ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde

Herausgegeben von: Karl Philipp Moritz, Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon
Digitale Edition herausgegeben von Sheila Dickson und Christof Wingertszahn


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<Einleitung.>

Moritz, Karl Philipp

Mit Zittern schreite ich zu der Ausführung eines Unternehmens, dessen Wichtigkeit und Nutzbarkeit mir von Tage zu Tage mehr in die Augen leuchtet, wobei ich aber auch die großen Schwierigkeiten immer deutlicher einsehe. ― Was für ein Feld ist es, wohin sich meine unsichern Schritte wagen; welche unbetretne Pfade, welche Dunkelheit, welch ein Labyrinth! Wie leicht kann hier ein falscher Tritt, den Suchenden irre führen, daß er sein ganzes Leben hindurch nach einem Blendwerke hascht, und nie den milden Strahl der Wahrheit findet, welcher nur den beglückt, der an der Hand der Vernunft geleitet, gleichfern von Enthusiasmus und Kälte, den Weg der ruhigen Weisheit wandelt. O möcht' es mir gelingen, diesen sanften Strahl noch zu erblicken, ehe mich die Nacht des Grabes deckt, wie gerne wollte ich dann mein Haupt niederlegen, und sterben!

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Aber wie kann ich den ganzen übrigen Theil meines Lebens besser nutzen, als wenn ich ihn, neben der thätigen Ausübung meiner Pflicht, zur Erforschung und Betrachtung desjenigen anwende, was mir und meinen Mitgeschöpfen gerade am wichtigsten ist? Und was ist dem Menschen wichtiger, als der Mensch? Diesem vortreflichen Studium will ich daher meine Zeit und meine Kräfte widmen, und in Rücksicht auf dasselbe will ich studieren, lesen, beobachten, denken, und leben.

Daß ich das Publikum hiervon zum Zeugen mache, ist nicht Vermessenheit, als fände ich mich im Stande, gleichsam wie ein Repräsentant desselben, und ihm zum Nutzen, die Tiefen einer Wissenschaft zu ergründen, welche bisher noch von den hellsten Köpfen nicht ergründet sind: sondern ich wünschte bloß, daß mein Eifer und guter Wille bei demselben meine Vorredner seyn möchten, wenn ich es wage, einige Materialien zu einem Gebäude zusammen zu tragen, das seinen Baumeister noch sucht, und ihn wahrscheinlich einmal finden wird.

Was mich darüber beruhiget, daß ich die gegenwärtige Sündfluth von Büchern noch mit einem neuen Buche vermehren will, ist dieses, daß ich Fakta, und kein moralisches Geschwätz, keinen Roman, und keine Komödie, liefere, auch keine andern Bücher ausschreibe.

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Uebrigens beziehe ich mich wegen des Plans dieses Magazins auf die ausführlichen Ankündigungen in verschiednen öffentlichen Blättern und Journalen, und insbesondre auf den Vorschlag zu einem solchen Magazine im deutschen Museum vom Monath Junius im gegenwärtigen Jahrgange. a Bei der Herausgabe binde ich mich an keine gewisse Zeit. Nach dem Vorschlage des Herrn Moses Mendelssohn werde ich die Eintheilungen in der Arzneiwissenschaft auf die Erfahrungsseelenkunde anzuwenden suchen, und die Aufsätze in diesem Magazine unter die Rubriken der Seelennaturkunde, Seelenkrankheitskunde, Seelenzeichenkunde, Seelendiätätik, u.s.w. zu ordnen suchen.

Erläuterungen:

a: Moritz 1782a.