ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: IV, Stück: 3 (1786) >  

Fortsetzung der Revision der drei ersten Bände dieses Magazins.

Moritz, Karl Philipp

Die Erinnerungen aus den frühesten Jahren der Kindheit, welche in psychologischer Rücksicht gewiß äußerst merkwürdig sind, haben in diesem Magazin, unter den mannichfaltigen Beiträgen zur Seelennaturkunde, eine eigne Rubrik erhalten, zu welcher, von verschiednen Verfassern, verschiedne Aufsätze eingelaufen sind.

Im ersten Stück des ersten Bandes S. 65 habe ich den ersten Aufsatz, mit der Ueberschrift: Erinnerungen aus den frühesten Jahren der Kindheit, geliefert, um diese Materie, wobei es auf wechselseitige Mittheilung von Beobachtungen vorzüglich ankömmt, zur Sprache zu bringen.

[2]

Wenn dasjenige, was jetzt unser Ich ausmacht, schon einmal in andern Verhältnissen da war, so müßten wohl nur die halberloschnen Kindheitsideen das feine unmerkliche Band seyn, wodurch unser gegenwärtiger Zustand an den vergangnen geknüpft würde; sie sind gleichsam ein zarter Faden, wodurch wir in der Kette der Wesen befestigt sind, um so viel wie möglich isolirte, für sich bestehende Wesen zu seyn.

Unsre Kindheit wäre dann der Lethe, aus welchem wir getrunken hätten, um uns nicht in dem vorhergehenden und nachfolgenden Ganzen zu verschwimmen, sondern eine individuelle, gehörig umgränzte Persönlichkeit zu haben.

Wir sind gleichsam in ein Labyrinth versetzt, woraus wir den Faden nicht wieder zurückfinden können, und ihn auch vielleicht nicht wieder zurückfinden sollen: wir knüpfen daher den Faden der Geschichte an, wo der Faden unsrer eignen Rückerinnerung reißt, und leben, wie unsre eigne Existenz uns schwindet, in der Existenz der Vorwelt zurück.

Noch gab es keinen Theseus, der aus diesem verwickelten Lebenslabyrinthe den Ausweg durch Rückerinnerung gefunden hätte, und wenn es einen gäbe, so würde man sehr strenge Beweise fordern, welche wir aufzustellen, schwerlich im Stande seyn würden: die Rückerinnerung würde also ihm [3]allein zu statten kommen, oder vielmehr nicht zu statten kommen; denn ein solcher Mensch müßte eine übernatürliche Stärke der Seele besitzen, oder die Aussicht, die sich ihm eröfnete, müßte ihn dem Wahnwitz nahe bringen, er müßte nothwendig seine isolirte Ichheit, seine Persönlichkeit verlieren: er würde lebend aufhören, zu seyn.

So lange die Welle über die umgebende Wasserfläche emporragt, und gewissermaßen von dieser Umgebung abgeschnitten ist, hat sie nur ein für sich bestehendes Daseyn; ist aber gegen das umgebende Ganze unendlich klein; sobald sie sich wieder in das umgebende Ganze verliert, ist sie mit denselben zwar größer, aber sie ist nun nicht mehr, was sie war; sie hat ihren Augenblick ausgedauert, und gerade dieselben Wassertropfen werden sich vielleicht nie wieder zusammen finden, um eine Welle zu bilden.

Dieß sind zwar Bilder und Gleichnisse; allein wegen der großen Aehnlichkeit zwischen der Geister und Körperwelt in ihren Verhältnissen, geben Bilder uns oft mehr Aufschlüsse, als Abstraktionen, wenn wir sie immer nur als Bilder betrachten.

Es ist nicht unangenehm, sich zuweilen in weiten dämmernden Aussichten, in Ahndungen und Träumen von einem vergangnen oder künftigen Daseyn andrer Art, wie das Gegenwärtige, zu [4]verlieren, sobald dieß Verlieren ein bloßes Spiel bleibt, und wir immer wieder zur gehörigen Zeit auf den gegenwärtigen Lebensfleck zurückkehren, von welchem unsre gewisseste Glückseligkeit abhängt, und wo wir sie gleichsam aus der ersten Hand erhalten.

So habe ich meiner Phantasie auch zuweilen das Spiel verstattet, in die frühesten Jahre der Kindheit unvermerkt bis dahin zurückzuschauen, wo es einem deucht, als ob man nahe dabei wäre, einen undurchdringlichen Vorhang aufzuziehen, der einem vor den Augen hängt, wovon man aber immer, ohne zu wissen wie, unvermerkt wieder abkömmt. — Nützlich aber kann dieser Gegenstand der Betrachtung nur dadurch werden, wenn wir untersuchen, was für einen Einfluß die frühesten Erinnerungen aus den Jahren der Kindheit auf unser gegenwärtiges wirkliches Leben haben? in wie fern sie die Grundlage aller unsrer folgenden Ideen ausmachen? und in wie fern sie sich immer unmerklich unter dieselben mischen, und ihnen eine Richtung geben, die sie sonst nicht würden genommen haben?

In einer Schrift, die ich unter dem Titel Anton Reiser, ein psychologischer Roman, a herausgegeben, und wovon ich in diesem Magazin einige Fragmente mitgetheilt habe, sind sehr viele hierin einschlagende Beobachtungen enthalten: die Erinnerungen aus Anton Reisers frühesten Kinder-[5]jahren waren es vorzüglich, die seinen Charakter und zum Theil auch seine nachherigen Schicksale bestimmt haben. Ich werde mich bei mehreren Gelegenheiten künftig auf diesen psychologischen Roman beziehen müssen, weil er die stärkste Sammlung von Beobachtungen der menschlichen Seele enthält, die ich zu machen Gelegenheit gehabt habe.

Merkwürdig ist es nun, daß in dem Aufsatz des Herrn Fischer, welcher im 2ten St. des ersten Bandes S. 82 steht, gerade ein dem meinigen entgegengesetztes Resultat, aus den Beobachtungen desselben erfolgt.

Ich erinnere mich aus meiner frühesten Kindheit überhaupt mehr der Farben als der Gestalten und verhältnismäßigen Größen der Dinge, und glaubte mir dieß daraus erklären zu können, daß überhaupt in der Kindheit die Einbildungskraft am stärksten und lebhaftesten wirkt, und dieß also wohl ziemlich allgemein zutreffen möchte; bis ich aus den Aufsatz des Herrn F.. sehe, daß bei ihm sich überall die Vorstellungen von Figuren und Gestalten unauslöschlich eingeprägt, die Erinnerungen an Farben aber so dunkel und ungewiß sind, daß sie sich fast gar nicht fixirt zu haben scheinen. Weiß und Schwarz, als die beiden abstechendsten Farben, scheinen sich bei ihm noch am stärksten eingeprägt zu haben.

[6]

Noch merkwürdiger ist die Beobachtung des Herrn F., daß die Eindrücke der Farben, nach der Beschaffenheit seines Auges, bei ihm sehr lebhaft, die Vorstellungen von Figur und Umriß hingegen sehr undeutlich und unbestimmt und sogar unrichtig sind, wie er aus andern Beobachtungen, die er über sein Gesicht angestellt hat, weiß.

Und demohngeachtet sind ihm die Farben der Dinge fast gänzlich aus dem Gedächtniß entschwunden, und die Gestalten und Umrisse haben sich dagegen unauslöschlich eingeprägt.

Er baut hierauf den Satz: daß es bei Fixirung sinnlicher Vorstellungen weder auf die Lebhaftigkeit des sinnlichen Eindrucks, noch auf die Dauer desselben, noch auf die innere Deutlichkeit der Vorstellungen ankömmt; sondern daß dieß alles höchstens nur mitwirkende Ursachen sind; und daß zu der Fixirung der Ideen irgend eine nicht von außen, sondern durch innere Anlagen mehr oder weniger bestimmte Richtung der Seelenthätigkeit erfordert werde, die entweder in der Organisation des Gehirns, oder in den innersten Anlagen der Seelenkräfte gegründet ist.

Herr F. hält diese Auflösung selbst für unvollkommen, weil der Begriff einer besondern Richtung der Seelenthätigkeit höchstens klar aber nicht deutlich ist. — Indes ist es doch an-[7]genehm, wenn man durch dergleichen Betrachtungen sich die persönliche, von Zufälligkeiten unabhängige, und in sich selbst gegründete Existenz seiner Seele gleichsam sichern kann.

Herr F. sieht eine senkrecht vor ihm stehende Linie so undeutlich, daß sie fast einem Strich gleicht, den man mit sehr flüßiger Dinte auf Löschpapier macht, und er weiß aus Erfahrung, daß ihm die Breite der Gegenstände in Vergleichung mit ihrer Höhe immer etwas zu groß erscheint.

Demohngeachtet maß seine Seele von seiner frühesten Kindheit an, trotz seinem Auge; und die Vorliebe zur Mathematik ist von seiner frühesten Kindheit an beständig bei ihm überwiegend geblieben.

Unsre Sprache verläßt uns aber, sobald es nun auf die Entwickelung desjenigen ankömmt, was denn eigentlich unsre Ideen fixirt? Wir müssen uns alsdann mit figürlichen oder ganz allgemeinen Ausdrücken behelfen.

Innerste Anlage der Seelenkräfte z.B. Was heißt das, Anlage? Ein Grund, woran sich etwas legen kann, das die Gestalt von dem annimmt, woran es sich legt, oder wodurch die Unterlage gleichsam fortgesetzt wird, wie bei der Pflanze, und bei dem Thier. Die Anlage, dasjenige, woran sich fremde Theile legen können, um mit dem wachsenden Körper eins zu werden, ist da; aber wie legen sich diese Theile an? [8]wo ist der erste, und allererste Grundstoff zur Anlage, oder vielmehr, wo und wann wird er eigentlich zur Anlage? Fragen, die wir vielleicht gar nicht thun sollten, weil es uns unzufrieden macht, daß wir sie uns nie sollen beantworten können.

Und doch sollte man glauben, es müßte uns leichter seyn, die ersten Grundfäden von den wunderbaren Gewebe unsrer Gedanken aufzufinden, als das Geheimnißvolle in den Wachsthum des Thiers und der Pflanze auszuspähen; weil die Ideen doch dasjenige sind, was uns einmal, in der ganzen Welt, am allernächsten liegt, und was wir am meisten zu unsrer eignen Disposition haben. — Um uns aber hier einen Weg zu bahnen, müssen wir erst mit der Sprache weiter vorwärts dringen, und daher ist das Studium der Sprache in psychologischer Rücksicht wohl kein unnützes Studium.

Indes gehört auch das vorzüglich hierher, was Herr Pockels im zweiten Stück des zweiten Bandes S. 18 über den Mangel unsrer Jugenderinnerungen sagt: »Es scheint, sagt er, als wenn uns die Natur recht mit Fleiß den ersten unvollkommnen Zustand unsrer Existenz habe verbergen wollen, indem sie uns unfähig machte, uns der ersten Erfahrungen unsres Lebens zu erinnern; so lehrreich es auch in der That für den menschlichen Verstand seyn würde, wenn er die Reihe unsrer nach und nach erlangten sinnlichen Begriffe, oder [9]besser, den ersten großen Wirrwar desselben überschauen könnte.«

Aus diesen Wirrwar der Begriffe, welcher durch die erste zu große Herbeifuhr neuer Begriffe, die durch fünf Kanäle auf einmal mitgetheilt werden, entsteht, leitet Herr P. das wichtige Bedürfniß der Sprache und die bereitwilligste Annahme derselben schon in der frühesten Jugend, noch vor der völligen Ausbildung unsrer Sprachorganen, her; indem er zugleich voraussetzt, daß die Natur, welche bei den größten scheinbaren Unordnungen, nie die ihr eignen Gesetze der Ordnung und Harmonie aus den Augen verliert, eben diese weise Absicht, uns die Sprache zum Bedürfniß zu machen, bei dem ersten Wirrwar unsrer Begriffe gehabt habe.

Durch das Reden lernt das Kind bald deutlich denken, und so entsteht ursprünglich seine Seelenthätigkeit, die sich in der Folge in die tiefsinnigsten Untersuchungen einlassen kann, aus einer anfänglichen Konfusion seiner ersten Ideen.

Man siehet, wie Herr P. diesen Gegenstand auf eine ganz neue Seite gekehrt hat, um ihn für das Nachdenken fruchtbar zu machen, welches ihm vortreflich gelungen ist: denn die Entstehung, von Licht und Ordnung aus dem Chaos, und daß bloß das Chaos da war, damit Licht und Ordnung daraus entstehen sollte, ist eine so herzerhebende große Idee, daß schon allein um dieser [10]Idee willen, die Art, wie Herr P. diesen Gegenstand behandelt hat, nicht unnütz seyn würde, wenn er auch weiter in kein System von Lehrsätzen eingriffe.

Die Urkraft der Seele, die vielleicht jahrtausende hindurch geschlummert hat, kann nur durch gewaltige Hindernisse in Bewegung gesetzt werden; und in Bewegung soll sie gesetzt werden; sie soll nicht vollkommen seyn, sondern vollkommen zu werden suchen; sie soll nicht Kenntnisse besitzen, sondern Kenntnisse zu erlangen streben; sie wird, wie die elastische Feder in sich selbst zurückgedrängt, um wieder aufzuspringen. — —

In dieser ersten Grundkraft der Seele, Hindernisse zu überwinden, ihren Thätigkeitstrieb auf etwas zu richten, das ihm entgegensteht, auf etwas, woran sie einen Widerstand findet, und das man daher auch einen Gegenstand nennt; hierin treffen die beiden Aufsätze des Herr F. und des Herrn P., die sonst nichts miteinander gemein haben, wieder zusammen, und mußten darin zusammentreffen, weil hier der letzte Gränzpunkt ist, wo sich jede Untersuchung irgend eines menschlichen Geistes zu endigen scheinet.

Im dritten Stück des zweiten Bandes S. 103 steht ein Pendant zu dem im ersten St. des ersten Bandes S. 65 u.s.w. enthaltnen Aufsatze, welcher in seiner Art sonderbar genug ist. Der V. erzählt nehmlich von sich, daß er von seiner frühe-[11]sten Jugend an, bei sich selbst übergränzt gewesen sey, er habe einmal weiße Bären vor dem Hause seiner Eltern tanzen, und einen Papagei in der Stube seiner Großmutter, gesehen, welche beide Dinge doch, nach der Versicherung seiner Mutter, ihm seit seiner Geburt niemals unter die Augen gekommen sind.

Der V. konnte seiner Mutter von dem Papagei die detaillirtesten Beschreibungen geben, wo er gehangen, was er für artikulirte Töne nachgesprochen, u.s.w. und diese Beschreibungen trafen zu; denn es hatte lange vor seiner Geburt wirklich an denselben Orte ein Papagei gehangen, der eben jene artikulirten Töne hervorbrachte.

Der V. ist aber weit entfernt, dieß für etwas Wunderbares oder Unerklärliches zu halten, sondern er setzt, als gewiß, voraus, daß man ihm in seiner frühesten Jugend von diesen Dingen vielleicht erzählt und vorgeplaudert habe, als: da in der Ecke saß ein Papagei, der konnte das und das sprechen, u.s.w. wie man Kindern denn wohl allerlei dergleichen vorzuplaudern pflegt. Er führt also diese sonderbare Art von Erinnerungen eigentlich nur als ein Beispiel an, wie von dergleichen Dingen, die einem in der frühesten Kindheit vielleicht von dem Gesinde oder den Wärterinnen vorgesagt werden, sich die Bilder der jungen Seele so stark eindrücken können, daß man sie nachher, wenn man die [12] Erzählung vergessen hat, für selbst gesehene Gegenstände hält.

Ich füge noch hinzu: daß dieß insbesondre alsdann statt finden kann, wenn irgend eine Erzählung die kindische Einbildungskraft so stark rührt, daß der sinnliche Eindruck von den umgebenden Gegenständen dadurch überwogen und verdunkelt wird, und auf die Weise ein bloßes Ideal oder Phantom sich in die Reihe der Wirklichkeiten gleichsam hineinstiehlt; wie denn dieß zuweilen der Fall bei sehr lebhaften Träumen ist, wo man auch manchmal in Gefahr geräth, die Wirklichkeit mit dem Traume zu verwechseln.

Indes ist es immer merkwürdig, daß der Verfasser des Aufsatzes, der damals noch nie einen Papagei gesehen hatte, seiner Mutter sogar die ganze Farbe des Papageien auf das genaueste und zutreffendste zu sagen wußte, da ihm doch diese Farbe nicht so gut, als die artikulirten Töne, durch die Erzählung deutlich gemacht seyn konnte.

Man sieht aber auch aus diesem Beispiele, wie wir durch die Erzählung andrer, oder durch die Geschichte gleichsam zurückleben, und die Eindrücke, welche wir auf die Weise erhalten, beinahe den wirklichen sinnlichen Eindrücken an Lebhaftigkeit gleich werden können. Durch die Tradition oder Geschichte fällt unser Leben mit dem Leben derer, die vor uns gewesen sind, gleichsam zusammen, und macht mit ihm ein Ganzes aus, wo [13]sich, so wie hier, die Grenzen ineinander zu verlieren scheinen. — —

Der Aufsatz vom Herrn Spatzier im zweiten Stück des dritten Bandes S. 93 bis 114 enthält einige vortrefliche pädagogische Bemerkungen, in wie fern Erzieher der ersten Quelle der öfters sonderbaren Gewohnheiten, Neigungen und Abweichungen nachspüren, und bei der Ausrottung schädlicher und Empfangung guter Neigungen, immer wo möglich, einen Hinblick auf ihr ganzes Selbst, besonders auf die Umstände, die Gesellschaft, und auf die Personen werfen sollen, die sie zuerst umgaben, und von denen sie den ersten Gebrauch ihrer Sinnen lernten.

Herr Sp. führt das Beispiel eines Knaben an, der sich sonst nie durch Reitzbarkeit und Schnelligkeit der Empfindung im mindesten ausgezeichnet hatte, und nun auf einmal durch eine ganz simple Melodie so äußerst lebhaft gerührt wurde, daß er unwillkührlich die größten ihm sonst nie gewöhnlichen Ausschweifungen beging; welches Herr Sp. sich nicht anders zu erklären weiß, als daß in seiner frühesten Kindheit etwa eine ähnliche Melodie, die ihm seine Mutter oder seine Amme vorgesungen haben kann, sich in seiner zarten Seele festgesetzt hatte, und nun durch den Zufall wieder aufgeweckt wurde, und in eine lebhafte Empfindung überging.

Herr Sp. betrachtet nun ferner die Materie von den Erinnerungen aus den frühesten Jahren der [14]Kindheit vorzüglich in pädagogische Rücksicht: »zum musikalischen Talent, Leichtigkeit von Tönen afficirt zu werden, und sie in ihrer Verbindung zu fassen, ist vielleicht schon der Keim in den ersten Tagen der Kindheit gelegt, u.s.w.; vielleicht drückten sich die ersten Töne den zarten Fibern des Gehirns zu mächtig ein, ruhten, wie ein feiner Staub, auf der Maschine, bis sie von erschütterter Thätigkeit angestoßen, sich mit dem heiligen Denkmark mischten, und sich unter die übrigen Ideen gesellten. Ist die Seele nur im allerfeinsten Verstande materiel, glaubt der Verfasser, so ließe sich der Traum schon hören, und wenigstens so viel daraus abziehen, daß die ersten Eindrücke, welche die Seele durch irgend einen Sinn auffaßt, sehr mächtig seyn müssen, u.s.w.«

Allein der V. scheint hier wohl zu weit zu gehen, und der Macht der ersten Eindrücke zu viel zuzuschreiben, indem er fast das ganze künftige Eigenthümliche des Genies auf Rechnung derselben schreibt. Nach dieser Voraussetzung wäre es denn freilich möglich, vermittelst der ersten Eindrücke, die man mit Fleiß zu veranstalten suchte, Künstler und Genies von jeder Art hervorzubringen. — Aber so läßt der Geist der Menschen sich nicht von Menschen schaffen: er arbeitet sich selbst durch alle Hindernisse, und auch durch die Gewalt der ersten Eindrücke mit seiner angebohren eigenthümlichen Kraft hindurch. Die Grenzen der Pädagogik er-[15]strecken sich wohl auf die Ausbildung, aber nicht bis auf die Bildung der Anlagen der Seele.

Der Aufsatz des Herrn Fischer, welcher im zweiten Stück des ersten Bandes S. 82 steht, verdient daher vorzüglich mit diesem Aufsatze verglichen, und dieser durch jenem zum Theil berichtigt zu werden.

Einige Scenen aus seiner eignen Kindheit, die Herr Sp. hier mittheilt, sind ebenfalls mehr in pädagogischer als psychologischer Rücksicht merkwürdig.

Im dritten Stück des dritten Bandes S. 42 findet sich noch ein Beitrag zu den Erinnerungen aus den frühesten Jahren der Kindheit, der sich dadurch auszeichnet, daß die unangenehmen Vorfälle mehrentheils einen stärkern Eindruck, als die angenehmen, auf den Verfasser gemacht haben, welches bei mehrern Personen, die ich kenne, und die von melancholischer Stimmung des Gemüths sind, statt findet. Nun ist die Frage: ob die häufigen unangenehmen Eindrücke in der Kindheit, jene melancholische Stimmung des Gemüths, oder ob die melancholische Stimmung des Gemüths, welche vorher schon da war, die unangenehmen Eindrücke hervorgebracht habe?

In alle dem, was der V. des Aufsatzes von sich erzählt, findet der V. dieser Revision sehr viel Aehnliches mit seinen eignen Erfahrungen und Beobachtungen, die nicht nur im Allgemeinen, son-[16]dern sogar in den besondern Umständen mit diesen zusammentreffen: er ist es sich ebenfalls bewußt, daß die unangenehmen Eindrücke von seiner Kindheit an, bei ihm das Uebergewicht gehabt haben; nur bleibt es ihm noch immer zweifelhaft, ob dieß Uebergewicht durch die größre Menge der unangenehmen Eindrücke, oder durch eine besondre melancholische Stimmung des Gemüths, bewirkt wurde, die vielleicht schon von seiner Geburt an, in sein Daseyn verwebt war. Er hat oft in einsamen Stunden über diesen unwiderstehlichen Hang seiner Seele zur Traurigkeit nachgedacht, der ihn oft schon wieder traurig machte, indem er im Begriff war, den Grund dieser Traurigkeit aufzufinden. Er glaubte, einst zu bemerken, daß diese Traurigkeit bloß in einer gewissen Trägheit der Seele gegründet sey; daß es manchmal wirklich bequemer sey, traurig, als vergnügt zu seyn; daß die unangenehmen Eindrücke leichter sind, als die angenehmen, weil sie die Seele nicht so erfüllen, und ihrer Thätigkeit nicht so viel Stoff geben, als die reichern und vollern angenehmern Eindrücke; woher nun aber gerade bei ihm wieder diese Trägheit, die einen solchen unerklärlichen Abscheu vor dem reichen und vollen der angenehmen Eindrücke verursacht, welcher mit dem Eckel vor den Speisen so viel Aehnliches hat? — Hier sah' er Dunkelheit und Nacht vor sich. — —

(Die Fortsetzung künftig.)

Erläuterungen:

a: Moritz 1785-1790.