ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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1.

Zwei Briefe von Taubstummen.*) 1

<a.>

Herberg, Peter von der

Creyfeld den 11ten Juli 1791.

Lieber Freund!

Es freuet mich dir kennen zu gelernet haben, ich wünsche daß du noch wohl und gesund in Braunschweig bist. Ich denke oft an dich, weil [30]du bist ein kluger und braver Mann, ich habe dich recht lieb, und verehre dich. Wie befindet sich deine liebe Frau Gemahlin und liebe Tochter. Ich bin vergangenen Donnerstag Morgen früh um 5 Uhr mit meiner Mutter, Herr Heinicke, meine Schwester und Herr Commisionsrath Oppermann und seine Familie von hier nach Mors bei Mademoisell Rappert gefahren, wir sind daselbst abgestiegen und ihr besuchet; wir haben Kaffe getrunken, und Hesbelges dazu gegessen, hernach sind wir bei der liebenswürdige Madam Martin zu Tische gegangen, und haben daselbst gespeiset und getrunken. Es hat alles vortreflich geschmeckt. Nachher haben wir Kaffe getrunken. Nach dem Trinken sind wir spatzieren in Herr Wilhelms sein Garten vor dem Thor gegangen, sind in einem kleinen Schiffchen dem Wasser übergefahren und nach eines schönes Gartenhaus gekommen. Ich habe daselbst in eine Schaukel gesessen und mich geschaukelt. Ich habe gesehen, daß Bauernkerls Fische gefangen haben. Wir haben Butterbrod gegessen und Wein dazu getrunken, darauf habe ich von Madame Martin, Mademoisell Sixt, 2 Mademoisell Rappert und Herr Wilhelms und seine Familie Abschied ge-[31]nommen, und ihnen dreimal geküßet und gesaget: Adje lebe Wohl, und wir sind von Mors nach hier angekommen. Madam Martini ich recht lieb habe, wie ein lieber Herr Kampe, Sie auch ist eine recht liebenswürdige, brave, artige und kluge Frau. Sie hat vorige Woche ein recht schönen Brief an mich geschrieben, und ich habe ihn durchgelesen, und mich darüber gefreuet. — Gestern Abend um halb zehen Uhr sind viele Menschen in der Reformirten und Katholischen Kirche sehr geschwind gegangen, und sie haben daselbst sehr stark geläutet. Viele Menschen haben es gehöret — sie sind sehr geschwind nach Vitingshof gelaufen, haben es gesehen, daß 2 Häuser sind abgebrannt, haben es ausgelöschet und Herr Heinicke hat mir erzählet daß 2 Schweine und ein Hund sind todt verbrannt, die Kuh und das Pferd sind aus dem Stall auf dem Felde gelaufen. Ich auch hingehen wollte, aber meine Mutter hat mir gesaget, ich soll zu Hause bleiben. Ich bin außerordentlich darüber erschrocken, und ich habe gesaget, Potztausend, Ich bedaure die armen Leute recht und ich putze alle Abend das Licht aus vorsichtig. — Sei so gütig und schreibe dich und deine Frau Gemahlin und liebe Tochter in mein Stammbuch und sage deine Tochter, sie soll etwas hübsches darin zeichnen zum Andenken. Ich habe dich auch recht lieb. Ein Kompliment von mir an deine liebe Frau Gemahlin. Auch ein Kompliment von meine [32]Mutter und Herr Heinicke an dir und deine Frau Gemahlin, Herr Professor Stufe und Mademoisell Tochter. Ich bin

Dein

gehorsamster Jüngling und Freund.

Peter von der Herberg.


<b.>

Lammets, Johanna

Creyfeld den 15ten Julius 1791.

Mein lieber Freund!

Ich freue mich daß du gesund und wohl bist. Herr Heinicke hat zu mir gesagt, ich soll einen Brief an Herrn Educationsrath Kampe schreiben.

Vor ohngefähr halb Jahr bin ich mit Madam Winkelmann und Peter nach Emmerich gefahren, und wir haben daselbst meine liebe Mutter besuchet, und haben bei ihr gelogiert und wir haben daselbst auf der Kirmse gegangen. Vor ohngefähr zwei Wochen vor 11 Tage Herr Johan Winkelmann ist nach Emmerich gereiset, und er hat bei Herr Geeven gelogiret, und er hat daselbst auf der Kirmse gegangen. Ich bin mit Madam Winkelmann ihrer Schlafstube zu Bette [33]gegangen.*) 2 Zukünftigen Donnerstag Morgen oder Nachmittag oder Abend werden meine Mutter Bruder, und der Johan Winkelmann aus Emmerich hier ankommen, und sie werden bei mich besuchen und sie werden bei Madam Winkelmann logiren und ich freue mich sehr darüber. Ich werde zu meine liebe Mutter sagen: guten Tag, es freuet mich dir wohl zu sehen. Wie hast du dich so lange befunden.

Sey so gütig und mache ein Kompliment von mir an mein lieber Herr Educationsrath Kampe seine Frau und deine Tochter, auch ein Kompliment von Herr Heinicke. Ich bin

Deine

liebe Freundin und Jungfer

Johanna Lammets.

Fußnoten:

1: *) Diese beiden Briefe sind mir vom Herrn Edukationsrath Campe in Braunschweig gütigst mitgetheilt worden. Wegen des ganz eignen und zuweilen homerischen Ideengangs verdienen sie gewiß in einem Magazin der Erfahrungsseelenkunde einen Platz.
Moritz.

2: *) Diese Kleine wohnt nicht bei mir, sondern bei einem gewissen Herrn Winkelmann. Sie will damit sagen: sie hätte, sobald Hr. W. verreist war, bei der Fr. W. geschlafen.
Heinicke.