ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Geschichte eines sonderbaren Wahnsinnes und dadurch am Ende verursachten Mordes.

(Aus einem Schreiben des Herrn D. Glawing zu Brieg an Herrn Stadtphysikus D. Pyl zu Berlin.)

Glawnig

Walock Flaccus, siebenundvierzig Jahr alt, aus Woschnick in Oberschlesien von katholischen Eltern gebürtig, fol. Act. 2. p. 1. behauptete, daß [33]er von evangelischen Eltern gezeuget sei. Aus seiner Eltern Hause hatte er sich entfernet, wie er so groß gewesen, daß er Klafterholz schlagen können, und zwar wäre er seiner Aussage nach deswegen von seinen Eltern weggegangen, weil er närrisch gewesen. Die Ursache seiner entstandenen Narrheit gründet er auf harte Bedrohungen seines Vaters, weil er einstmahlen etwas am Wagen zerbrochen und daß ihm der Wind in Kopf gefahren. Man hatte ihn wegen seiner närrischen Zufälle zu dem Geistlichen nach Gleiwitz gebracht, der ihn durch geistliche Hülfsmittel heilen sollte, aber dieses war ohne Wirkung gewesen. Flaccus nährte sich bald hier bald dort vom Holzschlagen. 1756 stand er zu Kolberg in Militärdiensten, da er aber einmahl Prügel erhielt, dersertirte er des Nachts, gieng nach Schlesien und erwarb sich wieder sein Brod mit Holzschlagen. Sein letzter Aufenthalt war im Kochtzitzer Walde, wo er nebst andern seit der Erndte Kohlen brannte; seine Mitarbeiter aber flohen seinen Umgang, um seine ungereimte Reden nicht mit anzuhören; er arbeitete emsig, redete öfters vernünftig, unvermuthet aber verfiel er in dumme und unvernünftige Reden. Z.B. Es ist alles Koht, wir arbeiten auf Koht. Er gieng in keine Kirche und arbeitete am Sonn- und Festtage, wenn er nicht mit Gewalt davon abgehalten wurde. Er lästerte öfters Gott, hieß alle Menschen Hunde; wenn er seine Mitarbeiter beten sahe, wurde er [34]unwillig und sagte: ihr Narren! ich habe wohl einstens auch einmahl im Buche gebetet, weil ich aber sehe, daß dieses Plarren zu nichts tauget, so unterlasse ich dieses. Zur Beichte war er in den jungen Jahren gegangen, in der Folge aber nicht und er sagte einstens: als ich dumm war, gieng ich noch zur Beichte, der Priester überreichte mir in einem Löffel etwas weisses, da ich nun aber gescheidter bin, so unterlasse ich in die Kirche oder zur Beichte zu gehen, denn es sind doch nur Narrenspossen, ihr bläcket die Zähne gegeneinander, und höret dem Pfaffen zu, was er euch vorplaudert. Zu einer andern Zeit sahe man ihn einen Klotz ergreiffen und sich damit an die Brust und an den Kopf zu wiederholtenmalen dergestalt schlagen, daß andere sich davor entsatzten, ja er verlangte von einem Kohlbrenner Kuba Machitta, daß er ihn todtschlagen sollte, er sollte ihn aber gut zusammenbinden, denn sonst möchte er ihn zwingen; wenn er ihn erschlagen hätte, sollte er eine Grube machen und ihn verscharren. Einer von seinen Mitarbeitern Nahmens Woiteck Bogdal sahe den Flaccus Katzen, Hunde, Ottern und Füchse, die er getödtet, zurichten und essen. Mit dem Hintertheil der Axt schlug er sich öfters an den Kopf und auf die Hände. Im Monat Mai 1779 verbrannte er in dem Kochtzitzer Walde sieben Klafter Holz aus Muthwillen. Wenn ein Gewitter am Himmel war, so lästerte er Gott und pflegte zu sagen, [35]er triebe Leichtfertigkeit. Wenn ihn seine Raserei überfiel, so fieng er an zu lachen und mit sich selbst zu sprechen, fieng an, sich mit einem Stück Holz oder Axt zu schlagen, und so ein Anfall dauerte oft zwey bis drey Tage, in welchem Zeitraum er sich auch zur Nachtzeit mit einem Knittel heftig zerschlug, ja sein Wahnsinn gieng öfters so weit, daß er mit seinem Messer sich die Brust aufritzte und mit einer stumpfen Axt auf den Unterleib hauete, wobei er sagte, ich wünschte, daß ich mich in kleine Stücken zerhauen könnte, ich wollte mir die Därme selbst herausziehen, denn aus den Stücken würde doch wieder ein Ganzes, ich habe schon einstens in der Erde todt gelegen und bin doch wieder aufgestanden.

Unter seine närrischen Aufführungen gehört folgendes: Er band seine männliche Schaam in eine Schlinge zusammen, den Strick daran befestigte er an einem Baumast dergestalt, daß sie in dieser Lage von dem Stricke durch den auffahrenden Ast ausgedehnt und zu wiederholtenmalen in die Höhe gehoben wurde, ja er hieb sich die Vorhaut mit der Axt ab, lief öfters ohne alle Kleider herum und verbrannte sich die Schaam mit Strohseilen.

Einen Hund schlachtete er, warf ihn sodann in ein mit Wasser angefülltes Loch, zehrte davon vier Wochen, obgleich die neben ihm arbeitenden Kohlbrenner es kaum vor Gestank aushalten konn-[36]ten. Ein Bauer aus Schwickauer Hammer schenkte ihm ein altes abgenutztes Pferd, dieses schlachtete er, zog es ab, und speisete lange Zeit davon.

Unter allem seinem schmutzigen Essenzubereiten verdient folgendes besonders angeführt zu werden. Er fieng einen Igel, brannte demselben die Stachel ab, brühte ihn, und legte ihn sodann in einen Topf, kochte denselben, ließ seine Excrementen in den Topf und aß dieses Gemische mit Appetit.

Endlich rückte der unglückliche Zeitpunkt herbei, daß er ein Mörder wurde. Blaseck Froin, ein Mann von vierzig Jahren, ein Bauer aus Cziasno, a kam den 27sten Junius 1780 in den Kochtzitzer Wald zu Schlitten, um Kohlen zu laden, warf dem Flaccus vor, daß er nasse Kohlen habe, und verlangte endlich von ihm, daß er sich mit dem Aufladen fördern sollte. Flaccus antwortete darauf: laß mich in Ruhe, denn siehe! meine Kohlenhacke liegt hier, Du wirst sonst was damit abkriegen. Auf nochmaliges Ermahnen, sich mit dem Aufladen zu fördern, antwortete er hitzig: zum Teufel, wie viel Befehlshaber hast Du in Dir, worauf der Froin antwortete : Eine Mandel. Flaccus erwiederte: darum sehe ich es, denn von Dir selbst hast Du das nicht. Da er endlich sich weigerte, alle Kohlen aufzuladen und [37]mit Froin in einen weitern Wortwechsel gerieth, ergrif er die Kohlenhacke, schlug dem Froin dieselbe mit einer solchen Gewalt in den Kopf, daß sie darin stecken blieb und mit Gewalt herausgezogen werden muste, und an dieser Verwundung muste derselbe den folgenden Tag Abends sterben.

Die Zeit, als er in dem Stockhause zubrachte, beobachtete ich ihn öfters: Er schlug sich täglich mit dem an seinen Armfesseln befindlichen Schlosse mit einer solchen Heftigkeit gegen die Brust, daß man sich entsatzte, auch bediente er sich öfters eines starken Stocks, mit dem er sich gegen den Kopf mit aller Heftigkeit schlug. Verwies man ihm dieses, so behauptete er, daß er es thun müste, drohete die andern Inquisiten zu erschlagen, forderte Hunde und Katzen zum Essen, lachte über alle Religionserinnerung, schlief ruhig und aß mit ausserordentlichem Appetit. Anno 1781 den 30sten April wurde er auf Lebenszeit in das hiesige Zucht- und Arbeitshaus abgegeben. Von seiner fernern Lebensgeschichte vielleicht ein andermal mehr.

Gl...

Erläuterungen:

a: Gut im Kreis Lublinitz, Schlesien. Damals im preußischen Besitz.