ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


Startseite > Bandnavigation > Band: I, Stück: 3 (1783) >  

I.

Etwas aus Robert G... s*) 1 Lebensgeschichte oder die Folgen einer unzweckmäßigen öffentlichen Schulerziehung.

Jakob, Ludwig Heinrich

Beinahe, lieber Moritz, gereut mich das Versprechen, das ich gethan habe, Ihnen einzelne Züge aus dem Charakter eines sonderbaren [2]Mannes mitzutheilen. Ich fühle jetzt, daß ich diesen Charakter lange nicht so studiert habe, um die Erscheinungen, die ich zu bemerken Gelegenheit hatte, aus psychologischen Gründen erklären zu können, oder auch nur dem Erklärer gehörige Data zu liefern. Inzwischen hab ich Ihnen einmal mein Wort gegeben, und ich glaube wenigstens ein Beispiel mehr zu der Wahrheit herzugeben, die zwar schon lange dafür erkannt, aber doch nie lebhaft genug kann vorgestellt werden; ich meine, daß die Handlungen unsres ganzen Lebens sich nach den Grundsätzen richten, die sich in unsrer ersten Jugend bei uns festgesetzt haben, und daß es große Mühe kostet, einige irrige, aber beinah unmöglich ist, sie alle auszurotten.

Der Mann, von dem ich reden will, hieß Robert G... und war in einem Städtchen bei Stettin geboren. Seinen Vater behielt er nur bis in sein achtes Jahr, aber, ob ihm gleich seine Gestalt und Gesicht ganz entfallen war, so hat er mir doch in seinem zweiunddreißigsten Jahre noch kleine Auftritte erzählt, deren er sich recht lebhaft erinnerte. So wußte er auch noch viele Reden seines Vaters, von welchen er gestand, daß die lebhafte Erinnerung an sie, ihn oft mitten im Sturm unedler Leidenschaften aufgehalten habe. Bis in sein zwölftes Jahr genoß er Privatunterricht in dem Hause seiner Mutter, wo er auf das Gymnasium nach Stettin gebracht wurde. Die Schüler leben hier [3]von ihren Lehrern ziemlich entfernt, und sind allein während der Lehrstunden unter ihrer Aufsicht. Die innre Bildung ihres Charakters wird ihnen also, so wie beinah in allen öffentlichen Schulen, ganz allein selbst überlassen; ― die gelehrten Namen, Dogmatik, Logik, Metaphysik, Jus Naturæ u.s.w. blasen sie auf, und sie sind stolz, daß sie Vorlesungen hören, die sie nicht verstehen. Sie bilden sich ein, Studenten zu seyn, und ahmen wenigstens ihre Thorheiten nach. Die irrigen Begriffe von akademischer Freiheit und Unabhängigkeit drücken sich ihnen schon hier tief ein, daß sie sie oft in spätern Jahren noch nicht los werden können. Robert G... war ein starker muthiger Junge, dergleichen Pommern noch viele hervorbringt. Man weiß, welcher Geist eine Gesellschaft rascher Jünglinge beherrscht, und wie leicht sie sich untereinander zu Irrthümern und Ausschweifungen verleiten, wenn sie keinen Führer haben. Unerschrockenheit, Vertrauen auf Leibesstärke, Gefühl von der innern Ueberlegenheit seiner Kräfte galt bei ihnen alles, und wenn man diesen rohen Heldentugenden Schranken setzen wollte, so geschah dies gewöhnlich nicht mit der gehörigen Behutsamkeit und viel zu spät. Die Gesetze schienen ihnen für Sklaven und Feige gemacht zu seyn; sie aber wollten ihre Handlungen blos durch eigne Wahl und Ueberzeugung bestimmen. Solche Grundsätze schienen dem Robert G... so angenehm, und seiner ganzen Denkungsart so an-[4]gemessen, daß er mit allen Kräften darnach strebte, sich die Vorzüge seiner angesehnsten Mitschüler zu erwerben. Seine hitzige Gemüthsart, seine natürliche Stärke und sein entschloßner Muth waren ihm hierzu auch sehr behülflich, und er hatte bald den Ruhm unter seinen Mitschülern, daß er sich nicht ungestraft beleidigen lasse, und sich aus Händeln als ein braver Kerl zu retten wisse. So leicht eine solche Gesinnung zu einer Art von wilder Ausschweifung verführt, zumal bei einem Haufen roher Jünglinge, die oft zusammen leben, so verführte sie doch hierzu unsern Robert G.. nicht. Er besuchte seine Lehrstunden ordentlich und hatte das Zeugniß seiner Lehrer, daß er fleißig wäre. Jedoch wurde er zur Unabhängigkeit so gewöhnt, daß es ihm immer noch schwer wird, sich dem Willen eines andern, ohne Gründe vor sich zu sehen, zu unterwerfen. Nach fünf Jahren starb seine Tante, bei welcher er lebte, und seine Mutter beschloß, ihren Sohn nach Halle zu schicken, weil sie die Kosten an dieser Schule auf längere Zeit glaubte bestreiten zu können. Es ward ihm also der Entschluß gesagt, daß er nach Halle aufs Waisenhaus sollte. Er erschrack über diese Nachricht; denn die Schilderung, die er von dieser Anstalt hatte machen hören, hatte einen Widerwillen bei ihm zurückgelassen, der sich besonders auf die Eingeschränktheit der dasigen jungen Leute gründete. Inzwischen brachte ihn doch die Vorstellung seines Vetters, des Herrn Pastor [5]L..., der ihm alle Vortheile dieser Anstalt, die sie wirklich hat, sehr reizend vorzumahlen wußte, und die Thränen seiner Mutter, die dies Haus wegen dem Rufe der Frömmigkeit vor allen schätzte und sich die gewisse Hofnung machte, er würde hier sein hitziges stürmisches Temperament ablegen, und als ein stiller und geduldiger Waisenhäuser in ihre Arme zurückkehren; dieses brachte ihn so weit, daß er sich entschloß, sich alles gefallen zu lassen, was sie über ihn beschließen würden. Die Briefe, die in diesen Angelegenheiten mußten nach Halle geschrieben werden, verzögerten seine Abreise vier Wochen, und diese rühmte er immer als die schönsten seines Lebens. Der Tod seiner Tante hatte ihn in ein ernsthaftes Nachdenken versenkt und er hatte sich schon bei seinem letztern Auffenthalt in Stettin während ihrer Krankheit von allen seinen Mitschülern zurückgezogen, ihre Gesinnungen schienen ihm zu leichtsinnig und zu jugendlich, denn wirklich machten diese häußlichen Vorfälle, welche er sich sehr zu Herzen nahm, daß sein Verstand einige Jahre früher männlich wurde. Hierzu trug auch ein Lehrer vieles bei, der zuletzt durch seine Verheirathung mit ihm verwandt wurde, und der ihn ausserordentlich liebgewann, so, daß er ihm alle Rechte der zärtlichsten Freundschaft genießen ließ. Dieser Mann wäre vielleicht der einzige gewesen, der seine Heftigkeit hätte kuriren können, wenn er lange mit ihm umgegangen wäre. Er sprach oft mit ihm [6]über die Schädlichkeit der allzuheftigen Leidenschaften, wußte seine Aufmerksamkeit durch eine Menge trauriger Beispiele so zu reizen, daß er nichts lieber hörte, und sie mit dem größten Ernst auf sich anwendete. Der liebenswürdige sanfte Charakter seines Lehrers bezauberte ihn so, daß er es für die größte Glückseeligkeit hielt, ihm ähnlich zu werden. Auch hatte sich dieser Mann eine solche Gewalt über ihn erworben, daß er durch einen einzigen sanften mitleidigen Blick mehr ausrichten konnte, als alle Bannstrahlen und Gefängnisse. So besuchten sie zusammen ein Koncert, wo Robert mit Violin spielte. Er that einen falschen Grif, der Koncertmeister, der, wie viele Musiker, eigensinnig war, wurde hierüber verdrüßlich und rief ganz laut: »O, wenn Sie nicht wollen Achtung geben, so spielen Sie lieber nicht mit!« Robert wurde über diese Worte so wüthend, daß er in dem Augenblick die Violine mit der größten Gewalt zur Erde warf und sie in tausend Stücken zertrat. Die Musik hörte auf, und er stürzte wie ein Löwe auf den Musikdirektor zu, um ihn zu mißhandeln. Der Professor T. (es dauert mich, daß ich diesen würdigen Mann wegen der vielen Lokalumstände, die dadurch verrathen würden, nicht nennen darf) faßte ihn auf dem Wege bei der Hand, und sagte mit einem traurigen Tone: Robert! ― Wie kaltes Wasser auf ein glühendes Eisen; so diese Worte. Er fing an zu zittern und sank sprachlos ne-[7]ben dem Professor T. auf einen Stuhl. Professor T. überredete den Musikdirektor fortzufahren und endigte diesen Aufstand auf die glücklichste Weise. Alle diese Vorbereitungen machten, daß ihm der Gedanke an das Hallische Waisenhauß, wobei er sich sonst Sklaverei gedacht hatte, erträglich, ja sogar angenehm wurde. Er freuete sich, daß er aus den Verbindungen herauskäme, die ihn zuweilen noch genöthigt hatten, nach dem alten Begrif von Ehre zu handeln, und nahm sich vor, die renomistische Denkungsart, so wie er schon in Stettin gethan hatte, auch in Halle, wenn er sie finden sollte, zu verachten, sich blos einige Freunde zu erwählen, und wenn er auch diese nicht antreffen sollte, sich durch einen starken Briefwechsel mit dem Professor T. schadlos zu halten. Auf diese Art, glaubte er, würden die strengsten Gesetze seine Freiheit nicht einschränken können, weil er sich freiwillig bemühen wollte, nichts zu thun, was wider Wohlstand und Sittsamkeit wäre, und nur gegen Ausschweifende, glaubte er, könnten diese Gesetze gerichtet sein. Unter diesen beruhigenden Gedanken kam die Stunde heran, die ihn dem Genuße der Familienfreuden, die für ihn eben so süß und reizend als neu waren, entriß. Die ganze kleine Stadt hatte ihn lieb gewonnen, und die Trennung kostete ihm viel Thränen, besonders schwebte der Gedanke sehr lange vor seiner Seele, daß er diese Stadt nie wieder sehen würde. Seine Seele hatte also die [8]vortreflichste Stimmung als er in Halle ankam. Sich das Wohlgefallen seiner Mutter, die Zufriedenheit des Professor T., die Liebe seiner Lehrer und die Achtung seiner Mitschüler zu erwerben, wollte er alle seine Kräfte anwenden. Ein Brief von seinem Verwandten dem Herrn Pastor L. sollte ihn bei dem Direktor des Waisenhauses dem Doktor Knapp einführen. Die väterliche Behandlung dieses würdigen Mannes gefiel ihm ausserordentlich, und er schenkte ihm in dem ersten Augenblicke sein ganzes Zutrauen. Ein Auszug aus seinem Briefe an den Professor T. mag seine Ankunft auf dem Waisenhause beschreiben:

»Vierzehn Tage leb' ich nun in Halle, doch nein, in Halle nicht, sondern auf dem Waisenhause! ― O ich habe schon vier Briefe an Sie angefangen, liebster Herr Professor, und alle hab ich sie zerrissen. Es war Lug und Trug ― ich wollte recht vergnügt, ich wollte zufrieden schreiben, aber ich kann nicht, ich kann mich nicht verstellen, und vor wem soll ich mein gepreßtes und gedrücktes Herz sonst ausschütten, wenn ich es nicht vor Ihnen thun darf? ― O wie sind meine Vorstellungen getäuscht ― dies Hauß scheint für Diebe und Mörder bestimmt zu seyn.*) 2 ― Doch hören [9]Sie erst die ganze Geschichte dieser vierzehn Tage, und dann versagen Sie mir Ihren Trost und Ihren Rath nicht, denn ich weiß bald nicht mehr, was ich anfangen soll. Eine Viertelstunde bei Ihnen würde mir mehr helfen, als alle die Predigten und Gebete, die ich hier mit anhören muß.

***

Den Dienstag früh meldete ich mich bei dem Herrn Direktor, dessen Aufnahme meiner ganzen Erwartung entsprach. Ich faßte gleich ein solches Zutrauen zu ihm, als wenn er mein Vater wäre, und er sprach lange und sehr gütig mit mir. Hierauf ließ er mich durch einen Waisenknaben zu dem Inspektor S. bringen; wir mußten lange vor der Thür warten; endlich trat ein weinender Knabe heraus, und uns wurde die Thür geöfnet. Er stand an einem grünen Schreibepult und fragte den Waisenknaben, ohne daß er uns ansah: Was bringt ihr? ― »Einen Novitius vom Herrn Direktor.« Gut! wie heißt ihr? fragte er mich, und schien mich durch das eine Brillenglas anzusehen. Ich sagte ihm Namen, Vaterstadt u.d.gl. ― Er gab mir hierauf einen Zettel, der mir die Stube [10]anwieß, auf der ich wohnen sollte, und ließ mich zu dem Inspektor bringen, der mich examiniren sollte*) 3

***

Ich wußte also nun, daß ich in Kleintertia sitzen würde. Auf meiner Stube wohnen neun, Grosse und Kleine. Ich bin einer der Größten. Der Stubenpräceptor ist ein langer Mann, der sich aber wenig um uns zu bekümmern scheint. Den Tag, als ich ankam, war er just verreißt. Die Schüler machten einen Kreis um mich, und thaten eine Menge neugieriger Fragen, die ich auch, so gut ich konnte und wollte, beantwortete. Endlich verliessen uns die andern und wir blieben ihrer neun allein. Der Senior (das ist einer, der unter denen Schülern, die auf einer Stube wohnen, in der obersten Klasse sitzt) hohlte eine Pfeife unter dem Tische hervor, und fragte mich, ob ich Lust hätte eins mitzumachen? O ja, sagte ich, und hohlte meine Pfeiffe aus meinem Koffer. Wir rauchten also zusammen, und die andern lächelten. Nicht lange darauf kam ein Geistlicher herein, und es entstand ein allgemeines Gelächter. Ich glaubte, man wollte diesen Mann verspotten; dies dauerte mich; ich [11]ging ihm also entgegen und wollte ihn eben invitiren, näher zu kommen und sich niederzulassen und zu fragen, wen er hier suchte. Als ich aber die andern ansah, bemerkte ich, daß sie alle in einer demüthigen Stellung standen, und daß der Große die Pfeiffe versteckt hatte. Dies brachte mich auf die Gedanken, daß dies einer unsrer Vorgesetzten sei, und es war wirklich ein Inspektor, der alle Tage einigemal die Stuben visitirt. Ich blieb also vor ihm stehen, und hielt meine Pfeiffe in der Hand. »Ihr böses Kind, sagte er zu mir in einem steifen Ton, und hob den Finger in die Höhe, fangt Ihr mit solchen lüderlichen Streichen Eure Lebensart hier an?« ― Ich ward über und über roth und merkte, daß mich dieser große Mensch hatte anführen wollen. Mein Blut kochte, und ich wußte nicht, wen ich zuerst anreden sollte. »Ich weiß zwar nicht, fing ich endlich an, worinn ich gesündigt habe, aber ich vermuthe, das Tabacksrauchen ist hier verboten. Ist das, sagte ich zu dem Großen; so ist es ein sehr niedriger Streich von Ihnen, mich auf diese Weise anführen zu wollen. Dieser Mensch, sagte ich zu dem Inspektor, hat mich dazu eingeladen!« ― Ei, fiel er ein, müßt Ihr denn solche Bosheiten mitmachen? ― Nehmt Euch in Acht. Gebt mir Eure Pfeife! »Diese Pfeife, sagte ich, ist mein!« ― Was? Ihr wollt Euch wiedersetzen? Er faßte meine Pfeife; Ich glühte vor innrer Wuth, und wollte eben mein Eigenthum mit der [12]Stärke der Faust vertheidigen, als das Bild meiner Mutter, das auf diesem porcellainenen Pfeifenkopf ist, mir auffiel, und ― stellen Sie sich vor, was ich that? ich ließ sie ihm. ― An dieser Pfeife, sagte ich mit einem angenommenen kalten Tone, liegt mir so viel nicht, aber ich versichre Sie, daß, wenn ich einmal weiß, daß es wider die hiesigen Gesetze läuft, auf der Stube Taback zu rauchen, ich dies recht gut werde vermeiden können, wenn ich auch im Besitz dieser Pfeife bleibe. Ei, Ihr lüderlicher Mensch, sagte der Inspektor zu mir, Ihr sollt gar keinen rauchen, und schlug mich mit dem Pfeifenkopfe auf die Nase. Mein Herr! sagte ich hitzig ― Aber ich besann mich auch hier. Und Ihr, sagte er zu dem Senior, kommt einmal mit auf meine Stube, ich will Euch Euren Lohn geben. Dieser ging trotzig hinter ihm drein. Gütiger Gott! welche Behandlung! ― Ich lief in die Kammer, steckte meinen Kopf in das Bett, und zerriß vor Aerger mit meinen Zähnen die Leinwand; endlich stürzten grosse Thränentropfen aus meinen Augen, und ich hatte alle Mühe, mich in eine solche Verfassung zu setzen, daß meine Nebenschüler die entsetzliche Zerrüttung nicht merkten, die dieser Vorfall bei mir verursacht hatte.*) 4

[13]

***

Nach solchen Gedanken glaubte ich gefaßt genug zu sein, wieder zum Vorscheine zu kommen. Ich setzte mich hin, ergrif ein Buch und las. Es war der Agathon. Ich las eine Seite wohl zehnmal durch, aber es war unmöglich, nur einen einzigen Gedanken zu fassen. Die Thüren gingen auf und zu, und der eine Schüler, der mir ein überaus weiches Herz zu haben scheint, rief mir zu: Thun Sie das Buch weg ― der Inspektor! ― Ich sah ihn an und lachte mit der größten Bitterkeit. Also darf ich auch hier nicht lesen? ― Romane nicht, überhaupt deutsche Bücher nicht, antwortete er mir. O liebster Herr Professor! wo bin ich? ― Geht es wohl einem Gefangnen so?

Gegen Abend kam ein Student an des gewöhnlichen Stubenpräceptors Stelle. Die Schüler begrüßten ihn alle sehr freundlich; er stellte sich zu ihnen und erzählte verschiedne sehr interessante Geschichten, die sogar mich aus meinen Betäubung weckten. Als diese vorbei waren, scherzte er mit jedem und ironisirte über verschiedne Fehler, die er so eben an ihnen bemerkte. Endlich wendete er sich auch an mich: Sie denken gewiß noch an Ihr geliebtes Vaterland, redete er mich an, denn ich wette, Sie haben nichts von unserm Gespräch gehört? ― Das, was Sie sagten, antwortete ich, war zu [14]schön, als daß ich es hätte ganz verhören können, aber Sie haben recht, ich habe wirklich viel verhört*). 5

***

Freilich, fuhr er fort, muß Ihnen dies alles sonderbar vorkommen, aber dergleichen Anordnungen sind hier nöthig. Daß alle deutsche Bücher zu lesen verboten sind, ist falsch; das Verbot betrift blos schlüpfrige Sachen und Romane. Zu solcher Lektür hat ein hiesiger Schüler wirklich keine Zeit, wenn er nicht seine Schularbeiten vernachläßigen will, und gesetzt, er könnte auch einige Stunden darauf verwenden, so sind gewöhnlich junge Leute lange nicht genug vorbereitet, Schriften, die die Sinnlichkeit reizen, zu lesen. Daher wäre es freilich gut, wenn eine besondre Stunde zur Anweisung solcher Schriften bestimmt wäre, die junge Leute lesen sollten, und wenn die Gründe vorgetragen würden, warum man das Lesen aller Schriften nicht zugeben könnte. ―


[15]

Das Gespräch dieses Mannes war sehr lehrreich für mich und heiterte meine Seele wieder in etwas auf. Der Große war unterdessen wieder gekommen, und sah mich ziemlich hämisch an; man läutete zu Tische, aber ich blieb zu Hause, denn ich hatte weder Lust zu essen noch zu trinken. Ich war nun allein und überließ mich ganz meiner schwärmerischen Phantasie, rennte wie ein Rasender herum, und sprach für mich ganz laut. Es klinkte jemand; es war aber zugeschlossen; ich öfnete die Thür und es war der Inspektor; er hatte ein Paar lederne Handschuh in der Hand und schlug damit nach meiner Backe; zum Glück für ihn bog ich aus; Ihr unordentlicher Mensch, sagte er zu mir, könnt' ihr denn nicht zu Tische gehn? ― Mich hungert nicht, Herr Inspektor. ― Es wird Euch schon schmecken! kommt doch einmal mit herüber! Ich ging und er führte mich an einen Tisch, worauf einige zinnernne Schüsseln mit Essen standen, da, sagte er, stellt Euch hin und eßt. ― Ich dachte, ich sollte vor Demuth in die Erde sinken, welch ein Ton! ― Ich aß nicht. Er sprach einiges mit mir. Aber ich merkte, daß ich ihm so wenig gefiel, als er mir. Man kam von Tische und er befahl mir auf meine Stube zu gehn und ruhig zu sein. Hier fand ich viele, die ich noch nicht gesehen hatte. Der Senior fragte mich, wo ich denn gesteckt hätte? Ich [16]sah ihn verächtlich an. Wir woll'n Ihm das Betzen*) 6schon anstreichen! fuhr er fort. Nun konnt ich nicht länger. Bube, sagt' ich, schweig! ― Bürschchen, fing einer hinter mir an, und kriegte mich beim Ohrläppchen. Ich riß mich los wie ein Rasender, ergrif eine gläserne Wasserbouteille, die auf dem Tische stand, und warf sie ihm mit solcher Gewalt an den Kopf, daß er über und über blutete. Ich faßte ihn, aber das Blut strömte so warm über meine Hand, daß ich sie zurückzog. Man sagte zu diesem ganzen Auftritte kein Wort. Die Größern liefen durch die Kammer und ich blieb mit einigen Kleinern zurück. »Das war Recht, fing der Eine an, der denkt immer, er ist der Stärkste.« Ich schämte mich, und sprach kein Wort, bis ich zu Bette ging.

Dies war mein erster Tag ― denken Sie sich alle diese Auftritte und dabei mich! Wie geliebt war ich in Ihrem Hause, und wie geehrt von meinen Mitschülern! ― Inzwischen verhielt man sich gegen mich ruhig, und ob ich mich gleich bis um zwölf schlaflos im Bette herumwälzte, so schlief ich doch von da an fest ein, bis mich ein ungeheurer Lerm um fünf Uhr weckte. Ich sprang [17]schnell heraus, und glaubte, es wäre Feuer; es war aber nichts, als ein Kerl mit einem Hammer, der die Schüler alle Morgen auf diese Art weckt. Zween standen nach mir auf, die übrigen aber schliefen ruhig bis gegen sieben. Ich konnte in diesen Morgenstunden nichts anfangen! ― Ich unterredete mich mit dem einem jungen Menschen wegen dieses Vorfalls und war neugierig, was daraus werden würde? ― Nichts, antwortete mir dieser, als daß Sie Kleinsekunda auf den Hals kriegen! ― Dies war also ein guter Anfang, mir die Liebe meiner Mitschüler zu erwerben. Ich kam nun in die Klasse.*) 7

Um neun Uhr mußten wir uns alle an die Wand auf dem Hofe stellen, um frische Luft zu schöpfen, aber keiner darf von der Stelle weichen. Wenn ich hier stehn muß, so schäme ich mich, wenn jemand vorbei geht, und glaube noch unter dem Viehe zu stehn. Ein Viertel auf zehn ging es herauf, aber es kam kein Lehrer. Es wurde unvernünftig gelermt. Der Eine kam zu mir und wieß mir den Stärksten, welcher N.. oldi hieß und eine grosse ungeheure Maschine war. Die andern neckten ihn, wie kleine Hunde einen grossen; er warf bald hier bald da einen von sich, drehte ihnen den [18]Arm auf den Rücken, und gab ihnen Faustschläge. Endlich wettete er, ein Dintefaß, dergleichen hier auf allen Tischen mit grossen Nägeln zum öffentlichen Gebrauch befestigt sind, mit einem Tritt abzustoßen. Viele, die sich stark dünkten, versuchten es vorher, aber es gelang keinem; er invitirte auch mich, und schien es besonders meinetwegen veranstaltet zu haben, um zu sehen, was ich vermöge. Ich sagte aber, daß ich es gewiß nicht könnte. Endlich trat er es mit leichter Mühe, daß es bis an die Thür flog und viele mit der Tinte besudelte. Alle lachten ihm Beifall. Seht, rief er nun, laßt einmal die Kleinsekundaner kommen! Fürchten Sie sich nicht, sagte er zu mir, ich stehe Ihnen bei.

Ich verstand hiervon kein Wort, und der Mensch schien mir so roh, daß ich ihn nicht einmal um eine Erklärung bitten wollte.

Gegen fünf wurde zu einem Spatziergange geläutet; wir mußten uns Klassenweise versammeln, und alsdann paarweise vor einem Inspektor vorbeimarschieren, der uns wie Musketier musterte. Ein Lehrer ging voran und einer hinterdrein; sie unterschieden sich dadurch, daß sie einen Stock trugen. Ich konnte keinen finden, mit dem ich Lust gehabt hätte zu gehn, ich kam also ganz zuletzt in einer ziemlichen Entfernung von den übrigen. »Haltet Euch zum Cötus!« rief der Inspektor. Ich schloß mich also schnell an den letzten Mann an, denn ich glaube, der Klaps mit der Pfeife, und die ledernen [19]Handschuh hatten mich furchtsam gemacht. Wir gingen auf dem Felde an einer langen Mauer herunter; ein Haufen kleinerer Menschen nahm neben uns einen andern Weg, worunter ich den kleinen Wollenberg aus Prismark entdeckte. Ich rief ihn an, und er wunderte sich sehr, mich hier zu sehen. Er hat eine ungesunde Farbe, aber durch sein lebhaftes Sprechen verliert sie sich. Ich sprach viel von seinen Verwandten und auch von Ihnen mit ihm, und er versicherte mich, daß es ihm hier weit besser gefalle, als in Stettin. Sehn Sie, rief er, als wir ein Stück zusammen gegangen waren, Ihr Cötus kriegt Schlägerei mit den Sekundanern. Ich sah einen Haufen dem meinigen entgegenkommen, und hörte die Präceptoren laut sprechen. Auf einmal breiteten sich beide Theile aus, und einige theilten Knüppel aus, die sie aus den Garben holten. Jetzt standen sie wie zwei in Schlachtordnung gestellte Armeen; ich war von diesem neuen Auftritte wie betäubt. Man rief wie rasend meinen Namen. Gehn Sie doch, sagte der kleine W., Sie sollen helfen! Ein großer Stein fiel vor meinem Fuße nieder, und sie schleuderten eine große Menge aus Schnupftüchern nach mir. Ich trat einige Schritte zurück, und lehnte mich, um den Rücken frei zu haben, an einen Kornhaufen. Beide Partheien geriethen nun aneinander, und schlugen wie rasende Menschen auf sich los; endlich siegte mein Haufen, und der andre wurde [20]mit großem Geschrei verfolgt. Die vier Präceptoren standen in der Ferne und sahen zu, und giengen, als die Schlacht vorbei war, ganz ruhig hinter ihrem Haufen her.*) 8 Ich folgte meinem Cötus; kaum aber hatten sie mich erblickt, so hörte ich ein verwirrtes Murmeln und Schimpfen. Ich wußte noch nicht, daß dieß mir galt. Endlich kam der große N..oldi auf mich los von der Seite und gab mir einen empfindlichen Schlag auf den Kopf. Verfluchte Memme, schrie er, deinetwegen ist der ganze Streit, und du läufst davon! ― Ich glaube nicht, daß ich ihm etwas antwortete, ich drehte mich aber um, und trat das große Ungeheuer, daß er zur Erde stürzte, drehte ihm seinen großen Knüppel aus der Faust, und vergalt ihm den Schlag so reichlich, daß ich selbst glaube, ich habe ihm zuviel gethan. Ich sprang auf, und machte mich auf die blutigste Scene gefaßt; aber es wagte sich keiner mehr an mich. Wirklich weiß ich nicht, was mir immer so glücklich durchhilft; es wäre dieser Menge ein Kleines gewesen, mich zu mißhandeln, und doch kam keiner, selbst auf mein wiederholtes Fodern, nicht. Endlich schrie einer, ich sollte mich vertheidigen, warum ich der Klasse nicht beigestanden? ― Kleinsekunda hätte mich heraushaben wollen, und sie hätten sich für mich geschlagen. Ich bedauerte, daß sie das gethan hät-[21]ten, und versicherte sie, daß ich davon keine Silbe gewußt. Der Große verlangte, ich sollte mich auf einem freien Platze mit ihm balgen, damit er sich seine Ehre wieder erwerben könne. Ich sagte ihm, ich würde dieß nicht thun. Der eine Lehrer mischte sich drein, und suchte ihn zu einer Aussöhnung zu bewegen. Dieß wollte er auch thun, wenn die Klasse es zugäbe, und öffentlich gestünde, daß seine Ehre nichts dabei litte. Dieß thaten sie durch einen lauten Zuruf; er gab mir die Hand, und ich mußte an seinem Arme nach Hause gehen. Von diesem allen erfährt der Inspektor kein Wort.

***

Am Donnerstage erhielt ich Nachricht von meiner Schwester aus Frankfurt, daß sie nun wirklich mit dem Major du B. verlobt sey. Ihre Laune und ihr Glück schenkten mir den ersten glücklichen Tag in diesem Kerker; ich wurde so heiter und so froh, als ob ich noch in ihrem Hause wäre; ich arbeitete mit Lust, und alles ging treflich. Um diesen Tag recht vergnügt zu beschließen, wollte ich den Abend bei dem Herrn Magister Herrmann zubringen, an den Sie mich empfohlen haben. Um recht vorsichtig zu gehen, sagte ich zu einem Schüler, er möchte mich bei dem Stubenlehrer entschuldigen, wenn ich etwa spät zu Hause käme. Mit dieser vergnügten Seele kam ich bis an die Apotheke des Waisenhauses. Wo wollt Ihr hin? rief mir ein Mensch nach, der höch-[22]stens zwei Jahre älter war, als ich. Aus diesem Ihr schloß ich, daß dieß wohl ein Inspektor seyn müsse. Ich nahm also meinen Hut ab, und sagte: Ich will nur eine kurze Visite geben. »Narr! sagte er, habt Ihr denn einen Zettel? ― Wie denn? ― Einfältiger Knabe, stellt Euch doch nicht so dumm! marschirt den Augenblick auf Eure Stube!« Es stund ein Cirkel Studenten um ihn herum, die lachten mich aus, und ich stand da, wie ein Mensch, der nichts thut, weil er glaubt, er träumt. Der Fall von meiner stolzen Freude über das Glück meiner Schwester bis zu dieser tiefen Demüthigung war so groß, daß er mich ganz gedankenlos machte. Endlich besann ich mich, und fuhr hitzig auf ihn hinein: Herr, sagte ich, denken Sie denn, ich bin ein Kind! Er trat einige Schritte zurück, und ich glaube, der Elende erschrack, denn er sagte: Nun, so geht nur! ― Ich war aber viel zu ärgerlich, als daß ich nun hätte sollen einen Schritt weiter gehn. Ich kehrte um, und ging auf meine Stube. Sind Sie geschossen?*) 9 sagte ein kleiner Schüler zu mir. ― Was wollen Sie damit? Ich meine, ob Sie der Schießhund nicht durchgelassen hat? ― So nennt man hier diesen Inspektor, der die Aufsicht über das Ausgehn der Schüler hat, allgemein. Ich hörte [23]dieß alles zum erstenmale, und war aufgebracht genug, mich über diesen Beinamen zu freuen, und über sein Amt zu spotten. Ich habe nun erfahren, daß man ohne einen ausdrücklichen Erlaubnißschein von dem Inspektor nicht zehn Schritt von seiner Wohnung gehen darf, und selten erhält man ihn. Ich habe mir daher vorgenommen, dieß Gesetz wirklich zu halten, so lange ich in diesem Gefängnisse sitzen muß, und ich will doch sehen, ob ich es werde so weit bringen, diese Gesetze alle zu halten. Ich habe schon angefangen, mir ein Verzeichniß davon zu machen.*) 10


Wirklich hielt er auf das eigensinnigste alle Gebote, die er erfahren konnte, und sah die ganze Zeit über Halle nicht, als von den Bergen auf seinen Spaziergängen. Seiner Mutter schrieb er, daß es ihm in Halle ziemlich wohl gefiele, und daß er hofte, er würde sich recht gut in die Ordnung finden lernen. Seinem Vetter, dem Pastor L., meldete er etwas mehr von seinen wahren Empfindungen, und seiner Schwester in Frankfurt entdeckte er sich ganz, weil er glaubte, sie würde es bewirken können, daß er zu ihr nach Frankfurt zöge, und die dasige Schule besuchte. Allein er erhielt eine kalte gleichgültige Antwort. Der Pastor L. warf ihm Eigensinn und Stolz vor, und die Antwort seiner Mutter war voll [24]zärtlicher Freude über seine geäußerte Zufriedenheit, doch nicht ohne Bekümmerniß für die Zukunft, die vielleicht der Pastor L. noch mochte vermehrt haben. Diese Briefe hatten verschiedne Wirkungen auf ihn. Gegen seine Schwester faßte er einen Groll, weil er glaubte, einen andern Ton in dem Briefe der Majorin zu finden, als in den Briefen der bürgerlichen Schwester; sie hatte ihm einen Dukaten beigelegt; er schickte ihr denselben aber wieder zurück, und hat nie wieder an sie geschrieben. Den Pastor L. fing er an zu verachten, und auf den Brief seiner Mutter strömten bittre Thränen herab. Aus des Professor T. Briefen schöpfte er Rath, Trost, Muth und Hofnung einer bessern Zukunft. ― Sechszehn Wochen hielt er dies Leben aus. Da er aber sah, daß ihm alle seine Projekte, die er in ruhigen Stunden zur Verändrung seines Auffenthalts gemacht hatte, fehl schlugen; so brachen auf einmal alle seine Leidenschaften los, er raßte und seine Phantasie mahlte ihm den tiefsten Abgrund vor die Augen. Wo er ging machte er Bewegungen mit den Händen, die seine schrecklichen Leidenschaften ausdrückten, und wenn er irgend glaubte allein zu seyn, hielt er stundenlange Selbstgespräche. In einem solchen Anfalle von innerlicher Wuth ging er die Treppe herunter und trat, unversehens, weil er nichts vor und um sich bemerkte, dem Inspektor mit einem schmutzigen Stiefel auf seinen neuen Schuh. Robert trat erschrocken zurück, und wollte sich entschuldigen; er-[25]hielt aber, eh' er dazu kommen konnte, eine Ohrfeige. Dies machte ihn rasend; er stieß fürchterliche Flüche aus, schlug nach dem Kopfe des Inspektors, der aber ausbog, und traf sich mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß seine Hand blutete. Der Inspektor nutzte diesen Augenblick und wischte in eine Stube, die er schnell hinter sich zuwarf. Robert rennte mit seinem ganzen Körper dagegen und sprengte sie auf. Er ergrif einen Stiefelknecht, der im Wege lag, fand aber keinen mehr, an dem er seine Rache hätte auslassen können. Dies war für beide sehr gut. Er ging hierauf mit verstellter Ruhe auf seine Stube, zog ein Kleid unter seinen Oberrock, packte alles was herumlag in seinen Koffer, und steckte drei Dukaten zu sich, die er vor wenig Tagen von einem Onkel bekommen hatte; schloß dann seinen Koffer zu, und ging einigemal in der Stube hin und her, vielleicht um sich zu besinnen, was er in diesem Augenblicke thun wollte. Indem trat der Aufwärter herein und foderte ihn zum Inspektor S. Die Schüler hatten sich truppweise versammelt, um zu sehen, was aus dem Dinge werden würde. Ich werde kommen, rief er, in der halben Stunde, denn jetzt bin ich nichts da nutze. ― Er fing nun an zu überlegen, was er gethan hatte, aber er konnte sich nicht schuldig finden: er machte sich also auf eine Vertheidigung bei dem Inspektor S. gefaßt, und glaubte, man würde ihm, wenn man ihn gehörig vornähme, wohl eine Abbitte auflegen. Er zog wirklich seinen [26]Oberrock wieder aus, und ging zum Inspektor S. ― Zwei Kerl standen mit Prügeln in der Thür, und der Inspektor schrie ihm entgegen: Nun! wo bleibt Ihr denn so lange? Hat's man Euch nicht gesagt? ― O ja, Herr Inspektor, aber ich war nicht fähig, ehr vernünftig mit Ihnen zu sprechen; ich wollte erst meine Hitze vorbei lassen! ― Ei! Hitze! sagte S. wir woll'n Euch schon Eure Hitze abkühlen. Jetzt sollt Ihr Eure Prügel für Euren boshaften Streich haben! stellt Euch 'rum! ― Prügel, fuhr Robert auf, und das so schnell! hören Sie mich erst! ― Wollt Ihr auch noch räsonniren, Bube! 'rum, sag' ich! ― Er faßte ihn hier bei der Brust! Herr Inspektor, rief Robert, mäßigen Sie sich, und riß sich von ihm los. Daraus wird nichts. Wer mich anrührt, den tret ich mit Füssen. ― Packt ihn an, rief er den Aufwärtern zu. Robert aber stieß den einen, der auf ihn los kam, mit großer Gewalt in die Stube hin. Sie sind ein Esel, sagte er zum Inpektor; ich mag mich von Ihnen nicht richten lassen. Leben Sie wohl. Indem öfnete er die Thür und trat heraus. Die Schüler standen auf dem Flur und freuten sich über den alten Aufwärter, der noch auf der Erde lag, eingedenk so mancher Empfindungen, die er auf ihrem Buckel und Hintern verursacht haben mochte. Der andre lies ihn ruhig davon gehn, und von den Schülern ward er wie ein Sieger die Stufen herunter begleitet. Der Inspektor rief umsonst, man sollte ihn halten. Er [27]ging langsam und unangerührt aus dem Waisenhause hinaus.

(Die Fortsetzung folgt.)

Fußnoten:

1: *) Der Mann, dessen Geschichte hier erzählt wird, ist noch am Leben, und dem Verfasser dieses Aufsatzes, Herrn Jacob in Halle, persönlich bekannt. <M.> a

2: *) Hier lasse ich eine ganze Stelle, die seine Unzufriedenheit in den heftigsten Ausdrücken an den Tag legt, weg. Man glaube ja nicht, daß ich durch die Bekanntmachung dieses Briefes eines traurigen aufgebrachten Jünglings dieser grossen Anstalt einen Streich versetzen will. Wenige denken wie Robert, und für diese Wenigen ist freilich das Waisenhauß nicht.
J.

3: *) Hier folgt eine Beschreibung des Examens, die sonderbar genug ist, die ich aber doch hier weglasse, weil sie nicht hierher gehört.
J.

4: *) Hier folgt eine lange Betrachtung über sich und seinen vorigen Zustand, die ich aber, um nicht zu weitläuftig zu werden, auslasse.
J.

5: *) Hier folgt die ganze Unterredung mit ihm, die als Vorschrift dienen könnte, wie man empörte Gemüther zur Ruhe bringt; ich rücke nur ein kleines Stück mit ein.
J.

6: *) So nennt man es auf dem Waisenhause, wenn einer den andern verräth oder anklagt, und wird für die niederträchtigste Handlung bei den Schülern gehalten.
J.

7: Hier folgt eine umständliche Beschreibung seiner Lektionen und der Lehrer.
J.

8: *) Dieß war auch das Beste, was sie thun konnten, denn ihre Gewalt geht nicht weiter.
<J. >

9: *) Heißt auf dem Waisenhause so viel, als gesehen von einem Inspektor auf einer unerlaubten That ertappt.
<J. >

10: *) Das Uebrige dieses Briefes hab ich verlegt.
J.

Erläuterungen:

a: Jakob beschwerte sich über diese Aussage, denn es handelte sich um eine fiktionale Geschichte. Vgl. Dickson 2013, S. 7.