ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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2.

Aus den Papieren eines Hypochondristen.

Anonym

Den 14ten November überfiel mich schnell die Idee, daß man mich ermorden wolle; ob ich gleich nicht den mindesten hinreichenden Grund zu diesem Glauben hatte, und ich überzeugt war, daß kein Mensch so feindselige Gesinnungen gegen mich hege. Leute, die mir heute mit Stricken in der Hand begegneten, hielt ich für abgeschickte Mörder. Ein Bauer kam hinter mir her ausser der Stadt. Ich blieb ängstlich stehen, und redete ihn, um ihn zu [21]intimidiren, wenn er etwa einen Anschlag auf mein Leben gemacht haben sollte, mit einem heftigen Ton an: wie das vor uns liegende Städtchen hiesse? Der Mann beantwortete meine Frage, ging vorüber, und ich empfand eine herzliche Freude, daß der Mann mir nicht mehr hinterm Rücken war. Ich hatte kurz vorher einen hohen Berg erstiegen, dadurch war wahrscheinlich mein Blut in eine heftige Bewegung gekommen, und die Bilder einer schwarzen Phantasie drängten sich dadurch um so viel stärker hervor. Heute Abend fand ich eine Neige Wasser in meinem Trinkglase stehen, ich vermuthete, daß Gift darin sey, und spülte das Glas erst sorgfältig aus, ob ich gleich wußte, daß ich die Neige Wasser selbst darin hatte stehn lassen.

Den 18ten Nov. Die Würkungen der ehlichen Umarmung auf meine Gemüthsstimmung werden immer gefährlicher, beschwerlicher und sonderbarer. O hätte ich das Ehebette nie bestiegen, hätte ich sonderlich in frühern Jahren die Ausbrüche meiner sinnlichen Einbildungskraft zu verhindern gesucht: so würde ich vielleicht der gesundeste Mann von der Welt seyn, anstatt, daß ich jetzt täglich meinem Tode entgegen sehe! Die Sinnlichkeit überrascht mich auch jetzt noch, wenn ich gleich nicht will, wenn ich mit Gründen der Vernunft dagegen kämpfe. Gemeiniglich fühle ich mich einige Stunden nach einer ehlichen Liebespflicht nicht grade ermattet, und [22]schwach zum Denken, sondern sehr heiter und aufgelegt, wissenschaftliche Untersuchungen anzufangen, auch bemerke ich dann einen heftigern als gewöhnlichen Kitzel zu launigen und witzigen Einfällen in mir; — aber der Zustand dauert nicht lange. Ich muß hinterher jeden Augenblick einer genossenen ehlichen Zärtlichkeit mit tagelangen Beängstigungen meiner Seele büßen. In diesem Zustande bin ich schrecklich mürrisch, glaube, die Menschen wollen mich ermorden, fürchte, bei allem guten Gewissen, das ich habe, von meinem Amte abgesetzt zu werden, und Hungers zu sterben, und fürchterliche Zweifel über die Zukunft und deren Ungewißheit verfolgen mich gleich Furien. Die Menschen, die ich sonst so sehr liebe, deren Umgang eines meiner ersten Bedürfnisse ist, werden mir unausstehlich, oft meinen herzlichsten Freunden geh ich aus dem Wege, und mein liebes Weib erscheint mir viel schlimmer, als es in der That ist. Was mir das für Mühe kostet, in Gesellschaften meinen Menschenabscheu zu verbergen, und meine üble Laune nicht in Grobheiten, oft gegen den Unschuldigsten, ausarten zu lassen, kann ich keinem beschreiben. Bricht sie wirklich aus: so schone ich keines Menschen, ich bereue es hinterher; aber ich bin viel zu stolz, als meine Fehler den Beleidigten abzubitten. Auch sehr scharf und fein ist in jenem Zustande nach einer ehlichen Umarmung mein physiognomisches Gefühl. Ich entdecke im Gesicht andrer, Züge des Herzens, die mir sonst [23]entwischten; — oder glaube, sie zu entdecken. Ein leiser Strich von Malice scheint mir auf jeder Stirn zu stehn. Jede Veränderung auf dem Gesicht des andern, sie sey so klein, als sie will, setzt mich in heftige Bewegungen. Ich fühle mich oft so aufgebracht, einem dummen Gesicht oder einem heimtükischen, das mir wenigstens so scheint, — Ohrfeigen zu geben. Die Ueberwindung, es nicht zu thun, kostet mir die größte Mühe. — — —

Den 20ten Nov. Ein satyrisches Gesicht eines Knaben machte mir heute viel Unruhe. Ich war über den Jungen so aufgebracht, ob er mir gleich nichts zu Leide gethan hatte, daß ich hingehn und ihm sagen wollte, daß er noch am Galgen sterben würde.

Den 23ten Nov. Der Grad der Sensibilité ist oft ganz erstaunlich bei mir, und meine beßten Freunde werden mir nicht selten unausstehlich. Gegen die zuvorkommendsten Beweise ihrer Liebe bin ich oft geflissentlich kalt, und erwiedre sie mit bittern Ausdrücken oder Grobheiten. Es schmerzt mich sehr, daß ich auf diese Art so manchen edeln Menschen von mir zurückgestoßen habe, und daß ich ihn jetzt nicht deswegen um Verzeihung bitten kann. Ich kann es mir selten erklären, woher jene Empfindlichkeit augenblicklich entsteht. Am öftersten scheint sie eine Folge von Mißtrauen gegen meine Nebenmenschen zu seyn, oder auch eine Einbildung, [24] daß meine Eitelkeit beleidigt worden sey. Wenn zwei Menschen sich in der Gesellschaft in's Ohr zischeln, werd ich bange, verliere die Gegenwart meines Geistes, weil ich glaube, daß man über mich übel spricht, — und ich gebe mir oft das Ansehn eines Satyrikers, um meine Nachbarn in Gesellschaft in Furcht zu setzen. Aengstlichkeit, unbeschreibliche Aengstlichkeit überfällt mich, wenn ein andrer in mein Spiel sieht, oder sich neben mich stellt, wenn ich das Clavier spiele.

Den 28ten Dec. Mein Freund gab mir heute eine Art Liquor, um meine Magenschmerzen zu tilgen, die so oft der Grund meiner fürchterlichen Launen sind; auf einmal erwachte in mir das unglückliche Mißtrauen, daß der Liquor Gift gewesen seyn könne, und zwar ein langsam verzehrendes Gift, gleich dem aqua tofana. a

Erläuterungen:

a: Ein starkes Gift.