ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: VI, Stück: 2 (1788) >  

1.

Ueber den Zustand der Seele nach dem Tode.

Buhle, Johann Gottlieb Gerhard

Ein Gespräch.

Damas.

Was meinen Sie, womit ich mich gestern Abend beschäftigte, als ich vom Balle nach Hause gekommen war?

Theokles.

Das wollt ich wohl errathen. Sie machten eine Elegie. Nicht so?

Damas.

Ach nein! Der Ball war gestern für mich noch erbaulich genug. Aber ich war sehr mißvergnügt, und darum ging ich so früh wieder weg. Indessen auf meiner Stube wurde ich erst vollends melancholisch. Endlich schlug ich eine Schrift von Herder [26]auf, die zufällig auf meinem Tische lag, und stieß grade auf die Zeile: Alles in der Natur ruft uns zu: es muß nur einmal gelebt seyn! Wohl wahr, dacht' ich, und las nicht weiter; wenn es nach dem Tode nicht besser seyn wird, wie es jetzt im Leben ist: so lohnt es wahrlich der Mühe nicht, noch auf einen neuen Beweis — —

Theokles.

Für die Unsterblichkeit der Seele zu sinnen, wollen Sie sagen. Der Schluß mag richtig seyn, aber der Vordersatz? —

Damas.

Lassen Sie mich doch erst ausreden. Eben der Vordersatz wollte mir nicht ein. Kaum hatt' ich den Schluß gemacht, so fing ich auch schon an, nachzudenken, ob's denn wohl wirklich nach dem Tode nicht besser seyn mögte, wie es hier im Leben ist, gesetzt, daß die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wäre? Und darüber ging mir noch der Abend angenehmer hin, wie ich anfangs glaubte.

Theokles.

Also haben Sie philosophirt. Nun, da bin ich neugierig. Was brachten Sie denn durch Ihre Speculation heraus?

[27]

Damas.

Nichts, gar nichts. Meine Phantasie schuf mir natürlicherweise manche Träume, aber meine Vernunft wußte sie zu würdigen. Das Resultat war, daß ich die Richtigkeit jener Lebensregel: Geniesse, soviel du kannst, und leide, soviel du mußt, mehr als jemals fühlte.

Theokles.

Was zählen Sie denn alles zu den Träumen der Phantasie? Nennen Sie alles so, was der Mensch, ohne die Lehren der Religion zu Hülfe zu nehmen, von dem Zustande nach dem Tode sich denkt und sich denken kann?

Damas.

Nicht anders. Denn alle die Ideen, welche wir uns von der Art der Existenz, und von den Freuden und Leiden machen, die uns nach dem Tode bevorstehn, sind aus Materialien zusammengesetzt, die wir hier im Leben einsammeln. Unsre Hoffnungen gründen sich allein auf unsre Erfahrungen; jene können sich also auch nur in dem Lande ihre Erfüllung mit Wahrscheinlichkeit versprechen, wo diese statt finden. Betrachten Sie selbst nur einmal die mannichfaltigen Vorstellungen, die jeder, in gesunden Tagen, sich von dem Seyn nach dem Tode macht. Wie ähnlich sind diese oft den sonderbarsten [28]Träumen! Ein jeder idealisirt sich jenseit des Grabes die gute Seite seines gegenwärtigen Verhältnisses, und den gewöhnlichen Menschen mag das vergnügen, auch wohl beruhigen; aber der aufgeklärte Mann lächelt über die Seifenblase, die das Kind bewundert, weil es sie für etwas mehr als Seifenblase hält. Für ihn hat die Beschaffenheit seines gegenwärtigen Daseyns um soviel größern Werth, da er die Unsicherheit der Bürgschaft einsieht, welche die Vernunft ihm für die Fortdauer desselben, auch nur so, wie es hier ist, zu leisten vermag.

Theokles.

Darin haben Sie Recht, mein lieber Freund: jeder denkt sich die Zukunft jenseit des Grabes auf seine Weise. Die Volksvorstellungen davon richten sich immer nach dem Grade der Cultur, auf dem das Volk steht, und sind dem gemäß gröber oder feiner. Auch die Ideen, welche einzelne Menschen unter gebildeten Nationen darüber haben, verändern und modificiren sich gar sehr nach dem Charakter und der individuellen Lage derselben. Allein demungeachtet sollt ich glauben, daß nicht alle Ideen, welche wir uns von dem Zustande nach dem Tode machen können, bloße Träume wären; wenigstens eine Idee, die hohe Wahrscheinlichkeit hat, ist für mich kein Traum der Phantasie mehr.

[29]

Damas.

Nun, was sind denn das für Ideen vom künftigen Zustande, die Ihnen so wahrscheinlich dünken?

Theokles.

Das will ich Ihnen sagen; es ist nur eine einzige. Es scheint mir nämlich eine unumstößliche Wahrheit zu seyn, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode, wenn einmal einer angenommen wird, mit dem, worin der Mensch im Leben war, eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit haben werde. Entweder wir müssen eine völlige Umwandlung unsers ganzen Wesens nach dem Tode statt finden lassen; oder, wenn es das bleibt, was es ist, so muß auch Fortgang derselben Kraftäußerungen seyn, die wir hier an ihm beobachten. Das erste kann man nicht behaupten; es hiesse von der Gottheit voraussetzen, sie habe nicht die leichtesten und einfachsten Mittel zur Erreichung ihrer Absicht mit uns gewählt, oder sie habe bei der Schöpfung unweise gehandelt. Denn ich kann doch schlechterdings keinen Zweck ergründen, warum uns das höchste Wesen beim Anbeginne der Schöpfung grade so werden ließ, wie wir gegenwärtig sind, um, nach Vollendung der irdischen Laufbahn, unsre Substanz in ihrem Wesen zu vernichten, und in eine neue mit einem andern Wesen umzuschaffen, die erst für den Genuß des künftigen Zustandes empfänglich wäre; statt daß es [30]uns gleich ursprünglich so hätte bilden können, daß wir fähig gewesen wären, ohne vorhergehende totale Verwandlung in diesen künftigen Zustand überzugehn. Also ist nur das andre übrig. Das Grundwesen des Menschen bleibt nach dem Tode, wie es im Leben war; folglich bleibt ihm auch dieselbe Kraft und dieselbe Anwendung davon, und demnach muß der künftige Zustand des Menschen im Allgemeinen ähnlich dem Gegenwärtigen seyn.

Damas.

Wie denken Sie sich aber das Grundwesen des Menschen, das nach dem Tode übrig bleiben wird? Materiell oder geistig?

Theokles.

Ich denke es mir so, wie ich es mir als Mensch denken kann, also materiell und geistig zugleich. Geistig, insofern es Kraft ist, und materiell, insofern keine Kraft ohne ein Subjekt seyn kann, worin sie sich befindet, und wodurch sie erst fähig wird, ihre Würkungen, das heißt, ihr Daseyn für die menschliche Erkenntniß zu erweisen.

Damas.

Das begreif ich nicht. Wie kann das Materielle des Menschen unsterblich seyn? Wenn sich je Unsterblichkeit beweisen läßt, so kann sie von einem bloß geistigen Wesen im Menschen bewiesen werden. [31]Wir sehn ja vor Augen, was mit der Materie nach dem Tode vorgeht; sie wird in ihre Bestandtheile aufgelöst, und in tausend andre Formen zerstreut.

Theokles.

Sagen Sie mir, lieber Freund, was nennen Sie Geist?

Damas.

Das weiß ich nicht. Ein Etwas, das nicht Materie ist.

Theokles.

Damit bin ich eben so klug. Wenn also Materie die Positive wäre, so würde Geist die Negative seyn. Ich für mein Theil kenne nichts im Weltalle, als Materie, kann mir wenigstens nichts anders denken. Wenn es möglich wäre, alle Materie aus meiner Vorstellung zu verbannen, und mich selbst über die Schranken meiner Erkenntnißform, über Raum und Zeit, zu erheben, so würde Nichts übrig bleiben, und dieses Nichts wäre dann nach Ihrer Erklärung Geist.

Damas.

Aber es ist doch nichts ungereimtes, sich ausser der Materie noch Etwas zu denken, das nicht Materie ist, so wie ich mir außer einem absoluten Ganzen noch ein von diesem verschiedenes Ganze, und [32]noch eins, und so in einer unendlichen Progression fort, denken kann. Gesetzt also, der Mensch hat keine sinnliche Anschauung des Geistigen, so folgt doch daraus die Nichtexistenz desselben noch nicht. Ueberdies, wenn Sie nichts als Materie anerkennen wollen, so müssen Sie auch die Gottheit zu einem materiellen Wesen machen, und dann wird ein Spinozist aus Ihnen.

Theokles.

Erlauben Sie, so weit sind wir noch nicht. Sie nennen Geist ein Etwas, das nicht Materie ist. Gut. Räumen Sie denn diesem Etwas die Existenz ein, nicht bloß die in der Vorstellung, sondern auch in der Wirklichkeit?

Damas.

Allerdings. Ein Etwas, das nicht in der Wirklichkeit existirte, würde mir hier nicht helfen.

Theokles.

Also wäre dieses wirkliche Etwas doch eine Substanz?

Damas.

Ja, insofern es existirt.

[33]

Theokles.

Kann aber eine Substanz existiren, ohne einen Punkt im Raume einzunehmen, und einen Moment der Zeit auszufüllen?

Damas.

Nach menschlicher Erkenntnißart ist dies unmöglich.

Theokles.

Und als Menschen müssen wir doch nach menschlicher Erkenntnißart urtheilen.

Damas.

Allerdings.

Theokles.

Folglich, wenn der Geist eine Substanz seyn soll, so muß er auch, als Substanz, einen Punkt im leeren Raume ausfüllen, und ein Moment der Zeit einnehmen. Was aber kann dieses? Nichts anders, als das Materielle, und Sie müssen also Ihren Geist entweder materiell machen, und das wäre, nach Ihrer Erklärung desselben, ein Widerspruch, oder Sie müssen ihm das Prädicat der Substanz, und mithin sogleich die Existenz in der Wirklichkeit absprechen.

[34]

Damas.

Sie haben mich da freilich in ein Labyrinth geführt, woraus ich mich nicht finden kann. Die Existenz eines immateriellen Wesens kann ich mir als Mensch nicht anschaulich denken; aber auf der andern Seite, wenn ein Geist und seine Existenz nicht gedenkbar seyn soll, was fangen wir dann mit unserm Begriffe von der Gottheit an? Ist denn diese auch ein materielles Wesen? Ich mögte doch nicht gern Spinozist werden, weil ich mich vor dem Namen fürchte.

Theokles.

Wer wollte sich vor Namen fürchten? Wenn ich darum von der Wahrheit des Spinozismus überzeugt wäre, würde es mir sehr gleichgültig seyn, was die Welt von mir sagte: Plauderem mihi ipse domi. Aber auch ich bin kein Spinozist, und Sie sollen es noch weniger durch mich werden. Lassen Sie uns einmal die Sache von einer andern Seite ansehn. Wofür halten Sie die Ursache im Menschen, welche die Phänomene des Denkens und Handelns in ihm bewürkt? Halten Sie diese für ein leidendes oder thätiges Wesen?

Damas.

Natürlich für ein thätiges.

[35]

Theokles.

Was setzt Thätigkeit voraus?

Damas.

Eine Kraft.

Theokles.

Was ist Kraft?

Damas.

Ein selbständiges Prinzipium der Bewegung, dessen Daseyn wir da annehmen, wo wir eine Folge von Veränderungen, entweder in der physischen oder intellectuellen Welt, beobachten.

Theokles.

Damit haben Sie mir bloß erklärt, wie wir auf eine Kraft schliessen, aber nicht, was Kraft sey.

Damas.

Ich kann Ihnen nichts weiter erklären; das Wesen der Kraft kennt ja kein Mensch.

Theokles.

Also nur, weil wir Würkungen, Bewegungen finden, schliessen wir auf ein Prinzipium, das sie verursache. Die Natur dieses Prinzipiums selbst aber ist uns verborgen. Nun sagen Sie mir, was [36]finden Sie bei dem Menschen für Aeusserungen, die auf eine selbstständige Kraft in ihm schliessen lassen.

Damas.

Zuvörderst die unwillkührlichen Lebensverrichtungen, das Schlagen des Herzens, das Verdauen der genossenen Speisen, kurz alles, was zum thierischen Leben gehört, läßt mich auf eine besondre Kraft schliessen, auf ein Lebensprinzipium, das in dem Mechanismus des Körpers, und in dem ätherischen Hauche, der diesen Mechanismus bei seiner Erzeugung in Würksamkeit setzte, gegründet ist. Wiederum verrathen das Erkennen, das Verfolgen des Erkannten bis zu höhern Bedingungen, und die Aeusserungen des Willens, die von der Erkenntniß des Verstandes abhängen, eine besondre Kraft, die wir Denkkraft nennen. Unter beiden ist diejenige die edelste, welche die herrschende ist, und die andre zu ihren Bestrebungen gebraucht, also die Denkkraft.

Theokles.

Von welcher Kraft wissen wir gewiß, daß sie einmal aufhört zu würken?

Damas.

Von der Lebenskraft. Sie hört auf zu würken, sobald der Mechanismus des Körpers zerstört ist.

[37]

Theokles.

Wissen wir es aber auch von der Denkkraft?

Damas.

Das Räthsel vermag ich nicht zu lösen.

Theokles.

Es läßt sich vielleicht vermuthen, daß sie einmal zu würken aufhören werde, doch nicht gewiß behaupten; denn die Denkkraft und Lebenskraft würken, so lange sie in einer Substanz verbunden sind, mit einander und durch einander; aber jede von ihnen würkt doch auch in derselben Substanz gewissermaßen für sich, und unabhängig.

Damas.

Allein, wenn die Lebenskraft ganz aufhört zu würken, sollte damit nicht auch das Ende der Aeusserungen der Denkkraft verknüpft seyn?

Theokles.

Für unsre Beobachtung wohl, allein ob absolut? ist eine andre Frage. Eben weil der lebende Körper das Organ der Denkkraft ist, wodurch sie ihre Würkungen erweist, scheint es uns, daß, wenn der Körper stirbt, auch die Denkkraft aufhöre, die wir nur aus ihren Würkungen durch den Körper, so lange diese, vermöge des in ihm seyenden Lebens-[38]prinzipiums, für die Denkkraft, als äusseres Werkzeug, brauchbar war, erkannten. Aber der Künstler kann fortexistiren, wenn auch seine Instrumente vernichtet sind; und so, sollt ich meinen, wäre es auch mit der Denkkraft, gesetzt, daß ihr Organ, der Körper, zerstört würde.

Damas.

Nun, wir wollen die Fortdauer dieser Denkkraft nach dem Tode einmal annehmen; worein würden Sie denn ihr Wesen setzen?

Theokles.

Das weiß ich nicht. Sie sagten ja selbst, das Wesen einer Kraft kenne kein Mensch. Besser, wir nennen dasselbe ein unbekanntes Etwas, als wir nennen es Geist, das nur ein Titel ohne Gehalt ist. Und so würde ich es auch mit dem Begriffe von der Gottheit machen. Die Gottheit ist die Kraft aller Kräfte, und das unermeßliche Weltall ist ihr Organ, wodurch sie in die Unendlichkeit hin ihre Würkungen erstreckt; denn nur aus den Würkungen erkennen wir eine Urkraft oder eine Gottheit, und denken Sie sich einmal den Gedanken recht lebhaft; Sie werden eben so ehrfurchtsvoll niederfallen und anbeten, als sonst.

[39]

Damas.

Also nach dem Tode bliebe nur die Denkkraft des Menschen übrig, das heißt, die Kraft zu erkennen, das Erkannte zu gebrauchen, und nach der Erkenntniß zu wollen; die Natur dieser Kraft aber ist unerforschlich.—

Theokles.

Eben, weil sie unerforschlich ist, nannte ich sie vorher geistig. Ich dachte nicht, daß Sie einen andern Begriff mit dem Worte geistig verbänden, und bediente mich des Worts nur, weil ich kein anders zur Bezeichnung der Denkkraft, als Kraft, wußte; denn eigentlich giebt's gar keines dafür.

Damas.

Aber ich erinnere mich, Sie behaupteten auch, daß das Grundwesen des Menschen, welches nach dem Tode übrig bliebe, nicht bloß geistig, sondern zugleich materiell sey?

Theokles.

Das hab' ich freilich behauptet; allein ich gab Ihnen dabei den Grund an, warum? Keine Kraft kann ohne ein materielles Subjekt seyn, wenn sie fähig werden will, für unsre Erkenntniß ihre Würkungen zu erweisen. Denken Sie sich das Subject weg, und so mag die Kraft für sich übrig bleiben, [40]aber nach den Schranken unsers Verstandes ist sie alsdann nicht mehr gedenkbar. Wollen wir uns also innerhalb dieser Schranken halten, wie wir, als Menschen, wohl thun müssen, so müssen wir auch der nach dem Tode übrig bleibenden Denkkraft des Menschen ein materielles Organ einräumen.

Damas.

Aber die körperliche Maschine verliert ja durch den Tod nichts von ihren Theilen. Der Abgang des materiellen Theils, der zum Grundwesen gehört, und sich durch den Tod mit diesem von dem Körper trennt, müßte doch bemerklich seyn, wenn gleich unmittelbar nach dem Tode das Gehirn zergliedert wird. Demungeachtet hat noch kein Anatom, soviel ich weiß, diesen Abgang entdeckt.

Theokles.

Ganz richtig! Noch kein Anatom, so wie noch kein Mensch, hat auch je die feinste und subtilste Materie, die sich denken läßt, erkannt. Das Subject der Denkkraft kann materiell seyn, und dennoch unsinnlich, das heißt, unerkennbar für einen menschlichen Sinn. Und so nehmen ja die größten Physiologen ausser den sichtbaren Theilen des Gehirns noch eine feine Materie an, die sie bald Lebensgeist, bald Aether nennen, und die man in dem todten Körper nicht mehr suchen müsse. Den Ursprung der Ideen, deren die Seele sich bewußt wird, erklären [41]sie aus den Schwingungen oder dem Drucke, der durch die Einwürkung der äussern Gegenstände in diesem ätherischen unsichtbaren Theile des Gehirns entstehe. Sie legen nämlich diesem ätherischen Theile eben die Elasticität bei, wie der Materie des Lichts. Wenn man sich nun diese ätherische Materie in ihrer möglichen und höchsten Feinheit denkt, so wird es wenigstens nicht mehr so unbegreiflich, wie sie im Moment des Todes aus dem Körper entfliehn könne. Ihr Einwurf also scheint mir die Behauptung noch nicht umzustossen, daß, wenn die Seele nach dem Tode existirt, und zwar als eine Kraft, wir ihr auch ein Subject beilegen müssen, weil wir uns sonst keinen Begriff von ihrer Existenz zu machen im Stande sind.

Damas.

Ich will es zugeben; aber wo, lieber Freund, an welchem Orte sollen nun die Millionen von denkenden Subjecten existiren, die vor uns ihre körperliche Hüllen verlassen haben, und sie in den Jahrtausenden der Nachwelt noch verlassen werden? Sie wissen, daß man ihnen bald die Luft, bald irgend einen Planeten oder Fixstern zum Wohnplatze angewiesen hat. Ein neuerer Schriftsteller hat sogar eine Wanderung der geistigen Wesen in Rücksicht auf den Ort angenommen, und glaubt, wir Menschen mögten wohl schon im Monde existirt haben, würden in der Folge in einen der Sonne nähern Pla-[42]neten, und endlich in die Sonne selbst versetzt werden; natürlich denn weiter aus einem Sonnensysteme in's andre, damit es in den Ewigkeiten nicht an Reisestationen fehle. Diese Ideen haben mir einmal viel Vergnügen gemacht, und der Dichter kann sie vortreflich brauchen, aber sie gehören zu den Seifenblasen, wovon ich vorher sagte. Das einzige, was sich noch von dem Orte des künftigen Aufenthalts der Seelen mit Wahrscheinlichkeit sagen läßt, ist wohl, daß sie im Raume existiren werden. Allein auch hier tritt eine große Schwierigkeit ein. Der Raum ist unendlich, das heißt, ich kann ihn in meiner Vorstellung nach allen Richtungen ausdehnen, und komme nie an die Gränze. Aus der Unendlichkeit des Raumes folgt Unendlichkeit der Materie; denn einen leeren Raum giebt es an und für sich nicht; da Raum überhaupt an und für sich nichts, sondern bloße Bedingung der sinnlichen Erkenntniß ist. Wenn also die Materie unendlich seyn muß, so weiß ich nicht, wo die Seelen nach dem Tode, besonders bei den Eigenschaften, die Sie ihnen zuschreiben, Platz finden werden. Eine jede muß doch einen Theil des Raumes einnehmen, sey dieser Theil nun auch so klein er wolle, und doch giebt es keinen Theil des Raumes, der nicht schon Materie enthielte, also nicht schon für die Aufnahme eines neuen Subjects verschlossen wäre. Da kommt der besser weg, der Unsterblichkeit der Seele überhaupt leugnet. Alsdann erscheint das ganze Uni-[43]versum, wie ein ewiger Kreislauf von Veränderungen, wo aus demselben Stoffe unaufhörlich neue Gestalten und Formen entstehn, die sich nach einiger Zeit in denselben Stoff wieder auflösen.

Theokles.

Fürchten Sie nichts. Wenn ich nur die Unsterblichkeit der Seele mit mathematischer Strenge beweisen könnte; um den Ort ihres künftigen Aufenthalts würd' ich mir weiter keine Sorge machen. Wir können uns freilich denselben nicht anders, als im Raume, denken, aber warum können wir das nicht anders?

Damas.

Weil uns die Sinne keine andre Vorstellung von der Existenz einer Substanz möglich machen.

Theokles.

Also sind doch die Sinne nur allein an der Beschränkung dieser Vorstellung schuld?

Damas.

Ich glaub' es.

Theokles.

Wie nun? wenn die Sinne aufhören, die Werkzeuge zu seyn, wodurch die Seele allein Vorstellungen erhalten kann; wenn der Körper stirbt, [44]und die Denkkraft ihn verläßt, und für sich absolute existirt; sollte sie denn nicht eine andre Art von Existenz sich noch vorstellen können, als die im Raume?

Damas.

Es kömmt darauf an, ob die Seele, wenn sie vom Körper getrennt ist, überhaupt noch neue Vorstellungen bekommen kann, außer denen, die sie schon hat?

Theokles.

Warum nicht? Kann sie Vorstellungen bekommen durch das Medium des Körpers; wie viel mehr muß sie dieselben bekommen, wenn dieses Medium nicht mehr zwischen ihr und den Gegenständen ist, die sie sich vorstellt? In jenem Falle erhielt sie dieselben mittelbar; in diesem unmittelbar; in jenem sind die Vorstellungen beschränkt, in diesem unbeschränkt. Und vielleicht gehörte die Idee, daß Existenz nur im Raume möglich sey, zu den beschränkten. Ganz anders wird diese Idee werden, wenn die Vorstellung des Universums von der Seele unmittelbar empfangen, nicht erst, vermöge der Sinne, gebildet wird.

Damas.

Sie nehmen also an, daß nach dem Tode, wenn die Denkkraft nicht mehr durch die Sinne eingeschlossen wird, sie von dem Universum eine unbeschränkte [45]Idee erhalten werde? — Gern würd' ich Ihnen das zugeben, wenn ich dann nur noch einen Unterschied zwischen der menschlichen Seele und der Gottheit aufzufinden wüßte. Bloß diese hat, menschlich zu reden, eine unbeschränkte Idee vom Universum; nach Ihrer Meinung aber soll die Seele nach dem Tode sie auch haben; sie wäre also in Ansehung dieses Prädicats der Gottheit nicht nur ähnlich, was man allenfalls gestatten könnte, sondern sogar mathematisch gleich.

Theokles.

Sie haben mich nicht recht verstanden, lieber Freund. Es war nicht die Rede davon, daß die Seele eine unbeschränkte Idee des Universum im eigentlichsten Sinne, so wie sie der Gottheit zukömmt, haben werde, sondern nur, daß ihre Idee davon nicht mehr die Schranken haben würde, welche sie hat, so lange die Seele dieselbe durch die Sinne erhält. Ich behauptete, daß die Seele nach dem Tode, wo sie die Fesseln des Körpers abwirft, sich eine andre Existenz, als bloß im Raume, denken könne, und Sie zweifelten, ob die Seele überhaupt ohne Sinne neue Vorstellungen empfangen dürfte. Diesen Zweifel wollt' ich nur aus dem Wege räumen.

Damas.

Nun erst begreif ich Sie. Sie meinen nämlich:

[46]

1) Wir Menschen können uns, als Menschen, die Existenz der Seele nicht anders, als im Raume, vorstellen.

2) Im Raume aber kann die Seele nicht seyn, weil die Materie schon unendlich ist, und es gar keinen leeren Raum giebt, der nicht ausgefüllt werden könnte.

3) Gleichwohl fließt hieraus noch nicht, daß die Seele darum überhaupt nicht existiren könne. Denn, daß wir uns Existenz nicht anders, als im Raume, vorzustellen vermögen, daran sind unsre Sinne schuld. Wenn die Seele dereinst von diesen nicht mehr gehindert werden wird, kann sie sich eine andre Art der Existenz, als im Raume, vorstellen, und folglich kann sie doch seyn.

Theokles.

Jetzt fassen Sie das Resultat zusammen. Daß die Seele nach dem Tode existiren werde, haben wir vorausgesetzt, wo sie existiren, und wie sie existiren wird, wissen wir nicht, und können es als Menschen niemals ergründen.

Damas.

Wie wenig ist es doch, was der Mensch von der Zukunft jenseit des Grabes weiß!— Man sollte das einem jeden sagen. Denn ich habe Men-[47]schen sterben gesehn, welche die Todesangst um desto heftiger zerriß, weil sie von dem Zustande, der sie erwartete, mehr zu wissen glaubten, als sie wirklich wußten.

Theokles.

Eine sehr wahre Bemerkung, die Sie da machen! und woraus es sich erklären läßt, daß oft religiöse Menschen, besonders wenn sie mystische Religionsbegriffe haben, grade am unruhigsten sterben.

Damas.

Natürlich; es ist gewissermaßen Vorurtheil, daß der Tugendhafte immer ein sanftes Ende nehme. Es hängt alles von der Reihe der Bilder ab, welche der Seele in der Todesstunde vorschweben; manches auch von momentanen Eindrücken; denn diese können dem edlen Mann so gut, wie dem Bösewichte, den Tod schrecklich machen. Einer meiner geliebtesten Freunde träumte kurz vor seinem Tode, er sey schon in der Hölle, und alles Zureden konnte ihn nicht zu sich selbst bringen. Nachher entdeckte ich, daß die Ursache dieser seiner peinigenden Vorstellung ein Feuer war, welches nicht weit vom Bette im Camine brannte, und wovon die Flamme ihm in die Augen schien. Das Feuer wurde ausgelöscht, und er ward ruhiger. Nach einiger Zeit war der Tocht des Lichts sehr lang geworden; ich putzte das Licht, und es verbreitete sich plötz-[48]lich eine sanfte Helle im Zimmer. Auf den Sterbenden machte dies den glücklichen Eindruck, daß er sich einbildete, ihm sey die göttliche Gnade erschienen, und er werde selig werden. Im Entzücken darüber starb er. —

Theokles.

Wir sind von unserm Zwecke abgekommen. Es ist freilich wenig, was der Mensch von dem Zustande jenseit des Grabes weiß, aber aus dem Wenigen lassen sich doch einige fruchtbare Folgerungen ziehen.

Damas.

Und was wären das für welche?

Theokles.

Erstlich. Die Denkkraft strebt hienieden nach Erkenntniß des Wahren, Guten und Schönen; das wird sie auch jenseit des Grabes thun.

Zweitens. Je mehr einer hienieden seine Denkkraft geübt, und je besser er sie angewandt hat, auf einer desto höhern Stufe der Vollkommenheit und Glückseligkeit wird er nach dem Tode stehn.

Drittens. Je reiner, je edler, je erhabner die Vorstellungen sind, die ein Mensch hier im Leben eingesammelt hat, desto schönre Früchte werden sie ihm nach dem Tode bringen.

[49]

Viertens. Folglich wird das Bewußtseyn der Tugend beseligen, und das Bewußtseyn des Lasters foltern; und da, wo Sinnlichkeit den Tugendhaften nicht mehr zerstreun, und den Lasterhaften nicht mehr betäuben kann, ist dies Himmel und Hölle genug.

Damas.

Noch eins; glauben Sie auch, daß wir nach dem Tode uns wiedersehn werden?

Theokles.

Ob wiedersehen? — Das wird von den Organen abhängen, worin die Denkkraft nach dem Tode gehüllt werden wird. Aber, wenn die Freundschaft unsre Gesinnungen harmonisch macht, wenn wir sympathetisch empfinden, wenn wir gemeinschaftlich nach dem höchsten Wahren, Guten und Schönen streben, wenn wir uns zur Anbetung des Unendlichen vereinigen, dann werden wir uns wieder erkennen, wenn wir uns auch nicht wiedersehen.

Göttingen.

Buhle.