ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Geschichte des Inquisiten Daniel Völkners, aus den Kriminalakten gezogen*) 1.

Frölich, Carl Wilhelm

Dieser Daniel Völkner war aus Friedland sechs Meilen von Königsberg in Preussen gebürtig. Seinen Vater, der daselbst Bürger und Riemer war, verlor er im vierzehnten Jahre, und lernte hierauf in seinem Orte das Schusterhandwerk. Nach geendigten Lehrjahren ging er, um sein Handwerk zu treiben, nach Danzig. Allein, ehe er hier noch Arbeit bekommen konnte, ward ihm sein Felleisen, und mit diesem sein Handwerkszeug und seine Kundschaften gestohlen. Weil er nun ohne diese keine Arbeit erhalten konnte, so ließ er sich in [11]Danzig unter des Major Augustin Kompagnie Dänischen Seeländischen Regiments, auf sechzehn Jahr anwerben, und nach Kopenhagen transportieren. Ob er hier gleich, seiner Erzählung nach, sehr vieles von seinen Officieren ausstehen mußte, hielt er doch seine sechzehn Jahr aus, und als diese vorbei waren, nahm er sich vor, nach Hause zu gehen. Auf seiner Reise aber traf er einen beurlaubten Soldaten Nahmens Börmann, der zu Meyburg an den Meklenburgischen Grenzen Bürger und Schuhmacher war, etwa eine Meile von diesem Orte, an, der ihn in seine Werkstatt aufnahm. Allein die Werkstatt gefiel ihm nicht, und er verließ sie noch an demselben Tage wieder, worauf er in ein Bierhaus ging, und sich gegen fünf Thaler Handgeld von einem Reuter anwerben ließ, der ihn den 11ten März 1753 dem Wintersheimischen Regimente in Burg überlieferte.

Von dieser Zeit an bis zum 23sten May scheinen sich mörderische Gedanken in seiner Seele erzeugt zu haben. Und leider scheint es nur allzuwahr zu seyn, daß eine fromme Schwärmerei den ersten Grund darzu legte. Die Vorstellungen von der Glückseeligkeit eines künftigen Lebens waren vielleicht bei ihm aufs höchste gespannt, da sie in Unmuth und Lebensüberdruß ausarteten, und er auf alle Weise diese Bürde abzuwerfen suchte, doch so, daß er demohngeachtet seelig sterben könnte. Und hiezu sahe er nun gerade den einzigen [12]Weg, sein eigenes Leben durch einen Mord zu verwirken, nach dessen Vollbringung es ihm immer noch frei stehen würde, sich wieder zu Gott zu bekehren.

Nach der Aussage seines Schlafkameraden des Füselier Thomas Gelmroth, lebte er beständig sehr gottesfürchtig, sang alle Morgen einige geistliche Lieder, las fleißig in geistlichen Büchern, wovon er unter andern das hällische goldne Schatzkästlein seinem Schlafkameraden zu dessen Erbauung anbot. Er ermunterte denselben oft zur Frömmigkeit, und erzählte ihm, wie er in seiner Jugend auch ein wilder Mensch gewesen, nunmehro aber auf den rechten Weg gekommen sey. Weil er weder Brandtwein trank, noch mit andern Burschen umging, so hielt ihn sein Schlafkamerad für einen Pietisten.

Einmal fügte es sich, daß letzterer Gesellschaft bei sich hatte, wo man lustig und guter Dinge war, und er dem Völkner Brüderschaft zutrinken wollte, dieser aber nahm an der allgemeinen Freude nicht Theil, und ging mit den Worten aus der Stube: er habe keinen Durst, kam auch den ganzen Tag nicht wieder zurück. Des Tages darauf, stellte Völkner seinen Schlafkameraden hierüber sehr ernsthaft zur Rede, der nun auch anfing alle Gesellschaft zu vermeiden, um nur mit ihm in Einigkeit zu leben, weswegen ihn Völkner sehr lieb gewann.

Als sie einmal zusammen schliefen, fiel es dem Gelmroth ein, seinen Schlafkameraden wegen sei-[13]ner zu hochgetriebenen Heiligkeit etwas aufzuziehen, indem er zu ihm sagte: es sey doch unrecht, daß einige Leute so ganz auszeichnend fromm seyn, und dadurch anzeigen wollten, als wenn sie allein nur die wären, die der Seeligkeit theilhaftig werden könnten. Völkner antwortete darauf, daß sey von ihm sehr unrecht gedacht, man müsse seelig werden, und kurz darauf rief er heftig aus: ich will, ich muß seelig werden! Diese Worte wiederholte er einigemale mit barscher Stimme, wobei er stark mit den Händen fochte, und sich im Bette herumwarf. Nachdem er sich nun noch eine ganze Weile mit dem Gedanken, daß er mit aller Gewalt seelig werden wolle, beschäftiget hatte, brach er in bittre Klagen über sein ehemaliges gottloses Leben aus, und fing mit einmal an: da bin ich so dabei gekommen! welche Worte er wohl drei bis viermal hintereinander wiederholte, und wenn sein Schlafkamerad ihn fragte, wobei denn? so antwortete er eben dasselbe. Nachher wurde er im Verhör über diese Worte vernommen, ob er irgend vor seiner Mordthat in seinem Leben sonst noch ein großes Verbrechen begangen habe, worauf er aber antwortete, daß er sich niemals eines vor dem menschlichen Richterstuhle strafbaren Verbrechens schuldig gemacht. Hieraus läßt sich vermuthen, daß die obigen Worte sich vielleicht auf seine schon im Sinn habende Mordthat beziehen mochten, die er sich schon so gut als geschehen dachte.

[14]

Einige Tage vor den 23sten May traf ihn einer seiner Kameraden Nahmens Kendler auf dem Kirchhofe an, und ging mit ihm spatzieren. Völkner unterhielt, dieses Kendlers Aussage nach, lauter geistliche und gute Gespräche mit ihm, wo er auch unter andern sagte, daß Gott den Menschen so viel Gutes erzeige, und diese demohngeachtet so sehr zum Bösen geneigt wären. Als unter diesen Gesprächen der Abend herauf kam, und die Sterne etwas sichtbar wurden, fing Völkner an: diese Sterne sind unsere Vorboten, man muß sich bestreben, bald dorthin zu kommen!

Seiner Aussage nach, hatte Völkner schon lange den Gedanken mit sich herum getragen, einmal ein Kind zu ermorden, (um vielleicht auf die Weise, wenn er sich nach vollbrachter Mordthat bekehrt hätte, desto eher dorthin zu kommen, in jenes beßre Leben, wohin er sich sehnte) drei Wochen aber vor seiner That hatte er eine besondere Angst und Bangigkeit, es war ihm immer, als ob er jemanden umbringen müsse. Zuweilen schlief er ruhig, zuweilen aber nicht, und gleich beim Anbruch des Tages erwachten mit ihm die Gedanken zu morden. Als man ihn im Verhör fragte, warum er diese Aengstlichkeit nicht dem Feldwebel oder seinen Kameraden, oder dem Feldprediger entdeckte, gab er hönischlächelnd zur Antwort, weil er es nicht gewollt! was aber den Prediger anbeträfe, der hätte ihm doch nicht helfen können.

[15]

Drei Tage vorher, ehe er den Mord beging, spielte er auf eben dem Kirchhofe, wo er die geistlichen und guten Gespräche führte, mit den kleinen Kindern, um eins davon zu tödten, wenn ihn nicht die Menge von Menschen gehindert hätte, seine That, so wie er gewünscht, zu vollführen.

Endlich am 23sten May gegen Abend hielt ihn nichts mehr ab, sein schreckliches Vorhaben ins Werk zu richten. Ein kleines Mädchen, daß zuweilen mit des Feldwebels Tochter zu spielen kam, dessen Eltern er aber nicht kannte, kam auch diesen Abend in das Haus, wo Völkner im Quartier lag. Sein Wirth nebst seinen Schlafkameraden waren ohngefähr eine Stunde vorher ausgegangen. Er rief also die beiden Mädchen in die Stube und theilte erst seine Abendmahlzeit mit ihnen, worauf er dem einen Mädchen die Stirn überbog, und ihr mit einem Messer, daß er, seiner eignen Aussage nach, schon einige Tage vorher hiezu gewetzt hatte, die Gurgel durchschnitt. Das andere Mädchen, welches noch etwas grösser war, sagte während der That zu ihm: was machst Du da? als er es aber bedrohete, schwieg es. Nach verrichteter That ging er sogleich auf die Hauptwache, und gab sich selber an, wobei er gestand, daß ihm nun seine That leid sey. Er ward sogleich in Verhaft genommen, schlief aber die Nacht ganz ruhig: denn seiner eignen Aussage nach hatte sich die Aengstlich-[16]keit, welche er seit drei Wochen empfunden, sogleich nach vollbrachter That verloren.

Den Tag darauf verhörte man ihn, nebst seinen Officiers, und um ihn gewesenen Soldaten. Erstere sagten aus, er sei sehr leicht mit Worten zu ziehen gewesen, und letztere behaupteten einstimmig, daß sie niemals äussere Zeichen von Tiefsinn oder Schwermuth bei ihm bemerkt, er sey zwar nicht sehr lustig, und ausschweifend, aber doch auch nicht gänzlich ein Kopfhänger gewesen.

Er selbst antwortete bei der Untersuchung vernünftig und mit vieler Präcision und bezeigte gegen seine Vorgesetzten sowohl in Worten als Gebehrden viele Ehrfurcht. Er erzählte auf Befragen seinen Lebenslauf, gestand sein Verbrechen mit allen Nebenumständen, und setzte hinzu: er habe wohl gewußt, was eine solche That für Folgen habe, und daß er sie mit seinem Blute würde büßen müssen, indessen wäre ihm dieser Gedanke, zu der Zeit, da ihm sein Leben zur Last war, gar nicht schreckend gewesen, jetzt wünsche er, daß es nicht geschehen wäre. Insbesondere merkwürdig sind folgende Aeusserungen von ihm, welche nur zu deutlich zeigen, wie viel, durch Vorstellung einer höhern Glückseeligkeit erzeugter Lebensüberdruß, und falsche religiöse Vorstellungen von einer nach vollbrachter Mordthat noch anzustellenden Bekehrung, zu der Ausführung seines Entschlusses mögen beigetragen haben:

[17]

Er habe anfänglich Vertrauen auf Gott gehabt, allein dieses sey nachher, da sich die bösen Gedanken erst seiner bemächtiget, geschwächt, und er dadurch verleitet worden von Kirchen und Abendmahl, welches er sonst fleißig genossen, zurückzubleiben. Jetzt wolle er lieber sterben, jedoch seelig sterben, als leben. Jonas habe solches auch gewollt. Zwar wäre dieser nicht auf solche Art gestorben, dieses habe er aber vorher so genau nicht überdacht. Er glaube noch immer, es habe zu seinem Besten gereicht, daß er damals, als ihm in Danzig sein Felleisen gestohlen, zu den Dänen geführt worden sey. Hier sey er rechtschaffen bekehrt worden, habe einen guten Wandel geführt, und bloß auf seiner Reise nach Burg habe sein Christenthum gelitten (vermuthlich, da er sich mit den Reutern einließ). Jetzt sey er nun zwar gänzlich von Gott abgefallen, indeß wisse er doch, wie er es anzufangen habe, wenn er sich wieder bekehren wolle.

Niemals ward er in größere Verlegenheit gesetzt, als wenn man ihm die Frage vorlegte, warum er diese abscheuliche That gerade an einem unschuldigen Kinde, welches ihn nie beleidigt, verübt hätte. Alsdann rieb er sich die Stirne, blieb lange ängstlich stehn, als sinne er auf einen Grund, und wisse ihn selber nicht zu finden, bis er sich endlich bloß auf ein dunkles Gefühl berief, daß ihn dazu getrieben.

[18]

Als man ihn beim Schluß der Untersuchung fragte: ob er einen Defensor verlange, antwortete er: daß er sein Leben verwürkt habe, wisse er wohl, und verlange also keinen Defensor, und als man ihn darauf wieder in die Wachstube führte, sagte er zu dem Officier: Gelt, Herr Lieutenant, das war kurz resolviert! An diesem Tage, als dem andern nach seiner Gefangennehmung mußte ihm sein Schlafkamerad die Bücher bringen; diese waren: Arendts wahres Christenthum, das Paradiesgärtlein, Freylingshausens Gesangbuch, und das hällische goldne Schatzkästlein. a

Fußnoten:

1: *) Die Materialien zu dieser Geschichte sind mir vom Herrn Referendarius Frölich gütigst mitgetheilt. <M.>