ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Die erste, der Spaldingschen ähnliche Erfahrung.

Gädicke

Als ich vor achtzehn Jahren noch auf meinem Landguthe B.. wohnte, und im Monath August die Gerstenerndte besorgte, ging ich, da ich denselben Morgen meine Dienstleute zum Binden vorausgeschickt hatte, eine Stunde hernach zu ihnen, um nachzusehen, ob alles befohlnermaßen befolget würde.

Ich war bei diesem guten Wetter ganz heiter und vergnügt, hatte keine andre Geschäfte weiter gehabt, und spatzierte um benannte Stunde ganz gemächlich nach; und dieser Spatziergang von Hause aus zu meinen Leuten bei der Gerste war nur ohngefähr an die fünfhundert Schritte.

Vergnügt kam ich auch bei ihnen an; fand, daß meinem Auftrage völlig nachgelebet war; folglich wurde auch meine Heiterkeit gar nicht unterbrochen. Aber nach einer Viertelstunde, da ich einem und dem andern etwas zur Arbeit gehöriges, wie gewöhnlich, gelassen in Erinnerung bringen und sagen wollte, fand ich mich unfähig, meine Gedanken durch die gehörige Zusammenfügung der Worte, nach der wahren Folge, ordentlich vorzubringen: vielmehr kam das hinterste Wort bald vorne, das mittelste bald hinten, das vorderste bald in die Mitte, und auch umgekehrt. Es war eine solche unordentliche Mischung dieser Worte, [24]daß keiner meiner Leute, die es zwar hörten, daß ich laut sprach, weder was davon verstehen, noch enträthseln konnte. Daher glaubten wohl einige, wie ich aus ihrem Aufsehen und Minen schloß: ich müßte wieder alle meine Gewohnheit entweder betrunken oder wohl gar verwirret im Kopfe seyn.

Aller meiner Vernunft war ich indessen ganz gewiß vollkommen mächtig; ich dachte ganz richtig; sahe dieses Auffallende nebst den Beurtheilungen von meinen Leuten ein: ich ließ mir aber doch nichts von meiner Verlegenheit, daß ich jetzt nicht ordentlich reden konnte, merken; vielmehr ging ich allmählig, dem Schein nach, mit guter Ueberlegung, freymüthig zurück nach Hause, um mich nicht zum Gelächter zu machen.

Unterwegens aber wurde mir diese meine Sprach- und unvermuthete Wortverwirrung doch sehr bedenklich. Es fiel mir ein, wie vielleicht eine Art von Lähmung meine Zunge befallen hätte, und dieser Zufall gar leicht endlich in eine völlige Vergessenheit der Sprache und eine wahre Stummheit übergehen könnte. Doch aber erwog ich ganz reiflich, daß ich ja noch alle Wörter sprechen könnte, die ich wollte; aber nur nicht in gehöriger Ordnung, sondern nur dem Sprachgebrauch zuwider, nicht in gehöriger Reihe, vielmehr ganz verwirrt durcheinander: folglich könne es wohl nicht so sehr an meiner Zunge selbst, als an meinem Gedächtniß fehlen. Um aber auch hiervon die Probe ferner zu [25]sehen, suchte ich diesen Gedanken nochmals vor mich bunt herzusagen; allein alle diese Worte konnte ich zwar deutlich vorbringen, aber doch nur unordentlich untereinander wie vorher, ohne außer dem Gedanken selbst, den ich im Sinne hatte, aus den Worten klug zu werden. Ich dachte also weiter, daß eine Aderlaße oder eine Laxanz, schleunig gebraucht, nur noch allein in der Geschwindigkeit mir helfen könnten. Die Aderlaß wählte ich.

Zu Ende dieses Schlusses kam ich in mein Haus, gab so viel mir möglich, meinen Leuten, theils durch confuse Worte, theils richtige Zeichen zu verstehen, daß sie Wasser zur Aderöfnung am Fuß hereinbringen müßten. Diese verstanden endlich meinen Sinn, besonders als ich den Schnepper und Fuß zeigte und mich setzte. Da ich nun in meinen jüngern Jahren Muse gehabt hatte, mich auch auf die Medicin zu legen, nebst einigen chirurgischen Instrumenten auch eine kleine Hausapotheke zum unentgeldlichen Gebrauch meiner Leute hielte, so war dieses, daß ich mir selbst zur Ader lassen wollte, so auffallend nicht. Zufällig, da es zu anderm nöthigen Küchengebrauch da war, bekam ich ohne Aufschub warmes Wasser in einem dazu schicklichen Gefässe, setzte den Fuß ein, und ließ mich selbst recht gut am Fuß zur Ader. Mein Blut war eben nicht in Wallung; dennoch aber ließ ich wohl bis zehn Unzen, welches etwas dicke war.

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Noch während dieser Aderöfnung war ich schon im Stande wieder ordentlich zu sprechen; und scherzte schon beim Zubinden der Ader mit meinem Gärtner, welcher vor Bestürzung mir nicht recht helfen konnte.

Seit dieser Zeit habe ich dergleichen Zufall nie wieder gehabt. Ich glaube also das nächste und kräftigste Mittel erwählet zu haben, welches mir diese schleunige Hülfe brachte, und gleich so munter und frisch wieder machte, als ich vor diesem Zufall gewesen war.