ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Einige Gedanken über die Muttermähler.

Grohmann, Johann Christian August

Die Sinnenwelt stellt uns die wundervollsten Erscheinungen auf, von denen sich weder Vernunft noch Philosophie etwas träumen läßt.

Sie macht mit ihrem materiellen Stoffe die geheimsten Zusammensetzungen, in deren Zubereitung nur ein beobachtendes Auge die Natur bisweilen belauschen kann. —

Jahrtausende vorher würden wir verkündigen können, was einst die Natur für Wundergestalten hervorbringen und schaffen würde, wenn Sinne die materielle, und Vernunft die geistige Welt und ihren beiderseitigen Einfluß aufrichtiger zu durchspähen und zu durchforschen im Stande wären.

Alle ihre Zusammensetzungen, die jetzt zufällig und unglückliche Fehlgebuhrten der Natur für uns sind, würden wir dann als nothwendig und den Gesetzen der Materie gemäß erblicken.

Vor allem aber hat keine Erscheinung die Aufmerksamkeit des Beobachters mehr erregt, als die Erscheinung der Muttermähler, die bis auf diesen Zeitpunkt noch ein unerklärbares Räthsel geblieben ist. —

[26]

Unbekannt mit den Geheimnissen der Erzeugung, und den productiven Kräften der Materie sehen wir Keime sich entwickeln, wachsen, zunehmen, und in tausend Häuten in dem innersten der Mutterschooß eingeschlossen, Merkmahle der Aussendinge und ihrer Einwürkungen an sich tragen. —

Aberglaube und Unglaube haben sich vereinigt, dieses Räthsel zu lösen, und jede Modifikation des menschlichen Denkens hat an der Erklärung desselben gearbeitet.

Mit geheimer Furcht zitterte der Aberglaube vor dieser Erscheinung als vor Würkung des überirrdischen Einflusses der unruhigen Geister, Dämonen und andern Ungeheuern seiner mystischen Einbildungskraft.

Mit spottendem Stolze verachtete sie der Unglaube als blinden Zufall der Materie, und als eine ohne Ursach erfolgte Würkung.

Nur neuere Zeiten konnten durch tiefere Nachforschungen und durch ausgebreitetere physische Erfahrungen den Beobachter behutsamer und sicherer machen. Einbildungskraft und unbekannte Würkung dieses Vermögens auf den Embryo scheint nun eines Theils der einen Parthei; nothwendige Folge von dem unendlichen Zusammensetzungsvermögen der Materie der andern Parthei der wahre Grund dieser seltsamen Erscheinung zu seyn.

Der grosse philosophische Naturforscher Büffon lacht laut über die abergläubische Verblendung seiner [27]Gegner, die eine nothwendige Folge der Natur auf Rechnung der Einbildungskraft und ihrer Würkung erklären.

In seiner Naturgeschichte a in dem Artikel über den Menschen sagt er folgende Gedanken über diese Materie:

»Ob schon der Foetus keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Gebährmutter hat; sondern blos mittelst kleiner faserichter Theilchen (mammelons), die sich an der äussern Seite seiner Einwicklungen befinden, mit ihr verbunden ist; auch kein Zusammenfluß zwischen seinem und der Mutter Blute statt findet, und kurz, in verschiedener Rücksicht eben so unabhängig von der Mutter ist, als das Ey von der Henne, die es ausbrütet: so hat man doch behauptet, daß alles das, was auf die Mutter, auch auf den Foetus würkte, die Eindrücke der einen sich auf das Gehirn der andern fortpflanzten; kurz, man hat von diesem eingebildeten Einfluß die Aehnlichkeiten, die Misgebuhrten, und überhaupt alle Mähler, die sich auf der Haut zeigen, herleiten wollen.

Ich habe viele von diesen Mählern untersucht, aber jederzeit gefunden, daß es Flecken waren, die von einer Zerrüttung des Gewebes der Haut herkamen. Freilich muß jedes Mahl eine gewisse Gestalt haben, welche, wenn man will, mit etwas Aehnlichkeit haben kann, welche aber doch, wie ich glaube, nicht so wohl von der [28]Einbildungskraft der Mutter, als von der Einbildung derer, die es sehen, abhängt. Man hat hierinnen das Wunderbare auf das weiteste getrieben; so daß nicht allein der Foetus würkliche Abbildungen von den sinnlichen Begierden der Mutter hat an sich tragen sollen, sondern daß man sogar behauptet hat, es veränderten die Mähler, welche Früchte, z.B. Erdbeeren, Kirschen, Maulbeeren, die die Mutter zu essen verlanget, vorstellten, in der Jahrszeit, wo die Früchte reif werden, ihre Farbe, und nähmen eine dunklere Mischung an.

Man kann aber nur mit wenig mehr Aufmerksamkeit und weniger Vorurtheil die Farbe dieser Mähler sich öfters verändern sehen, denn dieses ereignet sich jederzeit, bei einem geschwindern Umlaufe des Blutes, welches in der Zeit, wo die Früchte von der Sonnenhitze reifen, statt findet. Die Farbe dieser Mähler ist entweder gelb, roth oder schwarz, weil das Blut, wenn es in allzugroßer Menge in die Gefässe dringt, mit denen die Haut gleichsam durchsäet ist, eine solche Mischung von Farbe hervorbringt.

Rühren aber diese Flecken von der sinnlichen Begierde der Mutter her, warum haben sie nicht eben so verschiedene Gestalten und Farben als die Gegenstände selbst, nach denen die Mutter verlangt hat? Welche sonderbare Figuren würde man nicht sehen, wenn die flüchtigen Begierden [29]der Mutter sich auf der Haut des Kindes abmahlten! —

Da unsere Empfindungen gar nichts mit den Gegenständen, die sie hervorbringen, Aehnliches haben; so ist es unmöglich, daß Verlangen, Furcht, Schrecken, und jede andere Leidenschaft und innre Erschütterung, würkliche Bilder von den Gegenständen hervorbringen können.

Da in dieser Rücksicht das Kind von der Mutter eben so unabhängig ist, als das Ey von der Henne, die es ausbrütet: so kann ich so gerne, oder vielmehr eben so wenig glauben, daß die Einbildungskraft einer Henne, die einem Hahne den Hals umdrehen sieht, in den Eyern, die sie blos erwärmet, Hühnchen hervorbringen könne, deren Hälse auch umgedrehet wären: als ich die Geschichte von der Würkung der Einbildungskraft einer Frau glauben kann, die nachdem sie einen Verbrecher rädern gesehen, ein Kind zur Welt gebracht habe, dessen Glieder zerbrochen gewesen.

Gesetzt aber auch auf einen Augenblick, daß diese Geschichte wahr ist; so behaupte ich dennoch, daß die Einbildungskraft der Mutter eine solche Würkung nicht hat hervorbringen können; denn welches kann wohl der Erfolg von dieser Gemüthsbewegung und von diesem Schrecken seyn? —

Wenn man will, eine innre Erschütterung, gichtische Bewegung in dem Körper der Mutter, welche die Gebährmutter auch in Bewegung setzen [30]wird. Aus dieser Bewegung aber was kann da entspringen? gewiß nichts Aehnliches mit der Ursache, denn, ist diese Erschütterung sehr heftig, so kann man wohl begreifen, daß der Foetus einen Stoß bekommen kann, welcher ihn tödten, verletzen oder einige seiner Theile, die mehr als die andern sind erschüttert worden, ungestaltet machen kann. Allein das sehe ich nicht ein, wie eine solche der Gebährmutter mitgetheilte Bewegung in dem Foetus etwas Aehnliches mit der Empfindung der Mutter hervorbringen könne, geschweige denn, mit Harvey zu sagen, daß die Gebährmutter das Vermögen hat, Ideen aufzunehmen, und sie auf den Foetus würken zu lassen. b

Aber wird man mich fragen, wie soll denn also diese Erscheinung erklärt werden? Wenn nicht die Einbildungskraft der Mutter auf den Foetus würkt, wie kommt es, daß es mit zerbrochenen Gliedern auf die Welt gekommen ist? —

Hierauf antworte ich: nicht zu gedenken der Verwegenheit, eine Erscheinung die so wohl ausserordentlich als ungewiß ist, erklären zu wollen, wie auch des wenigen Nutzens, von ihr als wahr vorausgesetzt, Grund und Ursache angeben zu wollen, da man die Umstände nicht weiß, die darbei konkurrirt haben: so glaube ich doch, daß man auf eine befriedigende Art auf eine Frage antworten kann, von der man keine vollkommene Auflösung verlangen kann.

[31]

Die Erscheinungen, die ganz wider den Lauf der Natur sind und sich selten zutragen, geschehen doch eben so nothwendig, als die, welche ganz natürlich und sich täglich ereignen. Unter den unendlichen Verbindungen, welche die Natur macht, müssen sich auch die ausserordentlichsten Zusammensetzungen befinden, wie es auch würklich ist: freilich aber viel seltner, als andere, die ganz denen Gesetzen der Natur gemäß zu seyn scheinen. Man kann daher dafür stehen, und vielleicht mit Gewisheit, daß von einer Million oder tausend Millionen Kindern, welche gebohren werden, eins mit zwei Köpfen, oder vier Füssen mit zerbrochenen Gliedern, oder mit der sonderbarsten Ungestalt, welche man nur annehmen will, zur Welt kommen wird.

Es geht daher ganz natürlich zu, ohne daß die Einbildungskraft der Mutter daran Theil hat, daß ein Kind mit zerbrochenen Gliedern zur Welt kommt: ja es ist sogar möglich, daß dieses mehr als einmal sich zuträgt, nur daß auf eine ganz natürliche Weise die Frau, die mit einem solchen Kinde hat niederkommen sollen, dem Rädern des Verbrechers zugesehen hat, und daß man denn daher von dem, was sie gesehen hatte, und von ihrer erhitzten Einbildungskraft die unvollkommene Bildung des Kindes hergeschrieben hat.«

In wie fern diese Meinung des grossen Beobachters gegründet und die Beweise richtig und [32]bestätigend sind, werden wir nun nach einer nähern Untersuchung deutlich ersehen.

Die ganze Auflösung der Frage, Sind die Muttermähler zufällige Zusammensetzung der Materie oder Würkung der Empfindungen der Mutter? Beruhet besonders auf der Erörterung dieser Punkte:

1) in was für Verbindung steht der Foetus mit der Mutter, und was ist sein thierisches und empfindendes Leben?

2) was hat das Empfinden als Würkung mit der Ursache oder mit dem Aussendinge Aehnliches?

Das Resultat dieser Untersuchung wird die Entscheidung und Beantwortung der obigen Hauptfrage seyn.

Wundern muß man sich, wie Büffon sagen kann: der Foetus sey von der Mutter eben so unabhängig, als das Ey von der Henne, die es ausbrütet: da er nicht allein im Widerspruch mit sich selbst, sondern auch mit der ganzen anatomischen Erfahrung befunden wird.

Er selbst hat an vielen andern Orten den Zusammenhang des Foetus mit der Gebährmutter gezeigt, und die Theile, die diese Vereinigung bewürken, mit Namen genennt. Gesetzt aber auch, daß wir seine eigenen Beweise nicht hätten, so ist uns ja die ganze anatomische Erfahrung Bürge von der Wahrheit dieser beiderseitigen genauen Vereinigung. — Es wäre unnöthig, hier diese Theile, [33]die diesen Zusammenhang bewürken, anatomisch zu zergliedern, da nur die geringste Kenntniß von der physischen körperlichen Beschaffenheit des Menschen einen jeden leicht davon überzeugen kann. — Schon der Wachsthum und die Entwickelung des Embryo beweisen uns die Vereinigung dieser Theile, da jenes ohne Zufluß von Nahrungssäften unmöglich, und diese aus keiner andern Quelle, als von den Säften der Mutter auf natürliche Wege, die den Foetus mit der Mutter verbinden müssen, sich ableiten können. Doch dieses ist zu ausgemacht, als daß es noch mehrerer Beweise bedürfe. Wir wollen daher zu der Frage: was das thierische und empfindende Leben des Embryo ist, fortgehen. —

Es ist ganz gewiß, daß man sinnliche Erfahrung zur Führerin in diesen Untersuchungen nehmen muß: doch aber glaube ich, daß das zu grosse Vertrauen auf ihre Sicherheit eine Ursache der vielen Verirrungen, Hypothesen und Meinungen ist, die in der Lehre von der thierischen Erzeugung obwalten. Sinnliche Erfahrung ist viel zu eingeschränkt, und anatomische Zergliederung noch zu grob, als daraus das Werk der Erzeugung, die geheimen Geschäfte und Zubereitungen derselben deutlich sehen zu können. Blosse Analogie, Schlusart vom Gröbern aufs Kleinere kann uns in solchen Untersuchungen sicher leiten und führen.

Die Natur bleibt sich überall gleich, so wohl im Großen als im Kleinen, immer würkt sie nach [34]einerlei Gesetzen, nur für uns verschiedenen, da unsere Sinne an das Gröbere gewöhnt, nicht Ursache und Würkung, Mittel und Endzweck in dem Kleinen der Natur wahrnehmen können. So weit als möglich müssen wir uns also von den täuschenden Sinnen entfernen, und Schlusart des Analogischen in dergleichen Untersuchungen zu Hülfe nehmen.

Der Zeitpunkt der Entwicklung des Keims, sagen unsere Sinne, ist, so bald als er in das Innre der Gebährmutter eingedrungen ist, da doch gewiß nach aller Wahrscheinlichkeit seine Entwicklung schon von Ewigkeit her angefangen und der Keim nur dieses Orts bedurfte, um einer vollendeteren Ausbildung entgegenzugehen. Die Natur steht niemals still, überall Entwicklung und Wachsthum, so wohl im Großen als im Kleinen, so in dem alterndem Greise, so in dem Keime, der in dem neugebohrnen Kinde zu einer künftigen Generation verborgen liegt: immer Fortschreiten auf höhere Stufen der Vollkommenheit und Ausbildung.

Wollt ihr also einen Anfang der Entwicklung festsetzen, so nehmet den Anfang des Weltgebäudes, hier ist der Standpunkt, wo sie beginnet, und das Ende — Ewigkeit. —

Ihr Weisen macht die ganze Natur tod und ohne Leben, da sie doch überall lebt und arbeitet. Der erste Athemzug, mit welchem das Leben des Kindes anfähet, ist, sagt ihr, der Augenblick, wo das Kind sein Wehklagen anstimmet, ungewohnt [35]der hiesigen Erde. Ihr habt recht, wenn ihr eure Sinne fragt, allein nur ein Blick auf die Natur, — und dann Schlus, alles athmet Leben, also auch der Keim, der jetzt in tausend Häuten eingeschlossen zu der spätesten Generation, die die Kette des Menschengeschlechts beschliessen wird, bestimmet ist. — Doch laßt uns langsamer und behutsamer dem Wachsthum und der Entwicklung des Keimes nachgehen.

Zufluß von Nahrung und Verwandlung derselben in eigene conforme materielle Substanz sind die ersten Erfordernisse des Wachsthums. Jenes ist da, die Mutter läßt dem Keime die ausgearbeitetsten Säfte zufließen, und dieses ist gewiß auch vorhanden, indem sonst Wachsthum nicht möglich wäre. Würkung und Gegenwürkung immerwährende Thätigkeit sind die Mittel des letztern, und hingegen Ruhe und Stillstand Mittel der Fäulniß und der Verderbniß des Keims. Ganz gewiß würde der Keim, statt sich zu entwickeln, in Fäulniß übergehen, wenn nicht bei der großen Wärme, die in dem Leibe der Mutter enthalten ist, immer Thätigkeit, Würkung und Gegenwürkung wäre, d.h. wenn nicht Luft da wäre, ohne welche Thätigkeit und Ausdehnung nicht gedenkbar ist.

Physische Erfahrung zeigt uns aber auch die Würklichkeit dessen, was unsere Vernunft blos vorher gewähnt hatte, nämlich, Wärme, die im höchsten Grade im Mutterleibe enthalten ist, ist [36]eine Ursache der Luft und ihrer Verdünnung. Ausserdem also, daß die dem Blute ähnlichen Säfte viele Luftteilchen in sich enthalten, finden wir auch noch einen neuen Beweis von dem Daseyn der Luft in den Behältnissen des Embryo, weil Wärme ein Erzeugniß der verdünnenden Luft ist.

Mit Recht können wir annehmen, daß die Werkzeuge des Athemholens im Kleinen gebildet, und auch ihre Bestimmung zu erreichen geschickt sind, da auch noch überdies die Luft, womit der Embryo umgeben ist, flüssiger, verdünnter, und also seinen Organen angemessener ist. Der Foetus athmet also schon im Mutterleibe, und bringt dadurch die Säfte und Nahrung in Umlauf und Umkreis, Würkung und Gegenwürkung, als ein thätiges Hinderniß der Fäulniß.

Ich kann überhaupt nicht einsehen, warum man alle Luft von dem Embryo im Mutterleibe ausgeschlossen hat, da doch in dem Ey, das die Henne leget, und in dem das künftige Thier enthalten ist, genug Luft enthalten ist. Denn da das Ey nicht völlig inwendig von der flüssigen Materie angefüllet ist, wie wollte die Schaale dem Druck der äussern Luft widerstehn, wenn nicht in dem leeren Raume des Eys, Gegenwürkung, d.h. Luft enthalten wäre?

Mit Recht nehmen wir also an, daß, da sogar in dem Ey der Keim mit Luft als das Verwahrungsmittel vor Fäulniß umgeben ist, daß auch der [37]Foetus im Mutterleibe von dieser flüssigen Materie in Leben und Bewegung gesetzt wird.

Die thierischen Geschäfte gehen also schon im Kleinen vor sich, obschon vor unsern Sinnen verborgen. Das Athemholen geht täglich fort, und setzt die ganze Maschine des Körpers in Bewegung, wodurch es die zufliessenden Nahrungstheilchen an sich zieht, in seine Substanz verwandelt, und so zunimmt und sich entwickelt.

Woher denn aber die Erscheinung, möchte man fragen, daß die Lunge des Kindes oberhalb des Wassers bleibt, oder untersinkt, je nachdem es schon Athem oder nicht Athem geholt hat?

Hierauf antworte ich, ist diese Erscheinung ja ein wahrer Beweis, daß das Kind gelebet oder nicht gelebet hat; so scheint mir doch der Grund davon nicht der zu seyn, daß der Embryo im Mutterleibe gar keinen Athem geschöpfet hat, als vielmehr, weil die Luft im Innern der Mutter flüssiger und verdünnter ist, und also auch weniger die Lunge ausdehnt, als die äussere, die dicker und elastischer ist. — Doch genug hiervon. Laßt uns nun zu dem empfindenden Wesen des Foetus hinaufsteigen!

So unvollkommen und so schwach vielleicht seine thierischen Geschäfte vor sich gehen, eben so unvollkommen ist gewiß auch sein empfindender Zustand, und so an das Bewustlose gränzend, wie in dem Insekte, das die unterste Stufe der thierischen [38]Leiber beschließt. Sein Körper, seine Muskeln, und sein ganzes Nervensystem ist noch zu weich und hat noch zu wenig Festigkeit, als daß es die Eindrücke lange behalten, und der Seele vorstellen könne. Seine Empfindung ist gewiß daher nur das Werk eines Augenblicks, und ihre Dauer ein Zeittheilchen einer Minute, nach welchem sie wieder verschwinden, obschon Spuren zurücklassen, die nur unsere Sinne nicht entdecken können.

Wollt ihr euch seinen Zustand vorstellen, so versetzt euch einen Augenblick auf die unterste Stufe der thierischen Empfindung, und betrachtet da den Zustand der lebenden und empfindenden Geschöpfe. —

Das Resultat also von dieser Untersuchung kann kein anderes seyn, als: 1) Alle thierische Verrichtungen gehen im Kleinen in dem Embryo so vor sich, wie nach seiner völligen Ausbildung. 2) Sein empfindender Zustand ist schwach, doch niemals so schwach, daß er keine Spuren von sich zurückließe.

Wir kommen nun zur andern Hauptfrage, welche darin bestehet. Was hat jede Empfindung Aehnliches mit der Ursache dem Aussendinge?

Eindruck des Gegenstandes auf den Körper heißt nichts anders, als Bestreben der ausfliessenden Theilchen des Aussendinges, den Körper oder die Nerven, die sie berühren, in eine ähnliche Bewegung und Bestimmung zu setzen.

[39]

Jeder Körper ist in einem beständigen Aus- und Abfluß, immer sondern sich Theilchen von ihm ab, die eine eigene Modifikation, Gestalt, Bewegungs- und Bestimmungsart haben, je von welchen Elementen des Körpers zusammengesetzt sie ausfliessen. Jeden Gegenstand, den diese Theilchen begegnen, suchen sie in eine harmonische Bestimmungsart mit sich zu setzen, indem sie sich einander ihre besondern Elemente mittheilen und mit einander vermischen. Je mehr die Elemente des einen Körpers mit den andern disharmoniren, mehr oder weniger fest unter sich zusammenhängen, nachdem ist auch der Widerstand, ehe sich die zwei Körper von verschiedener Natur vereinbaren. Feuer z.B. erregt in unserm Körper eine heftigere Empfindung, als Wasser, weil die elementarischen Theilchen des Feuers einen festern Zusammenhang und eine thätigere Bestimmungsart haben, als die Theilchen des Wassers. —

Der gemachte Eindruck also des Gegenstandes auf unsere Nerven ist ähnlich mit dem Wesen des Gegenstandes selbst, dessen Theilchen den Nerven affiziret haben; er ist blosse Nachahmung des Körpers selbst. Die Empfindung, die wir von einem Gegenstande haben, wenn er auch schon abwesend ist, ist ein deutlicher Beweis, daß der Eindruck in nichts anderm bestehet, als wie wir ihn beschrieben haben. Denn wie wäre es möglich, daß wir durch Erinnerung eine ähnliche Empfindung mit dem ge-[40]genwärtigen Eindrucke des Gegenstandes hervorbringen könnten, wenn nicht eine gleiche Ursache mit dem Gegenstande, der uns gerührt hat, in unserm Körper statt fände.

Die Bewegfertigkeit, die durch den Eindruck eines Aussendinges in unsern Nerven hervorgebracht wird, ist nicht hinreichend, eben dieselbe Empfindung während der Abwesenheit des Gegenstandes in uns zu bewürken; denn Bewegfertigkeit ist die Folge von jedem Eindrucke der heterogensten Körper, die durch nichts als der Stärke und dem Grade nach unterschieden seyn kann. Es muß also eine eigene Art von Bewegung seyn, die jeder Körper nach seinen elementarischen Theilchen in unsern Nerven hervorbringt. Die Stärke der Bewegfertigkeit in dem Nerven kann wohl die Stärke der Empfindung, aber nicht ihre Art und ihr Wesen bestimmen. Wir sehen also deutlich, daß jeder hinterlassene Eindruck Aehnlichkeit haben muß mit dem Gegenstande selbst, der ihn hervorgebracht hat, weil jener die nämliche Empfindung, die das würkliche Einwürken erregt hat, wiederholen kann.

Ein zweiter Beweis von der Wahrheit dieses Satzes ist die Aehnlichkeit, die wir mit dem Gegenstande annehmen, dessen Eindrücke wir oft und lange erfahren haben. Ein jeder Handwerker trägt die Art seines Handwerks an sich, wie wäre aber dieses möglich, wenn seine Nerven nicht ähnliche Bestimmungsart mit dem Gegenstande anzunehmen [41]im Stande wären? Ob schon also die Empfindung nichts Aehnliches mit dem Gegenstande hat, so ist der äussere Eindruck, der unsern Nerven inwohnet, mit dem Wesen des Aussendinges gleich und ähnlich. —

Hier wollen wir nun in der Untersuchung über die Empfindungen stehen bleiben, und blos zur Anwendung derselben auf die Muttermähler anwenden. Das Resultat wird folgendes seyn: Der Foetus kann die nämliche Empfindung haben, die die Mutter hat, ob er gleich nicht selbst von dem Aussendinge ist gerührt worden. Der Eindruck nämlich, d.h. die mit dem Wesen des Gegenstandes harmonische Erschütterung der Nerven pflanzt sich vermöge des beiderseitigen Zusammenhangs auf den Foetus fort, der dann die nämliche Empfindung haben wird, weil die Erschütterung der Nerven mit dem Gegenstande selbst ähnliche Empfindungen hervorbringen kann.

Um sich dieses deutlich vorzustellen, so denke man es sich unter dem Bilde eines elektrischen Funkens, der aus einer Maschine sich einem Menschen mittheilt. Steht dieser wieder mit andern Körpern, die Empfindungen fähig sind, in Verbindung, so wird z.B. jeder Mensch, der mit in der verbindenden Reihe stehet, eben denselben Schlag und eben dieselbe Empfindung bekommen, als der erste unmittelbar an der Maschine, ob jene gleich den Eindruck nicht unmittelbar von der Maschine selbst [42]erhalten haben. Eben so verhält es sich mit dem Foetus und der Mutter, wenn man die Anwendung davon machen will auf die Geschichte, die Büffon von der Frau erzählet, die nachdem sie einen Verbrecher rädern gesehen, ein Kind mit zerbrochenen Gliedern zur Welt gebracht hat.

Ich glaube nicht nöthig zu haben, die Empfindungen des Schmerzes, der Sympathie und des Mitgefühls hier zu erklären, denn wer sollte ihre Würkungen aus eigener Erfahrung nicht kennen, und wissen, wie stark ihre Gefühle und wie betäubend sie sind. Zu keiner Zeit ist eben der weibliche Körper den stärksten Empfindungen ausgesetzt, als zu der Zeit der Schwangerschaft, wo das Blut und alle Säfte in der geschwindesten, heftigsten Bewegung und Umlaufe sind, und der ganze Körper Gefühl und Empfindung ist.

Setzt euch nun in die Lage dieser Frau, die während ihrer Schwangerschaft einem Schauspiel zusieht, bei welchem auch der härteste und kälteste Mensch nicht gleichgültig und unempfindlich bleiben kann, und gewiß ihr werdet euch nicht verwundern über die Würkungen, die solche Empfindungen auf den Foetus hervorbringen müssen.

Der Verbrecher steigt auf das Mordgerüste — welche leidende und sympathisirende Empfindungen muß da nicht die Frau haben! — sie selbst steigt auf das Mordgerüste — Mit einem Schlage werden die Glieder des Verbrechers zertrümmert — [43]Einbildungskraft, Sympathie, leidende Menschheit, welche Gefühle erregt die nicht! Die Frau empfindet den Stoß selbst in ihren Gliedern, der Zerrüttung und Schmerz in ihnen hervorbringen muß. Der Embryo bekommt nun auch diese Erschütterung und folglich auch die verhältnißmäßigen heftigen Empfindungen, deren Zurückwürkung in dem Körper des Foetus Zerrüttung und Schmerz hervorbringen.

Daß diese Zerrüttung gerade in den Theilen des Foetus vorgegangen ist, welche dem Verbrecher sind zertrümmert worden, macht vielleicht ein uns unsichtbarer Zusammenhang der Glieder des Foetus mit denen der Mutter, mittelst Adern, Gefässe, Nerven, u.d.gl. andern Verbindungswerkzeugen. Ich glaube, daß dieses eben keine Hypothese ist, die in das Reich der Unmöglichkeit zu setzen ist.

Büffon schreibt diese Erscheinung einer nothwendigen Folge des unendlichen Zusammensetzungsvermögen der Materie zu. Es ist nicht zu läugnen, daß die materielle Welt ein solches Vermögen hat; aber nur auch bestimmende Ursachen müssen da seyn, welche sie jedesmahl zu dieser oder jener Zusammensetzung vermögen. Ob aber diese bestimmenden Ursachen in der Materie selbst oder ausserhalb in andern Umständen liegen, davon hat Büffon nichts ausgemacht, und nicht einmal daran gedacht. Doch genug hiervon. —

[44]

Ein jeder mag urtheilen, in wie fern die Gedanken, die diese Untersuchung ausmachen, wahr oder falsch, mehr oder weniger mit der menschlichen Natur übereinstimmend, und in wie fern sie einer weitern Bearbeitung würdig sind. Ich habe nichts als eine Skize von meinen Gedanken über die Erscheinung der Muttermähler entwerfen wollen.

Grohmann.

Erläuterungen:

a: Buffon 1749-1804. Mehrfach ins Deutsche übersetzt.

b: Harvey 1651, im Kapitel "De conceptione", S. 296-300. Eigentlich hat Harvey eine Parallele zwischen den Funktionen des Gehirns und der Gebärmutter gezogen.