ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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8.

Noch etwas über Ahndungen.

Schlichting, Johann Ludwig Adam

So wenig ein Ahndungsvermögen mit den Begriffen streitet, die wir uns gewöhnlich von der Seele machen; ebenso wenig Widerspruch findet bey dem sogenannten Melden statt. Wir kennen die Kräfte des Wesens, das wir Seele nennen, alle noch zu wenig; wir hängen noch zu sehr am Körper, als daß wir dies Wesen ganz ausforschen könnten. Wie können wir wissen, was die Seele, sich selbst überlassen, ohne Verbindung mit einem Körper, oder — in einem Zustande, wo die Organe, die Vereinigungsbande, schlaff geworden, wo der Mechanismus erstarrt — zerstört und der Moment der Verabschiedung sehr nahe, oder eben vorüber ist; was die Seele da für einen Wirkungskreiß habe? Wer vermag endlich ein non plus ultra den Kräften eines uns so wenig bekannten Wesens zum Gränzstein zu setzen?

Es sind zu viele Erfahrungen und Beobachtungen von Erscheinungen in dieser Sphäre vorhanden; — Beobachtungen, denen sich allerdings kein Einwurf einer Unwahrhaftigkeit machen läßt; — von Männern, die unbefangenen Kopfes, mit all-[92]seitiger und genauerer Untersuchung beobachten; die nie gewöhnt sind, mit wundersichtiger Leichtgläubigkeit etwas zum Beweise einer noch so zweifelhaften Wahrheit an den Tag zu geben, ohne aus ganzer Seele Bürge dafür seyn zu können, wie ich gleich zwey solche Beobachtungen anführen werde; wir haben, sag ich, zu viele und zu wichtige dergleichen Erscheinungen, als daß wir so gradezu die Existenz vorbenannter Vermögen in der Seele wegraisonniren könnten.

Mögten wir doch einmal aus solchen gehäuften, bewährten Erfahrungen ein zuverläßiges Resultat ziehen können, das uns so vielen Aufschluß in der Seelenkunde geben würde! Ich habe im 3ten Stück des 4ten Bandes eine Todesahndung zu erklären gesucht, die aus einem vorhergehenden lebhaften Traume entstand, und vermöge der Einbildungskraft wirklich Zerrüttung und Tod brachte — das mir bisher noch ziemlich genugthuend bleibt; aber — freylich fallen mir auch wieder andere Phänomene auf, die mir eben so unerklärbar scheinen, als ein übermenschliches Räthsel. Hier scheint sich der Schwung unserer Einbildungskraft wirklich in übermenschliche Sphären zu erheben, und übermenschliche Dinge zu verrichten; das heißt, wenn sie wirklich geschehen, solche — deren Kräfte wir bisher mit unserer Einsicht noch nicht entdeckt haben.

[93]

Der magnetische Somnambulisme ist nach allem Betracht nichts als Charlatanerie, der uns hier für eben nichts mehr als eine solche — wie jedes andere Hirngespinst der Schwärmerey und des Betrugs gelten darf; beiden ihr Symbol ist: Croyez et voulez. Solche Chimären seyen von jedem Wahrheitsfreund weit entfernt; so wie man überhaupt auf diesen schlüpfrigen Wegen nie behutsam genug seyn kann.

Melden eines Sterbenden.

Hr. H** hatte als Director der Normalschulen in N** einen Knaben, den er vorzüglich liebte. Der Knab ward krank. Hr. H** besuchte ihn in seiner Krankheit, die etwa zehn Tage dauerte, ohngefähr viermal. An dem Tage, an welchem er verschied, ließ er sich noch an das Fenster bringen, da eben die Prozession vorbeyging, um seinen Hrn. Director und seine Mitschüler noch einmal zu sehen. Hr. H** kam spät nach Hause, begab sich in sein Schlafzimmer, nahm ein Buch, um noch etwas zu lesen; endlich legt er sich in's Bett, ließ das Licht brennen, und wollte noch fortlesen.

Es war um halb zwölf Uhr als drey Schläge an die verschlossene Thüre geschahen. Hr. H., da er nicht denken konnte, daß Jemand so spät noch zu ihm verlangte, blieb stille. Ueber eine Weile schlug [94]es wieder eben so vielmal an die Thüre. Nun losch Hr. H. das Licht aus, und blieb liegen; gleich geschahen wieder drey stärkere Schläge. Hr. H. stand auf, öfnete die Thüre, sah und suchte, und fand niemand; er machte, um zu sehen, ob nicht ein Zugwind die Ofenthüre hin und her geschlagen habe, auch diese auf; aber — auch dieses fand er nicht. Da er nun gar nichts wahrnehmen und sich von keiner Täuschung auf irgend eine Art überzeugen konnte, legte er sich, in Zweifel vertieft, wieder in's Bett. Aber — schon früh meldete man ihm den Tod seines Geliebten, der eben um jene Zeit erfolgte, nachdem er kurz vorher noch von Hr. H. gesprochen hatte.

Dies erzählte mir Hr. H., ein Mann von unbefangener Beurtheilungskraft und von der richtigsten Denkart; — ein Mann, der zuvor alles Melden, alle Ahndungen, Todtenerscheinungen u.d.gl. für Chimäre hielt; von der Zeit an aber durch diese Begebenheit darauf aufmerksam ward. — Noch

Eine Ahndung.

Hr. D. erzählte mir: sein Vater sey von den Kosacken im siebenjährigen Kriege ganz ausgeraubt worden, so, daß er mit seiner Familie in die größte Nothdurft gerieth. Er war ein Sattler, und suchte bisher durch seiner Hände Arbeit sich nach Kräften [95]fort zu helfen. Allein— das Elend häufte sich tagtäglich, und er sah keine Rettung. Mit diesen Gedanken umwölkt, befand er sich einstens am Abende in seinem Garten, und hing da ganz seinem traurigen Schicksale nach; als ihm däuchte, eine Stimme zu hören, die sprach: »Sorge nicht; es wird dir und deiner Familie noch gut gehen«. Er staunte; freudig verließ er den Garten, erzählte seine gehabte Erscheinung, und ermunterte alle, gutes Muthes zu seyn. Bald darauf gerieth er plözlich auf den Gedanken, einen Leinwandhandel anzufangen; er fing ihn an, und betrieb ihn mit so vielem Glück, daß er sich nun in den besten Umständen befindet, und die meisten seiner Kinder hat versorgen können*). 1

Wien.

J. L. A. Schlichting.

Fußnoten:

1: *) Phänomene dieser Art, wenn man auch das historische Factum nicht selbst läugnen kann, lassen sich doch ganz natürlich aus einer gehabten Einbildung und einem damit verbundenen Zufalle erklären. Daß sie aufgeklärte, unbefangene Männer erzählen, selbst an sich erfahren haben wollen, beweist für die Wahrheit der Sache nichts, weil sich auch aufgeklärte und unbefangene Männer — am leichtesten aber da irren können, wo eine lebhafte Phantasie, oder etwas Wunderbarscheinendes, wodurch sich die Menschen so leicht täuschen lassen, mit im Spiel ist.
P.