ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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III.

Stärke des Selbstbewußtseyns.

Fischer, Ernst Gottfried

Ich habe verschiedenemale einen Zufall gehabt, der zwar wohl nicht unter die ganz seltenen, und unbekannten Erscheinungen gehört, der mir aber doch einiger Umstände wegen einen Platz in einem Magazine der Erfahrungsseelenkunde zu verdienen scheint.

Im Grunde mag er wohl nichts anders seyn, als das sogenannte Alpdrücken, das nur vielleicht bei jedem einzelnen Menschen eine etwas andere Gestalt annimmt.

Soviel ich weiß, hat man bisher diesen Zufall, mehr in medicinischer, als psychologischer Rücksicht beobachtet, und doch scheint er mir in dieser letztern Hinsicht nicht minder merkwürdig zu seyn.

Besonders kann er zur Bestätigung des Paradoxen Satzes dienen, daß man bei einer gänzlichen Verwirrung der Vorstellungs- und Einbildungs-[48]kraft, dennoch ein ziemlich deutliches Bewußtseyn von sich selbst, und von seinem Zustand behalten könne.

Der Zufall, von dem ich rede, hat sich immer bei mir auf folgende Art geäußert. Ich wache bisweilen des Nachts plötzlich auf, fühle mich aber zugleich in einen äusserst peinlichen, und sonderbaren Zustand versetzt, der schwer zu beschreiben ist, weil die damit verbundnen Empfindungen, mit andern gewöhnlichen, wenige oder gar keine Aehnlichkeit haben.

Es ist mir ohngefähr so, als ob ich mich über und über mit Feuer umgeben sehe, das mir aber eigentlich keine Empfindung vom Brennen, sondern nur eine heftige Beängstigung, verursacht.

Während dieses Zustandes ist die Phantasie in gänzlicher Verwirrung. Ungehirnte Schreckenbilder schweben um mich, und Vorstellungen, die keinen Zusammenhang und Menschensinn haben, gehn mir durch den Kopf.

Die Angst treibt mich zu schreien, aber die Kehle ist wie zugedrückt. Der ganze Körper ist wie gefesselt, oder eingekerkert, und alles Vermögen irgend ein Glied des Körpers zu bewegen, ist weg.

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Dieser Zustand dauerte selten über ein oder zwei Minuten, und pflegte eben so schnell zu verschwinden, als er entstanden war.

Ich war ohngefähr siebzehn Jahr alt, als ich diesen Zufall zum erstenmale bekam, und damals hatte ich während desselben nicht das geringste deutliche Bewußtseyn von mir selbst, obgleich das peinliche Gefühl des Zustandes stark genug war, um mir hernach noch sehr lebhaft in der Erinnerung zu bleiben.

Als ich wieder zur Besinnung gekommen war, lag ich in einem Angstschweiß, und meine Bestürzung war so groß, daß ich auf den thörichten Gedanken gerieth, etwas Uebernatürliches in dem Zufalle zu finden.

Da ich mich aber nachher wieder erhohlte, und zu völliger Besonnenheit kam, fiel mir sehr bald die Aehnlichkeit dieses Zufalls mit dem Alpdrücken ein, wovon ich nicht lange vorher in einem medicinischen Buche, ich glaube im Arzt, eine Beschreibung gelesen hatte. Ich wurde davon noch gewisser, da ich mehrere Personen fand, die ähnliche Zufälle gehabt hatten, ob sie gleich von ihren Empfindungen etwas andere Beschreibungen machten.

Wie oft ich nachher den Zufall wieder gehabt habe, weiß ich nicht ganz genau, doch kann es leicht acht bis neunmal seyn. Die Empfindung und [50]die Verwirrung der Phantasie, ist allezeit die nehmliche; allein in Absicht des Bewußtseyns, zeigte sich die folgendenmale ein merkwürdiger Unterschied.

Schon das zweitemal kam zugleich mit dem Zufall einiges Bewußtseyn, und Erinnerung an den ersten Fall, in die Seele, dieses Bewußtseyn ist bei jedem folgendenmale immer deutlicher geworden; und die ganze Erscheinung hat dadurch viel von dem Schreckhaften, das sie anfänglich hatte, für mich verloren.

Ich weiß jetzt, sobald der Zufall kommt, ganz deutlich, daß ich in diesem Zustande bin, daß er bald vorüber geht, und mir weiter keinen Schaden verursacht; ja, da ich einmal gehört habe, das Alpdrücken höre auf, sobald man nur ein Glied bewege, so habe ich doch bei aller Verwirrung oder Verrücktheit, die im Kopfe ist, genug Geistesgegenwart, um mich an diese Regel zu erinnern.

Ich bestrebe mich dann, irgend ein Glied zu bewegen, allein es ist nicht anders, als ob die Seele (man erlaube mir einen etwas sinnlichen Ausdruck) die Fäden, an welchen sie die Glieder bewegt, nicht finden könnte, als ob sie sie erst suchen müßte. Gemeiniglich war die rechte Hand das erste, was ich bewegen konnte, und dann verschwand das ganze Hirngespinst ziemlich bald.

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Ich will indessen nicht bestimmen, ob der Zufall nachläßt, weil sich die Hand bewegt, oder ob die Hand beweglich wird, weil der Zufall nachläßt. Das erste sieht freilich ziemlich unwahrscheinlich aus, da die Ursache des Zufalls wohl nicht in der Hand, sondern im Gehirn liegt, wo vermuthlich das Blut stockt oder sich anhäuft, und daher das Gehirn drückt, welches durch einen sehr kleinen Umstand z.B. durch eine unnatürliche Lage des Kopfs veranlaßt werden kann.

Es sey mir erlaubt, vorjetzt nur noch eine Anmerkung hinzuzufügen.

Zufälle von dieser Art, und tausend andere Erfahrungen, scheinen zu beweisen, daß in den Wirkungen der Seele etwas mechanisches, oder so zu sagen, materielles sey. Jede Unordnung im Gehirne ist unmittelbar mit einer Unordnung in der Denkkraft verbunden, und folglich setzt auch umgekehrt die regelmäßige Wirksamkeit der Seele einen völlig gesunden Zustand des Gehirns voraus.

Da nun unser Gehirn, wie jeder andere Körper, in seinen Veränderungen mechanischen Gesetzen unterworfen ist, so muß von eben diesen Gesetzen auch die Wirksamkeit der Seele zum Theil abhängen.

Ich sage zum Theil; denn eben dieselben Erfahrungen, beweisen eben so unleugbar, daß noch [52]etwas höheres in der Seele ist, welches bei allen Verwirrungen und Unordnungen des Gehirns doch immer dasselbe bleibt, und dessen Thätigkeit zwar durch wiedernatürliche aus Unordnungen im Gehirn entspringende Empfindungen gehindert, und gleichsam betäubt, aber wohl nicht vernichtet werden kann.

Bis jetzt ist wohl die Gränzlinie noch nicht gezogen, in wie weit die Wirksamkeit der Seele mechanisch ist, und wie weit sie es nicht ist. Es dürfte auch wohl etwas schwer seyn, und einen ungemein feinen und scharfsichtigen Beobachter erfordern; allein der Nutzen, den die Auflösung dieser Aufgabe haben würde, scheint mir so groß zu seyn, daß ich fast zweifle, ob man in der Seelenlehre irgend eine wichtigere Frage aufwerfen könne.

Ich wünschte, daß mehrere, die an sich selbst Beobachtungen über das Alpdrücken gemacht haben, so genau und treu als möglich, die Ausschweifungen ihrer Phantasie, während dieses Zustandes, beschreiben möchten. Ich vermuthe, daß die Phantasie bei jedem Menschen etwas anders schwärmt, und andere Bilder hervorbringt. Und bestätigte dieses die Erfahrung, so ließen sich vielleicht manche nützliche Folgerungen daraus ziehen, vielleicht auch einiges zur psychologischen Erklärung dieser Erscheinung sagen. Da aber dergleichen Folgerungen [53]nicht ehr einen reellen Nutzen haben können, als bis sie auf unstreitigen Erfahrungen beruhen, so würde es überflüssig seyn, für jetzt etwas mehr davon zu sagen.

Fischer,

Lehrer am grauen Kloster in Berlin.