ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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Laune.

M**s

»Ich spielte den 12ten August im Jahr 1776 Kegel, um mich ein wenig zu zerstreuen, erzählte mir mein Freund S**, und meine Laune besser zu stimmen.

Aber als ich ein paar Würfe fehl gethan hatte, ward ich ungeduldig, und wollte nun das Treffen mit Gewalt erzwingen, da gelang es mir noch weniger, und so spielte ich drei Spiele hindurch noch um ein gut Theil mißvergnügter, als ich vorher war.

Ich hatte nun keine rechte Lust zu arbeiten, und da ich einmal mein Geschäft hatte liegen lassen, so schien es mir nun mit jedem Augenblick schwerer und unangenehmer, ― wollt' ich aber mir ein Vergnügen machen, so fielen mir wieder die verwünschten Arbeiten ein.

Ich mußte also zu etwas schreiten, worüber ich mich selbst vergaß ― dieß verleitete mich zu einem Schritte, der mich viele Jahre gereuet hat.

Hätte ich nur noch beim fünften Wurfe meine Geduld nicht ganz verrauchen lassen, so hätte ich wahrscheinlich nicht fehl geworfen, meine besten Launen wären wieder zurückgekommen; ich wäre mit Vergnügen an mein Geschäft gegangen ― hätte nach Vollendung desselben das reine [123]Vergnügen der Erhohlung nach der Arbeit geschmeckt, und eine Handlung vermieden, die bis jetzt noch einen Stachel in meiner Seele zurückgelassen.

Ein großer Theil meiner Glückseeligkeit stand also auf der Spitze eines Kegelschubes; und wer ist, dessen Schicksal nicht oft auf einer ähnlichen Spitze stände.«

Die gute Laune, die Zufriedenheit mit uns selber ist die Mutter aller Tugenden ― sie ist aber ein kostbares Ding, und zerbrechlich wie Glaß.

Ehe jemand zu einer solchen Fertigkeit gekommen ist, daß nichts so leicht die Grundfesten seiner Handlungen mehr erschüttern kann, muß er über die gute heitere Stimmung seiner Seele, wie über eine aufkeimende Pflanze wachen, die der kleinste Stoß vom Winde zerknicken kann.

In der Folge kann man zwar schon etwas dreister seyn; aber ganz sicher nie ― denn als S** schon viele Jahre lang ein ordentlicher und rechtlicher Mann gewesen war, und für seine Gemüthsruhe von keinem mißlungnen Kegelschube etwas mehr zu befürchten hatte, brachte ihn doch einmal das Billard so aus seinem Gleise, daß es ihm vier Wochen Zeit kostete, ehe er wieder hineinkommen konnte.

[124]

Man suche nur seine Arbeit lieb zu gewinnen, und sie belohnt einem mit Zufriedenheit und Vergnügen.

Jemehr man seines Gegenstandes Meister wird, desto anziehender wird er, wird er für einen.

Vor allen Dingen aber hat man sich vor jenem tauben Hinbrüten in acht zu nehmen, wo ohne Ziel und ohne Zweck ein Augenblick nach dem andern verfliegt, ohne daß man gelebt hat.

Zum mindesten mache man Beobachtungen über seinen Zustand, wenn einem sonst nichts weiter übrig ist, so wird man doch nie ohne eine interessante Beschäftigung seyn!

M**s.