ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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1.

Auszug aus dem Mercure de France dieses Jahrs. Nro. 2. a

Anonym

Es ist ausgemacht, daß die jetzige Krankheit des Königs von England schon seit einiger Zeit ihren Anfang genommen hatte, ehe das Publicum davon benachrichtigt wurde. Der erste Zug, wodurch sich der Wahnsinn des Königs entdeckte, war eine Veränderung in seiner Namens Unterschrift, worin er sich nicht mehr, wie sonst, Georg; sondern Georgius nannte. Sein gewöhnlicher Weise gleiches und sanftes Hümeur äußerte sich (schon vor dem gänzlichen Ausbruch seines traurigen Uebels) bisweilen auf eine stürmische Art. Schon im Bade zu Cheltenham bemerkte man gewisse Reden des Königs in Betreff der alten Minister, die sein Zutrauen verlohren hatten. — Reden die er Leuten eröffnete, die nicht dazu gemacht waren, dergleichen Vertraulichkeiten zu empfangen. Bald entdeckten sich aber noch mehrere Spuren seines verworrenen Gemüthszustandes. Kurze Zeit nach [21]seiner Zurückkunft aus dem Bade sprach er den portugisischen Minister, — der König befahl ihm mit einem heftigen Tone, sich sogleich wegzubegeben! Der erschrockene Envoye eilte nach Hause, und sagte seinem Secretär: wir müssen sogleich einpacken, denn wir werden Krieg bekommen! — Der Doctor Willis, dessen Sorgfalt der König ganz allein anvertraut ist, verdient eine besondere Aufmerksamkeit. Es giebt wenige außerordentlichere und gescheidtere Leute. Schon seit langer Zeit unterhielt er in der Grafschaft Lincoln eine Pensionsanstalt für vornehme Wahnwitzige. b Er besizt ein außerordentliches Ansehn über sie, welches er seiner Festigkeit, seinem kalten Blute und seiner ebenso gebietherischen Physiognomie, als sein ganzer Character ist, zu verdanken hat. Da er seine Kranken wie Kinder betrachtet, die ihrer Vernunft nicht mächtig sind; so beherrscht er sie durch Furcht. Sie würden boshaft werden, wenn sie wüßten, daß sie Furcht erregen könnten; man macht sie aber nachgebend und gehorsam, wenn man immer kaltblütig mit ihnen verfährt. Doctor Willis, läßt sie zusammen speisen; bisweilen ladet er auch Fremde zu diesen Mahlzeiten ein. Manchmahl ist er freilich auch dem Unwillen seiner Kranken ausgesezt, wenn er ihren Narrheiten nicht nachgeben will. Eines Tages warf während der Mahlzeit einer von diesen Tollen sein Messer auf den Doctor mit der Absicht, seine Brust zu durchboren. Der Wurf ging fehl. Willis, [22] ohne sich zu erschrecken, oder in mindesten aufgebracht zu werden, befahl dem Wahnwitzigen, sein Messer wieder aufzuheben, und sich sogleich in seine Kammer zu verfügen. Eine ähnliche Begebenheit trug sich auch einst mit einem Pistolet zu; — aber er beherrscht sie bei allen ihren wüthenden Anfällen auf die nehmliche Art. Jeder hat seinen eigenen Wächter bei sich. Wenn die Anfälle zu heftig werden, so nimmt er seine Zuflucht zu einem sehr engen Rocke (Strait waits-coat) welcher ihre Arme zusammenschnürt, und den ganzen Körper fesselt. Das Schrecken vor diesem Zwangkleide dient ihm zu einem Zaum, seine Patienten zu regieren. Die gewöhnlichen Aerzte des Königs konnten mit ihm nicht fertig werden; Willis, aber behandelt seinen hohen Kranken, wie die andern. Er hat sogar seinen gebietherischen Ton gegen ihn noch erhöht. Sein Sohn und seine eigenen Leute, die an dergleichen Art von Dienst gewöhnt sind, haben die Stellen der gewöhnlichen Dienerschaft des Königs eingenommen, welcher seinem Oberaufseher Willis das herablassendste Zutrauen schenkt. Gewöhnlicher Weise ist der Kranke sanft und nachgebend. Aber wenn ihn seine Unruh beherrscht; so fließen ihm seine Worte wie ein Strom aus dem Munde. Er hat dabei ein ungeheures Gedächtniß, und sprach einst (dies ist ein ausgemachtes Factum) 19 Stunden hintereinander. Neulich verstattete man der Königin einen Besuch bei ihrem Gemahl, indem man [23]jezt dadurch die Zärtlichkeit des Königs nicht sehr zu erschüttern glaubte. — Endlich glaubte man, daß die Königin sich wegbegeben müsse — die Scene ward fürchterlich. Der König wollte nicht in die Entfernung seiner Gemahlin willigen, er schrie laut, daß er seit der Abwesenheit seiner Gemahlin zu unglüklich gewesen wäre, und daß man sie nicht mehr von ihm absondern möchte! — Willis, aber stellte dem Könige sogleich vor, daß die Königin schmerzlich gerührt sey, daß sie krank werden könnte, und sogleich gab der König nach, und entfernte sich.

Erläuterungen:

a: Vorlage: Mercure de France 1789, S. 57-61.

b: Seit 1776 führte Willis in Greatford Hall, bei Bourne, Lincolnshire, eine Privatanstalt für Geisteskranke.