und ob, und in wie fern dieser Besuch kann dazu beigetragen haben, vermag ich nicht zu sagen, nur muß ich bemerken, daß er in seiner Raserei einmal über das andere immer gerufen: Der Teufel ....! und die Teufelin ....!

Seine hierüber bestürzten Eltern hatten ihn nun erstlich einige Wochen bei sich, und erkundigten sich dann nach irgend einem Arzte, welchen sie auch fanden und ihn dahin bringen liessen.

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Dieser stellte ihn nach einiger Zeit nicht nur von der Raserei völlig wieder her, sondern hatte ihn auch so weit gebracht, daß er sich, außer einzelnen kurzen Perioden, worin er sich närrisch zeigte, wie ein völlig vernünftiger Mensch betrug.

Seine Eltern glaubten nun, es werde sich nach grade von selbst schon ganz mit ihm bessern, und nahmen ihn wieder zu sich.

Die gehofte völlige Besserung aber erfolgte nicht, sein Vater starb bald darauf, und seine Mutter verkaufte das Meierguth, und zog zu ihrer Tochter, welche nach N.... verheirathet war.

Sie verkaufte das Guth, aber auf die Art, daß der Käufer desselben diesen unglücklichen Menschen gleichsam als ein auf diesem Guthe haftendes Onus mit übernehmen mußte, und mit dem Beding, daß er ihn entweder selbst ernähren, und so viel wie er könnte, mit zu seiner Arbeit brauchen oder ihm jährlich ein Gewisses zu seiner Erhaltung auszahlen solle.

Ihm war dies nun äußerst kränkend, und er beklagte sich auf das Bitterste und Rührendste über diese Härte und Lieblosigkeit seiner Mutter. Welches auch ganz natürlich war, da er von Natur viel Stolz besaß, und nun so tief gesunken war, daß er wie eine Sache mit verkauft wurde.

Anfänglich ließ er es sich jedoch gefallen, daß er bei seinem Besitzer mit an den Tisch gieng und ihm getreulich arbeiten half. Bald aber trug er [15]darauf an, daß ihm sein Besitzer nur Wohnung geben, und dann zu bestimmten Zeiten ein Gewisses an Gelde auszahlen möchte, welches ihm dann auch bewilliget wurde.

Seitdem hält er sich nun bald bei diesem bald bei jenem auf, und hilft ihm arbeiten. Bisweilen geht er auch zu seiner Mutter. Wer ihm zu essen und zu trinken giebt, dem verschmäht er solches nicht, sondern nimmt es dankbar an; es sey denn, daß man es ihm nicht auf eine höfliche Art anbiete. Seine Mutter sorgt für seine Kleidung.

In Ansehung seines so sehr gekränkten Stolzes aber hält ihn seine Phantasie vollkommen schadloß. Denn, wenn er sich eine Zeitlang bei irgend jemand ruhig und ordentlich aufgehalten hat, und ihm dann vermuthlich das Kränkende und Demüthigende seines Zustandes in die Gedanken kommen mag, so versetzt ihn seine Phantasie, statt, daß er sonst wohl in Verzweiflung geriethe, in irgend eine auffallende Scene des Lebens.

Er macht periodenweise bald den Held, indem er sich dann ordentlich bewafnet, als ein Krieger in der ganzen Gegend herumwandert, sich selbst alle Tage ein neu Quartier macht, welches ihm dann auch niemand leicht versagt, und vor demselben dann eine Fahne aufsteckt, welche er mit allerlei Farben und Bändern verziert hat, und womit er anzeigen will, daß hier das Hauptquartier sey.

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Dann macht er mahl wieder nach einer ruhigen Periode den Mönch, wo er sich dann mit weiter nichts bekleidet, als das er ein großes weißes Lacken umhängt und also den ganzen Tag baarfuß umhergeht.

Er ist gut mit den biblischen Geschichten bekannt, und seine Phantasie läßt ihn daher auch öfters eine Person dieser Geschichte seyn, so daß er sich bald für den Täufer Johannes bald für den Apostel Petrus ausgiebt.

In diesen Perioden läßt er sich den Bart wachsen, und im erstern Falle trägt er einen großen Tornüster mit Büchern und ermahnt das Volk auf öffentlicher Straße durch lange Reden zur Buße.

Im andern Falle aber behängt er sich mit Schlüsseln, wodurch er öfters die Leute in Verlegenheit setzt, indem sie dann ihre Schlüssel vermissen, und sie doch nicht gerne bei ihm suchen mögen.

Solche Perioden dauern bisweilen einige Wochen, bisweilen auch einige Monate über, und ehe man es sich versieht, bleibt er wieder bei jemandem und beträgt sich vernünftig.

Wenn man ihn während der phantasirenden Perioden oder auch nachher darum befrägt, so giebt er weiter keine Antwort, als: er wäre das, was er vorstelle.

Man kann übrigens sowohl in als außer seinen phantasirenden Perioden über allerlei Gegenstände mit ihm sprechen, und bemerkt nichts Närrisches an ihm.

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Was seinen Körper anlanget, so ist er gesund und stark, und sorgt auch für seine Gesundheit.

Denn wie ihm einst jemand den Vorschlag that, weil er sehr schön schreiben kann, daß er sich doch mit Abschreiben beschäftigen möchte, so führte er außer andern vernünftigen Gründen, als einen Hauptgrund dagegen an, daß das damit verbundene viele Sitzen seiner Gesundheit schaden würde, und er lieber die schwerste Arbeit thun und gesund als schreiben und krank seyn wollte.

Er ist sehr ökonomisch und bringt alles, was er erhält, in seine Kammer, welche ihm von seinem Besitzer und Kontrahenten eingegeben worden.

Diese Kammer verschließt er mit der größten Vorsicht und bezeichnet die Thür von außen mit Kreutzen, welches bei ihm Aberglauben anzeigt, und gegen übernatürliche Dinge als Zauberei und dergleichen dienen soll.

Dann macht er ferner Eintheilungen mit seiner kleinen Einnahme, welche monathlich nicht über zwei Thaler beträgt, daß man sich auf das höchste darüber wundern muß; indem er nicht nur das Wohlfeilere gegen das Theurere, das Gute gegen das Schlechtere, und das Unentbehrliche gegen das Entbehrliche so zu vergleichen, und das Vortheilhafteste für sich daraus zu wählen weiß, daß er mit seiner kleinen Einnahme, die in dem geringsten Verhältnisse noch immer mannichfaltigen Bedürf-[18]nisse bestreiten zu können scheint, ohne daß er sich unnöthiger Weise etwas Nothwendiges entzöge.

Und nun muß ich schließlich noch eines sonderbaren Umstandes erwähnen, daß er, seitdem er in diesem unglücklichen Zustande lebt, sehr leicht und ohne Anstoß spricht, auch so gut deklamiren kann, daß ihn die Sterbenden zu sich verlangen, damit er ihnen Sterbegebete vorlese.