ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Fortsetzung des Lebens des H. Cardans.

Pockels, Carl Friedrich

»Als ich mehr zum Knaben heranwuchs, und sich obige Erscheinungen verloren hatten, so traten zwei andre an ihre Stelle, die hernach beständig blieben, und noch jetzt vorhanden sind, obgleich, nachdem ich meine Probleme geschrieben, und meinen Freunden bekannt gemacht hatte, eine jener Erscheinungen bisweilen aufhörte. Die eine besteht darin, daß ich, so oft ich die Augen gen Himmel richte, den Mond sehe; die andre sonderbare Eigenschaft ist die (welche ich zufällig bemerkt habe), daß, wenn ich dazwischen komme, wenn sich Leute streiten, kein Blut vergossen, auch keiner verwundet wird. Ich habe mich daher mit Vorbedacht zwischen Zänker und Aufrührer gemischt, und es ist niemals einer dann verwundet worden. Wenn ich in Gesellschaft mit Jägern war, so habe ich sogar bemerkt, daß das Wild weder durch Spiesse, noch durch Hunde verwundet wurde, und ich habe mich hierin nie getäuscht; so daß, als ich einstmals den Fürsten Niglovani auf die Jagd begleitete, und ein Haase gefangen wurde, den man den Zähnen der Hunde entriß, derselbe ganz unbeschädigt war, worüber alle erstaunten. Bloß bei freiwilligen Abzapfungen des Bluts, und bei Hinrichtung öffentlicher [73]Verbrecher äussert sich jene sonderbare Eigenschaft meiner Natur nicht.« —

»Etwas anders ganz sonderbares in meinem Leben ist auch das, daß ich dann aus meinen traurigen Lagen herauskam, wenn gar keine Hülfe mehr da zu seyn schien. Und ob dies gleich ganz natürlich zuging, so machte doch die Art und Weise, daß es häufig, ja beständig so kam, daß man es übernatürlich nennen mögte.« — (Eben so, ob gleich das obige Gesicht mit dem Hahn natürlich zuging, so war es doch wunderbar, daß das nämliche Gesicht so und auf die nämliche Art wiederkam.)*) 1

»Ich will noch zwei Beispiele erzählen, wie ich auf einmal durch eine besondre Leitung des Himmels aus meiner traurigen Lage herausgerissen wurde. Es war 1543 im Sommer, um welche Zeit ich täglich gewohnt war, das Haus des Ant. Vicomerati, eines Patriciers unsrer Stadt, zu besuchen, und daselbst den ganzen Tag hindurch Schach zu spielen. [74]Wir spielten um ein bis vier Realen jedes Spiel, so daß ich, da ich zu siegen gewohnt war, fast jeden Tag ein Goldstück, bald auch mehr, bald weniger mit wegtrug. Der Mann gab sein Geld gern, und ich hatte einen doppelten Gewinn, mein Gold und meinen Sieg im Schachspiel. Ich kam aber dadurch so herunter, daß ich schon über zwei Jahre weder auf meine Künste, noch auf meinen Verdienst, noch auf meinen Ruf und die Studien Rücksicht genommen hatte. Eines Tags, gegen Ende des Augusts, nahm mich der Mann, entweder weil sein öftres Verlieren im Spiel ihn zu gereuen anfing, oder weil er sahe, daß ich von meinem Vorsatz auf keine Art abgebracht werden konnte, vor, und zwang mich zu schwören, daß ich niemals des Spiels wegen wiederkommen wollte. Ich schwur bei allen Göttern, und von diesem Tage an legte ich mich ganz auf die Studien.«

(Ein andermal nöthigt ihn der Einsturz seines Hauses sein Vaterland zu verlassen.)

»Ich will noch ein Beispiel, obgleich von einer etwas andern Art, erzählen. Ich lag eben an einem Brustgeschwür krank, woran ich schon oft bis zur Verzweiflung gelitten hatte, und las in den Collectaneen meines Vaters, wenn jemand des Morgens früh um acht Uhr den 1sten April die Mutter Maria mit gebeugtem Knie und dem Vater Unser [75]und mit dem englischen Gruß die heil. Jungfrau anriefe, daß sie bei ihrem Sohn um eine erlaubte Sache eine Fürbitte einlegen mögte, man seine Bitte erfüllt sehn würde. Ich bemerkte den Tag und die Stunde, verrichtete mein Gebet, und wurde noch in dem nämlichen Jahre kurirt. Lange Zeit drauf wurde ich auch auf die nämliche Art vom Podagra kurirt; ob ich mich hierbei auch gleich der Arzneikunst bediente.«

»Nun will ich auch noch vier sehr sonderbare Phänomene in Absicht meines ältesten Sohns anführen, davon sich das eine an seinem Tauftage, das andre in seinem letzten Lebensjahre, das dritte in der Stunde, als er sein Verbrechen, warum er hingerichtet wurde, bekannte, das vierte vom ersten Tage seiner Gefangenschaft an, bis an seinen Todestag, ereignet hat.«

Man höre folgende abergläubige Grillen eines Mannes, der übrigens als ein so großer Kopf, als ein Prodigium der Gelehrsamkeit bekannt ist. —

»Mein ältester Sohn war 1534 gebohren. Als er getauft war, schien die Sonne sehr hell in's Zimmer, — um die fünfte und sechste Stunde des Tages. Alle waren nach der Gewohnheit bei der Wöchnerinn gegenwärtig, das Kind und die Wärterinn ausgenommen. Der Vorhang war vom Fenster [76]weggenommen, und hing an der Wand, als auf einmal eine große Horniß hereinkam. Sie umflatterte das Kind, alle Anwesende fürchteten sich, sie that aber keinem etwas, sondern flog mit einem so heftigen Geräusch gegen den Vorhang, als wenn eine Trommel geschlagen würde. Wir liefen hinzu; fanden nichts, und doch hatte sie auch nicht hinauskommen können, da wir sie genau mit unsern Augen verfolgten. Alle prophezeihten daraus nichts Gutes; aber keiner muthmaßte doch einen so traurigen Tod des Kindes.«

»In dem Jahre, als mein Sohn umgebracht wurde, schenkte ich ihm ein neues seidenes Kleid, wie es die Aerzte zu tragen pflegen. Mit diesem Kleide ging er eines Sonntags vor das Thor, wo sich ein Fleischer aufhielt. Eins seiner Schweine sprang aus dem Kothe auf, rannte auf meinen Sohn zu, und beschmuzte ihn so abscheulich, daß die Fleischer und Nachbarn mit Spiessen das Schwein wegzutreiben suchten, bis mein Sohn sich endlich selbst durch die Flucht von ihm befreite. Wider seine Gewohnheit kam er sehr betrübt zu mir, erzählte alles, und fragte: was das Ding zu bedeuten hätte? Ich antwortete ihm: er mögte sich in Acht nehmen, daß, da er ein so schweinisches Leben führe, er nicht auch einmal ein solches Ende nehme! — ob er gleich, sein Würfelspielen und seine Unmäßigkeit im Essen und Trinken ausgenommen, der beßte Junge war, und ein schuldloses Leben führte.«

[77]

»Es war im Hornung, a und der Anfang des nächstfolgenden Jahrs, als ich mich zu Pavia aufhielt, und dort Collegia las, als ich von ungefähr meine Hand besah, und unten an meinem rechten Goldfinger das Bild eines blutigen Schwerdtes erblickte. Ich gerieth in ein plötzliches Schrecken. Den nämlichen Abend kam ein Bote zu Fuß mit Briefen von meinem Schwiegersohn, worin er mir meldete, daß mein Sohn gefangen sey, und daß ich nach Mailand kommen mögte. Von diesem Tage an ließ sich dieses Zeichen dreiundfunfzig Tage lang sehen, es stieg immer höher. Am letzten Tage war es bis zur obersten Fingerspitze hinaufgerückt, und sah flammend blutroth aus. Ich, ob ich gleich nicht so etwas vermuthete, war vor Schrecken doch ganz ausser mir, wußte nicht, was ich sagen oder denken sollte, — um Mitternacht wurde mein Sohn mit einem Schwerdte hingerichtet, den Morgen drauf war das Zeichen auf meinem Finger fast ganz verschwunden, den Tag drauf war nichts mehr davon zu sehn.«

»Beinahe zwanzig Tage vorher, als er gefangen saß, studirte ich in meiner Bibliothek, und hörte eine Stimme, als wenn jemand etwas Bejammernswürdiges bekannte, das bald ein Ende nehmen sollte; es war, als wenn mir das Herz geöffnet, zerfleischt und aus dem Leibe gerissen würde. Wüthend sprang ich auf, lief in den Hof, fand da Leute, von de-[78]nen ich das Haus gemiethet hatte, und schriee laut aus (indem ich wohl wußte, wie sehr ich meinem Sohn helfen konnte, wenn er sein Verbrechen nicht eingestehn, oder gar daran unschuldig seyn würde,): »Ach! weil er sich des Todes seiner Frau bewußt ist, und ihn nun bekannt hat, so wird er zum Tode verdammt und mit dem Beil hingerichtet werden.« Ich kleidete mich sogleich an und ging auf den Markt, wo ich meinen Schwiegersohn sehr traurig fand. Wo wollen Sie hin? fragt' er. Ich besorge, war meine Antwort, daß mein Sohn alles bekannt hat. So ist's, erwiederte er, er hat eben alles bekannt; ich hatte jemand ausgeschickt, der horchen sollte, und dieser hat mir den ganzen Verlauf der Sache erzählt.«

»Zu andern Eigenheiten meiner Natur gehört auch die, daß mein Fleisch bisweilen wie Schwefel und Weihrauch riecht.«

»Auch dies war sonderbar an mir, daß ich, da ich frei von Sorgen war, selbst mit Beihülfe meiner Lehrer, weder den Archimedes noch Ptolomäus verstehn konnte; im hohen Alter hingegen, dreissig Jahre darnach, von Geschäften umringt, von Sorgen gehindert, hab' ich beide, ohne andre Beihülfe, deutlich verstehn können.«


Es wird selten ein großer Mann ohne einen kleinen Aberglauben irgend einer Art gefunden wer-[79]den. Die Aufgeklärtheit der Vernunft, der Scharfsinn des Geistes schützt nicht immer vor allerlei Vorurtheilen, die man entweder schon in der Jugend eingesogen hat, oder in spätern Jahren aus einer gewissen Anhänglichkeit an dem Wunderbaren anzunehmen pflegt, sonderlich wenn sich Privatneigungen bei Annahme jener Vorurtheile mit in's Spiel mischen. Jeder große Kopf scheint irgend eine Stelle an sich zu haben, die man nicht stark berühren darf, ohne sehr deutliche Vernunftblößen, ich will nicht sagen, ohne eine kleine Tinktur von Wahnsinn zu bemerken. Die menschliche Seele hat gleichsam ihre Fächer; — mehrere können mit den vortreflichsten Kenntnissen und mit einer lichtvollen Helle der Vernunft angefüllt seyn; aber ein einziges kann dem ungeachtet Unsinn enthalten. Daher das unbegreifliche Eclipsiren so vieler vortreflichen Köpfe, daher das unbegreifliche Ankleben derselben an gewissen, sonderlich Religionsirrthümern, daher ihr Scharfsinn in andern Fächern, z.B. in der Mathematik, und ihr blinder Glaube an theologische Wahrheiten, die der Vernunft schnurgrade entgegen stehn.

Cardan*) 2 vereinigte in seinem Kopfe eine ungeheure Masse gelehrter Kenntnisse. Lessing schätzte [80]ihn erstaunlich hoch, und seine Schriften verrathen oft eine durchdachte Philosophie, die man in damaligen Zeiten nicht hätte erwarten sollen. Aber bei seinen vortreflichsten Gedanken, sonderlich in der praktischen Philosophie, bei seiner großen Menschenkenntniß, bei seiner reifen Lectüre der Alten sieht man dem ungeachtet immer einen Schwärmer, der sich Dinge erträumte, die nicht waren, und die doch in seinen Augen sonnenklare Wahrheiten zu seyn schienen. Seine Neigung zum Sonderbaren, die in tausend physischen und moralischen Stimmungen seiner Natur ihren Grund haben mogten, hielt ihm sehr oft ein falsches Glas vor, durch welches er anders als andre Menschen sah. Eine stete Aufmerksamkeit auf sich selbst, und die Würkungen seiner Phantasie, ließ ihn Wunderdinge an sich wahrnehmen, die ganz natürlich zugingen, und seine Kränklichkeit des Körpers erzeugte nach und nach in ihm eine Eigenthümlichkeit der Laune, über die er nicht mehr Herr zu werden vermogte. Zugleich lag der Grund zu seinen vielen und sonderbaren Ideen mit in den Umständen des damaligen Zeitalters, und in der Art, wie man sich damals gelehrte Kenntnisse erwarb. Wer irgend einen Ruf als Gelehrter haben wollte, mußte sich mit auf die Astrologie legen, was sonderlich im sechszehnten Jahrhundert in Italien der Fall war. Diese Wissenschaft, welche bei den meisten in eine bloße Sterndeuterei ausartete, verwirrte damals sehr viele Köpfe, und gewöhnte [81]sie leicht an den Gedanken, zukünftige Dinge vorhersehn zu können, und lenkte auf ihre Verehrer eine ängstliche Aufmerksamkeit in Absicht der Schicksale ihres Lebens. An eine gesunde, von so vielen physischen Hypothesen gereinigte, Philosophie war überhaupt genommen noch nicht zu gedenken, der Glaube an geheime Wunderkräfte der Natur beherrschte noch alle gelehrte Köpfe, und der geheime Stolz stellte deswegen eine Menge von sonderbaren Männern damaliger Zeit auf, die an sich ausserordentliche Dinge wahrgenommen haben wollten, worunter Cardan gewiß den ersten Platz behauptet.

Es sind schon in dem Vorhergehenden eine Menge dergleichen sonderbarer Phänomene von Cardan erzählt worden. Manches Ueberflüssige, was nicht hierher gehört, hab' ich aus seiner Erzählung ausgelassen. Vielleicht dürfte die Fortsetzung seiner Lebensbeschreibung manchem Leser des Magazins noch interessanter als das vorhergehende vorkommen, indeß glaub' ich, wird doch keiner sich von ihm hinreissen lassen, seinen Träumereien Glauben beizumessen, sondern wird sein Leben immer aus dem Gesichtspunkte eines ausserordentlichen gelehrten Schwärmers betrachten.

Im 37sten Kapitel seiner Biographie fährt er fort die sonderbaren Eigenschaften, die er an sich wahrgenommen, zu erzählen, wozu denn auch seine [82]Träume gehören, die nach seiner Meinung sehr richtige Vorbedeutungen seiner Schicksale gewesen sind. Wie leicht konnte sich Cardan eine Erfüllung derselben erträumen, da ihm unzählige Unglücksfälle Gelegenheit gaben, sie auf gewisse vorhergehabte Traumbilder zu appliciren!


»Um das Jahr 1534, da ich mich noch zu nichts bestimmt hatte, und meine Sachen sehr schlecht standen, sah' ich mich einst des Morgens im Traume, als ob ich am Fuße eines mir rechter Hand liegenden Berges umher lief. Zugleich erblickte ich eine ungeheure Menge Menschen von allerlei Ständen, Geschlechtern und Altern, nämlich von Weibern, Männern, Greisen, Knaben, Kindern, Armen und Reichen, die alle verschieden gekleidet waren. Ich fragte, nach welchem Ziele wir nun eigentlich alle liefen? und einer von denselben antwortete mir: zum Tode! Ich erschrack. Da ich grade den Berg zur linken Hand hatte, wand ich mich so, daß ich ihn zur rechten bekam, und fing an, die Weinreben, welche von der Stelle an, wo ich stand, bis in die Mitte des Berges mit dürren Zweigen, wie im Herbst, bedeckt und ohne Trauben waren, zu ergreifen und auf den Berg hinanzuklettern. Anfangs ging es sehr mühsam, da der Berg oder Hügel am Fuße ziemlich steil war; als ich aber die steile Stelle überstiegen hatte, wurde es mir vermöge der [83]Weinreben leicht hinaufzusteigen. Ich kam auf den Gipfel und erblickte, indem ich begierig war, über denselben fortzuschreiten, eine Menge nackter und steiler Steinklumpen, und es fehlte nicht viel, daß ich mich nicht in die tiefe Erde warf, und in den finstern Abgrund hinabstürzte; so daß mich dieser Traum, obgleich schon funfzig Jahre verflossen sind, wenn ich daran denke, noch erschreckt und traurig macht. Ich wand mich daher zur Rechten, ging weiter, ohne daß ich vor Furcht wußte, wohin, und erblickte mich endlich im Vorhofe eines Bauerhauses, welches mit Spreu, Binsen und Schilf bedeckt war, und führte einen Knaben von ungefähr zwölf Jahren in einem aschfarbigen Kleide an meiner rechten Hand, — wo ich dann erwachte.«

Nun höre man, wie Cardan sich selbst diesen Traum, der ein ganz gewöhnlicher Traum war — erklärt und auslegt. »Dieser Traum deutete offenbar die Unsterblichkeit meines Namens, meine beständigen und ungeheuren Arbeiten und Mühseligkeiten, mein Gefängniß, meine große Furcht und Traurigkeit, meine harte Lage wegen der Steine, meinen fruchtlosen Zustand wegen des Mangels an Bäumen und nützlichen Kräutern, aber doch auch meiner einstweilen angenehmen, einförmigen und bessern Schicksale an. Mein Traum hat mich belehrt, daß ich einen beständigen Ruhm haben würde; denn die Weinreben bringen eine jährliche Ernd-[84]te. Der Knabe zeigte meinen guten Schutzgeist an, oder vielleicht auch meinen Enkel. Das Bauerhaus in der Einöde, die Hoffnung zur Ruhe. — Der Schrecken und der Abgrund, den ich erblickte, hat den Fall meines Sohns anzeigen können.«

»Ein andermal träumte es mir, als ob ich vom Körper getrennt im Mondhimmel war, und mich über meinen einsamen Zustand beklagte, als ich auf einmal folgende Stimme meines Vaters vernahm: Ich bin dir von Gott zu deinem Wächter gegeben. Alles ist hier voll von Seelen, die du aber nicht siehst, so daß du weder mit mir noch mit ihnen reden kannst. Du wirst aber in diesem Himmel siebentausend Jahre bleiben, und eben so lange in den andern Planeten, bis zum achten, alsdann wirst du in's Reich Gottes eingehn! Diesen Traum hab' ich mir so ausgelegt: Die Seele meines Vaters zeigte meinen Schutzgeist, der Mond die Grammatik, Mercur die Geometrie und Arithmetik, Venus die Musik, die Weissagungsgabe und die Dichtkunst, die Sonne die Sittenlehre, Jupiter die Naturlehre, Mars die Medicin, Saturn den Ackerbau, die Kräuterkunde und die übrigen geringern Wissenschaften, der achte die Erndtelese, nämlich die Weisheit und andre Studien u.s.w. an.«

Er erzählt noch einige andre Träume, die wir übergehn können. Merkwürdig ist's, mit welcher [85]Ueberzeugung, daß jenes alles auf eine wirklich wunderbare Art und auf eigenthümliche Veranlassung Gottes geschehn sey, er seine Traumerzählung schließt. »Zu meinen Verdiensten, sagt er, kann man alles dies nicht rechnen. Es sind Geschenke Gottes, der keinem etwas, am wenigsten mir, schuldig ist. Diejenigen irren sich auch gröblich, welche sich einbilden, daß jene Dinge von mir aus einer eiteln und mächtigen Ruhmbegierde, wovon ich ganz entfernt bin, ersonnen worden wären, — und warum sollte ich endlich das Gute, was ich nicht durch mich, sondern durch Gottes Gnade besitze, mit solchen Märchen und Fabeln zu verunstalten suchen?«

Im 38sten Kapitel berührt er fünf besondre Eigenschaften, durch welche er unterstützt worden ist.

»Bisher, fährt er fort, hab' ich von mir als einem Manne gesprochen, der sogar bisweilen unter andern Menschen in Absicht seiner Natur und seiner Wissenschaft stand. Nun will ich aber von meiner in der That wunderbaren Natur reden, die um soviel bewundernswürdiger ist, da in mir etwas liegt, wovon ich nicht weiß, was es ist, was nicht aus mir durch eigne Kräfte hervorgebracht wird, was meine Kräfte übersteigt, und was ich am Ende des 1526sten Jahres oder am Anfange des folgenden entdeckt habe, so daß seit [86]der Zeit 46 Jahre verflossen sind. Ich nehme nämlich wahr, daß etwas von aussen mit einem Geräusch, und zwar grade von der Seite in mein Ohr schallt, wo von mir gesprochen wird. Ist's etwas Gutes, so gelangt es, es mag nun von der rechten oder linken Seite herkommen, in mein rechtes Ohr, und macht ein ordentliches Geräusch; ist's etwas Böses, so ist das Geräusch tumultuarisch, und kommt grade von der Stelle her, wo die tumultuarischen Stimmen entstehn. Wenn die Sache öfters übel abläuft, so wird die Stimme, da sie auf der linken Seite geendigt werden sollte, angestrengter, und die Töne vermehren sich.« Er erzählt noch mehr von dieser Gabe, fremde Stimmen zu hören, welche mit dem 1568sten Jahre verschwand; ferner behauptet er, daß er vermöge der Träume kurz bevorstehende Dinge (33 Jahre lang) habe vorhersehn können. Was er von einem gewissen Glanze sagt, der ihn gegen seine Nebenbuhler geschützt, und zu seinen Arbeiten und Geschäften auf eine angenehme Art aufgeholfen habe, ist wie so vieles, was er über seine geheimen Kräfte geschrieben hat, unverständlich, ob er gleich jenen Glanz, wo nicht für eine wirklich göttliche Sache, aber doch für ein Meisterstück der menschlichen Natur erklärt. Cardan glaubt, daß ihm jene Eigenschaften von Gott zum Troste bei seinen mannichfaltigen Leiden gegeben worden sind, und führt noch zuletzt im 38sten Kapitel an, daß auch dies ein sehr sonderbares Phänomen gewe-[87]sen sey, daß er nie von seinem Unglück befreit worden, als bis er habe verzweifeln wollen, bis keine Hoffnung mehr für ihn dagewesen sey, und daß er dann immer in neue Abgründe hinabgestürzt sey, wenn es mit ihm gut gestanden. »Mein Leben, sagt er, glich einem Schiff mit drei Ruderbänken, das bei den Ungewittern bald in den tiefsten Abgrund geworfen, bald auf die höchsten Wogen hinaufgeschleudert wird. O wie oft hab' ich bei mir dieses mein klägliches Schicksal beweint! — nicht nur, weil alles sehr übel ging, und alle Hoffnung verschwunden war, sondern weil ich auch meine Schicksale nicht so einrichten konnte, wie ich wollte, und keinen Ausweg zu meiner Rettung vor mir sah. — Aber nach zwei bis drei Monaten war alles ohne meine Bemühung und mein Zuthun verändert« u.s.w.

Kap. 39. handelt von seiner Gelehrsamkeit.

»Ich habe die Sprachkunst, so wie auch das Griechische, Französische und Spanische nie gelernt, bin aber, ich weiß nicht wie, zur Kenntniß dieser Sprachen gelangt. (An einem andern Orte sagt er ausdrücklich, daß er die Lateinische Sprache durch eine Art Wunderwerk auf einmal gelernt.) Eben so wenig hab' ich von der Rhetorik, Optik und der Wissenschaft von Gewichten verstanden, indem ich gar keinen Fleiß darauf gewandt. Die Astronomie ist mir auch unbekannt geblieben, weil sie mir [88]zu schwer schien, desto eifriger und bis zur Narrheit hab' ich die Musik getrieben, und mich nicht minder in der Theorie verloren. Auf die Geographie, die polemische Philosophie, Moral, Jurisprudenz und Theologie hab' ich mich nicht gelegt, weil sie zu weitläuftige und von meinem Plan entfernte Wissenschaften sind, und den ganzen Fleiß eines Mannes erfoderten. Ich habe aber mich doch auch mit keiner bösen, schädlichen und eiteln Wissenschaft abgegeben, daher ich mich der Chiromantie, c der Kunst Gifte zu bereiten und der Chymie, so wie auch der Physiognomie enthalten habe, weil letztere eine weitläuftige, höchst schwere Sache ist, ein starkes Gedächtniß und scharfe Sinne nöthig hat, die mir fehlen. Mit der Magie, welche sich auf Zaubereien gründet, mit Citiren der Geister oder Verstorbenen hab' ich mich auch nicht beschäftigt. Unter den lobenswürdigen Wissenschaften hab' ich vernachlässigt die Botanik, weil mir das Gedächtniß fehlte, den Ackerbau, weil man ihn mehr praktisch üben, als bloß im Kopfe haben muß; die Anatomie, wovon mich vieles abgeschreckt hat. Verse hab' ich auch nicht gemacht, ausser wenn es nöthig war, und das sehr wenige. Warum mögen mir nun so viele Wissenschaften zugeschrieben worden seyn, woran ich nicht gedacht habe, wenn man nicht meinen Ruf in der Medicin dadurch hat verringern wollen?

Pluribus intentus minor est ad singula sensus.

[89]

Auf die Astrologie, welche künftige Dinge vorherzusagen lehrt, hab' ich mich mehr, als ich gesollt, gelegt, und ihr zu meinem Unglück Glauben beigemessen. Von der natürlichen Astrologie hab' ich keinen Gebrauch gemacht, denn ich habe sie erst seit drei Jahren, nämlich in einem Alter von ungefähr 71 Jahren, erlernt.«

»Die Wissenschaften, die ich aber wirklich verstanden habe, sind folgende: die Geometrie, Arithmetik, theoretische und praktische Medicin, die Dialektik, die natürliche Magie, das Schachspiel, die Lateinische und andre Sprachen, theoretische Musik. Die Schiffskunst hab' ich nicht gelernt, auch nicht die Kriegs- und Baukunst. — Wenn man alle vorzügliche Wissenschaften auf sechsunddreissig rechnet: so hab' ich mich um sechsundzwanzig derselben gar nicht bekümmert, sondern nur zehn davon getrieben. Verschiedne haben mir aber eine größre Kenntniß und Erfahrung zugeschrieben, wegen der Darstellung meiner Ideen, welche durch ein tiefes und festes Nachsinnen, und die Verbindung mit mehrern richtig verstandenen Sachen unterhalten wird. — Zu der Anzahl jener zehn Wissenschaften rechne ich nun noch die Kenntniß sehr vieler Geschichten, welche, ob sie gleich keine eigentliche Wissenschaft ausmacht, doch viel zur Zierde dessen, was darin enthalten ist, gereicht. Ich muß noch dies hinzusetzen, indem ich zugleich einen jeden [90]ermahne, daß man sich eher mit wenigem als mit vielem, aber mit anhaltendem Fleiß beschäftigen müsse. Vorzüglich muß man vor allen Dingen diejenigen Kenntnisse suchen, welche dem menschlichen Geschlecht, und zuvörderst uns selbst, nützlich sind; muß zusammenhängende und wahre Prinzipien annehmen, die alten nicht aus Haß oder Ehrgeitz verlassen, sondern bald die bald jene als die besten versuchen. Ob du dich gleich berühmt zu machen oder einen Vortheil daraus zu ziehn suchst, so ist's doch besser, eine neue Wahrheit vollkommen zu bearbeiten, als tausend zu verfolgen und — nichts zu Stande zu bringen.«

Das 40ste Kapitel seines Buchs handelt von seinen glücklichen Curen, die er an sehr vielen Kranken verrichtet, und deren Anzahl er auf 180 rechnet. Er betheuert, daß er auch hier nichts aus Ruhmbegierde oder mit Unwahrheit gesagt habe.

»Es war der 22ste December 1557, da mir es sehr wohl zu gehn schien. Es war Mitternacht, ich hatte noch nicht einschlafen können, als ich aber einschlafen wollte, kam es mir vor, als wenn mein Bette und das ganze Schlafzimmer eine Erschütterung litte. Ich glaubte, es wär' ein Erdbeben. Endlich überfiel mich der Schlaf, und ich fragte, sobald es Tag geworden war, den Simon Sosia, [91]der jetzt hier zu Rom lebt, und in einem Rollbette lag, ob er etwas gemerkt habe? Eine Erschütterung der Stube und des Bettes, war seine Antwort. Um welche Zeit? fragt' ich weiter; um sechs oder sieben Uhr, erwiederte er. Ich begab mich darauf auf den Markt, und erkundigte mich bei mehrern, ob sie in der vergangenen Nacht ein Erdbeben verspürt hätten? Keiner bejahete es. Ich ging nach Hause, und siehe! ein Bedienter kam sehr traurig zu mir gelaufen, und erzählte mir, daß Johann Baptista (mein Sohn), die Brandoria Serona, seine Geliebte, die aber äusserst arm war, zum Weibe genommen habe. Hinc dolor, hinc lachrymae! Ich gehe zu ihm, und finde, daß alles geschehn ist. — Ich hielt es für einen göttlichen Wink, welcher mir des Nachts den am vorhergehenden Abend gefaßten Entschluß meines Sohns habe entdecken wollen; denn sobald es Tag geworden war, ging ich zu meinem Sohn, eh' er das Haus verließ, und sagte ihm: (nicht bloß weil ich durch jene Erscheinung aufmerksam gemacht wurde, sondern er mir selbst sehr zerstreut vorkam,) Mein Sohn, nimm dich heute in Acht, damit du nicht ein großes Unglück stiftest. Ich weiß noch die Stelle, wo ich's ihm sagte, ich war an der Thür, weiß aber nicht, ob ich etwas von der Erschütterung hinzufügte. Nicht lange darauf fühle ich nochmals, daß das Zimmer bebt; ich fühle mit der Hand um [92]mich her, und merke, daß mir das Herz heftig klopft; denn ich lag auf der linken Seite. Ich wandte mich um, und das Beben des Zimmers und das Herzklopfen hörte auf. Ich legte mich wieder auf die linke Seite, und beides kam wieder, daher ich denn schloß, daß eins aus dem andern entstand. Ich wußte wohl, daß das Beben der Stube und des Bettes vermöge des Herzklopfens eine natürliche Erscheinung war, ich sah' aber nicht ein, wie die erste Erschütterung entstanden seyn sollte; ich habe nur bemerkt, daß sie eine doppelte Erschütterung war, eine natürliche, welche aus dem Klopfen des Herzens entstand, und eine andre, die durch meinen Schutzgeist, vermöge des ersten, hervorgebracht wurde. —

Ein ähnlicher Zufall trug sich 1531 zu. Eine sanfte Hündinn bellte wider ihre Gewohnheit unaufhörlich fort; — die Raben saßen auf dem Dachgipfel und krächzten ungewöhnlich; — ein Knabe spaltete Holz, und es sprangen Feuerfunken heraus, — — ich heiratete plötzlich meine Frau, und seit der Zeit ist mir viel Uebels begegnet. Doch, setzt der große, aber äusserst abergläubige Mann hinzu, waren nicht alle dergleichen Dinge von einem göttlichen Einflusse. Denn als ich ungefähr dreizehn Jahr alt war, ergrif auf dem Ambrosischen Felde ein Rabe meine Rockfalte, und wollte sie nicht los [93]lassen, ob ich ihn gleich mit Gewalt mit mir fortzog, und wegjagen wollte, und doch ist mir damals viele Jahre hindurch, so wie auch den Meinen, nichts Uebels begegnet.

»In meiner Jugend konnt' ich auch das, was in der Stube war, im Finstern eben so gut sehn, als wenn ich Licht gehabt hätte. Aber nicht lange nachher ist diese Fähigkeit verschwunden.«

Es ist unbegreiflich, welche Kleinigkeiten der Mensch für gewisse Vorherbedeutungen halten kann, wenn einmal seine Seele an den Glauben an dergleichen Dinge gewöhnt ist. Im Februar 1565 brennt ihm das Bette zweimal an, und daraus macht er den Schluß, daß er nicht in Bononien bleiben würde. 1552 steigt eine stille Haushündinn, die zu Hause geblieben ist, auf den Tisch, und reißt seine Hefte zu öffentlichen Vorlesungen entzwei, läßt hingegen sein Buch de fato, welches näher vor ihr lag, unberührt liegen, und dies soll dann wieder ein Vorzeichen gewesen seyn, daß er am Ende des Jahrs aufgehört habe, acht Jahre lang keine öffentlichen Vorlesungen zu halten. Ein andermal löst sich die Binde auf, woran ein Smaragd an seinem Halse angehängt ist; noch ein andermal findet er, daß die Ringe, welche er an seinen Fingern trug, alle an einem einzigen sitzen, und dies hält er dann [94]wiederum für Vorbedeutungen seiner Einkerkerung und Befreiung, so wie andrer Uebel, die darauf erfolgt sind.

Vornehmlich schreibt sich Cardan eine Fähigkeit zu, den Ausgang der Krankheiten auf's gewisseste vorhergesehn und bestimmt zu haben, was die eigentliche Ursache des Todes seyn würde. Er stellt darüber mit vielen kostbare Wetten an, und er gewinnt sie jedesmahl. Er führt noch ein Paar sonderbare Beispiele seiner Vorhersehungsgabe im 43sten Kapitel seines Buchs an.

»Ein gewisser J. St. Biffo glaubte, daß ich die Chiromantie verstünde; er kam zu mir und bat mich, daß ich ihm etwas in Absicht seines Lebens prophezeihn mögte. Ich erwiederte, seine Bekannten hätten ihn betrogen, ich sey kein Chiromant; demungeachtet dringt er in mich, und ich erkläre: daß er es mir nicht übel nehmen möge, wenn ich ihm etwas sehr hartes vorhersagen würde, — er stehe in Gefahr, im kurzem aufgehangen zu werden. Noch in derselben Woche wird er ergriffen, man bringt ihn auf die Folter, er läugnet sein Verbrechen mit vieler Hartnäckigkeit, nichts destoweniger wurde er nach sechs Monaten aufgehangen, nachdem man ihm vorher die Hand abgehauen hatte.«

[95]

»Nicht so zufällig kann das genannt werden, was sich mit dem Paul Eufomia, einem jungen Menschen, und meinem sonstigen Alumnus zugetragen hat. Er war völlig gesund; eines Abends ließ ich mir Papier geben, und schrieb darauf: »daß er, wenn er sich nicht hütete, in kurzem sterben werde.« Nicht Sterndeuterei, oder ein mir bekannter Streich, den man dem jungen Mann spielen wollte, lag bei diesem Vorherwissen zum Grunde; ich gebe die Ursachen an, — binnen sechs bis acht Tagen wird er krank, und stirbt in eben so viel Tagen darauf wirklich.« —

»Was soll ich von einer andern Begebenheit zu Rom sagen? Soviel Gäste da waren, soviel können sie noch bezeugen. Ich erklärte, daß, wenn sie es mir nicht übel auslegen würden, ich ihnen etwas sagen wolle. Einer aus der Gesellschaft antwortete: Du willst gewiß den Tod eines unter uns vorherverkündigen? Meine Antwort war: ja! Und noch in diesem Jahre, am 1sten December starb er auch wirklich.«

Im 43sten Kapitel fährt Cardan fort die Sonderbarkeiten, die er an sich bemerkt haben will, und die er hier gar res prorsus supra naturam nennt, zu beschreiben. Ich führe auch diese als Beläge der erstaunlichen Stärke einer hypochondrischen Einbildungskraft über den Verstand der größten Köpfe an. —

[96]

»Als ich zu Pavia studirte, hört' ich einst des Morgens, eh' ich ganz aufgewacht war, an der Wand einen Stoß; das angränzende Zimmer war ganz leer, — als ich ganz aufwachte, hört' ich den Stoß nochmals, als wenn er mit einem Hammer geschähe. Ich erfuhr darauf, daß um die nämliche Stunde des Abends Galeazius, mein vertrauter Freund, gestorben sey. Doch kann die ganze Sache natürlich zugegangen seyn. Erstlich kann das ganze Phänomen seinen Grund in einem Traume gehabt haben. Zweitens konnte das Schlagen an der Wand von einer natürlichen Ursache herrühren. Endlich drittens konnten meine Bekannten, da sie mich wegen jenes Phänomens niedergeschlagen sahn, und ich aus Furcht den ganzen Tag zu Hause blieb, den Tod meines Freundes fingirt und auf die angezeigte Stunde verlegt haben, ob er gleich viel eher gestorben seyn konnte. Daher ich die Sache auch nicht weiter wunderbar nennen will.« Ganz anders urtheilt Cardan von folgenden Erscheinungen.

»Es war das 1536ste Jahr, als ich einst, ich glaube, es war im Julius, aus dem Speisezimmer herausging. Ich roch sogleich einen heftigen Gestank, als wenn eben eine Menge Wachskerzen ausgelöscht wären. Ich rief meinem Knaben, und fragte ihn: ob er einen Geruch empfände? O welch ein Wachsgeruch! antwortete er — ich hieß ihn [97]schweigen, fragte die Magd und meine Frau, alle bewunderten die Sache, meine Mutter ausgenommen, welche, wie ich glaube, wegen des Schnupfens nichts roch. Ich glaubte gleich, daß dieses wunderbare Phänomen den Tod von jemand anzeigen müßte, ich begab mich wieder in mein Bette, konnte aber nicht einschlafen. Aber nun trug sich noch etwas seltsameres zu. Ich hörte deutlich auf der öffentlichen Straße Schweine grunzen, obgleich keine vorhanden waren, und Enten schnattern, welches die ganze Nacht dauerte. Von so vielen Erscheinungen niedergeschlagen, wußte ich nicht, was ich des Morgens machen sollte. Ich lief von der Frühstückzeit an ausser der Stadt herum, kehre endlich wieder nach meinem Hause zurück, und erblicke meine Mutter, welche mich antrieb, dem vom Blitz getroffenen Nachbar zu Hülfe zu eilen, — ich lief hinzu und fand ihn todt.«

»Noch eine andre Erscheinung ist folgende. Als meine Mutter in den letzten Zügen lag, hört' ich, ob ich gleich bei hellem Sonnenlichte nichts sahe, funfzehn Schläge — so ungefähr, als wenn das Wasser tropfenweise auf das Pflaster fällt. Die Nacht vorher zählte ich von dergleichen Schlägen an die 120. Aber ich stand bei mir an, ob nicht vielleicht einer meiner Hausleute mir bei meiner Angst einen Streich spielen wollte, weil die Schläge von der [98]rechten Hand kamen. — Nicht lange darauf hört' ich das Geräusch eines mit Brettern beladenen Wagens, als ob sie mit einmal abgeladen würden, mein Bette zitterte, und — meine Mutter war unterdessen gestorben, weiß aber nicht, setzt er hinzu, was die Schläge bedeutet haben. Ich will das übergehn, was mir in der Mitte des Junius 1570 begegnet ist. Es kam mir vor, als wenn jemand des Nachts bei verschlossenen Thüren und Fenstern in meinem Zimmer herumwanderte.« —

Alles Vorhergehende übertrift an schwärmerischer Einbildungskraft und ungewöhnlichem Unsinn folgendes.

»Wer mag wohl der Mann gewesen seyn, fragt Cardan, welcher mir in meinem zwanzigsten Jahre den Lateinischen Apulejus verkaufte, und sogleich wieder wegging? Ich war damals nur ein einzigesmal in der (Lateinischen) Schule gewesen, hatte noch gar keine Kenntnisse in dieser Sprache erlangt, hatte den Apulejus bloß deswegen gekauft, weil er vergoldet war — und den andern Tag darauf war ich soweit in der Lateinischen Sprache, als ich jetzt bin, hatte auch zugleich das Griechische, Spanische und Französische mit gelernt, daß ich Bücher darin lesen konnte, — ob ich gleich von der Sprache und den grammaticalischen Regeln vorher nichts wußte. Im [99]Jahr 1560 im Monat Mai, da ich wegen des Todes meines Sohns den Schlaf nach und nach verloren hatte, bat ich Gott, daß er sich meiner erbarmen mögte, indem ich wegen meines beständigen Wachens entweder sterben, oder wahnwitzig werden, oder mein Amt nothwendig niederlegen müsse. — Geschähe das Letztere, so könnte ich nicht mehr ein ehrbares Leben führen; geschäh' es, daß ich wahnwitzig würde, so würde ich ein Spott aller Leute werden, würde den Rest meines Vermögens verzehren, und alle Hoffnung meines Unterkommens verlieren, da ich in meinem Alter meine Lebensart nicht mehr verändern könnte: — ich bäte also, daß er (Gott) mich möge sterben lassen, da dies einmal doch das Schicksal aller Menschen sey, — und legte mich sogleich in's Bette. Die Stunde verstrich langsam, ich war gezwungen, um zehn Uhr aufzustehn, weil ich nicht länger als höchstens zwei Stunden im Bette bleiben konnte. Plötzlich überfiel mich aber der Schlaf, und es kam mir so vor, als hört' ich aus der Dunkelheit eine Stimme; woher? und von wem? sie kam, konnte ich nicht wegen der Finsterniß unterscheiden. Was klagst du, worüber beunruhigst du dich? eh' ich noch antwortete, fuhr sie fort: über den Tod deines Sohns? Ich antwortete, ja allerdings! Darauf antwortete es mir wieder: lege den Stein, welchen du an deinen Hals gehangen, in den Mund, und so lange [100]du ihn darin hältst, wirst du an deinen Sohn nicht denken! Ich erwachte sogleich, und dachte darüber nach, was mein Smaragd mit dem Nichtdenken an meinen Sohn für eine Verbindung haben könne; — ich that es, und was unglaublich scheinen mögte, ich vergaß alles, was meinen Sohn betraf, theils damals, als ich wieder in Schlaf kam, theils in dem darauf folgenden ganzen Jahre und einem halben. Inzwischen, wenn ich aß, oder öffentliche Vorlesungen hielt, und ich dann den wohlthätigen Smaragd nicht gebrauchen konnte, wurd' ich bis zum Todesschweiß gequält.«

In der Nacht vor dem 13ten August 1572 hörte ich von der rechten Seite her ein entsetzliches Geräusch. Ich hatte Licht angezündet, wachte, und es war nicht weit von der zweiten Nachtstunde. Es kam mir so vor, als wenn ein Wagen mit Brettern abgeladen würde. Ich sehe mich um, es war im Eingange meines Schlafgemachs, wo ein Knabe schlief. Die Thür stand offen, und ich sehe auf einmal einen Bauer hereinkommen — blicke ihn scharf an, und — höre von ihm folgende Worte: Te sin casa. Worauf er sogleich verschwand. Ich kannte weder die Sprache, noch sein Gesicht, noch verstand auch, was obige Worte sagen wollten.

Im Monat April 1570 trug sich folgendes zu. Als ich eben ein Gutachten für meinen Patron den [101] Cardinal Morono geschrieben hatte, war mir ein Bogen davon auf die Erde gefallen. Ich war mißvergnügt darüber, stehe auf, und siehe! das Blatt hebt sich zugleich mit mir in die Höhe, fliegt nach dem Tische hin, und bleibt an seinem Querbalken emporgerichtet hängen. Voller Bewunderung rufe ich dem Rodülph, und zeige ihm den wunderbaren Vorfall; er sahe aber die Bewegung nicht, und ich habe nicht begreifen können, was die Sache mag bedeutet haben.«

Cardan erzählt in diesem Kapitel noch mehr dergleichen Histörchen, und sagt am Ende desselben, daß er sehr viele nicht einmal berührt habe.

Das 44ste Kapitel handelt von seinen neuen Entdeckungen in der Dialektik, Arithmetik, Naturlehre, Moralphilosophie und Medicin. Darauf folgt im 45sten Kapitel das lange Verzeichniß seiner mathematischen, astronomischen, physischen, moralischen, vermischten, medicinischen, theologischen und andrer Schriften. Er erinnert noch einmal, daß er öfters im Traume zum Schreiben angereitzt worden sey, und daß ihn zugleich das Verlangen, seinen Namen zu verewigen, dahin vermogt habe. Ausser der ungeheuren Menge seiner noch vorhandenen Schriften hatte er im 37sten Jahre neun seiner Bücher ganz verbrannt, weil er einsahe, daß sie [102]eben keinen Nutzen stiften würden. Im Jahr 1573 verbrannte er noch 120 Bücher, und zog nur das Beste davon aus. So interessant übrigens das ganze Kapitel für den Litterator seyn mag, so zwecklos wäre es hier noch mehr von seinen gelehrten Arbeiten zu sagen.

Im 46sten Kapitel, de me ipso überschrieben, gesteht Cardan ein, daß es ihn, ungeachtet seiner unzähligen erduldeten Uebel, nicht gereut, gelebt zu haben, und schätzt sich vornehmlich deswegen glücklich, daß er von so vielen und erhabnen Dingen eine gewisse und seltne Kenntniß besessen habe, und daß er nun (in seinem Alter) wisse, daß die Natur des Menschen an der Gottheit selbst Antheil habe.

Das 47ste Kapitel handelt von seinem Schutzgeist, dessen er schon oft im Vorhergehenden gedenkt. Er nennt eine Menge großer Leute, die einen dergleichen Schutzgeist gehabt haben sollen, worunter er sich ausdrücklich rechnet, und die Anmerkung dabei macht, daß alle, die einen dergleichen Dämon gehabt hätten, Socrates und er ausgenommen, sehr glückliche Menschen gewesen wären.

»Daß mir ein solcher Dämon beigewohnt, sagt er, davon bin ich schon längst überzeugt gewesen, hab' es aber nicht eher begriffen, auf welche Art er [103]mich von bevorstehenden Zufällen unterrichtet, als nach meinem 74sten Lebensjahre, als ich mein Leben zu beschreiben anfing.« Diesem Schutzgeist schreibt er nun alle die im Vorhergehenden erzählten sonderbaren Zufälle zu, und glaubt, daß es ohne eine solche göttliche Hülfe unmöglich gewesen, so viel Dinge mit größter Deutlichkeit vorherzusehn, ohne sich darin zu irren. Er glaubt, daß jene oben erzählten Vorbedeutungen an Raben und Hunden daher gerührt hätten, indem der Schutzgeist auf die unvernünftigen Seelen der Thiere eben sowohl als auf die Menschen würken könne, daß er in diesen durch gewisse Schattenbilder, oder auch durch glänzende Gegenstände Furcht und Schrecken erregen könne.

Er theilt alle Schutzgeister in folgende Klassen ein. Schutzgeister, die gewisse Uebel verhindern, wie der des Socrates war; Warnungsschutzgeister, wie der beim Tode des Cicero; lehrende Schutzgeister, die uns durch Träume, Thiere, äussere Zufälle, durch geheime Erinnerungen, daß wir uns an einen gewissen Ort begeben sollen, oder durch Täuschung eines oder mehrerer unsrer Sinne, desgleichen durch natürliche und unnatürliche Begebenheiten von zukünftigen Dingen Nachricht ertheilen. Die Schutzgeister sind ferner von guter und böser Art.

[104]

»Es bleiben hierbei, fährt er fort, allerlei Zweifel übrig; warum grade für mich, und nicht eben so für andre der Schutzgeist soviel Sorge trägt, da ich, wie einige meinen, keine Vorzüge in Absicht meiner Gelehrsamkeit besitze; — oder soll ich mir jene Sorgfalt des Schutzgeistes wegen meiner unermeßlichen Wahrheits- und Weisheitsliebe, oder meiner Verachtung äusserer Güter, selbst bei meiner Armuth, oder meiner Neigung zur Gerechtigkeit, oder soll ich alles Gott allein zuschreiben, der dies nach einem ihm allein bekannten Endzweck an mir thut?

Noch mehr! warum warnt mich der Schutzgeist nicht gradezu, warum bald auf diese, bald auf jene Art; soll ich etwa, wie z.B. durch jenes unordentliche Geräusch, ein Vertrauen auf Gott setzen lernen, daß er alles sieht, ob ich ihn gleich nicht sehe? Er konnte mich ja auch durch einen Traum, durch ein andres Wunder deutlicher unterrichten; aber jene Art mag vielleicht mehr eine göttliche Sorgfalt für mich anzeigen; — — doch, fährt er fort, es wäre thörigt, über dergleichen Dinge sich mit voreiligen Untersuchungen abzugeben.«

Uebrigens läugnet Cardan nicht, daß sich auch der Schutzgeist wirklich irren könne. Man höre, wie er dies zu erklären und seinen Schutzgeist zu ret-[105]ten sucht: »Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Ursache jener Vorzeichen, nämlich der Schutzgeist, so wie die ganze Natur, eine gewisse bestimmte Bewegung hat, und so wie in der immer in ihrem Gleise bleibenden Natur aus einem Fehler der Materie unförmliche Geschöpfe entstehn können; so kann es auch in Absicht jener Geister Gebrechen geben. Ich glaube nicht, daß der Schutzgeist seiner Natur nach edler als die Vernunft sey, und dennoch irrt sich oft diese wegen der Materie, die auch für das Instrument jenes Geistes gehalten werden muß. Und gleichwie in gewissen Jahren aus Mangel der Sonnenwürkung viele unförmliche Geschöpfe entstehn: so können auch durch die auf den Körper oder die Seele würkende himmlische Kraft, die verhindert worden ist, Unvollkommenheiten und Irrthümer in der auf gewisse Zeichen gegründeten Vorhererkenntniß künftiger Dinge entstehn. Da der Schutzgeist ein immaterielles Wesen ist, und als ein gutes Geschöpf von Gott abhängt; so zeigt er nach dem Willen Gottes das Künftige richtig an, und irrt sich nie; denn die menschliche Natur ist an sich so eingerichtet, daß sie der Seele das richtig anzeigen muß, was sie von dem Geiste empfängt; allein das Instrument, wodurch sie Unterricht geben will, ist nicht immer zur Aufnahme jener Vorhererkenntnisse gut eingerichtet« u.s.w.

[106]

Im 48sten Kapitel führt er die Zeugnisse von 73 gelehrten Männern an, die in ihren Schriften seiner mit Ehren gedacht haben. Selbst seine Feinde gestanden ihm eine ungeheure Gelehrsamkeit zu; und Scaliger, sein Erzfeind, nannte ihn das tiefsinnigste, glücklichste und unvergleichlichste Genie.


Sehr auffallend sind vornehmlich die im Vorhergehenden erzählten fabelhaften Grillen des grossen Mannes, wenn man sie mit den durchdachten Untersuchungen mathematischer und philosophischer Wahrheiten vergleicht, die in seinen Schriften häufig vorkommen. In diesen Untersuchungen bemerkt man auf allen Seiten einen scharfsinnigen Denker, und in obigen Erzählungen seiner an sich bemerkten sonderbaren Phänomene einen Schwärmer, dessen Einbildungskraft alle Augenblicke mit ihm davon läuft, und der die allerunbedeutendsten Kleinigkeiten für Vorzeichen gewisser Begebenheiten, oder Winke seines guten Dämons hält. Diese letzte Idee haben überhaupt mehrere große Köpfe gehabt, — und sie hat so etwas Behagliches, der menschlichen Eitelkeit Schmeichelndes, und bei unsern mannigfaltigen Schwachheiten und Leiden so etwas Tröstendes an sich, daß die meisten Menschen sich geneigt fühlen, an gewisse uns begleitende Schutzgeister zu glauben, und sie sich unter allerlei Gestalten zu denken. Die [107]Menschen suchen sich gar zu gern die Beweise von einer sie bewachenden göttlichen Providenz so anschaulich als möglich zu machen, und es ist den meisten leichter, sich in Gedanken einen gewissen Schutzgeist zu wählen, der alle ihre Angelegenheiten auf göttliche Veranlassung besorgt, als sich die Harmonie des Ganzen, worin die Schicksale eines jeden einzelnen weislich mit eingeschlossen sind, in Beziehung auf sich, deutlich vorzustellen. Jeder Mensch ist überdem geneigt, entweder, weil er sich für ein sehr wichtiges Individuum hält, oder weil er sehr sonderbare Phänomene an sich wirklich, wenigstens in gewissen Zeiten, zu bemerken glaubt, sich leicht in eine nähere Verbindung mit der Gottheit hineinzuträumen, und gleichsam durch ein Zwischensubject die Lücke auszufüllen, die zwischen ihm und der Gottheit ist. In dieser Idee wird er nun durch eine Menge von Umständen bestärkt, die selbst ein philosophisches Raisonnement über die Kette aller Wesen, vom Wurm bis zur Gottheit hinan, so sehr dies auch noch bloße Hypothese seyn mag, zu bestätigen sucht. Es kommt ihm sehr natürlich vor, daß mit dem Menschen die Grade der Erkenntniß und Geistesvollkommenheit noch nicht aufhören, sondern von Stuffe zu Stuffe in Wesen ausser uns, immer weiter vorrücken müßten. Da diese Wesen, insofern sie sich nicht durch Sinne und Erfahrungen deutlich beweisen lassen, immer idealische Geschöpfe [108]bleiben; so behält die menschliche Einbildungskraft die Freiheit, in dieselben Kenntnisse, und Fähigkeiten hineinzudenken, soviel sie will, sich Geschöpfe zu schaffen, die die Gottheit wohl nie geschaffen haben mag, und ihnen eine Macht über die menschlichen Angelegenheiten, und sogar einen Einfluß auf unsern Verstand und Willen zuzugestehn, den sie nicht haben können. Die ewige Ordnung aller Dinge, die nie aus ihrem Gleise weicht, immer durch die genaueste Verbindung zwischen Ursach und Würkung dieselbe bleibt, und die Schicksale eines jeden einzelnen, so wie die Denkungs- und Handlungsart aller, an unverletzliche Gesetze bindet, macht, um mich so auszudrücken, den Succurs jener aussermenschlichen Wesen völlig unnöthig und unbegreiflich. Die Gottheit, jene ewige und weise Ordnung aller Dinge und Kräfte, bedarf zur Regierung ihres unendlichen Reichs keiner Boten und Gesandten, und keiner Dämonen, um die Menschen zu warnen, da sie ihnen die Vernunft zu Lehrern und Erkenntnißquelle aller Wahrheit gegeben hat. —

Ich komme nach dieser Episode auf Cardan zurück. Es ist sehr begreiflich, wie ein Mann von seinem melancholischen und finstern Temperament, ein Mann, der so unzählich viel Uebel ausgestanden hatte, und in sich gewisse Vorzüge vor andern Menschen zu bemerken glaubte, auf den Gedanken kom-[109]men konnte, daß ihn ein Dämon begleiten müsse. — Er fand die Beispiele ähnlicher Meinungen in andern großen Köpfen vor, seine Leiden hatten oft eine sehr sonderbare Wendung genommen; die genaue Aufmerksamkeit auf alle seine körperlichen Empfindungen hatte ihm die Erfüllung gewisser vorhergesehenen Begebenheiten (freilich auf eine ganz natürliche Art) sehn lassen, — das Alter kam hinzu, das so leicht abergläubig werden kann, und alle diese Umstände mußten jenen Glauben an einen Dämon bestärken helfen. Auch würkte vielleicht das Ausserordentliche jener Meinung auf ihn so stark, daß er schon des Ausserordentlichen wegen, was bei den Hypochondristen so viele Würkung thut, an jener Meinung ein Behagen fand; so wie Lessing wahrscheinlich des Ausserordentlichen wegen ein Vertheidiger von der Seelenwanderung der Menschen war.

Cardan hat die Idee von einem ihn begleitenden Dämon auch nicht gleich anfangs gehabt, sondern erst in seinem spätern Alter angenommen, nachdem er nämlich sein Leben zu beschreiben anfing, und nochmals einen genauen Blick auf alle seine Schicksale warf. Am Ende seines Lebens mogten ihm viele derselben in einem ganz neuen Lichte erscheinen, und vieles konnte ihm, durch die Schwächen des Alters verführt, wunderbar vorkommen, was jeder unbefangne Leser seiner Schriften ganz natürlich [110]findet. Ueberdem ist wohl nicht zu läugnen, daß Cardan öfters an einer Art melancholischen Wahnwitzes krank gelegen hat, der ihm Dinge zeigte, die nicht existirten, und seine Einbildungskraft mit Wunderbildern anfüllte. Gabriel Naudäus, welcher die Schriften Cardans vielleicht mehr als jeder andrer studirt hat, hat ein eigenes Urtheil über jenen sonderbaren Mann abgefaßt, und sein ganzes Temperament auf eine sehr gute psychologische Art beleuchtet, was im folgenden Stück, nebst dem Rest von Cardans Lebensbeschreibung vorkommen wird.

P.

(Die Fortsetzung folgt.)

Fußnoten:

1: *) Ein lebhaftes Bild der Imagination, das sich durch irgend einen Umstand tief der Seele eingedrückt hat, pflegt im Wachen sowohl als im Schlafen augenblicklich wieder zu erscheinen, daher das öftere Träumen von dem Hahn, da die Idee ohnedas mit einer innern Furcht verbunden war, sehr natürlich zuging.
P.

2: *) Leibnitz sagt von ihm: Qui étoit affectivement un grand homme avec tout ses défauts, & auroit été incomparable sans ces défauts. E. Théodicée pag. 435. b

Erläuterungen:

a: Februar.

b: Leibniz 1710.

c: Die Kunst des Handlesens.